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THEMA:   Leseprobe aus "Lobgesang auf eine Hure" (Hernan Rivera Letelier)

 7 Antwort(en).

angelottchen begann die Diskussion am 18.08.05 (19:13) :

Wie versprochen, habe ich einige Zeilen des ersten Kapitels des zuvor genannten Buches abgeschrieben und stelle es hier als Leseprobe vor. Es wäre schön, wenn ich einigen von Euch Lust auf dieses Buch und diesen wunderbarer Erzähler praller und sensibler Alltagsgeschichten machen kann :-)
Der Autor ist Chilele, wuchs in den 50er Jahren in der von ihm beschriebenen Landschaft der Salpeterwüste auf und Luis Sepulveda schrieb über ihn: "Er ist eine der wichtigsten Neuentdeckungen der zeitgenössischen lateinamerikanischen Literatur"

Aus dem 1. Kapitel:
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Der Dichter Mesana war noch nicht lange von der Mine zurück, als Flor Grande, eines der wenigen Mädchen in den Junggesellenbehausungen, den sogenannten Schiffen, hemmungslos weinend und halbnackt in seine Kammer stürzte. Nach der für ihn charakteristischen Cowboy-Wäsche - er wusch sich nur den Oberkörper - hatte der Dichter Mesana seine übliche Mischung aus geröstetem Mehl, Milchpulver und heissem Wasser heruntergeschlungen. Eine zähe, dampfende Pampe, die er sich jeden Morgen mit dem geistesabwesenden Gebaren eines einzelgängerischen Vogels bedächtig in einer dieser grossen, henkellosen Geschenktassen zubereitete, auf der die goldene Aufschrift "Herzlichen Glückwunsch" völlig verblasst war. Himmel, Arsch und Zwirn - das war vielleicht ein fieses Zeug, reinster Stahlbeton, mit dem er das armselige Wurstbrot und den dürftigen Teebeutel, die sie ihm in der Kantine als grossartiges Frühstück vorsetzten, ein bisschen reichhaltiger gestaltete. Beinahe wäre sein unangemeldeter Besuch über seine imposanten Arbeitsschuhe mit Stahlkappe, die zum Auslüften an der halboffenen Tür standen, und über das verdreckte Paar Fussballsocken, mit denen er während der Nachtdienste seine Füsse vor der fürchterlichen Kälte der Pampa schützte, gestolpert und dabei auf den verstaubten, weissen Fussboden gefallen. Mit ihrer zerwühlten, schwarzen Haarmähne, ihren wackelnden Brüsten und ihrem wilden, buschigen Schamhaar, das schwarz und unverschämt unter der lilafarbenen Durchsichtigkeit ihren Nachthemdes hindurchschimmerte, warf sich die üppige Prostituierte heulend in die Arme des Dichters Mesana.
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 angelottchen antwortete am 18.08.05 (19:14):

Im Unterhemd, das seine schwächliche Hühnerbrust und die schmächtigen Bizepse seiner langen Arme entblösste, war der Dichter gerade dabei, sein einziges weisses Hemd und seine subversiv rote Krawatte zu bügeln. In dieser Kleidung hatte er von Zeit zu Zeit seinen Auftritt als Redner - er nannte das ironisch sein "patriotisches Zwischenspiel" - auf den bürgerlich-militärischen Pflichtparaden zum Fahnenappell. Feierlichkeiten, die seit einiger Zeit regelmässig jeden Sonntag auf der staubigen Plaza der Salpeterstadt stattfanden.

[...]

Die wenigsten wussten, dass der Dichter, abgesehen von seiner Kampfbereitschaft signalisierenden roten Krawatte - die bereits mehr als einmal von der akribisch auf Einheitlichkeit achtenden Leitung beanstandet worden war - in seine patriotische Rede immer wieder einige kampflustige Strophen einschob, die er aus der Anthologie Quimantú zusammengesucht hatte. Ein romantischer Akt des Aufstands, den er vor allem aus persönlicher Genugtuung vollführte. [...]

Während er sein verschlissendes Hemd bügelte beschäftigte sich der dichter gerade damit, wie und an welcher Stelle der Sonntagsrede er einige haarige Verse des Salvodorianers Roque Dalton einfliessen lassen könnte, die besagten, dass die Toten von Tag zu Tag unbeugsamer würden, dass sie nicht mehr die selben wären wie früher, dass sie ironisch würden, Fragen stellten und anscheinend begriffen, daß sie sich zunehmend in der Mehrzahl befanden, als Flor Grande, die von Tür zu Tür rennend wie verrückt die Nachricht über den unfassbaren Tod der Reina Isabel verkündete, in sein Zimmer stürzte, stolperte und sich heulend in seine Arme warf.

Der arme, verschreckte Dichter konnte nur die Hand wegstrecken, in der er das heisse Bügeleisen hielt, während die andere wie ein verschreckter Reiher in der Luft herumfuchtelte, ohne zu wissen, wo sie sich niederlassen sollte.

Da die Prostituierte beunruhigenderweise fast nackt war, brachte der arme Dichter nur ein " Ist ja gut, ist ja gut" heraus und streichelte sie ungelenk wie ein verwirrter Vater. Selbst von der unglaublichen Nachricht über den Tod seiner Freundin Reina Isabel bestürzt, fand er keine Worte des Trostes für die Prostituierte, die ausser sich und heiser weinend, fest an die Mulde seiner fast kahlen Brust pressend, nicht aufhörte, ihr skandalöses Wehklagen einer wütenden Witwe auszustossen und untröstlich zu wiederholen: "Die Reinita hat uns verlassen, du verdammter Dichter! Chabelita ist gestorben!!"

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 schorsch antwortete am 19.08.05 (09:09):

Wahrlich starker Text.....möchte mir gerne eine Scheibe dieses Könners abschneiden.....


 nasti antwortete am 20.08.05 (10:40):

Hi angelottchen !

Genial geschrieben, erinnert mich an Bernard Malamud, mein sehr beliebte Literator.
Es waren Zeiten, wenn ich noch nicht so eilig war, wie jetzt, und hatte viel Zeit zum lesen.
Jetzt ist die ZEIT immer kürzer, möchte ich meine Pläne fertigen noch vor der Tod, warum, weiß ich nicht.
Wenn ich mein Kopf stoppe mit Kenntnisse voll, nehme ich in Jenseits ein guten Kopf. Es wird nicht eingefroren, dazu ist kein Geld da, damit ich noch die Gute Kenntnisse vielleicht
Nach 20 tausende Jahre gebrauchen konnte.
Wenn ich die Leinwände beschmutze mit gerade nicht Umweltfreundliche Farben, das wird eine Arbeit für meine Kinder, das ganze vernichten!!!
Schon heute Nacht träumte ich, dass ich in Krieg eine Gefangene war, und musste ich Zwangs arbeiten.
Werde ich jetzt ausdrucken diesen super Text, damit ich an bessere Gedanken komme. :O))))


Nasti


 Enigma antwortete am 20.08.05 (11:10):

Guten Morgen und:
@angelottchen

Danke für Deine Leseprobe.
Anfänglich habe ich mich (was aber bei mir nichts Neues ist, wenn ich einen ganz neuen und "fremden" Autoren lese) mit dem Stil etwas anfreunden müssen.
Aber vor allem habe ich mich nach seiner Aussage gefragt. Denn vermutlich wollte er ja nicht nur skurille Geschichten erzählen (auch das, aber nicht nur??)
Du siehst also, dass Du mich zumindest zum Nachdenken gebracht hast und auch etwas zum "Nachforschen". Ich wollte mir die Situation in der Salpeterwüste ein bisschen vorstellen können. Also habe ich mir im Netz eine Seite gesucht, durch die ich etwas über die Geschichte der Salpetergewinnung erfahren konnte. Das war sehr interessant und kann gewisse Einblicke in die damalige Situation vermitteln.
Und auch etwas Lyrik kann man da finden.
Inzwischen vermute ich, dass Letelier uns (neben seiner Lust am Fabulieren) auch möglicherweise mitteilen wollte, wie wichtig die "Huren" für die Arbeiter in dieser Wüstenlandschaft waren und dass sie (die Arbeiter)ohne deren "Hilfe" kaum überlebt hätten in dieser Einöde.
Letztlich also auch eine Geschichte über die soziale Wirklichkeit in dieser Region.
Es würde mich mal interessieren, wie andere Foristen das sehen.
Und auch die folgende Mitteilung fand ich im "Netz"

..."Chile. Der Geist aus der Wüste
Wer offenen Auges durch die Atacama-Wüste im Norden Chiles fährt, findet immer wieder Relikte einer ehemals blühenden Industrie. Die Salpeterförderung bescherte Chile zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einen Wirtschaftsboom ohnegleichen. Unter der Militärdiktatur erwachte die Salpeterstadt Chacabuco noch einmal zu traurigem Leben. Sie wurde missbraucht als Konzentrationslager für linke Studenten, Anwälte, Mediziner etc.
Von José Pablo Jofré"

Danke für die Anregung.

Und jetzt noch der Link (she. URL!):

Internet-Tipp: https://www.albumdesierto.cl/aleman/1index.htm


 wanda antwortete am 20.08.05 (17:08):

auch von mir dank für diese Anregung - wird erst mal alles notiert, damit ich immer weiß, was gut ist.


 angelottchen antwortete am 20.08.05 (17:59):

ich werde morgen oder heute Nacht noch etwas zu dem Buch und den Autor schreiben - der sich selbst gerne als "Literaturarbeiter" und ungerne als Künstler bezeichnet, selbstverständlich ein sehr politischer Mensch ist und der - wen wundert es - in seiner Heimat Chile viel weniger beliebt ist als zB in Frankreich oder Spanien. Wer selbst sagt dazu "como dijo la papa, nadie es croqueta en su tierra". (wie sagte die Kartoffel: niemand ist Krokette im eigenen Acker ..) oder auch: Keiner ist Prophet im eigenen Land ..


übrigens.. mit dem schmalbrüstigen Dichter, den er da beschreibt, meint er sich selbst - er hat selbst lange Jahre in den Saltratminen gearbeitet, fing dort an zu schreiben und es hat ihn nie in die weite welt gezogen..


 nasti antwortete am 21.08.05 (15:19):

Hi Angelottchen!

Gestern beim Google stöberte ich in historischen Gemälden, wo ich wieder entdeckte die Agnes Sorel. Ein Gemälde mit entblößter Brust, diesmal nicht wie eine heilige gemalt.
Was ich ganz verblüffend finde, ist eine lange Liste der Nachkömmlinge dort, also eine Genealogie. Es ist sehr lang, kann ich hier nicht reinsetzen.
Eins steht fest. Die Lady Di ist eine Ur-ur Enkelin der Agnes.

Agnes Sorel
1409-1450
|
|
Marie/Marguerite batarde de France
Dame de Royan et de Mornac
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|
Lady Diana Spencer
1961-1997
|
|
Prince William of Wales
Prince of Great Britain and Northern Ireland
1982-

Inzwischen befinden sich noch 5 Seiten
, sehr interessant. Schade, das ich auch so etwas nicht habe!! :O))))
Aber in Jahre 1998 habe ich gemalt ein sehr grosses Bild, "Die verrückte Genetik". Hatte ich ein Nachhol Bedarf.

LG
Nasti