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THEMA:   Grass versöhnt… mit Reich Ranicki!

 8 Antwort(en).

Literaturfreund begann die Diskussion am 23.05.05 (09:06) :

Heute in der FAZ (v. 23.05) – zum 85. Geburtstag von MRR:

Günter G r a s s: Sei umarmt!

Es gibt Ehen, die werden auf keinem Standesamt besiegelt und auch von keinem Scheidungsrichter getrennt; keine Kirche gibt ihnen höhere Weihen. In diesem Sinne ist mein Verhältnis zu Marcel Reich-Ranicki zu verstehen: Ich werde ihn nicht los, er wird mich nicht los. Da hat er nun über fünf Jahrzehnte hinweg meine Bücher zumeist verrissen und manchmal gelobt, einmal sogar hat es ihm gefallen, im Dienste des Magazins „Der Spiegel" auf dem Cover zu agieren, indem er einen Roman von mir mit allerbildlichster Deutlichkeit zerriß; das hat mich, zugegeben, verletzt.
Es war und blieb ein anstrengendes Verhältnis. Oft habe ich mich gefragt: Wie ist es möglich, daß jemand meiner Prosa grämlich wie ein anderer Beckmesser aufsitzt und dennoch von früh an meinen Gedichten auf der Spur ist, hingerissen, verführt?
So hängen wir aneinander und tragen uns unsere Zerwürfnisse nach. Als er mich vor Jahresfrist nach längerem und dröhnendem Schweigen in Lübeck besuchte, waren wir beide ein wenig gerührt. Der wechselseitigen Abhängigkeit bewußt, gingen wir schonend miteinander um. Sein Sohn war dabei und machte Fotos von uns, aus denen leider, wie später zu hören war, nichts wurde.
Die ihm nachgesagte Unerbittlichkeit ist, so schien mir, von den Rändern her ein wenig faserig, durchsichtig geworden; das macht ihn umgänglicher. Er stellte sogar Fragen, vermutlich aus aufkeimendem Selbstzweifel. Ich hätte ihn umarmen sollen. Das sei hiermit nachgeholt.

Noch haben wir Zeit für weitere Mißverständnisse und Liebesbeteuerungen.

*
Günter Grass, geboren 1926 in Danzig, ist Literaturnobelpreisträger des Jahres 1999.
*
Man weiß von MRR, dass er die Karikatur des wütenden Buchzerreißers auch nicht mochte und den Redakteur vom SPIEGEL damals kritisierte.
*

Auch Elke Heidenreich hat einen artigen Text beigetragen: „Liebster ...!“
(Im Buch: „Begegnungen mit Marcel Reich-Ranicki“. Hg. von Hubert Spiegel. Insel. 2005)


 schorsch antwortete am 23.05.05 (10:24):

Marcel Reich-Ranicki ist meiner Meinung nach einer jener Bedauernswerten, die mal den Ehrgeiz hatten, selber in die Hitparaden der Weltliteratur zu gelangen, es aber nicht geschafft haben und nun einfach die anderen Schriftsteller, die mehr Glück hatten, niederreissen.....

Es gibt gerade unter den Literaturkritikern, die für Zeitschriften schreiben, viele, die gerne an der Spitze stünden, aber von anderen frustrierten Schreiberlingen, die das auch mal gewollt haben, daran gehindert wurden! Dies ist zu vergleichen mit Kindern, die von Eltern geschlagen wurden und nun - erwachsen geworden - nicht anders können, als die Schläge weiter zu geben.....


 Literaturfreund antwortete am 23.05.05 (17:11):

Ja, Schorsch -
MRR hat viel gelitten (als Kind, glaube ich nicht) -, in Berlin, in Warschau - auch als Spion in London, als Demokrat in Polen... - und viel Aufsehen erregt.
Er hatte tolle Texte in der ZEIT; hohe Quoten, sonst wäre er aus dem öffentlichen TV-Berich rausgekippt.

Und sein "Leben", jetzt auch als Schulausgabe, mit vielen, guten Erklärungen, Texten, Hinweisen auf eien beispielhaftes Leben eines Juden in Deutschland - da hat seine liebste Frau viel mitgeschrieben, ohne öffentlichen Aufstand.
Aber er hat immer Widerspruch hingenommen, wenn er sich vergaloppiert hatte, bei der Löffler, bei der Heidenreich:

Elke Heidenreichs Text zu MRR.s Geburtstag:
E.H.: „Liebster ...!“

Es muß Mitte der achtziger Jahren gewesen sein. Ich war noch - man verzeihe das grauenhafte Wort - Talkmasterin in Berlin, in der Sendung „Leute" vom SFB. Man saß vor Publikum und versuchte, in einer Live-Sendung Gespräche zu führen, die mög­lichst locker und normal wirken sollten unter diesen unnormalen Bedingungen -Scheinwerfer, Schminke, Mikrofone, Kame­ras.
Mein Gast war Marcel Reich-Ranicki, es war unsere erste Begegnung. Er musterte mich skeptisch, aber nicht unfreundlich. Ich kannte ihn vom Literarischen Quartett, kannte seine Rezensionen, seine Leiden­schaft für die Literatur, ich mochte ihn und fürchtete mich vor ihm - aber nur ein ganz kleines bißchen. Mut, los! Erste Frage: „Warum soll man lesen?“ - „Liebste!" schnaubte er, „was für eine Frage ...", und hielt einen seiner erschöpfenden, gleichwohl höchst unterhaltenden Vorträge. Ich versuchte es anders. „Wo lesen Sie? Am Tisch, auf dem Sofa, im Bett?" Er donnerte geradezu. „Liebste! Im Bett! Was tun Sie im Bett? Na sehen Sie, das tu ich auch. Schlafen." Ich konnte fragen, was ich wollte, er schmetterte mich gekonnt ab, das Publikum unterhielt sich großartig, er kam im­mer mehr in Fahrt, ich schrumpfte auf Däumlingsgröße mit meinen dämlichen Fragen. Aber ich war in jeder Antwort, wie ironisch auch immer, die „Liebste“.
Immerhin. Und ohne nachzudenken, nein, es war nicht Schlagfertigkeit und nicht Kalkül, es war Überwältigung, Überrumpelung und wie Eingehen auf ein Angebot, sagte ich am Schluß dieses seltsamen Nicht-Gesprächs in einer Mischung aus Demut, Glück und Eingestehen einer Niederlage mit Teilsieg zu ihm „Danke, Liebster.“
Da begann unsere Freundschaft.
*
(Ebenso in: „Begegnungen mit Marcel Reich-Ranicki“. Hg. von Hubert Spiegel. Insel. 2005.)


 wanda antwortete am 24.05.05 (08:27):

@schorsch - auf Marcel Reich-Ranicke lasse ich nichts kommen - er ist ein grossartiger Mensch und Literat, hast Du "Mein Leben" gelesen ?


 schorsch antwortete am 24.05.05 (08:52):

@ wanda. Das ist er gewiss. Aber das ändert nix daran, dass er seine grössten Erfolge damit erzielt hat, andere Autoren zu zerreissen.....


 wanda antwortete am 24.05.05 (08:55):

das war sein Beruf - ein Kritiker sollte kritisieren - gerade las ich, dass Deine Stärke der Sarkasmus ist, dann hast du was mit Marcel gemeinsam :-)))))))


 Literaturfreund antwortete am 25.05.05 (09:01):

Die noble Hilde Domin in ihrer Ehrung für MRR:

"Wenn ich an Marl Reich-Ranicki, den großen Kritiker, denke, sehe ich ihn Hand in Hand mit Teofila durchs Leben und die Säle schreiten und die verdiente Bewunderung genießen."

*

Domin: "Der Baum blüht trotzdem" - ihr letzter Gedichtband.

URL.: Hilde Domin:
https://www.diskussionsforen.ch/zynismus/raf_diog.gif

Internet-Tipp: https://www.diskussionsforen.ch/zynismus/raf_diog.gif


 schorsch antwortete am 25.05.05 (10:50):

Asche auf mein Haupt; ich hätte doch so gerne gewollt, dass MRR meine Bücher zerreissen möchte. Das Problem: ER kennt sie nicht mal! Ich habe sogar schon daran gedacht, eines meiner Bücher selber zu zerreissen und ihm die Teile zu schicken - um ihm die Mühe des Zerreissens zu ersparen ):--((((


 Literaturfreund antwortete am 25.05.05 (13:40):

Dann wird Dich - schorsch - auch der kluge Peter R. erfreuen, der am längsten öffentlich den "Literaturpapst" kritisiert hat, bis der ihn so lobte, dass er jetzt zum 85. Geburtstag "nektar-ambrosisch goldig" reagierte:

Peter Rühmkorf:
Geburtstagcarmen für MRR und die Seine

In den Kreis der Gratulanten
möcht ich mich schon gerne reihen,
hochverehrter MRR.
Nur, an sonderlich markanten,
extraordinär Vaganten
Donner-Blitz-und-Witz-Geschichten
weiß ich außer den bekannten
(Sie verzeihen!)
keine wirklich neuen zu berichten,
also, eh ich mir das Maul verzerr ...

Meine, eh ich in vergilbte Tasten greife,
einfach nur, was zu gefallen glaubt.
Heißt, zur neu entflammten Friedenspfeife:
Weiterhin Fortunas Segen auf Ihr Haupt.
Immer mit zu denken die von ums geliebte Tosia
und - falls solch ein Reim erlaubt –
ewig während nektarynka i ambrosia.

Herzlich Ihr Peter Rühmkorf
*
(Aus: "Begegnungen mit MRR")
*
URL.:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/LtyyeVuCd