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THEMA:   M a i 1945

 30 Antwort(en).

iustitia begann die Diskussion am 16.04.05 (20:08) :

Mai 1945 - als es so schön gewesen sein muss, dass meine Mutter später immer sagte - nein, einen schöneren Mai habe sie nie erlebt; wir Kinder saßen da noch im Kartoffelkeller. Aber wir hatten genug zu essen, und wir waren alle gesund und glücklich zusammen.
*

Dazu schreibt Heinrich Böll von seiner Familie ...
... in seinem Essay
"Briefe an meine Söhne oder Vier Fahrräder"
(1984, ein Jahr vor seinem Tod geschrieben; jetzt neu veröffentlicht in: DIE ZEIT - Geschichte. Nr. 1. Teil 2. April 2005).

Er fordert dort S. 20 seine Söhne auf: ..."lest nach, lest die Gedichte, die Günter Eich darüber geschrieben hat..."
Worüber, klar, doch:

Über das "Ende" des Krieges, des Deutschen Reiches - die schlimmen Endkämpfe am Rhein, an der Ruhr, und über den Hunger und die letzten Tötungen durch SS, durch Wehrmachtsstandgerichte - und über kleine Fluchten, Verstecke und Papier-Fälschungen und ... - Ende 44 bis Mai 45, im Rheinland, wo Erschießungen und "Heldenklau" und Überlebenswille und Volkssturm sich "abspielten"!
*
Würde mich mal interessieren, wer solchen historischen literarischen Bezügen nachgehen möchte.

*
URL - Heinrich Böll... - auch im Mai noch in Uniform, denn er saß 45 noch in amerikanischer Gefangenschaft
https://www.heinrichboell.com/boell4.jpg

Internet-Tipp: https://www.heinrichboell.com/boell4.jpg


 Marina antwortete am 16.04.05 (22:14):

Ende eines Sommer

Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!

Wie gut, daß sie am Sterben teilhaben!
Die Pfirsiche sind geerntet, die Pflaumen färben sich,
während unter dem Brückenbogen die Zeit rauscht.

Dem Vogelzug vertraue ich meine Verzweiflung an.
Er mißt seinen Teil von Ewigkeit gelassen ab.
Seine Strecken
werden sichtbar im Blattwerk als dunkler Zwang,
die Bewegung der Flügel färbt die Früchte.

Es heißt Geduld haben.

Günter Eich


 iustitia antwortete am 18.04.05 (09:35):

GÜNTER EICH: BLICK NACH REMAGEN

Am Nachthimmel ungeheuer
leuchtet der Widerschein
der tausend Lagerfeuer
auf der Steppe am Rhein.

Am zerschoßnen Gemäuer,
weiß ich, grünt wieder der Wein.
Werden mir jünger und neuer
einmal die Stunden sein?

Der nächtlichen Lagerfeuer
mächtiger Widerschein
brennt in die Herzen getreuer
als in den Himmel sich ein.

Bleibt die Flamme mir teuer,
bin ich aus ihr allein,
sei's, mich verzehre das Feuer,
sei's, es glühe mich rein.
*
(AUS: G. E.: GESAMMELTE WERKE. BD. I. GEDICHTE. 1973. S. 33)

URL: DIE ÜBERRASCHUNG VON REMAGEN

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/4heFcycM8


 iustitia antwortete am 18.04.05 (09:52):

GÜNTER EICH: Camp 16

Durch den Stacheldraht schau ich
grad auf das Fließen des Rheins.
Ein Erdloch daneben bau ich,
ein Zelt hab ich keins.

Ich habe auch keine Decke.
Der Mantel blieb in Opladen.
Wenn ich ins Erdloch mich strecke,
find ich keinen Kameraden.

Zur Lagerstatt rupf ich Luzerne.
Nachts sprech ich mit mir allein.
Zu Häupten mir funkeln die Sterne,
es flüstert verworren der Rhein.

Bald wird die Luzerne verdorrt sein,
der Himmel sich finster bezieht,
im Fließen des Rheins wird kein Wort sein,
das mir süß einschläfert das Lid.

Nichts wird sein als der Regen, -
mich schützt kein Dach und kein Damm, -
zertreten wird auf den Wegen
das Grün des Frühlings zu Schlamm.

Wo blieben die Kameraden?
Ach, bei Regen und Sturm
wollen zu mir sich laden
nur Laus und Regenwurm.
*
(AUS: G. E.: GESAMMELTE WERKE. BD. I. GEDICHTE. 1973. S. 33)

URL - passend zu Eichs Gedicht - ein Kunstwerk als ästhetische Erinnerung

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/HaF0a6J3h


 Marina antwortete am 18.04.05 (12:30):

Der nächtlichen Lagerfeuer
mächtiger Widerschein
brennt in die Herzen getreuer
als in den Himmel sich ein.

Bleibt die Flamme mir teuer,
bin ich aus ihr allein,
sei's, mich verzehre das Feuer,
sei's, es glühe mich rein.

iustitia, diese Strophen finde ich ziemlich seltsam, um nicht zu sagen: sie klingen doch fast ein bisschen wie eine mythische Überhöhung des Krieges. Kannst du mir mal erklären, wie sie deiner Meinung nach gemeint sind?


 hansmann antwortete am 18.04.05 (14:30):

Die Christbäume über Dresden
werden wohl nicht gemeint sein.


 Marina antwortete am 18.04.05 (21:10):

Auf so eine unqualifizierte Antwort war ich jetzt nicht gefasst.


 iustitia antwortete am 18.04.05 (23:54):

Hallo, Marina!

Nein, ich finde die Eich-Gedichte bis 46/49 nicht schwulstig; es sind zarte, einfache Versuche der Bestandsaufnahme; alles Pathos ist entfallen. Da nmuss sich jemand neu besinnen; keine Nazisprache mehr. Das Feuer - das ihn hätte verglühen können - möchte ihn, bitte, reinigen.
Es ist eine moralische Lösung aus der Kriegszeit, keine politisch reflektierte.
So muss es wohl - auch für Böll, den ich voranstellte, auch erlebt worden sein. Denn sie wollten keine "anderen" töten. Diese Dichter, die mit ins Feld mussten, weil es keine Wehrdienstverweigerung gab - haben erst meist nach 1950 ihre mörderischen Erfahrungen aufgeschrieben.
*
Eich ist sehr früh umgestiegen in diese herb-schöne, lindfrische Naturlyrik, meist mit einigen Störungen, einigen Fremdheiten oder Brüchen.
Martina - Dein "Ende-des-Sommers"-Gedicht von Eich hat schon dieses Kriegsgefangenlager-Milieu hinter sich gelassen.
*
Hier noch:

Güner Eich: Inventur

Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen.

Konservenbüchse:
Mein Teller, mein Becher,
ich hab in das Weißblech
den Namen geritzt.

Geritzt hier mit diesem
kostbaren Nagel,
den vor begehrlichen
Augen ich berge.

Im Brotbeutel sind
ein Paar wollene Socken
und einiges, was ich
niemand verrate,

so dient es als Kissen
nachts meinem Kopf.
Die Pappe hier liegt
zwischen mir und der Erde.

Die Bleistiftmine
lieb ich am meisten:
Tags schreibt sie mir Verse,
die nachts ich erdacht.

Dies ist mein Notizbuch,
dies meine Zeltbahn,
dies ist mein Handtuch,
dies ist mein Zwirn.
*
Es gibt auch noch das Gedicht "Latrine" - das berühmteste aus der Zeit!


 hansmann antwortete am 19.04.05 (05:00):

"Auf so eine unqualifizierte Antwort war ich jetzt nicht gefasst." - marina

Abgesehen davon,
daß man im Leben immer auf alles
gefaßt sein muß:
auch Abkanzeln ist nicht unbedingt ideenreich.
Manchmal muß man Worte verstehen.

Mir war es sehr ernst
mit der Antwort.

"Bleibt die Flamme mir teuer,
bin ich aus ihr allein,
sei's, mich verzehre das Feuer,
sei's, es glühe mich rein."

Von "mythischer Überhöhung des Krieges" (marina)
sehe ich da nichts.
Aber die Christbäume über Dresden -,
die habe ich gesehen.

Flammen als reinigendes "Fegefeuer" ...

Aus dem Leuchten von Lagerfeuern
schließe ich jedenfalls nicht auf Krieg.
Ihr Widerschein
ist für mich kein Flak-Scheinwerfer
und kein "Christbaum über Dresden".

Und im Gegensatz zu Dir, Marina,
fühle ich mich zwar
den Tatsachen entsprechend vertrieben,
aber nicht verfolgt.


 iustitia antwortete am 19.04.05 (10:43):

Noch Informationen zu Günter Eich und seinem
WERK [Verfasst von Thomas Köster]:

In amerikanischer Gefangenschaft verfasste Eich einige für die Kahlschlagliteratur der deutschen Nachkriegszeit beispielhafte, dabei aber immer auch meditativ-präzise Gedichte, darunter „Latrine" und „Inventur". Beide wurden in die Sammlung Abgelegene Gehöfte (1948) aufgenommen, die mit verschiedenen Stilmustern – vor allem solchen der Romantik und des Jungen Deutschland – experimentiert. Dabei wohnt selbst dem scheinbar strikt deskriptiven Duktus von „Inventur", der auf dem Missbrauch der Sprache im Propagandaapparat der Nationalsozialisten reagiert („Dies ist meine Mütze, / dies ist mein Mantel / hier mein Rasierzeug / im Beutel aus Leinen"), noch ein subjektives Moment des lyrischen Ichs inne, mit dem es seine wenn auch geringe schöpferische Präsenz artikulieren kann („ich hab in das Weißblech / den Namen geritzt"). In „Latrine" reimt sich der Name Friedrich Hölderlins unsauber-provokant auf „Urin". In der Kahlschlaglyrik spiegelt sich bereits die Wandlung Eichs vom unpolitisch-inversiven Dichter der dreißiger Jahre zum engagierten Zeitkritiker der Folgezeit, der seine Ästhetik allerdings nie unter die Doktrin des Tendenziell-Plakativen zu stellen suchte (Der Schriftsteller, 1947). Im Verlauf der fünfziger Jahre dann festigte sich die poetologische Position, mittels der Sprache Realität nicht abbilden, sondern als Zeichenwirklichkeit erst setzen zu wollen: „Ich schreibe Gedichte, um mich in der Wirklichkeit zu orientieren. Ich betrachte sie als trigonomische Punkte oder als Bojen, die in einer unbekannten Fläche den Kurs markieren. Erst durch das Schreiben erlangen die Dinge Wirklichkeit. Sie ist nicht meine Voraussetzung, sondern mein Ziel. Ich muß sie erst herstellen." (Einige Bemerkungen zum Thema Literatur und Wirklichkeit, 1956). Literatur erscheint als „Übersetzung" des Dichters ins metaphysische Reich jenseits banaler Beschreibung, aber mit durchaus politisch-aktuellen, ideologiekritischen Implikationen (Botschaft des Regens, 1955).

Eine Verantwortung des Schriftstellers stellte Eich bereits seinem „Seid unnütz!" der „Träume" bei, ein Aufruf, der sich derart als eigentliches, poetisches Nützlichkeits-Dogma erweist: „Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind! Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwehren zu müssen! ...Tu das Unnütze, singt Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt". Ende der sechziger Jahre entstanden die Prosagedichte Maulwürfe (1968) und Ein Tibeter in meinem Büro (1970), die, stark von der Bilderwelt des Surrealismus geprägt, in neue, irritierend komponierte Bildbereiche vorzudringen suchen. Der groteske Sprachwitz dieser Bände wird im Hörspiel Man bittet zu läuten (1964) bereits vorweggenommen, dessen Monologe mit taubstummen Dialogpartnern die Möglichkeiten des Mediums spielerisch ad absurdum führen. Mit der Komödie Die Glücksritter bearbeitete Eich 1933 zudem eine Novelle Joseph von Eichendorffs. Darüber hinaus entstanden zwischen 1949 und 1952 rund 100 Nachdichtungen von Lyrik chinesischer Autoren (Aus dem Chinesischen, 1976). Weitere Werke Eichs sind die Gedichtbände Fortsetzung des Gesprächs (1957), Zu den Akten (1964) und Nach Seumes Papieren (1972), zwei Marionettenspiele (1964) sowie die Hörspiele Die Mädchen aus Viterbo (1953), Das Jahr Lazertis (1954), Allah hat hundert Namen (1954), Die Brandung von Setúbal (1957), Festianus, Märtyrer (1958) und Zeit und Kartoffeln (1972).
URL: https://www.cpw-online.de/lemmata/eich_guenter.htm

Internet-Tipp: https://www.cpw-online.de/lemmata/eich_guenter.htm


 Marina antwortete am 19.04.05 (12:40):

Danke iustitia, den Artikel habe ich gestern übrigens auch schon gelesen. :-)
Nur ein kleiner Hinweis: Den Ausdruck "schwulstig" hatte ich nicht benutzt, aber du hast schon recht: das mit dem reinigenden Feuer finde ich ziemlich pathetisch und immer noch etwas suspekt im Gegensatz zu "Inventur", das ja mit ganz einfachen schlichten Worten gerade dem Pathos entgegentritt, was in der Kritik gut dargestellt ist mit dem Hinweis auf den "Missbrauch der Sprache im Propagandaapparat der Nationalsozialisten", dem er entgegentritt. Sehr gut finde ich seine bekannte und immer wieder zitierte Forderung: "Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt". Das ist und bleibt hochaktuell.
@hansmann, "auch Abkanzeln ist nicht unbedingt ideenreich".
Stimmt. Solltest du auch für dich gelten lassen. Genauso (nämlich als ein Verächtlichmachen ernstgemeinter Fragen anderer - übrigens nicht an dich) hatte ich deine Replik verstanden und entsprechend darauf reagiert.


 hansmann antwortete am 19.04.05 (13:42):

Mit Marinen streite ich mich nicht!


 iustitia antwortete am 19.04.05 (13:50):

»Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.«
*
1980 nannte zum ersten Mal ein deutscher Präsident - Richard von Weizsäcker - den 8. Mai einen "Tag der Befreiung".
Und bis auf absolut dumme, politisch nicht relevante Rechte gab es da kein nationales Opfer-Palaver mehr..

Daran zu erinnern versucht diese Initiative:
https://www.tagfuerdemokratie.de

Internet-Tipp: https://www.tagfuerdemokratie.de


 iustitia antwortete am 21.04.05 (22:30):

Aus dem Mai 45 – Frieden über Deutschland, auch über Bayern

- wie Papst Benedikt XVI. als Joseph Ratzinger das Kriegsende erlebte – und wie Tommys es heute gerne sehen:

URL: https://www.sueddeutsche.de/,tt2m3/ausland/special/652/51601/index.html/ausland/artikel/789/51738/article.html

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/DqZ1rczI7


 hansmann antwortete am 22.04.05 (04:59):

Ob alles besser werden würde,
wenn iustitia die Augenbinde abnähme?


 Marina antwortete am 22.04.05 (10:25):

hansmann, es wäre schön, wenn du nur e i n m a l selber etwas S u b s t a n t i e l l e s bringen würdest statt immer nur höchst überflüssige Kommentare zu dem von andern Geschriebenen beizusteuern.


 Enigma antwortete am 22.04.05 (12:10):

Guten Tag,

ich hoffe, dass auch ein paar Geschichten erwünscht sind, die über den vorgegebenen Zeitrahmen etwas hinausgehen.
Ich habe da eine Seite gefunden, in der überwiegend zu der Zeit junge Menschen über Krieg und Kriegsende sehr persönliche Geschichten erzählen, die einen kleinen Einblick auch in die Alltagssituation zu dieser Zeit gewähren.

Ein Beispiel folgt:

Bei Interesse mehr - she. URL! -
Dann bitte links in der Übersicht "1940" anklicken.

Von Isolde Roth

Unsere Schule im Stuttgarter Westen war zu dieser Zeit nicht mehr sehr repräsentativ. Es fehlten die Unterrichtsräume für Musik, Chemie, Physik, Biologie, es fehlten Festsaal und Turnhalle. Lediglich 6 Unterrichtsräume im Seitenflügel des Gebäudes hatten den Bomben widerstanden und waren notdürftig für den Unterricht hergerichtet. Die Fensteröffnungen waren zu drei Vierteln mit Brettern verschalt, lediglich in der Mitte waren kleine Scheiben eingepaßt. Ein Kanonenöfchen, dessen Ofenrohr zu einem rund ausgesägten Loch durch die Bretterverschalung ins Freie lugte, sollte die notwendige Wärme spenden. Wir Schüler mußten jeden Tag mit 2 Briketts zum Schulbeginn anrücken. Trotzdem saßen wir manches Mal mit Handschuhen und in Mänteln in der Schulbank.

Die amerikanische Besatzungsmacht hatte die Fächer Erdkunde, Geschichte und Sport vom Lehrplan gestrichen, was heute vielleicht den einen oder anderen Schüler freuen würde. Grund hierfür war: Europa mußte erst neu verteilt, die deutsche Geschichte neu geschrieben werden, und Sport war ohnehin suspekt, hatten unsere Siegermächte doch noch sehr gut die Worte unseres GröFaZ - größter Führer aller Zeiten - im Ohr: "Die deutsche Jugend muß sein: "Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, flink wie Windhunde." Diese Jugend wollen sie nicht, sie machte ihnen Angst.
:-)

Internet-Tipp: https://www.swr.de/swr2/zeitenwende/zeugnisse/index_d.html


 iustitia antwortete am 22.04.05 (12:24):

hänselmännchen =

"Iustitia" trägt die Augenbinde, nicht weil sie blind ist - sondern weil sie - ohne Ansehen der Parteien zuhören, fragen, urteilen und Recht sprechen will.

*

Wenn ich bei Dir - irgendwann, irgendwie & irgendwunderbar - wieder den Eindruck habe, dass Du verstehst, was andere oder ich mitteilen, werde ich Dich auch loben können müssen wollen. (Wunder gibt es immer wieder...!)

URL.: Viermannschaft...; die drei Affen ergänzt durch einen Plappermann.
https://www.spao.de/humor/cartoon/vier_affen.jpg

Internet-Tipp: https://www.spao.de/humor/cartoon/vier_affen.jpg


 hansmann antwortete am 22.04.05 (13:44):

Aber aber, Sir A.R.Iustitia,
weshalb fühlst Du Dich denn angesprochen?

Ich suche mir meine Götter
in der Mythologie
und meinen Heiligen in Padua ---,
und keinesfalls im Internet.


 hansmann antwortete am 22.04.05 (13:47):

Marina,
sorry, daß ich Dich vergaß.
Aber Du kommst auch noch dran,
versprochen!

:-)))


 iustitia antwortete am 22.04.05 (13:57):

Ruprecht Wimmer:

Beitrag zu „Thomas Manns Tagebücher“:

„In den ersten Stunden des 20. September 1942 erfolgte der achte Luftangriff auf München. Er dauerte rund zwei Stunden und richtete vor allem in den Vorstädten erhebliche Zerstörungen an. Ich war damals gerade zwei Tage alt
und lag mit meiner Mutter in einer heute nicht mehr existierenden Klinik in der Schwabinger Kaulbachstraße - ein paar hundert Meter entfernt von der Wohnung, in der Thomas Mann einen großen Teil seiner Buddenbrooks geschrieben hatte. Meine Mutter erzählte wiederholt von der Katastrophe.
Ihre, oder vielmehr unsere, Lage muß prekär gewesen sein: Es gab in der ganzen Klinik keinen Arzt; die Babys hatte man in den Luftschutzkeller gebracht, und in den Etagen kümmerten sich einige Hebammen um die Wöchnerinnen. Es waren wohl helle, an sich freundliche Krankenzimmer, denn
die jungen Frauen konnten durch die großen Fenster das Inferno gut beobachten: die “Christbäume”, welche die Stadt in taghelles Licht tauchten, dann die Feuerblitze der Detonationen... Und niemand konnte wissen, wo die
nächste Bombe einschlagen würde.
Jahrzehnte später – ich war schon promovierter Germanist und neben anderem auch mit Thomas Mann beschäftigt, dem seit den letzten Gymnasialjahren meine ganze Liebe und Bewunderung galt - kamen mir die Tagebücher der Kriegsjahre in die Hände, in denen der Exilierte über die militärischen Ereignisse auf dem alten Kontinent genau Buch führte. Und da bekam ich unter dem 20. IX. 1942 zu lesen: “Bombardierung Münchens mit 200 Flugzeugen und größten Kalibern. Die Explosionen bis in die Schweiz hörbar, die Erde viele Meilen weit erschüttert. Der alberne Platz hat es geschichtlich verdient.” Es gibt sicher mildernde Umstände für diesen Ausbruch persönlichster Gereiztheit, den Protest der Wagnerstadt München, die Umstände der Emigration - sie mögen vielleicht dazu beigetragen haben, dass ich Thomas Mann trotz allem weiter die Treue hielt.“
*
URL: von einer schönen Th-Mann-Seite - auch zum Mitschreiben über Lese-Erlebnisse...

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/e9NE4hhf7


 iustitia antwortete am 23.04.05 (08:06):

Tony Vaccaros Bilder aus Deutschland 1944 - 49:

Das Ende der DEUTSCHEN OPFER-ZEIT (tausendjährig verheißen, endzeitlich angesagt, brutalst durchgezogen; Gott sei Dank, von erheblich kürzerer Dauer...) beleuchten die Bilder von Vaccaro sehr sensibel, häufig auch erschreckend.

Das schlimmste Bild für mich, weil aus meiner Heimat, vom Niederrhein:

Zerstörter Raum: ein Soldat in Uniform, daneben ein Stahlhelm - am Boden.
Dann sieht man, und Vaccaro erklärt es:
In dem Soldatenrock steckt eine erschossene, junge Frau, noch bewaffnet; in einer Stube, die wie eine Kanzlei ausieht; vielleicht ein Vorraum einer Schule.
Vielleicht hat sie sich selber erschossen - im Endkampf, irgendwo im Rheinland.
An der nicht ganz zerstörten Wand des Raumes hängt auch ein Druck von der Kevelaerer Madonna "Consolatix afflictorum" - Trösterin der Betrübten.
Daneben ein Engelsköpfchen, eine Putte.
Daneben, groß, in schönem, glänzendem Holzrahmen - Adolf Hitler in Führer-Pose, in Zivil.
EINE DEUTSCHE KÄMPFERIN - MIT IHREN IDOLEN IN DEN BEZUGSRAHMEN AN DER WAND.
(Das Bild ist leider im Netz nicht zu finden.)
*
Tony Vaccaros Buch “Entering Gemany“.
Als Bild ausgewähl: 1944: „Kuss der Befreiung“ – an der Westfront.

Tony Vaccaro war als Soldat im Zweiten Weltkrieg 1944 seit der Invasion in der Normandie dabei. Er fotografierte Deutschlands Wiederaufbau in vielen freundlichen Bildern. Einige seiner Werke sind derzeit im Deutsch-Amerikanischen Institut (d.a.i.) in Tübingen zu sehen, das in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feiert.
(Aus Tony Vaccaros Buch “Entering Gemany“. Fotos aus den Jahren 1944 – 1949. Im Verlag TASCHEN. Köln.)
URL: https://www.cityinfonetz.de/tagblatt/archiv/2002/das.magazin/45/artikel3_bild2_gr.jpg

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/1JukBfMqE


 hansmann antwortete am 23.04.05 (08:36):

...

Internet-Tipp: https://www.taschen.com/media/images/190/fo_vaccaro.jpg


 hansmann antwortete am 23.04.05 (08:56):

Ausstellungen von/mit Tony Vaccaro

» Check: Tony Vaccaro @ Photography-now.com

10.03. - 31.05.2005: Deutsch-amerikanische Begegnungen 1945-1949 , Amerika Haus, München, D

-----------
Ich überlege hinzufahren.


 iustitia antwortete am 01.05.05 (10:55):

Wickis Film "Die Brücke" heute Abend auf ZDF:

- Der wunderbar-traurige Film hat mich ein Leben lang begleitet... - als Anschauung, was Nazis wollten - und Gottseidank nicht konnten.

Vgl: Wiedersehen der „Brücke“-Darsteller:
https://www.glaubeaktuell.net/portal/nachrichten/nachricht.php?IDD=1111384559
*

URL - "Die Brücke":

Internet-Tipp: https://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/29/0,1872,2024381,00.html


 Enigma antwortete am 01.05.05 (11:09):

Ja,der ist wirklich toll. Ich habe ihn seinerzeit auch gesehen, werde ihn mir aber gerne noch einmal ansehen.

Danke für den Tipp.


 iustitia antwortete am 03.05.05 (12:19):

HERMANN HESSE (1945)
(Briefe)

"Während die Affen in England sich jetzt plötzlich über ganz Deutschland empören, als seien die Lagergreuel wirklich vom deutschen Volk begangen, schweigt man von den Tausenden stiller Dulder und Helden, die wie Suhrkamp sich zäh und immer wieder gegen die Übermacht gestemmt, vielmals Freiheit und Leben gewagt, und das deutsche Volk in der edelsten Weise in seiner schwersten Zeit repräsentiert haben. - Die Engländer haben jetzt, im Jahr 1945, die Lagergreuel entdeckt, die im Jahr 1934 schon in Prager Zeitschriften geschildert waren, und die die englischen Gesandten damals in Berlin hätten veranlassen sollen, von Hitler abzurücken, statt vor ihm Kotau zu machen, wie sie es getan haben, diese Affen. Davon spricht heute niemand. Und in Italien haben die Alliierten viele Leute, die vorher VOM den Deutschen und Faschisten verfolgt und im Volk aus brave Antifaschisten bekannt waren, bis auf den heutigen Tag im Gefängnis gehalten."(Aus einem Brief, Ostern 1945, an Otto Basler)
*
"Du meinst in deinem Brief, es wäre besser gewesen, wenn Hitler bei jenem Attentat umgekommen wäre. Das stimmt insofern, als für Deutschland alles ein klein wenig besser ausgesehen hätte. Aber die Tatsache, daß Deutschland sich Hitler ausgeliefert, daß es Böhmen, Österreich, Polen, Norwegen und schließlich die halbe Welt überfallen, ausgeraubt, Menschen zu Millionen geschlachtet und Land um Land ausgeraubt hat, diese traurige Tatsache bestünde auch dann weiter, wenn Hitler etwas früher umgekommen wäre. Und das Unglück und die Schande Deutschlands besteht ja nicht darin, daß es jetzt auch einiges leiden muß und besiegt wurde, sondern daß es viele Jahre lang diese Scheußlichkeiten ausgeübt hat. Wir haben vor Wut geknirscht, als Eure Rekruten schon vor 1939 sangen: »Heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt«, und wir sind traurig darüber, wie wenig Euer Volk bis jetzt zu ahnen schein, was es eigentlich angerichtet hat." (Aus einem Brief vom 16. 6.1945 an Günther Friedrich, in englischer Gefangenschaft)
*
"Keinesfalls würde ich öffentliche und kollektive Bußpredigten an Deutschland mit unterschreiben, dagegen privat sage ich es fast jedem Deutschen, der mich anspricht: eine wie schlechte, böse und im Grunde dumme Politik Deutschland seit 1870 gemacht hat, stets und immer, und wie eben doch alle daran mit schuld sind. Wer sich für Bismarck oder Wilhelm den Zweiten nicht mehr mitverantwortlich fühlt und sich ostentativ die Hände wäscht, der ist doch, in 99 von 100 Fällen, treulich und begeistert seinerzeit zur Urne gepilgert, um Hindenburg zu wählen. Irgendeinmal muß eben doch das Volk anfangen, sich für sein Tun und sein Leiden selber verantwortlich zu fühlen. Aber das lernt sich schwer, und da viele andre Völker unendlich lang dazu gebraucht haben, wird es auch hier nicht rasch gehen."
(Juli 1945 an Paula Philippson; Briefe aus „Politik des Gewissens“. Bd. 2)
URL - Hesse nach Warhol

Internet-Tipp: https://www.poster.net/warhol-andy/warhol-andy-hermann-hesse-2404328.jpg


 iustitia antwortete am 03.05.05 (12:44):

Ein Bild - ich find' mich dort als Kind einer solchen Mutter wieder.
Und in den Trümmern haben wir gespielt - obwohl wir es natürlich nicht durften.

https://www.rowohlt.de/fm/126/05_05_S02.jpg

Internet-Tipp: https://www.rowohlt.de/fm/126/05_05_S02.jpg


 iustitia antwortete am 07.05.05 (09:01):

In der Zeitschrift „Literaturen“: Schwerpunkt – MAI 1945 05.2004
Der große Ruck

Hitler als Stimmungspolitiker, Roosevelt als Regent im Notstand: Götz Aly und Wolfgang Schivelbusch tauchen in die Vergangenheit und schreiben an einer Geschichte der Gegenwart

Von René Aguigah

Ein Blick auf Deutschland: Die Zeiten sind nicht rosig, weder wirtschaftlich noch sicherheitspolitisch. Die Politik aber handelt kraftvoll, sie lindert die Krise. Die Renten sind spürbar gestiegen, die Senioren können sich, wenn sie krank werden, auf staatliche Unterstützung verlassen, die Zuschläge für die Arbeit bei Nacht, an Sonn- und Feiertagen sind steuerfrei, die Kilometerpauschale für Pendler bleibt unangetastet, das Kindergeld wird mehrfach erhöht, und vor allem gehört das Millionenheer der Erwerbslosen endlich der Vergangenheit an. Die Regierung hat ihr zentrales Wahlversprechen – Arbeit, Arbeit, Arbeit – gehalten.

Wenige Jahre zuvor, auf der anderen Seite des Atlantiks: Auch den Vereinigten Staaten macht die weltwirtschaftliche Depression zu schaffen. Der Präsident schwört seine Landsleute auf eine ....
*

https://www.literaturen.de/schwp-index.html

URL::
Wilhelm Rudolf: Trümmerstraße in Dresden.

Internet-Tipp: https://www.literaturen.de/fotos/schwp.jpg


 iustitia antwortete am 09.05.05 (08:04):

"Du mußt helfen" - Wie Ralf Dahrendorf als 16-Jähriger in Berlin das Kriegsende erlebte

Ralf Dahrendorf:

Der 8. Mai bringt stets Erinnerungen aus dem Jahre 1945 zurück, denn für mich war das Ende des Krieges in Europa wirklich eine Stunde Null. Als die ersten sowjetischen Soldaten unsere kleine Straße in einem westlichen Vorort Berlins heraufkamen, wußten wir, daß das große Gemetzel bald ein Ende haben würde. Mein Vater, der im Widerstand gewesen war, kam aus dem Gefängnis Brandenburg frei. Ich brauchte mich nicht mehr zu verstecken, wie ich es seit meiner Entlassung aus einem Gestapo-Lager Anfang Februar getan hatte. Irgendwie würde ein neues Leben anfangen.

Zuerst kam jedoch das Chaos. Die Nazis waren fort, und die Besatzungsmächte hatten noch keine Verwaltung eingesetzt. Wir alle plünderten die örtlichen Geschäfte. Essen war schwierig zu finden. Mein Vater wurde aus dem Gefängnis geholt und direkt ins Zentrum Berlins gebracht, wo er das Büro für die Energieversorgung der Stadt einrichten sollte - eine Aufgabe, bei der er mit nichts anfing.

War es eine Niederlage oder eine Befreiung? Für die Deutschen war diese Frage nicht einfach zu beantworten, obwohl unsere Familie in jeder Hinsicht ganz klar befreit worden war. Damals lautete die Frage: Wozu befreit? Wie geht es jetzt mit uns weiter? "Du mußt helfen", sagte meine Mutter zu mir. Also bot ich der örtlichen sowjetischen Behörde meine Dienste an und half beim Verteilen von Grundnahrungsmitteln. Fünf Wochen später war ich jedoch wieder in der Schule. Ich trug einen Paß als "Opfer des Faschismus", doch andere zeigten ihr Eisernes Kreuz, das sie für militärische Einsätze erhalten hatten. Einige waren Flüchtlinge aus dem Osten, die Wohnungen vieler waren bei Luftangriffen zerstört worden, fast alle trauerten um verstorbene geliebte Menschen.
Weiter zu lesen:
URL.:https://www.welt.de/data/2005/05/09/716140.html?prx=1

Internet-Tipp: https://www.welt.de/data/2005/05/09/716140.html?prx=1


 iustitia antwortete am 09.05.05 (12:15):

Eine der mir wichtisten Geschichten vom Kriegsende in Massuren - hier von Siegfried Lenz:
Schwierige Trauer - Eine Grabrede auf Henry Smolka
(1960)

Vielleicht, Vater, hast du gesehen, daß wir weni­ger erschraken als uns weigerten, zu glauben, was uns die Leitung des Obdachlosen‑Asyls schrieb; denn in all den Jahren ‑ und was sollten wir anderes tun? ‑ hatten wir uns damit abgefunden, daß du verschwunden warst und deine Spur für immer unauf­findbar bleiben würde: irgendwo zwischen Luknow, wo du aufbrachst, und dem Ziel, das nur du allein kanntest, als ihr in einer eisigen Februarnacht auf den letzten Lastwagen stiegt, der euch zur Flucht verhel­fen sollte.
Wir hatten uns an deine Verschollenheit gewöhnt und waren auf dem besten Wege, dich und deine Aufgabe zu vergessen, die du damals übernommen hat­test und von der wir immer wieder in Gerüchten hör­ten, und es war keine Hoffnung im Spiel, als wir dich zuerst für vermißt, zehn Jahre später für tot erklären ließen. Wir taten dies deinetwegen und unsretwe­gen; deinetwegen: weil wir dir die letzte Ehre, verges­sen zu werden, verschaffen wollten; und unsretwe­gen: weil wir uns insgeheim davor schützen wollten, daß du mit deinem absurden Besitz aus der Verschol­lenheit auftauchst, um uns die Ruhe zu nehmen. Alles, Vater, was wir für dich empfanden, empfanden wir für den Vermißten.
Doch nun bist du aufgetaucht: Der einstige Bürger­meister von Luknow, unserer alten Grenzstadt im Osten, starb in einem Obdachlosen‑Asyl, wo er unter falschem Namen einen Strohsack besetzt gehalten und eifrig verteidigt hatte gegen die zänkischen An­sprüche alter Schlawiner, starb und begrub bis zu­letzt mit seinem Körper den wasserdichten Beutel, in dem, nach deiner Meinung, die Geschichte und das Schicksal unserer Stadt ruhten, oder vielmehr nur das, was von ihrer Geschichte und ihrem Schicksal übriggeblieben war, seitdem du dich in jener Februarnacht davongemacht hattest. Deine Spur ist wieder zum Vorschein gekommen wie eine Spur im Tal der Dünen, die der Wind noch einmal freigefegt hat, bevor er sie endgültig löscht, und du zwingst uns, Vater, uns noch einmal mit dir zu beschäftigen, in deiner Spur zu lesen und uns an die Stunde zu erinnern, in der du die Aufgabe übernahmst, die dich für immer von uns trennte und mit der du uns bis heute nichts hinterlassen hast als Scham, Verlegenheit und eine schwierige Trauer. Wir können dir keine mildernden Umstände zugute halten, denn wir wissen, daß du bis zuletzt nicht ein einziges Mal an deiner Aufgabe gezweifelt hast.
Du warst überzeugt, gleich damals in jener klaren Februarnacht, als dich der Auftrag des Landrats er­reichte, das Archiv der Stadt, die Dokumente von Luknows 6oojähriger Geschichte vor der Roten Armee in Sicherheit zu bringen. Unsere Soldaten hatten die Stadt bereits verlassen.
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