Zur Seniorentreff Homepage
 Bücher suchen:





Neues ChatPartnersuche (Parship)FreundeLesenReisen LebensbereicheHilfe



Archivübersicht | Impressum

THEMA:   Bergengruens Radtour durch Deutschland

 5 Antwort(en).

Literaturfreund begann die Diskussion am 20.11.05 (18:44) :

Werner Bergengruen: Münster im Münsterlande
[W.B.: Deutsche Reise. 1933; erschienen 1934) Neuausaugabe 2004; von seiner Radtour durch Deutschland, 1933]:

Die Westfalen sprechen gern von der gesamten nordwestlichen Tiefebene als von der Münsterschen Bucht und breiten damit den Namen ihrer Hauptstadt vom Mittelgebirge bis an Dollart und Zuidersee. Das enger zu begrenzende Münsterland ist altes Kirchengebiet. An Landstraßen und Wegekreuzungen, vor den. einsamen Bauernhöfen stehen die Bildstöcke, der Gekreuzigte, die Muttergottes, Sankt Antonius; wunderbare Beseelung der Landschaft, die Natur wird der Gnade unterstellt.
Das Land ist ackerreich, kräftig und still, von Heiden und Wäldern durchsetzt, die Wallhecken grenzen den bäuerlichen Besitz. Der rote norddeutsche geht in den weißen mitteldeutschen Fachwerkbau über. Auch wo massives Ziegelbauwerk an seine Stelle getreten ist, weisen Anlage und Einrichtung immer noch auf das altsächsische Bauernhaus; zurück, das unter einem Dache Wohnung, Stallung, Vorrats- und Wirtschaftsraum einte. Abgesondert und einzelgängerisch liegen die Höfe und leben die Menschen, aus deren derber Daseinsverbundenheit immer wieder ein Hang zum Jenseitigen, spukhaft Vorhersagerischen sich lost. Dies Abgeschiedene, in sich Gewandte durchzieht auch die Geschichte des Münsterlandes; es ist arm an großen Begebnissen. Das Ritterleben spielte sich nicht auf weitt ausschauenden Bergen ab, sondern in der Fläche; die Wasserburgen gehören noch heute zu Westfalens bestem Schmuckbesitz. Am schönsten sind sie, wenn ihre Mauern unmittelbar aus dem Wasser aufzusteigen scheinen.
(...)
(S. Forts.)

*
Später dann: die Promenade, St. Lamberti, der Dom, das Rathaus…
Später:
„Lebewohl, sonderbares, liebgewordenes Münster, fromme, kräftige Stadt…"
*
s. RATHAUS:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/kMIqjBXkM


 Literaturfreund antwortete am 20.11.05 (18:47):

Bergengruen: In Münster:

Forts. (...)
Wie sich aus der Schwere das Leidenschaftliche, aus der Breite das Hochstrebende, aus der dunklen ruhenden Erde das geistige Feuer emporheben kann, das bezeugt die Stadt Münster. Sie ist die Vollendung dieser Landschaft und zugleich ihre Auflösung. Alle Zeiten haben hier zusammengewirkt, die frühkirchlichen Jahrhunderte, ein reiches, stadtbürgerliches Mittelalter, die schäumende Gotteslust des Barock, die ihren geistlichen Prunk heiter und gewiß ins Weltliche hinüberspielte; die Zeit des aufgeklärten und despotischen achtzehnten Jahrhunderts, da in den Fürstbischöfen die fürstliche Art stärker war als die bischöfliche, und jene Zeit der Wende, da ein neues Glaubens- und Herzenswesen saftgebend in die dörrgewordenen Zweige des alten Kirchenbaumes stieg.
Das sichtbare Bild der Stadt ist von all diesen ersten Zeiten geformt worden, ihr geistiges Antlitz vornehmlich von der letztgenannten.
Ich habe manche deutsche Stadt auf den Bleibseln oder Spuren ihrer Wälle umschritten: Lübeck, Amberg, Osnabrück, Nürnberg, Helmstedt, das sächsische Freiberg. In Münster ist dieser Gang eine besondere Freude, und ich weiß nicht mehr, wie oft ich ihn wiederholt habe. Jeder Blick aus dem baumigen " Grün trifft auf Türme, Gemäuer, bischöfliches, städtisches, ritterliches Gebäu in immer neuer Gruppierung. An der Nordostecke der Umwallung steht der »Zwinger«, ein vom Bischof Franz von Waldeck gegen die wiedertäuferische Grauensherrschaft errichteter Zwingturm. Kaum mag man dies ungeschlachte Bauwerk einen Turm nennen, sein Durchmesser scheint länger als seine Achse. Klotzig, geduckt, voll einer gesammelten, schwer bewegbaren, aber nach ihrem endlichen Aufbruch nicht mehr abzudämmenden Kraft, wirkt dieser niedrige Kiese wie ein westfälisches Inbild. Wo die nördliche Wallseite die Biegung zur westlichen macht, dehnt sich verschlafen, verlassen in der schattenlosen Stunde ein riesiger Platz, zum Exerzieren und Promenieren geschaffen, dann öffnet sich malerisch der rote barocke Flügelbau des Fürstbischöflichen Schlosses. Der Schloßpark leitet hinüber in den botanischen Garten der Universität und nimmt ihm mit seiner heiteren Repräsentation den Beigeschmack trockner Lehrsamkeit. Palmen und goldfrüchtige Pomeranzenbäume stehen in mächtigen Kübeln. Den Efeu der alten Stadtmauer hat ein erfindungsreicher Gärtner kunstvoll zu riesenhaften Gestalten geschoren: ein Schwein, ein Pferd, ein Menschenpaar, ein Wolf stellen sich, fernhin kenntlich, dem Wallgänger zur Schau, weiterhin heben sich buchsbaumene Riesenschwäne, Hähne, Kamele und Hunde über die Hecke. An welcher Stelle ich auch den Wallgang abbreche, um in die Kernstadt zu biegen, fast überall empfängt mich die Fülle des Merkwürdigen und Eindringliche des großartigen oder doch altertümlich Behaglichen.
*
S. Lambert:

Internet-Tipp: https://www.german.sbc.edu/images/lamberti.gif


 Literaturfreund antwortete am 22.11.05 (16:22):

Werner Bergengruen (auf "Tour Deutschland", 1933):
Römerkastell und Lausebusch

Ein mittelalterlicher Autor nennt Westfalen »non vinifera, sed virifera“ – „nicht Wein, wohl aber Männer hervorbringend«. Aus dem männererzeugenden Westfalen will ich über das breitbelagerte niederrheinische Gebiet das Weinland des Rheines erreichen. Ich folge der Lippe, der unter den Flüssen Westfalens die Römerstraßen und Römerbefestigungen eine eigene Bedeutsamkeit gegeben haben. Hier etwa lag die Grenze, die das Imperium Romanum von der nur zeitweilig beherrschten, dann wieder verlorengegebenen germanischen Kernwelt trennte. Bei Haltern an der Lippe haben Ausgrabungen ein römisches Heerlager und Uferkastell freigelegt, das Museum des stillen, nicht anmutlosen Landstädtchens bewahrt wunderbare Dinge: neben militärischen Ausrüstungsstücken und altersschwarzen Weizenkörnern allerlei schmuckreiche Gegenstände des Tagesgebrauchs, Fibeln, Pinzetten, schönfarbige Glasreste, Lampen und Salbölfläschchen, Tintenfässer für Bataillonsschreiber, Spiegelchen, vor denen Portepeefähnriche dem Durchbruch des ersten Barthaars entgegengefiebert haben mögen; bezaubernde, glattgeschliffene Spielsteine, schwarze und weiße, die man augenblicks zur Hand nähme, wären sie nicht klüglich hinter Glas gestellt. Es erstaunt einen immer wieder, wenn man sich durch solchen Augenschein überzeugen darf, vie hohem Maße vormarschierende Kolonisationsheere die sichere Kultur er Heimat in noch ungesichertes Neuland tragen. Das ist nicht römisch an: Allen wahrhaft großen Armeen ist es eigentümlich, daß mit ihren Feldchen eine noch nach Jahrhunderten ablesbare Quintessenz ihres Landes in die Ferne gelangt. Im Halterner Museum fesselt mich das Fragment eines Steindenkmals mit einer griechischen Ehreninschrift auf Publius Quintilius Varus. Der Fund wurde in Pergamon getan und gelangte als Geschenk nach Eltern. Er stammt aus der Zeit, da Varus Quästor in der Provinz Asia war.
Damals mag er sich an jene knechtliche Unterwürfigkeit gewöhnt haben, die er, Vertreter eines ewig in der Geschichte wiederkehrenden Kolonialdespotentums, auch von den freiheitsgewohnten germanischen Stämmen meinte fordern zu sollen.
Die Inschrift besagt, das Volk habe ihn geehrt. Aber das Volk um Lippe und Weser war von anderem Gemüt.
Man hat in dem Kastell des Annaberges bei Haltern das vielumstrittene Aliso erkennen wollen, die wichtigste Römerfestung Germaniens, die auch in der Gegend von Hamm, in Eisen bei Paderborn, ja sogar bei Wetzlar am Zusammenfluß von Lahn und Dill gesucht wird. Es ist begreiflich, daß die Wetzlarer Philologen mehr der letzten, die Paderborner Gymnasiallehrer der vorletzten Deutung zuneigen; das Umgekehrte fordern, hieße die menschliche Natur mißkennen.
*
Die Halterner Annaberg-Kapelle 1836:
*
Forts. folgt.

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/AejvbFlDb


 Literaturfreund antwortete am 22.11.05 (16:26):

Bergengruen in Halten, Wesesl, auf dem Weg nach Xanten:
Forts.:
Im Haltener Stausee erfrischt mich unter zahllosem anderen ein Bad am heißen Tage. Das nächste soll im Rhein geschehen, in (der großen Einsamkeit der mächtigen Stromfläche.
Zwischen dem münsterschen und dem niederrheinischen Tiefland empfängt mich noch einmal eine bescheidene Hügelgegend; doch hält sich der westfälische, der münsterländische Landschaftscharakter ohne viel Änderung bis an den Strom. Von Kämpen, Wallhecken, Hofeseichen sind die bäuerlichen Anwesen umgeben. Diese Wallhecken, die eins der westfälischen Landesmerkmale sind, umschließen nicht den bäuerlichen Gesamtbesitz, sondern seinen Mittelpunkt, den Hof. Sie vertreten Mauerstelle und empfangen eine gewisse Pflege; wogegen die holsteinischen Knicks wildwachsende Flureinfriedigungen darstellen, Wiesen- und Ackergrenzern.
Vor Ratzeburg heißt ein Buchengehölz »der Lausebusch«, denn hier pflegten von altersher die Handwerksburschen vor dem Betreten der Stadt Toilette zu machen. Im waldarmen Lande vor Wesel spähe ich vergebens nach einer grünen Stadtvorhalle ähnlicher Art. Endlich beschließe ich, den Schatten einer Obstbaumgruppe als meinen Lausebusch gelten zu lassen. Ich raste in seiner Kühle und mache mich auf meine Weise stadtfähig, indem ich endlich den Hemdkragen schließe und zu Ehren des Weseler Gasthofspersonals eine Krawatte umbinde.
**
Anm.:
Über ALESIA (heute: ALISE-STE-REINE) wissen wir, ob aus Asterix oder über www.wikipedia.de heute besser Bescheid.

Von dem hier vorgestellten "Lausebusch" (mit den heuetigen Ableitungen: Lauser, Lausbub, Lauserei…) weiß ich noch nicht Abschießendes. Zu: „Lausebusch“, was als Ortsbezeichnung häufig vorkommt weiß das DWDS:
Lause-, lause-: -bengel, der salopp Schimpfw. frecher Bengel, Rüpel: Jetzt also wagte dieser protzige Lausebengel von einem Aristokraten auch noch ihn ... als schofel und krämerhaft hinzustellen (Feuchtw., Lautensack 116); -junge, der salopp (Schimpfw.) frecher Junge: er ist ein richtiger L.; so ein L.!; du L.!; mit diesem Lausejungen will ich nichts zu tun haben; -jungenhaft /Adj./ salopp wie ein Lausejunge: eine lausejungenhafte Schadenfreude packte mich (Mundstock, Mann 10); -kerl, der vgl. -junge: Willst du rotznäsiger Lausekerl unsern König beleidigen? (…)
S. URL.:
*
Über Varus, seine Erfolge unter Kaiser Augustus, sein Desaster im Teutoburger Wald:
www.rwe.com/generator.aspx/ property=Data/id=119876/tour4-pdf.pdf

Internet-Tipp: https://www.dwds.de/cgi-bin/portalL.pl?search=Lausebengel


 Literaturfreund antwortete am 24.11.05 (14:12):

Bergengruen: Von seiner Niederrhein-Radtour
Kriegsleute am Niederrhein

Wesel liegt an der Mündung der Lippe in den Rhein. Es gehört auf eine engere Art zu Preußen als das übrige Rheinland, denn als ehemals herzoglich clevische Stadt hat es schon den Kurfürsten von Brandenburg huldigen müssen. Es war Preußens starke Nordwestfestung und es hat ein »Berliner Tor«, von den beiden ersten Preußenkönigen erbaut und mit kriegerischen Emblemen geschmückt. Vor dem großen Kriege haben vier preußische Regimenter in Wesel gestanden. Noch heute hat Wesel etwas Soldatisches. Mir fällt der niedrige, hölzerne, abseits gelegene Bahnhof auf, in einer Stadt mit fünfundzwanzigtausend Einwohnern und unmittelbaren Zugverbindungen nach Amsterdam, Hamburg, Köln und Essen. Man erklärt mir, die Gesetze des ehemaligen Festungsrayons hätten zu dieser Bauweise genötigt. Am Kornmarkt steht das alte Schloß der Herzöge von Cleve; Rathaus und Willibrorduskirche sind ansehnliche Baudenkmäler des Mittelalters. Aber Wesels Art wird nicht von solchen Gebäuden bestimmt, die auf die Stadtenge der gotischen Zeit weisen. Wesels Ausdehnung ist die der Festungs- und Garnisonsstadt, wo marschiert und exerziert wird, zugleich aber die der Hafenstadt im weiten, flachen, hollandnahen Lande.
Der Kriegswert der Festungswerke ist in neuester Zeit nur noch gering gewesen, dennoch mußten sie nach dem Versailler Frieden geschleift werden. Allerlei Hoffnungen auf Verkehrsentwicklung zuliebe ging man im Zerstören noch weiter, als der Vertrag es forderte. Nun wächst Gras über den Trümmern. Ich kann mein Herz nicht schützen gegen die grandiose Melancholie, die dies riesige Verwüstungsfeld aussendet. Ich irre um die verlassene Zitadelle, verliere mich in einem Wust von gesprengten Bauten, eingerissenen Wällen, breiten Gräben, in denen sich hastige Schrebergärten angesiedelt haben. Überall liegen, wirr gestürzt, mächtige Mauerbrocken umher. In der schattenlosen Öde begegne ich ein paar grasenden Schafen, rupfenden Ziegen, spielenden Kindern in ärmlicher Kleidung.
Es wird Abend, der Rhein glimmt rötlich, vorn Wasser weht Kühle. Die wenigen, zu Wohnungen umgestalteten Bauten dies Soldatenbezirks blinken mit düsterem Fensterlicht, die Trümmerwelt wird bläulich, grau, schwarz, vom Rheinstrom heult eine Sirene ihre Totenklage. (…)
*
Forts. folgt.
*
So sieht das Geländer der CUT (Colonia Ulpia Trajana) heute noch aus; die querdurch verlaufende Bundesstraße wird verlegt – so dass das gesamte Leger in einer Einheit rekonstruiert werden kann.

Internet-Tipp: https://lexikon.freenet.de/images/de/8/8f/Cut.png


 Literaturfreund antwortete am 24.11.05 (14:13):

Bergengruen am Niederrhein 1933
(In Wesel udn Canten)
Fort.:

Alle Geschlechter nach ihnen [den Schillschen Offizieren] haben ihr Andenken in Pietät gehalten. Aber vielleicht ist es erst die Generation der Freikorps, elf Jahrzehnte nach ihrem Tode, die gänzlich auf die Gesinnung dieser elf Freikorpsoffiziere antwortet. Wir treten vor die elf, die Hand am Helm, Meine Herren Kameraden, wir salutieren.
Stromauf von Wesel liegt Düsseldorf. Auf der Golzheimer Heide stand am
26. Mai 1923 abermals ein Freikorpsoffizier vor dem französischen Exekutionskommando. Herr Kamerad, wir salutieren.
Anderthalb Jahrtausende vor dieser Zwölfzahl sind im niederrheinischen Land um eines anderen Reiches willen soldatische Märtyrerglorien erworben worden. Die schlachtenberühmte Thebäische Legion, rekrutiert aus Christen der ägyptischen Thebais, wurde im Rhonetal mit ihrem Obersten Mauritius an der Spitze, kaiserlichem Befehle gemäß, bis auf den letzten Mann niedergehauen, weil sie sich weigerte, den Göttern jenes Staates zu opfern, dessen Siege sie hatte erfechten helfen. Die Überlieferung spricht von detachierten Teilen der Legion, die in Trier, Bonn, Köln und Xanten das Schicksal der Kameraden teilten, unter den Hauptleuten Thyrsus, Florentius, Cassius, Gereon, Gregorius, Victor. In zahllosen Kirchen und Häusern des rheinischen Stromgebiets werden diese geistlichen Soldaten angerufen, Schutzheilige des Bodens, den sie, aus der Fremde kommend, mit ihrem Blut für alle Dauer in Besitz nahmen.
Meine Herren Kameraden, wir salutieren.
*
Informationen zum Lager – bei Xanten/Birten.

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Castra_Vetera