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THEMA:   Leseprobe aus meinem Buch "Herbstlaub"

 1 Antwort(en).

schorsch begann die Diskussion am 21.08.05 (10:21) :

Anmerkung: Ich sende meine Bücher nur aussnahmsweise aus der Schweiz ins Ausland.

Dialog 1

Wie gewohnt, besuchte Schreiber an diesem Samstagnachmittag seine Mutter im Altersheim. Er wusste, bevor er zum automatisch öffnenden Eingang kam, musste er das Spalier der schweigenden Alten auf den Sitzbänken und Rollstühlen links und rechts des Einganges passieren. Und wie jedesmal würde er einen freundlichen Gruss an sie richten, der aber von niemandem erwidert würde. Aber dass sie davon Kenntnis nahmen, das sah er ihren lauernden Augen an. In diesen alten Augen sah er aber auch die Hoffnungslosigkeit und ein bisschen Neid, weil heute die alte Frau Schreiber schon wieder von einem ihrer sieben Kinder besucht wurde, während sie hier draussen vergeblich auf ihre Angehörigen warteten, die gewiss auch heute wieder etwas Wichtigeres zu tun hatten, als ihre greise Mutter oder ihren von der Alzheimer-Krankheit befallenen Vater zu besuchen.
Als sich die automatische Schiebetüre wieder hinter Schreiber schloss, war ihm, heute sei doch auf der linken Seite des Altenspaliers noch ein Rollstuhl mehr gestanden. Er schaute sich nochmals um und tätsächlich, da sass doch ein wenig abseits der Reihe ein ihm unbekanntes Männchen in einem Rollstuhl, vornübergebeugt, den Blick starr gen Boden gerichtet. Irgendetwas faszinierte Schreiber an diesem Mann. War es der besonders verbitterte Ausdruck im Gesicht? War es eine Spannung, die vom ganzen Körper dieses Mannes auszugehen schien? War es eine unsichtbare, unhörbare Botschaft, die auf der selben Wellenlänge zwischen ihnen beiden funkte?
Schreiber schüttelte den Kopf. Was er sich nur wieder einbildete. Bevor er aber durch die zweite automatische Türe trat, die mit der ersten zusammen eine Schleuse gegen den Wind bildete, schaute er sich nochmals um. Da gewahrte er, dass das Männchen draussen seinen Kopf leicht gehoben hatte und ihm mit zusammengekniffenen Augen nachblickte. Einen kurzen Moment lang trafen sie sich mit den Augen von Schreiber, dann senkten sie sich wieder und blickten genau so starr gen Boden wie zuvor.
Dieser Blick des Alten liess Schreiber keine Ruhe. Als er im Vorraum die Verwalterin traf, die er von seinen Besuchen her gut kannte und mit der er hin und wieder ein paar belanglose Worte wechselte, fragte er sie halb im Scherz: "So, haben Sie frisches Blut bekommen da draussen?" Dabei deutete er hinter sich durch die beiden Schiebetüren. "Ach so, Sie meinen wohl den Schriftsteller. Das ist der Herr Federer, Charles Federer. Er ist erst seit einer Woche hier und scheint sich noch nicht so recht wohl zu fühlen bei uns. Jedenfalls hat er noch mit keiner Menschenseele ein Wort mehr gewechselt, als unbedingt nötig." Mehr schien sie ihm nicht sagen zu wollen, denn sie hatte es plötzlich sehr eilig und entschuldigte sich.
Schreiber bedankte sich und setzte seinen Gang zur Mutter fort. Aber er konnte sich heute nicht wie sonst ihrem Geplauder widmen. Immer sah er diese Augen vor sich, die ihn draussen fixiert hatten. "Wie ein gehetztes Reh," sagte er zu sich selbst. "Oder besser, wie ein Puma, der in Freiheit gefangen wurde und nun hinter Gittern ist."


 schorsch antwortete am 21.08.05 (10:25):

Forsetzung:

"Was meinst du?", fragte Mutter Schreiber.
"Oh nichts", antwortete der Sohn leicht verwirrt. "Es ist mir nur gerade etwas durch den Kopf gegangen. Hat nichts zu bedeuten."
"Ja ja," erwiderte Mutter Schreiber lächelnd. "Du bist schon immer ein Träumer gewesen. Hat es etwas mit Ilse zu tun? Warum ist sie heute nicht mitgekommen?"
Ilse war die Frau von Othmar Schreiber. Mutter Schreiber verstand sich mit der Frau ihres Sohnes ausgezeichnet. Dass sie heute nicht wie gewohnt dabei war, irritierte sie anscheinend. Aber Othmar beruhigte sie: "Ach du weisst ja, die Ilse ist eine geborene Bill und die Bills haben doch heute ihr alljährliches Bill-Fest. Sie musste bereits am Morgen in die Wirtschaft, wo das Fest stattfindet, um beim Dekorieren der Tische zu helfen. Das ist auch der Grund, warum ich heute nicht so lange bleiben kann. Um fünf beginnen die Festlichkeiten. Da sollte ich natürlich dabei sein."
Mutter Schreiber schien mit dieser Argumentation zufrieden zu sein. Jedenfalls machte sie ihren Sohn um halb fünf selber darauf aufmerksam, dass es nun wohl Zeit sei zu gehen, wenn er sich nicht verspäten wolle. Othmar verabschiedete sich und versprach, am kommenden Samstag wieder zu kommen, „natürlich mit Frau“, wie er noch lachend sagte.
Als er bei den beiden Schiebetüren am Ausgang des Heimes angelangt war, blieb er einen Moment stehen, um zu sehen, ob Federer sich noch draussen aufhalte. Aber das ganze Spalier der Alten hatte sich wohl für das Nachtessen zurückgezogen. Schreiber bedauerte, dass er Federer nicht mehr begegnen würde. Als er aber zu seinem Wagen kam, sah er ihn im Rollstuhl mitten auf der Strasse. Zuerst zögerte er, gab sich aber dann einen Ruck. "Jetzt oder nie", dachte er und trat zum Rollstuhlfahrer. "Guten Abend, Herr Federer", sagte er ziemlich laut, da er dachte, der Schriftsteller werde wohl auch ein wenig schwerhörig sein, wie die meisten der Insassen dieses Heimes....