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THEMA:   Von Zauberern, Hexen, Elfen, Nixen und Riesen

 90 Antwort(en).

Enigma begann die Diskussion am 11.06.05 (07:35) :

Ich fange mal an mit einem Zauberer, den wahrscheinlich viele schon kennen:

Der Zauberer Korinthe

Es lebte einst ein Zauberer
Kori, Kora, Korinthe.
Der saß in einem Tintenfaß
und zauberte mit Tinte.

Wenn jemand damit Briefe schrieb
und schmi und schma und schmollte.
Dann schrieb er etwas anderes
als was er schreiben wollte.

Einst schrieb der Kaiser Fortunat
mit Si, mit Sa, mit Siegel:
"Der Kerl, der mich verspottet hat,
kommt hinter Schloß und Riegel!"

Doch hinterher las man im Brief,
vergni, vergna, vergnüglich:
"Der Kerl, der mich verspottet hat,
der dichtet ganz vorzüglich!"

Da schmunzelte der Zauberer
Kori, Kora, Korinthe.
Und schwamm durchs ganze Tintenfaß
und trank ein bißchen Tinte.

Ein andres Mal schrieb Archibald,
der Di, der Da, der Dichter:
"Die Rosen haben hierzuland
so zärtliche Gesichter."

Er hat von Ros- und Lilienhaar
geschri, geschra, geschrieben.
Doch als das Liedlein fertig war,
erzählte es von Rüben.

Da schmunzelte der Zauberer
Kori, Kora, Korinthe.
Und schwamm duchs ganze Tintenfaß
und trank ein bißchen Tinte.

Heut schrieb der Kaufmann Steenebarg
aus Bri, aus Bra, aus Bremen
an seinen Sohn in Dänemark:
"Du sollest Dich was schämen!"

Doch als der Brief geschrieben war
mit Schwi, mit Schwa, mit Schwunge,
da stand im Brief:"Mein lieber Sohn,
Du bist ein guter Junge."

Da schmunzelte der Zauberer
Kori, Kora, Korinthe
und schwamm durchs ganze Tintenfaß
und trank ein bißchen Tinte.

Und wer das Lied nicht glauben will
vom Schri, vom Schra, vom Schreiben,
der ist wahrscheinlich selber schuld
und läßt es eben bleiben.

James Krüss

Internet-Tipp: https://www.james-kruess.de/main.html


 Enigma antwortete am 11.06.05 (07:47):

Und jetzt folgt.....


Das Hexen-Einmaleins
Johann Wolfgang v. Goethe



Du musst verstehen!
Aus Eins mach Zehn,
und Zwei lass gehn,
und Drei mach gleich,
So bist du reich.
Aus Fünf mach Sechs,
so sagt die Hex`,
mach Sieben und Acht,
so ist´s vollbracht:
Und Neun ist Eins
und Zehn ist keins.

Internet-Tipp: https://www.litart.ch/pittoresk/hexen.htm


 Enigma antwortete am 11.06.05 (07:57):

Und nun kommen wir zu den geheimnisvollen Nixen:

Heinrich Heine (1797-1856)
Die Nixen
Am einsamen Strande plätschert die Flut,
Der Mond ist aufgegangen,
Auf weißer Düne der Ritter ruht,
Von bunten Träumen befangen.
Die schönen Nixen, im Schleiergewand,
Entsteigen der Meerestiefe.
Sie nahen sich leise dem jungen Fant,
Sie glaubten wahrhaftig, er schliefe.
Die Eine betastet mit Neubegier
Die Federn auf seinem Barette.
Die Andre nestelt am Bandelier
Und an der Waffenkette.
Die Dritte lacht, und ihr Auge blitzt,
Sie zieht das Schwert aus der Scheide,
Und auf dem blanken Schwert gestützt
Beschaut sie den Ritter mit Freude.
Die Vierte tänzelt wohl hin und her
Und flüstert aus tiefem Gemüte:
»O, daß ich doch dein Liebchen wär,
Du holde Menschenblüte!«
Die Fünfte küßt des Ritters Händ,
Mit Sehnsucht und Verlangen;
Die Sechste zögert und küßt am End
Die Lippen und die Wangen.
Der Ritter ist klug, es fällt ihm nicht ein,
Die Augen öffnen zu müssen;
Er läßt sich ruhig im Mondenschein
Von schönen Nixen küssen

Internet-Tipp: https://mystikwelten.de/n_nixen.html


 Enigma antwortete am 11.06.05 (08:12):

Die Elfen dürfen natürlich auch nicht fehlen: :-)

Heinrich Seidel
Die Elfe


Nächtlich bei des Mondes Schimmer,
Wenn der Wind schläft in den Wipfeln,
Tanzt die wunderschöne Elfe
Auf dem stillen, schilfumgebnen
Wasserrosenteich im Walde.
Nimmer dringt in diese Gründe
Nur ein Hauch des Menschendaseins!
Selbst der Glocke weithinhallend
Klanggetöne stirbt versummend
In dem weiten Meer der Wipfel.
Und es steht der Wald im Lauschen
Auf das eigne Schweigen lautlos.
Und die wunderschöne Elfe
Wiegt sich über stillem Wasser
Wie ein schimmernd Duftgebilde,
Dass das leuchtend helle Goldhaar
Um die weissen Glieder wallet.
Breitend ihre schönen Arme
Schwebt sie ob dem dunklen Grunde,
Wie ein lieblicher Gedanke
Mondbeglänzter Einsamkeit.

Dazu habe ich aus meiner Sicht eine wunderschöne Elfenseite gefunden, in der man nicht nur Elfen-Gedichte finden kann...,sondern auch jemanden, den ich öfter im ST erleben möchte.

Internet-Tipp: https://www.die-schmoekerstube.de/elfenwelt/Gedichte9.htm


 Enigma antwortete am 11.06.05 (08:25):

Und wieso Riesen Riesen sind, wissen manchmal auch Erwachsene nicht....

Wachsen Bäume von alleine??

Mutti, darf ein Täubchen niesen??

Gibt es auf der Sonne Steine??

Und wieso sind Riesen Riesen??

Woher haben Pferde Hufen??

Spielt der liebe Gott Klavier??

Gibt' s ein Haus mit keinen Stufen??

Mutti, wann ist ¼ 4??

Mutti, kann ein Frosch verreisen??

Siehste Mutti, weißte nicht!!



Ein Gedicht an die Mutter um 1890

Berta Meyer

Internet-Tipp: https://www.wiedenrode3.de/Gedicht_von_1890.htm


 Enigma antwortete am 11.06.05 (08:34):

Und der wütende Riese von Elisabeth Kulmann ist wahrlich furchterregend: :-)

Elisabeth Kulman


Das Gewitter

In wellenloser Stille
Lag, eine blaue Ebne,
Das Meer vor uns. Im Schooße
Des Meeres schlief ein Riese.
Da kam der Wind und weckte
Mit seiner Flügel Ende
Den Riesen auf. Voll Unmuths
Erhob er sich am fernen
Bewölkten Himmelsrande.
Mit der erzürnten Scheitel
Berühret er die Wölbung
Des glanzberaubten Himmels.
Es hatten schwarze Wolken
Die Sonne schon verschlungen.
Da treibt im Zorn der Riese
Sie nach dem andern Ende
Des Himmels hin. Bald haben
Der Erde sie den Anblick
Des Aethers ganz entzogen.
Ringsum ist Nacht; nur schwärzer
Und schauderhafter ist sie
Im Westen, wo der Riese
In ungeheurer Größe,
Wie ein Gespenst, emporragt.
Itzt öffnet unvermuthet
Das grause Ungeheuer
Den Flammenschlund, und schrecklich
Ertönt sein wüthend Brüllen.
Es beben Erd' und Himmel
Vor Grauen und Entsetzen.
Nach einer kurzen Weile
Eröffnet er von neuem
Den ungeheuern Rachen,
Und eine Feuerschlange
Entstürmt dem grausen Schlunde
Und stürzt voll Wuth in's Meer sich.
Da, wo die Feuerschlange
Sich in die Wogen stürzte,
Spritzt, neugefallnem Schnee gleich,
Und dick und hoch, wie eine
Der Himmelssäulen, Meerschaum
Empor bis an die Wolken,
Entsetzlich ist das Toben
Des Meeres und sein Schlagen
An seine Felsenufer.
Noch schauderhafter aber
Ist das Gebrüll des Riesen,
Deß Rachen eine Schlange
Entstürzet nach der andern,
Bei deren Anblick schaudernd
Der Mensch zurückebebet.
Itzt stürzt sich eine Schlange
Auf die nicht ferne Waldung,
Und frißt die höchste, ältste
Und umfangreichste Eiche,
Als wär' sie eine Garbe.
Da schien des Riesen Rache
Gesättigt. Er zerreißet
Mit allgewalt'gen Händen
Die aufgethürmten Wolken;
Es zeigt auf's neu der Himmel
Sein heitres Aug' dem Menschen;
Es lösen sich die Wolken
In Regen auf, der stromweis
Herniederfällt, das lecke,
Geborstne Land zu tränken;
Es steigt, wie aus dem Bade,
Die Sonn' in vollerm Glanze:
Erneuert scheint die Erde.


 pamina antwortete am 11.06.05 (11:38):

Darf's vielleicht auch eins von Zwergen sein?

Johann Wolfgang von Goethe

Hochzeitlied

Wir singen und sagen vom Grafen so gern,
Der hier in dem Schlosse gehauset,
Da, wo ihr den Enkel des seligen Herrn,
Den heute vermählten, beschmauset.
Nun hatte sich jener im heiligen Krieg
Zu Ehren gestritten durch mannigen Sieg,
Und als er zu Hause vom Rösselein stieg,
Da fand er sein Schlösselein oben;
Doch Diener und Habe zerstoben.
Da bist du nun, Gräflein, da bist du zu Haus:
Das Heimische findest du schlimmer!
Zum Fenster, da ziehen die Winde hinaus,
Sie kommen durch alle die Zimmer.
>>Was wäre zu tun in der herbstlichen Nacht?
So hab ich doch manche noch schlimmer vollbracht,
Der Morgen hat alles wohl besser gemacht.
Drum rasch bei der mondlichen Helle
Ins Bett, in das Stroh, ins Gestelle!<<

Und als er im willigen Schummer so lag,
Bewegt es sich unter dem Bette.
>>Die Ratte, die raschle, solange sie mag!
Ja, wenn sie ein Bröselein hätte!<<
Doch siehe! da stehet ein winziger Wicht
Ein Zwerglein so zierlich mit Ampelenlicht,
Mit Rednergebärden und Sprechergewicht,
Zum Fuß des ermüdeten Grafen,
Der, schläft er nicht, möcht er doch schlafen.

>>Wir haben uns Feste hier oben erlaubt,
Seitdem du die Zimmer verlassen,
Und weil wir dich weit in der Ferne geglaubt,
So dachten wir eben zu prassen.
Und wenn du vergönnest und wenn dir nicht graut,
So schmausen die Zwerge, behaglich und laut,
Zu Ehren der reichen, der niedlichen Braut.<<
Der Graf im Behagen des Traumes:
>>Bedienet euch immer des Raumes!<<

Da kommen drei Reiter, sie reiten hervor,
Die unter dem Bette gehalten;
Dann folget ein singendes, klingendes Chor
Possierlicher, kleiner Gestalten;
Und Wagen auf Wagen mit allem Gerät,
Daß einem so Hören als Sehen vergeht,
Wie's nur in den Schlössern der Könige steht;
Zuletzt auf vergoldetem Wagen
Die Braut und die Gäste getragen.

So rennet nun alles in vollem Galopp
Und kürt sich im Saale sein Plätzchen;
Zum Drehen und Walzen und lustigen Hopp
Erkieset sich jeder ein Schätzchen.
Da pfeift es und geigt es und klinget und klirrt,
Da ringelts und schleift es und rauschet und wirrt,
Da pisperts und knisterts und flisterts und schwirrt;
Das Gräflein, es blicket hinüber,
Es dünkt ihn, als läg er im Fieber.

Nun dappelts und rappelts und klapperts im Saal
Von Bänken und Stühlen und Tischen,
Da will nun ein jeder am festlichen Mahl
Sich neben dem Liebchen erfrischen;
Sie tragen die Würste, die Schinken so klein
Und Braten und Fisch und Geflügel herein,
Es kreiset beständig der köstliche Wein;
Das toset und koset so lange,
Verschwindet zuletzt mit Gesange. –

Und sollen wir singen, was weiter geschehn,
So schweige das Toben und Tosen!
Denn was er, so artig, im Kleinen gesehn,
Erfuhr er, genoß er im Großen.
Trompeten und klingender, singender Schall
Und Wagen und Reiter und bräutlicher Schwall,
Sie kommen und zeigen und neigen sich all,
Unzählige, selige Leute.
So ging es und geht es noch heute.



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 Medea. antwortete am 11.06.05 (14:03):

Der Nöck

Es tönt des Nöcken Harfenschall:
da steht der wilde Wasserfall,
umschwebt mit Schaum und Wogen,
den Nöck im Regenbogen!

Die Bäume neigen sich tief und schweigen,
und atmend horcht die Nachtigall.

"Oh Nöck, was hilft das Singen dein?
Du kannst ja doch nicht selig sein!
Was soll dein Singen taugen?"
Der Nöck erhebt die Augen:
sieht an die Kleinen, beginnt zu weinen
und senkt sich in die Flut hinein.

Da rauscht und braust der Wasserfall,
hoch fliegt hinauf die Nachtigall!
Die Bäume heben mächtig
die Gipfel grün und prächtig!
Oh weh, es haben, die wilden Knaben
den Nöck betrübt im Wasserfall!

"Komm wieder, Nöck, du singst so schön!
Wer singt, kann in den Himmel gehn!
Du wirst mit deinem Singen,
zum Paradiese dringen!
Oh komm, es haben, gescherzt die Knaben,
komm wieder, Nöck! Und singe schön!

Da tönt des Nöcken Harfenschall,
und wieder steht der Wasserfall,
umschwebt mit Schaum und Wogen
den Nöck im Regenbogen!
Die Bäume neigen sich tief und schweigen,
und atmend horcht die Nachtigall.

Es spielt der Nöck und singt mit Macht
von Meer und Erd' und Himmelpracht!
Mit singen kann er lachen
und selig weinen machen!
Der Wald erbebet, die Sonn' entschwebet.
Er singt bis in die Sternennacht.

(nach einer nordischen Sage von August Kopisch)


 schorsch antwortete am 11.06.05 (15:27):

Ich las jetzt viele Zeilen
mit Vergna, Vergno, Vergnügen.
Gern möcht ich noch verweilen;
naja, man darf doch lügen (;--))))


 Medea. antwortete am 12.06.05 (07:32):

Mal eben aus dem Gedächtnis zitieren:

Das Riesenspielzeug

Burg Nydeck ist im Elsaß
der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vorzeiten,
die Burg der Riesen stand.
Sie selbst ist nun zerfallen,
die Stätte öd und leer -
und fragst Du nach den Riesen,
Du findest sie nicht mehr.

Einst kam das Riesenfräulein
aus jener Burg hervor -
erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Tor.
Und stieg hinab den Abhang, tief bis ins Tal hinein,
neugierig zu erkunden, wies unten möge sein.

Mit wen'gen raschen Schritten
durcheilte sie den Wald.
Erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald -
und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld,
erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.

Wie dann zu ihren Füßen sie spähend niederschaut,
entdeckt sie einen Bauern, der seinen Acker baut.
Wie kriecht das kleinen Wesen einher so sonderbar,
wie glitzert in der Sonne, der Pflug so blank und klar.

Ei artig Spielzeug ruft sie, das nehm' ich mit nach Haus.
Sie knieet nieder, breitet behend ihr Schürzchen aus
und feget mit den Händen, was sich da alles regt
zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammenschlägt
Und eilt mit freud'gen Sprüngen, man weiß wie Kinder sind,
die Burg hinan zu suchen, den Vater auf geschwind.

Der Alte sitzt (gemütlich?) und trinkt den kühlen Wein,
er schaut sie an behaglich und fragt das Töchterlein:
was Zappeliges bringst Du in Deinem Tuch herbei?
Du hüpfest ja vor Freude, laß sehen, was es sei.

Da öffnet sie das Tüchlein und fängt behutsam an,
den Bauern aufzustellen, den Pflug und das Gespann.
Wie dann zu seinen Füßen sie alles aufgebaut,
da klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut.

Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht:
was hast Du angerichtet, das ist kein Spielzeug nicht!
Wo Du es hergenommen, da trag es wieder hin.
Der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt Dir in den Sinn!
Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot,
denn wäre nicht der Bauer, dann hättest Du kein Brot.
Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernblut hervor.
Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor.

Burg Nydeck ist im Elsaß, der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vorzeiten, die Burg der Riesen stand.
Sie selbst ist nun zerfallen, die Städte öd und leer -
und fragst Du nach den Riesen, Du findest sie nicht mehr.


 Enigma antwortete am 12.06.05 (10:03):

Guten Morgen,

danke für die Beiträge. :-)

@Medea
Das ist aber eine reife Leistung, so "eben aus dem Gedächtnis zitieren"....

Der Elfenring II

Sacht fühlt das Moos federnde Schritte
Ein Mondstrahl tanzt, ein Lachen am Ort
Sanft dreht sich ein Licht in des Kreises Mitte
In dem Kreis aus Pilzen tanzt es fort
Nebel greift verspielt nach den alten Blättern
Steigt aus dem Boden, breitet sich aus
Mit ihm kommt ein Singen, ein Klingen und ein Lachen
Wie Glocken aus dem Nebel klingt es heraus
Tausend Silberschellen an langen Pferdemähnen
Rösser aus Nebel Wesen aus Licht
Tautropfen geflochten in die Nebelsträhnen
Schöneren Schmuck sah man noch nicht
Gewänder aus Seide wie aus Spinnenfäden
Mit Silber gewirkt wie Mondlicht hell
Die Anmut des Liedes, grazile Gebärden
Sie ziehen vorbei - ach viel zu schnell
Sanft rascheln alte Blätter, das Moos fühlt sanfte Schritte
Ein Tautropfen fällt, ein Glöckchen klingt fort
Und das Licht verblaßt in des Kreises Mitte
In dem Kreis aus Pilzen an diesem Ort

R. R. Tolkien


 Enigma antwortete am 12.06.05 (10:07):

Gedanken über Feen und Elfen:
Denn diese Wesen sind uns nicht täglich vor Augen, sondern ganz selten und wir sehen sie nur, damit wir darum wissen dass es sie gibt und sehen sie so, als erschienen sie uns im Schlaf
(Paracelsus)


 angelottchen antwortete am 12.06.05 (11:13):

Lied des Gefangenen
Als meine Großmutter die Lise behext,
Da wollten die Leut sie verbrennen.
Schon hatte der Amtmann viel Dinte verklext,
Doch wollte sie nicht bekennen.

Und als man sie in den Kessel schob,
Da schrie sie Mord und Wehe;
Und als sich der schwarze Qualm erhob,
Da flog sie als Rab in die Höhe.

Mein schwarzes, gefiedertes Großmütterlein!
O komm mich im Turme besuchen!
Komm, fliege geschwind durchs Gitter herein,
Und bringe mir Käse und Kuchen.

Mein schwarzes, gefiedertes Großmütterlein!
O möchtest du nur sorgen,
Daß die Muhme nicht auspickt die Augen mein,
Wenn ich luftig schwebe morgen.

(H.Heine)


 pilli antwortete am 13.06.05 (02:17):

especially für Enigma :-)

https://www.hl-gedichte.de/inhalt.htm

nur auf die weltkugel klicken Enigma und schon öffnet sich die welt zur box von hl...

von dieser seite aus sind einige der an- und einsichten in wort und bild von Heidi zu erreichen, die dann wiederum weiterführen. :-)

...

Elfenlied II

Was scheren mich die Menschenjahr'
unsterblich bin ich, die Elfe
konnte als Kind schon fliegen
und werde den Tod verträumen
liebe die Weite, die Freiheit
bin der Vogel in den Bäumen
Doch eines solltest Du nicht vergessen:
Elfen sind unsichtbar

Du kannst sie nicht anfassen, nicht berühren
nur ihre Lieder kannst Du lesen oder hören
Was Du siehst ist nur die Menschengestalt
und die wird sicher auch mal alt
der Mensch ist gefangen im Alltag
gebunden in festen Räumen
nur die Elfe kann fliegen - komm, flieg mit mir
und lass' uns gemeinsam träumen
(hl) :-)

siehe u.a. link, aber vielleicht auch:

/seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a62.html

"nicht nur ein platz ist leer..." :-)

"Wolfgang antwortete am 08.12.00 (20:13):"

...

Einschlaflied

Du schläfst noch nicht...
Es ist doch spät.
Sei lieb und geh jetzt schlafen.
Tu einfach so,
als wärest du
das Boot und's Bett der Hafen.

Du liegst dann drin
im sichren Schutz
und hast es warm und wohlig.
Vergisst den Schmerz
vom ganzen Tag
und bist nicht mehr nur traurig.

Du schläfst noch nicht...
Du solltest doch.
Komm, schau mal durch das Fenster.
Die kleinen Sterne,
der grosse Mond,
vertreiben die Gespenster.

Die Luft ist klar
und nur für dich,
tun alle Sterne scheinen.
Was meinst du wohl:
Ob diese Nacht
auch andere Kinder weinen?

Du schläfst noch nicht...
Es ist halt so.
Ein Boot fehlt noch im Hafen.
Ein Platz ist leer.
Man denkt und bangt.
Man kann dann nicht gut schlafen.

wml

...

:-)

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/autoren/Heidi_Lachnitt/gedichte.html


 pilli antwortete am 13.06.05 (03:21):

Der Rosenelf

Inmitten eines Gartens wuchs ein Rosenstrauch, der war ganz voller Rosen, und in einer davon, der schönsten von allen, wohnte ein Elf; er war so winzig klein, dass kein menschliches Auge ihn sehen konnte, hinter jedem Blatt in der Rose hatte er so wohlgestalt und hübsch, wie ein Kind nur sein konnte, und hatte Flügel an den Schultern, hinab bis zu den Füßen.

Oh, es war ein Duft in seinen Zimmern, und wie hell und schön waren die Wände!
Sie waren ja die feinen hellrosa Rosenblätter.

(Hans Christian Andersen)

Internet-Tipp: https://www.piccube.de/uploads/PicCube_a86a35e819.gif


 pilli antwortete am 13.06.05 (03:37):

für elvi :-)

zu nächtlicher stunde watt vom "Zauber der Steine" und dem "Tanz der Riesen":

...

"Die Geschichte vom Tanz der Riesen, wie sie von Geoffrey überliefert wurde, lautet folgendermaßen:"

Nachdem die römischen Legionen im 5 Jh. n. C. Britannien verlassen hatten, führte der Sachsenherzog Hengist Krieg gegen den britischen Herrscher Vortigern. Die Sachsen erschlugen dabei auf heimtückische Weise 460 britische Edelleute während einer von ihnen einberufenen Beratung mit den Briten.

Kurz darauf kehrten die (angeblich) rechtmäßigen Erben des britischen Thrones, die während der Besetzung des Landes durch die Römer und Vortigern in der Bretagne im Exil gelebt hatten, zurück und erschlugen die Besatzer Vortigern und Hengist. Diese rechtmäßigen Erben waren König Aurelius Ambrosius und sein Bruder Uther Pendragon. Aurelius wollte nun den 460 erschlagenen Edelleuten ein Kriegerdenkmal setzen. Man riet ihm für das Vorhaben, den Magier und Hofmeister des toten Vortigern mit Namen Merlin zu gewinnen.

Was rät Merlin dem Aurelius:

"Wenn ihr geneigt seid, die Gräber dieser Männer mit einem Werk zu schmücken, das auf ewig besteht, dann lasst nach dem Tanz der Riesen schicken, der da ist in Killaraus (Kildare?), einem Berge in Irland. Denn Steinbauten befinden sich dort, die niemand aus dieser Zeit aufheben kann, es sei denn, sein Verstand wäre groß genug, es mit List zu versuchen. Denn die Steine sind groß, und keine anderen haben größere Kraft. Wenn sie an diesem Ort in einem Kreise aufgestellt werden, so wie sie jetzt stehen, dann werden sie ewig bleiben ... Denn in diesen Steinen ist ein Geheimnis, heilkräftig sind sie gegen viele Leiden. In alten Zeiten haben Riesen sie aus dem fernen Afrika herbeigebracht und in Irland aufgestellt, dem Land, das sie damals bewohnten. Und dies ist der Zweck, zu dem sie es taten: Sie machten sich Bäder darinnen, und wenn jemand an einer Krankheit litt, wuschen sie die Steine, gossen das Wasser in ihre Bäder, und wer in denselben badete, wurde gesund, wie krank er auch war."

Aurelius sandte daraufhin seinen Bruder Uther Pendragon mit einer Armee nach Irland, um den Tanz der Riesen zu stehlen. Sie kämpften gegen die Iren, besiegten sie und versuchten die Steine nach Salisbury Plain zu transportieren, was ihnen nicht gelang.

Natürlich musste Merlin seine Zauberkraft einsetzen, um die Steine von Irland nach Salisbury zu bewegen. Nach Aussage Geoffreys sind in Stonehenge Aurelius, Uther Pendragon und ihre Nachfolger bis hin zu König Artus und auch die 460 Edelleute bestattet."

zitiert aus dem u.a. link

...

in gedanken auf dem weg nach Irland...

:-)

Internet-Tipp: https://www.stonehenge.brain-jogging.com/inhalt_r.htm


 Enigma antwortete am 13.06.05 (09:12):

Guten Morgen,

@angelottchen,

das ist ja ein richtiger "Knaller", das Heinegedicht, witzig...
Danke!

@Pilli
Ich habe - glaube ich - schon mal gesagt, dass du sehr gründlich liest. Das hat sich wieder bestätigt. Du hast sofort gemerkt, was oder - besser - wen ich meinte.
Danke für alle schönen Beiträge und die Links, die ich gespeichert habe. :-)


Konstantin Wecker
Hexeneinmaleins


Du mußt verstehn! Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei laß gehn, und Drei mach gleich,
so bist du reich. Verlier die Vier!
Aus fünf und sechs - so sagt die Hex -
Mach Sieben und Acht, so ist´s vollbracht:
Und Neun ist Eins, und Zehn ist keins.
Das ist das Hexeneinmaleins!

Als sie Giordano Bruno verbrannten
sandte sein Gott keine Blitze gegen das Unrecht
munter flackerte das Feuer
der Pöbel mußte manchmal husten zwischen zwei Lachern
so qualmte Giordano
oder Grandier
neben seinem Scheiterhaufen
sonnte sich Richelieu
vierzehn Nonnen
mit Klistierspritzen garniert
wälzten sich vor Wollust und Gier
und das christliche Abendland
sann befriedigt
nach weiteren guten Taten.
Was hat dieser Ketzer mit uns zu tun
flötet unser Jahrhundert
doch
dreihundert Jahre später
konnte ein gewisser Trotzki
angeklagt
der Unzucht mit der Freiheit

das Haupt vom Dogmenbeil schon gespalten
dreihundert Jahre später
konnte dieser Trotzki
die Menschheit nur noch um Vergebung bitten für seinen Henker.

Immer noch werden Hexen verbrannt
auf den Scheiten der Ideologien.
Irgendwer ist immer der Böse im Land
und dann kann man als Guter
und die Augen voll Sand
in die heiligen Kriege ziehn!

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 13.06.05 (09:16):

Fortsetzung!

Sacco und Vanzetti
keiner rothaarig
nie mischten sie Zaubertränke um Mitternacht
auch des Nachbarn Kühe gediehen vortrefflich
trotzdem wurden sie niedergemetzelt
von den Sklaven der freien Welt.
Oder
sechs Millionen Juden
eine Heerschar von Hexen
zum Aderlaß geprügelt für
die Reinheit des Blutes.
Schrecklich, schrecklich
und die Mönche der Demokratie
wedeln Verzeihung heischend mit der Rute
und siehe:
Der Freigeist geht um.
Alle sind aufgeklärt
doch wer weiß Bescheid
heute haßt man modern

die Angst ist die Flamme unserer Zeit
und die wird fleißig geschürt.
Sie verbrennen dich mit ihren Zungen und ihrer Ignoranz
dicke freundliche Herren
bitten per Television zur Jagd.
Tausende
zum Feindbild verdammt
halten sich fürs Exil bereit.

Die Schlupfwinkel werden knapp, Freunde.

Höchste Zeit
aufzustehn!

Du mußt verstehn! Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei laß gehn, und Drei mach gleich,
so bist du reich. Verlier die Vier!
Aus fünf und sechs - so sagt die Hex -
Mach Sieben und Acht, so ist´s vollbracht:
Und Neun ist Eins, und Zehn ist keins.
Das ist das Hexeneinmaleins!

Immer noch werden Hexen verbrannt
auf den Scheiten der Ideologien.
Irgendwer ist immer der Böse im Land
und dann kann man als Guter
und die Augen voll Sand
in die heiligen Kriege ziehn!

Texte von Wecker .... she. Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.wecker.de/lieder.html


 Enigma antwortete am 13.06.05 (09:20):


Konstantin Wecker
Hexeneinmaleins


Aktualisierte Fassung (Golfkrieg 1991):

(Anfang wie oben,
statt
"Sacco und Vanzetti"
folgt)

Gerechter Krieg,
heiliger Krieg.
Nur zum Teufel:
Welcher Gott ist denn nun der richtige?
Der glitzernde Gott der Börsianer vielleicht?
Und welcher Gott hat den Giftgasverkäufern
die Absolution erteilt?

Gibt es ein gerechtes Gas,
und wird es erst böse, wenn es uns treffen könnte?

Gerechter Krieg,
heiliger Krieg.
In erster Linie ist es ein männlicher Krieg,
einer Wirtshausschlägerei nicht unähnlich.

Man spricht von Waffengang
und meint Verstümmelung,
sie verfehlen militärische Objekte
und meinen Tausende,
vielleicht sogar hunderttausende von Toten.
Man nennt alles rücksichtsvoll "Szenario"
und verschweigt den Massenmord.

Heimtückische Sprache,
die verschleiern soll,
daß es um Menschen geht.
Menschen mit Hoffnungen und Nöten,
keine Nationen und Bündnisse und Armeen,
sondern einzelne, verwundbare Menschen.

Aber laßt uns doch jetzt einmal
die Möglichkeit ergreifen,
alles ganz anders zu versuchen,
wie einer,
der kurz vor dem Tod noch das Leben
erleben und durchleben möchte,
ohne Rücksicht auf das Gequassel der
Zyniker und Drübersteher.
Laßt uns doch jetzt mal alles das versuchen,
was wir uns noch nie so richtig zugetraut haben.

Laßt uns freundlich sein,
wo wir feindlich sein sollten.
Laßt uns kindlich sein,
wo wir erwachsen sein sollten.

Laßt uns herzlich sein,
wo wir logisch sein sollten.
Laßt uns fraulich sein,
wo wir männlich sein sollten.

Daß diese Welt nie ende -
nur dafür laßt uns leben!


EV: Classics (1991)


 pilli antwortete am 14.06.05 (11:29):

konzentriert lesen, liebe Enigma,

das tor zu den kleinen, oft versteckten vergnügen? :-)

...



von Christian Felix Weisse, melodie W.A. Mozart:

"Der Zauberer"

Ihr Mädchen, flieht Damöten ja!
Als ich zum erstenmal ihn sah,
Da fühlt' ich, so was fühlt' ich nie,
Mir ward, mir ward, ich weiß nicht wie,
Ich seufze, zitterte, und schien mich doch zu freu'n;
Glaubt mir, er muß ein Zaub'rer sein.

Sah ich ihn an, so ward mir heiß,
Bald ward ich rot, bald ward ich weiß,
Zuletzt nahm er mich bei der Hand;
Wer sagt mir, was ich da empfand?
Ich sah, ich hörte nichts, sprach nichts als ja und nein;
Glaubt mir, er muß ein Zaub'rer sein.

Er führte mich in dies Gesträuch,
Ich wollt' ihm flieh'n und folgt' ihm gleich;
Er setzte sich, ich setzte mich;
Er sprach, nur Sylben stammelt' ich;
Die Augen starrten ihm, die meinen wurden klein;
Glaubt mir, er muß ein Zaub'rer sein.

Entbrannt drückt' er mich an sein Herz,
Was fühlt' ich Welch ein süßer Schmerz!
Ich schluchzt', ich atmete sehr schwer,
Da kam zum Glück die Mutter her;
Was würd', o Götter, sonst nach so viel Zauberei'n,
Aus mir zuletzt geworden sein!

...

:-)


 Enigma antwortete am 14.06.05 (16:48):

Wo du recht hast, hast du recht, Pilli..... (im Hinblick auf die kleinen versteckten Freuden, meine ich)
Und dein Gedicht ist mir sehr recht. Danke! :-)

Karoline von Günderode
(1780-1806

Der Trauernde und die Elfen

Zum Grab der Trauten schleicht der Knabe,
Ihm ist das Herz so bang und schwer;
Da sinkt die dunkle Nacht hernieder
Und bleiche Geister geh'n umher;
Des Abends feuchte Nebel thauen,
Der Nachtwind wühlt in seinem Haar,
Das Alles wird er nicht gewahr.

In Träumen ist er ganz verlohren,
Er merket nicht der Stunden Gang;
Da wekt ihn aus dem dumpfen Schlummer
Musik und froher Chorgesang,
Er blicket auf: und schaut den Reigen
Der Elfen, deren munt'rer Tanz
Sich schlingt um frischer Gräber Kranz.

Und sieh! ihm naht der Elfen Schönste,
Und spricht: »was trauerst du so sehr?
Komm! ist dein Mädchen dir gestorben?
Vergiß sie! komm zum Tanze her.
Frei sind wir Elfen, ohne Sorgen,
Leicht wie der Sinn ist unser Fuß,
Und froh und leicht sind Lieb und Kuß.

O zögre nicht! nur wenig Stunden
So moderst du, nur kurze Zeit
So welket Alles, was jetzt blühet,
Drum komm! entsag dem schweren Leid'.« -
Wild springt er auf zum raschen Tanze
Und über seiner Braut Gebein
Schlingt sich der lust'ge Elfenreihn.

Er tanzt, vergisset die Geliebte,
Leicht, wie der Elfen, wird sein Sinn
Entbunden aller Erdensorgen
Schwingt er sich über Wolken hin.
Er sieht Geschlechter kommen, sterben,
Kann Alles froh und lustig sehn
Der Dinge Blühen und Vergehn.

ja, ja, wenn erst mal die Elfen locken..... *grins*


 angelottchen antwortete am 14.06.05 (18:10):

medea war schneller und hat schon che ollen Chamisso zutiert - aber das hier passt auch:

Der Knabe im Moor
O, schaurig ist's, übers Moor zu gehen,
wenn es wimmelt vom Heiderauche,
sich wie Phantome die Dünste drehn
und die Ranke häkelt am Strauche.
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
wenn aus der Spalte es zischt und singt -
o, schaurig ist's, übers Moor zu gehen,
wenn das Röhricht knistert im Hauche!
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
und rennt, als ob man es jage.
Hohl über die Fläche sauset der Wind -
was raschelt da drüben am Hage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
der dem Meister die besten Torfe verzecht,
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hin ducket das Knäblein zage.

Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
unheimlich nicket die Föhre.
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
durch Riesenhalme wie Speere.
Und wie es rieselt und knittert darin:
das ist die unselige Spinnerin,
das ist die gebannte Spinn-Lenor,
die den Haspel dreht im Geröhre.

Voran, voran, nur immer im Lauf,
voran, als wollt es ihn holen!
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
es pfeift ihm unter den Sohlen
wie eine gespenstische Melodei.
Das ist der Geigenmann ungetreu,
das ist der diebische Fiedler Knauf,
der den Hochzeitsheller gestohlen!

Da birst das Moor, ein Seufzer geht
hervor aus der klaffenden Höhle.
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
"Ho, ho, meine arme Seele!"
Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
wär nicht Schutzengel in seiner Näh,
seine bleichenden Knöchelchen fände spät
ein Gräber im Moorgeschwele.

Da mählich gründet der Boden sich,
und drüben neben der Weide
die Lampe flimmert so heimatlich.
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf. Zum Moor zurück
noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
o schaurig war's in der Heide.


 angelottchen antwortete am 14.06.05 (18:20):

ha, eimn bisschen musste ich suchen, aber ich hab sie denn doch gefunden.. die Arie vom Klein-Zack aus Hoffmanns Erzählungen :-))

Lied und Szene

Es war einmal am Hofe von Eisenack
Ein winziger Zwerg, der nannte sich Kleinzack.
Am Kopfe trug er den Kalpak,
Mit den Beinen, da ging's Clic Clac.
Das war Kleinzack.

Clic Clac! Clic Clac.
Das war Kleinzack.

Der hatte einen Höcker, so gross wie ein Sack.
Die krummen Beine stolperten immer Zickzack
Die Nase schwarz von Schnupftabak.
Mit dem Kopfe, da ging's Cric Crac.
Das war Kleinzack.

Cric Crac!
Das war Kleinzack.

Dann erst das Gesicht und diese Züge ...
Ja, erst das Gesicht und diese Züge ...
Doch, ihre Züge, welch ein Reiz!
Ich seh sie, schön
Wie der Maientag,
Ich folgte ihren Spuren
Und verliess liebestrunken die väterlichen Fluren,
Und durchstreifte das Tal und des Waldes Revier.
Ihre dunklen Haare lieblich in Locken flossen
Um den Schwanenhals, wie von Alabaster gegossen!
Die Augen, des offnen Himmels klares Bild,
Sahn um sich her, gazellengleich so sanft und mild;
Und wie im Ebenmass die zarten Glieder schwebten,
Fühlt ich mich liebentbrannt und meine Pulse bebten.
Ach, ihrer Stimme Ton,
Der Himmelslieder singt,
Mit süssem Echo mir im Herzen widerklingt!

NATHANAEL
Ach, wie zart - wie romantisch!
Wen, Teufel, meinst du denn?
Kleinzack!?

HOFFMANN
Kleinzack?
Ich sprach von ihr!

HERMANN
Von wem?

HOFFMANN
Nein! von niemand! Nichts!
Ach, verwirrt war mein Sinn! Nichts!
Kleinzack taugt vielmehr,
Wenn er auch noch hässlicher wär!
Und trank er zuviel Branntwein und Arrak.

CHOR
Viel Branntwein und Arrak.

HOFFMANN
Da flattern im Winde die Schösse vom Frack!

CHOR
Die Schösse von seinem Frack!

HOFFMANN
Wie die Segel auf einem Wrack,
Und das Monstrum, das schien flick flack!
Das war Kleinzack.

CHOR
Flick flack!
Kleinzack!


 angelottchen antwortete am 14.06.05 (18:38):

nachtrag: ich wusste auch nicht, was ein KALPAK ist ..

Internet-Tipp: https://www.omroep.nl/human/tv/manaschi/fotos/Man10.jpg


 Enigma antwortete am 15.06.05 (08:04):

@angelottchen
...Klein-Zack, ja, da hat sich doch die Mühe gelohnt.
Hatte ich auch total vergessen, dass es das gibt.
:-)

John Keats
(1819)
« La Belle Dame sans Merci «

Ah was befiel dich, Ritters Knab,
Bleich und allein dass du streichst herum?
Die Rohre sind dürr all um den See,
Und die Vögel stumm.

Ah was befiel dich, Ritters Knab,
So hohl und blickend solcher Pein?
Der Hamster hat sein Scheuer bestellt
Und der Herbst ist ein!

Ich seh die Lilj ob deiner Brau
Von Herzweh feucht und Fiebers Hauch,
Und auf der Wang die Rose welkt
Zusehends auch!

"Ich fand ein Fräulein im Gereut,
Ein Feenkind, ganzer Schönheit Bild,
Ihr Haar war lang, ihr Fuß war leicht,
Und ihr Aug war wild.

Ich macht ein Kränzlein für ihr Haupt,
Armspange dazu und duftgen Bort, -
Sie blickt auf mich, als liebte sie,
Und gewann mich dort.

Ich saß sie auf mein schreitend Ross,
Und andres sah ich nicht Tag lang,
Denn seitwärts bog sie sich und fand
Einen Feensang.

Sie fand mir Wurz von süßem Schmack
Und Honig wild, und Manna-Taun,
Und ernst in fremden Laut sprach sie:
Ich lieb dich traun.

Sie nahm mich in den Elfen Grund
Und weint sich dort zu Tode schier;
Ihre wild wilden Augen schloss ich dort
Mit Küssen vier.

Und lullte sie mich dort in Schlaf
Und träumt - ah was sich nie verliert -
Den letzten Traum, den ich geträumt,
Wo der Berghang friert.

Ich schaute Könige und Prinzen fahl,
Fahl Kriegsvolk, totfahl Mann für Mann,
Die schrien: « La belle dame sans merci
Hält dich in Bann.»

Ich sah erhungert ihren Mund
Von grauser Warnung aufgegiert,
Und ich erwacht und fand mich hier
Wo der Berghang friert.

Und darum hause ich hier noch fort
Bleich und allein und ich streich herum,
Ob die Rohre auch dürr all um den See
Und die Vögel stumm.

:-))


 angelottchen antwortete am 15.06.05 (09:19):

Waldmädchen
(Eichendorff)

Bin ein Feuer hell, das lodert
Von dem grünen Felsenkranz,
Seewind ist mein Buhl und fodert
Mich zum lustgen Wirbeltanz,
Kommt und wechselt unbeständig.
Steigend wild,
Neigend mild,
Meine schlanken Lohen wend ich:
Komm nicht nah mir, ich verbrenn dich!

Wo die wilden Bäche rauschen
Und die hohen Palmen stehn,
Wenn die Jäger heimlich lauschen,
Viele Rehe einsam gehn.
Bin ein Reh, flieg durch die Trümmer,
Über die Höh,
Wo im Schnee
Still die letzten Gipfel schimmern,
Folg mir nicht, erjagst mich


 angelottchen antwortete am 15.06.05 (09:21):

noch was von einem Riesen:
Christian Morgenstern:

Waldmärchen
Es lebt ein Ries' im Wald,
der hat ein Ohr so groß,
wenn da ein Donner schallt,
ist's ihm ein Jucken bloß.

Er macht so mit der Hand,
als wie nach einer Hummel -
sein eigenes Gebrummel
erschreckt das ganze Land.

Und kommt die Regenzeit,
dann schläft er, und es wird
aus seinem Ohr ein Teich,
und dort sitzt dann der Hirt

und tränkt dran seine Schaf;
doch manchmal dreht, o Graus,
der Ries' sich um im Schlaf -
und dann ist alles aus.


 Enigma antwortete am 15.06.05 (09:34):

..du bist ja in Fahrt, angelottchen.
Aber - noch - bleibe ich dran, mit Morgenstern. *lach*

Christian Morgenstern
Gespenst

Es gibt ein Gespenst,
das frißt Taschentücher;
Es begleitet dich
auf deiner Reise,
es frißt dir aus dem Koffer,
aus dem Bett,
aus dem Nachttisch,
wie ein Vogel
aus der Hand,
vieles weg, -
nicht alles, nicht auf ein Mal.
Mit achtzehn Tüchern,
stolzer Segler,
fuhrst du hinaus
aufs Meer der Fremde,
mit acht bis sieben
kehrst du zurück,
ein Gram der Hausfrau.

(1909)


 Enigma antwortete am 17.06.05 (09:22):

...und jetzt ein Vampir: :-)

Lord Byron
Der Giaur

Als Vampyr fährst zur Erde du,
Dein Leichnam hat im Grab nicht Ruh,
Gespenstisch schleicht er durch dein Haus,
Saugt's Herzblut all der deinen aus,
Daß Schwester, Mutter, Gattin hold,
Tief nachts der Lebensstrom entrollt;
Doch deinem Leichnam, kraß und fahl,
Soll Ekel sein solch Henkersmal;
Dein Opfer soll in dir, eh's starb,
Den Dämon kennen, der's verdarb;
Dir fluchen soll's, du sollst's verdammen,
Kein Sproß soll deinem Haus entstammen...
Von hag'rer Lipp' und eklem Zahn
Träuft's beste Blut der deinen dann,
Bis heimgejagt ins Grab voll Grausen,
Du mit der Höllenschar mögst hausen,
Die vor'm Gespenst, mehr fluchenswert
Als sie, sich schaudern abwärts kehrt.


 schorsch antwortete am 17.06.05 (10:39):

grrrrrrauslig - tschuder-tschuder.......


 elvi antwortete am 17.06.05 (21:16):

DANKE, liebe pilli, für deine Riesen-Gute-Nacht-Geschichte.

Deine irischen Weg-Gedanken, um 3.37 h :-), werden mich nächtens wohl ebenfalls vom 'Tanz der Riesen' träumen lassen.
Aber auf Merlins Zauberkraft verzichtend, möchte ich meine Stein-Freunde doch lieber an Ort und Stelle belassen und sie gelegentlich dort (mit dir?) besuchen ...

:-))

LG - elvi.


 pilli antwortete am 18.06.05 (03:06):

Merlin, meine liebe,

wird auch mir wenig neues bieten können, lassen wir ihn also verzaubern, wer oder was sich als medium besser eignet.

bevor wir "gelegentlich" steine suchen und vielleicht auch "Riesen" entdecken werden, :-) begegne ich zur zeit den "Irischen Freundschaften" von Maeve Binchy.
(siehe auch u.a. link)

:-)

...

Enigma :-) zu den hexen wollte ich nächtens surfen und fand etwas sehr interessantes...deinem thema bin ich gleich mehrfach bei google begegnet!

schön!

:-)

Internet-Tipp: https://www.leserattenseite.de/autoren/i_autoren.html


 Enigma antwortete am 18.06.05 (07:00):

..hallo Pilli, ja, wem man alles so begegnen kann. Jetzt bin ich ihm hier begegnet.... :-)

Edgar Allan Poe: Feenland

Talgründe - schattenkalt -
und düster starrender Wald,
dess' Form dem Blick verhüllen
die Tränen, die niederquillen:
Mondriesen nehmen zu
und ab - ohn' Rast und Ruh' -
sie wechseln ihr Gesicht
allzeit mit ihren Plätzen -
und sie löschen das Sternenlicht
mit des bleichen Atems Netzen.
Gegen zwölf nach der Monduhr
kommt, von tiefer verschleierter Art
als der Rest (wie auf weiter Flur
sie als beste erfunden ward),
nun einer hernieder und hält
grad über dem ragenden Zelt
eines Bergesgipfels, derweilen
seine weiten Umfänge eilen,
in lockrer Drapierung zu fallen
über Weiler und über Hallen,
wo immer sie mögen stehn -
über Wälder - über die Seen -
über schweifender Geister Schwinge -
über alle schläfrigen Dinge -
bis sie begraben sind
in des Lichtes Labyrinth -
und dann, wie tief! - oh, tief
in ihnen die Leidenschaft schlief!
Am Morgen stehen sie auf,
und der mondigen Hülle Ring
entschwebt in die Himmel hinauf
mit der Stürme wildem Getos'
wie - fast ein jedes Ding -
wie ein gelber Albatroß.
Sie nutzen den Mond nicht mehr
zum selbigen Zweck wie bisher,
will sagen, als Zelt - ich finde
verschwenderisch dies und Sünde:
seine Atome hingegen
zersprühen zu einem Regen,
davon die Falter, die lieben,
die auf zu den Himmeln stieben
und wieder hinab bei Nacht
(unstet in allen Dingen),
ein Muster uns haben gebracht
auf ihren zitternden Schwingen.

Übersetzt von Hans Wollschläger. Nach: Edgar Allan Poe: Gesammelte Werke in 5 Bänden.


 Enigma antwortete am 19.06.05 (08:32):

Und Fontane war auch beim Hexenmeister. :-)


Theodor Fontane
Beim Hexenmeister. Willkommen und Abschied

Es schlug mein Herz, geschwind zum Zuge!
Es war getan, fast eh gedacht.
Das Dampfroß regte sich zum Fluge,
An Bayreuths Hügeln hing die Nacht.
Schon wusch das Festspielhaus, das neue,
Ein jäher Regenschauer blank,
Wo sich das Publikum, das treue,
Versammelte zu ernstem Klang.
Wie tropften Mantel, Schuh' und Hosen,
Ging unser Atem feucht und schwer.
Wie bang fühlt' ich den grenzenlosen
Kunstenthusiasmus um mich her.
Wie ward es mählich still und düster,
Wie traf mein ungeübtes Ohr,
Als nun verglomm der letzte Lüster,
Der feierliche Tubachor.
So bläst es einst zum Weltgerichte!
Wie tief ergriffen lauscht das Haus.
Kein Balladier übt im Gedichte
Wohl eine solche Wirkung aus.
Zukunftsmusik ist hier im Schwange,
Nase und Nerven streiken schon,
Mich schwindelt's - denn das währt noch lange -,
Stehl' ich mich leise nicht davon.
Schad' bleibt's um Kundrys Zaubergarten
Und des Amfortas Mißgeschick.
Dem Pförtner schenkt' ich meine Karten,
Er sah mir nach mit nassem Blick.
Nun will ich an Emilie schreiben,
Sodann nach Kissingen zurück.
Und doch - Soldat der Kunst zu bleiben
Und Künstler sein - Gott, welch ein Glück


 Marina antwortete am 19.06.05 (10:08):

Wie gut kann ich das nachempfinden, Enigma. Mir geht es bei Wagner ähnlich. Ich könnte sicher auch keine Oper von ihm bis zum Schluss anhören. :-)

Hier ein Chor der Elfen:

Kommt! einen Ringel-, einen Feensang!
Dann auf das Drittel 'ner Minute fort!
Ihr, tötet Raupen in den Rosenknospen!
Ihr andern führt mit Fledermäusen Krieg,
Bringt ihrer Flügel Balg als Beute heim,
Den kleinen Elfen Röcke draus zu machen!
Ihr endlich sollt den Kauz, der nächtlich kreischt
Und über unsre schmucken Geister staunt,
Von uns verscheuchen! Singt mich nun in Schlaf;
An eure Dienste dann und laßt mich ruhn!

Aus: William Shakespeare, Ein Sommernachtstraum


 Enigma antwortete am 20.06.05 (07:35):

Guten morgen,

ja Marina, bei Wagner geht es mir auch so....:-)


Heinrich Heine
- Die Beschwörung -

Der junge Franziskaner sitzt
Einsam in der Klosterzelle,
Er liest im alten Zauberbuch,
Genannt der Zwang der Hölle.

Und als die Mitternachtsstunde schlug,
Da konnt´ er nicht länger sich halten,
Mit bleichen Lippen ruft er an
Die Unterweltsgewalten.

Ihr Geister! Holt mir aus dem Grab
Die Leiche der schönsten Frauen,
Belebt sie mir für diese Nacht,
Ich will mich daran erbauen.

Er spricht die grause Beschwörungswort,
Da wird sein Wunsch erfüllet,
Die arme verstorbene Schönheit kommt,
In weißen Laken gehüllet.

Ihr Blick ist traurig. Aus kalter Brust
Die schmerzlichen Seufzer steigen.
Die Tote setzt sich zu dem Mönch,
Sie schauen sich an und schweigen.


 angelottchen antwortete am 20.06.05 (08:39):

..bin ich froh, dass ich nicht die einzige Kunstbanausin bin :-) Einige Wagnerstücke, ja, wunderbar .. aber eine ganze Oper ? neee ...


Hatten wir schon die 3 Hexen aus Lady Macbeth? ..


Die drei Hexen, um den Kessel tanzend.

Erste Hexe:
Um den Kessel schlingt den Reihn,
Werft die Eingeweid' hinein.
Kröte du, die Nacht und Tag
Unterm kalten Steine lag,
Monatlanges Gift sog ein,
In den Topf zuerst hinein.

Alle Drei:
Rüstig! Rüstig! Nimmer müde!
Feuer, brenne! Kessel, siede!

Erste Hexe:
Schlangen, die der Sumpf genährt,
Kocht und zischt auf unserm Herd.
Froschzehn thun wir auch daran,
Fledermaushaar, Hundeszahn,
Otterzungen, Stacheligel,
Eidechspfoten, Eulenflügel,
Zaubers halber, werth der Müh,
Sied' und koch' wie Höllenbrüh.

Alle:
Rüstig! Rüstig! Nimmer müde!
Feuer, brenne! Kessel, siede!

Erste Hexe:
Thut auch Drachenschuppen dran,
Hexenmumien, Wolfeszahn,
Des gefräß'gen Seehunds Schlund,
Schierlingswurz, zur finstern Stund
Ausgegraben überall!
Judenleber, Ziegengall,
Eibenzweige, abgerissen
Bei des Mondes Finsternissen.
Türkennasen thut hinein,
Tartarlippen, Fingerlein
In Geburt erwürgter Knaben,
Abgelegt in einem Graben!
Mischt und rührt es, daß der Brei
Tüchtig, dick und schleimig sei.
Werft auch, dann wird's fertig sein,
Ein Gekrös vom Tiger drein.

Alle:
Rüstig! Rüstig! Nimmer müde!
Feuer, brenne! Kessel, siede!

Erste Hexe:
Kühlt's mit eines Säuglings Blut,
Dann ist der Zauber fest und gut.

Zweite Hexe:
Geister, schwarz, weiß, blau und grau,
Wie ihr euch auch nennt,
Rührt um, rührt um, rührt um,
Was ihr rühren könnt!


 Enigma antwortete am 21.06.05 (08:34):

...da haben die Hexen ja was Tolles zusammengebraut.:-)

Und jetzt muss nochmal ein Vampir her....

Charles Baudelaire

Der Vampir

O du, die wie der Todesstreich
Tief in mein stöhnend Herz gedrungen;
O du, die einem Dämon gleich,
Von wildem Übermut bezwungen,

Gekommen ist, in meinem Sinn
Zu herrschen und sich einzubetten;
- Du Schmach , der ich verhaftet bin,
So wie der Sträfling seinen Ketten,

So wie der Spieler seiner Sucht,
So wie der Trinker seinem Glase,
So wie die Made ihrem Aase,
- Verflucht bist du, du bist verflucht!

Den raschen Dolch hab ich beschworen,
Daß er die Freiheit mir erzwingt,
Das Gift hab ich umsonst erkoren,
Daß es dem Feigling Hilfe bringt.

Ach! Gift und Dolch mich nur verlachen,
Verächtlich sprechen alle zwei:
"Du bist nicht wert, dich freizumachen
Von so verwünschter Sklaverei,

Du Tor! - wenn dich von diesen Schrecken
Einst auch erlöste unsre Kraft,
So würde deine Leidenschaft
Noch deines Vampyrs Leiche wecken!"


 Marina antwortete am 21.06.05 (09:54):

Angelottchen, wer Wagner nicht liebt, ist keine Kunstbanausin, solange er andere Komponisten bevorzugt. :-)

Der Zauberlehrling
Johann Wolfgang Goethe

Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.

Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm, du alter Besen,
Nimm die schlechten Lumpenhüllen!
Bist schon lange Knecht gewesen:
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf!

Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder!
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!

Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! -
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!

Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen!
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach, und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein!


 Marina antwortete am 21.06.05 (09:55):

Fortsetzung:

Nein, nicht länger
Kann ichs lassen:
Will ihn fassen!
Das ist Tücke!
Ach, nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!

Willst am Ende
Gar nicht lassen?
Will dich fassen,
Will dich halten
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten!
Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
Stehn in Eile
Schon als Knechte
Völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Und sie laufen! Naß und nässer
Wirds im Saal und auf den Stufen:
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.

"In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen!
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister."


 angelottchen antwortete am 21.06.05 (10:09):

Ach, na mit den Fans von Wagner ist es ähnlich wie mit den Fans vom ollen Goethe: Wer sich anmasst, nur bestimmte Werke oder einzelne Stücke zu mögen und vieles der Meister als langweilig oder anstrengend bezeichnet, der ist schon gleich unten durch :-)

Man kann Wagner und Verdi gleichermassen mögen - und sich auch an Gluck, Grieg oder Rachmaninov, Bach oder Beethoven erfreuen :-)

beim Suchen weiterer passender Verse bin ich auf die Lösung des Faustschen Hexen 1 x 1 gestossen:

Das Hexeneinmaleins
Lösung)

Du mußt versteh'n, aus Eins mach Zehn.
Die Zwei lass geh'n.
Die Drei mach gleich,
===
Also kommt in die erste Reihe: 10, 2, 3
===
So bist du reich.
===
Reich an Wissen, denn man weiß jetzt schon:
die Summe muß immer 15 ergeben.
===
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex,
Mach Sieben und Acht,
===
Die zweite Reihe muss also heissen: 0, 7, 8 -
und siehe da, die Summe ist wieder 15.
===
So ist's vollbracht:
===
Es ist erst fast vollbracht, aber man hat jetzt alles zusammen, um die dritte und letzte Reihe zu erstellen: die "verlorene Vier" taucht wieder auf, sodaß sich 5, 6, 4 ergibt. Die Summe ist wieder 15.
===
Und Neun ist Eins,
===
Diese neun Felder ergeben ein magisches Quadrat...
===
Und Zehn ist keins.
===
...und magische Quadrate mit zehn Feldern gibt es nicht.
===
Das ist das Hexen-Einmaleins!
10 + 2 + 3 = 15
0 + 7 + 8 = 15
5 + 6 + 4 = 15
---------------
15 15 15


 Enigma antwortete am 22.06.05 (08:47):

...schön, jetzt kennen wir auch das Hexen-Alphabet. :-)

Christian Fürchtegott Gellert
Das Gespenst

Ein Hauswirt, wie man mir erzählt,
Ward lange Zeit durch ein Gespenst gequält.
Er ließ, des Geists sich zu erwehren,
Sich heimlich das Verbannen lehren;
Doch kraftlos blieb der Zauberspruch.
Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren,
Und gab, in einem weißen Tuch,
Ihm alle Nächte den Besuch.

Ein Dichter zog in dieses Haus.
Der Wirt, der bei der Nacht nicht gern allein gewesen,
Bat sich des Dichters Zuspruch aus,
Und ließ sich seine Verse lesen.
Der Dichter las ein frostig Trauerspiel,
Das, wo nicht seinem Wirt, doch ihm sehr wohl gefiel.

Der Geist, den nur der Wirt, doch nicht der Dichter sah,
Erschien, und hörte zu; es fing ihn an zu schauern;
Er konnt es länger nicht, als einen Auftritt, dauern:
Denn, eh der andre kam, so war er nicht mehr da.
Der Wirt, von Hoffnung eingenommen,
Ließ gleich die andre Nacht den Dichter wiederkommen.
Der Dichter las, der Geist erschien;
Doch ohne lange zu verziehn.
Gut! sprach der Wirt bei sich, dich will ich bald verjagen;
Kannst du die Verse nicht vertragen?

Die dritte Nacht blieb unser Wirt allein.
Sobald es zwölfe schlug, ließ das Gespenst sich blicken.
Johann! fing drauf der Wirt gewaltig an zu schrein,
Der Dichter (lauft geschwind!) soll von der Güte sein,
Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken.
Der Geist erschrak, und winkte mit der Hand,
Der Diener sollte ja nicht gehen.
Und kurz, der weiße Geist verschwand,
Und ließ sich niemals wieder sehen.
Ein jeder, der dies Wunder liest,
Zieh sich daraus die gute Lehre,
Daß kein Gedicht so elend ist,
Daß nicht zu etwas nützlich wäre.
Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut!
So kann uns dies zum großen Troste dienen.
Gesetzt, daß sie zu unsrer Zeit
Auch legionenweis erschienen:
So wird, um sich von allen zu befrein,
An Versen doch kein Mangel sein.


 Enigma antwortete am 28.06.05 (17:29):

Der Zauberer und der Frosch

Nachdenklich schritt ein Zaubrer auf und ab:
"Was nützt denn sonst ein Zauberstab?
Es gilt ja bloß zu wünschen, nur zu handeln;
In einen Engel will ich diesen Frosch verwandeln."

Er schwang den Stock, rief "Abrada",
Und fertig stand der Engel da.
Himmlisch und hehr, beschwingt mit Flügeln,
Und länger konnt er seine Leidenschaft nicht zügeln.

Er baut ihr einen Tempel und Altar
Und bot ihr knieend Weihrauch dar.
Den Weihrauch ließ sie liegen -
Und schnappte Fliegen.

Der Zaubrer lachte: "So wars nicht gemeint.
Ein Lurch gibt keine Lerche, wie es scheint.
Wir wollen uns beeilen,
Den Frosch zu heilen."

Zum Zauberstocke griff er unverwandt.
O weh, den hatte sie verbrannt!
Was blieb ihm nun von seinen Zauberschnaken
Als mitzuquaken?

Internet-Tipp: https://www.berliner-lesezeichen.de/lesezei/Blz00_10/text9.htm


 marie2 antwortete am 28.06.05 (22:53):

Die Brück' am Tay

"Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
"Um die siebente Stund', am Brückendamm."
"Am Mittelpfeiler."
"Ich lösch die Flamm'."
"Ich mit."
"Ich komme vom Norden her."
"Und ich vom Süden."
"Und ich vom Meer."

"Hei, das gibt ein Ringelreihn,
und die Brücke muß in den Grund hinein."
"Und der Zug, der in die Brücke tritt
um die siebente Stund'?"
"Ei, der muß mit."
"Muß mit."
"Tand, Tand
ist das Gebild von Menschenhand."

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu,
sehen und warten, ob nicht ein Licht
übers Wasser hin "ich komme" spricht,
"ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
ich, der Edinburger Zug."

Und der Brückner jetzt: "Ich seh einen Schein
am andern Ufer. Das muß er sein.
Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
unser Johnie kommt und will seinen Baum,
und was noch am Baume von Lichtern ist,
zünd alles an wie zum heiligen Christ,
der will heuer zweimal mit uns sein, -
und in elf Minuten ist er herein."

Und es war der Zug. Am Süderturm
keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
und Johnie spricht: "Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
die bleiben Sieger in solchem Kampf,
und wie's auch rast und ringt und rennt,
wir kriegen es unter: das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück';
ich lache, denk ich an früher zurück,
an all den Jammer und all die Not
mit dem elend alten Schifferboot;
wie manche liebe Christfestnacht
hab ich im Fährhaus zugebracht
und sah unsrer Fenster lichten Schein
und zählte und konnte nicht drüben sein."

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu;
denn wütender wurde der Winde Spiel,
und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,
erglüht es in niederschießender Pracht
überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.

"Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
"Um Mitternacht, am Bergeskamm."
"Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm."
"Ich komme."
"Ich mit."
"Ich nenn euch die Zahl."
"Und ich die Namen."
"Und ich die Qual."
"Hei!
Wie Splitter brach das Gebälk entzwei."
"Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand"

Theodor Fontane


 Enigma antwortete am 29.06.05 (07:23):


Fronleichnams-Umgang


Sie gehen um, sie gehen um,
Verstorbener Jahrhunderte
Nacht-Trug-Gespenster gehen um,
Sie leben nicht, sie atmen nicht
Und spotten uns ins Angesicht.


Franz Grillparzer
(1791-1872)


 mmargarete01 antwortete am 30.06.05 (19:03):

Das Elfenreich

Wenn Elfen in die Elfenschule gehen,
erzählt die älteste Elfe von den Menschen.
Vor langer Zeit konnten die Menschen uns sehen.
Da sie den Wald nicht pflegten,
alles nicht säuberten, verstanden wir sie nicht.
Die Elfen versammelten sich,
riefen zur Ordnung auf,
das war im Elfenreich so Brauch.
Sie holzten gesunde Bäume, da gab es kein verstehen.
Wir wurden unsichtbar für den Menschen.
Sie konnten keine Elfen im Wald sehen,
nicht sichtbar, geistern wir durch die Wälder,
wir hüten unsere Märchenwälder.
Jede Elfe trägt ein anderes durchsichtiges Gewand,
die Flügel sind wie ein schimmernder Hauch,
wenn sie müde werden, schlafen sie im höchsten Baum.
Nie wieder werden Menschen Elfen sehen,
die Wälder werden ohne den Fleiß der Elfen untergehen.

Margret Nottebrock


 Enigma antwortete am 01.07.05 (07:53):

Friedrich Rückert
Elfen-Rätsel

Die Elfen sitzen im Felsenschacht,
vertreiben mit Reden die lange Nacht.
Sie legen sich lustig Rätsel vor,
die, wenn sie nicht Gold sind, doch klingen im Ohr.
Und wie ein Windzug dazwischen geht,
so sind samt der Elfen die Rätsel verweht. -
Welch Gold entstammt dem Erdschacht nicht?
Ich hörte vom goldenem Sonnenlicht.
Wer borgt sein Silber von fremdem Gold?
Der Mond, der ob unsern Häuptern rollt.
Wo quillt die Trän' aus härtester Brust?
Der Quell im Fels ist mir wohl bewußt.
Wo strömt ein Strom, da kein Strombett ist?
Der Regenstrom, der in Lüften fließt.
Wo ist auf dem Fluß die breiteste 'Brück?
Das Eis ist gebaut aus einem Stück.
Die Flut, die im stetesten Takt sich bewegt?
Das Blut, daß im Herzen des Menschen schlägt.
Wer trauert in seinem buntesten Kleid?
Das ist der Baum zu des Herbstes Zeit.
Wer hat tausend Augen und sieht sie nicht?
Der Strauch, der sie treibt und weiß es nicht.
Wer sah nie von innen sein eigenes Haus?
Die Schnecke, und kommt doch niemals heraus.
Wo hat man den kleinsten zum König gemacht?
Der Zaunkönig wird ausgelacht.
Wo tritt der Schwache den Starken nieder?
Den Erdboden des Menschen Glieder.
Was ist stärker als der Erdengrund?
Das Eisen, dass es macht ihn wund.
Was ist stärker als Eisen und Stahl?
Das Feuer schmelzt sie allzumal.
Was ist stärker als Feuersglut?
Die feuerlöschende Wasserflut.
Was ist stärker als Flut im Meer?
Der Wind, der sie treibt hin und her.
Und was ist stärker als Wind und Luft?
der Donner; sie zittern, wenn er ruft.
Wer ist mächtiger als der Tod?
Wer da kann lachen, wenn er droht.
Und wer, wenn die Erde bebt, kann stehn?
Wer nicht fürchtet unterzugehn.
Warum fließt das Wasser den Berg nicht hinauf?
Weils bergunter hat leichteren Lauf.
Warum trägt Kürbse der Eichbaum nicht?
Daß sie dir nicht fallen aufs Angesicht.
Wozu hat der Gaul viel Füße empfahn`
Damit er mit vieren stolpern kann.
Und warum sind die Fische stumm?
Weil sie sonst würden reden dumm.
Wer löset alle Rätsel auf?
Wer immer was weiß, was sich reimet drauf.
Und warum schweig' ich jetzo still?
Weil ich nichts weiter hören will.


 marie2 antwortete am 01.07.05 (11:21):

Das alizarinblaue Zwergenkind

Nein, was hab ich gelacht!

Da kommt doch diese Nacht
Ein kleinwinziges Zwergenkind
Aus dem Bücherspind
Hinter Kopischs Gedichten hervor
Und krebselt an meinem Schreibtisch empor.

Trippelt ans Tintenfaß:
"Was ist denn das?"
Stippt den schneckenhorndünnen Finger hinein,
Leckt,- "Ui, fein!"
Macht halslang, guckt dumm
Nochmal in der ganzen Stube rum,
Gottseidank, allein!

Zwergenvater begegnet sich selber im Mondenschein,
Mutti, um was Gescheiteres anzufangen,
Is e bissel spuken gegangen.

Da knöpft es sein Wämschen ab,
Hemd runter, - schwapp!
Spritzt's ins Tintenbad hinein,
Taucht, plantscht, wischt die Augen rein,
Pudelt
Und sprudelt,
Nimmt's Mäulchen voll,
Prustet ein Springbrunn hoch zwei Zoll,
Streckt's Füßchen raus, schnalzt mit den Zeh'n,
Taucht, um mal auf'n Kopf zu stehn, -

Endlich Schluß der Bade-Saison!
Klettert raus, trippelt über meinen Löschkarton,
Schuppert sich, über und über pitsche-patsche-naß,
"Brr, wie kalt war das!"
Ist selig, wie es sie zugesaut,
Und kriegt eine alizarinblaue Gänsehaut.

Nun trocknet sich's auf dem Löschpapier,
Probiert dort und hier,
Was da für'n feines Muster bleibt, -
Als ob einer, der schreiben kann, schreibt!
Ein Fußtapf, - wie 'ne Bohne beinah!
Ein Handklitsch, - alle fünf Finger da!

Nun die Nase aufgetunkt,
Lacht schrecklich: Ein richtiger Punkt,
Ein Punkt!

Wo's aber gesessen hat
Auf dem roten Blatt, -
Wie's da hinguckt,
Da hat's ein Dreierbrötchen gedruckt,
Ein kleinwinziges zweihälftiges Dreierbrot,
Blau auf rot!

Erst lacht's. Dann schämt sich's. Und dann
So schnell es kann
Am Tischbein runter,
Durch den Mondenschein
In Schrank hinein!

Ein Weilchen noch hinter den Büchern her
Hörte ich's piepsen und heulen sehr,
Hat so arg geschnieft und geschluckt,
Weil es das - Dreierbrötchen da hingedruckt!

Börries Freiherr von Münchhausen

Ich musste noch in der Schule viele Gedichte auswenig lernen, das gehörte in der Grundschule zu meinen Lieblingsgedichten.


 Enigma antwortete am 01.07.05 (12:16):

@marie2
das habe ich auch vor längerer Zeit mal gelesen, aber halb vergessen gehabt. Dabei ist es einfach bezaubernd. Danke.
:-)
Und natürlich auch Danke an Margret Nottebrock...


HEXENTANZPLATZ

Else Lasker-Schüler (1876-1945)
Mein Tanzlied

Aus mir braust finstre Tanzmusik.
Meine Seele kracht in tausend Stücken;
Der Teufel holt sich mein Mißgeschick
Um es ans brandige Herz zu drücken.

Die Rosen fliegen mir aus dem Haar
Und mein Leben saust nach allen Seiten,
So tanz ich schon seit 1000 Jahr,
Seit meinen ersten Ewigkeiten.


 Enigma antwortete am 04.07.05 (07:18):

Waldgeist

Was ist das für ein Klagelaut
im totenstillen Winterwald -
ganz nahe bald, ganz ferne bald -
dass es mich schier ein wenig graut?

Ich bleibe stehn und horche lang -.
Ein Schweigen, tiefer als das Grab.
Und weiter setz' ich meinen Stab, -
und wieder klagt die Stimme bang.

Bis ich entdecke, es ist just
mein Stock, von dem dies Singen geht,
wenn meine Hand ihn unbewusst
im feuchten Schnee der Straße dreht.

Und weiter, wie der Weg mich weist,
verfüg' ich mich nach kurzer Rast
und fühle mich nun selber fast
als dieses Walds verwunschnen Geist.
Christian Morgenstern


 Enigma antwortete am 06.07.05 (09:09):


Eduard Mörike
Elfenlied

Bei Nacht im Dorf der Wächter rief:
Elfe!
Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief -
wohl um die Elfe! -
und meint, es rief ihm aus dem Tal
bei seinem Namen die Nachtigall,
oder Silpelit hätt' ihm gerufen.
Reibt sich der Elf' die Augen aus,
begibt sich vor sein Schneckenhaus
und ist als wie ein trunken Mann,
sein Schläflein war nicht voll getan,
und humpelt also tippe tapp
durchs Haselholz ins Tal hinab,
schlupft an der Mauer hin so dicht,
da sitzt der Glühwurm, Licht an Licht.
»Was sind das helle Fensterlein?
Da drin wird eine Hochzeit sein:
die Kleinen sitzen beim Mahle
und treiben's in dem Saale.
Da guck' ich wohl ein wenig 'nein!«
- Pfui, stößt den Kopf an harten Stein!
Elfe, gelt, du hast genug?
Gukuk! Gukuk!


 Enigma antwortete am 07.07.05 (06:49):

Eduard Mörike (1804-1875)
Schiffer- und Nixen-Märchen
III. Zwei Liebchen

Ein Schifflein auf der Donau schwamm,
Drin saßen Braut und Bräutigam,
Er hüben und sie drüben.
Sie sprach, Herzliebster, sage mir,
Zum Angebind was geb ich dir?
Sie streift zurück ihr Ärmelein,
Sie greift ins Wasser frisch hinein.
Der Knabe, der rät gleich also,
Und scherzt mit ihr und lacht so froh.
Ach, schöne Frau Done, geb sie nur
Für meinen Schatz eine hübsche Zier!
Sie zog heraus ein schönes Schwert,
Der Knab hätt lang so eins begehrt.
Der Knab, was hält er in der Hand?
Milchweiß ein köstlich Perlenband.
Er legts ihr um ihr schwarzes Haar,
Sie sah wie eine Fürstin gar.
Ach, schöne Frau Done, geb sie mir
Für meinen Schatz eine hübsche Zier!
Sie langt hinein zum andernmal,
Faßt einen Helm von lichtem Stahl.
Der Knab vor Freud entsetzt sich schier,
Fischt ihr einen goldnen Kamm dafür.
Zum dritten sie ins Wasser griff:
Ach weh! da fällt sie aus dem Schiff.
Er springt ihr nach, er faßt sie keck,
Frau Done reißt sie beide weg:
Frau Done hat ihr Schmuck gereut,
Das büßt der Jüngling und die Maid.
Das Schifflein leer hinunterwallt;
Die Sonne sinkt hinter die Berge bald.
Und als der Mond am Himmel stand,
Die Liebchen schwimmen tot ans Land,
Er hüben und sie drüben.


 Enigma antwortete am 09.07.05 (09:22):



Das Nixchen

Ein armes Nixchen taucht' empor,
Ihr war das Herz so wund,
Und ängstlich lauschte sie hervor,
Nichts Liebes that sich kund.
Sie sieht und seufzt und forscht und singt,
Es ward ihr gar zu weh;
So munter drein das Vöglein klingt,
Will sterben in dem See.

Und sieh, beim frohen Lerchensang,
Wie Morgenrosen schön,
Der Jüngling durch die Blüthen drang,
Gar wonnig anzusehn.
Das bleiche Nixchen wurde roth
Und bald dann wieder bleich,
Und weint' in ihrer Liebesnoth,
Und lächelte zugleich.

Doch bald erhob sie schön und hell
Den starken Zaubersang,
Die Wellen kamen leicht und schnell
Und tanzten nach dem Klang.
Es hatte sich der Sang so mild
An Alles angeschmiegt,
Und ruhig lag das schöne Bild
In Schlummer eingewiegt.

Und sachte aus der blauen Bahn
Wundherzchen pochte laut,
Schlich zum Geliebten sich heran,
Versunken ihn beschaut;
Und seltsam wunderlich ihr ward,
Als sei's ein schöner Traum,
Es lockt das Kinn, so weiß und zart,
Der Lippen Rosensaum.

Und auf des Jünglings Lippen zog
Ein lieblich Lächeln her,
Und lauter ward der Brust Gewog,
Wie wenn's ein Seufzer wär'.
Es lächelte so trüblich hold
Die Maid in seinen Traum,
Das Auge bald sie küssen wollt',
Und bald der Lippen Saum.

Doch wie sie hingebeugt noch zagt,
Des Träumers Odem trinkt,
Die Lippen nicht zu rühren wagt,
Im Blicke ganz versinkt,
Ein Mädchen durch die Blüthen dringt,
Die Zither lieblich stimmt,
Und munter zu dem Jüngling springt.
In'n schönen Arm ihn nimmt.

Das arme Nixchen sehen muß
In ihres Seees Grab,
Wie einen kühnen lauten Kuß
Die Braut dem Träumer gab,
Wie er sie dann so süß umschlang,
An ihren Blicken hing,
Und bei der Zither munterm Klang
Mit ihr von dannen ging.

Das Nixchen ward nun wieder bleich,
Ihr Weinen lange währt,
Ihr schönes stilles Freudenreich
War ihr so schnell zerstört.
Die Blumen standen noch am Strand
Und sahn so munter her,
Doch sie, die ganz verarmte, fand
Den Jüngling nimmer mehr.

Und in den Berg sie scheidend geht,
Verstopft des Seees Quell,
Und trüb begrünt das Wasser steht,
Voreinst so blau und hell.
Und See und Nixchen war nun todt,
Der Ort blieb leer und wüst,
Nur blühten Blumen rosenroth,
Wo Blumen sich geküßt.
(Helmina von Chézy)


 Enigma antwortete am 10.07.05 (11:03):

Josef Guggenmoos: Rabulan, der Riese

Rabulan, der Riese
ißt so gern Gemüse.
Er sagt: "Gemüse ist gesund!"
und verzehrt aus diesem Grund
täglich einen Haselstrauch
und ein Fuder Rüben auch.
einen Kürbis obendrein;
denn er will bei Kräften sein.
Bei Ferdinand und Lieschen
tun's auch Äpfel, Salat und Radieschen!


 Enigma antwortete am 12.07.05 (08:51):

aus: Klaus Reichert (Hrsg.): The best of H. C. Artmann, Suhrkamp '70

H. C. Artmann: oh, diese bösen männer im gaslicht

herr doktor jekyll
und misterchen hyde,
stehen im zimmer
und wechseln das kleid.
heavens! das gaslicht,
wie brennts heut so trüb,
und auch der vollmond
blickt keineswegs lieb.
horcht nur, da tappt was
die strasse entlang -
ein monster im gehrock,
das macht mir so bang.
drüben vom tower
da schlägts eben zwei
heavens! was lauert
dort unten am kai?
ach, mistress betsy
kehrt heim durch die nacht,
die sie in kneipen,
tingel-tangels verbracht.
und aus den schatten
tritts mächtig heraus,
sticht mistress betsy
das lebenslicht aus.
einmal ist keinmal,
zweimal doch viel,
und mit dem dolche
erreicht es sein ziel.
ja, gar manche dame
schrie schrill polizei,
doch herr mister hyde,
der fand nichts dabei.
dunkel die maske
wie schwärzeste nacht,
dahinter ein antlitz,
das hämisch verlacht
was redlichen leuten
für leben und gut
vom staate ersonnen
in codices ruht.
und über den dächern
des großen paris
schwebt ein verhängnis,
das manchesmal bis
in die kanäle
und kloaken sich senkt,
wenn kommissar juve
es am wenigsten denkt.
und auch fandor trifft
ein seltsamer graus,
trägt man entleibte
aus villen heraus.
indes im atlantik
mit federndem schritt
tanzt fantomas offen
bei bordbällen mit
und milady beltham,
sein schöner kumpan,
lacht golduhrbehängte
finanzmänner an.
das aug der guillotine
verdrossen starrt,
weil es ohne hoffnung
auf fantomas harrt!
herr über messer
und seife zu sein,
dünkt die rasierer
von london gar fein.
so auch sweeney todd.
er war von beruf
der schlimmste barbier,
den der teufel erschuf.
er war in fleet-street,
good lord, etabliert,
es hatten viel opfer
zu ihm sich verirrt.
jahre durch kehrten
die kunden dort ein,
doch kehrt keiner wieder,
wie mochte das sein?
die sonne geht unter,
der mond der geht auf,
im keller da wachsen
die leichen zu hauf.
die pflege der barttracht
beachten man tut,
wie den neuen raglan
oder seidenen hut.
gestuhlt und beseift
saß da mancher herr
in sweeneys laden
und hüstelte sehr
wenn ihm der meister
nach getaner rasur
mit seiner klinge
die kehle durchfuhr.


 Marina antwortete am 12.07.05 (22:04):

Gesang der Geister
über den Wassern

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.
Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

Johann Wolfgang von Goethe


 Marina antwortete am 15.07.05 (10:15):

Das Riesenspielzeug

Burg Nideck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vorzeiten die Burg der Riesen stand;
sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.

Einst kam das Riesenfräulein aus jener Burg hervor,
erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Tor
und stieg hinab den Abhang bis in das Tal hinein,
neugierig zu erkunden, wie's unten möchte sein.

Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald,
erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald,
und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld
erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.

Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut,
bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut;
es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar,
es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar.


"Ei! artig Spielding!" ruft sie, "das nehm' ich mit nach Haus!"
Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus
und feget mit den Händen, was sich da alles regt,
zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammenschlägt,

und eilt mit freud'gen Sprüngen, man weiß, wie Kinder sind,
zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind:
“Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön!
So Allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höh'n."

Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein,
er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein:
“Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei?
Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei."

Sie spreitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an,
den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann;
wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut,
so klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut.

Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht:
“Was hast du angerichtet? Das ist kein Spielzeug nicht!
Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin,
der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn?

Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot;
denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot;
es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,
der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor

Burg Nideck ist im Elsaß der Sage wohl bekannt,
die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;
sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
und fragst Du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.

Adalbert von Chamisso


 Enigma antwortete am 15.07.05 (10:19):

Danke Marina,
ich habe auch noch "was Schauriges" gefunden.:-))

A. K. Tolstoi:
Gedicht aus der Novelle 'Der Vampir'
Der Uhu packte die Fledermaus,
Zerfleischt ihren Leib mit den Krallen.
Der Ritter Ambrosius reitet zu Gast'
Zum Nachbarn mit seinen Vasallen.
Zwar fest ist das Burgtor, viel Riegel davor,
Doch den Gästen öffnet die Wirtin das Tor.

"Nun, Martha, zeig' uns: wo schläft dein Mann?
Dur erbleichst? Du zitterst vor Schrecken?
Am Schlosse strömt gurgelnd die Donau vorbei,
die Nacht wird die Bluttat bedecken.
Sei getrost! Aus dem Grab steht der Tote nicht auf.
Was geschehn muß, geschehe - führ uns hinauf."

Am Schlosse strömt gurgelnd die Donau vorbei,
Das Wasser glänzt über den Steinen.
Die Tat ist vollbracht, der Alte ist tot,
Ambrosius zecht mit den Seinen.
Mit ihm sitzt die sündige Gräfin beim Mahl.
Auf blutiger Flut spielt des Mondes Strahl.

Am Schlosse strömt gurgelnd die Donau vorbei.
Die Flammen zucken und beben.
Ambrosius ruft: "Ans Werk! Schlagt zu!
Und laßt mir keinen am Leben!
Seid fröhlich, Frau Gräfin, was fällt Euch denn ein?
Ließt selbst ja die lustigen Gäste herein!"
-
Die gurgelnde Donau spiegelt das Schloß,
Schon halb von den Flammen verschlungen,
Ambrosius spricht zu der plündernden Schar:
"Wir müssen nach Haus, meine Jungen!
Seid fröhlich, Frau Gräfin, was fällt Euch denn ein?
Ließt selbst ja die lustigen Gäste herein."

Es dröhnt über Marthas Haupte der Fluch
Des Gatten. Er rief es im Sterben:
"Verflucht seist du und dein ganzes Geschlecht!
Mein Fluch soll sich weiter vererben!
Eure Liebe werde zu Grauen und Wut!
Die Großmutter sauge der Enkelin Blut!

Verflucht seist du und dein ganzes Geschlecht!
Nicht werd' es befreit aus den Banden,
Als bis sich das Bild dem Gatten vermählt,
die Braut aus dem Grab auferstanden,
Und das letzte Opfer sündiger Glut
Mit zerschmettertem Schädel daliegt im Blut!"

Der Uhu erfaßte die Fledermaus,
Zerfleischt ihr den Leib mit den Krallen.
Von rauchenden Trümmern reitet hinweg
Ambrosius mit seinen Vasallen.
"Seid fröhlich, Frau Gräfin, was fällt Euch denn ein?
Ließt selbst ja die lustigen Gäste herein."

A.K. Tolstoi war meines Wissens ein Vetter von Leo T.


 Marina antwortete am 15.07.05 (17:30):

Huh ist das schaurig, Enigma. :-)Jetzt kommt was Harmloseres.

Das Gespenst

Wieso sahst nie du ein Gespenst?
Weil du es nur nicht richtig kennst?
Weil du es Nacht für Nacht verpennst?
Weil es die Geisterstunde schwänzt?

Pst, pst! Wenn du es wirklich liebst,
Punkt zwölf zum Lokus dich begibst,
dann laß die Lampe ausgeknipst:
Horch! Wie’s im Spülungskasten piepst!

Aus: Füchse, Fez & Firlefanz (mit Bildern von Klaus Ensikat)
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 1992


 Marina antwortete am 16.07.05 (21:38):

Ein Riese hatte Riesenhände

Eine Riese hatte Riesenhände,
den Riesenkopf mit Riesenmund.
Natürlich lauter Riesenfinger.
Und Haar - tuschkastenbunt.
Nur eines war nicht riesengroß:
Die Nase war ihm menschenklein.
Und juckte es in ihr, da paßten
die großen Finger nicht hinein.
Das fand der Riese sehr gemein.


Lutz Rathenow
Aus: Der Himmel ist heut blau


 schorsch antwortete am 16.07.05 (22:13):

Zum Thema "Nasenbohren":

Das Säugetier

Kaum ist der kleine Mensch geboren,
lässt er uns nicht ungeschoren;
von morgens vier bis abends acht,
demonstriert er seine Macht.
Erst beherrscht er seine Mutter,
schreit nach Milch und anderem Futter
und kann so, mit stetem Schreien,
junge Eltern schon entzweien.
Später dann im Flegelalter,
nützt kein Fluchen mehr noch Psalter,
nützen Märchen nichts noch Fabeln;
der Mensch beginnt, sich abzunabeln.
Und statt seine Eltern ehren,
tut er meistens dies verkehren;
grunzt und rülpst, wäscht nicht die Ohren,
und tut stattdessen - Nasen bohren.
Ja, man merkt`s mit Schaudern schier:
der Mensch ist halt ein Säu-Getier!


Schorsch, alias Georg von Signau


 Enigma antwortete am 17.07.05 (17:43):

Danke für das Gespenst, den Riesen und das Säugetier. :-)

Das Verwunschene Schloss

Inmitten einer lieblichen Au,
Die kristallenes Licht übergoß,
Stand ehemals ein stolzer Bau,
Ein strahlend schönes Schloß.
Das Reich, wo es sich luftig erhob,
War des Königs »Gedanke« Land,
Und Seraphschwingen waren darob
Unsichtbar ausgespannt.
Goldgelbe Banner aus Damast
Wallten in Sonnenglut
Herab vom schimmernden Palast
Wie eine goldene Flut.
Und jeder schmeichlerische Zephyr,
Der mit den Blüten dort
Gekost, flog aus dem Zauberrevier
Als Wohlgeruch wieder fort.
Die Wanderer blickten in jenem Tal
Durch Fenster aus leuchtendem Glas
In einen hohen, blendenden Saal,
Wo des Reiches Gebieter saß.
Sein Thron war ganz aus edlem Gestein
Mir purpurnem Baldachin;
Davor schlangen Genien einen Reih'n
Zu Harfenmelodien.
Mit Perlen und Rubinen besät
War des Palastes Portal,
Durch dieses flatterten früh und spät
Echoschwärme ohne Zahl
Vor den König hin und sangen ihm
Mit Stimmen süß und leis
Einen Chorus wie von Seraphim
Zu immerwährendem Preis.
Doch wüstes Volk in der Sorge Gewand
Nahm Thron und Reich in Beschlag.
Weh, nie mehr dämmert in jenem Land
Der Tag, weh, nimmer ein Tag!
Und alles, alles, was dort umher
Je prangte an Herrlichkeit,
Ist nur eine traumhafte Mär
Aus längst vergessener Zeit.
Jetzt zeigen sich des Wanderers Blick
Gestalten knöchern und starr
Und schwingen sich zu toller Musik
In Reigen wild und bizarr.
Dieweil gleich einem lautlosen Strom
Sich in die ewige Nacht
Zur Tür hinausstürzt Phantom um Phantom
Und nimmermehr lächelt – doch lacht!

(Edgar Allan Poe)


 Marina antwortete am 18.07.05 (21:38):

Es freit ein wilder Wassermann
in der Burg wohl über dem See.
Des Königs Tochter wollt er han,
Die schöne junge Lilofee.

Sie hörte drunten Glocken gehn
Im tiefen, tiefen See,
Wollt' Vater und Mutter wiedersehn,
Die schöne, junge Lilofee.

Und als sie vor dem Tore stand
Auf der Burg wohl über dem See,
Da neigt sich Laub und grünes Gras
Vor der schönen, jungen Lilofee.

Und als sie aus der Kirche kam
Vor der Burg wohl über dem See,
Da stand der wilde Wassermann
Vor der schönen, jungen Lilofee.

"Sprich, willst du hinuntergehn mit mir
Von der Burg wohl über dem See?
Deine Kindlein unten weinen nach dir,
Du schöne, junge Lilofee.

"Und eh ich die Kindlein weinen laß
Im tiefen, tiefen See,
Scheid ich von Laub und grünem Gras,
Ich arme, junge Lilofee."

Gegend von Joachimsthal, 1813

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/UL4d54WI1


 Enigma antwortete am 19.07.05 (07:49):

Ja Marina, danke für den "Wilden Wassermann".
Komisch, im gleichen Moment habe ich dabei "die zwei Königskinder" assoziiert. Ob das am Wasser liegt?? :-))

aus: Hans Scheibner: Wahnwitz vom Feinsten, Rasch u. Röhring, '88
Hans Scheibner: Lied von den Hexen

Meine kleine Tochter hat mich gefragt:
"Papa, was ist eine Hexe?
Hexen sind böse, hat Wolfgang gesagt.
Papa, was ist eine Hexe?"
Eine Hexe... Wie soll ich es sagen dem Kind?
Hexen, die muß man verehren.
Weil Hexen gar keine Hexen sind.
Ich will es ihr anders erklären:
Wenn eine Frau so ist wie deine Mutter-
und vertraute auf ihren Verstand-
wenn eine Frau so war wie deine Mutter-
keinen Menschen mehr wert als den anderen fand;
wenn sie von niemandem sich sagen lassen wollte,
was sie denken oder was sie glauben sollte-
dann war sie eine Hexe, eine Teufelsschand.
SIE HÄTTEN DEINE MUTTER ALS HEXE
VERBRANNT!
Kein Mensch hat Gott je gesehen, mein Kind.
Aber einige behaupten es eben.
Und daß sie allein von Gott auserwählt sind,
sich über alle anderen zu erheben.
Und wollt eine Frau von dem Joch sich befrei'n,
nicht nur glauben, gehorsam und stumm-
dann war sie eine Hexe, da half ihr kein Schrein.
Sie brachten sie grauenvoll um!
Wenn eine Frau so ist wie deine Mutter-
lieber handelt als viel schwätzt-
wenn eine Frau so ist wie deine Mutter-
sich in Mutlangen vor das Raketenlager setzt-
weil sie meint: es darf kein Mensch sich schämen
sich das Recht, das ihm doch zusteht, auch zu nehmen,
dann wird sie auch noch heute- auch noch hierzuland-
eine Hexe, eine böse Emanze genannt!


 Marina antwortete am 20.07.05 (00:00):

Ich bin eine Nixe, sagt sie

Ich bin eine Nixe, sagt sie,
ich komm durch die Wasserleitung.
Meine Familie zog aus dem Süden
herauf in die Stadt.
Meine Familie wohnt in einem
Aufzug im achtzehnten Postbezirk.
wenn sie beim Frühstück sitzen,
tunkt immer der Zahnarzt aus dem zwölften Stock
seinen Mantel in ihren Kaffee.

Und sie sagt:
O Mann, o Mann, o Mann,
wie ich dich liebe!

Und im Stadtpark ist es so hell heut,
die Luft ist wie Silber.
Und Baby kriegt Eiskrem
und bekommt einen Erstickungsanfall.
Und eine kleine fliegende Kamera
macht Fotos von uns mit rosa Schleifchen.
Und der Brezelmann geht Pleite
vor unsern Augen.

Und sie sagt:
O Mann, o Mann, o Mann,
wie ich dich liebe!

Das sind vielleicht herrliche Zeiten, sagt sie,
für alles gibt es Gratisgutscheine.
Und gestern hab ich mich versichern lassen
gegen Todesangst und Melancholie.
Und alle haben jetzt Telefon im Auto,
eine Kreditkarte und eine Versicherungsnummer.
Und sogar die Polizisten
tragen Lebkuchenherzen im Haar.

Und sie sagt:
O Mann, o Mann, o Mann,
wie ich dich liebe!

Ich bin eine Nixe, sagt sie,
ich kann nicht ertrinken.
Aber immer, wenn ich Goldfische seh,
wird mir ganz furchtbar schlecht.
Und vielleicht bricht morgen der Frieden aus,
dann gehn wir ganz groß einen saufen.
Und vielleicht bricht er nicht aus,
aber das erfahrn wir dann schon.

© Martin Auer
Entstanden: 1993
Aus: Blues und Balladen. Gedichte. [Reihe Lyrik aus Österreich Bd.79]

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/64WF4FDJz


 Marina antwortete am 25.07.05 (17:52):

Das Kummergespenst

Durch die Pappeln glänzte der Vollmond schon.
Mit der Geißel zeigte der Postillon:
"Meine Herren, dort oben im Mondenschein
Die Mauer, die nennt man den Kummerstein.
Es geht eine Sage schaurig und graus
Darüber im Lande bei uns zu Haus.

Vor alten Zeiten, entschwunden längst,
Saß dort an der Straße ein stummes Gespenst.
Wer einmal demselben ins Auge gesehn,
Mußt selbigen Jahres zugrunde gehn.
Schlich traurig umher und härmte sich
Und weinte zuweilen bitterlich.
Warum? Ja was weiß ich, es steht nicht im Buch.
Es heißt, man behauptet, es war ein Fluch.
Die einen glaubens, die andern nicht.
's ist halt so ein Märchen, 's ist halt ein Gedicht."

Die Herrchen verlachten die alberne Mär.
Doch als nun die Mauer kam näher daher,
Da lief ob dem alten verspotteten Wahn
Ein heimliches Frösteln im Rücken sie an,
Indessen der Kutscher vor Angst und Not
Gespäßlein und Mätzlein zum besten bot.
Da sprang in den Acker der Sattelhengst -
Wahrhaftig, dort sitzt es, das Kummergespenst!
Was schaukelt es auf den Knien sein?
Des Kutschers lebendiges Töchterlein.
Das lachte gar lustig und wohlgemut.
Dem Vater gefror im Herzen das Blut.

Doch tröstlich der Geist jetzt zu reden begann:
"Habt Frieden! gelöst ist der böse Bann.
Der Kummer in meinem tödlichen Blick,
Er sang von verschollener Welten Geschick.
Weh jenem, der fühlend die Vorzeit begreift:
Sein Geist über Ströme von Tränen schweift.
Mit Blut bis zum Hals ist die Erde gedüngt,
Durch Kinder und Toren wird sie verjüngt.
Weißt, wie man dem Fluche den Dorn entreißt?
Schaff einen, der von dem Fluche nichts weißt.
Man darf, was verschmerzt ist, nicht schmerzen lan,
Ich aber will jetzo zur Rüste gahn."

Er sprachs und das Kindlein Gott empfahl,
Stieg nieder und seufzte zum letztenmal.

Carl Spitteler (1845 - 1924), Schweizer Dichter und Romanautor, Nobelpreis für Literatur 1919


 Enigma antwortete am 04.08.05 (08:00):

...die sind beide sehr schön, Marina. Danke. :-)

Die Nixe

War sie wohl eben jetzt aus dem Meer gestiegen?
Ihr Haar, ihre Lippen
Rochen bis morgens nach See,
Und wie das Meer war die Brust, die sich senkte und hob.
Ich weiß ja, sie war arm
- Bei ihrem Körper konnte man nicht grad'
von Arm-Sein sprechen -
Tief in mein Ohr, ganz leis, Sang sie mir Liebeslieder.
Was hatte sie nicht gesehn und gelernt
In ihrem Leben, das mit dem Meer engumschlungen verlief:
Netze flicken, Netze werfen, Netz einholen,
Angeln machen, Futter holen, Boote säubern.
Um mich an Stachelfisch zu erinnern,
Bohrte sie ihre Hände in meine.
Ich sah diese Nacht, ich sah es in ihren Augen,
Wie schön wohl der Tag auf offenem Meer erwacht!
Und ihre Haare lehrten die Woge mich kennen;
Ich schaukelte lange im Traume darin.

ORHAN VELI Kanik (1914-1950)

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Orhan_Veli


 Enigma antwortete am 10.08.05 (08:56):


Otto Julius Bierbaum
Die Juli-Hexen



(Der kleinen Sibylla Blei zum Lesen, wenn sie größer ist.)

'Der Mond trinkt an der Erde,
Komm heraus in die helle Nacht!'
"Wohin wollen wir gehen?"
'Auf die Waldwiese!
Auf die Waldwiese!'
"Was wollen wir denn dort machen?"
'Tanzen! Tanzen!'
"Mit wem denn?"
'Mit uns selber! Mit uns selber!.'
"Wenn aber der Waldteufel kommt?"
'Soll er mit tanzen! Soll er mit tanzen!'
"Aber wenn er nicht will?"
'Muß müssen! Muß müssen!'
"Kennt ihr ihn denn?"
'Freilich! Freilich!'
"Wie sieht er denn aus?"
'Ganz voller Haare!
Ganz voller Haare!'
"Und weiter nichts?"
'Oh ja: Bocksbeine! Und eine krumme Na-ase!'
"Hu! Wird er euch nicht beißen?"
'Fallt ihm net ein! Fallt ihm net ein!
Hat die kleinen Mädeln so gerne und spielt
Auf der Flöte!'
"Was denn?"
'Lauter schöne Lieder zum Lachen!'
"Und singt er auch?"
'Ja, wenn er heiße Augen hat.'
"Was denn?"
'Das dürfen wir nicht sagen!
Oh nein! Oh nein!'
"Ist es denn schlimm?"
'Oh nein! Oh nein!
Aber zu schön zum sagen.
So ... so ... so ... schön ...!'
"Was kichert ihr denn!"
'Weil du dumm bist, weil du dumm bist,
Weil du dumm bist und denkst,
Wir sagen dir, was der Waldteufel singt.'
"Werd ich mirs selber hören!"
'Du? Du? Du mit deinem Barte?
Dir singt er nicht,
Dich frißt er!'
"Ich kirr ihn mir schon!"
'Hörst du ihn?
Höre, höre, hör wie der Waldteufel lacht!
Wir kommen! Wir kommen!
In schlooweißen Hemden.
Wir ko-o-mmen!'
"Langsamer! Langsamer!
Springt nicht so schnelle!
Wo seid ihr! Wo seid ihr!"
'Kleb du im Bette!
Wir tanzen schon!'


 Enigma antwortete am 11.08.05 (08:27):

Georg Heym
Spitzköpfig kommt er...



Spitzköpfig kommt er über die Dächer hoch
Und schleppt seine gelben Haare nach,
Der Zauberer, der still in die Himmelszimmer steigt
In vieler Gestirne gewundenem Blumenpfad.

Alle Tiere unten im Wald und Gestrüpp
Liegen mit Häuptern sauber gekämmt,
Singend den Mond-Choral. Aber die Kinder
Knien in den Bettchen in weißem Hemd.

Meiner Seele unendliche See
Ebbet langsam in sanfter Flut.
Ganz grün bin ich innen. Ich schwinde hinaus
Wie ein gläserner Luftballon.

Georg Heym
(1887-1912)


 Enigma antwortete am 28.08.05 (18:31):

August Kopisch
Hexenbewirtung
Wo kommt der liebe Bote her? – Ich glaube von Schwerin,
Er stabelt durch den Eichenwald: da sieht er Hexen ziehn,
Erst eine, zweie dann, dann drei:
Dann hüpfen immer mehr herbei,
Flink, jung und wunderniedlich!
Auch duftets appetitlich.
Sie decken zupf! den runden Tisch
Und tragen Braten auf und Fisch
Und süßen Saft der Reben.
Heidi! das wird ein Leben!
Und alles im ganzen
Kommt an mit Tanzen.
Sie machen einen Ringeltanz, hui! und umzingeln ihn:
»Tanz mit, tanz mit, du süßes Herz, du Bote von Schwerin!«
Er denkt: hm hm, was schadet das,
Ein Bischen hüpfen auf dem Gras?
Wer lauft, der kann auch tanzen!
Paff! wirft er hin den Ranzen.
Er sucht sich aus das jüngste Blut
Und schwingt es hoch im Uebermuth:
Nun geigt auf Pferdeköpfen,
Und klappert mit den Töpfen,
Ihr pfiffig galanten
Tanzmusikanten!
Ich glaube, daß er sich dabei ein wenig übernahm;
Denn wie er eins herumgetanzt, so war ein Bein ihm lahm.
Allein es läßt ihm keine Ruh,
Er hinkt und humpelt immerzu,
Bis alle Hexen lachen,
Ihn pur zum Narren machen,
Jetzt fällt er, aber hält sich doch:
Er hüpft auf allen Vieren noch
Und ist dabei so heiter
Und jubelt immer weiter;
Bald aber als Müder
Läßt er sich nieder.
Komm, komm! Man führt zur Tafel ihn und setzt ihn oben an.
Sie legen ihm das Beste vor, da freut er sich, der Mann.
Er nimmt die Gabel in die Hand,
Doch ganz verkehrt. O Unverstand!
Er sticht sich, kanns nicht meiden,
Schneidt sich beim Bratenschneiden,
Er bringt nichts in das Maul. –
Er langt zum Glas nicht faul;
Das aber heißt geschoren!
Das Glas ist angefroren:
Potz Blitz Sappermenter
Und Elementer!
Da raunt ein zierlich Hexelein, daas ihm zur Seite saß:
»Dein Nachbar ist ein Hexerich, der macht sich diesen Spaß.
Gieb einen Nasenstüber ihm
Und sag' dazu: Fi Joachim!
Dann wird etwas geschehen,
Gib Acht, du wirst was sehen!«
Er thuts, - da kommt faustdick
Ein Donnerschlag zurück:
Ich glaub zehn Klafter fliegt er, -
Und tief im Graben liegt er!
Potz Blitzdonnerwetter
Und Leutegeschmetter!
Er rafft sich auf und ruft: »es ist doch alles Lumpenpack,
Ich traue keiner Hexe mehr mit ihrem Schabernack.
Wie freundlich sie mir zugeraunt,
Bis mich das Wetter wegpoldaunt!
Hätt' ich nur meinen Ranzen!« -
Da sieht er gar ihn tanzen! –
Der Ranzen wird zum Ziegenbock! –
Da flieht er über Stock und Block
Mit Schritten – meilengroßen!
Stets will der Bock ihn stoßen:
Da kann man, vor Rennen,
Nichts mehr erkennen!
Dem Boten war viel besser es, er ging wie sonst den Gang:
Die Briefe kommen gar nicht an, das währt dem Vogt zu lang.
Ankommt er endlich ganz bestaubt
Und prustet, stöhnt und schnäuzt und schnaubt.
Der Ranzen wird gefunden
Nach vierundzwanzig Stunden:
Er hängt am Galgen hoch im Sturm;
Der Bote brummt derweil im Thurm,
Gelobet, seine Pflichten
Inskünftig zu verrichten –
Und nicht mehr zu kuken
Nach Teufelsspuken.


 Enigma antwortete am 02.09.05 (15:37):

Friedrich Wilhelm Nietzsche
Die kleine Hexe

So lang noch hübsch mein Leibchen,
Lohnt sichs schon, fromm zu sein.
Man weiß, Gott liebt die Weibchen,
Die hübschen obendrein.
Er wird's dem art'gen Mönchlein
Gewisslich gern verzeihn,
Dass er, gleich manchem Mönchlein,
So gern will bei mir sein.
Kein grauer Kirchenvater!
Nein, jung noch und oft rot,
Oft gleich dem grausten Kater
Voll Eifersucht und Not!
Ich liebe nicht die Greise,
Er liebt die Alten nicht:
Wie wunderlich und weise
Hat Gott dies eingericht!
Die Kirche weiß zu leben,
Sie prüft Herz und Gesicht.
Stets will sie mir vergeben: -
Ja wer vergibt mir nicht!
Man lispelt mit dem Mündchen,
Man knixt und geht hinaus
Und mit dem neuen Sündchen
Löscht man das alte aus.
Gelobt sei Gott auf Erden,
Der hübsche Mädchen liebt
Und derlei Herzbeschwerden
Sich selber gern vergiebt!
So lang noch hübsch mein Leibchen,
Lohnt sich's schon, fromm zu sein:
Als altes Wackelweibchen
Mag mich der Teufel frein!


 mmargarete01 antwortete am 14.09.05 (11:59):

Hexenbesen

Hexenbesen komm geschwind,
flieg mit mir zum Brocken hin,
wo nun alle Hexen sind.
Feuer spuckt der Berg bereits
und mein Hintern wird schon heiß.
Werde da ein Süppchen kochen,
werde da die Kröten kochen,
sammle alle ein,
hui, viel Peperoni rein.
Feuer sollen sie spucken,
von meiner guten Suppe.
Was werden sie toben,
lichterlo soll es brennen, da oben.
Spinnen hängen an den Leinen,
aufgehangen an den Beinen,
krabbel, krabbel, fett sind sie,
sabber, sabber, schmecken die.
Der Vollmond steht über den Brocken,
Hexen schwingen den Besen besoffen.
Die Hexenschar, sie kichert und lacht,
schwarze Katzen mit glühenden Augen,
sich nicht aus den Büschen trauen.
Die Nacht zu Ende ist,
hui, mit ihren Besen übern Brocken,
zum Hexenhaus und stopfen Socken.

©Margret Nottebrock


 Enigma antwortete am 15.09.05 (07:11):

Gioconda Belli
Hexeneinmaleins zum Träumen

Ich wollte ich hätte einen Zauber erfunden
einen Zauber der dir mitten aus der Brust
einen Begonienstrauß sprießen läßt
Ich wollte ich könnte ich möchte
einen Trick erfinden
der aus deinen Augen auf die meinen
Nachtigallenflügel tropfen läßt
und dicken lautströmenden Honig
Ich wollte ich könnte ich möchte
dich Adam erschaffen für die einzig mögliche Eva der Welt
vielleicht auch dich träumen
beim hartnäckigen Malen meines Schattens in den Sand
Ich möchte dir zeigen daß der Horizont
aufgehen kann wie ein riesiger Vorhang
und es möglich ist sich über den Rand der Welt zu beugen
wo das Leuchten der Sonnenblume
die Blüten des Tages erhellt
Ich möchte daß mein Magierhut
dieser Träumer von Zaubern und zärtlichen Wünschen
ein ganz gewöhnlicher Teller wär
aus dem wir zwei das Lachen füttern
Ich möchte so viele Dinge verwandeln
stumme Entfernungen die mir die Türen
warmer endloser Stunden verschließen
Und weil ich möchte was ich möchte
irre ich träumende Dulcinea
Quichotin blasend auf Windmühlenflügeln
unerlöst für die Liebe
ohne Kompaß noch andre Instrumente
meinen Vogelflug zu leiten
verliebt
in den klingenden
süßen
Sturm
deiner Worte


 Feirefitz antwortete am 19.09.05 (14:55):

Ich habe mit großem Vergnügen all diese wunderbaren Beiträge und Zitate gelese, und möchte nun noch dies hier hinzufügen - es passt gut hierher, so denke ich.

Heinrich Heine:
Waldeinsamkeit

Teil I

Ich hab in meinen Jugendtagen
Wohl auf dem Haupt einen Kranz getragen;
Die Blumen glänzten wunderbar,
Ein Zauber in dem Kranze war.

Der schöne Kranz gefiel wohl Allen,
Doch der ihn trug hat Manchem mißfallen;
Ich floh den gelben Menschenneid,
Ich floh in die grüne Waldeinsamkeit.

Im Wald, im Wald! da konnt ich führen
Ein freies Leben mit Geistern und Tieren;
Feen und Hochwild von stolzem Geweih,
Sie nahten sich mir ganz ohne Scheu.

Sie nahten sich mir ganz ohne Zagnis,
Sie wußten, das sei kein schreckliches Wagnis;
Daß ich kein Jäger, wußte das Reh,
Daß ich kein Vernunftmensch, wußte die Fee.

Von Feenbegünstigung plaudern nur Toren -
Doch wie die übrigen Honoratioren
Des Waldes mir huldreich gewesen, fürwahr
Ich darf es bekennen offenbar.

Wie haben mich lieblich die Elfen umflattert!
Ein luftiges Völkchen! das plaudert und schnattert!
Ein bißchen stechend ist der Blick,
Verheißend ein süßes, doch tödliches Glück.

Ergötzten mich mit Maitanz und Maispiel,
Erzählten mir Hofgeschichten, zum Beispiel:
Die skandalose Chronika
Der Königin Titania.

Fortsetzung folgt


 Feirefitz antwortete am 19.09.05 (14:57):

Heinrich Heine:
Waldeinsamkeit

Teil II

Saß ich am Bache, so tauchten und sprangen
Hervor aus der Flut, mit ihrem langen
Silberschleier und flatterndem Haar,
Die Wasserbacchanten, die Nixenschar.

Sie schlugen die Zither, sie spielten auf Geigen,
Das war der famose Nixenreigen;
Die Posituren, die Melodei,
War klingende, springende Raserei.

Jedoch zu Zeiten waren sie minder
Tobsüchtig gelaunt, die schönen Kinder;
Zu meinen Füßen lagerten sie,
Das Köpfchen gestützt auf meinem Knie.

Trällerten, trillerten welsche Romanzen,
Zum Beispiel das Lied von den drei Pomeranzen,
Sangen auch wohl ein Lobgedicht
Auf mich und mein nobeles Menschengesicht.

Sie unterbrachen manchmal das Gesinge
Lautlachend, und frugen bedenkliche Dinge,
Zum Beispiel: »Sag uns, zu welchem Behuf
Der liebe Gott den Menschen schuf?

»Hat eine unsterbliche Seele ein Jeder
Von euch? Ist diese Seele von Leder
Oder von steifer Leinwand? Warum
Sind eure Leute meistens so dumm?«

Was ich zur Antwort gab, verhehle
Ich hier, doch meine unsterbliche Seele,
Glaubt mirs, ward nie davon verletzt,
Was eine kleine Nixe geschwätzt.

Fortsetzung folgt


 Feirefitz antwortete am 19.09.05 (14:58):

Heinrich Heine:
Waldeinsamkeit

Teil III

Anmutig und schalkhaft sind Nixen und Elfen;
Nicht so die Erdgeister, sie dienen und helfen
Treuherzig den Menschen. Ich liebte zumeist
Die, welche man Wichtelmännchen heißt.

Sie tragen Rotmäntelchen, lang und bauschig,
Die Miene ist ehrlich, doch bang und lauschig;
Ich ließ nicht merken, daß ich entdeckt,
Warum sie so ängstlich die Füße versteckt.

Sie haben nämlich Entenfüße
Und bilden sich ein, daß Niemand es wisse.
Das ist eine tiefgeheime Wund,
Worüber ich nimmermehr spötteln kunnt.

Ach Himmel! wir Alle, gleich jenen Zwergen,
Wir haben ja Alle etwas zu verbergen;
Kein Christenmensch, wähnen wir, hätte entdeckt,
Wo unser Entenfüßchen steckt.

Niemals verkehrt ich mit Salamandern,
Und über ihr Treiben erfuhr ich von andern
Waldgeistern sehr wenig. Sie huschten mir scheu
Des Nachts wie leuchtende Schatten vorbei.

Sind spindeldürre, von Kindeslänge,
Höschen und Wämschen anliegend enge,
Von Scharlachfarbe, goldgestickt;
Das Antlitz kränklich, vergilbt und bedrückt.

Ein güldnes Krönlein, gespickt mit Rubinen,
Trägt auf dem Köpfchen ein jeder von ihnen;
Ein jeder von ihnen bildet sich ein,
Ein absoluter König zu sein.

Daß sie im Feuer nicht verbrennen,
Ist freilich ein Kunststück, ich will es bekennen;
Jedoch der unentzündbare Wicht,
Ein wahrer Feuergeist ist er nicht.

Fortsetzung folgt


 Feirefitz antwortete am 19.09.05 (14:58):

Heinrich Heine
Waldeinsamkeit

Teil IV und Schluss

Die klügsten Waldgeister sind die Alräunchen,
Langbärtige Männlein mit kurzen Beinchen,
Ein fingerlanges Greisengeschlecht;
Woher sie stammen, man weiß es nicht recht.

Wenn sie im Mondschein kopfüber purzeln,
Das mahnt bedenklich an Pissewurzeln;
Doch da sie mir nur Gutes getan,
So geht mich nichts ihr Ursprung an.

Sie lehrten mir kleine Hexereien,
Feuer besprechen, Vögel beschreien,
Auch pflücken in der Johannisnacht
Das Kräutlein, das unsichtbar macht.

Sie lehrten mich Sterne und Zeichen deuten,
Sattellos auf dem Winde reiten,
Auch Runensprüche, womit man ruft
Die Toten hervor aus ihrer Gruft.

Sie haben mir auch den Pfiff gelehrt,
Wie man den Vogel Specht betört
Und ihm die Springwurz abgewinnt,
Die anzeigt, wo Schätze verborgen sind.

Die Worte, die man beim Schätzegraben
Hinmurmelt, lehrten sie mich, sie haben
Mir alles expliziert - umsunst!
Hab nie begriffen die Schatzgräberkunst.

Wohl hatt ich derselben nicht nötig dermalen,
Ich brauchte wenig, und konnt es bezahlen,
Besaß auch in Spanien manch luftiges Schloß,
Wovon ich die Revenüen genoß.

O, schöne Zeit! wo voller Geigen
Der Himmel hing, wo Elfenreigen
Und Nixentanz und Koboldscherz
Umgaukelt mein märchentrunkenes Herz!

O, schöne Zeit! wo sich zu grünen
Triumphespforten zu wölben schienen
Die Bäume des Waldes - ich ging einher,
Bekränzt, als ob ich der Sieger wär!

Die schöne Zeit, sie ist verschlendert,
Und Alles hat sich seitdem verändert,
Und ach! mir ist der Kranz geraubt,
Den ich getragen auf meinem Haupt.

Der Kranz ist mir vom Haupt genommen,
Ich weiß es nicht, wie es gekommen;
Doch seit der schöne Kranz mir fehlt,
Ist meine Seele wie entseelt.

Es glotzen mich an unheimlich blöde
Die Larven der Welt! Der Himmel ist öde,
Ein blauer Kirchhof, entgöttert und stumm.
Ich gehe gebückt im Wald herum.

Im Walde sind die Elfen verschwunden,
Jagdhörner hör ich, Gekläffe von Hunden;
Im Dickicht ist das Reh versteckt,
Das tränend seine Wunden leckt.

Wo sind die Alräunchen? Ich glaube, sie halten
Sich ängstlich verborgen in Felsenspalten.
Ihr kleinen Freunde, ich komme zurück,
Doch ohne Kranz und ohne Glück.

Wo ist die Fee mit dem langen Goldhaar,
Die erste Schönheit, die mir hold war?
Der Eichenbaum, worin sie gehaust,
Steht traurig entlaubt, vom Winde zerzaust.

Der Bach rauscht trostlos gleich dem Styxe;
Am einsamen Ufer sitzt eine Nixe,
Todblaß und stumm, wie 'n Bild von Stein,
Scheint tief in Kummer versunken zu sein.

Mitleidig tret ich zu ihr heran -
Da fährt sie auf und schaut mich an,
Und sie entflieht mit entsetzten Mienen,
Als sei ihr ein Gespenst erschienen.


 Enigma antwortete am 20.09.05 (07:28):

...uiii, was haben wir denn da Schönes?
Das ist ja im doppelten Sinne des Wortes "zauberhaft."
Danke!

Der Zauberer und der Frosch

Nachdenklich schritt ein Zaubrer auf und ab:
"Was nützt denn sonst ein Zauberstab?
Es gilt ja bloß zu wünschen, nur zu handeln;
In einen Engel will ich diesen Frosch verwandeln."
Er schwang den Stock, rief "Abrada",
Und fertig stand der Engel da.
Himmlisch und hehr, beschwingt mit Flügeln,
Und länger konnt er seine Leidenschaft nicht zügeln.
Er baut ihr einen Tempel und Altar
Und bot ihr knieend Weihrauch dar.
Den Weihrauch ließ sie liegen -
Und schnappte Fliegen.
Der Zaubrer lachte: "So wars nicht gemeint.
Ein Lurch gibt keine Lerche, wie es scheint.
Wir wollen uns beeilen,
Den Frosch zu heilen."
Zum Zauberstocke griff er unverwandt.
O weh, den hatte sie verbrannt!
Was blieb ihm nun von seinen Zauberschnaken
Als mitzuquaken?
(Carl Spitteler)


 Enigma antwortete am 25.09.05 (07:58):

John Keats
An G. A. W.

Nymphe mit lächelndem Blick:
Zu welcher hohen Stunde find ich dich
Am allerlieblichsten? Vielleicht, wenn sich
Dein Wort in süßem Labyrinth verstrickt?
Dann, wenn du heiter hinstreichst und entrückt
Gedanken denkst? Womöglich, wenn du gern
Im losen Hemd begrüßt den Morgenstern,
Die Blumen schonst, sooft dein Tanzsprung glückt?
Wenn du, die Lippen feuchtrot aufgetan,
Betörend lauschst mit angehaltnem Atem?
Ich bin von deiner Anmut so besiegt,
Daß ichs nicht sagen, nicht entscheiden kann.
Wie könnt ich unter Grazien erraten
Auch die Gazelle, der Apoll erliegt!
[aus dem Englischen von Heinz Piontek)


 Enigma antwortete am 26.09.05 (14:13):

Der Vampir

Mein liebes Mägdchen glaubet
Beständig steif und feste,
An die gegebnen Lehren
Der immer frommen Mutter;
Als Völker an der Theyse
An tödtliche Vampiere
Heyduckisch feste glauben.
Nun warte nur Christianchen,
Du willst mich gar nicht lieben;
Ich will mich an dir rächen,
Und heute in Tockayer
Zu einem Vampir trinken.
Und wenn du sanfte schlummerst,
Von deinen schönen Wangen
Den frischen Purpur saugen.
Alsdenn wirst du erschrecken,
Wenn ich dich werde küssen
Und als ein Vampir küssen:
Wenn du dann recht erzitterst
Und matt in meine Arme,
Gleich einer Todten sinkest
Alsdenn will ich dich fragen,
Sind meine Lehren besser,
Als deiner guten Mutter?

Heinrich August Ossenfelder. Der Naturforscher. Achtundvierzigstes Stück. Leipzig, Sonnabend, den 25. des Mays, 1748. S. 380f.

Auftragsarbeit. Der Naturforscher veröffentlichte naturwissenschaftliche Abhandlungen, oft gefolgt von Gedichten zu dem entsprechenden Thema.


 mmargarete01 antwortete am 27.09.05 (10:58):

Hexentanz

Ich bin eine Frau,
mit guten und schlechten
Eigenschaften.
Wem kann man es
schon recht machen,
wenn ich es selber nicht kann.
Bin ich denn mit mir im Reinen,
oh je, manche mögen mich nicht.
Das ist auch gut so,
denn ich möchte nicht
heilig gesprochen werden.
Ich muss meinen Humor oft bremsen,
der Scheiterhaufen wer mir gewiss.
Früher hätte mich man verbrannt,
lichterloh zum Hexentanz.

©Margret Nottebrock


 Enigma antwortete am 03.10.05 (11:02):

Clemens Brentano
Die Lore Lay

Zu Bacharach am Rheine
Wohnt' eine Zauberin,
Sie war so schön und feine
Und riß viel Herzen hin.
Und brachte viel' zu Schanden
Der Männer ringsumher,
Aus ihren Liebesbanden
War keine Rettung mehr.
Der Bischof ließ sie laden
Vor geistliche Gewalt -
Und mußte sie begnaden,
So schön war ihr' Gestalt-
Er sprach zu ihr gerühret:
>>Du arme Lore Lay!
Wer hat dich denn verführet
Zu böser Zauberei?<<
>>Herr Bischof, laßt mich sterben,
Ich bin des Lebens müd,
Weil jeder muß verderben,
Der meine Augen sieht.
Die Augen sind zwei Flammen,
Mein Arm ein Zauberstab -
O legt mich in die Flammen!
O brechet mir den Stab!<<

>>Ich kann dich nicht verdammen,
Bis du mir erst bekennt,
Warum in deinen Flammen
Mein eignes Herz schon brennt!
Den Stab kann ich nicht brechen,
Du schöne Lore Lay!
Ich müßte dann zerbrechen
Mein eigen Herz entzwei.<<
>>Herr Bischof, mit mir Armen
Treibt nicht so bösen Spott,
Und bittet um Erbarmen
Für mich den lieben Gott!
Ich darf nicht länger leben,
Ich liebe keinen mehr -
Den Tod sollt Ihr mir geben,
Drum kam ich zu Euch her.
Mein Schatz hat mich betrogen,
Hat sich von mir gewandt,
Ist fort von mir gezogen,
Fort in ein fremdes Land.
Die Augen sanft und wilde,
Die Wangen rot und weiß,
Die Worte still und milde,
Das ist mein Zauberkreis.
Ich selbst muß drin verderben,
Das Herz tut mir so weh,
Vor Schmerzen möcht ich sterben,
Wenn ich mein Bildnis seh.
Drum laßt mein Recht mich finden,
Mich sterben wie ein Christ!
Denn alles muß verschwinden,
Weil er nicht bei mir ist.<<
Drei Ritter läßt er holen:
>>Bringt sie ins Kloster hin!
Geh, Lore! -Gott befohlen
Sei dein bedrückter Sinn.
Du sollst ein Nönnchen werden,
Ein Nönnchen schwarz und weiß,
Bereite dich auf Erden
Zu deines Todes Reis'!<<
Zum Kloster sie nun ritten,
Die Ritter alle drei,
Und traurig in der Mitten
Die schöne Lore Lay.
>>O Ritter, laßt mich gehen
Auf diesen Felsen groß,
Ich will noch einmal sehen
Nach meines Lieben Schloß.
Ich will noch einmal sehen
Wohl in den tiefen Rhein
Und dann ins Kloster gehen
Und Gottes Jungfrau sein.<<

Der Felsen ist so jähe,
So steil ist seine Wand,
Doch klimmt sie in die Höhe,
Bis daß sie oben stand.
Es binden die drei Reiter
Die Rosse unten an
Und klettern immer weiter
Zum Felsen auch hinan.
Die Jungfrau sprach: >>Da gehet
Ein Schifflein auf dem Rhein;
Der in dem Schifflein stehet,
Der soll mein Liebster sein!
Mein Herz wird mir so munter,
Er muß mein Liebster sein!<<
Da lehnt sie sich hinunter
Und stürzet in den Rhein.
Die Ritter mußten sterben,
Sie konnten nicht hinab,
Sie mußten all verderben
Ohn Priester und ohn Grab.
Wer hat dies Lied gesungen?
Ein Schiffer auf dem Rhein,
Und immer hats geklungen
Von dem Dreiritterstein:
Lore Lay!
Lore Lay!
Lore Lay!
Als wären es meiner drei.


 Enigma antwortete am 04.10.05 (11:42):

Friedrich Rückert
Barbarossa

Der alte Barbarossa
Der Kaiser Friederich,
Im unterird'schen Schlosse
Hält er verzaubert sich.
Er ist niemals gestorben,
Er lebt darin noch jetzt;
er hat im Schloß verborgen
Zum Schlaf sich hingesetzt.
Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit,
Und wird einst wiederkommen
Mit ihr zu seiner Zeit.
Der Stuhl ist elfenbeinern,
Darauf der Kaiser sitzt;
Der Tisch ist marmelsteinern,
Worauf sein Haupt er stützt.
Sein Bart ist nicht von Flachse,
Er ist von Feuersglut,
Ist durch den Tisch gewachsen,
Worauf sein Kinn ausruht.
Er nickt als wie im Traume,
Sein Aug' halb offen zwinkt;
Und je nach langem Raume
Er einem Knaben winkt.
Er spricht im Schlaf zum Knaben:
"Geh hin vors Schloß, o Zwerg,
Und sieh, ob noch die Raben
Herfliegen um den Berg.
Und wenn die alten Raben
Noch fliegen immerdar,
So muß ich auch noch schlafen
Verzaubert hundert Jahr'."


 Enigma antwortete am 08.10.05 (08:14):

Max Dauthendey
Nur der Verliebte träumend lacht und nie erwacht

Der Morgenmond geht krumm und weiß
Nach einer Nacht, gealtert wie ein Greis,
Stumm ohne Schein ins Feld hinein.
Die Schwalben ziehen Schleifen um das Dach
Und eilen wie die Morgenboten wach.
Wie ein Geschoß reißt jede sich vom Giebel los.
Vom Nachtgespenst blieb nicht ein Schatten da,
Und jeder Baum steht neu im Morgen nah.
Nur der Verliebte träumend lacht und nie erwacht.


 Marina antwortete am 11.10.05 (18:54):

Schneiders Höllefahrt

Es wollt ein Schneider wandern
Am Montag in der Fruh,
Begegnet ihm der Teufel,
Hat weder Strümpf noch Schuh:
„He, he, du Schneidergesell!
Du mußt mit mir in die Höll,
Du mußt uns Teufel kleiden.
Es gehe, wie es wöll!"

Sobald der Schneider in die Höllen kam,
Nahm er seinen Meterstab,
Er schlug den Teufeln den Buckel voll,
Die Höll wohl auf und ab.
„He, he, du Schneidergesell!
Mußt wieder aus der Höll,
Wir brauchen nicht das Messen,
Es gehe, wie es wöll!"

Da zog er’s Bügeleisen raus
Und warf’s ins Höllenfeuer,
Er streicht den Teufeln die Falten aus,
Sie schreien ungeheuer:
„He, he, du Schneidergesell,
Geh du nur aus der Höll!
Wir brauen nicht das Bügeln,
Es gehe, wie es wöll!"

Drauf nahm er Nadel und Fingerhut
Und fängt zu nähen an,
Er flickt den Teufeln die Nasenlöcher zu,
So eng er immer kann.
„He, he, du Schneidergesell,
Pack dich doch aus der Höll!
Wir können nimmer riechen,
Es gehe, wie es wöll!"

Danach kam der oberste Teufel her
Und sagte: „Es ist ein Graus,
Kein Teufel hat ein Nasenloch mehr,
Jagt ihn zur Hölle hinaus
„He, he, du Schneidergesell,
Nun pack dich aus der Höll!
Wir brauchen keine Kleider,
Es gehe, wie es wöll!"

Nach dem er nun hat aufgepackt,
Da war ihm erst recht wohl,
Er hüpft und springet unverzagt,
Lacht sich den Buckel voll,
Ging eilends aus der Höll
Und blieb ein Schneidergesell:
Drum holt der Teufel kein Schneider mehr,
Er stehl, so viel er wöll.

(Unbekannt)


 Enigma antwortete am 14.10.05 (08:52):

Ludwig Heinrich Christoph Hölty (1748-1776)
Hexenlied


Die Schwalbe fliegt,
Der Frühling siegt
Und spendet uns Blumen zum Kranze;
Bald huschen wir
Leis' aus der Thür
Und fliegen zum prächtigen Tanze.

Ein schwarzer Bock,
Ein Besenstock,
Die Ofengabel, der Wocken
Reißt uns geschwind,
Wie Blitz und Wind,
Durch sausende Lüfte zum Brocken!

Um Beelzebub
Tanzt unser Trupp
Und küßt ihm die kralligen Hände!
Ein Geisterschwarm
Faßt uns beim Arm
Und schwinget im Tanzen die Brände!

Und Beelzebub
Verheißt dem Trupp
Der Tanzenden Gaben auf Gaben:
Sie sollen schön
In Seide geh'n
Und Töpfe voll Goldes sich graben.

Ein Feuerdrach'
Umflieget das Dach
Und bringet uns Butter und Eier.
Die Nachbarn dann seh'n
Die Funken weh'n,
Und schlagen ein Kreuz vor dem Feuer.

Die Schwalbe fliegt,
Der Frühling siegt,
Die Blumen erblühen zum Kranze.
Bald huschen wir
Leis' aus der Thür
Juchheisa zum prächtigen Tanze


 Enigma antwortete am 15.10.05 (07:58):

Wiedersehn, dich wiedersehn?
So bin ich versucht zu fragen,
Wenn an schwülen Nachmittagen
Böse Geister auferstehn;

Wenn Erinnerung mich stört,
Die von dir nicht abzulenken,
Zauberin! wenn all mein Denken,
All mein Wünschen dir gehört;

Bis des jungen Tages Kuß
Mich vergessen läßt die deinen,
Daß ich, statt um dich zu weinen,
Unsre Trennung segnen muß.

Ist das Schlimmste jetzt vorbei,
Ach, nur wenig atm' ich freier!
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reißt nicht jeder Wahn entzwei.

Weiß nicht, wie dies alles kam,
Daß du so mich überwunden;
Doch es waren gute Stunden
Und ich bin dir nimmer gram.

Denn mich reut nicht, was geschehn;
Aber soll mir's je gelingen,
Ganz von dir mich loszuringen,
Darf ich nie dich wiedersehn.

Dranmor (1823-1888)


 angelottchen antwortete am 15.10.05 (17:51):

Friedrich Wilhelm Weber
- Alte Geschichten -

Der Abend dämmert, es wirbelt der Wind
den Schnee von dem hohen Dache,
Großmütterchen sitzt am warmen Kamin
mit den Kleinen im warmen Gemache.
„Erzähl uns etwas, Großmütterlein!“ –
„Recht gern, ihr närrischen Dinger,
ihr müsst nur brav und bescheiden sein!“
Und mahnend hebt sie den Finger.

Dann fängt sie an: „Es war einmal ....“,
und die Kinder, sie lauschen und lauschen.
Sie hören das Bellen des Hofhunds nicht
und des Sturmes Zischen und Rauschen,
und nicht das Schlagen der Schwarzwalduhr
und der Stunde rasches Verrinnen.
Sie sitzen und horchen mit Mund und Ohr,
versenkt in Träumen und Sinnen.

Großmutter weiß der Geschichten viel
aus fernen vergangenen Tagen,
von Riesen und Zwergen, von Burgen, von Seen,
seltsame Märchen und Sagen;
von Nixen und Elfen, von Rübezahl,
Musikanten und Lumpengesindel,
und wie Dornröschen im Schlaf versank,
gestochen von giftiger Spindel.

Vom Weibe, das tanzt in feurigen Schuh’n,
von sieben Raben und Schwaben,
von Aschenbrödel und Drosselbart
und Hans, dem glücklichen Knaben;
von der großen Stadt, tief unter der See,
Vineta, der schlummernden Leiche,
auch wohl zum Schluß vom Meister Till
schalkhafte, lustige Streiche.

Großmutter weiß der Geschichten so viel,
als Blätter auf Büschen und Bäumen;
die Kinder lauschen mit Ohr und Mund,
versenkt in Sinnen und Träumen.
Und die kleine Marie – sie lächelt und schläft;
still wird es im trauten Gemache,
und der Wind schläft auch, und die Sterne steh’n
hell über dem hohen Dache.


 angelottchen antwortete am 15.10.05 (17:56):

Ferdinand Freiligrath


Aus dem schlesischen Gebirge

»Nun werden grün die Brombeerhecken;
Hier schon ein Veilchen - welch ein Fest!
Die Amsel sucht sich dürre Stecken,
Und auch der Buchfink baut sein Nest.
Der Schnee ist überall gewichen,
Die Koppe nur sieht weiß ins Tal;
Ich habe mich von Haus geschlichen,
Hier ist der Ort - ich wag's einmal:
Rübezahl!

Hört er's? Ich seh' ihm dreist entgegen!
Er ist nicht bös! Auf diesen Block
Will ich mein Leinwandpäckchen legen -
Es ist ein richt'ges volles Schock!
Und fein! Ja, dafür kann ich stehen!
Kein bess'res wird gewebt im Tal -
Er läßt sich immer noch nicht sehen!
Drum frischen Mutes noch einmal:
Rübezahl!

Kein Laut! - Ich bin ins Holz gegangen,
Daß er uns hilft in unsrer Not!
O, meiner Mutter blasse Wangen -
Im ganzen Haus kein Stückchen Brot!
Der Vater schritt zu Markt mit Fluchen -
Fänd' er auch Käufer nur einmal!
Ich will's mit Rübezahl versuchen -
Wo bleibt er nur? Zum drittenmal:
Rübezahl!

Er half so vielen schon vorzeiten -
Großmutter hat mir's oft erzählt!
Ja, er ist gut den armen Leuten,
Die unverschuldet Elend quält!
So bin ich froh denn hergelaufen
Mit meiner richt'gen Ellenzahl!
Ich will nicht betteln, will verkaufen!
O, daß er käme! Rübezahl!
Rübezahl!

Wenn dieses Päckchen ihm gefiele,
Vielleicht gar bät' er mehr sich aus!
Das wär' mir recht! Ach, gar zu viele,
Gleich schöne liegen noch zu Haus!
Die nähm' er alle bis zum letzten!
Ach, fiel' auf dies doch seine Wahl!
Da löst' ich ein selbst die versetzten -
Das wär' ein Jubel! Rübezahl!
Rübezahl!

Dann trät' ich froh ins kleine Zimmer,
Und riefe: Vater, Geld genug!
Dann flucht' er nicht, dann sagt' er nimmer:
Ich web' euch nur ein Hungertuch!
Dann lächelte die Mutter wieder,
Und tischt' uns auf ein reichlich Mahl;
Dann jauchzten meine kleinen Brüder -
O käm', o käm' er! Rübezahl!
Rübezahl!«

So rief der dreizehnjähr'ge Knabe;
So stand und rief er, matt und bleich.
Umsonst! Nur dann und wann ein Rabe
Flog durch des Gnomen altes Reich.
So stand und paßt' er Stund' auf Stunde,
Bis daß es dunkel ward im Tal,
Und er halblaut mit zuckendem Munde
Ausrief durch Tränen noch einmal:
Rübezahl!

Dann ließ er still das buschige Fleckchen,
Und zitterte, und sagte: Hu!
Und schritt mit seinem Leinwandpäckchen
Dem Jammer seiner Heimat zu.
Oft ruht' er aus auf moos'gen Steinen,
Matt von der Bürde, die er trug.
Ich glaub', sein Vater webt dem Kleinen
Zum Hunger- bald das Leichentuch!
- Rübezahl?!

St. Goar, März, 1844


 Enigma antwortete am 20.10.05 (09:26):

Die Roggenmuhme

Das Mägdlein spielt auf dem grünen Rain,
die bunten Blumen locken.
"Nicht sieht mich die Mutter" - Ins Korn hinein
schleicht sacht es auf weichen Socken.
"Die roten und blauen Blumen wie schön!
Die will ich zum Kranz mir winden;
doch weiter hinein ins Feld muß ich gehn,
dort werd' ich die schönsten finden."
Und weiter eilt es. Gefüllt ist die Hand,
da will es zurück sich wenden.
Es läuft und läuft und steht wie gebannt,
das Korn will nimmer enden.
"Hinaus zum Rain, zum Sonnenlicht!
Wo blieb die Mutter, die süße?"
Die Halme schlagen ihm ins Gesicht,
die Winde umschlingt die Fübe.
Und horch, da rauscht's unheimlich bang,
die Ähren wallen und wogen.
"Da kommt - ach, daß ich der Mutter entsprang -
die Roggenmuhme gezogen!"
Sie kommt heran auf Windesfahrt,
die roten Augen blitzen,
gelb ist die Wange, langstachlicht ihr Bart,
die Haare sind Ährenspitzen.
"Wie kommst du her in mein Revier
und gehst auf verbotenen Pfaden?
Was raubst du meine Kinder mir,
Kornblumen und Mohn und Raden?
Weh dir!" Sie streckt die Hand nach ihm aus,
es fühlt die stechenden Grannen.
"Nimm hin deine Blumen, und laß mich nach Haus!"
Und bebend stürzt es von dannen.
Fort, fort zur Mutter! Das Korn nimmt kein End',
vergebens will es entwischen,
die Roggenmuhme dicht hinter ihm rennt,
die Ähren höhnen und zischen.
Schon fühlt es, wie ihr Arm es umschlingt.
"Erbarme dich mein, erbarme!"
Dort ist der Rain. "O Mutter!" - Da sinkt
das Kind ihr tot in die Arme.

Jacob Loewenberg

:-)


 Enigma antwortete am 20.11.05 (08:09):

Der Kobold
von Werner Bergengrün

Das Haus hab ich erbaut
Vom Keller bis zum Dach.
Wer hat den Kobold eingesetzt,
Der unter der Treppe wohnt?
Er trinkt von meinem Wein,
Er nagt am Schinkenbein.
Er steckt sich Zucker in den Sack,
Er schmaust von meinem Rauchtabak,
Macht allen Vorrat klein.
Was tut er zum Vergelt?
Er geigt um Mitternacht.
Er gibt auf meine Kinder acht,
Daß keins die Treppe fällt!
Was tut er noch zum Dank?
Er putzt das Mondhorn blank.
Damit es silberrein
In meine Fenster schein.