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THEMA:   Texte zum Winter

 35 Antwort(en).

Miriam begann die Diskussion am 15.11.05 (23:32) :

Ich weiss nicht wie Ihr Euch mit dieser Jahreszeit abfindet, oder sogar vielleicht anfreundet.

Mich muss man von aussen überzeugen, dass auch der Winter seine schönen Seiten hat. Da ich an gute Texte glaube, nehme ich denen sogar das ab.
Und so habe ich mich entschlossen dieses Thema hier zu eröffnen, vielleicht finden sich auch andere Wintermuffel hier ein und überzeugen sich gegenseitig durch die Texte die sie vorlesen, dass es hier am Kaminfeuer, das gute Buch vor uns aufgeschlagen, doch gemütlich sein kann...


 Miriam antwortete am 15.11.05 (23:37):

Heinrich Heine

Ein Fichtenbaum

Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh.
Ihn schläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.

Er träumt von einer Palme,
Die, fern im Morgenland,
Eisam und schweigend trauert
Auf brennender Felsenwand.


 Miriam antwortete am 15.11.05 (23:51):

Bertolt Brecht

Lied von der Bleibe

Uns hat eine Ros ergetzet
Im Garten mittenan
Die hat sehr schön geblühet
Haben sie im März gesetzet
Und nicht umsonst gemühet.
Wohl denen, die ein Garten han
Sie hat so schön geblühet.

Und wenn die Schneewind wehen
Und blasen durch die Tann
Es kann uns wenig g'schehen
Wir habens Dach gerichtet
Mit Moos und Stroh verdichtet.
Wohl denen, die ein Dach jetzt han
Wenn solche Schneewind wehen.

(Aus: Mutter Courage und ihre Kinder)


 kropka antwortete am 16.11.05 (07:12):

November

Es kommt eine Zeit,
da lassen die Bäume
ihre Blätter fallen.
Die Häuser rücken enger zusammen.
Aus dem Schornstein kommt Rauch.

Es kommt eine Zeit,
da werden die Tage klein
und die Nächte groß,
und jeder Abend hat
einen schönen Namen.

Einer heißt Hänsel und Gretel.
Einer heißt Schneewittchen.
Einer heißt Rumpelstilzchen.
Einer heißt Katherlieschen.
Einer heißt Hans im Glück.
Einer heißt Sterntaler.

Auf der Fensterbank
im Dunkeln,
daß ihn keiner sieht,
sitzt ein kleiner Stern
und hört zu.

Elisabeth Borchers


 schorsch antwortete am 16.11.05 (10:19):

Wintergrau


Schneestaub rieselt von den Bäumen,
die Sonne, hinter Grau versteckt,
versucht, die Wolken zu verräumen,
hat sich daran wohl wund geleckt.

Griesgrämig sitzt die alte Katze
des Nachbarn auf der Gartenbank,
versteckt die Krallen ihrer Tatze
und fühlt sich schon seit Tagen krank.

Kein Mensch will heute auf die Gasse,
nicht mal mein Hund will heut` hinaus,
er merkt, dass ich mich treiben lasse,
ist froh, muss er nicht aus dem Haus.

Derweil ich diese Zeilen schreibe
verweil ich einen Augenblick,
hoff``, dass die Sonn das Grau vertreibe
und sie mir neue Hoffnung schick.

Da, als könnt` der Dichter zaubern,
zerfliesst das eklig Wintergrau.
Ich fühl` mein Herz vor Wonne schaudern
und stürz` mich gleich ins Himmelblau!


Dezember 99 Schorsch, alias Georg von Signau


 schorsch antwortete am 16.11.05 (10:22):

Zeitgedanken

**************

Brrrrr, `s ist kalt; ein Bächlein fliesst;
Eiskruste rasch am Ufer spriesst;
im Bord ein Reiher, wie ein Pfahl;
erwartet heut` umsonst sein Mahl.
Schneeflocken rieseln, fein wie Staub;
verkriechen sich im dürren Laub.
Der Rabe hockt auf seinem Baum;
friert vor sich hin und rührt sich kaum.
Der Dichter schleicht sich still nach Haus`;
schreibt ein Gedicht; oh Graus, oh Graus!

**************


Dezember 1994 Schorsch, alias Georg von Signau


 Enigma antwortete am 16.11.05 (10:55):

Georg Heym(1887-1912)
Der Winter

Der blaue Schnee liegt auf dem ebenen Land,
Das Winter dehnt. Und die Wegweiser zeigen
Einander mit der ausgestreckten Hand
Der Horizonte violettes Schweigen.

Hier treffen sich auf ihrem Weg ins Leere
Vier Straßen an. Die niedren Bäume stehen
Wie Bettler kahl. Das Rot der Vogelbeere
Glänzt wie ihr Auge trübe. Die Chausseen

Verweilen kurz und sprechen aus den Ästen.
Dann ziehn sie weiter in die Einsamkeit
Gen Nord und Süden und nach Ost und Westen,
Wo bleicht der niedere Tag der Winterzeit.

Ein hoher Korb mit rissigem Geflecht
Blieb von der Ernte noch im Ackerfeld.
Weißbärtig, ein Soldat, der nach Gefecht
Und heißem Tag der Toten Wache hält.

Der Schnee wird bleicher, und der Tag vergeht.
Der Sonne Atem dampft am Firmament,
Davon das Eis, das in den Lachen steht
Hinab die Straße rot wie Feuer brennt

PS
Das Thema paßt gut, denn bei uns ist heute Schneeregen.
Aber trotzdem muss ich jetzt mal raus....:-))
Bis später!


 seniorin antwortete am 16.11.05 (13:23):

Danke, schorsch, für das Vergnügen, das Deine Verse bereiten :-)
Alles andere habe ich schon woanders gelesen :-(


 schorsch antwortete am 16.11.05 (15:01):

Ab und zu tuts gut zu hören zu bekommen, dass man nicht umsonst auf diesem Planeten weilte.....


 Miriam antwortete am 16.11.05 (17:49):

Matthias Claudius

Billet doux von Görgel an seinen Herrn,
den 10. Jan.

Es schneit noch immer, mein lieber Herr, als obs gar nicht wieder aufhören wolle.
Was doch für eine Menge Schnee in der Welt ist! hier soviel Schnee! und in der Pfalz soviel! und in Amerika! und in der Tanne! - ich pflege denn so meinen Gang nach der Tanne zu haben, weiß Er wohl. Der große Wald ist von Natur mein Lustrevier, und die Tanne liegt mir so bequem, grade am Tor, und führt eine schöne lange Lindenallee dahin; denn sind auch immer so viele arme Leute darin, alt und jung, die Holz sammeln, und auf dem Kopf zu Hause tragen; und das seh ich so mit an, und gehe meinen Gang hin. Seit der viele Schnee gefallen ist, fehlt mir aber meine Gesellschaft; die armen Leute können nicht zu, und ich kann denken, daß sie sowohl hier, als überall wo soviel Schnee liegt, bei der Kälte übel daran sind. Mein Herr hat gottlob einen warmen Rock und eine warme Stube, da merkt Er's nicht so, aber wenn man nichts in und um den Leib hat und denn kein Holz im Ofen ist, da friert's einen gewaltig.

Am Nordpol, hinter Frankfurt, soll Sommer und Winter hoch Schnee liegen, sagen die Gelehrten, und in den Hundstagen treiben da Eisschollen in der See, die so groß sind als die ganze Herrschaft Epstein, und tauen ewig nicht auf! und doch hat der liebe Gott allerlei Tiere da, und weiße Bären, die auf den Eisschollen herumgehen und guter Dinge sind, und große Walfische spielen in dem kalten Wasser und sind fröhlich. Ja, und auf der andern Seite unter der Linie, über Heidelberg hinaus, brennt die Sonne das ganze Jahr hindurch, daß man sich die Fußsohlen am Boden sengt. Und hier bei uns ist's bald Sommer und bald Winter. Nicht wahr, mein lieber Herr, das ist doch recht wunderbar! und der Mensch muß es sich heiß oder kalt um die Ohren wehen lassen, und kann nichts davon noch dazu tun, er sei Fürst oder Knecht, Bauer oder Edelmann. Wenn ich das so bedenke, so fällts mir immer ein, daß wir Menschen doch eigentlich nicht viel können, und daß wir nicht stolz und störrisch, sondern lieber hübsch bescheiden und demütig sein sollten. Sieht auch besser aus, und man kommt weiter damit.

Nun Gott befohlen, lieber Herr, und wenn Er 'n Stück Holz übrig hat, geb' Er's hin, und denk' Er, daß die armen Leute keine weiße Bären noch Walfische sind.

Sein Diener

Görgel.


 Literaturfreund antwortete am 16.11.05 (19:45):

Eigentlich wollte ich nur ein "November"-Gedicht hier eingeben, aber von diesem Autor, der sehr selten hier auch schon auftauchte, zuerst dieses..:

F.G.:
Oktober

Fahr, Bauer, im Oktober Mist.
Heims auch, was in der Erde ist
an Ackerfrüchten, gründlich ein.
Das Säckeschleppen nur laß sein.
Durch Lamentieren dich bewahr
vor Blinddarmreiz und Bruchgefahr.
Kartoffelfeuer raucht feldweit,.
Sankt Gallen es die Nüsse schneit.

Die Schober grau im Nebel knien.
Im Schmorwurstdampf die Lampen glühn;
Zum Kirchweihrummel, Bauer, trab.
Zuvor dir flott die Borsten schab.
Im Schankzelt randalier und rauf.
Trompet und Kinkerlitzchen kauf,
und wo man starke Damen stemmt,
da mach dich breiter als dein Hemd.

Die Pauke rumst im Zeltgebäu.
Die Polonäs löst sich im Heu.
Der Köter jault, das Weibsvolk quiekt.
Die Magd in ihren Wehen liegt.
Der Knecht stumm an den Nägeln kaut.
Sich Kaffee erst die Hebamm braut.
Die Bäuerin den Schmied berennt,
bis Venus sich vom Löwen trennt.

**

Das November-Gedicht folgt dann, noch vor Dezember..!


 Literaturfreund antwortete am 16.11.05 (19:56):

Also jetzt dieser Monat:

F. G.:
N o v e m b e r

Schwelt der November rauhreifgrau,
stich, Bauer, ab die Wurzelsau.
Den Kessel heiz, die Wannen richt.
Mit Korn den Metzger bläue nicht,
damit er in der Trunkenheit
den Finger nicht ins Hackfleisch schneid't.
Du trink, und schling das Mett nicht schier.
Martini dunkelt's schon nach vier.

In Stroh hüll ein das Pumpenrohr.
Die Ohrenklappen kram hervor.
Klatsch matte Fliegen an die Wand.
Die Steuerkladde nimm zur Hand.
Dein Soll und Haben brav verwirr.
In den Rubriken dich nicht irr!
Das Rechenbuch, hernach verbrenn's.
Die Bäurin nudele die Gäns.

Die Dreschmaschin' im Dorfe summt.
Am Haken hängt das Pferdekumt.
Der Kaffberg auf dem Anger schwillt.
Der Wrasen aus der Schlachtküch quillt.
Der Gimpel revidiert die Schlehn.
Oft schneit es schon vor Chrysogen.
Jetzt, Frau, den Bauer stramm bekoch.
Bedenk, der Erbe fehlt euch noch.

*

Das sind alles Vorgänge und Übungen und jahreszeitliche Notwendigkeiten, die ich noch vom Bauernhof aus meiner Kindheit her kenne.
*
Nur: "Wurzelsau" finde ich zwar im Internet als Schimpfwort; aber in dieser Bedeutung hier weiß ich nicht, was "Wurzel" bei diesem Schwein, das geschlachtet werden soll, bedeutet.
Weiß das jemand?


 Miriam antwortete am 17.11.05 (11:46):

Literaturfreund,

könnte es nicht sein, dass hier einfach dieses Schimpfwort - augenzwinkernd? - verwendet wird für ein Schwein, das man schlachten wird?

Habe ein schönes Foto zu ner Wurzelsau gefunden, aber traue mich nicht, es als Bild hier einzusetzen, man wirft mir ja immerwieder vor, dass ich etwas leichtsinnig mit dem Copyright umgehe.

Also die Adresse nur als Hinweis, für die, die eine Wurzelsau mal sehen möchten:

https://www.hachener.de/bilder/A95.jpg


 Miriam antwortete am 17.11.05 (11:48):

Matthias Claudius

Ein Lied hinterm Ofen zu singen

Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an
Und scheut nicht süß noch sauer.

War je ein Mann gesund, ist er's;
Er krankt und kränkelt nimmer,
Weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs
Und schläft im kalten Zimmer.

Er zieht sein Hemd im Freien an
Und läßt's vorher nicht wärmen
Und spottet über Fluß im Zahn
Und Kolik in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang
Weiß er sich nichts zu machen,
Haßt warmen Drang und warmen Klang
Und alle warmen Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
Wenn's Holz im Ofen knittert,
Und um den Ofen Knecht und Herr
Die Hände reibt und zittert;

Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
Und Teich' und Seen krachen;
Das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
Denn will er sich totlachen. -

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
Beim Nordpol an dem Strande;
Doch hat er auch ein Sommerhaus
Im lieben Schweizerlande.

Da ist er denn bald dort, bald hier,
Gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
Und sehn ihn an und frieren.


 Gudrun_D antwortete am 17.11.05 (14:03):

Walther von der Vogelweide (um 1170-1230)

Winter

Uns hat der Winter sehr geschadet überall
Die Heide und der Wald sind stumm un fahl.
Wo sonsst ertönte vieler süßer Stimmen Hall.
Sah ich nur erst die Mädchen auf der Straße mit dem Ball,
So käm zu uns zurück der Vogel Schall.
Wie gern verschließe ich des langen Winters Zeit!
Bleib ich indessen wach, so wir mir leid,
dass seine Herrschaft ist so groß und weit.
Doch Gott weiß, er muss weichen, wenn`s ernt mait,
pflück ich Blumen, wo`s jetzt friert und schneit.


 schorsch antwortete am 17.11.05 (18:59):

Ist der Boden kalt und trocken;
fliegen schon die ersten Flocken;
sieht man hundert Meilen weit,
hält der Winter sich bereit.

Doch wenn der Boden warm und nass;
der Nebel macht die Sonne blass,
dann kannst du wohl im Blumengarten
noch lange auf den Winter warten....

Schorsch


 Miriam antwortete am 17.11.05 (20:02):

Ich freue mich sehr, dass du, schorsch, hier auch aus deinen Werken etwas eingesetzt hast.
Ich finde dein Gedicht sehr schön.

Hast du noch mehr winterliches?

Und auch Gudrun möchte ich herzlich hier begrüßen


 schorsch antwortete am 17.11.05 (22:44):

Das obige habe ich heute gebastelt. Wahrscheinlich sind in meinem Fundus von einigen hundert Gedichten, die im Laufe der Jahre entstanden sind, noch einige über den Winter. Aber das Suchen geht mir zuwider......


 marie2 antwortete am 17.11.05 (23:54):

Wintriger Ausblick

Der Winter, den du mit Reimen empfangen,
ist deshalb doch nicht schneller vergangen.
Nachdem ihn nicht einmal dieses vertrieben,
ist nur das bedrückte Schweigen geblieben.

Ihn stört nicht, ob man ihn preist oder scheltet.
Und wenn es dich etwa nach Wärmerem lustet,
So heißt es nur: "Heute bin ich erkältet."
Und zum Beweise wird dir was gehustet.

So gleichen die Nächte dem eisgrauen Tage.
Du kennst die Antwort, erspar' dir die Frage;
Die Zukunft bringt Sonne und macht dich glücklich,
die Gegenwart freilich bleibt unerquicklich.


Ernst Loeb


 mart antwortete am 18.11.05 (00:15):

Endlos lange Tage des Sommers vorüber sind,
Kindergeschrei und Kinderlachen nicht mehr durchs offene Fenster dringen und eigene Erinnerungen an Völkerball und Tempelhüpfen der zeitlosen Zeit der eigenen Kindheit erwecken.
Langes düsteres Zwielicht morgens vor dem ersten Sonnenstrahl, der über die Bergkette strahlendst erleuchtet die eine Seite des Tals während die andere noch in der Kälte der Nacht liegend auf das Steigen der Sonne wartet.
Zeit zwischen Nacht und Tag, Widerhall im Herzen, Zeit zwischen Zeiten,
Das gleißende Licht verjagt düstere Gedanken an das Ende des Jahrs und das Ende des Lebens und Hoffnung ergießt sich aus Sonne und strahlendem Schnee.


 schorsch antwortete am 18.11.05 (09:16):

Noch eins gefunden:

Zwerge im Schnee

Meine zwei Zwerglein
hocken im eisigen Schnee.
Das eine sagt nichts,
das andere sagt: "Hee!"
Dass das eine nichts sagt,
das hat seinen Grund,
denn dem armen Zwerglein
gefror soeben der Mund.
Das zweite sagt: "Hee!"
und schon ist`s passiert,
weil dem zweiten soeben
der Mund auch gefriert.
Nun hocken sie im Schnee,
gefroren und stumm.
Ich gucke nach draussen
und denk`: Sind die dumm,
die hockten doch gscheiter,
statt dumm im Schnee
bei mir in der Stube
bei Kuchen und Kaffee!

Februar 96 Schorsch

Alias Georg von Signau


 Enigma antwortete am 18.11.05 (09:36):

Dauthendey, Max
Alleingelassen bei Erinnerungen

Jetzt sitzt der weiße Schlaf vor allen Wintertüren,
Die Fenster sind gleich blassen Eierschalen,
Dahinter leben Straßen voll Gespenster
Und Stimmen, die uns ferne Menschen malen.

Man kann die Welt nicht sehen und nur spüren.
Wie Blinde ahnt man dunkel das Geschehen,
Alleingelassen bei Erinnerungen,
Die an den Türen wie die Bettler stehen,

Die bei den Ofenflammen warm sich rühren,
Erregt mit nimmersatten Hungerzungen.
Sie können uns an magern Händen führen
Und haben in der Asche noch nicht ausgesungen.


 Miriam antwortete am 18.11.05 (10:23):

Nun zwei kurze Gedichte, das erste zur Winterzeit geschrieben, das zweite ist zwar ein Exkurs durch die Jahreszeiten, auch wenn es eher vom Herbst und Winter handelt:

Winterzeit

Plötzlich gewonnene Zeit.
Wir stellen die Uhren um,
Und lachen:
Eine Stunde geschenkt
Als wär's nur für uns,
Zum wiederholen
- Zwischen zwei und drei -
Der Worte die wir schon sagten,
Zuvor, zwischen zwei und drei...


Jahreszeiten

Den späten Herbst feiern,
Als wär's der frühe Frühling -
Der Schleier, der noch übrig,
Schmilzt
In der Glut der Sommersonne,
Die plötzlich
Für uns im Winter scheint...


 Literaturfreund antwortete am 19.11.05 (23:45):

Ich hatte schon zwei Grasshoff-Gedichte eingestellt, nur abgekürzt als F.G.; aber von dem interessanten Kerl, der auch mal Kohlenhändler war (um es warm zuhaben), lese ich immer wieder gern, auch wenn es jetzt noch nicht "Dezember" ist. Aber die Handschuhe hatte ich auch schon an…

*

@ Miriam, das Bild zur „Wurzelsau“ hatte ich auch gefunden; aber den Begriff selber gibt es gar nicht mal im „Grimmschen Wörterbuch“, d.h. er ist in literarischen deutschen Texten nie vorgekommen, bei keinem Autor seit dem Barock bis in die 50er Jahre.

Fritz Grasshoff:
Dezember

Gönn, Bauer, im Dezember du
dem Vieh und dem Gesinde Ruh.
Die Nase an die Scheibe drück,
ein Loch dir tau, nach draußen blick.
Was jetzt nicht Schnee noch Kälte scheut,
sind Schnorrer oder Handelsleut.
Nach Barbara und Nikolaus
treibt's keinen Hund zur Tor hinaus.

Die Trauf gleißt in der Wintersonn.
Bemützt hat sich die Regentonn.
Der Dungberg als ein Zuckerweck
prunkt wie auf frischer Leinendeck.
Zieh, Bauer, dir die Fäustling an,
den Christbaum schnell hol aus dem Tann.
Nicht lange wähl und überleg,
und geh dem Förster aus dem Weg.

Die Nuß hüllt sich in Flittergold.
Den Modelteig die Bäurin rollt.
Zum Fest an alle, Bauer, dank.
Dem Viehzeug doppelt Futter schenk,
dem Knechte Strumpf und Köperhos,
der Magd ein Achtel-Klasselos,
der Bäurin Muff und Hemdbesatz,
dem Säugling einen Sabberlatz.
*
„Die große Halunkenpostille“ ist ausgewählt aus >Halunkenpostille< 1955, >Das Gemeindebrett< 1954, >Im Flug zerfallen die Wege der Vögel< 1956, >Und ab mit ihr nach Tintageh 1958 - sämtlich erschienen im Carl Lange-Verlag Duisburg.- Zitiert nach dem alten dtv-Büchlein 150 S. 164.
*
URL.: Bänkelsänger Grasshoff

Internet-Tipp: https://www.baenkelsaenger.ch/images/Grasshoff.gif


 Marina antwortete am 20.11.05 (00:21):

Ihr seid alle eurer Zeit voraus, es ist doch noch gar nicht Winter. :-) Aber ich schicke euch trotzdem was für die Kälte oder besser gegen die Kälte. :-)

Wilhelm Busch Nummer
Eine kalte Geschichte

Der Wind, der weht, die Nacht ist kühl.
Nach Hause wandelt Meister Zwiel.
Verständig, wie das seine Art,
Hat er den Schlüssel aufbewahrt.
Das Schlüsselloch wird leicht vermißt,
Wenn man es sucht, wo es nicht ist.
Allmählich schneit es auch ein bissel.
Der kalten Hand entfällt der Schlüssel.
Beschwerlich ist die Bückerei.
Es lüftet sich der Hut dabei.
Der Hut ist naß und äußerst kalt.
Wenn das so fortgeht, friert es bald.
Noch einmal bückt der Meister sich,
Doch nicht geschickt, erweist er sich.
Das Wasser in dem Fasse hier
Hat etwa Null Grad Reaumur.
Es bilden sich in diesem Falle
Die sogenannten Eiskristalle.
Der Wächter singt: Bewahrt das Licht!
Der kalte Meister hört es nicht.
Er sitzt gefühllos, starr und stumm,
Der Schnee fällt drauf und drum herum.
Der Morgen kommt so früh und grau.
Frau Pieter kommt, die Millichfrau.
Auch kommt sogleich mit ihrem Topf
Frau Zwiel heraus und neigt den Kopf.
"Schau schau!" ruft sie in Schmerz versunken.
"Mein guter Zwiel hat ausgetrunken!
Von nun an, liebe Madam Pieter,
Bitt ich nur um ein Viertel Liter!"


 Enigma antwortete am 20.11.05 (08:56):

Capek, Karel (1890-1928)
Wintergedanken eines Gärtners

Alljährlich pflegen wir zu sagen,
daß die Natur ihren Winterschlaf antrete...
Du lieber Gott, und das soll Schlaf sein? ...
Eher möchte man sagen, die Natur habe aufgehört,
nach oben zu wachsen, weil sie keine Zeit dafür hat.
Sie krempelt sich nämlich die Ärmel auf und wächst nach unten...
Hier wachsen neue Stengel; von hier bis dort,
in diesen herbstlichen Grenzen drängt das märzliche Leben hervor,
hier unter der Erde wird das grosse Frühlingsprogramm entworfen.

Jetzt, wo der Garten im Schnee versinkt,
erinnert sich der Gärtner plötzlich, das er eines vergessen hatte:
den Garten anzusehen.
Denn dazu ... hat er ja niemals Zeit gehabt.
Wollte er im Sommer den blühenden Enzian betrachten,
mußte er unterwegs stehenbleiben,
um den Rasen von Unkraut zu reinigen.
Wollte er sich an der Schönheit des Rittersporn erfreuen,
mußte er ihm Stöcke geben...
Standen die Flammenblumen in Blüte,
jätete er die Quecken aus...
Was wollt ihr, immer gab es etwas zu tun.
Kann man denn die Hände in die Taschen stecken
und im Garten herumgaffen?


 schorsch antwortete am 20.11.05 (10:32):

Sonntag ist`s, ein Wintermorgen;
Frau machte mir früh schon Sorgen;
weg müssen alle Balkonpflanzen,
noch bevor die Flocken tanzen!
Ich habs getan, wie alle Toren
und dabei die Finger fast erfroren ):-(


 schorsch antwortete am 21.11.05 (14:35):

Vorwinter
*********

Leise fallen ein paar Flocken;
Herbstesbunt ist bald vorbei;
Meister Winter möcht frohlocken,
dass er nun Herr der Lage sei.

Noch ein paar müde Blätter fallen,
vom kühlen Winde weit gestreut;
im Wald der Holzer Beile hallen;
kein Vogel, der sich heute freut.

Ich sitz im Zimmer, mag kaum bleiben;
es zieht mich trotz dem Grau hinaus;
der Nebel nässt die Fensterscheiben;
der Winter naht – oh Graus, oh Graus!


21. November 2005, Schorsch
Alias Georg von Signau


 marie2 antwortete am 22.11.05 (23:03):

Wenn Blätter von den Bäumen stürzen,
die Tage täglich sich verkürzen,
wenn Amsel, Drossel, Fink und Meisen
die Koffer packen und verreisen,
wenn all die Maden, Motten, Mücken,
die wir versäumten zu zerdrücken,
von selber sterben — so glaubt mir:
es steht der Winter vor der Tür!
Ich laß ihn stehn!
Ich spiel ihm einen Possen!
Ich hab die Tür verriegelt
und gut abgeschlossen!
Er kann nicht 'rein!
Ich hab ihn angeschmiert!
Nun steht der Winter vor der Tür-------
und friert!

(Heinz Erhardt)


 kropka antwortete am 23.11.05 (11:06):

Märchen

Auf der Suche
nach etwas Schönem wie Schnee
ging ich leer aus
bis es des Wegs zu schneien begann

Elisabeth Borchers


 Miriam antwortete am 23.11.05 (12:21):

Leider habe ich augenblicklich wenig Zeit zum schreiben.

Wer wenig Zeit hat, sollte Haikus schreiben - dachte ich mir. Doch wenn man eigene Haikus schreibt, das erfordert viel Zeit.
Also einige Haikus zum Winter, doch nicht von mir.

Der Gott ist fern.
Die welken Blätter häufen sich
ums verlassene Haus.

Basho (1644-1694)


Das Riedgras sinkt.
Das Auge sieht
die Kälte wachsen.

Issa (1763-1827)


Winterregen.
Eine Maus läuft über die Saiten
der Mandoline.

Buson (1715-1783)


Nacht. Ich beiße den
gefrorenen Pinsel
mit meinem letzten Zahn.

Buson


 kropka antwortete am 23.11.05 (20:51):

Ein Schneekristall lag
mir auf der Hand, ewig schön,
eine Sekunde.

Josef Guggenmos
(1922 - 2003)


 eleisa antwortete am 23.11.05 (21:56):

Die letzten Blätter fallen
Sie leuchten immer noch golden
Warten auf Väterchen Frost
Wissend ,das aus ihnen neues entsteht.


 Marina antwortete am 01.12.05 (16:31):

Heinz Bornemann
Weihnachtsgebäck

Im Küchenschrank stehen eng zusammen
das Mehl, der Zucker und der Zimt
die zufällig zusammen kamen
und warten, was man unternimmt.

Ich bin so wichtig, sagt das Mehl
das könnt ihr mir gern glauben
und mach daraus auch gar kein Hehl
der Zucker hörts mit Schnauben.

Wenn's mich nicht gäb du Mehl bist dumm
würd keiner Plätzchen essen
und wenn du fragst, wieso, warum
man ist auf süß versessen.

Doch weihnachtlich meint da das Zimt
würds keinem richtig schmecken
wenn man ein Stück von mir nicht nimmt
könnt ihrs Gebäck verstecken.

Im Nebenfach feixt frech die Butter
was regt ihr euch so furchtbar auf
wie staubig wär das Weihnachtsfutter
käm da nicht dicke Butter drauf.

Das Backpulver meint schliesslich noch
ihr habt ja mich vergessen
da geht ihr alle gar nicht hoch
und niemand kann euch essen.

So wird nun fröhlich angemengt
das Mehl das Salz der Quark
und die Moral von der Geschicht
ja nur gemeinsam sind wir stark.


 Marina antwortete am 05.12.05 (17:27):

Ein Lied hinterm Ofen zu singen

Der Winter ist ein rechter Mann,
kernfest und auf die Dauer;
sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an
und scheut nicht süß noch sauer.

War je ein Mann gesund, ist er's;
er krankt und kränkelt nimmer,
weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs
und schläft im kalten Zimmer.

Er zieht sein Hemd im Freien an
und läßt's vorher nicht wärmen
und spottet über Fluß im Zahn
und Kolik in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang
weiß er sich nichts zu machen,
haßt warmen Drang und warmen Klang
und alle warmen Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
wenn's Holz im Ofen knittert,
und um den Ofen Knecht und Herr
die Hände reibt und zittert;

wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
und Teich' und Seen krachen;
das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
dann will er sich tot lachen. -

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
beim Nordpol an dem Strande;
doch hat er auch ein Sommerhaus
im lieben Schweizerlande.

So ist' er denn bald dort, bald hier,
gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
und sehn ihn an und frieren.

Matthias Claudius


 Marina antwortete am 08.12.05 (18:26):

Morgensonne im Winter

Auf den eisbedeckten Scheiben
fängt im Morgensonnenlichte
Blum und Scholle an zu treiben...

Löst in diamantnen Tränen
ihren Frost und ihre Dichte,
rinnt herab in Perlensträhnen...

Herz, o Herz, nach langem Wähnen
laß auch deines Glücks Geschichte
diamantne Tränen schreiben!


Christian Morgenstern