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THEMA:   Kurzprosa

 158 Antwort(en).

Enigma begann die Diskussion am 03.04.05 (09:45) :

Die folgende sogenannte "Skizze" von Victor Auburtin gefiel mir gut:

Der Philosoph oder Über das Wesen der Dinge

Der Philosoph saß in seinem Studierzimmer und wollte über das Wesen der Dinge nachsinnen. Aber sein weißes Kätzchen sprang auf den Tisch, schmiegte sich an den Philosophen und störte ihn in jeder Weise. Da warf er dem Kätzchen einen Champagnerpfropfen auf die Erde hin; das Kätzchen stürzte sich darauf und begann, den Champagnerpfropfen vor sich her zu jagen.

Und ungestört konnte der Philosoph nun folgendes denken: Es ist etwas. Aber was ist? Und was heißt sein? Was ist, kann nicht nichtsein, und alle Dinge sind, die nicht nichtsind.

Die Katze trudelte den Champagnerpfropfen von dem Arbeitstisch zum Kamin; ihre Augen leuchteten vor Eifer, denn der Verdacht war ihr gekommen, daß dies kein Champagnerpfropfen sei, sondern eine Maus, die sich nur so stelle, als sei sie ein Champagnerpfropfen.

Offenbar, so folgerte der Philosoph weiter, offenbar gibt es Dinge, die sind, und Dinge, die nicht sind. Die Welt teilt sich also in zwei große Kategorien: Kategorie a: die Dinge, die sind; Kategorie b: die Dinge, die nicht sind. Aber was heißt nun nicht sein? Nicht sein heißt nicht vorhanden sein. Wenn ich also sage, in der Kategorie b sind die Dinge, die nicht sind, begehe ich einen greifbaren Widerspruch. Denn was nicht ist, kann nirgendwo sein, also auch in der Kategorie b nicht. So bleibt nur die Kategorie a übrig, und alle Dinge sind. Es ist also etwas, aber was ist und was heißt sein?

Während der Philosoph so dachte, hatte die Katze den Champagnerpfropfen rund um das Zimmer gejagt und trieb ihn nun zu dem Arbeitstisch zurück. Dort ließ sie ihn liegen, denn sie war jetzt überzeugt, daß es doch keine Maus, sondern einfach ein Pfropfen sei.

Der Philosoph blickte sie an und lächelte.

»Törichtes Tier«, sprach er, »bist du nun weiter gekommen, daß du den Pfropfen einmal im Kreise herum gejagt hast?«
:-))


 Medea. antwortete am 03.04.05 (11:53):

Hübsche kleine Geschichte, Enigma - .-)
So sind sie die Katzen ......,
sie sehen schneller hinter die Dinge als die ach so klugen Menschen und wissen, daß ein Champagnerpropfen ein Champagnerpropfen bleibt, auch wenn er für den Augenblick eines Spielchens zum Mäuschen mutierte.

Es lebe die Fantasie......


 Karl antwortete am 03.04.05 (11:58):

Möchte auch eine philosophische Kurzprosa beitragen:

Von dem chinesischen Philosophen Chuang Tzu ist folgende Parabel überliefert: "Zwei Philosophen standen auf einer kleinen Brücke, über einem klaren Bach, und sahen dem Spiel der Fische zu. Da sagte der eine: 'Sieh nur, wie die Fischlein dort im Kreis herumschwimmen und plätschern. Das ist ein Vergnügen für sie'. Darauf versetzte der zweite: 'Woher weißt du, was für die Fische ein Vergnügen ist?' - 'Und wieso weißt du', entgegnete ihm der erste, 'der du doch nicht ich bist, daß ich nicht weiß, was den Fischen Vergnügen macht?'


 iustitia antwortete am 03.04.05 (12:00):

Ja, Auburtin ist ein wunderbarer Sprachler, mehr als ein Feuilletonist...:

Victor Auburtin: Wir Ebenbilder Gottes

Norderney.
»Mama«, sagte das kleine Mädchen, »den Seestern nehme ich mit nach Hamburg.«
Sie hatte am Strande einen herrlichen smaragdgrünen Seestern gefunden und brachte ihn nun ihrer Mama.
Die Mama blickte von Galsworthys Weißer Affe auf, in dem sie gerade las, und erwiderte: »Du kannst ihn mit nach Hamburg nehmen, mein Liebling, aber erst mußt du ihn totmachen.«
»Wie macht man denn Seesterne tot?« fragte das kleine Mädchen. Darauf wußte die Mama keine Antwort. Es war eine praktische Hamburger Mama, rund und appetitlich. Sie hatte wohl schon zahlreichen Aalen den Kopf eingeschlagen, Karpfen lebendig geschuppt und Krebse gekocht, aber wie man einen Seestern totmacht, die Frage war ihr noch nicht vorgekommen.
Der Oberkellner wußte einen glücklichen Ausweg. Er legte den Seestern auf einen Teller und stellte ihn ans Fenster in die Sonne: »Nun wird er gleich tot sein«, sagte er.
Aber der Seestern war nicht gleich tot. Er krümmte seine Strahlen nach oben, und man sah seine tausend Füßchen. Diese Füßchen bewegten sich langsam und reckten sich, sie suchten nach dem Wasser, sie schrien nach dem Leben, sie flehten um Erbarmen. Aber niemand im Zimmer hatte Erbarmen, außer mir, und ich benahm mich wie ein Feigling und lief weg.
Am Abend war der Seestern nun glücklich tot. Aber jetzt sah er nicht mehr smaragdgrün aus, sondern war weißlich und gräulich geworden, gerade wie die billigen Seesterne, die man in jedem Ansichtskartenladen kaufen kann. Außerdem fing er an, fürchterlich zu stinken. Es war schließlich das Kindermädchen, das ihn nach dem Mülleimer trug.
*
URL - über Auburtin

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/IY1qokI85


 Marina antwortete am 03.04.05 (16:20):

Engima,
ich danke dir, dass du mich mit diesem Schriftsteller bekannt gmacht hast. Der Name war mir zwar nicht neu, aber ich hatte nie was von ihm gelesen, und die Geschichte ist wirklich sehr schön und enthält gleich mehrere Weisheiten. Seltsam und interessant auch, wie verschieden da die Assoziationen sind. Meine war erst eine ganz andere als die von Medea, obwohl auch ihre berechtigt ist. Ich habe da mehr eine Analogie zwischen dem Jagen der Katze nach einer Illusion (statt Fantasie)und dem Jagen des Menschen nach der Wahrheit gesehen, das nie zu einem Ende kommt, sondern sich im Kreis herumdreht wie der Pfropfen. Soll das heißen, dass die Philosophie allgemein nach Auburtins Meinung zu so einem Circulus Vitiosus führt und damit sinnlos ist?
Was meint ihr? Wie versteht ihr die Geschichte? Auch die Geschichte von iustitia finde ich schön, aber weniger philosophisch. Aber mit Illusionen hat sie auch ein wenig zu tun, meine ich.

Nicht zuletzt: Karl, deine Geschichte gefällt mir auch sehr gut. Sie ist so einfach und dabei so lehrreich.

Es ist schon toll, was man hier für Anregungen kriegt. :-)
Vielen Dank nochmal.


 wanda antwortete am 03.04.05 (17:40):

wunderbar - alles, das rundet einen schönen Sonntag richtig ab.
"überzeugt, daß es doch keine Maus, sondern einfach ein Pfropfen sei."
Erlaubt bitte, dass ich hier widerspreche, die Katze hielt den Pfropfen niemals für einen Pfropfen, sondern in dem Fall für eine tote Maus.

Der Pfropfen ist nur für denjenigen ein Pfropfen, der ihn als solchen erkennt :-))))))


 Medea. antwortete am 03.04.05 (19:39):

Liebe Wanda -
unterschätze mir die Katzen nicht :-) -

sie sind glatt imstande, ihrem Menschen etwas vorzumachen,
bloß um ihn in dem Glauben zu halten, ihm eine Freude zu machen. In Wirklichkeit haben sie ihn längst durchschaut, aber als feinsinnige Geschöpfe lassen sie ihn das, der doch ihr Freund ist, nicht merken .... ;-)


 Marina antwortete am 03.04.05 (21:49):

Ich möchte auch mit einer kleinen Geschichte zu diesem interessanten thread beitragen. Hier ist sie:

Märchen

Es war einmal ein Kaiser, der über ein unermeßlich großes, reiches und schönes Land herrschte. Und er besaß wie jeder andere Kaiser auch eine Schatzkammer, in der inmitten all der glänzenden und glitzernden Juwelen auch eine Flöte lag. Das war aber ein merkwürdiges Instrument. Wenn man nämlich durch eines der vier Löcher in die Flöte hineinsah, - oh! was gab es da nicht alles zu sehen! Da war eine Landschaft darin, klein, aber voller Leben: Eine Thomasche Landschaft mit Böcklinschen Wolken und Leistikowschen Seen. Rezniceksche Dämchen rümpften die Nasen über Zillesche Gestalten, und eine Bauerndirne Meuniers trug einen Arm voll Blumen Orliks - kurz, eine ganze moderne Richtung war in der Flöte.
Und was machte der Kaiser damit? Er pfiff darauf.

Kurt Tucholsky


 Enigma antwortete am 04.04.05 (08:13):

Guten Morgen,

danke auch für Eure schönen Geschichtchen.

In einem alten Brecht-Taschenbuch fand ich noch "Geschichten von Herrn Keuner".
Und darunter auch
"Freundschaftsdienste"

Als Beispiel für die richtige Art, Freunden einen Dienst zu erweisen, gab Herr K. folgende Geschichte zum besten:
Zu einem alten Araber kamen drei junge Leute und sagten ihm:
"Unser Vater ist gestorben. Er hat uns siebzehn Kamele hinterlassen und im Testament verfügt, daß der Älteste die Hälfte, der Zweite ein Drittel und der Jüngste ein Neuntel der Kamele bekommen soll. Jetzt können wir uns über die Verteilung nicht einigen, übernimm du die Entscheidung!"
Der Araber dachte nach und sagte:"Wie ich es sehe, habt ihr, um gut teilen zu können, ein Kamel zu wenig. Ich habe selbst nur ein einziges Kamel, aber es steht euch zur Verfügung. Nehmt es und teilt dann, und bringt mir nur, was übrigbleibt."
Sie bedankten sich für diesen Freundschaftsdienst, nahmen das Kamel mit und teilten die achtzehn Kamele nun so, daß der Älteste die Hälfte, das sind neun, der Zweite ein Drittel, das sind sechs, und der Jüngste ein Neuntel, das sind zwei Kamele, bekam.
Zu ihrem Erstaunen blieb, als sie ihre Kamele zur Seite geführt hatten, ein Kamel übrig.
Dieses brachten sie, ihren Dank erneuernd, ihrem alten Freund zurück...
:-)


 schorsch antwortete am 04.04.05 (10:14):

Schon mancher Mann ist doch schon einem Mäuschen nachgejagt - und hat am Ende bitter efahren müssen, dass es nur ein Zapfen war.......


 pilli antwortete am 04.04.05 (10:27):

Der Spielzeugphilosoph

Ich habe einen kleinen Spielzeugphilosophen im Schrank. Ein verrückter Onkel hat ihn mir einmal geschenkt, ich weiß schon gar nicht mehr welcher. Ich habe nicht nur einen Onkel von der Sorte. Meine Mutter meint, ich solle lieber mit Puppen spielen. Das bereite mich besser vor auf das, was mich erwarte (und sagt das in einem Ton, als stünde mir gar schreckliches bevor). Das ist aber nicht der Grund, warum ich ihn gar nicht mehr hervorhole aus dem Schrank. Er funktioniert nicht mehr richtig, schon lange nicht mehr. Er rollt zwar noch gar entzückend mit den Augen, legt die kleine Stirn in Falten, und die Kinnlade klappt auch immer noch herunter, als wolle er jetzt ansetzen zu philosophieren, und trotzdem ... Beim letzten Mal, als ich ihn meinem Freund Josef vorführen wollte (der aber ohnehin lieber mit Puppen spielt), gab das Kerlchen – das Spielzeug, meine ich - etwas von Pascals Rasiermesser und Ockhams Höhle und Platons Paradoxie und Zenons Gabel von sich. Von der Dialektik der Tabula rasa, dem Ding der Induktion, pragmatischem Existenzialismus. Josef sah mich nur an und meinte, das wäre ein gar idiotisches Ding – und er wolle lieber mit den Puppen spielen, basta! Die sind hübsch und stumm und tragen schöne Kleidchen. Und reden vor allem nicht so ein dummes Zeug von wegen Ockhams Rasiermesser und Pascals Wette und Zenons Paradoxie und Platons Höhle und – ach, was-wußte-er! Lachhaft! Ich kann Josef gut leiden. Er ist zwar nicht der klügste, aber man kann gut mit ihm auskommen (vielleicht gerade deswegen). Ich konnte ihm auch gar nicht widersprechen. Schließlich: Ich halte das Ding ja selbst für übergeschnappt. Ob’s nun funktioniert oder nicht. Der, der’s gemacht hat, muß ein komischer Kauz gewesen sein!

(Petra Zlobinski)


 Marina antwortete am 04.04.05 (12:09):

Wunderbar, diese neue Philosophen-Geschichte! Hier etwas anderes:

Der Onkel

Eine gewisse Frau Schmeichel hatte zwei heiratsfähige Töchter und erinnerte sich auch noch eines Onkels, sie könne von ihm profitieren. Unser Onkel hieß Stiesel, und er freute sich an seiner Stieselei wie an der Sonne. Damit er sich nicht langweile, schickte ihm Frau Schmeichel eine der Töchter ins Haus, das von einem Vögeligarten umgeben war, aus dem es den ganzen Tag nur so herauszwitscherte. Onkel Stiesel begrub die Ankommende unter lauter Geschenken, wie denn in dieser Geschichte die Gegenstände nur so herumflogen, die zu Geschenkzwecken dienten. Auf jeder Druckseite wurde irgend etwas eingepackt. Onkelchen erhielt für die Beweise von Abwesenheit aller Grobheit ein Nichtchenküßchen, das ihm durch die Adern rann. Sodann setzte sich der Wildfang noch auf des von Lebensglück bei Erreichtheit einer gewissen Anzahl von Jahren beinah bebenden Stiesels Schoß, der beim ungeahnten Erfölglein beim Vöglein Augen wie Fünffrankenstücke machte. Die Beonkelung, die ihr zuteil wurde, schmeckte der Helma sehr, aber da ging die Türe unvermutet auf, und eine Erscheinung trat ein, die sich als die eines Referendars auswies, wodurch dem onkeligen Entzücken ein Ziel gesetzt wurde. Sie fühlte, sie eigne sich zu Besserem als zum Bestieseltwerden, ging ihrem Zukünftigen entgegen, und der Onkel und die Vögel draußen im Garten bestätigten das Ereignis.

Robert Walser, 1878-1956


 wanda antwortete am 06.04.05 (09:56):


Ein armer Gärtner hatte einen Baum an einem Fluss zu pflegen und
musste einige Äste abschlagen, die über den Fluss ragten. Da
fiel ihm prompt seine Axt ins Wasser. Der Mann begann bitterlich
zu weinen, weil er in seiner Armut nicht wusste, woher er eine
neue Axt bekommen sollte.

Er weinte so verzweifelt, dass der liebe Gott erschien und ihn
fragte, warum er denn so entsetzlich traurig sei.
"Ach," sagte der Mann, "meine einzige Axt ist mir ins Wasser
gefallen, und ich bin so arm, dass ich nicht weiß, wo ich eine
neue hernehmen soll, damit ich weiter arbeiten kann."

Darauf stieg der liebe Gott ins Wasser und kam mit einer goldenen
Axt wieder zum Vorschein. "Ist das deine Axt?" fragte er den Mann.
"Nein", entgegnete der.
Darauf stieg Gott ein zweites Mal ins Wasser und kam mit einer
silbernen Axt wieder heraus. "Ist das deine Axt?" fragte er wieder.
"Nein", sagte der Mann abermals.
Da stieg Gott ein drittes Mal ins Wasser und brachte die alte Axt
des Mannes mit. "Ist denn das deine Axt?" fragte er den Mann.
"Ja, das ist sie!" antwortete der Mann diesmal.

Da war Gott über die Ehrlichkeit des Mannes so erfreut, dass er ihm
alle drei Äxte gab. Und der Gärtner setzte seine Arbeit fort und
kam abends glücklich über den erlangten Reichtum nach Hause.

Wenige Tage später war er mit seiner Frau zusammen am Ufer eben
jenes Flusses am Arbeiten, als seine Frau plötzlich abrutschte,
in den Fluss fiel und unterging. Vor Entsetzen begann der Gärtner
noch viel elender zu weinen als das letzte Mal und klagte so
heftig, dass wiederum der liebe Gott erschien und nach dem Grund
für die Verzweiflung des Mannes fragte.

"Ach Gott, meine Frau ist ins Wasser gefallen", antwortete ihm
der Mann schluchzend.
So stieg Gott wieder in den Fluss und kam mit Jennifer Lopez in
seinen Händen wieder empor: "Ist das deine Frau?" fragte er den
Gärtner.
"Ja, ja!" rief der Mann nach kurzem Zögern.

Da ergrimmte der liebe Gott und donnerte den Mann an: "Du wagst
es, mich zu belügen? Verstoßen sollte ich dich auf der Stelle
und mit der Hölle strafen!"

Da flehte der Gärtner: "Oh Herr, vergib mir! Was hätte ich denn
machen sollen? Wenn ich Nein gesagt hätte, wärst du das nächste
Mal mit Claudia Schiffer wiedergekommen, und ich hätte wieder mit
Nein antworten müssen. Und dann hättest du mir beim dritten Mal
meine Frau wieder gebracht und mir die anderen beiden dazu
gegeben. Ich bin aber doch so ein armer Mann, wie hätte ich sie
denn alle drei ernähren sollen? Nur deshalb habe ich gleich bei
der Ersten Ja gesagt!"

Und die Moral von der Geschichte?


 pilli antwortete am 06.04.05 (10:33):

und die moral von der geschichte: :-)

sehe, ich verkündige dir:

"übe dich in der kunst der guten ausrede!"

:-)


 hl antwortete am 06.04.05 (18:34):

Das Lied der Lerche
Helmut Wördemann

Es war einmal eine Lerche, die freute sich so sehr über ihr erstes Ei, dass sie vor Vergnügen ums Nest hüpfte, welches sich versteckt auf einer großen Wiese befand. Aber das Gras kitzelte unter den Flügeln. Deshalb schwang sich die Lerche auf und hob befreit an zu singen: Tirili-Tirila-Tirilalala!

Immer höher stieg sie wie an ihrer eigenen Tonleiter hinauf. Es hörte sich an und sah so aus, als schüfe sie sich singend ihren Aufstieg in den Himmel mit selbstkomponierter Musik.

Als sie aber jubilierend die reinste Freiheit hoch über dem Dunst der Städte erreicht hatte, brauste ein Flugzeug daher, das zerschmetterte das Lied der Lerche, und es verdickte die Luft mit Gestank.

Enttäuscht ließ sich die Lerche zurückfallen, um künftig nur noch halb so froh halb so hoch zu fliegen in halb so reine Luft. Und sie überlegte sich, ob sie jemals wieder ein Ei legen sollte, da doch die eigene Freude darüber sich nicht mehr glücklich erheben konnte und da sie doch nicht wusste, ob ihre Töchter und Söhne die verrußte Sonne ertragen würden.

Internet-Tipp: https://gutenberg.spiegel.de/fabeln/woerdema/Druckversion_0htmldir.htm


 Enigma antwortete am 07.04.05 (14:23):

Nils Bohr

Verkanntes Genie

Anmerkung: Die nun folgende Geschichte hat sich wirklich an der Universität von Kopenhagen zugetragen!
In einer Prüfung wurde folgende Frage gestellt:
"Beschreiben Sie, wie man die Höhe eines Wolkenkratzers mit einem Barometer feststellt."
Ein Kursteilnehmer antwortete:
"Sie binden ein langes Stück Schnur an den Ansatz des Barometers, senken dann das Barometer vom Dach des Wolkenkratzers zum Boden. Die Länge der Schnur plus die Länge des Barometers entspricht der Höhe des Gebäudes." Diese in hohem Grade originelle Antwort entrüstete den Prüfer dermaßen, dass der Kursteilnehmer sofort entlassen wurde. Dieser appellierte an seine Grundrechte, mit der Begründung, dass seine Antwort unbestreitbar korrekt war. Die Universität ernannte einen unabhängigen Schiedsrichter, um den Fall zu entscheiden. Der Schiedsrichter urteilte, dass die Antwort in der Tat korrekt war, aber kein wahrnehmbares Wissen von Physik zeige ...
Um das Problem zu lösen, wurde entschieden den Kursteilnehmer nochmals herein zu bitten und ihm sechs Minuten zuzugestehen, in denen er eine mündliche Antwort geben konnte, die mindestens eine minimale Vertrautheit mit den Grundprinzipien von Physik zeigte. Für fünf Minuten saß der Kursteilnehmer still, den Kopf nach vorne, in Gedanken versunken. Der Schiedsrichter erinnerte ihn, dass die Zeit lief, worauf der Kursteilnehmer antwortete, dass er einige extrem relevante Antworten hätte, aber sich nicht entscheiden könnte, welche er verwenden sollte. Als ihm geraten wurde, sich zu beeilen, antwortete er wie folgt:
"Erstens könnten Sie das Barometer bis zum Dach des Wolkenkratzers nehmen, es über den Rand fallen lassen und die Zeit messen die es braucht, um den Boden zu erreichen. Die Höhe des Gebäudes kann mit der Formel H=0.5g x t im Quadrat berechnet werden. Der Barometer wäre allerdings dahin!
Oder, falls die Sonne scheint, könnten Sie die Höhe des Barometers messen, es hochstellen und die Länge seines Schattens messen. Dann messen Sie dieLänge des Schattens des Wolkenkratzers, anschließend ist es eine einfache Sache, anhand der proportionalen Arithmetik die Höhe des Wolkenkratzers zu berechnen.
Wenn Sie aber in einem hohem Grade wissenschaftlich sein wollten, könnten Sie ein kurzes Stück Schnur an das Barometer binden und es schwingen lassen wie ein Pendel, zuerst auf dem Boden und dann auf dem Dach des Wolkenkratzers. Die Höhe entspricht der Abweichung der gravitationalen Wiederherstellungskraft T=2 pi im Quadrat (l/g).
Oder, wenn der Wolkenkratzer eine äußere Nottreppe besitzt, würde es am einfachsten gehen da hinauf zu steigen, die Höhe des Wolkenkratzers in Barometerlängen abzuhaken und oben zusammenzählen.
Wenn Sie aber bloß eine langweilige und orthodoxe Lösung wünschen, dann können Sie selbstverständlich den Barometer benutzen, um den Luftdruck auf dem Dach des Wolkenkratzers und auf dem Grund zu messen und der Unterschied bezüglich der Millibare umzuwandeln, um die Höhe des Gebäudes zu berechnen. Aber, da wir ständig aufgefordert werden die Unabhängigkeit des Verstandes zu üben und wissenschaftliche Methoden anzuwenden, würde es ohne Zweifel viel einfacher sein, an der Tür des Hausmeisters zu klopfen und ihm zu sagen: "Wenn Sie einen netten neuen Barometer möchten, gebe ich Ihnen dieses hier, vorausgesetzt Sie sagen mir die Höhe dieses Wolkenkratzers."
übrigens: Der Kursteilnehmer war Niels Bohr, der erste Däne der überhaupt den Nobelpreis für Physik gewann ...

Internet-Tipp: https://www.physik.uni-augsburg.de/did/content_german/other/anecdotes.htm


 wanda antwortete am 07.04.05 (14:56):

@pilli die Moral von der Geschicht: Männer lügen nur aus ganz ernsthaften und verständlichen Gründen!


 Enigma antwortete am 08.04.05 (08:20):

ACHTUNG: MAXIMALE TEXTLAENGE VON ETWA 500 WOERTERN UEBERSCHRITTEN! GEHEN SIE ZUM KUERZEN ZURUECK ACHTUNG: MAXIMALE TEXTLAENGE VON ETWA 500 WOERTERN UEBERSCHRITTEN! GEHEN SIE ZUM KUERZEN ZURUECK


 Enigma antwortete am 08.04.05 (08:29):

Hamlet oder der Schwierige
Helmut Qualtinger
Aus den Hamletparodien - Josefstädter Version

Hamlet (bearbeitet ein Steak):
Oh, schmölze doch dies allzufeste Fleisch, zerging und....
Königin:
Schmeckt`s Dir nicht, Bub?
Hamlet:
Mir gehen so viele kuriose Sachen im Kopf rum....
Königin:
No, sag schon!
Hamlet:
Weißt, Mama, daß du, so kurz, nachdem der Papa...Pause ....schon wieder....Pause....und daß du dann nicht einmal...Pause...obwohl man doch spricht...
Königin:
Ja, Schwachheit, dein Name ist Weib...
Hamlet:
Wer sagt das?
Königin:
Irgendwie ghört hab ichs...
Hamlet:
Man hört in letzter Zeit so viel Gemeinplätz` bei uns im Haus... Er schlägt ein Ei auf, riecht daran. Etwas ist faul im Staate Dänemark...
Königin:
Dabei hab ichs eigens durchleuchten lassen - sag, was hast eigentlich gegen deinen neuen Papa?
Hamlet:
Weißt, dass einer lächeln kann, und immer lächeln, und doch ein Schurke sein...
Königin:
Aber eins mußt ihm lassen....Charme hat er...
König (tritt auf mit Blumenstrauß und Bonbonniere):
Küß die Hand, liebe Trude...Servus, Bub!....Alles in Ordnung?... Na, was macht denn dein Fräulein Braut, die reizende Ophelia?
Hamlet:
Sie ist im Sacre Coeur..Ich hab ihr gesagt, geh in ein Kloster, Ophelia...
König:
Warum denn?
Hamlet:
Damits ein bisserl Schliff kriegt... Savoir vivre...
Königin (hat inzwischen die Bonbonniere geöffnet, sieht das Firmenzeichen):
Mmmm...Rosenkranz und Güldenstern....
König (stolz):
Kärtnerstraße....
Königin:
Das muß doch ein Vermögen kosten....
König (bagatellisierend):
Die Firma kommt ins Programmheft...
Königin:
Du bist grad richtig zum Kaffee ...(sie klingelt).
König:
Bei euch kommt man immer zu irgendeinem Essen zurecht....
Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 08.04.05 (08:33):

Fortsetzung!

Hamlet:
Was willst? Das ist die Atmosphäre des Hauses...
König (wartet auf):
Zigarette?....
Königin (nimmt eine):
Schwachheit, dein Name ist Weib....
Hamlet (hält sich die Ohren zu):
Nicht schon wieder, Mama....
Königin:
Warum? Das erstemal habens die Leut`eh nicht verstanden...
König:
Seids mer net bös, ihr beiden, aber warum wird bei euch soviel oberflächliches Zeug gredt?
Königin:
Was glaubst, wie schwer es ist, ein Haus wie das unsere zu führen...Den Standard aufrecht zu erhalten....
Hamlet (versonnen, dem Zigarettenrauch nachblickend):
Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage...Pause.... Reden wir von was anderem!
König:
Um ganz ehrlich zu sein...Die Gschicht mit deinem Papa, Hamlet...Die Tat ist faul, sie stinkt zum Himmel.... Es ist mir wirklich peinlich...
Ein alter Diener (kommt zitternd mit einem Kaffeeservice. Er verschüttet die Hälfte):
Der Kaffee ist gesattelt.... Das Pferd ist serviert...
König:
Wer ist das?
Königin:
Unser Hausgeist...
Hamlet:
Der Geist der Josefstadt...
König:
Oh, welch ein edler Geist ist hier zerstört...
Hamlet:
Kunststück! Seit der Walter Firner im Haus is...
Diener ab.
König:
Nein, ohne Spaß...Er schaut wirklich schlecht aus....
Königin:
Man kanns ja verstehen...bei dem Alter...Das Südamerika hat ihm auch net gut tan...Greifts doch zu!
Die drei beginnen Kaffee zu schlürfen. Konversation wird immer schläfriger.
König:
Was macht der Laertes-Holenia?
Hamlet:
I weiß net...Duellieren wird er sich mit mir...
König:
Beim Dehmel?
Hamlet:
Kann sein....
Königin:
Der Kaffee schmeckt so komisch...
Hamlet:
Sterben, schlafen....Er gähnt...Schlafen....
König:
Sag, Bub, hast uns vergift....?
Hamlet:
Schlafen....vielleicht auch Träumen.....
König:
Ein Bursch von unendlichem Humor...
Königin:
So was...Der Lausbub...Vergift`uns da einfach....Sie sinkt zurück.
König (ganz langsam und leise):
Hast recht, Hamlet...`s war eh fad... Sinkt gleichfalls zurück.
Hamlet:
Der Rest ist Schweigen.... Er erstarrt.

Ein riesiger Luster kommt langsam von den Suffitten herunter.
Vorhang


 schorsch antwortete am 08.04.05 (09:43):

Vorhang auf: die Putzequipe waltet auf der Bühne ihres Amtes.....


 Marina antwortete am 09.04.05 (10:37):

Enigma, Deine letzten Beiträge waren köstlich. Ob die Geschichte von Bohr wirklich stimmt? Klingt fast doch etwas unglaublich. :-) Aber so zeigt sich das wahre Genie.

Hier mal ein Auszug aus einem Roman:

Herr Kaltenmeier schreibt an einem Schelmenroman, sagte Linda zu mir.
Mußt du gleich alles verraten, scherzte Kaltenmeier und hob sein Glas.
Ich wußte damals nicht, was ein Schelmenroman ist, aber das war im Augenblick nicht wichtig. Zum zweiten Mal an diesem Abend traf ich auf einen Menschen, der an einem Roman arbeitete. Es entstand dadurch das Gefühl, an einer beträchtlichen Bedeutsamkeit teilzuhaben. Kaltenmeier stützte sich mit beiden Ellbogen auf die Theke und redete mit erfahrungsschwerer Stimme. Er sprach gegen die Flaschen und Gläser im gegenüberliegenden Buffetschrank, und er hatte es gern, daß es auf beiden Seiten Menschen gab, die ihm zuhörten. Ich merkte, für Linda war Kaltenmeier eine Instanz, auf die es ankam. Er redete jetzt über die Peripetie, auf die sich sein Roman zubewegte. Ich merkte mir das Wort, ich würde es morgen früh nachschlagen. Nach zwanzig Minuten ging Kaltenmeier auf die Toilette. Linda sagte mir, daß er ein Kollege von ihr war und in der Wirtschaftsredaktion arbeitete. Sie fügte hinzu, daß ich ihn nicht auf seine Tätigkeit bei der Zeitung ansprehcen sollte. Ich wollte wissen, warum, aber da kam Kaltenmeier schon zurück. Er nahm einen langen Schluck und sagte, er sehe sich in der Tradition von Jean Paul und Arno Schmidt. Den Namen Jean Paul hatte ich schon mal gehört, den Namen Arno Schmidt noch nicht.
Nur so, wie Arno Schmidt das vorgemacht hat, sagte Kaltenmeier, kann man heute noch einen Schelmenroman schreiben.
Linda nickte und schob sich näher an Kaltenmeier heran. Obwohl er vermutlich ein wenig betrunken war, blieben seine Sätze klar und eindrucksvoll. Linda und ich hörten ihm bis nach Mitternacht zu. Danach bestellte ich ein Taxi und fuhr beglückt nach Hause. Während der Fahrt war ich überzeugt, daß ich an diesem Abend zwei Schriftsteller kennengelernt hatte, von denen die anderen Menschen, die nicht in so begünstigten Verhältnissen lebten wie ich, bald sprechen würden.

Na, aus welchem Roman ist dieser Auszug? Wer weiß es?


 Marina antwortete am 09.04.05 (12:03):

Kleine Hilfe: Der Autor lebt noch und hat einen wichtigen Preis bekommen.


 Marina antwortete am 10.04.05 (09:09):

Jetzt noch eine (große) Hilfe:
Der Preis war der Büchner-Preis, und er hat ihn erst vor ein paar Monaten bekommen.


 Enigma antwortete am 11.04.05 (10:51):

Guten Morgen,

liebe Marina, so sorry, dass ich erst jetzt antworte, aber ich hatte am WE Besuch von einer alten Freundin, die ich schon seit der 1. Schulklasse kenne. Und die hat es nicht mit dem Internet.....:-)

Also, es müsste Wilhelm Genazino sein, den Du da ansprichst. Ich habe das Buch von ihm (Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman).

Fortsetzung mit einer neuen (alten) Geschichte von Kishon!


 Enigma antwortete am 11.04.05 (11:00):

E. Kishon
Tragisches Ende eines Feuilletonisten

Haben Sie in der letzten Zeit den bekannten Feuilletonisten
Kunstetter gesehen? Sie hätten ihn nicht wiedererkannt. Denn
dieser Stolz der israelischen Publizistik, dieser überragende Meister der Feder ist zu einem Schatten seines einst so stolzen Selbst herabgesunken. Seine Hände zittern, seine Augen flackern, sein ganzes Wesen atmet Zusammenbruch.
Was ist geschehen? Wer hat diesen .Giganten von seinen
Piedestal gestürzt?
»Ich«, sagte mein Freund Jossele und nahm einen Schluck aus
seiner Tasse türkischen Kaffees,gelassen, gleichmütig, ein Sinnbild menschlicher Teilnahmslosigkeit. »Ich konnte diesen Kerl nie ausstehen. Schon die aufdringliche Bescheidenheit seines Stils war mir zuwider.«
»Und wie ist es dir gelungen, ihn fertigzumachen?
« »Durch Lob...«
Und dann enthüllte mir Jossele eine der abgefeimtesten
Teufeleien des Jahrhunderts:
»Nachdem ich mich zur Vernichtung Kunstetters entschlossen
hatte, schrieb ich ihm einen anonymen Verehrerbrief. >Ich
lese jeden Ihrer wunderbaren Artikel<, schrieb ich. >Wenn ich die Zeitung zur Hand nehme, suche ich zuerst nach Ihrem Beitrag.
Gierig verschlinge ich diese unvergleichlichen kleinen
Meisterwerke, die so voll von Weisheit, Delikatesse und
Verantwortungsgefühl sind. Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen aus ganzem Herzen., ich danke Ihnen. . .

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 11.04.05 (11:10):

Fortsetzung:

>Meine Bewunderung für Sie wächst von Tag zu Tag. In Ihrem
letzten Essay haben Sie einen stilistischen Höhepunkt erklommen, der in der Geschichte der Weltliteratur nicht seinesgleichen hat.( Du weißt ja, wie diese eitlen Schreiberlinge sind, nicht wahr.
So verstiegen kann ein Kompliment gar nicht sein, daß sie es
nicht ernst nehmen würden~ diese selbstgefälligen Idioten. Hab ich nicht recht?«
»Möglich«~ antwortete ich kühl. »Aber Komplimente haben
noch keinen Schriftsteller umgebracht. «
»Wart`s ab. Insgesamt schickte ich Kunstetter etwa zwanzig
Lobeshymnen. Ich philosophierte in seine banale Zeilenschinderei alle möglichen Tiefsinnigkeiten hinein, ich pries seine albernen Kalauer als stilistische Finessen, ich zitierte wörtlich seine Formulierungen~ mit Vorliebe die dümmsten. Als ich ganz sicher war, daß meine täglichen Begeisterungsausbrüche zu einem festen, unentbehrlichen Bestandteil seines Lebens geworden waren, bekam er den ersten leise enttäuschten Brief:
>Sie wissen, wie sehr ich die Meisterwerke Ihrer Feder bewundere, schrieb ich. >Aber gerade das Ausmaß meiner Bewunderung berechtigt - nein, verpflichtet mich, Ihnen zu sagen, daß Ihre letzten Artikel nicht ganz auf der gewohnten Höhe waren.
Ich bitte Sie inständig: nehmen Sie sich zusammen!<
Eine Woche später kam der nächste, schon etwas deutlichere
Aufschrei: >Um Himmels willen, was ist geschehen? Sind Sie ein andrer geworden? Sind Sie krank und lassen Sie einen Ersatzmann unter Ihrem Namen schreiben? Was ist los mit Ihnen!
Kunstetters Feuilletons wurden um diese Zeit immer länger,
immer blumiger, immer ausgefeilter. Er machte übermenschliche Anstrengungen, um sich wieder in meine Gunst zu schreiben.
Vergebens. Gestern bekam er den Abschiedsbrief: >Kunstetter,
es tut mir leid, aber nach Ihrem heutigen Artikel ist es aus zwischenuns. Auch der gute Wille des verehrungsvollsten Lesers hat seine Grenzen, Mit gleicher Post bestelle ich mein Abonnement ab,
Leben Sie wohl. . . ( Und das war das Ende.«
Jassele zündete sicb eine Zigarette an, wobei ein diabolisches Grinsen ganz kurz über sein Gesicht huschte. Mich schauderte.
Kleine, kalte Schweißperlen traten mir auf die Stirn. Ich muß gestehen, daß ich mich vor Jossele zu fürchten begann. Und ich frage mich, warum ich ihn eigentlich erfunden habe.


 Marina antwortete am 11.04.05 (11:29):

Guten Morgen Enigma,
ich hab mich schon gewundert. Dachte mir nämlich gleich, dass du das erkennst. :-) Nicht unbedingt den Titel, aber wenigstens den Autor. Du bist eben einfach Spitze!


 Enigma antwortete am 11.04.05 (12:29):

Liebe Marina,

Du weisst doch, was dem Feuilletonisten passiert ist, nachdem er gelobt wurde.... :-)))


 Marina antwortete am 11.04.05 (13:57):

Aber ich hab doch nicht die Ambitionen von Jossele! :-)
Von mir wirst du nicht vom Thron gestürzt. :-)

Schöne Geschichte jedenfalls, die gut zu meiner passt.


 Enigma antwortete am 12.04.05 (08:40):

...ja, Marina... :-)

...ja, Marina...

Franz Kafka

Ein alltäglicher Vorfall: sein Ertragen eine alltägliche Verwirrung. A hat mit B aus H ein wichtiges Geschäft abzuschließen. Er geht zur Vorbesprechung nach H, legt den Hin- und Herweg in je zehn Minuten zurück und rühmt sich zu Hauser dieser besonderen Schnelligkeit.

Am nächsten Tag geht er wieder nach H, diesmal zum endgültigen Geschäftsabschluß. Da dieser voraussichtlich mehrere Stunden erfordern wird, geht A sehr früh morgens fort. Obwohl aber alle Nebenumstände, wenigstens nach A's Meinung, völlig die gleichen sind wie am Vortag, braucht er diesmal zum Weg nach H zehn Stunden. Als er dort ermüdet abends ankommt, sagt man ihm, daß B, ärgerlich wegen A's Ausbleiben, vor einer halben Stunde zu A in sein Dorf gegangen sind und sich sich eigentlich unterweg hätten treffen müssen. Man rät A zu warten. A aber, in Angst wegen des Geschäftes, macht sich sofort auf und eilt nach Hause.

Diesmal legt er den Weg, ohne besonders darauf zu achten, geradezu in einem Augenblick zurück. Zu Hause erfährt er, B sei doch schon gleich früh gekommen - gleich nach dem Weggang A's; ja, er habe A im Haustor getroffen, in an das Geschäft erinnert, aber A habe gesagt, er hätte jetzt keine Zeit, er müsse jetzt eilig fort.

Trotz diesem unverständlichen Verhalten A's sei aber B doch hier geblieben, um auf A zu warten. Er habe zwar schon oft gefragt, ob A nicht schon wieder zurück sei, befinde sich aber noch oben in A's Zimmer. Glücklich darüber, B jetzt noch zu sprechen und ihm alles erklären zu können, läuft A die Treppe hinauf. Schon ist er fast oben, da stolpert er, erleidet eine Sehnenzerrung und fast ohnmächtig vor Schmerz, unfähig sogar zu schreien, nur winselnd im Dunkel hört er, wie B - undeutlich ob in großer Ferne oder knapp neben ihm - wütend die Treppe hinunterstampft und endgültig verschwindet.

Internet-Tipp: https://www.geo.uni-bonn.de/cgi-bin/kafka?Rubrik=werke&Punkt.OVERWIEW


 Marina antwortete am 16.04.05 (15:44):

Ausgewogenheit

Dazu bedarf es nur einer wirklich großen Waage. Alles andere ist einfach. Auf die eine Waagschale legt man die Vorurteile eines Menschen. Auf die andere Waagschale legt man Tote.
Bei einem sehr aufgeschlossenen und gewissenhaften Menschen genügen schon einige Dutzend Tote, ja, wenn es nahe Angehörige sind, manchmal schon ein einziger Toter oder zwei, um seine Vorurteile aufzuwiegen, so daß sie nicht mehr den Ausschlag geben.
Bei den meisten Menschen aber müssen es erst tausende oder zehntausende Tote sein. Bei besonders überzeugten und verläßlichen Naturen sind Millionen Leichen erforderlich, doch das geht immer noch, wenn die Waage groß genug ist.
Gefährlich wird es bei Leuten, deren Vorurteile so schwer wiegen, daß es nicht genug Tote auf der Welt gibt, um ein Gleichgewicht erreichen zu können.
Solche Leute darf man als unwandelbar prinzipienfest bezeichnen.

Erich Fried


 Enigma antwortete am 16.04.05 (19:20):

Hallo Marina,

eigentlich eine schreckliche Geschichte. Nicht, dass Fried sie geschrieben hat, sondern dass sie wahrscheinlich wahr ist.


Die Rangierlokomotive und der Prellbock
»Sie sind mir im höchsten Grade unsympathisch, um mich nicht schärfer auszudrücken«, sagte die Rangierlokomotive zum Prellbock.

Es war eine Rangierlokomotive ältester Konstruktion, die nur noch dazu verwandt wurde, auf dem Hauptgüterbahnhof Waggons, die entladen werden sollten, in ein sogenanntes »totes Gleis« zu ziehen, an dessen Ende der Prellbock stand.

»Unsympathisch sind Sie mir«, knirschte sie und rannte absichtlich hart gegen den Prellbock.

»Lassen Sie mich doch, bitte, nicht immer unter Ihrer Unzufriedenheit leiden; ich kann doch nichts dafür, daß man Sie hier auf den Rangierbahnhof gesteckt hat«, meinte der Prellbock gutmütig, »ergeben Sie sich doch in Ihr Schicksal.«

»Ergeben – ergeben – so ein dummes Gewäsch! Man möchte explodieren, wenn man es mit ansehen muß, wie man heute unreifen, unerfahrenen Laffen von Maschinen, kaum der Werkstätte entwachsen, Züge anvertraut. – Einen roten Streifen um den Schornstein und all die anderen Firlefanzereien habe ich nicht – Gott sei Dank, es täte mir leid – ich bin eine solide Person. – Ich, ausgerechnet ich, bin dazu verdammt, blöde ungebildete Güterwagen auf und ab auf diesem idiotischen Gleise zu ziehen. – Veraltet sei ich! Ha – Ha – ha! Ich veraltet! – Und Sie«, fiel sie plötzlich über den Prellbock her, »Sie haben nicht das geringste Verständnis für die Tragik in meinem Leben. – Ihre langweilige Physiognomie immer vor Augen, das geht mir, weiß Gott, auf die Nerven. – Sie sind schuld! Sie versperren mir den Weg in die Welt! Ha, wie würde ich den Herren vom grünen Tisch zeigen, was die veraltete Lokomotive zu leisten vermag; hätte ich nur freie Fahrt vor mir. – Sie – Sie versperren mir den Weg – Sie Reaktionär!! Wenn Sie wüßten, wie ich Sie hasse, vom Grund meiner Seele aus hasse. – Glotzen Sie nicht so dumm!« Sie rannte wütend gegen den Prellbock.

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 16.04.05 (19:36):



Fortsetzung!

»Immer Ruhe, Ruhe«, suchte der Prellbock die Aufgeregte zu beschwichtigen. »Sie verbiegen sich nur die Puffer, und das ist schmerzhaft.«

Sein Phlegma erhöhte nur ihren Zorn. Rasend vor Wut pfiff sie gellend auf. – –

Tag für Tag wiederholten sich diese Szenen, und die Ausfälle gegen den guten Prellbock wurden immer heftiger, so daß es schließlich diesem, der doch eine Seele von einem Kerl war, zuviel wurde. Als wieder mal die Lokomotive in der gemeinsten Weise über ihn hergefallen war und ihn unter anderem ein »reaktionäres Mastodon« genannt hatte, riß dem Prellbock, der zwar nicht so recht wußte, was ein Mastodon sei, jedoch das Empfinden hatte, daß es ein sehr verletzendes Schimpfwort sein müsse, die Geduld, und er brüllte plötzlich los: »Lossen's mir mai' Ruah! Mai Ruah will i hob'n!«

»Sprechen Sie Hochdeutsch mit mir, Sie Flegel!« schrie die Lokomotive und kam in voller Fahrt haßerfüllt auf den Prellbock losgefahren, um sich in einem empfindlichen Stoß zu rächen. – Fast berührten ihre Puffer den Prellbock, als dieser blitzschnell zur Seite sprang; die Lokomotive sauste durch, vergrub sich mit den Rädern im Dreck, überschlug sich und explodierte mit furchtbarem Knall.

»Mastodon. So eine Gemeinheit. Diese freche Person«, murmelte vor Erregung keuchend der Prellbock und hüpfte wieder an seinen alten Platz.
Hermann (Harry)Schmitz


 Marina antwortete am 16.04.05 (22:00):

Hallo Enigma,
wie schön, dass du auch Hermann Harry Schmitz liebst. Ich finde seine Grotesken super und habe sein Buch "Der Säugling und andere Katastrophen".
Grüße von Marina


 Enigma antwortete am 17.04.05 (09:15):

Guten Morgen alle,

hallo Marina,

ja, ich mag ihn gerne, aber auch andere....
Wie z.B.:

aus: Michael Schwanetzkij: Wir brauchen Helden!, Diogenes, '92

Michael Schwanetzkij: Schriftsteller-Glück
Was ist Schriftsteller-Klugheit?
Die zweite Satzhälfte ungesagt lassen.
Was ist Schriftsteller-Glück?
Ein bißchen geschrieben haben und leben, leben, leben.
Was ist ein Schriftsteller-Kind?
Ein Kind, das erst aus den Büchern seines Vaters erfährt, wie sehr er es liebt.
Was ist eine Schriftsteller-Frau?
Eine Frau, die zu Hause rumsitzt und angeekelt einen Menschen in ihrem Mann sieht.
Was ist eine Schriftsteller-Wohnung?
Ein Domizil, in dem der Schriftsteller keinen Winkel für sich hat.
Was ist ein Schriftsteller in seiner Familie?
Ein Untermieter, dem man immer wieder sagt: "Du sitzt doch sowieso den ganzen Tag zu Hause, da kannst du doch ein bißchen Wäsche machen..."
Was ist ein Schriftsteller-Leben?
Nur ja keinen Gedanken laut aussprechen, immer nur aufschreiben.
Was ist ein Schriftsteller-Tod?
Der Tag, an dem seine Bücher endlich das Licht der Welt erblicken.

Auch ein schönes WE für alle...


 Enigma antwortete am 21.04.05 (15:54):

aus: Hans Scheibner: Wahnwitz vom Feinsten, Rasch u. Röhring, '88

Hans Scheibner: Gutachter müßte man sein
Wenn Sie heutzutage Ärger mit Ihrem Nachbarn haben- er zeigt Sie zum Beispiel an: Ihr Hund bellt zu laut. Was brauchen Sie dann? Einen Gutachter, einen Sachverständigen. Der arbeitet Ihnen eine Expertise aus, mit der Ihrem Hund bescheinigt wird, daß er überhaupt nicht bellen kann.
Voraussetzung für so ein Gutachten ist allerdings, daß es von einem Fachmann gemacht wird.
Wen nehmen wir also als Gutachter?
Einen Lärmschutzingenieur? Um Gottes willen! Was hat denn der für ein Interesse an Ihrem Hund!
Sie beauftragen natürlich den Hundezüchter, bei dem Sie Ihren Rassehund gekauft haben. So ein Mann versteht doch etwas von Hunden, von der Bellhäufigkeit, dem rassebedingten Leisebellverhalten unter besonderer Berücksichtigung des Schwanzwedelausschlagens als Bellkompensationshandlung.
Wenn Ihr Nachbar dagegen mit einem Geräuschgutachten von einem Schallmessungsingenieur auftaucht, hat er schon verloren.
Ich kenn' den Maschinenbauingenieur Reiner G., der sich vor dem Arbeitsgericht verteidigen mußte, wegen Alkoholgenusses am Arbeitsplatz. Natürlich hat Reiner G. sich ein Gutachten ausarbeiten lassen.
Dem Gericht wurde bescheinigt, daß Reiner G. auf keinen Fall als Alkoholiker zu bezeichnen ist. Im Gegenteil: Seine physischen und geistigen Kräfte kommen überhaupt erst nach dem Genuß einer Mindestmenge von zwei Korn und vier halben Litern voll zur Entfaltung. Reiner G. ist ein sogenannter Unternormalniveautrinker- das heißt, ohne Promille ist er "unternüchtert"-, er erreicht den sogenannten "nüchternen" Zustand, also sein Normalleistungsniveau, erst nach Zuführung der oben genannten Alkoholmenge.
Das Gericht hat das Gutachten selbstverständlich anerkannt. Es war ja von einem Fachmann ausgestellt- nämlich von dem Gastwirt Werner Moser, bei dem Reiner G. seinen Stammtisch hat.
Das glauben Sie nicht? Dann haben Sie keine Ahnung von der sogenannten Gutachterpraxis.
Also- Bundesforschungsminister Riesenhuber, zum Beispiel, hat die Schweizer Motor Columbus Ingenieur Unternehmung AG beauftragt, ein Gutachten über die Sicherheit des Schnellen Brüters in Kalkar auszuarbeiten. Na ja- das Gutachten fiel hervorragend aus. Die Motor Columbus empfahl, den Schnellen Brüter sofort in Betrieb zu nehmen. Und die Motor Columbus muß das wissen. Sie betreibt selbst ein paar Atomkraftwerke und ist alsHauptaktionär der Schweizer Elektrizitätsgesellschaft am Atomstromgeschäft dicke beteiligt!
Sehen Sie da irgendeinen Unterschied zum Gastwirt Werner Moser?


 Marina antwortete am 22.04.05 (18:25):

Schöne Geschichte von Scheibner. Diese hier finde ich auch nicht schlecht, zeigt sie doch das deutsche Wesen, an dem alles genesen soll, m. E. sehr charakteristisch :-)


Herbert Rosendorfer
Stichwort Frieden (Organisation des ...)

Die mangelnde Akzeptanz des Friedens ist darauf zurückzuführen, daß der Frieden, im Gegensatz zum Krieg, nicht ausreichend organisiert ist. Es ist daher unerläßlich, den friedliebenden Teil der Bevölkerung straff in Friedenseinheiten zusammenzufassen. Je 10 Friedenswillige werden von einem Friedenswart betreut und befehligt, der dafür sorgt, daß friedliche Gesinnung unverzüglich nach Feierabend eintritt und bis zur Bettruhe eingehalten wird. Je 10 Friedensgruppen (Friedenswartzuständigkeiten) unterstehen einem Friedensmeister, je 10 Friedensmeister einem Friedenskommandanten. Ab Friedensstabschef, dem Vorgesetzen der Friedenskommandanten, wird das F auf der Mütze statt in Silber in Gold getragen, vom Friedensstabsdirektor aufwärts mit Eichenlaubranke.
Alljährlich einmal wird eine Friedensübung abgehalten, die für alle Angehörigen der Friedenseinheiten obligatorisch ist. Den Abschluß der Friedensübung bildet der Vorbeimarsch am Friedenskorpsinspekteur. Die Fahne der Friedenseinheiten zeigt auf Himmelblau eine weiße Taube mit Palmzweig. Die genauen Maße sind den Dienstanweisungen/Anlage B zu entnehmen. Das Friedenstrompeterkorps untersteht einem Generalfriedensmusikchef, der für die tadellose Intonation des Friedensliedes „Kommt ein Täuberl geflogen“ verantwortlich ist. Der Friedensgruß ist einheitlich: „Fried Heil“.

Gez. Friedl, Friedebert
Generalfriedensbrigadier


 Enigma antwortete am 23.04.05 (08:16):

Guten Morgen,
@ Marina

ja, dann warten wir mal ab, ob und wie die "Friedensübungen" sich auswirken werden...... Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben. :-))

Jetzt mal was aus Goethe`s Italienische Reise, Rom:

"{Porta del Popolo}

Rom, den 1. November 1786.



Endlich kann ich den Mund auftun und meine Freunde mit Frohsinn begrüßen. Verziehen sei mir das Geheimnis und die gleichsam unterirdische Reise hierher. Kaum wagte ich mir selbst zu sagen, wohin ich ging, selbst unterwegs fürchtete ich noch, und nur unter der Porta del Popolo war ich mir gewiß, Rom zu haben.

Und laßt mich nun auch sagen, daß ich tausendmal, ja beständig eurer gedenke in der Nähe der Gegenstände, die ich allein zu sehen niemals glaubte. Nur da ich jedermann mit Leib und Seele in Norden gefesselt, alle Anmutung nach diesen Gegenden verschwunden sah, konnte ich mich entschließen, einen langen, einsamen Weg zu machen und den Mittelpunkt zu suchen, nach dem mich ein unwiderstehliches Bedürfnis hinzog. Ja, die letzten Jahre wurde es eine Art von Krankheit, von der mich nur der Anblick und die Gegenwart heilen konnte. Jetzt darf ich es gestehen; zuletzt durft' ich kein lateinisch Buch mehr ansehen, keine Zeichnung einer italienischen Gegend. Die Begierde, dieses Land zu sehen, war überreif: da sie befriedigt ist, werden mir Freunde und Vaterland erst wieder recht aus dem Grunde lieb und die Rückkehr wünschenswert, ja um desto wünschenswerter, da ich mit Sicherheit empfinde, daß ich so viele Schätze nicht zu eignem Besitz und Privatgebrauch mitbringe, sondern daß sie mir und andern durchs ganze Leben zur Leitung und Fördernis dienen sollen"


 Enigma antwortete am 23.04.05 (08:37):

...noch eines, weil ich sie so schön finde, die Erinnerungen von JWG:

{Wiedergeburt}

"Den 3. Dezember.



Die Witterung hat bisher meist von sechs zu sechs Tagen abgewechselt. Zwei ganz herrliche, ein trüber, zwei bis drei Regentage und dann wieder schöne. Ich suche jeden nach seiner Art aufs beste zu nutzen.

Doch immer sind mir noch diese herrlichen Gegenstände wie neue Bekanntschaften. Man hat nicht mit ihnen gelebt, ihnen ihre Eigentümlichkeiten nicht abgewonnen. Einige reißen uns mit Gewalt an sich, daß man eine Zeitlang gleichgültig, ja ungerecht gegen andere wird. So hat z. B. das Pantheon, der Apoll von Belvedere, einige kolossale Köpfe und neuerlich die Sixtinische Kapelle so mein Gemüt eingenommen, daß ich daneben fast nichts mehr sehe. Wie will man sich aber klein wie man ist und ans Kleine gewohnt, diesem Edlen, Ungeheuren, Gebildeten gleichstellen? Und wenn man es einigermaßen zurechtrücken möchte, so drängt sich abermals eine ungeheure Menge von allen Seiten zu, begegnet dir auf jedem Schritt, und jedes fordert für sich den Tribut der Aufmerksamkeit. Wie will man sich da herausziehen? Anders nicht, als daß man es geduldig wirken und wachsen läßt und fleißig auf das merkt, was andere zu unsern Gunsten gearbeitet haben.

Winckelmanns Kunstgeschichte, übersetzt von Fea, die neue Ausgabe, ist ein sehr brauchbares Werk, das ich gleich angeschafft habe und hier am Orte in guter, auslegender und belehrender Gesellschaft sehr nützlich finde.

Auch die römischen Altertümer fangen mich an zu freuen. Geschichte, Inschriften, Münzen, von denen ich sonst nichts wissen mochte, alles drängt sich heran. Wie mir's in der Naturgeschichte erging, geht es auch hier, denn an diesen Ort knüpft sich die ganze Geschichte der Welt an, und ich zähle einen zweiten Geburtstag, eine wahre Wiedergeburt, von dem Tage, da ich Rom betrat."


 Marina antwortete am 23.04.05 (19:36):

Ich sah auf dem Campo de’ Fiori, daß Giordano Bruno noch immer verbrannt wird. Jeden Sonnabend, wenn um ihn herum die Buden abgerissen werden und nur mehr die Blumenfrauen zurückbleiben, wenn der Gestank von Fisch, Chlor und verfaultem Obst auf dem Platz verebbt, tragen die Männer den Abfall, der geblieben ist, nachdem alles verfeilscht wurde, vor seinen Augen zusammen und zünden den Haufen an. Wieder steigt Rauch auf, und die Flammen drehen sich in der Luft. Eine Frau schreit, und die anderen schreien mit. Weil die Flammen farblos sind in dem starken Licht, sieht man nicht, wie weit sie reichen und wonach sie schlagen. Aber der Mann auf dem Sockel weiß es und widerruft dennoch nicht. [...]
Ich sah, daß wer „Rom“ sagt, noch die Welt nennt und der Schlüssel der Kraft vier Buchstaben sind. S.P.Q.R. Wer die Formel hat, kann die Bücher zuschlagen. Er kann sie ablesen von dem Wappenschild der vorüberfahrenden Autobusse, von der Platte eines Kanaleinstiegs. Sie ist der Ausweis der Brunnen und der besteuerten Getränke; das Zeichen der einzigen Hoheit, die ohne Unterbrechung die Stadt regierte [. ..]
Wer ein Geldstück in die Fontana di Trevi wirft, um wiederzukommen, fürchtet, es könnte nicht angenommen werden. Aber er kann getrost sein. Nachts setzt sich ein Junge auf den Brunnenrand und pfeift, lockt die andern hervor. Wenn alle sich versammelt haben, legt der Junge die Kleider ab und steigt lässig ins Wasser. Mond belichtet die Szene, während er sich fröstelnd bückt und die Münzen einsammelt. Am Ende pfeift er wieder, und in seinen Händen verschmelzen alle Währungen zu Silber. Die Beute ist unteilbar unter dem Mond, denn der Junge hat das Aussehen eines Gottes gegenüber den andern, die ihre Gestalten billigen Anzügen verdanken.

Ingeborg Bachmann
Aus: „Was ich in Rom sah und hörte“


 Marina antwortete am 24.04.05 (18:28):

Man hat mich so oft gefragt, warum ich nach Rom gegangen bin, und ich habe es nie gut erklären können. Denn Rom ist für mich eine selbstverständliche Stadt, man pilgert heute nicht mehr nach Italien. Ich habe kein Italienerlebnis, nichts dergleichen, ich lebe sehr gerne hier. [...] Das schwer Erklärliche ist aber, daß ich zwar in Rom lebe, aber ein Doppelleben führe, denn in dem Augenblick, in dem ich in mein Arbeitszimmer gehe, bin ich in Wien und nicht in Rom. Das ist natürlich eine etwas anstrengende oder schizophrene Art zu leben. Aber ich bin besser in Wien, weil ich in Rom bin, denn ohne diese Distanz könnte ich es mir nicht für die Arbeit vorstellen. Und ich fahre dann hin und wieder nach Wien, um zu sehen, wie es sich verändert hat, inwieweit es nicht mehr übereinstimmt mit dem Wien vor fünf Jahren oder vor zehn Jahren. Meine römischen Freunde machen sich alle lustig über meine Wohnung, weil sie sagen, daß es mir gelungen ist, mitten in Rom eine wienerische Wohnung zu haben und ostinatamente daran festzuhalten.

Ingeborg Bachmann
Aus einem Statement aus einer Sendung des österreichischen Fernsehens


 Enigma antwortete am 25.04.05 (09:15):

Guten morgen,

Noch etwas zu Rom,zur Kunst, und speziell zu gewissen Engeln:

"Melozzos Engel sind nicht umsonst die Lieblinge aller derer, die sich vom Auge gern beschenken lassen, aber doch noch lieber im Paradies der Töne weilen. So verständnisvoll wie hier waren noch niemals Instrumente mit Temperamenten verbunden, war noch niemals der Zauber der Musik zu einem optischen Schönheitsfest geworden. Jeder einzelne dieser Himmlischen, die von ihrem bauschigen Gewölk wie von Morgengewölk umweht sind, während die Flamme ihrer Begeisterung aus den Zügen leuchtet und in den Locken aufbraust, deren Nimben dem fern kreisenden Sternenhimmel gleichen, ist für sich allein schon ein Erzengel und ein großer Bote Gottes; jenes Gottes, der in den Menschen den Enthusiasmus erzeugt und sie aus dem Alltäglichen emporreisst."

Leo Bruhns, aus "Die Kunst der Stadt Rom"

Ja, und einen dieser Engel sehen kann man auch....

Internet-Tipp: https://www.romaculta.it/zitate.html


 Marina antwortete am 27.04.05 (16:12):

Jetzt mal wieder von Rom weg hier eine, wie ich finde, wunderbar persiflierende Beschreibung des Uni-Alltags in unseren heimischen Gefilden:

In der Uni lernte ich Dinge, die nur mit der Uni-Wirklichkeit zu tun hatten, weil kein Mensch auf die Idee kommt, in Bibliotheken zu gehen und Zeitschriften herauszusuchen, die nicht gut riechen, und in diesen Zeitschriften nach Aufsätzen zu suchen, die keinen anderen Sinn haben als den, daß die Leute in der Uni nach ihnen suchen und sie dann mehr oder weniger abschreiben und mit anderen Aufsätzen vergleichen, die über dasselbe Thema in anderen Zeitschriften stehen, die wiederum nur für die Uni gemacht werden, und je mehr solche Aufsätze man abschreibt und in seine eigenen Arbeiten hineinschreibt, um so dicker werden die eigenen Arbeiten, und um so länger wird die Liste am Schluß, an der man sehen kann, wie viele solche Aufsätze gefunden und abgeschrieben worden sind. In gewisser Weise allerdings hatte die Uni dann doch wieder mit der Wirklichkeit zu tun, weil ich herausfand, daß es die besten Noten für die längste Liste gibt und man folglich gar nicht die Aufsätze lesen, sondern nur abschreiben und in die Liste aufnehmen mußte, und am Schluß schaffte ich es, Listen zu komponieren, ohne vorher die einzelnen Aufsätze suchen zu müssen, weil die Listen in den Zeitschriften standen und man also nicht die Aufsätze abschreiben mußte, sondern am besten gleich nur die Listen hinter einen abgeschriebenen Aufsatz zu hängen brauchte, und schon bekam man eine Zwei plus. Fast alle bekamen eine Zwei plus. Manche bekamen eine Eins und blieben dann an der Uni, weil dort Leute gebraucht wurden, die die Aufsätze für die Zeitschriften zu schreiben und die Listen der anderen zu prüfen und Zwei plus darunterzusetzen hatten. Natürlich fiel kein Mensch durch die Prüfung, weil es ein Kinderspiel ist, Listen abzuschreiben, aber sobald man das einmal verstanden hat, kommt der interessante Teil der Uni, gewissermaßen der Witz, denn alle, die gelernt haben, Listen abzuschreiben, wissen natürlich, daß es ein Kinderspiel ist, und trotzdem tun alle, als hätte es einen tieferen Sinn und wäre von größter Bedeutung, und diejenigen, die eine Eins bekommen, glauben am Ende selbst daran, weil sie ja an der Uni bleiben und für ihre Aufsätze und das Listenprüfen ziemlich viel Geld bekommen, und wer viel Geld bekommt, glaubt an den tieferen Sinn und die eigene Bedeutung.

Aus: Birgit Vanderbeke, Geld oder Leben. S. Fischer 2003, S. 103/04


 Enigma antwortete am 29.04.05 (16:44):

...das ist ja köstlich, Marina.

Ich habe auch wieder etwas gefunden, aber eigentlich ist es wieder viel zu lang.Also muss ich es trennen....

aus: Heinrich Spoerl: Man kann ruhig darüber sprechen, Rowohlt '61

Heinrich Spoerl: Päng
Er hieß mit Spitznamen Spatz und war ein Original. Jeden Morgen, wenn er in die Klasse kam, stellten wir mit Be­geisterung fest, daß er immer noch dieselbe Hose anhatte, mit demselben Loch, das durch eine handfeste schwarze Sicherheitsnadel verschämt zusammengehalten wurde. Er trug sie auch bei festlichen Anlässen, zu Kaisers Geburts­tag, und sogar im Theater zu Don Carlos, wo wir anderen mit frischgebügelten und drausgewachsenen Konfirma­tionsanzügen erschienen.
Aber während wir unsere faulen Witze machten und Programmblätter im Schaukelflug ins Parkett hinabschick­ten, saß er mit glühenden Backen und bekam nasse Augen, als Marquis Posa vom König Gedankenfreiheit verlangte. Und ging still nach Hause. Mit der Sicherheitsnadel im Hosenboden, die zur Feier des Tages gegen eine neue, blanke vertauscht war.
Man wird es schon gemerkt haben: Dieses Original war kein Lehrer, sondern ein Schüler. Darin bestand seine be­sondere Originalität. Und die Sicherheitsnadel am Hosenboden war keine Schlamperei, sondern Trotz. Eine innere Auflehnung gegen die bürgerliche Ordnung.
Wir waren furchtbar stolz auf ihn. Die andern Klassen beneideten uns. Und als er eines Tages aus unerklärlicher Ursache mit einer anderen Hose ohne Loch und Sicher­heitsnadel kam, waren wir empört und haben ihn ver­prügelt. Das war dumm von uns. Denn beinahe hätte er daraufhin auf dieses Wahrzeichen verzichtet, aus Trotz gegen die Klasse. Aber der Trotz gegen die Schule war stärker.
Er hatte noch andere Ticks. Er redete unsere Erzieher niemals mit "Herr Professor" oder "Herr Oberlehrer" an. Sondern sagte mit kindlicher Stimine: Herr Lehrer. Dieses aber bescheiden in der dritten Person. Es war für uns ein erhebender Augenblick, wenn er sich manchmal in der Mathematikstunde mit seiner knochigen Länge erhob und mit sanfter Stimme erklärte: "Verzeihung, der Herr Leh­rer hat einen Fehler gemacht."

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 29.04.05 (16:53):

Fortsetzung!


Er konnte sich das erlauben. Dieses und anderes. Er war ein ausgesprochener Talentflegel. Flegel waren wir alle, aber er verband damit eine geradezu pathologische Intel­ligenz, mit der er alles erschlug. Er war einer von denen, die es später im Leben schwer haben, weil ihnen in der Jugend alles zu leicht fiel.
Nur an sein Päng konnte die Schule sich nicht gewöh­nen.
Er hatte in einer mathematischen Klassenarbeit eine besonders elegante Lösung gefunden und in der Freude seines Herzens hinter das Resultat das Wort "Päng" geschrieben: "x = y (a-b). Päng."
Es war ihm ganz in Gedanken herausgerutscht. Aber als es dastand, machte es ihm Spaß, und er ließ es stehen.
Päng war bei uns ein vielgebrauchtes Wort. Es hieß soviel wie basta oder hurra oder was-sagst-du-nun. Im mündlichen Unterricht konnte man es durchgehen lassen, wenn es auch keine mathematische Ausdrucksweise war. In einer Klassenarbeit war es fehl am Platze. Unser Ma­thematiklehrer nahm es nicht tragisch und begnügte sich damit, durch das Päng einen wohlwollenden roten Strich zu machen.
Das hätte er lieber nicht tun sollen. In der nächsten Ar­beit stand es wieder:
"Der Schnellzug braucht mithin sieben Stunden sechs­undvierzig Minuten. - Päng." Diesmal gab es einen miß­billigenden roten Kreis um das Wort. Einen Kreis, wie man ihn sonst um einen Klecks oder Schmutzfleck be­kommt.
Die nächste Arbeit endigte wieder mit Päng. Da wurde der Mathematiker böse und schrieb dick und rot an den Rand: "Was heißt Päng?"
Unser Spatz blieb die Antwort schuldig. Er schrieb sein "Päng" beharrlich hinter alle richtigen Lösungen. Und richtig waren seine Lösungen immer. Und der Mathematiklehrer griff zum Äußersten und schrieb an den Rand: "U.d.V."
"U.d.V" war gefürchteter als Arrest. U.d.V. hieß: Unterschrift des Vaters und bedeutete häusliche Katastro­phen

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 29.04.05 (17:01):

Fortsetzung!


Nicht bei Spatz. Einen Vater hatte er nicht, und seine Mutter hatte vor ihm, dem höheren Schüler, einen gren­zenlosen Respekt. Sie krakelte glückstrahlend ihren Na­men dahin, wo ihr Sohn mit dem Finger zeigte, und hielt es für eine besondere Auszeichnung.
Dann begann die Stufenleiter der Strafen:
Eintrag ins Klassenbuch.
Eine Stunde Arrest.
Zwei Stunden Arrest.
Schließlich Konferenz.
Die Konferenz fragte, warum er das tue. Er zuckte die Achseln.
Ob er das nicht unterlassen könne?
Doch.
Er tat es weiter. Nur ein einziges Mal schrieb er kein Päng hinter die Lösung; das war, als er die Höhe eines Turmes mit 0,0000073 Meter herausgerechnet hatte und zu faul war, den Fehler zu suchen. Aber das war nur eine Ausnahme, die die Regel bestätigte. Das beharrliche "Päng" kann sich keine Schule auf die Dauer bieten lassen. Man versuchte es mit Güte. Man war Pädagoge, Bio­loge, Psychologe. Man schloß mit ihm einen Vergleich: Wenn er seine Freude über eine gelungene Lösung durch­aus nicht unterdrücken könne, dann soll ihm ein Aus­rufungszeichen gestattet sein.
Unter der nächsten Arbeit stand wieder Päng! Aber Päng mit einem Ausrufungszeichen.
Da erkannte man, daß der Schüler einem unwidersteh­lichen Drang gehorchte. Und ließ ihn gewähren. Lieber richtige Lösungen mit Päng als den pänglosen Unsinn, den die andern schrieben.
Im Grunde genommen: Es war gar kein Tick von ihm, kein unwiderstehlicher Drang. Sondern Trotz. Ein Stück Revolution.
Im Grunde genommen: Die Schule glaubte auch gar nicht an einen Tick. Sie tat nur so. Sie war die Klügere. Päng."

PS
Ich war faul hier im ST, aber nicht zu Hause. Fünf Balkonkästen sind für den Sommer bepflanzt. Schööön!...Päng!


 Marina antwortete am 29.04.05 (17:20):

Enigma, das war eine köstliche Erfrischung nach den Fundi-Diskussionen, danke! "pängloser Unsinn", wunderbar. Ich mache auch so gerne "pänglosen Unsinn" manchmal. Jetzt muss ich mich bemühen, auch nochmal so was Schönes zu finden. Ich mach mich gleich auf die Suche. Päng!


 Marina antwortete am 29.04.05 (18:28):

Hier eine Geschichte aus meinem absoluten Lieblingsbuch von (man glaubt es nicht) Peter Hacks. Höher Blödsinn, fürwahr. Übrigens nicht in erster Linie für Kinder.

Geschichte vom Affenfangen

Eines Morgens lag Henriette mit sehnsuchtsumflortem Augenaufschlag im Bett und erklärte Onkel Titus, der mit einem Gartenschlauch, einer Trommel und einer Trompete hereinkam, um sie zu wecken: „Ich liege, o liebster Onkel, krank bis auf den Tod, und ich werde wohl nie mehr gesund werden, wenn ich nicht bald eine bestimmte Sache bekomme.“ – „Was für eine Sache?“ fragte Onkel Titus. Henriette sagte: „Einen Affen“. – „Den kann ich unmöglich besorgen“, sagte Onkel Titus, „ehe ich nicht weiß, ob es ein großer oder ein kleiner sein soll“. – „Ein mittlerer hübscher“, sagte Henriette, „so, wie er zu einem kleinen Mädchen paßt“. – „Nun hat die Sache weiter keine Schwierigkeiten“, sagte Onkel Titus beruhigt, „oft scheitern solche Vorfälle daran, daß die Kranken nicht ganz genau wissen, wonach sie verlangen“.

Dann stand Henriette auf und zog sich an, und sie gingen in den Stadtpark, um einen mittelgroßen hübschen Affen zu fangen. Onkel Titus hatte bereits früher einmal ein Buch über das Fangen von Affen geschrieben, und darum trugen sie einen hohlen Kürbis bei sich. Der Kürbis hatte eine kleine Öffnung, und ein Stück Zucker klapperte lustig darin herum. Kaum waren sie im Stadtpark, so raschelte es hinter einem Busch. „Ein Affe!“ rief Henriette. „Ach“, sage Onkel Titus, „siehst du denn nicht, daß er eine Uniform trägt?“ – „Das ist’s ja eben, was mich wundert“, sagte Henriette, „er trägt eine Uniform“. – „Was tun Sie da?“ fragte der Affe, will sagen: der Parkwärter barsch. „Wir fangen einen Affen“, sagte Onkel Titus. „Hier gibt es doch keine Affen“, sagte der Wärter. „Das ist das wenigste“, sagte Onkel Titus, „wenn man nur die richtige Art hat, sie anzulocken“. – „Mit dem Kürbis?“ fragte der Wärter. „Mit dem würden Sie nichts fangen, und wenn Sie mitten im Urwald säßen“. Unter diesen Gesprächen legten sie sich alle auf die Lauer und Henriette sogar auf den Bauch.
Sogleich kamen von allen Seiten die Affen herbei, es waren furchtbar viele. Fast hinter jedem Baum mußte einer gestanden haben, aus einem grünen Abfallkorb stiegen mehrere, und ein sehr kleiner Affe schlüpfte unversehens aus der Brusttasche des Wärters. Als die Affen Onkel Titus, Henriette und den Parkwärter da liegen sahen, lachten sie, daß es schallte, und patschten sich auf ihre Schenkel und Bäuche. „Worüber lachen sie?“ fragte der Wärter verdutzt. Onkel Titus sagte, daß die Affen uns Menschen für die komischsten Tiere halten, weil wir ihnen so ähnlich sehen und uns auch beinahe so wie sie benehmen, aber eben nur beinahe.


 Marina antwortete am 29.04.05 (18:29):

Forts.

„Aber es sind zu viele“, sagte Henriette aufgeregt, „ich brauche keinesfalls mehr als einen“. Da riefen sie den Affen zu: „Husch, husch, geht nach Hause!“ Da gingen viele Affen nach Hause. „Jetzt wollen wir die Falle aufstellen“, sagte Onkel Titus. „Es ist die gleiche, wie sie auch bei Busch oder den Negern oder endlich den Buschnegern Verwendung findet. (nicht ganz politisch korrekt, aber die Geschichte wurde m. W. zuerst in den 50er Jahren veröffentlicht – Marina). Der Affe greift in den Kürbis, um den Zucker herauszunehmen, aber er kann den Arm mit geschlossener Hand nicht mehr durch die schmale Öffnung bringen. Ließe er den Zucker los, so wäre er bald wieder frei, aber hieran hindert ihn ein tierischer Eigensinn“. An der Stelle blickte Onkel Titus sich um und fand, daß der Parkwärter versucht hatte, den Zucker zu stibitzen. Jetzt hatte er den Kürbis am Arm. „Das Zerren nützt gar nichts“, sagte Onkel Titus, „Sie müssen erst den Zucker weglegen“. – „Niemals!“ rief der Wärter. Er schüttelte den Kürbis wie einen riesigen orangegelben Boxhandschuh und kugelte mit ihm über den sanften Rasen davon. „Zu ärgerlich“, sagte Onkel Titus bekümmert, „jetzt ist die Falle unbrauchbar. Und es ist so vergnüglich, eine geschickt ausgedachte Bastelei richtig anzuwenden“. Dann winkten sie einem mittleren hübschen Affen und gingen mit ihm nach Hause.
Als sie aber am Gartenzaun anlangten, fanden sie einen unfrankierten Brief im Kasten. Er war von Frau Philipp (das ist ihre Vermieterin – Marina). Der Onkel las ihn vor. „Geehrter Herr“, las er, „ich habe einen großen Teil des Tages damit zugebracht zu erraten, was Sie sich wieder für einen albernen Streich ausgedacht haben könnten. Ich kenne Ihre Art, morgens mit Ihrer Nichte das Haus zu verlassen. Sollten Sie etwa auf die blödsinnige Idee gekommen sein, einen Affen zu fangen, dann sorgen Sie gefälligst bitte dafür, daß derselbe sich an die Hausordnung hält, sich sauber auf der hierfür bestimmten Matte die Füße reinigt, anklopft, bevor er einen Raum betritt, und mich nicht durch Schleichen in der Waschküche oder plötzliches Hineinsehen in ein Fenster erschreckt. Ich verzichte auf Affentheater. Rosa Philipp“.
Da faltete Onkel Titus den Zettel zusammen und sprach: „Es hat kein gutes Ende nehmen sollen“. Er umarmte den Affen, und auch Henriette umarmte ihn. Aber der Affe bat sie durch Gebärden, daß sie ihn behielten, und bedeutete ihnen, er werde alles tun, was man von ihm verlange.

Zweiundvierzig Tag und zweiundvierzig Nächte verfolgte Frau Philipp den Affen, der Gayelord hieß, um ihn auf irgendeiner Untat zu ertappen. Aber noch Jahre später versicherte sie, die größte Gemeinheit, die Onkel Titus und Henriette ihr je angetan hätte, sei gewesen, ihr einen Affen ins Haus zu bringen, der sich an die Hausordnung hielt.

Aus: Peter Hacks, Das Windloch. Geschichten von Henriette und Onkel Titus


 Enigma antwortete am 30.04.05 (14:45):

Guten Tag und
hallo Marina.

...Jetzt weiss ich endlich, wie man Affen fangen kann. Eine sicher nicht unwichtige Fähigkeit.:-))
Aber ob ein von mir gefangener Affe sich auch so an die Hausordnung halten würde, ist doch mehr als zweifelhaft... darum lasse ich es doch lieber.

Aber von dem nachfolgenden Beitrag kann man auch etwas lernen, nämlich wie man eine Phobie heilt...

aus: Art Buchwald's heitere Welt, Nymphenburger, '78

Art Buchwald: Wie man eine Phobie heilt

Kürzlich sagte General Curtis LeMay auf einer Pressekonferenz, daß die Amerikaner unter einer Atomwaffenphobie zu leiden scheinen. Das hat mich empfindlich getroffen, denn ich muß zugeben, daß auch mir solch eine Phobie eine Zeitlang zu schaffen gemacht hat. Ich suchte deshalb Dr. Adolph Strainedluff auf, einen Psychiater, der auf Atomwaffenphobien spezialisiert ist.
"Auf die Couch mit Ihnen", sagte er. "Wo fehlt's denn?"
"Doktor", sagte ich und starrte an die Decke. "Ich habe solche Angst vor Atomwaffen. Ich weiß, es ist albern, aber ich leide wirklich darunter."
"Aha, sehr interessant. Wann haben Sie diese Phobie zum ersten Mal an sich bemerkt?"
"Ich glaube, es war so um Hiroshima oder Nagasaki herum, ich weiß nicht mehr genau, wann es war. Ich sah diese Fotos von all den toten Menschen und den meilenweit verstreuten Trümmern, und plötzlich kriegte ich den Atomwaffentick."
Dr. Strainedluff schlug sich mit einem Bleistift gegen das Knie. "Erzählen Sie mir, wie sich diese Phobie äußert."
"Auf ganz seltsame Weise, Doktor. Ich habe das Gefühl, daß ich sterben muß, wenn ich mal eine Wolke mit Pilzform sehe."
"Sehr interessant, sehr interessant. Sie wissen, daß das eine Frage des Bewußtseins ist, nicht wahr?"
"Ja, sicher. Deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen. Ich möchte keine Dummheiten machen."
"Sie sind ein sehr kranker Mann", sagte Dr. Strainedluff. "Nur weil vor mehr als zwanzig Jahren eine einzige Atombombe ein paar tausend Leute tötete, fühlen Sie sich bedroht. Darin drückt sich eine infantile, repressive Abneigung gegen Kriegswaffen aus. In der Psychiatrie nennen wir das einen militärisch-industriellen Minderwertigkeitskomplex."

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 30.04.05 (14:51):

Fortsetzung!


"Ich weiß, daß ich krank bin. Sie müssen mir helfen", bettelte ich.
"Gut. Zuerst müssen Sie diese absurde Furcht vor Atombomben überwinden. Sie müssen sie einfach als eine andere Waffe in unserem riesigen Verteidigungsarsenal ansehen. Wir haben Jagdmesser und H-Bomben, und im Krieg ist das eine so gut wie das andere. Sie haben doch keine Angst vor einem Messer, oder?"
"Nun, ich mache mir darüber keine Gedanken."
"Warum sollten Sie sich also vor einer H-Bombe fürchten? Sie ist nur eine andere Form von Messer."
"Unter diesem Aspekt habe ich das noch nie betrachtet."
"Okay, jetzt wollen wir einigen Fakten ohne Scheuklappen gegenübertreten. Auf dem Bikini-Atoll haben wir bei Atomversuchen zwanzig Bomben in die Luft gejagt. Dann dachten wir, daß alles hinüber wäre, so dumm waren wir. Wissen Sie, daß nach all dem Bum-Bum das Land dort blüht und gedeiht und die Ratten fetter sind als je zuvor?"
"Das hört man gerne."
"Die Kokosnüsse hängen an den Bäumen, die Fische schwimmen in der Lagune, und die Turteltaube läßt sich hören in dem Lande. Das einzige, was sich nicht so gut macht, sind die Krebse."
"Ich mag sowieso keine Krebse", sagte ich.
"Dann brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen."
Dr. Strainedluff begann mit der Handgranate zu spielen, die an seiner Uhrkette hing. "Wenn Sie ein glückliches, normales menschliches Wesen sein wollen", schrie er, "müssen Sie mit all diesen Pazifistenkomplexen Schluß machen."
Er stampfte durch das Zimmer. "Machen Sie, daß Sie hier rauskommen, Sie mit all Ihren blöden Phobien und Ihrer dämlichen Angst, sterben zu müssen. Wenn Sie nicht bereit sind, ein paar radioaktive Niederschläge für das Wohl des Landes in Kauf zu nehmen, dann gehen Sie dahin, wo der Pfeffer wächst!"
Trotz seines Wutausbruchs hat Dr. Strainedluff mich von meiner Phobie geheilt. Jetzt habe ich keine Angst mehr vor Atomwaffen. Jetzt habe ich Angst vor ihm


 Marina antwortete am 30.04.05 (19:04):

Hallo Enigma,
das ist ja ein ganz schön schwarzer Humor. Da bleibt einem fast das Lachen im Hals stecken. Ich hab deshalb doch mal gleich(auch wg. Phobie)bei S. Freud nachgeguckt und etwas gefunden, was so ein ganz klein bisschen in die Richtung geht. Hier ist es:

"...Von einem tief pessimistischen Zynismus zeugen andere Geschichten, die technisch wiederum Grenzfälle des Witzes darstellen, wie der nachstehende:
Ein Schwerhöriger konsultiert den Arzt, der die richtige Diagnose macht, der Patient trinke wahrscheinlich zu viel Branntwein und sei darum taub. Er rät ihm davon ab, der Schwerhörige verspricht, den Rat zu beherzigen. Nach einer Weile trifft ihn der Arzt auf der Straße und fragt ihn laut, wie es ihm gehe. Ich danke, ist die Antwort. Sie brauchen nicht so zu schreien. Herr Doktor, ich habe das Trinken aufgegeben und hör' wieder gut. Nach einer weiteren Weile wiederholt sich die Begegnung. Der Doktor fragt mit gewöhnlicher Stimme nach seinem Befinden, merkt aber, daß er nicht verstanden wird. Wie? Was? - Mir scheint, Sie trinken wieder Branntwein, schreit ihm der Doktor ins Ohr, und darum hören Sie wieder nichts. Sie können recht haben, antwortet ihm der Schwerhörige. Ich hab' wieder angefangen zu trinken Branntwein, aber ich will Ihnen sagen, warum. Solange ich nicht getrunken hab', hab' ich gehört; aber alles, was ich gehört, war nicht so gut wie der Branntwein."

Aus: S. Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten

(Morgen, wenn nicht noch heute Abend, schreibe ich wieder eine andere Geschichte von Henriette und Onkel Titus hier rein. ;-) )


 Enigma antwortete am 01.05.05 (07:24):

.... "black is beautiful"......:-))

Da bin ich mal gespannt, was Henriette und Onkel Titus noch fertigbringen....

Aber ich bin gerade dabei, meinen Sprachgebrauch mit folgender Anleitung etwas zu modernisieren:

aus: Deutsch für Besserwisser, dtv '88

Eike Christian Hirsch: Vom Leidensdruck zum Lustgewinn
Die Psychologen und Soziologen haben uns eine Reihe von Wörtern beschert, die jeden schmücken, der sie verwendet. Wir wollen das ein wenig üben, damit Sie, verehrte Leser, durch einen kurzen Lernprozeß ein neues Problembewußtsein erreichen und schließlich zum Erfolgserlebnis kommen. Sie haben gemerkt, das waren schon drei dieser Wörter. Lernprozeß, Problembewußtsein, Erfolgserlebnis. Ich weiß nicht, ob Ihnen diese Wörter auch so viel Eindruck machen wir mir. Wenn man immer so sprechen könnte! Man käme gleich vom Leidensdruck zum Lustgewinn.
Aber nicht nur Bewunderung ergreift uns angesichts dieser hochmodernen Wortkombinationen. Ich habe zugleich den Verdacht, hier werde mit Worten geklappert, es sei etwas hohl. Das stimmt wohl auch.
Was nicht heißen soll, diese Wörter enthielten Doppelmoppeleien und man könnte einen Bestandteil einfach fortlassen. Das nicht. Obwohl es auch solche Kandidaten darunter gibt. Das Wort Aufgabenstellung zum Beispiel könnte man kürzen zur Aufgabe und die Zielsetzung zum Ziel vereinfachen. Diese Beispiele sind aber nicht sehr typisch. Lassen wir die eigentlichen Modewörter doch noch einmal auf der Zunge zergehen.

Fortsetzung!

Internet-Tipp: https://www.geocities.com/Athens/8307/hirsch/hirsch17.htm


 Enigma antwortete am 01.05.05 (07:28):

Fortsetzung!

Lernprozeß, Problembewußtsein, Erfolgserlebnis oder auch Leidensdruck und Lustgewinn. Sie alle zeichnen sich dadurch aus, daß ihre Information im ersten Hauptwort steckt und das zweite nachklappt. Lernprozeß, man hört "Lernen", der "-prozeß" geht wie beabsichtigt unter; Erfolgserlebnis, man hört "Erfolg", und "-erlebnis" läuft nur so mit. Und das, obwohl im Deutschen der Sinn sonst im zweiten Wort steckt: Eine Haustür ist eine Tür - auch wenn wir immer das erste Wort betonen.
Bei den Modewörtern aber hat nur das erste der beiden Bestandteile Signalwirkung. Auch so ein Wort. Und sogar ein typisches. Früher hätte man gesagt, der erste Bestandteil sei das Signal, jetzt sagt man "es hat Signalwirkung". Man kann auch sagen: "hat Hinweischarakter", "hat Indikationswert" oder "hat einen besonderen Aufmerksamkeitseffekt". Und das jeweils zweite Wort in dieser Kombination? Diese armen Worthülsen wie -wirkung, -effekt, -charakter oder -wert, was haben die? Die haben nur noch eine Entlastungsfunktion. Oder, das kann man auch sagen, sie sind Beschäftigungstherapie für unsere Zunge.
Und doch ist diese Konstruktion irgendwie schick. Denn wir können uns so schön indirekt ausdrücken. Wir sagen nicht mehr plump und massiv, wenn die Verwandten vor der Haustür stehen: "Das ist aber eine Überraschung!", sondern mehr indirekt: "Das hat aber einen Überraschungseffekt!" Wenn unsere Verwandten um Mitternacht immer noch auf dem Sofa sitzen, öffnen wir die Wohnungstür, sagen aber nicht: "Das ist eine Aufforderung", sondern: "Das hat Aufforderungscharakter."
Und wenn das alles nichts nützt, zerschneidet man das Tischtuch mit den Worten: "Das hat Symbolwert."
Möglich, daß der Erfolg ausbleibt, aber darauf kann man verzichten. Hauptsache, es kommt zum Erfolgserlebnis. Im übrigen bin ich sicher, daß davon eine Impulswirkung ausgehen wird und die Gäste durch diesen Lernprozeß ihr Fehlverhalten korrigieren werden. Oder die lieben Verwandten antworten schlicht: "Was du da machst, hat doch bloß Alibifunktion."


 Marina antwortete am 02.05.05 (23:06):

Ja, das ist sehr gut, Enigma. Ich habe es schonmal irgendwann in irgend einer Zeitung gelesen. An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen.(statt an ihren Früchten). :-) In D'land ist das besonders verbreitet, glaube ich. Alles muss ein wenig hochtrabend klingen, mit möglichst vielen Fremdwörtern gespickt, wenn man sich den Anschein einer gewissen Intellektualität verschaffen will. Ganz und gar nicht hochtrabend dagegen klingt meine neue Geschichte von Peter Hacks, die ich hier einstelle, sie ist im Gegenteil eher ein Muster an höherem Blödsinn:

Geschichte von der einsamen Insel

Nahe dem Hause, in dem Henriette und Onkel Titus wohnten, gab es einen kleinen Platz. Dort kreuzten sich zwei Straßen, nicht einmal sehr große, aber damit niemand überfahren würde, hatte die kluge Stadtverwaltung in der Mitte eine Verkehrsinsel angelegt. Sie war von dreieckiger Form, und an der einen Ecke stand ein dicker eiserner Telegrafenmast. „Auf einer solchen Insel“, sagte Onkel Titus, als sie einmal über den Platz gingen, zu Henriette, „lebte Robinson zehn Jahre lang ganz alleine mit seinem treuen Freund Freitag.“ Er lehnte sich an den Telegrafenmast und ließ sein Auge sehnsüchtig in die Ferne schweifen. „Noch immer kein Schiff?“ fragte Henriette. „Noch immer keines“, sagte der Onkel mit bebender Stimme. „Aber wir müssen von dieser Insel herunter“, sagte Henriette. „Es gibt bald Mittagessen“. – „Du hast recht, lieber Freitag“, erwiderte der Onkel. „Ob wir es wagen und einen Einbaum bauen, um damit den wütenden Ozean zu durchqueren?“ Da schauten sie sich nur entschlossen an und schüttelten sich von Mann zu Mann die Hände. Dann zog Onkel Titus eine Säge aus der Tasche und versuchte, den Telegrafenmast zu fällen.
Während er aber so arbeitete, kam Herr Anton Obacht, der Stadtgendarm, hinzumarschiert. Er hatte das Quietschen des Sägeblattes gehört. „Ha, Verbrecher!“ rief er und schwenkte seinen Notizblock. „Wer seid ihr?“ – Ich heiße Robinson“, sagte Onkel Titus, „und dies hier ist Freitag“. Durchaus nicht“, sagte Herr Obacht“, „es ist Sonntag“. – „Dieser ehemalige Kannibale“, wiederholte Onkel Titus geduldig, indem er auf Henriette deutete, „hört auf den Namen Freitag. Ich habe ihn so getauft, denn ich habe ihn an einem Freitag gefunden.“ – „Freitag oder Montag oder Allerheiligen“, sagte Herr Obacht, „es ist streng verboten, städtische Telegrafenmasten abzusägen“. – „Bitte“, sagte Henriette sehr höflich, „stören Sie uns doch nicht länger. Wir haben zu tun, daß wir hier herunterkommen, am Ende müssen wir Ihretwegen verhungern“. – „Ich weiche nicht“, erklärte Herr Obacht“. „Es ist mein Beruf, Verbrecher zu fangen“. „Verbrecher fangen?“ fragte Henriette interessiert. „Wie machen Sie das so?“ – „Das ist gar nicht so einfach“, sagte der Gendarm. „Es bedarf großer Sorgfalt und ausführlicher Vorbereitung. Zunächst muß ich zehn Stunden schlafen“. – „Nicht weniger?“ frage Onkel Titus. „Nein“, sagte Herr Obacht nachdrücklich, „nicht weniger. Dann muß ich mit dem rechten Fuß zuerst aufstehen; käme ich auf den linken, wäre schon alles verloren. Dann muß ich in Ruhe meine Pfeife rauchen und die Zeitung lesen. Die Zeitung muß auf der rechten Seite der Kaffeetasse liegen; läge sie auf der linken, wäre schon alles verloren. Hernach wickle ich mir einen wollenen Schal um, tue mir eine warme Haube unter den Helm und ziehe mit die tadellos geputzten Stiefel an“. (Ist das nicht eine wunderbare Charakterisierung eines Zwangsneurotikers? – Marina) „Und dann?“ frage Henriette gespannt. „Dann gehe ich aus und nehme die Kerle einfach fest“, sagte Herr Obacht. „Dieser Teil meines Berufes bereitet keine weiteren Schwierigkeiten“.


 Marina antwortete am 02.05.05 (23:07):

Forts.:

Herr Obacht öffnete zwei Paar Handschellen und rief: „Leisten Sie lieber keinen Widerstand!“ – „Äh“, sagte Onkel Titus verstimmt, „auf einer einsamen Insel kann man gar keine Verbrechen begehen“. – „Das ist keine Insel“, sagte der Gendarm, „das ist eine Verkehrsinsel“. – „Eine Verkehrsinsel?“ fragte Onkel Titus. „Das kann ich beinahe unmöglich glauben. Sehen Sie hier irgendwo Verkehr?“ Herr Obacht sah sich nach allen Seiten um, aber weil es Sonntag war und die Gegend ohnehin nicht sehr belebt, war nichts, was Räder hatte, zu sehen. „Es kommt nicht darauf an, was man sieht“, sagte er deshalb. „Es kommt sehr wohl darauf an“, widersprach Onkel Titus. „So?“ fragte Herr Obacht. „Und warum sieht man dann auf Ihrer Insel keine Affen und keine Walfische im Wasser?“ Er sagte das sehr siegessicher. Und als er es gesagt hatte, kam ein mittlerer hübscher Affe von der Spitze des Telegrafenmastes heruntergeklettert. Er stellte sich vor Henriette auf die Hinterbeine und schlug sich heftig mit der Hand auf den Magen. „Ja Gayelord“, sagte Henriette, „es ist Zeit zum Essen. Aber wir kommen hier von dieser verflixten Insel nicht runter“.
Dann beobachteten sie alle vier einen riesigen hellblauen Walfisch, der vom Ende der Straße her auf sie zuruderte. Als er bei der Insel anlegte, verschnaufte er eine Minute und fragte dann: „Bitte um Vergebung – wissen Sie vielleicht, wo die Beringstraße ist?“ – „Beringstraße? Gibt es gar nicht“, sagte Herr Obacht unwirsch. „Doch“, sagte Onkel Titus, „natürlich gibt es sie. Sie ist zwischen Sibirien und Alaska. Wollen Sie gleich hin?“ – „Am liebsten ja“, sagte der hellblaue Walfisch. „Speisen Sie doch noch einen Happen bei uns zu Hause“, sagte Onkel Titus, „wenn es Ihnen nichts ausmacht, können Sie uns gleich mitnehmen. Es ist auf Ihrem Wege“. – „Gern“, sagte der Walfisch, „und vielen Dank. Mein Name ist Hyazinth“. – „Sie sind ein höchst lästiger Zwischenfall“, rief nun Herr Obacht. Der Walfisch Hyazinth sagte: „Schreien Sie doch nicht so. Meinen Sie, ich habe keine Ohren?“ – „Ich schreie in jedem Fall“, sagte Herr Obacht, „aber was Ihre Ohren betrifft: ich sehe wirklich keine“. – „Es kommt doch nicht darauf an, was man sieht“, sagte der Walfisch, ohne sich sonst weiter zu äußern. „Wo haben Sie denn Ihre Ohren?“ fragte Henriette. Der Stadtgendarm kümmerte sich nicht um sie. „Ich muß jetzt auf die Polizei“, sagte er beleidigt. „Meine Güte, wie schrecklich“, rief Henriette schnell noch hinterher. „Haben Sie etwas ausgefressen?“
Der hellblaue Walfisch Hyazinth bat Henriette, Onkel Titus und den Affen Gayelord, auf seinen Rücken zu steigen, und schwamm mit ihnen in der Richtung, wo ihr Haus und später auch die Beringstraße waren. Als sie über die Hauptstraße kamen, stand Herr Obacht an der Ecke. Und obwohl er sich entsetzlich ärgerte, mußte er für sie den Verkehr stoppen, denn Fische haben auf öffentlichen Straßen Vorfahrtsrecht.

Aus: Peter Hacks, Das Windloch. In: Peter Hacks, Gesammelte Werke, Band 11

Peter Hacks war zwar ein überzeugter Kommunist, der in der früheren DDR gelebt hat, aber diese Geschichten sind doch wunderbar anarchistisch, nicht wahr? Ich bringe sie einfach nicht zusammen mit seinem politischen Fanatismus, denn er hat seinerzeit sogar für die Ausbürgerung Biermanns gestimmt.


 Enigma antwortete am 03.05.05 (07:43):

Guten morgen alle,

hallo Marina,
also, ich bin mit dem rechten Fuss aufgestanden, sonst wäre ja schon alles verloren....:-))

Wunderbar ist die Geschichte. Das, was ich kenne von Hacks, mag ich sehr gerne (es ist aber nicht so viel, muss ich gestehen). Ich habe auch mal sein - angeblich oder auch tatsächlich - letztes Interview gelesen.
Ja, Fanatismus, feste und unverrückbare Überzeugung, wer kann das schon so genau trennen.
Aber immerhin hat er die DDR ja auch stark kritisiert, war also mitnichten ein Konformist...

Nun wieder etwas von mir und einem ungewöhnlichen Ensemble

aus: Michael Schwanetzkij: Wir brauchen Helden!, Diogenes, '92

Michael Schwanetzkij: Was, Sie haben unser Emsemble noch nicht gehört?
Was, Sie haben unser Ensemble noch nicht gehört? Na, dann hören Sie mal gut zu. Wir haben einen wirklich tollen Sänger. Ein Prachtkerl. Rücksichtsvoll bis zum Gehtnichtmehr. Er leiht einem immer was, wenn man mal was braucht. Er raucht nicht, trinkt nicht, tut keiner Fliege was zuleide. Nun ja, wenn er singt, läßt es etwas zu wünschen übrig, aber er kann auch sehr schöne Handarbeiten machen, selbstgestickte Sachen, sehr schön. Ein prima Kerl. Wir behalten ihn natürlich.
Der Pianist ist sehr stark sozial engagiert: der kassiert immer die Gewerkschaftsbeiträge, organisiert Exkursionen, gemeinsame Museumsbesichtigungen und Veranstaltungen in der Art. Wir versuchen natürlich schon, ihn so wenig wie möglich ans Klavier zu lassen, aber da kann man nicht viel machen, wenn's ihn gepackt hat, ist er nicht mehr zu halten. Aber feuern können wir ihn nicht. Eher würde der jeden anderen von uns rausschmeißen.
Dem Saxophonisten sollte man lieber auch nicht auf die Füße treten. Er ist auf Entzug. Wenn er gerade mal nüchtern ist, beweist er ein wirklich großes Talent. Wenn auch nicht unbedingt für Musik. Er ist sehr sportlich. Gewichtheber. Und auf Entzug. Den kann keiner rauswerfen.
Die Frau an der Baßgeige ist Mutter von zwei Kindern. Na gut, sie hat kein Rhythmusgefühl, das nicht, aber sie zu entlassen, bringt nun wirklich keiner über's Herz. Zwei plärrende Kleinkinder, die nach dem Vater schreien. Da soll die Frau halt bei uns spielen.
Die beiden Trompeter haben wir von der Straße aufgelesen, die wären sonst ganz vor die Hunde gegangen. Bei uns haben sie es wenigstens warm.
Der Schlagzeuger wird ihnen allerdings nicht gefallen, da bin ich sicher. Der gefällt schon lange keinem mehr, aber dem fehlen nur noch zwei Monate bis zur Pensionierung. Soll er doch in Gottes Namen weiterspielen, wir sind doch keine Unmenschen.

Verstehen Sie jetzt, warum unser Ensemble so klingt?


 Marina antwortete am 05.05.05 (13:33):

Hallo alle zusammen. Enigma, du hast auch einen reichen Fundus an Geschichten. Auch diese war wieder ein großes Vergnügen. Hier jetzt eine herrliche Satire von Robert Gernhard, die übrigens auch gut zu deiner passt:

Das Elfte Gebot

Als nun der Herr herabgefahren war auf den Feldberg, oben auf seinen Gipfel, berief er seinen Knecht Gernhardt hinauf auf den Gipfel des Berges, und Gernhardt stieg hinauf. Da sprach der Herr: Ich bin der Herr, dein Gott, und habe seinerzeit vollkommen verschwitzt, meinem Knecht Moses das Elfte Gebot mitzugeben, als er vom Berge Sinai hinunter zum Volke stieg.
So nimm du es und geh hin und steig hinab und verkündige allem Volke das Elfte Gebot.
Und Gott redete nur diese Worte: »Du sollst nicht lärmen.« Und Gernhardt tat wie ihm geheißen und stieg hinab und sprach also zum Volk: Dies sind die Lärmvorschriften, die der Herr euch auferlegt hat:

Gesetze über reine und unreine Instrumente:
Und der Herr redete mit Gernhardt und sprach zu ihm: Rede mit den Musikern und sprich: Das sind die Instrumente, die ihr spielen dürft in euren Wohnungen.
Alles, was Löcher hat oder Saiten unter den Instrumenten, das dürft ihr spielen, sofern ihr deutlich im Rahmen der Zimmerlautstärke bleibt.
Alle Instrumente aber, die geschlagen werden oder bei denen sich eure Backen blähen, oder solche mit elektrischen Verstärkern sollen euch unrein sein, und ihr sollt sie nicht spielen in euren Wohnungen. Und diese sollt ihr verabscheuen unter den Instrumenten, daß
ihr sie nicht spielet in euren Wohnungen, denn ein Greuel sind sie: das Waldhorn, der Brummbaß und die Quetschkommode.

Vergehen gegen Ohr und Seele:
So du in geschlossenen Ortschaften dein Autoradio einschaltest, so sollst du die Fenster und das Verdeck deines Wagens fest verschlossen halten.
Parkt jemand seinen Wagen, so soll er den Motor im Leerlauf nicht brummen lassen. Ihr sollt nicht hupen.
Wer seinen Rasenmäher anwirft, der soll dies nur an Werktagen zwischen elf und dreizehn Uhr tun. Und er soll danach unrein sein bis an den Abend und weder eine Motorsäge anrühren noch einen Elektrobohrer noch eine Häckselmaschine noch einen Laubsauger noch alles, was Lärm macht. Ihr sollt eure Bahnhöfe nicht mit Musik bedudeln. Unter Bahnhof aber verstehe ich jedwede Anlage zur Abwicklung des Personen- und Güterverkehrs der Eisenbahn, an der Züge beginnen, enden, halten, sich kreuzen, sich überholen oder mit Gleiswechsel wenden können.
Dasselbe soll gelten für U-Bahnhöfe, für S-Bahnhöfe sowie für alle anderen Bahnhöfe, die Gleise haben. Die aber keine Gleise haben, sind Bus-Bahnhöfe, und die sollen ebenfalls nicht bedudelt werden. Bedudelt keine Flughäfen.
So jemand Tiere hält, welchen die Natur die Gabe verliehen hat zu lärmen, so soll er sie so halten, daß sie keinen Grund haben zu lärmen, oder so, daß ihr Lärmen nicht zu
hören ist. Das gilt für Hunde und alles Getier, das den Mond anbellt oder auf Erden winselt, sowie für Papageien und alles gefiederte Volk, das da pfeift, wenn es tagt.
Ihr sollt die Hunde und die Papageien nicht bedrücken. Wirst du sie bedrücken und werden sie zu mir schreien, so werde ich ihr Schreien erhören.
Dann wird mein Zorn entbrennen, daß ich euch züchtige, und ihr werdet um Gnade winseln und aus dem letzten Loch pfeifen.


 Marina antwortete am 05.05.05 (13:35):

Forts:

Todeswürdiger Lärm:
So ein Mann seinen fahrbaren Untersatz frisiert, auf daß der mehr Lärm mache, so ist er unrein. Auch der Sattel, auf dem er reitet, wird unrein. Und er und seine Maschine sollen dem Bann verfallen. Fährt er aber fort, auf ihr herumzudüsen, so soll er des Todes sterben.
Die Motocrossfahrer sollst du nicht am Leben lassen. So einer auf dem Wasser mit einem Motorfahrzeug herumdüst und es erhebt auch nur ein Gestörter seine Stimme und saget: Ruhe dahinten! so soll er sein, Düsen unverzüglich und zu jeder Tageszeit einstellen.
In der Nachtzeit aber sollt ihr überhaupt nicht herumdüsen und schon gar nicht auf dem Wasser.
Auch sollt ihr nicht am Himmel herumdüsen, denn ein Greuel sind mir das Sportflugzeug, die Ultraleichtmaschine und der Hubschrauber.
Und ich will sie alle abstürzen lassen, sobald auch nur ein Gestörter ausruft: Ruhe da oben! und es kehrt keine Ruhe da oben ein.
Rettungshubschrauber aber will ich nicht abstürzen lassen. Transportiert aber der Rettungshubschrauber jemanden, den ich habe abstürzen lassen, weil er gelärmt hat, so will ich auch den Rettungshubschrauber abstürzen lassen.

Von den Geräten:
Und der Herr sprach mit Gernhardt und sprach also zu ihm: Rede mit deinen Leuten, aber schön ruhig, und sprich: Das sind die Gebote, die euch der Herr gibt für alles, was Knöpfe hat und Lärm erzeugt:
Ihr sollt bei der Aufstellung eurer Hi-Fi-Anlagen für eine gute Dämmung sorgen.
Ihr sollt nicht am Lautsprecher sparen, auf daß ihr eure Anlage schön leise stellen könnt.
Ihr sollt sie nie lauter aufdrehen, als ihr eure Stimme erheben könntet.
Ihr sollt keine Radios mit euch tragen, so ihr den Fuß aus dem Hause setzt.
Ihr sollt keinen Walkman in Bahnen und Zügen benutzen, denn siehe: Der Walkman ist ein Blendwerk des Satans, zu verwirren die Sinne des Menschen, auf daß er glaube, er könne seinen Kopf mit Musik vollknallen, ohne daß sein Nächster davon höre.
Ich aber sage euch: Und ob der was mithört! Du sollst nicht tönen.
Macht euch nicht selbst zum Greuel an dem kleinen Gerät, das wummert, zirpt und dudelt, und macht euch nicht unrein an ihm, so daß ihr dadurch nicht unrein werdet. Diese sollen euch in Bahnen und Bussen ebenfalls unrein sein unter den Piepsgeräten, welche Knöpfe haben und die man in die Tasche stecken kann: das Computerspiel, das Handy und der Laptop. Denn alles, was ihr Pieps beschallt, das wird unrein. Und alles Gerät, das gepiepst hat, soll man ins Wasser tun, es ist unrein bis zum Abend und danach unbrauchbar. In euren Wohnungen aber sollen diese Geräte nicht unrein sein.

Ersatzleistungen:
Entsteht durch Lärm ein dauernder Schaden, so sollst du geben Lärmen um Lärmen, Ohr um Ohr, Ton um Ton, Krach um Krach. Wer aber fortfährt zu lärmen, der soll des Todes sterben, und seine Lärmquelle soll man steinigen.
Das ist das Elfte Gebot, das der Herr dem Gernhardt gebot für alles Volk auf dem Feldberg.

Robert Gernhard, Das elfte Gebot


 Enigma antwortete am 05.05.05 (18:25):

Hallo alle

@Marina.

Köstlich, das habe ich mir jetzt ausgedruckt. Das werde ich wohl noch öfter lesen.

Ja, und jetzt eine Geschichte, wie jemand einen ersten Preis für Lyrik bekam.
Ob es damit wohl öfter so zugeht??:-))

aus: Karl Gautschi: Die Morgenstern-Rakete; Sauerländer '79

Karl Gautschi: Mein erster Preis für Lyrik
Das Ganze ist selbstverständlich nichts anderes als ein verhängnisvoller, dummer Irrtum.
Aber kein Mensch will mir glauben! Jedermann gratuliert mir. Und dabei habe ich das preisgekrönte Gedicht doch eigentlich gar nicht selber geschrieben. Das heißt, natürlich stammt es schon von mir, aber nicht so, wie es prämiert wurde.
Man sieht, die Angelegenheit ist etwas verwirrend. Beginnen wir lieber schön sachte von vorn.
Da hatte mich also letzthin irgendein mir flüchtig bekannter Freund der zeitgenössischen Literatur ins Freiamt mitgeschleppt, wo die neuesten Preisträger der Schillerstiftung, einer Institution zur Förderung schweizerischer Dichtkunst, aus ihren Werken vorlasen.
Sie lasen also. Das meiste, was ich hörte, gefiel mir allerdings gar nicht. Vielleicht lag es auch daran, daß ich von Literatur zuwenig verstehe. Schließlich habe ich Germanistik ja nur sechs Jahre lang studiert.
Jedenfalls war da ein Zürcher Universitätsprofessor ganz anderer Meinung. Er konnte die Qualität der mit Preisen ausgezeichneten Texte nicht genug rühmen. Ich beschloß daher anderntags, ihm zu schreiben. Ich wollte ihn fragen, ob die prämierten Schriftsteller wirklich die Spitze unserer Literatur darstellten. Der Briefumschlag wurde sofort adressiert.
Ich selbst arbeitete gerade an einem Text, den ein namhafter Schweizer Kabarettist bei mir bestellt hatte. Ich hatte ihm für eine Nummer, in welcher er die Seichtheit deutscher Schlager anprangern wollte, ein möglichst banales Gedichtchen zu schreiben. Nach kurzer Zeit war eine recht schnulzige Parodie entstanden: schlechte Texte schreibe ich bekanntlich mühelos. Zufrieden las ich:

Du willst mir nicht aus dem Sinn,
Geliebte,
Zu dir zieht's mich immer hin,
Geliebte,
Das Meeresrauschen deinen Namen singt,
Der Schrei der Vögel deinen Namen bringt,
Doch du bleibst fern,
Ich hab dich gern.

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 05.05.05 (18:33):

Fortsetzung!

Leider lag dieses honigtriefende Meisterwerk meiner Dichtkunst gerade an jenem Tag auf meinem Pult, als mein kleineres Töchterchen einen abenteuerlichen Streifzug durch Vaters Arbeitszimmer unternahm, in dessen Folge ein fürchterliches Durcheinander das Herz des heimkehrenden Familienoberhauptes beinahe stillstehen ließ.
Was alles an Papier auf meinem Pult gelegen hatte, war in minuziöser Kleinarbeit zu winzigen Fetzchen verarbeitet worden, deren Menge einer mittelgroßen Pfadfinderabteilung fraglos für mindestens drei Jahre zum Anlegen sämtlicher Schnitzeljagden hätte dienen können.
Als antiautoritärer Erzieher machte ich eine möglichst gute Miene zum üblen Spiel, lobte die vorbildliche Ausdauer, mit der mein Kindchen ans Werk gegangen war, versuchte zu retten, was noch zu retten war, und rekonstruierte meinen unauffindbaren Sehlagertext aus dem Gedächtnis.
Eine Woche später kam ein begeisterter Brief jenes erwähnten Universitätsprofessors. Ich hätte mich, behauptete er, mit einem einzigen Gedicht in die vorderste Reihe der zeitgenössischen Schweizer Lyriker geschoben. Er werde sich mit ganzer Energie und mit dem ganzen Gewicht seiner Autorität für mich einsetzen. Ein Verleger für einen ersten Gedichtband sei bereits gefunden, der erste Preis einer Stiftung zur Förderung der Gegenwartsliteratur in Aussicht gestellt, eine lobende Erwähnung im Feuilleton der "NZZ" und in einer Kultursendung des Fernsehens provisorisch organisiert.
Mein absolut verständnisloser telefonischer Anruf muß ihn sehr verwirrt haben. Ob ich denn nicht, fragte er zurück, jener Schriftsteller sei, der ihm letzthin folgendes geradezu unglaublich vielfältig zu interpretierende Gedicht zugesandt habe:

Du willst mir nicht
Geli
Zu dir
Geli
Das Meeresrau
Der Schrei
Doch
I

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 05.05.05 (18:40):

Fortsetzung!

Das Ganze kam mir tatsächlich irgendwie vertraut vor, und noch bevor die "Basler Zeitung" anderntags schreiben konnte, ich hätte mit dem Wort "Meeresrau" eine "Eigenprägung gefunden, die einer ganzen Generation schreienden Ausdruck verleiht", noch bevor ein bekannter Literat am Fernsehen erklärte, der isoliert am Schluß des Meisterwerks stehende Laut "I" stelle "das Umkippen der Idiosynkrasie des Dichters in einen metaphysischen Sturz ins All dar", noch vorher also wurde mir alles klar. Unsere Kindergartenschülerin hatte mitten in der zerstörerischen Arbeit das adressierte Kuvert entdeckt, ein Stück des zerrissenen Papiers, auf welchem zufällig ein Teil meiner Schlagerparodie stand, hineingesteckt und tags darauf zur Post getragen. Angesichts des faszinierenden Inhalts hatte der Empfänger sogar das Strafporto verschmerzt.
Seither gehöre ich zu den großen Hoffnungen der Schweizer Literatur. Meine Eigenart ist die "Sparsamkeit in der Verwendung der Wörter". Wo andere lange berichten, schreibe ich schlicht und einfach "doch", und das füllt dann eine ganze Zeile.
Peinlich ist mir allerdings der Protest der "Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen der Schweiz" in der Literaturbeilage der "NZZ", in welcher heftig gegen die Zeile "Du willst mir nicht" ins Feld gezogen wurde. Hier manifestiere sich die ganze hinterhältige Perversität des Autors, wurde erklärt.
Glücklicherweise hielt ein anerkannter Professor der Berner Universität dem entgegen, in der Formulierung "zu dir" seien die Redlichkeit und die tiefe Liebesfähigkeit des jungen Schriftstellers aufs schönste bewiesen.
Sobald es mir gelungen sein wird, die literarische Welt von meiner wahrheitsgetreuen Darstellung der Entstehungsgeschichte des gegenwärtig meistbesprochenen Gedichts zu überzeugen, werde ich zweifelsohne als Schöpfer der "Zerriß-Lyrik" in die Literaturgeschichte eingehen.
Eine persönliche Tragik liegt leider darin, daß meine Gattin behauptet, ich betrüge sie heimlich mit einer gewissen Geli.

:-))


 Marina antwortete am 14.05.05 (13:55):

Hallo, hier bin ich wieder. Bin noch nicht ganz verschütt' gegangen. Enigma, die Geschichte ist wirklich super, würde auch gut zu manchen Werken der bildenden "Kunst" passen (ich sage nur "Fettecke" :-) )
Hier mal etwas ganz Böses:

Zurück in die Heimat

- Tag, Frau Dr. Stahl, na, Besorgungen gemacht?

- Ja, so dieses oder jenes, was man so braucht.

- Na, Hauptsache gesund.

- Warum seh ich Sie denn im Abschiedsgewand? Und wozu dient die übergroße Hutnadel? Sieht ja fast aus wie der Bogen von einem Kontrabaß.

- Es ist der Bogen eines Kontrabaß. Mein Onkel Jeremias spielte dieses Instrument, als meine Mutter mich gebar. Und nun fahr ich nach Bitterfeld, wo meine Wiege stand. Denn dort, wo meine Wiege stand, dort will ich auch begraben sein.

- Da wünsch ich Ihnen gerne Spaß. Auch ich plane, kurz nach Sonnenwend zu meinem Vaterhaus zu reisen.

- Wo kommen Sie denn her?

- Aus Teufelswalde an der Pegnitz, zwischen Suhl und Sauerfurt.

- Ach ja, das ist der Ort, wo kurz nach der Großen Wertereform mein Bruder bei der Maibaumwache erstochen wurde.

- Ach was fürn Zufall. Na, dann viel Freude auf der Reise und guten Rutsch.

- Guten Tag, Frau Dr. Stahl.


Aus: Max Goldt, Die Radiotrinkerin


 Enigma antwortete am 14.05.05 (15:51):

Hallo Marina,

böse, aber gut.....
Und manchmal ist "etwas verschütt gehen" vielleicht gar nicht so schlecht, sonst wäre der Gernhardt ausser "moralisch schlüpfrig" vielleicht auch noch frech geworden....:-))

Diesmal habe ich - noch - keinen Text, aber wie wär`s für Dich als sprachgewandte Frau mit einem kleinen Anagramm-Rätsel??

Wie heisst eine (es kann ja mehrere geben) logische Ergänzung hierzu?

- AKIRAF
- KARIAME
- SINEA
- ARIANE LUST (aber es ist nicht "Ariane, Love in the
Afternoon" gemeint) *g*
- ............???

Gruss Enigma

Eine Kleinigkeit, geht ruck zuck, nehme ich an...


 Enigma antwortete am 14.05.05 (16:56):

Wolfgang Borchert
_______________________________________________

Es waren einmal zwei Menschen. Als sie zwei Jahre alt waren, da schlugen sie sich mit den Händen.
Als sie zwölf waren, schlugen sie sich mit Stöcken und warfen mit Steinen.
Als sie zweiundzwanzig waren, schossen sie mit Gewehren nach einander.
Als sie zweiundvierzig waren, warfen sie mit Bomben.
Als sie zweiundsechzig waren, nahmen sie Bakterien.
Als sie zweiundachtzig waren, da starben sie. Sie wurden nebeneinander begraben.
Als sich nach hundert Jahren ein Regenwurm durch beide Gräber fraß, merkte er gar nicht,
daß hier zwei verschiedene Menschen begraben waren. Es war dieselbe Erde. Alles dieselbe Erde.


 Marina antwortete am 14.05.05 (17:19):

Enigma, du überschätzt mich, dein Anagramm ist mir viel zu schwer. Ich habe stattdessen ein Gedicht gemacht. Nun passt es zwar gar nicht zu Borchert, aber dafür zu deiner Gernhardt-Bemerkung. :-)

Als der Gernhardt frech geworden,
Sim serim sim sim sim sim,
Freuten sich die Forumshorden,
Sim serim sim sim sim sim,
Seine Lyrik gern har(d)t,
Tä tä rä tä tä tä,
brachte alle in Höchstfahrt,
Tä tä rä tä tä tä,
Hier ist der Beweise,
Wau wau wau wau wau wau,
Sing’ es gar nicht leieise,
Schnätterätäng schnätterätäng schnätterätäng tätteräng tätteräng.


 Marina antwortete am 14.05.05 (17:28):

Pardon, ich wollte schreiben: Ich habe stattdessen ein
L i e d gemacht, am Lagerfeuer zur Laute zu singen. :-)


 Enigma antwortete am 14.05.05 (17:30):

...gut, schnätterätäng.....päng!

Nee, nix da, das kannst Du raten
Nimm Dir mal das erste Wort vor und stell`mal die Buchstaben um, dass es was ergibt, was Sinn macht. Dann hast Du die Kategorie, in die alle folgenden auch passen.....
Kriegst auch ein schönes Fleisskärtchen.... :-)


 Marina antwortete am 14.05.05 (17:50):

Enigma,
jetzt erst merke ich, wie gut dein Borchert-Text zu dem Gernhardt-Gedicht in dem andren thread passt - genial. Und jetzt mach ich mich an dein Anagramm.


 Marina antwortete am 14.05.05 (18:01):

Ach so!

Afrika
Amerika
Asien
Australien

Right? Stimmt, doch nicht so schwer. :-)


 Enigma antwortete am 14.05.05 (18:09):

...und "aporeu" oder so ähnlich....

Päng!
Wusste ich doch....
Und die Fleisskärtchen kannst Du auch sammeln, dann gibt es zum Schluss ein schönes Geschenk....:-))


 Marina antwortete am 14.05.05 (18:36):

Europa, Päng!

So, aber jetzt bist du dran! Ich habe mir, nicht faul, etwas Schönes für dich ausgedacht.


Feine Sorte Frust Reling

Enigma, jetzt ran,
zwei Wörter sind's, sag an!
Ein Fleißkärtchen sei dir,
wenn zwei du machst aus vier. :-)


 Enigma antwortete am 14.05.05 (19:12):

Tiefeneros und Gruenflirts?? *gg* (Flirt der Grünen könnte das ja sein...)??
Gilt das?
Aber nicht, dass ich wieder die "Rote Karte" kriege!

Lieber auch ein Fleisskärtchen....


 Marina antwortete am 14.05.05 (19:29):

Herrlich neue Wortschöpfungen sind das ja. Erinnern mich an "Schwanzhund" von Loriot bei Scrabble. :-)
Stimmt aber leider nicht, die Lösung ist viel naheliegender. :-)


 Marina antwortete am 14.05.05 (19:31):

Enigma, du hast noch zwei Feiertage Zeit. :-) Es können aber auch andere mitraten. :-)


 Enigma antwortete am 14.05.05 (21:00):

Ja danke,
mir fällt auch im Moment nur Blödsinn ein, so wie eben. Bin aber auch schon etwas beim Einpacken, weil ich morgen wegfahre. Aber nur für 2 Tage.
Wünsch Euch was dann....
Und: Klar, jede(r) kann mitraten.
Bis dann
Gruss Enigma

PS Vielleicht fällt mir bis morgen früh ja noch was ein...


 Enigma antwortete am 15.05.05 (07:13):

Hallo alle und Frohe Pfingsten,

da kam mir noch was im Traum (soll ja vorkommen...):

Feine Sorte = Forenseite?
Schöner aber: Freies Eton!

Frust-Reling = irrten flugs?
Schöner aber: irrsten Flug ! :-))

Tschüss jetzt und bis bald.....


 Marina antwortete am 15.05.05 (09:23):

Tschüss Enigma,
schöne Pfingsten! Denk nach, vielleicht hast du es dann mit Hilfe des Heiligen Geistes.
Zwei Wörter insgesamt kommen raus, naheliegend, haben mit uns zu tun. :-)


 Enigma antwortete am 16.05.05 (18:39):

Guten Tag,
hallo Marina,

wie ist es nur möglich, dass da steht: "...wenn zwei du machst aus vier" und ich verstehe: " eins aus zwei "??? :-))

Aber der Pfingstgeist hat letztlich seine Aufgabe an mir erfüllt und mich nicht im Stich gelassen.
Und was sagte er??
"Lustiger Seniorentreff" sagt er".
Und das ist ja wieder mal so richtig bestätigt worden die letzten zwei Tage, wie ich sehe. :-)))

PS
Aber waren meine Wortschöpfungen nicht eigentlich schöner??


 Marina antwortete am 16.05.05 (20:54):

Enigma, du enttäuschst mich nicht, ich wusste es doch!
Gut, dass ich das nochmal in Prosa erklärt habe, meine Lyrik war anscheinend doch nicht so perfekt. :-)
Ja, ja der Pfingsgeist. Oh möge er doch in uns alle fahren. Amen.
Aber ich finde meine Lösung trifft doch auf diesen thread hier durchaus zu, für die anderen setze ich das Wort "lustig" in Anführungsstriche. :-)


 Enigma antwortete am 17.05.05 (08:31):

Guten Morgen,

am besten sieht man das nicht nur auf diesen Thread bezogen so. :-))

aus: Thaddäus Troll: Der himmlische Computer; Hoffmann und Campe,78

Thaddäus Troll: Rotkäppchen, in amtlichem Sprachgut beinhaltet
Im Kinderanfall unserer Stadtgemeinde ist eine hierorts wohnhafte, noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche durch ihre unübliche Kopfbedeckung gewohnheitsmäßig Rotkäppchen genannt zu werden pflegt. Der Mutter besagter R. wurde seitens von deren Mutter ein Schreiben zustellig gemacht, in welchen dieselbe Mitteilung ihrer Krankheit und Pflegebedürftigkeit machte, worauf die Mutter der R. die Auflage machte, der Großmutter eine Sendung von Nahrungs und Genußmitteln zu Genesungszwecken zuzustellen.
Vor ihrer Inmarschsetzung wurde die R. seitens ihrer Mutter über das Verbot betreffs Verlassens der Waldwege auf Kreisebene belehrt. Dieselbe machte sich infolge Nichtbeachtung dieser Vorschrift straffällig und begegnete beim Übertreten des amtlichen Blumenpflückverbotes einem polizeilich nicht gemeldeten Wolf ohne festen Wohnsitz. Dieser verlangte in gesetzwidriger Amtsanmaßung Einsichtnahme in das zu Transportzwecken von Konsumgütern dienende Korbbehältnis und traf in Tötungsabsicht die Feststellung, daß die R. zu ihrer verschwägerten und verwandten, im Baumbestand angemieteten Großmutter eilend war.Da seitens des Wolfes Verknappungen auf dem Ernährungssektor vorherrschend waren, faßte er den Beschluß, bei der Großmutter der R. unter Vorlage falscher Papiere vorsprachig zu werden. Weil dieselbe wegen Augenleidens krank geschrieben war, gelang dem in Freßvorbereitung befindlichen Untier die diesfallsige Täuschungsabsicht, worauf es unter Verschlingung der Bettlägerigen einen strafbaren Mundraub zur Durchführung brachte. Ferner täuschte das Tier bei der später eintreffenden R. seine Identität mit der Großmutter vor, stellte ersterer nach und stellte in der Folge durch Zweitverschlingung der R. seinen Tötungsvorsatz erneut unter Beweis.

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 17.05.05 (08:38):

Fortsetzung!

Der sich auf einem Dienstgang befindliche und im Forstwesen zuständige Waldbeamte B. vernahm Schnarchgeräusche und stellte deren Urheberschaft seitens des Tiermaules fest. Er reichte bei seiner vorgesetzten Dienststelle ein Tötungsgesuch ein, das dortseits zuschlägig beschieden und pro Schuß bezuschußt wurde. Nach Beschaffung einer Pulverschießvorrichtung zu Jagdzwecken gab er in wahrgenommener Einflußnahme auf das Raubwesen einen Schuß ab. Dieses wurde in Fortführung der Raubtiervernichtungsaktion auf Kreisebene nach Empfangnahme des Geschosses ablebig. Die gespreizte Beinhaltung des Totgutes weckte in dem Schußgeber die Vermutung, daß der Leichnam Menschenmaterial beinhalte. Zwecks diesbezüglicher Feststellung öffnete er unter Zuhilfenahme eines Messers den Kadaver zur Totvermarktung und stieß hierbei auf die noch lebhafte R. nebst beigehefteter Großmutter. Durch die unverhoffte Wiederbelebung bemächtigte sich beider Personen ein gesteigertes, amtlich nicht zulässiges Lebensgefühl, dem sie durch groben Unfug, öffentliches Ärgernis erregenden Lärm und Nichtbeachtung anderer Polizeiverordnungen Ausdruck verliehen, was ihre Haftpflichtigmachung zur Folge hatte. Der Vorfall wurde von den kulturschaffenden Gebrüdern Grimm zu Protokoll genommen und starkbekinderten Familien in Märchenform zustellig gemacht. Wenn die Beteiligten nicht durch Hinscheid abgegangen und in Fortfall gekommen sind, sind dieselben derzeit noch lebhaft.
P.S. Die vorliegende Collage aus amtsdeutschen Klischees ist erdichtet. Wahr aber ist das folgende Exempel sympathischen Amtsdeutschs.

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 17.05.05 (08:44):

Fortsetzung!


Eine junge Frau in Bayrisch Schwaben wurde wegen Erregen öffentlichen Ärgernisses angezeigt. Diese junge Frau kam unbekleidet aus dem Badezimmer (was manche Schwäbin schon als Zeugnis äußerster moralischer Verkommenheit zu werten nur allzu rasch bereit wäre), als ihr Mann etwas zu trinken verlangte. Folgsam brachte sie aus dem Kühlschrank Orangensaft, aber der war angegoren. Der schwäbische Adam ließ sich autoritär zu einer Drohgebärde gegen die schwäbische Eva hinreißen, worauf diese, die den Jähzorn ihres Mannes kannte, wie sie war, um Hilfe rufend auf die Straße lief. Nachbarinnen hatten kein Verständnis für ihren Notstand und zeigten sie an. Aber der Richter urteilte galant, was einigen Zweifel zuließe, ob er wirklich ein Schwabe war. Er begründete seinen Freispruch wörtlich so: "Wenn eine gutaussehende Frau in mehr als leichtbekleidetem Zuschtand auf nächtlicher Schtraße Lärm macht, dann ischt für die Nachbarn diese akuschtische Beläschtigung durch den optischen Genuß ausgeglichen. Die Ruheschtörerin wird deshalb freigeschprochen."

PS
Region und Personen sind wahrscheinlich zufällig gewählt.
Vermutlich hätte das auch in Nordrhein-Westfalen passieren können. :-))


 Marina antwortete am 20.05.05 (17:14):

Liebe Enigma, ich möchte mich von dir verabschieden, meines Bleibens ist im ST nicht länger. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht mit dir und war eine große Bereicherung für mich, dafür danke ich dir sehr. Und ich danke dir für deine schönen Gedichte in "Vergänglichkeit", ich werde weiter alles lesen, was du einstellst.

Noch eins zum Schluss: "Nichts ist wie es scheint", das weißt du ja.

Liebe Grüße von
Marina

P.S. An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen, im zweifachen Sinne (auch an ihren "Verwandlungen").


 Enigma antwortete am 20.05.05 (18:23):

Liebe Marina,

ein bisschen bin ich schon traurig,dass wir uns nun verabschieden müssen, in dieser Form, zu dieser Zeit.
Aber - merkwürdigerweise - damit gerechnet hatte ich auch, in den letzten Tagen.
Und, wie Du schon richtig sagst, "nichts ist, wie es scheint".
Oder: "Alles fließt" oder "Man steigt nicht zweimal in denselben Fluß".
Und damit lebt man nicht einmal schlecht, wenn man akzeptieren kann, dass sich alles verändert. :-)

Und noch eine - ganz kurze, aber wahre - Geschichte von einem alten Bekannten, mit dem ich hin und wieder eine kleine Fahrradtour mache:
Am gleichen Tag, als seine Frau starb, wurde eine kleine Enkelin geboren.
Irgendwie versöhnlich, oder??
Ich stelle aber noch ein Gedicht für Dich ein unter "Gedichte".
Und dann haben wir uns richtig verabschiedet.....

Alles Liebe und ich danke Dir auch....
Enigma


 Marina antwortete am 20.05.05 (19:06):

Liebe Enigma,
das "Nichts ist, wie es scheint" meine ich doch anders, als du denkst", glaube ich.
"Alles fließt" oder "Man steigt nicht zweimal in denselben Fluß" stimmt und sind kluge Erkenntnisse von Heraklit. Es passt aber in dieser Sache hier nur für den ST für mich (lach). Du hast dich aufs Glatteis führen lassen durch die scheinbaren "Enthüllungen". Mehr kann ich jetzt nicht dazu sagen. Ich kann auch nicht dementieren, was da gestreut wurde, das geht nicht mehr und würde zu neuen Kübeln von Unrat führen.
Alles Gute für dich. Vielleicht wärst du ja bereit, mir deine private E-Mail-Adresse zukommen zu lassen, dann würde ich mich freuen. Wenn nicht - alles fließt.

Danke nochmal für alles.
Ciao


 Enigma antwortete am 20.05.05 (19:40):

okay, ich vertraue Dir mal.
Aber wie gebe ich Dir meine E-Mail-Adresse bekannt, ohne dass Gross-Deutschland das erfährt?
Ich möchte nämlich nicht so gerne, dass jeder mich erreichen kann, weil das keine Zweit- oder Dritt-Adresse ist, sondern meine einzige. *lach*.

wenn wir eine Lösung finden, o.k.
Dann können wir weiterreden!

Ciao auch!

Enigma


 Marina antwortete am 20.05.05 (21:51):

Ja, bei mir geht es jetzt erst recht nicht nach dem Desaster, aber du könntest den Webmaster bitten, sie mir zu schicken.
(Das ist ein langer Abschied (lach).


 Marina antwortete am 20.05.05 (23:55):

P.S. Du solltest unter "Vergänglichkeit" noch das Gedicht "Stufen" von Hesse reinstellen. :-)
Jetzt bin ich aber wirklich weg. :-)


 Literaturfreund antwortete am 01.06.05 (10:46):

Peter Altenberg
Kriegshymnen

Kriegshymnen san net schlecht. Gar net schlecht!
So Worttrompeten, Wortetrommeln, Wortgeratter:
Auf in den Kampf, auf in den Tod! Zum Siege!
Doch schmerzlicher dient man dem Vaterlande
mit einem Leberschuß, einem Schuß in die Niere, in die Nabelgegend!
Man muß es dann nämlich tragen, Jahre
lang, auch wenn die Kriegsbegeisterung vorbei ist,
und Nüchternheiten einziehn in die Seelen!
Nüchtern berauscht sein, das war ewig
die Devise meines Herzens! Künstlertum im Leben!
Nicht berauscht berauscht, und nicht nüchtern nüchtern!
Sondern nüchtern berauscht! Begeisterung in heiligen Friedenszeiten!
Der Krieg begeistert jeden schon von selbst!
Was braucht man da noch Trommeln und Trompeten?!?
Jedoch im heiligen Frieden wird wieder alles schlapp und müde,
und trottet fort in schäbigem Geleise!
In Friedenszeiten, Dichter, Philosophen,
rufet die Menschen wach und auf
zu Lügelosigkeit, Einfachheit, Askese und
vornehmer Gesinnung durch und durch!
Auf daß ein nächster Krieg unmöglich
werde und sein Schreckenslärm,
und ebenso Kriegshymnen-Blech!


 Enigma antwortete am 07.06.05 (13:34):

Die "Kurische Nehrung" hat mich einfach begeistert.

Nachstehend die Legende ihrer Entstehung:

Die Legende um die Entstehung der Nehrung besagt, dass auf einer dieser Inseln ein schönes Mädchen mit langen goldblonden Zöpfen lebte, mit Namen Neringa. Sie wuchs zu einer Riesin heran und half den Fischern; trieb ihnen Fische in die Netze und rettete ihre Schiffe. Eines Tages verursachte der Meeresgott Bangputys (Wellenbläser) solche Stürme, dass die Fischer Neringa abermals baten, ihnen zu helfen. Neringa schöpfte Sand in ihre Schürze und trug ihn zwischen die Inseln. Sie arbeitete solange, bis die Inseln verbunden waren waren und die Dünen hoch genug, um die tobende See aufzuhalten. So entstand ein ruhiges Gewässer: das Haff.
Sie trieb viele Fische hinein, so dass die Fischer nun nicht mehr aufs Meer hinaus mussten. Der Meeresgott versuchte ihr Werk zu zerstören, doch er kam nicht dagegen an, und die Stürme verstummten. Die Fischer gaben der Landzunge den Namen Neringa.


 Enigma antwortete am 08.06.05 (09:39):

Ja, ich bin gedanklich immer noch im Baltikum.

Eine ganz eigenartige und gleichzeitig auch etwas bedrückende Erfahrung haben wir in Siauliai (Schaulen) machen können, kurz vor Riga.
Dort befindet sich der sogenannte "Berg der Kreuze", inzwischen wohl ein "Heiligtum" der Litauer geworden.
So etwas hatte ich noch nie gesehen, Kreuze über Kreuze, aufgestellt von zahllosen Menschen, zunächst zu Ehren der während der russischen Fremdherrschaft hingerichteten Aufständischen, später wohl als Gebet für alle möglichen Angelegenheiten.
Sehr eindringlich fand ich eine ganze Reihe von Gedenkkreuzen mit dem Namen einer einzigen Familie (das waren über 10 Kreuze nebeneinander), die die Vermutung nahelegen, dass die Menschen möglicherweise während der letzten Besatzungszeit durch die Sowjetunion verschleppt wurden und nie mehr aufgetaucht sind. Die Kreuze zeigten nämlich fast einen Zehnjahresrahmen als vermutliches Todesdatum an.
Wen das Thema interessiert, nachstehend ein Internet-Tipp: - she URL!

Internet-Tipp: https://www.haged.de/litauen/kreuze.htm#aahnen


 Literaturfreund antwortete am 08.06.05 (18:50):

Quiekend - oder kreischend

In der heutigen Großstadt findet man allenfalls Hunde, Tauben und ein paar Pferde, doch sonst kommen dort Tiere nur zerkleinert in den Metzgerläden vor. Aber wir haben uns an den Anblick gewöhnt; mehr noch, er reizt unseren Appetit an. Vor einigen Jahren nun sah man in Metzgerläden ein als Plakat oder Emblem gemeintes Bild, dessen man zuweilen auch heute noch ansichtig wird: ein Metzger steht mit Schürze und Messer, und neben ihm sitzt ein großes, fahles Schwein, das sich tränenden Auges an ihn lehnt an ihn, der doch eigentlich die Kümmernis bewirkt, da er sein Messer ziehen und es schlachten wird. Wo keiner hilft, hofft man wenigstens auf den Henker.
Daß dieses Bild nicht menschlich, sondern ein wenig tierisch ist, wird jedes Schwein einsehen. Wenn ich schon jemand zum Gegessenwerden züchte und schlachte, so geht es doch nicht an, ihn noch humoristisch am Busen seines Schlachters sich ausweinen zu lassen: weil das kein Gegenstand zum Lachen ist! Nicht das Schwein ist hier lächerlich, sondern eher noch der Mensch. Das schrille Schweinegekreisch, wenn man sie zum Schlachten greifen will, kündet ja von der entsetzlichen Angst, die sie dabei ausstehen, denn das Schwein ist klug. Wenn wir Menschen geschlachtet werden, sagen wir im Kriege oder als Verurteilte, so haben wir doch noch das Gebet: wir können niederknien und uns Gott anheimgeben. Aber das Schwein hat nur Todesangst, sonst nichts: es sieht sich von denen umgebracht, die ihm bisher das Futter gereicht haben; es sieht sich umgeben von lauter Mördern. Schlimm, wenn der letzte Augenblick auch der gräßlichste ist.

Dabei bin ich keineswegs Vegetarier.

Ich habe schon als Kind auf dem Bauernhof die Schweinchen quieken - und die fette Sau, die am STrick aus ihrem STall in die Futterküche getrieben wurde, kreischen gehört.
*
URL. - was vom Schwein...

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/lornyFhZ6


 Enigma antwortete am 09.06.05 (07:07):

Nur einmal habe ich gehört, wie ein Schwein, das geschlachtet werdensollte, gekreischt hat. Das war bei einer Hausschlachtung, wie sie ja zumindest früher auf dem Lande oft durchgeführt wurden.
Und hinterher isst man doch von dem armen Schwein.....

aus: Hans Scheibner: Wahnwitz vom Feinsten, Rasch u. Röhring, '88

Hans Scheibner: Kein Schwein regt sich auf
"Man weiß doch wirklich nicht mehr, was man noch essen kann", regte sich gestern beim Frühstück Herr Burkhard auf.
"Der Fisch ist einem verekelt, Gemüse ist strahlenbelastet, Nudeln sind versaut, Wurst und Obst und Schokolade: Nichts ist wirklich mehr in Ordnung.Da kriegt man doch die Wut!"
"So?" fragt Burkhards Kollege, Herr Meerkatz, ganz ruhig, "Mich regt das alles nicht auf."
"Das regt Sie nicht auf?" schimpft Burkhard los. "Mann! Essen und Trinken ist lebensgefährlich geworden. Das ist doch ein Wahnsinn!"
"Aber mich regt das nicht auf", sagt Meerkatz gedehnt und beißt in seine große Frühstücksstulle.
"Was essen Sie denn da?" fragt Burkhard.
"Schinkenstulle. Ich ess' immer Schinkenstulle."
"Schweinefleisch!" schreit Burkhard auf. "Das ist ja noch das Allerschlimmste. Die armen Viecher werden in der Massentierzucht mit Medikamenten nur so vollgepumpt. Und weil zuviel Spritzen verboten ist, fahren sogenannte Autobahn-Veterinäre umher- sie kommen immer nur mal für ein paar Minuten in den Stall, spritzen die Viecher voll und sind wieder verschwunden. Damit keiner den Großbauern was nachweisen kann. Und da regen Sie sich nicht auf?"
"Nö. Regt mich überhaupt nicht auf. Ich bin überhaupt viel ruhiger in letzter Zeit."
"Mann, Meerkatz! Lebensmittelprüfer haben in der letzten Woche am Stuttgarter Schlachthof in Schweinenieren bis zu 0,5 Milligramm Chlorpromazin nachgewiesen. Das ist ein Nervenmittel aus der Psychiatrie. Das wird den Schweinen als Beruhigungsmittel gespritzt, damit sie nicht vor Aufregung auf dem Transport zum Schlachthof sterben. Aber das Mittel bleibt im Fleisch, wird nicht mehr abgebaut, weil... Sagen Sie mal: Essen Sie vielSchweinefleisch?"
"Am liebsten Kotletts und Eisbein und Leber!"
"Mensch, Meerkatz! Dann stehen Sie längst unter der Wirkung von diesen Beruhigungsmitteln!"
"Meinen Sie? Das regt mich auch nicht auf."
Burkhard war ganz bleich geworden. Er murmelt nur noch:
"Jetzt hat die Pharma-Industrie es bald geschafft. Erst das Schwein und dann der Mensch.
Ein Wahnsinn: alle mitgeimpft! Und keiner regt sich auf."


 Enigma antwortete am 14.06.05 (17:59):

So gelesen vor einigen Tagen in einer (Ruhrgebiets-) Zeitung:

Kumpel Anton
Sonz fänkt mich dä Kragen am Plazzen!

"Anton", sachtä Cervinsld für mich,
"Watt wir so inne letzte Zeit erleept ham!
Fiel daaf da nichmehr komm,
Sonz fänkt mich dä Kragen am Plazzen!"
"Nanu", sarich, "dich dä Kragen am Plazzen?
Watt hastu denn damit zu tun?"
.Ich doch nich, Anton", sachtä Cervinski,
"Aber auffe Treppe die Frau Schnipperink.
Also da wa ja zuärss die Sache mitti Kwien.
Mann, Anton, wazzint wir für Demmokraten,
Sowatt fon Jubel fürn gekröntet Haupt!
Un auffe Treppe die Frau Schnipperink:
,Här Cervinski, sowat Nettet wie die Kwien!
Wir ham doch auchmal sowatt ähnlichet gehappt,
Warum hamwer die aintlich wechgejaacht?
Sie müssen dattoch wissen, Här Cervinski.
Sie sintoch inne Gewerkschaft!'
Wazzollze da sagen, Anton?
Un dann kam datt mitti Sintflut am Rein,
Un die Schnipperinksche auffe Treppe:
,Här Cervinski, doll mittat Hochwasser?
Unser Hugo sacht, rechtzeitich ne Faltboot,
Datt könnte genau so gut bei uns passiern.
Här Cervinski. kann datt auch bei uns passiern?
Sie müssen dattoch wissen, Här Cervinski,
Sie sintoch im Gaatenbau-Fa-ein!
Un denn die Fussballweltmeisterschaft,
Un die Schnipperinksche auffe Treppe:
,Här Cervinski, tunwer im Entspiel komm?
Frau Meier hat gesacht, ihr Mann sacht,
Nie un nimmermehr komm wir im Entspiel,
Bei die lahmen Krücken in unsere Mannschaft,
Die der Bundesträner mitgenomm hat!
Här Cervinski,Sie müssen dattoch wissen,
Woosie immer auf Schalke laufen!'
Wazzollse da sagen, Anton.
Aber nun gipptat zwei Möchlichkeiten.Anton,
Entweder wir wern widder Weltmeister,
Oder wir wern diesmal kein Weltmeister.
Aber gezz lass mich ma die Frau Schnipperink
Auffe Treppe begechnen, Anton,
Auf geeden Fall, Anton.
Fliechze die Treppe runter,
Weil Ich datt ja eem wissen muss,
Entweder aus Freude, Anton,
Oderaus kochende Wut, Anton!"

Wilhelm Herbert Koch 1905 bis 1983


 Enigma antwortete am 18.06.05 (07:25):

Das war einmal.........:-)

ZWISCHENRUF OSKARS
AUF EINER ESPEDE-WAHLVERANSTALTUNG

Ich lasse mir meine
Blechtrommel nicht kaputt machen,
weder von Günter, noch von Grass.

Quelle: Arnfrid Astel, Kläranlage, 100 Epigramme
München: Carl Hanser Verlag


 Enigma antwortete am 22.06.05 (07:34):

aus: Kopfsalat, Hoffmann u. Campe '88

Eike Christian Hirsch: In aller Bescheidenheit

Lauter Malerinnen und Maler sitzen in einem Raum beisammen (ich bin nur als Journalist dabei) und wollen Erfahrungen austauschen. Niemand wagt anzufangen, da ergreift die Seniorin, eine weißhaarige Künstlerin, das Wort. Sie wolle sich zurückhalten, sagt sie, denn sie sei ja schon alt, ihr habe man auch schon ein eigenes Museum eingerichtet, in ihrem Heimatort sei eine Straße nach ihr benannt...
Wirklich, ich frage mich schon lange, warum einige meiner Mitmenschen, die gern etwas über sich ausplaudern möchten, glauben, niemand höre die dringende Absicht hinter ihrer schönen Beiläufigkeit heraus. Einmal komme ich mit einem Pianisten ins Gespräch, einst war er ein berühmter Klavierbegleiter, noch immer ist er ein gesuchter Mann. Ganz nebenbei erwähnt er in unserem Gespräch, worüber er vor kurzem mit "Lenz" gesprochen habe, wobei er offenbar erwartet, daß ich darauf zurückkomme. "Mit welchem Lenz, mit meinem Kollegen?" frage ich. Aber nein!
Er hat natürlich mit Siegfried Lenz gesprochen, den er übrigens seit langem gut kenne, wie er nun gern ausplaudert. Den Namen hatte er - ganz zufällig natürlich - fallenlassen, daß ich es nur so scheppern hörte und mich bücken mußte, um ihn aufzuheben. Ja, und wieviel größer wirkt mein Pianist nun von hier unten, als Dichterfreund.
Man muß nur wissen, was man unbedingt über sich selbst ausstreuen will. Ein erfolgreicher Journalist, seit vierzig Jahren in allen Medien im Geschäft, erwähnt in einem Brief an mich, er könne die heutige Umweltpolitik nicht mehr begreifen, "trotz eines erfolgreich abgeschlossenen Jurastudiums". Das wollte er offenbar mal bemerkt haben (und ich gestehe freimütig, ich wußte es bis dahin nicht), daß er auch noch ein echter Vollakademiker ist. Kam ganz zufällig heraus - denkt er jedenfalls. Ob ich ihn nun neu einschätzen muß?
Wie stellt man sich aus? Ein Vorhaben, das offenbar viel Takt und Tarnung verlangt, wenn niemand was merken solI. Zwei amerikanische Psychologen, Edward Jones und Kenneth Gergen, haben sich dazu ein Experiment ausgedacht. Sie baten Testpersonen herein und forderten sie auf, sich spontan einem Fremden gegenüber (der war auch anwesend) vorteilhaft darzustellen. Ein großer Teil der Versuchskaninchen zog es vor, sofort mit allem herauszurücken, was für sie sprechen könnte. Besonders beliebt war es, Namen von bekannten Leuten fallenzulassen, die zu kennen man sich rühmen konnte. Andere Testpersonen machten es doch wenigstens so auffällig-unauffällig wie meine drei Gewährsleute.
Andere lösten die Aufgabe dadurch, daß sie eine einfach entwaffnende Bescheidenheit an den Tag legten. Understatement, um auf sich aufmerksam zu machen. Ist doch schon besser.
Ich möchte an dieser Stelle einen Prominenten erwähnen, nämlich den Publizisten Johannes Groß. Nein, nicht um behaupten (keine Angst), ihn persönlich zu kennen. Als dieser hochintelligente Erfolgsmensch einen bekannten Fragebogen ausfüllte, sollte er unter anderem die Frage beantworten, welche natürliche Gabe er besitzen möchte. Er schrieb hin: Selbstbewußtsein.
Charmant und bescheiden - und ein gelungenes Paradox. Denn wer sich öffentlich zu einem Mangel an Selbstbewußtsein bekennt, muß eine Menge davon habe


 Enigma antwortete am 24.06.05 (17:08):

aus: Brigitte Heidebrecht: Folge mir, sprach mein Schatten, Verlag Kleine Schritte, '86

Brigitte Heidebrecht: Das Gedöns
In einer kleinen Stadt im mittleren Westen lag eines Tages mitten auf dem Marktplatz ein Gedöns.
Mit gekräuselten Mündern und gerunzelten Stirnen gingen die Bewohner des Städtchens daran vorüber. Niemand wollte etwas damit anfangen. Denn ein Gedöns gilt dort als ein Brauchen-wir-nicht, ein Ach-was, ein Was-soll-das-überhaupt.
Das Gedöns aber lag mitten auf dem Platz und ging nicht fort.

Eines Nachts kam die Kabakusch über den Platz. Wer bist du und was willst du? fragte die Kabakusch.
Das Gedöns seufzte tief. Das darf ich nicht verraten, flüsterte es. Aber wenn du von selbst drauf kommst...
Bist du dann erlöst? fragte die Kabakusch.
Das Gedöns raschelte leise.
Ich nehme dich mit, entschied die Kabakusch. Du kannst solange bei mir wohnen. Solange, bis... Der Wind riß ihr den Satzfaden entzwei.
Abgemacht! rief das Gedöns und sprang auf. Es holperte und rumpelte hinter der Kabakusch her. Niemand hörte sie, als sie durch die Straßen gingen, denn alle schliefen.
Brauchst du ein Bett? fragte die Kabakusch und drückte die Klinke zur Besucherkammer.
Ich habe Hunger, murmelte das Gedöns.
Die Kabakusch stellte Milch auf den Ofen. Magst du Grießbrei? fragte sie.

Mensch kann sich an alles gewöhnen. Auch an ein Gedöns im Gästezimmer. Nach einiger Zeit kam es der Kabakusch schon gar nicht mehr seltsam vor, daß sie nun nicht mehr alleine wohnte. Nur der Kaufmann wunderte sich über die Unmengen Grieß, die die Kabakusch nach Hause schleppte.

Als die Kabakusch eines Mittags in die Küche kam, spitzte sie die Ohren: Da war eine leise Melodie in der Luft. Sie schaute sich um. Da hockte das Gedöns auf dem Ofenrohr und summte sich eins. Am nächsten Tag summte es lauter. Und am dritten Tag sang es aus vollem Halse. Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?
Kenn ich nicht, sagte die Kabakusch, nie was von gehört. Dann sang sie mit.

Das Gedöns hatte den Grießbrei über. Gib den Korb! rief es und sprang aus der Tür. Lief durchs Gestrüpp und pflückte dies und das. Hievte mit Schwung den vollen Korb auf den Tisch. Heute probieren wir Rezepte aus!
Als Vorspeise gab es Gänseblümchensuppe, garniert mit Berberitzenspitzen. Danach Springkrautsalat. Zum Hauptgang Löwenzahnklopse mit Pfefferminzsoße. Und zum Nachtisch Ginsterblütenpasteten.
Die Kabakusch rülpste zufrieden und ließ sich aufs Kanapee fallen.

Eines Nachts schien der Mond durchs Fenster und schaute das Gedöns groß an. Da wurde es traurig. Es lief hinüber zur Kabakusch, kroch zu ihr unter die Decke und heulte los. Und da im Leben viele Dinge zu zweit angenehmer zu tun sind als allein, heulte die Kabakusch mit.
Dann träumten beide weiter.

So lebten sie und waren mal traurig und mal froh. Und das Gedöns wuchs heran und wurde groß und rund.

Was schließlich aus dem Gedöns geworden ist? Jaja, das fragen alle, das fragen alle.


 Marina antwortete am 25.06.05 (15:23):

Enigma, wo hast du nur immer deine tollen Geschichten her? Die ist wieder wunderbar, danke. Etwas für spinnerte Träumer. :-)


 Enigma antwortete am 25.06.05 (17:50):

Hallo Marina,

freut mich, dass dir "das Gedöns" gefallen hat. Mir auch. :-))

aus: Aziz Nesin: Wie Elefanten-Hamdi verhaftet wurde, ikoo, '84

Aziz Nesin: Dafür bin ich nicht zuständig

"Polizei! ... Schnell! ... Hiiilfe! ..."
Passanten blieben stehen und sahen den Mann an. In der Menschenmenge befanden sich auch Polizisten, aber die kümmerten sich nicht um das Geschrei; sie gingen weiter.
"Polizei! ... Polizei! ..."
Eigenartig ... Kein Polizist hörte es. Einer stand sogar genau gegenüber auf dem Gehweg. Konnte er das überhört haben? Der Mann formte seine Hände zu einem Trichter:
"Polizei! ... Schnell! ... Hiiilfe! ... Polizei!"
Dann lief er quer durch die ständig wachsende Menge zu den Polizisten.
"Kommen Sie schnell mit, Herr Wachtmeister!"
"Was ist denn los?"
"In dem Lokal dort drüben bringen sie gerade einen Mann um!"
"Dafür bin ich nicht zuständig."
"Warum nicht?"
"Ich bin Verkehrspolizist. Wenn ich hier fortgehe, gibt es ein Chaos."
Der Mann beginnt erneut zu rufen:
"Polizei! ... Polizei! ..."
Ein Polizist rannte an dem Mann vorbei, er folgt ihm:
"Herr Wachtmeister! ... Einen Augenblick ... Hier wird gerade ein Mann umgebracht, kommen Sie!"
"Dafür bin ich nicht zuständig! Solche Sachen erledigt die Abteilung zwei. Ich bin Paßbeamter."
Der Mann lief von einer Straßenseite auf die andere. Dabei brüllte er, so laut er konnte:
"Polizei! ... Ein Mann wird umgebracht! ... Polizei!"
Aaahh ... Da kam ein Polizist. Er lief zu ihm:
"Bitte, kommen Sie! Dort drüben geschieht ein Mord!"
"Dafür bin ich nicht zuständig, ich gehöre zum Stab des ...ministeriums."

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 25.06.05 (17:53):

Fortsetzung!


Die Menschenmenge wurde immer größer. Er lief zu einem Polizisten, der sich mit einem Gemüsehändler unterhielt:
"Herr Wachtmeitster! Kommen Sie schnell ... Dort wird ein Mensch umgebracht."
"Dafür bin ich nicht zuständig, ich bin bei der Gewerbepolizei."
Da gab es nun so viele Polizisten, aber unglücklicherweise war keiner zuständig.
"Ist denn keine Polizei da? ... Hiiilfe!"
Allah sei Dank, da kam ein Polizist. Um sich nicht wieder zu blamieren, fragte der Mann vorsichtshalber:
"Entschuldigung, zu welcher Abteilung gehören Sie?"
"Abteilung zwei ..."
"Welch glücklicher Zufall ... Dort drüben wird einer umgebracht, kommen Sie mit!"
"Dafür bin ich nicht zuständig. Ich gehöre zwar zur Abteilung zwei, aber zum Einbruchsdezernat."
Der Mann lief zum Großen Platz und hielt den ersten Polizisten, der ihm begegnete, an:
"Kommen Sie, da wird ein Mensch umgebracht."
"Dafür bin ich nicht zuständig."
"Sind Sie nicht von der Abteilung zwei?"
"Das schon, aber vom Schmuggeldezernat. Sie müssen einen Mann von der Mordkommission finden."
Er kehrte um. Die Menschenmenge verstopfte bereits die ganze Straße. Der Mann hielt einen anderen Polizisten an:
"Sind Sie von der Abteilung zwei?"
"Von der Mordkommission?"
"Ja."
"Allah sei Dank, Mann, kommen Sie schnell! ... Dort drüben wird ein Mensch umgebracht."
"Wo?"
"Dort drüben!"
"Dafür bin ich nicht zuständig."
"Weshalb nicht?"
"Es ist nicht mein Revier... Ich gehöre zum Bezirk Sormagir."
Aufgeregt wendete sich der Mann an einen anderen Polizisten:
"Entschuldigen Sie, sind Sie von der Abteilung zwei?"
"Von der Mordkommission?"
"Ja..."
"Sind Sie für diesen Bezirk zuständig?"
"Ja ... Was gibt es?"
"Bruder, dort drüben wird ein Mensch umgebracht."
"Dafür bin ich nicht zuständig, ich habe heute meinen freien Tag."
Aufgeregt trat einer an den Mann heran und flüsterte ihm ins Ohr:
"Das habe ich auch schon erlebt, ich kenne das. So sucht man keinen Polizisten! ... Du mußt dich hinstellen und rufen: 'Das ist ja ein Skandal!' ..."
Der Mann lief auf die Straßenbahnschienen und schrie:
"Es ist ein Skandal! ... Hat man so etwas schon gesehen? So ein Skandal!"
Der Mann wollte noch weiterrufen, aber er kam nicht dazu, denn ein paar Männer aus der Mange warfen sich auf ihn:
"Los, ab zum Revier!"
"Wer sind Sie?" fragte der Mann.
"Geheimpolizei, politische Abteilung..."
Pfeifen trillerten. Der Polizist, der seinen freien Tag hatte, folgte dem Signal, hinter ihm lief der Polizist vom Bezirk Sormagir. Als das Trillern andauerte, kamen auch der Verkehrspolizist und der von der Gewerbepolizei.
Der Mann, der ihm vorhin gesagt hatte, was er rufen sollte, war dabei und fragte ihn:
"Sind Sie auch Polizist?"
"Ich bin Kommissar."
Aus dem Lokal, in dem der Streit ausgebrochen war, wurde ein Mann zum Revier gebracht. Er wälzte sich verletzt auf dem Boden.
"So ein Jammer", sagte der Mann.
"Ist er ein Verwandter von Ihnen", fragte der Verkehrspolizist.
"Nein", sagte der Mann, "ich kenne ihn gar nicht ... Ich wollte die Polizei nur aus Nächstenliebe zu Hilfe rufen."
Der Gewerbepolizist scheuchte ihn:
"Lauf schneller! Das Blut des Verletzten hat die Straße verschmutzt. Wenn ich dich auf dem Revier abgeliefert habe, muß ich sofort zurück, um ein Strafmandat zu schreiben!"


 Enigma antwortete am 29.06.05 (08:06):

aus: Wolfgang Ebert: Was steht uns noch ins Haus?, Lübbe, '85
Wolfgang Ebert: Von Pechvögeln, Schürzenjägern und Panikmachern

Alljährlich, wenn sich die Reiseleiter am Saisonende zu ihrer Vollversammlung treffen, dann tauschen sie Erfahrungen aus und Listen. In denen stehen die Namen der Pauschalreisenden, die den Reiseleitern ganz besonders auf die Nerven gegangen sind. Auf dieser Liste von "Schwarzen Schafen" findet man immer wieder folgende Problemtypen:
TYP A: DER ALLESWISSER. Kennt hier jeden Stein, denn er hat diese Gegend schon mal vor siebzehn Jahren bereist. Damals war hier alles noch so gut wie unberührt vom Massentourismus, und der Liter Wein hat fünf Pfennige gekostet. Versucht seinen Mitreisenden dauernd vor Augen zu führen, wie schön dieser Ort war, bevor er verschandelt wurde; der Alleswisser ist natürlich kunstgeschichtlich interessiert und kennt seinen Baedeker in- und auswendig. Macht sich mit seinem Wissen beim Reiseleiter verhaßt, weil er ihm bei kunsthistorischen Exkursionen laufend Irrtümer nachweist: "Auf diesem Loire-Schloß weilte nicht Ludwig XIV., sondern Ludwig XVI." - "Diese Säule ist nun wirklich nicht ionisch, sondern natürlich korinthisch!" Stellt auch gerne Vergleiche mit der mexikanischen Kultur an, die gewöhnlich zu Gunsten der letzteren ausfallen. In Mexiko kennt er sich nämlich aus. Dort soll er mit seinem Besserwissen drei Reiseleiter in den Wahnsinn getrieben haben.
Eine Sonderspezies des Typs A ist der 'Perfektionist', der alles abzuhaken pflegt, was er nicht zu sehen bekommen hat, obwohl es auf dem Programm stand, zum Beispiel die kleine Mustafa-Moschee, deretwegen er ja eigentlich nur die Reise gebucht haue. Der Besuch, so argwöhnt er, wurde aus purer Bosheit ausgelassen und natürlich nicht aus Zeitmangel. Im Grunde möchte er alles sehen, schon damit es ihm nicht widerfahren kann, daß ihn später einmal einer nach der entzückenden kleinen gotischen Kapelle in Mafreux fragt und er passen muß.
TYP B: DER EINZELGÄNGER, auch Außenseiter genannt. Hält sehr auf Distanz, schweigt beharrlich und ist darum den meisten etwas unheimlich. Ist er eingeschnappt? Hat man ihm ein Leid zugefügt? Offenbar fühlt er sich aber nur über seine Mitmenschen erhaben. Schlägt sich bei jeder nur möglichen Gelegenheit in die Büsche. Macht gerne Entdeckungen auf eigene Faust und hat Erlebnisse, die einem normalen Touristen nicht zuteil werden, etwa eine Totenfeier auf Bali, bei der er als einziger Nichteingeborener dabei war. Nimmt in fernen Ländern sofort Kontakt zu den Eingeborenen auf. Dadurch gehört er sofort zu den Eingeweihten und erweckt den Neid seiner Reisegenossen mit echt silbernen Teegeräten und kleinen Teppichen, die er zu einem Spottpreis erstanden hat
Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 29.06.05 (08:13):

Fortsetzung!
TYP C: DER PECHVOGEL. Der absolute Schrecken jeder Gruppenreise. Verfehlt schon auf dem Athener Flughafen die Gruppe, die seinetwegen zwei Stunden warten muß. Dann ist sein Koffer nicht mitgekommen, sondern befindet sich auf dem Irrweg in die Karibik. Andere dieses Typs wieder haben sich auf das Verlieren von Flugtickets, Ausweisen und Euroscheckheften plus Karte spezialisiert. Es sind jene Unglücksraben, denen Portemonnaie und Fotoapparat nicht etwa nur auf einer römischen Piazza entrissen werden, sondern in einer vergleichsweise friedlichen Schweizer Stadt wie Biel. Der Pechvogel hat meistens auch Pech mit seinem Zimmer. Kommt morgens todmüde zum Vorschein, weil er die ganze Nacht kein Auge zutun konnte. Da war so ein merkwürdiges Geräusch in der Wand, so ein Dröhnen. Oder nebenan fand eine Orgie statt. Im Extremfall bekommt er im Atlasgebirge Zahnschmerzen und muß zurückgelassen werden.

TYP D: DER TOLLE HECHT. Ist niemals ganz nüchtern. Das ist er schon seinem schlechten Ruf schuldig. Ist gewöhnlich der letzte an der Hotel- oder Schiffsbar, wo er nur noch unverständliches Zeug lallt und in volltrunkenem Zustand die wehrlosen Stewards umarmt. Kann gelegentlich etwas aufsässig werden und fängt dann an zu krakeelen, was seinen Landsleuten in der Gruppe mißfällt, weil es ein schlechtes Licht auf ihr Land wirft. Darf aber immer mit einem gewissen Verständnis rechnen und findet immer Freunde, die ihn zur Raison und dann ins Bett bringen.
Den tollen Hecht gibt es noch in der Ausfertigung 'Schürzenjäger', vor dessen Grabschfingern keine Barfrau, keine Kellnerin und kein Zimmermädchen sicher ist. Von den verheirateten, mehr oder minder frustrierten männlichen Mitreisenden wird der 'Ladykiller' wegen seines freizügigen Lebens beneidet.
Daß der tolle Hecht nie zum gemeinsamen Frühstück erscheint, versteht sich von selbst. Und auch, daß der Bus anschließend seinetwegen eine Stunde warten und darum ein weiterer Punkt des Programms 'Rundgang durch den Basar von Rabat' gestrichen werden muß. Trotzdem wird ihm, wenn er schließlich vollkommen abgeschlafft, aber allem Anschein nach glücklich und mit dem trotzigen Lächeln eines Menschen, der wieder mal eine tolle Nacht hinter sich hat, bei seiner Gruppe landet, fast immer verziehen.

TYP E: DER PINGELIGE. Hat immer recht. Kriegt deshalb überall Krach mit Kellnern und Barkeepern, vor allem in exotischen Ländern, wozu er auch den Mittelmeerraum zählt. Dort nämlich werden die Touristen grundsätzlich übers Ohr gehauen - er kennt sich da schließlich aus: Mit ihm, o nein, können sie das nicht machen. Darum zählt er sorgfältig die Ouzos und Cappuccinos, nur um später beweisen zu können, daß einer zuviel auf der Rechnung steht. "Diese 33 Drachmen, wofür sind die?" erkundigt er sich streng. Es geht ihm ja nicht ums Geld, sondern ums Prinzip. Die sollen ihn nicht für dumm verkaufen.
Den Pingeligen gibt es auch noch in der Sonderausfertigung 'Anti-Neppkämpfer', der in der Bar des vornehmen Hotels in Singapur den Schock seines Lebens erlebt: ein Glas Whisky 27 Mark! Da hört sich doch Verschiedenes auf. "Unverschämtheit!" brüllt er durchs ganze Lokal. Läßt den Geschäftsführer kommen, den er auf seine intimen Beziehungen zum Fremdenverkehrsminister hinweist, und schwört zusätzlich, diese Neppbude nie mehr zu betreten. Der Whisky wird dadurch nicht billiger, aber ihm wohler.
Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 29.06.05 (08:16):

Fortsetzung!

TYP F: DER NÖGLER. Ihm paßt nichts. Regen in Marokko? So hatte man ihm Marokko nicht verkauft. Und dann im Bus die Lüftung. Entweder sie funktioniert nicht und er kriegt keine Luft, oder es zieht entsetzlich und er verurteilt die Mitreisenden zu einer mittleren Saunasitzung, indem er alle Fenster dicht verriegeln läßt. Kann sehr unangenehm werden, wenn sein angestammter Sitzplatz besetzt ist. Das ist nämlich sein Sitzplatz, und der gehört nur ihm.
Dann das Essen. Da wird er zum Querulanten. Das Essen - vom Wein gar nicht erst zu reden - ist immer zu kalt oder zu heiß. Manche Speisen läßt er in die Küche zurückgehen, wie es sich für einen richtigen Gourmet gehört. "Das soll ein Stifado sein? Hahaha! Bei unserem Griechen in Peine schmeckt der aber ganz anders!" Kennt sich vor allem bei italienischen Vorspeisen aus. "Diese Spaghetti", erklärt er dem Koch des berühmten Feinschmeckerlokals in Verona, "sind nicht al dente" - und läßt sie prompt zurückgehen. Verlangt gerne das, was es in diesem Land garantiert nicht gibt, zum Beispiel in Tunesien echten deutschen Streuselkuchen. Er hat meist einige Mühe, solche Wünsche den Einheimischen verständlich zu machen. "Sollten endlich Deutsch lernen, die Kerle, schließlich werfen wir ihnen unsere gute deutsche Mark in den Rachen."

TYP G: DER PANIKMACHER. Man trifft ihn vornehmlich unter den Flugreisenden. "Auch wenn Sie nur zwei Nächte in Bangkok verbringen, brauchen Sie für Thailand ein Visum, sonst müssen Sie auf dem Flugplatz übernachten." Oder: "Sind Ihnen diese sehr orientalisch aussehenden Typen dahinten auch schon aufgefallen? Also, wenn das keine Flugzeugentführer sind." - "Hören Sie nicht auch dieses merkwürdige Ticken aus dem Waschraum?" - "Was, Sie haben sich nicht gegen Malaria impfen lassen?" Und: "Hoffentlich sind die Straßenschlachten vorbei, wenn wir im Hotel sind, es liegt direkt im Zentrum. "Wenn dann unter den Mitreisenden eine mittlere Panik auszubrechen droht, lehnt er sich gemütlich in seinen Sitz zurück. Er hat es wieder mal geschafft!

:-))


 Enigma antwortete am 30.06.05 (07:50):

Wer kennt Herbert Knebel?
Oder Alfons und Mieze?
Oder....oder.....??

Eine kleine Kostprobe "aussem Ruhrgebiet":
...."Beni's Vorwort
sechs Jahre war ich alt, als Tante Hanna zu mir sagte: Wenn du mal fünf Minuten lang nicht mehr "dat" und "wat" sagst, bekommst du was ganz Schönes von mir. Darauf sagte ich: Wat is dat denn, wat ich krich?
Tante Hanna legte – neben meinen Eltern – großen Wert auf "richtiges Deutsch" und wollte unbedingt, ich sollte es endlich auch sprechen. Aber schon damals war es zu spät dazu. Da hatten meine Spielkameraden längst dafür gesorgt, dass ich "Herner Deutsch" konnte, eine besonders ausgeprägte Variante der Ruhrgebietssprache.
Meine Kameraden waren Theo Zbaski, Bua Puzalla, Kallemann Knebel und viele andere. Und je älter ich wurde, desto mehr erinnerte ich mich an sie; an sie und meine Tante Mieze (Maria), an Onkel Willi, der als Lokführer ein Leben lang von Herne nach Wanne-Eickel und zurück gefahren ist, und an meinen Patenonkel Heinrich, Steiger auf Mont-Cenis, und an viele andere. Nicht zuletzt dachte ich nun auch oft an Alfons, den lieben Arbeitskollegen aus Werkstudententagen. Er schrieb kleine Gedichte.
Und so kam es, dass ich eines Tages "Alfons und Mieze" erfand, dieses liebenswerte Rentnerpaar, und ihre Freunde und Verwandten. In diese ganze Gesellschaft ist dann eingegangen, was ich in Kindertagen und später im Ruhrgebiet gesehen und gehört habe.
Alle Personen sind erfunden, nur die Namen sind echt. Echt ist auch ihre Sprache, die den Krieg überlebt hat und das Zechensterben und den Strukturwandel. Sie wird noch gesprochen werden, wenn es "Alfons und Mieze" nicht mehr gibt. Aber das wird hoffentlich noch eine Zeit lang dauern. Und wer weiß: Vielleicht sind die Beiden sogar unsterblich..."




"Alfons", sacht die Frau für mich,
"sach mich ma wat Nettes!" -
"Ja, ich sach, dann sach domma,
watte gerne hättes!

Also, Mutter, schieß ma los,
sach: Wat willze hören?
Weiß doch, wenn et wichtich is,
kannz mich immer stören!"

"Kommsse da nich selber drauf,
kannz dich dat nich denken?
Sollz mich ma en liebet Wort
bloß ma wieder schenken!
Datte mich noch gerne hass,
sollze mich ma zeigen.
Aber leider in den Punkt
bisse meist am schweigen.

Hängs oft wie son stummen Fisch
inne Sofa-Ecke,
oder streichs mit eine Hand
Krümmels vonne Decke."

"Mutter, is dat gezz nich doch
bissken übertrieben?
Mann, ich tu dich immer noch
so wie früher lieben."

"Will mich ja auch eintlich nich
über dir beklagen,
aber manchma wär auch schön,
täts mich dat ma sagen."

Internet-Tipp: https://www.ruhrig.de


 Enigma antwortete am 30.06.05 (08:41):

Ist das nicht köstlich, "Faust" in Ruhrgebietssprache.
Da hat Gretchen "Sternkes inne Augen":

Straße. Faust.
Margarethe vorübergehend.
Faust
Ey, lecker Mäusken, daaf ich wagen,
Dich en bißken anzugraben?

Gretchen
Is nix mit Baggern, bin kein Mäusken,
Geh nur solo inn’t Kabäusken.
(Sie macht sich los und ab.)

Faust
Verdorri, wat en lecker Dier,
Echt sisselmissel wurdet mir.
Wat en Zinken, wat ne Schnüss,
En bißken schnippisch se auch is.
Kulleräugskes, gaanich dumm,
Dat haut den stärksten Fuhrmann um.
Und angepillert hatse mich,
Dat krich ich ausse Birne nich.
(Mephistopheles tritt auf)
Faust
Die Olle musse mich besorgen.

Mephistopheles
Wat für eine?

Faust
Lieber jez als morgen.

Mephistopheles
Dat Etteken, dat grad vorbeigedackelt?
Dat hat dich richtich angefackelt?
Von ihrn Popen kam den Dopp.
Sacht zu den schwatten Schlunzekopp,
Se hätt kein Sündken, wär ne Töffte,
En Seger se nich ham tun möchte.
Bei sonne ipschig Edelschnalle
Sein Teufel seine Muckis alle.

Faust
Ja, tu ich denn der Leo sein,
Dat geht in meinen Kopp nich rein,
Sonz biss Graf Rotz, ziehs ab ne Schau,
Sollz ma malochen, machse blau.
Son echten Hufentünnes ausse Hölle
Kricht sonen Dotz nich aufe Kelle?
Se liegt heut abend in mein Arm,
Sonz kannze mich ma gerne ham!

Schließlich schafft es Mephistopheles doch noch, Faust und Gretchen zusammen zu bringen. Die junge Dame hat sich voll in Faust verliebt.

Gretchens Stube. Gretchen am Spinnrade allein.
Achottachott, kannet nich glauben,
Dat ich hab Sternkes inne Augen.
Den heißen Heini, wat fürn Massel,
Brachte de Dingskes in mein Dassel.
Sein tun duhne, bin meschugge,
Mein Intellenz kommt nich zum Zuge.
Achottachott, kannet nich glauben,
Dat ich hab Sternkes inne Augen.
Ich bin den Heini seinet Mäusken,
Geh nur mit ihn in mein Kabäusken.
Den süßen Fratz, den Knuddelbär,
Isser nich da, kann ich nich mehr.
Er mein Seger, ich sein Keule,
Er macht nie Knies, macht nie ne Beule.
Achottachott, kannet et nich glauben,
Dat ich hab Sternkes inne Augen.
Wennwer bei son ipschig Pläuschken,
Rappzappzapp von mein Kabäusken,
In son Schrebber mit so Priemeln
De Patschehänd zusammenfriemeln,
Wenner knubbelt oder knutscht,
Dat Herzken inne Bux mich rutscht,
Heini, dann kann ich et glau Farbe ben:
Ey, ich hab Sternkes inne Augen.

Aus: she. URL! (Da gibbet et noch mehr Nettet.....)

Internet-Tipp: https://ruhrgebietssprache.de/literatur2.html


 Literaturfreund antwortete am 30.06.05 (09:03):

Guten Text-Morgen, Enigma!
*
Wo hast Du die vielen Odeman-Gedichte her?
Mir fehlen drei Bändchen von dem Humoristen!

*

Vom Rentner Herbert Knebel gab es hier schon manche Erwähnungen - und einen Supertext:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/ZXjnL2WzF


 Enigma antwortete am 01.07.05 (08:21):

Ja, das hätte ich mir ja denken können, dass Knebel schon mal Gegenstand der Unterhaltung hier war....
Danke für den Hinweis.

Die Magie des Einhorns

Das Einhorn ist ein schönes und geheimnisvolles Tier. Immer ist es allein unterwegs, und man sieht es nur selten. Doch einmal - ein einziges Mal - mischte es sich unter die anderen Tiere und teilte seine sonderbaren, magischen Kraefte mit ihnen. Weit, weg von hier war ein Wald. Und dort, unter den schattigen Baeumen, lag ein Teich mit frischem Wasser. Es war der Teich der Tiere, zu dem alle kamen, um zu trinken. Nun hatte es monatelang nicht geregnet. Heiss und unbarmherzig brannte die Sonne herab. Die Bäche und Flüsse trockneten aus. Das Gras verfärbte sich gelbbraun. Selbst das Unkraut verdorrte. Aber der Tierteich unter den schattigen Bäumen blieb voll bis zum Rand. Niemals versiegte er. Und so hatten die Tiere genug Wasser zu trinken. Eines Tages glitt eine Schlange aus einer Höhle. Eilends schlängelte sie sich über das trockene Gras, bis hinein in den Wald, geradewegs hin zum Teich der Tiere. Am Rand des Wassers angekommen, hob sie gemächlich den Kopf, wiegte ihn über dem Teich hin und her und spuckte einen Schwall tödlichen Gifts aus. Es lag an der Oberfläche wie Öl und überzog so den ganzen Teich. Dann glitt die Schlange, so schnell wie sie gekommen war, zurück zu ihrer Höhle. Und warum tat die Schlange das? Weil sie böse war. Weil sie Lust darauf hatte. Und weil sie keinen mochte, ausser sich selbst. Deshalb tat sie es. Zu ihren üblichen Zeiten kamen die Tiere zum Teich, einzeln, zu zweit oder in freundschaftlichen Grüppchen. Doch als sie am Rand des Wassers standen rochen sie das Gift und sahen es an der Oberfläche schwimmen. Wenn sie davon tranken, würden sie sterben, das wußten sie. Manche Tiere waren so bestürzt, daß sie leise stöhnten. Andere kläfften und brüllten ihre Wut hinaus. Aber kein einziges macht kehrt und ging davon. Bis der Abend kam, hatte sich eine riesige Menge um den Teich versammelt. Tiere, die alles andere als Freunde waren und niemals zusammen tranken, standen nun Seite an Seite: der Löwe, der Büffel, die Antilope, der Wolf, das Kamel, der Esel, die Schafe.... und viele, viele andere. Die Nacht kam, der Mond stieg an den Himmel, und immer noch kamen weitere Tiere herbei. Von Zeit zu Zeit stieß eines einen Schrei aus, dann fielen andere Stimmen in den lauter, klagenden Ruf mit ein. Jedesmal wurde der Schrei lauter. Gab es denn keinen, der ihnen helfen konnte? Das Einhorn, dieses schöne Geschoepf, das stets alleine blieb, war weit in der Ferne, doch schließlich hörte es den Ruf. Es lauschte und verstand. Da warf es die Hufe und trabte los, langsam erst, dann immer schneller, bis es galoppierte, geschwinder als der Wind. Beim Wald angekommen, wurde es langsamer, und dann, mit vorsichtigen Schritten, wand es sich zwischen Bäumen hindurch. Am Teich sah es die Tiere, die sich dort versammelt hatten. Es roch das Gift. Und da wusste es alles. Das Einhorn kniete am Ufer nieder, senkte den Kopf nieder und tauchte sein langes, spitz zulaufendes Horn in den Teich. Tiefer und tiefer, bis das Wasser es ganz bedeckte. Es wartete einen Augenblick, dann hob es langsam den Kopf und stand wieder auf. Das Zauberhorn hatte seine Arbeit getan. Jetzt war das Wasser nicht mehr giftig, nein, es war wieder frisch und rein. Ohne zu drängeln, zu schubsen oder zu zanken, senkten die Tiere ihre Köpfe und tranken. Als sie den Durst gelöscht hatten und ihre Kraft wiederkehrte, riefen sie Einhorn alle gemeisam ihren Dank zu. Doch das Einhorn war nicht mehr da. Es hatte sich davongemacht, während sie tranken. Seine Arbeit war getan. Es brauchte keinen. Es war das Einhorn, das immer alleine blieb.



Internet-Tipp: https://insel.heim.at/mainau/330903/fantasie10.htm


 Marina antwortete am 01.07.05 (09:13):

Enigma, lass dich nicht davon abhalten, weitere Knebel-Texte reinzustellen, der ist trotzdem immer gut, und nicht jeder kennt die alten. Außerdem war hinter dem Link gar kein Knebel-Text, sondern eine Diskussion, wo wieder mal einer mit sich selbst diskutiert. :-)
Danke für all deine Mühe und die tollen Texte, ich lese sie alle gern.


 Enigma antwortete am 01.07.05 (12:36):

Hallo Marin,

freut mich, wenn dir etwas gefallen hat. Ich bin auch weiterhin auf der Suche.

Natürlich könnte ich mir keinen Maulkorb von jemandem anlegen lassen (ausser wenn ich wegen Regelverstosses im Forum abgemahnt werden müsste, was ich nicht hoffen will...) :-))

Aber zum Glück (für mich *gg*) habe ich den Hinweis darauf,
dass "Herbert Knebel schon mal in diesem Forum war" wirklich nur als solchen Hinweis (und sonst nichts) verstanden.

Und jetzt was Neues, von einem, den du auch gerne magst, soweit ich weiss:

Die Waldfee und der Werbemann
Es war einmal ein Werbemann, der hatte seiner Agentur viele Jahre nach besten Kräften gedient. Da begab es sich, daß die Agentur den riesigen Etat für ein neues Produkt an Land zog. Dieses Produkt aber hieß "Meyers Pampe", und das war eine Pampe, die einen echten Produktvorteil besaß, da sie alle anderen Pampen an Klebrigkeit, Sämigkeit und Pampigkeit weit übertraf. Und weil das so war, sollte sie auch mit einem Slogan beworben werden, wie er eingängiger und treffender noch nicht erdacht worden war. Diese Aufgabe nun fiel unserem Werbemann zu, doch wie er sich auch anstrengte, alles, was ihm einfiel, war der Spruch "Meyers Pampe ist die beste". Diesen Vorschlag hatte er auch beim Kreativdirektor eingereicht, doch wie er des Abends Überstunden machte, da hörte er, wie der Kreativdirektor dem Agenturchef auf dem Flur sagte:
"So geht es nicht weiter mit unserem Werbemann. Er ist alt und zahnlos geowrden. Das beste ist, wenn wir ihn so bald wie möglich schlachten."
Da krampfte sich das Herz des Werbemanns zusammen, und er dachte bei sich:
"Bevor es soweit kommt, da will ich lieber in die Fremde ziehen."
Und noch in derselben Nacht schnürte er sein Bündel und wanderte zur Stadt hinaus...

ortsetzung!


 Enigma antwortete am 01.07.05 (12:49):

Fortsetzung!

Bald gelangte er in einen tiefen Wald, wo er sich ermattet ins Gras sinken ließ. Und er dachte bei sich:
"Ach, wie schön ist es doch hier im Wald. Hier will ich mein Leben beschließen. Was brauch ich denn? Wasser gibt's hier im Überfluß, Pilzchen und Würzelchen ebenfalls. Und Ruhe! Wenn ich dagegen an die Hetze in der Agentur denke!"
Und unter solchen Gedanken schlief er ein.
Am folgenden Morgen tat er sich zunächst am Quell gütlich, dann verspeiste er einige Wildkirschen, die ihm köstlich mundeten, und schließlich streckte er sich auf der Wiese aus und ließ sich die Sonne recht ordentlich auf den Pelz brennen. Als er so eine Weile gelegen hatte, da sah er einen Hasen über die Wiese hoppeln, und unwillkürlich ging ihm ein Verslein durch den Kopf...
"Selbst der braune Meister Lampe greift erfreut nach Meyers Pampe."
Das aber ärgerte ihn, und so verscheuchte er jeglichen Gedanken an Meyers Pampe aus dem Kopf und konzentrierte sich auf ein allerliebstes Meisenpaar, das auf dem Ast einer Buche turtelte. Doch auch bei diesem Anblick ging es ihm nicht besser...
"Die Meise ruft es vom Geäste: Meyers Pampe ist die beste!"
...reimte er wider Willen. Das ärgerte ihn noch mehr...
"Ach Scheiße, was geht mich denn jetzt noch diese Pampe an?!" Doch schon im selben Moment schoß ihm wieder ein Verslein durch den Kopf:
"Ach Scheiße ruft der Werbemann, nichts reicht an Meyers Pampe ran!"
...und so ging es ihm mit jedem Ding, das er betrachtete und bedachte, bis es ihn nicht länger hielt...
"Was habe ich hier im Wald verloren? Ein kreatives Talent wie ich gehört nun mal in eine Agentur..."
Und er begann so schnell wie möglich in die Stadt zurückzuwandern. Da geschah es, daß ihm am Waldrand eine Fee begegnete.
"Guten Tag, lieber Werbemann. Ich weiß, daß du ein unschuldiges Gemüt hast, und deswegen sollst du jetzt drei Wünsche frei ha..."
Doch der Werbemann war so in Gedanken versunken, daß er gar nicht auf das hörte, was die Fee sagte, ja, er unterbrach sie sogar und rief ihr zu:
"Du tust mir in der Seele weh, weil ich dich ohne Meyers Pampe seh!"
Und mit diesen Worten ließ er die verdutzte Fee stehen und eilte in die Agentur zurück, wo er dem Kreativdirektor sogleich seine neuen Slogans unterbreitete. Diese Vorschläge freilich stießen auf eine derartige Ablehnung, daß der Werbemann noch am selben Nachmittag geschlachtet wurde.
Die Fee aber nahm sich seine Worte so sehr zu Herzen, daß sie fortan nur noch Meyers Pampe benutzte. Und da sie der erste Versuch sehr zufrieden stellte, benutzt sie sie wohl noch heute.

Robert Gernhardt

Internet-Tipp: https://www.bruhaha.de/NFS.html#werbemann


 Marina antwortete am 01.07.05 (18:24):

Die Enigma, die Enigma,
die bringt gar nett' Geschichten.
Das macht sie mit der Pampe gar
von Meyers, die wird's richten.
Die sämigen und klebrig' Leime,
die von der Pampe stammen,
beflügeln jetzt auch meine Reime
und halten sie zusammen,
so wie auch die Geschichten fein,
die ihr hier alle findet;
von Meyers Pampe ist der Leim,
der sie vereint und bindet.


 Enigma antwortete am 03.07.05 (17:30):

Aus:
Kuriose Geschichten aus 100 Jahren Tour de France
gefunden in der ZDF-Mediathek

Doping oder was?

Es ist unglaublich heiß an diesem 29. Juli 1950. Das Feld bummelt.

Doch den Algeriern Marcel Molines und Abdel-Khader Zaaf macht die Hitze nichts aus. 200 km vor dem Ziel enteilen sie dem Hauptfeld.
Keiner reagiert, denn die zwei liegen im Gesamtklassement meilenweit zurück. Ihr Vorsprung auf dieser Etappe aber wächst und wächst. Zaaf hat das Gelbe Trikot so gut wie sicher, als er - von Durst geplagt - einem Zuschauer eine Flasche entreißt und sie in einem Zug leert.

Dann ereignet sich Rätselhaftes.
Zaaf beginnt auf dem Rad zu wanken, bis er herunterfällt und unter einem Baum einschläft.
Als Zaaf aufwacht, schnappt er sich sein Rad und fährt weiter - allerdings in die falsche Richtung.

Besorgte Zuschauer rufen einen Krankenwagen. Die Sanitäter brauchen nicht lange, um den Grund für den Schwächeanfall herauszufinden. In der Flasche war Wein - und Zaaf (ein Moslem) hatte noch nie in seinem Leben einen Schluck Alkohol getrunken.”


 Enigma antwortete am 03.07.05 (17:52):

Bob Geldorf hatte bereits vor 20 Jahren die Großveranstaltung "Live Aid" organisiert, die weltweit Aufsehen erregte.
Nach 20 Jahren hat er es noch einmal probiert und die Veranstaltungen "Live 8", die parallel in verschiedenen Ländern liefen, wurden, wenn sie auch möglicherweise nicht so viel bewirken, immerhin zum grössten Popspektakel überhaupt.
Und ich halte es mit dem kanadischen Besucher, der sagte:
..."zumindest kann es nicht schaden".
In Berlin machte auch Grönemeyer mit. Den anzuhören habe ich mir noch gegönnt...:-)

Zu Ziel und Inhalt she. URL!

Internet-Tipp: https://host1.tagesspiegel.de/newsticker/ticker/detail.php?id=314826


 Literaturfreund antwortete am 03.07.05 (20:14):

Boah, ey - dieser Knebel-Text war an der angegebenen Adresse zu finden; "frau" muss nicht nur (sich) "habilitieren", sondern kucken und lesen:

Herbert Knebel: Boh glaubse,

wissen Se, wat mir inne letzte Zeit verschärft aufgefallen is? Dat inne Frauenwelt immer mehr die Oberweite, also ... der Balkon von die explodiert. Also, dat der Busen immer größer wird.

Ich muss sagen, ich persönlich find et nich verkehrt, dat der Trend zu mehr Volumen geht. Mehr is doch oft ... mehr. Wenn ich mich da zurückerinner an die 60-er Jahre, mein Gott, wat waren dat für Hungerhaken. Twiggy ... und, und, und. Wie gesacht, 60-er und 70-er, dat war die Zeit der dürren Hippen, ja, und davor war ja Wirtschaftswunder, und dementsprechend sahen se ja auch aus. Schön kugelrund.

Aber egal ob Rubens oder Twiggy, dat war alles Natur pur. Wat ne Frau an Argumente inne Bluse hatte oder nich, dat war immer hieb- und stichfest. Und dat is der Unterschied zu heute. Bei dem watte heutzutage als Mann vor Augen has, kannse doch nie sicher sein, ob dat Natur is oder ausm Baumarkt. Kucken Se ma, dat greift doch immer mehr um sich, dat Frauen Nachhilfe suchen, um dem momentanen Schönheitsideal zu entsprechen, und zwar mit ein Werkstoff, den ich bislang nur ausn Sanitär- und Fliesenbereich kannte: Silicon!

An für sich en herrlicher Werkstoff. Wat ich damit schon alles gedichtet also ... abgedichtet hab, dat is herrlich. Aber wenn ich mir vorstell, dat sowat in meine Frau verwendet würde, dann würd ich sagen, nie und nimmer! Niemals! Dann lieber ne neue Frau.

Dat sacht mir doch schon mein gesunder Instinkt, dat dat nich gut sein kann, mit son künstlichen Material in sich rumzulaufen. Dat Zeugs, dat kann doch auch verrutschen. Da schläft man ma ne Nacht aufm Bauch, und da wachse am nächsten Morgen mim Buckel auf. Da passt doch kein Büstenhalter mehr.

Diesen ganzen Silicon-Wahn hat ja seinezeit die Pemmela Anderson losgetreten von die Sendung Bay Watch, mit den David Hatzelhoff als die ihr sein Partner. Ich mein, bei die machte dat Sinn. Die war ja Rettungsschwimmerin. Die war ja von Berufs wegen auf Rettungsbojen angewiesen. Auf jeden Fall hab ich mich in dem Zusammenhang schomma gefragt, wat eigentlich mit die ganzen Silicongefüllten passiert, wenn sich dat Schönheitsideal ma wieder ändert.

Wenn ich Erfinder wär, dann würd ich wat erfinden, wat sonne flexible Lösung wär, wat man am Geschmack anpassen kann. Mit son Pump- und Absaugsystem, ähnlich wie mim Reifen anne Tankstelle. Obwohl, wenn ich ehrlich bin, soll man et nehmen, wie der liebe Gott et angerichtet hat. Da is doch für jeden wat dabei.
*
Herbert Knebel (in: WAZ 26.04.2003)
*
Noch mehr zu lesen:

Internet-Tipp: https://www.herbertknebel.de/


 Enigma antwortete am 04.07.05 (08:00):


Die Satire des Monat April 2005
Da hat sich unserem Autor doch fast die Feder gesträubt, als er vernommen hat, dass eine in Deutschland zugelassene Ärztin Frauen die Brust mit Silikon vergrößert. Nichts Neues, werden Sie sagen? Das Silikon kommt aus dem Baumarkt...Lesen Sie, was Herr Dübbel dazu schreibt!


Der Silikonbusen aus dem Baumarkt
Baumärkte verkaufen viele gute Dinge. Farben, Lacke, Dämm-Materialien und Dichtstoffe - beispielsweise Silikon. Das hat eine Ärztin vom Niederrhein mitbekommen. Vielleicht ist bei ihr die Duschabtrennung nicht ganz dicht. Möglicherweise ist die Dame überhaupt nicht ganz dicht.

Jedenfalls vergrößert sie die Brüste anderer Frauen mit Silikon aus dem Baumarkt. Sie haben richtig gelesen: Mit Silikon aus dem Baumarkt.

Bekannt geworden ist bisher nur, dass das Baumarkt-Silikon hundertprozentig seinen Zweck erfüllt - in einem Baukörper. Natürlich nicht in einem menschlichen Körper, weil dort medizinisch aufbereitetes Silikon implantiert werden muß. Die Preiswert-Methode hat zur Folge, dass die so behandelten Frauen nachoperiert werden müssen.

Was die Ärztin da treibt, ist nicht nur Geldschneiderei und Kurpfuscherei, sondern auch Körperverletzung. Merkwürdigerweise kann man aber der Dame nicht das Handwerk legen - bisher jedenfalls.

Liebe User, Sie kennen mich doch, Ihren lieben Wolfram Dübbel, einen herzensguten Menschen, der kaum einer Fliege etwas zu Leide tun kann.

Nun stelle ich mir gerade vor, mein Weibchen sei mit ihrem Busen unzufrieden (ich bin es übrigens nicht!) und sie würde sich ahnungslos dieser Ärztin anvertrauen. Und dann hätte sie Schmerzen und müsste nachoperiert werden.

Ja, was würde der liebe Wolfram Dübbel dann tun? Richtig! Er würde sofort in den nächsten Baumarkt laufen, sich eine elastische Bambusstange kaufen und die Ärztin seinerseits behandeln.

Mit der Dachlatte auf den ärztlichen Hintern. Sollte sich dieser dann verformt haben, kann sie ihn ja wieder aufpolstern. Mit Silikon. Aus dem Baumarkt.

Wolfram Dübbel

Internet-Tipp: https:// www.baumarkt.de/b_markt/satire/4_2005.htm


 Literaturfreund antwortete am 04.07.05 (10:22):

Kalla vonne Bude: In Reljohn habbich et gut

Mannomann, wattu ich en Glück harn, dat unsa Omma ne Vanümftige is. Die weiß, wat für unsaein seine Feierstachserholung gut is. Unsa Waltrautilein un unsa Mutter, die tun nich dran denken, dattich schwer Schonunk brauchen tu. Die latschen ein auffe Nerven - ohne dattse sich vorher Rüschen anziehn. Da kenn die nix.
Ersma läßt unsa Leerer ein bis auffen lezzten Tach auffen Grill schmorn. Also nich, dattich dadran gedacht harn tu, dattich klehm bleihm könnte, wo ich sowiso im Fußball in unsae Klasse anne Spizze steh. Abber man weiss ja nie, watti Bruders von Leerers un -rinnen füa Dingers aum Kasten drauf ham. Jeenfalls hamse mir schließlich befördert. Zeuchnis waa so, sagenwerma, mittelprächtich minus dreienhalb.
Unsa Mutter hat mich nix dafür gegehm. Wennze denks, dattse dich en paar anne Kirsche hätte haun könm, dann is nix auch schon ganz schön. Dat meiste Thater habbich mitti wegende Beteiligung am Unterricht gekricht. Unsa Leerer hat nämmich gemeint, da tätich mich in bescheidene Zurückhaltung ühm, wat man sonz von mich nich grade sagen könnte. Un dadrüber war unsa Mutter sauer. Unsa Waltrautilein hat natürlich widda schwea ein auf Hezze gemacht.
„Die Wintaseite müßtense dich Sausack vabimsen“, fingse an, „datte denken tätes, ne Straßenbahn hätte dich angefahrn. Dann tätse schon inne Schule aufzeigen un nich immer spintesiern, ob Schalke absteichen tut un ob Prussja Dortmund Meister wern tut."
Bei unsa Vatta konntich aunix Großes ehrm. Zwei Takken hatte mich gegehm un gesacht, für dat Zeuchtnis konnt ich nur bei besonders gute Geschäftslage ein Grosschen kriegn. Er hätte mich also schon en reinse Vawandschaftsangebot gemacht.
Also ich mit dat Dokkement von meine Leistungen bei unsa Omma. Ich denk, sach ersma nix, kuckse ersma wie stimmungsmäßig de Radieskes stehn. Un dä Härkes inne Nase.
Abba unsa Omma war toffte in Form unda denkkich, tus ma anfangen.
„Omma", sarich, „Zeuchnissse hamwa auch gekricht.
„So“, sachtze, „bisse mitgekommen tun?"
"Dattis doch klaa", tatich en bisken strunzen, „ich tu donnich klehm bleim."
“Wat hasse in Reljohn?“ tatse weita fragen.
„In Reljohn habbich gut. Wat has du denn gedacht?"
„Dann is allet toffte", meintese.
„Wenn eina mitkomm tut un in Reljohn gut hat, dann kanner auch wat valangen. Ich tu dich fümf Märkskes gehm." Un damit schobse mich den Heiermann inne Joppe.
Schwupp wa auch Waltrautilein da!
„Unn duda? Wie hast du dat denn da in Reljohn, Trauti?“
„Ich habb dat noch bessa! Omi!“
„Wiiie? Dann hasse da ein Sea-Gut? Bessa als Kalle seins?? Datt musse eine alte Frau abba ers zeign tun!“
Da kannzet dran sehn, dat unsa Omma ehmt weiß, wiese mit ihrm liehm Jungen umgehen muss.
Ostern krigense bei uns zu Hause Besuch. So richtich miese Vawandte, weisse. Dat sinti aus Rauxel. Wie Salzsäure, kannich dich sagen, die fressen alles weck. Abba ich geh dann bei unsa Omma. Mitten paa Blümskes. Also, nich wegen die fümf Maak. Nee, weil unsa Omma ne supaklasse is. Und dat tu ich ihr zu Ostarn spürn lassen.


 Literaturfreund antwortete am 05.07.05 (14:54):

Herbert Knebel seine Prosa über gekrönte Häupter:

Boh glaubse,

wat heutzutage ja immer noch en unheimlicher Böller is in unsre aufgeklärte, demokratische Zivilisation, dat is, dat et immer noch Königshäuser gibt. Und nich nur die Häuser von die, sondern auch die Mieter, also die Könige, Königinnen und der ganze bucklige Rattenschwanz, der da dran hängt: Prinzessinnen, Prinzen, Zofen, Kammerjäger und Butler. Wenn Se mich fragen, dat is ein ganz großer Antichronismus m unserm heutigen Jahrtausend. Ich bitt Sie,, wir können lebendige Organe verpflanzen, wir könne;n ganz viele Informationen auf ein Chips machen, wir können die Natur mannepolieren und sogar kaputtmachen, wir schießen Leute zum Mond, und dat Adelspack is immer noch hier!
Kucken Se ma, wo et dat noch gibt! Dat is ein manchma gar nich so bewußt. Man denkt immer, mur die Engländer sind noch so bekloppt mit ihre Queen Mumm. Aber von wegen: Spanien, Norwegen, Schweden, Holland, Belgien, die ham auch alle ein unter der Krone.
Ich mein, sicher, wir in Deutschland ham auch noch en Kaiser, aber der schwingt sein Zepter meistens nur auf Weihnachtsfeiern. Franz, nix für ungut! Spaß muß sein.
Auf jeden Fall, diese ganze Fatzination von die gekrönten Häupter läßt sich doch nur dadurclh erklären, dat et Frauen gibt. Weil die weibliche Psyche doch den ganzen Glamour und Lamettta erlegen is. Wat für uns Männer Fußball is, dat is für uns Frauen dieser ganze königliche Killefit. Wissen Se, wat die beste Zeit zum Einkaufen is? Wenn im Fernseh sonne Krönung oder sonne Hochzeit von die gezeigt wird. Da sind die Supermärkte wie leergefegt. Da können Se so mim Einkaufswagen durchrollen. Da is nichma ne Kassiererin. Is klar, die sitzt auch vor de Krönung, aber nich Jakobs!
Aber dat liegt dadran, dat Frauen mehr sonne romantische Ader haben. »Ganz in Weiß mit einen Blumenstrauß«, dat is doch die wahre Hymne vonne Frauenbewegung. Und zwar sehen die in den Akt vonne Trauung dat Ideal verwirklicht, wat se sich für sich immer als Höhepunkt gewünscht haben. Also, dat ein Prinz kommt und sie aus ihrn Elend erlöst. Also, dat et für Putzen, Spülen, Waschen und Kinderkriegen Personal gibt.
Annere von die feminalisierte Frauens aus die könichlichen Akamien machen ja ne selbstverschriebene Disseltation. Oder ga ne proffenale Halbetation, Thema vielleichtens über „Mammalade und Konefitüren inne Lürik seitens Goethe seinem August beim Saufen"; insonderheit die essbare Eberesche in Blut und glückliche Früchtchen“. Dat muss auch sein vonwegen de Kultura!
Ich mein, diesbezüglich kann mein Frau sich nich beklagen. Sicher, ich bin gez kein König oder Edelmann, aber wenn et heut noch den Berufsstand »Ritter« gab, dann war ich schon Knappe. War ich ja auch lange Zeit - unter Tage. Und wenn Se mich fragen, für mich gibt et sowieso nur ein König: König Fußball. Den erregiert die Welt!
*
(Aus: H.K.: Ich glaub, mich kriegense bald!“

*
Hinter dem Foto kaum erkennbar: Uwe Lyko!

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/Tc6uja2VH


 Literaturfreund antwortete am 06.07.05 (08:42):

Kalle vonne Bude quatert...
"Also anziehn un widda im Waatezimma...!"

Also, sie hattes im Kreuz. Unsa Frollein Trauti! „Mannomann“, sachtze, „mich tutes so rückwärz durche Gräten ziehn, als wenn mich einer mittet Bohamaschinchen Röskes inne Schulterblätter basteln täte.“
„Näh nich meha mit de Laubsäge, so wat ziarlicha gesteppt?“
„Quatert nich so dulli, Kalle! - wie spät isset denn? Gibb mich nochn Rülpswassa mit, Kalle! Ich muss nach Bett!“
„Wegen dat Kreuz, ne?“
„Halt deine Dude gut fest, Kalle, für die Nacht heut!“
„Bin ja einen töfften Buddika!“
„Watt? Lach nich, freu dich anners! Kille-Kalle!“
Un lässt ihr Moppät stehn. Fein Mädken iss sie ja! Nur ein bissken spirrig füa mich!

Un dat wird imma schlimma mit sie.
Da muss sie nachm Dokta. Nich nachm Otorhingologen! Ne, nich nachm Fünflöchadokta. Dat weisse von mich un meine Witze! Nä, also muss sie ma beim Dokta „Facharzt für Allgemeinheitsdoktorei“ hin.
Der will bestimmt bestrahln tun. Mit Ultradunkelschwarz odda da so mit Infrahellpinkgrün - kommt ja drauf an, welche Farbe gestarn modern is. Abba bestrahln tuta sie bestimmt.

Sie also bein Dokta. Untat Waatezimma bis am Eichstrich gefüllt. Eine Omma mitten offenes Bein, ein Oppa mitne weglaufende Nase, ein Schreina mitten appes Ohr un ein Staubsaugavatreta mitten demmeolierten Schwanz. (Hat Trauti nachha gesagt. Abba übaprüft hatt dat Mädken dat nich!) Und ein Lehra mit blaues Auge. Unnochen son Schwung mit kaputte Knochen un auchen klein Duzzend mit was anners Innere. Un alle Leute mussten waaten tun.

Na, nuar unsere Trauti, die war mawidda aum Lotto-Totto, so harry-flotta-mäßig! Die widda aussen Waatezimma raus un gleich in die Tür reim, wo Bestrahlungszimma vorstehen tat.
Un da stanze denn auch gleich vor den Olln mit den weißen Kittel.
„Also“, fingse an, „nur hörnsema mich ma zu. Ich happen Platten inne Bandscheiben, en Polapps verleicht, un dadurch will sich dat allet reihm tun wie vonne Ameisen beleckt. Mein Sega daaf mich schon nimma anpacken tun! Wissense, son richtich kleinet Scheuermann. Dat muß bestrahlt wern. Ich meine ja, datt wea ersma mitne kleine Tiefenbestrahlung anfangen sollten. - Also ich sehe schon, dattse auch meina Meinung sind. Unsaeins is ja nich ganz doof in diese meddezinischen Sachen. Da hamse schomma widda vill Hinkucken gespaat, nich? - Also hiea hinta den Schirm kannich mich ausziehn. Da brauchich ja nur den Rücken freimachen. Dat geht ja ruckizucki mit mein Fummel. Wissense, dann tunse mich gezz sofort drannehm, dann brauchich nich waaten auf die ganzen Pimelocken und Paselacken da draußen. Dafüa tu ich Sie nächstes Mal auch en Schächtelken Zaretten mitbringen. – Wia, nä? – Dann gehn ma im Mai inne Stadtpaak! Sarich imma! - Watt? - Nä – au-nich?“

Sie feecht hinta den Schirm. Un wiese widda rauskam, warse halb entblättert. „Nu drehnse sich ma um", sachtze für den Ollen, „brauchen ja auch nich imma so zu kucken, nich! Bringense Ihren Strahlnmotor in Schwung und imma drauf damit! Besonders auffe rechte Schulta. Soll ich verleicht noch en bisken mehr runtalassen, datti Strahln nich inne Untatallje hängenbleihm?"
Dea Olle sachte da: „Dat könnse von mich aus gerne machen. Aber mitte Bestrahlerei sinze bei mich aum falschen Damfa. Ich bin nämmich den Elektriker untu en Kurzen aussen Gerätestecka machen."
*
(Forts. folgt.)


 Literaturfreund antwortete am 06.07.05 (08:47):

Kalle vonne Bude quatert...
„Also anziehn un widda im Waatezimma!“

(Fortsetzung...)

Da kam den richtigen Dokta rein, un alz der unsa Trauti sah, sachta nua: „Also, ein nachem andern. Immer de Reihe nach. Anziehn un widda im Waatezimma. Frolleinchen! Willz woll dat Zehn-Euro-Antree spaan!"

Glaubze, wenn unsa Trauti nomma nachem Dokta gehn tut, dann lässtze sich von den Spargeltarzan ersma Geburzurkunde, Taufschein, Trauschein, Schulzeuchnisse, Appitur un sein Wisch, worer mit Doktars geworn is, zeigen; un der Seuchenbrief.

Hat mich Trauti gequatert!
„Und ea daaf kein Stromprüfa innet Hemdentäschken habn.“
„Eha kann dea bei dich auch kein meha Fieba messen tun.“

Also die is datt Dingen ja nua passiert - also en Dingen, im Kabüffken da hintam Schirm! Dat kann abba auch gezz anndan Frollüj passiern, wenn die dat Föttken ausseziehn müssen.
Ha! Son Dingen is dat, bei den Dokta füa den Rücken. Dat soll ja entzücken, füa den Dokta und seine Liquedazionella.
"Aha, sarich! Also doch meha noch fürett hügenische Süstem! - Watt willze denn aushabn füa den Storri? N Rülpsi?"
"Ne, Kalle. Heut n Köpi. Doppelt meinsweeng!“

*

URL.: Schon vor achte. Bei Kalle kauffn auch die Schülers.

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/AHgC5tGPp


 Literaturfreund antwortete am 07.07.05 (06:34):

Voll ausgefragt – von Frau Dr. Antonia Cervinski-Querenburg

- Im Pressespräch anwesend die Sprachforscherin (mit ihrem Buch "Daaf ich Sie noch man wat lernen")

Reporter: Frau Dr. Antonia Cervinski-Querenburg, Sie haben sich ja rar gemacht bei uns im Revier. Welchem Umstand verdanken wir denn nach so langer Abwesenheit die Ehre Ihrer Rückkehr?
Frau Doktor: Wat heißt hier raa? Ich bin doch keine Antequität.
Und gehen Se mich weck mit die Ähre von meine Rückkehr und die ganze Ironie. Fragen Se mich wat Eimfacheret.
Reporter: Was soll ich Sie denn fragen? Zum Beispiel: Wo waan Se denn gewesen? - Also gut, wo sind Sie gewesen?
Frau Doktor: Bayern.
Reporter: Und was machen Sie da? Wollen Sie den Bayern Ruhrdeutsch beibringen?
Frau Doktor: Da liegen Se gaa nich so schief, wie Se reden. Mit meine Sprachstudien tu ich überall wat für et Ruhrdeutsch. Aber dat erklär ich Sie später.
Reporter: Worum geht es denn bei Ihren neuen Sprachstudien?
Frau Doktor:Vergleichende Sprachsozzelogie, wissen Se doch. Ich tu die Leute wat lernen. Hauptsächlich Ruhrdeutsch.
Reporter: „Wat lernen?“
Frau Doktor: Wat lernen! Ich hab doch da unten anne Unni getz son Lernstuhl.
Einen Lernstuhl?
Frau Doktor: Ja, wat kucken Se da so! Von den Lernstuhl aus tu ich die Studenten wat lernen.
Reporter: Oje. Ein Lehrstuhl. Muss ich Sie jetzt Frau Professor nennen?
Frau Doktor: So weit kommt dat noch. Ich möcht Sie nur noch en bissken wat lernen.
Reporter: Ruhrdeutsch, nehme ich an.
Frau Doktor: Dat is sehr angenehm, wat Sie da annehmen. Genau dat will ich.
Reporter: Frau Dr. Antonia Cervinski-Querenburg, auch wenn Sie jetzt - wie Sie so schön formulieren - "die Leute in Bayern wat lernen", so sind Sie doch ein Kind des Ruhrgebiets.
Reporter: Sonst könnten Sie ja auch nicht Ruhrdeutsch sprechen.
*
(Forts. folgt.)


 Literaturfreund antwortete am 07.07.05 (06:36):

Voll ausgefragt – von Frau Dr. Antonia Cervinski-Querenburg
- Im Pressespräch anwesend die Sprachforscherin (mit ihrem Buch "Daaf ich Sie noch man wat lernen")
(Fortsetzung:)

Frau Doktor: Lernen kannze allet. Auch Fremdsprachen. Und dat ich en Kind wäre, dat tu ich mich verbieten, schon ers recht von Sie, Herr Reporter. Aber sonz stimmt dat schon. Ich bin außen Ruhrgebiet.
Reporter: Woher genau, wenn ich fragen darf?
Frau Doktor: Wolln Se getz wissen, ob meine Omma ihre Wiege anne Emscher waa? Dat tut doch nix zur Sache. Ruhrgebiet is Ruhrgebiet.
Reporter: Aber Sie sind eine geborene Cervinski?
Frau Doktor: Dat ham Se haaschaaf aus mein Doppelnamen kombeniert.
Reporter: Ihr Herr Vater hat eine gewisse lokale Berühmtheit erlangt.
Frau Doktor: Wat heißt hier Lokal. Mein Vatter, den alten Cervinski, is nich nur bei Taumvatters Jupp eingekehrt, der is auch inne Litteratur eingegangen.
Reporter: Sie meinen die historischen, um nicht zu sagen klassischen Essays von Kumpel Anton, die so viele Jahre in der WAZ zu lesen waren?
Frau Doktor: Die mein ich. Op dat nu Ässehs waan und ob dat mit dat Historische so stimmt, weiß ich nich. Aber gedenfallz waa der Cervinski die Seele vonnen Anton. Oder umgekehrt. Vleicht waa auch der Anton die Seele vonnen Cervinski.
Reporter: Ich vermute, es ist kein Zufall, dass Ihr Herr Vater Ihnen den Vornamen Antonia gab?
Frau Doktor: Meine Güte, Sie immer mit Ihrn Herr Vater. Mein Vatter waa en netten Kumpel. Und den Kumpel Anton waa den sein Kumpel und mein Pate. Stimmt.
Reporter: Und Querenburg? Heißen Sie so, weil Sie dort studiert haben?
Frau Doktor: Ja, ham Se se nimmehr alle? Ich nenn mich doch nich nach ne Unni. Querenburg, dat is der Schwiegersohn von den alten Cervinski.
Reporter: Nun gut. Ihr Gatte also.
Frau Doktor: Den Gatte könn Se sich schenken. Der Queri is auch nich son feinen Pinkel. Dat hätten Se doch ahnen können.
Reporter: Frau Dr. Antonia Cervinski-Querenburg, wenigstens hab ich getz ne Ahnung von Ihre Ahnen. - Äh, ich muss Sie danken tun, Frau Professor! Haben Sie vielen Dank, Frau Doktor Gestank! Äh: Querschinski!
*
Rainer Bonhorst: Dr. Antonia Cervinski-Querenburg. „Daaf ich Sie noch ma wat lernen.“ Verlag Henselowsky Boschmann, Bottrop. 2002.

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/i07eASfMs


 Enigma antwortete am 07.07.05 (07:15):

Jau, die Antonia mit ihrn Lernstuhl iss auch ne Freundin von mir :-).
Mal gucken, ob ich auch noch irgendwas von ihr finde.
Danke!


 Literaturfreund antwortete am 07.07.05 (18:44):

Kall kwatert vonne Geburztach von Trauti sein Hundchen

Enn Geburztach kann toffte sein. Dea kann ein aba auch restlos auffe Bleiche wichsen. Dat kommt imma auf den Geburztach an - und dadrauf, werren hat. Kumma, da hat den Klein-King-Dog, unsa Trauti ihrn Hunde-Jüngsken, wo ich Patenonkell drüba bin, sein Geburztach, dann is datten tofften Geburztach, wie von meine Bude ihret dreizehntet Hochzeitsdatum.
Da tusse den Kiwn-Kleinen von Oma ihrm Dusel einfachen neuen Hundertschußknäcka fürn Märksken kaufen. Damit is den Rozzijen dann prima zufrieden. Dann tuta den ganzen Tach damit ballern unt ärgert seine Elterns, wat ja hörenz klasse is und die kommen man zu mich und kwatern - und trinkn. Unt selbs karanze dich namittachs an deren ihrm Tisch sezzen, laufende Mengen Kakau reinplätschern unt fia Stücksken Kuchen nachen andern vakasemauckeln.
Unn danach machste de Bude widda auf – un hass wia Feriän gehabbt.
Aba, kumma, gezz hattich unsa Trauti ihr Hundken Geburztach. Siehsse, dattis nix füa Frieapitta. Schenken mußichse ja wat. Aba wat? Praktisch masset a sein, schön musset sein, wertvoll musset sein unt kosten darfet höchstens drei Eurosse. Da such dich ma wat aus zwischn fünf und fünfenhalb.
Ich seh schon, mitti drei Piepen kommich ganich anne Wand, füa sonn Wärmfläschken mit niettelike Ohrn.
Watte dafüa kriegen kannz, dat hattet dea Köta allet schon. Mannomann, ich bin durche Zitti gesockt. Dafüa ham ich ja au nich den ganzen Tach Zeit um die Faltn aussa Hose zu bügeln. Alzo von ein Hundesalon im annern rein.
In Heinz’ sein „Lassie-Longü“ hattensen großet Schild „Sondaangebote!" Ich bin an den Stand. Tat dich da nochen bessart Schild stehn: „Nachtgeschirre mit kleine Fehlas - Henkel sind nach innen."
Aba sowat kannich doch schließlich ein Köta nich auffen Geburztach schenkn.
Dann habbich schomma an Odekolonje gedacht. Geht abba aunich. Nimmse ne große Flasche billijes, dann tutet unecht stinken, nimmse aba ne kleine Flasche gutes, dann wissense alle derekt, watte anggelecht has.
Kumma, unt Schnaps kannich dem Köta aunich untam Tisch haun. Valeicht ja Schamus! Ich mein, dat Diea tut sich ja ma ganz gern ein anne Untatallje heften, aba dat braucht doch nich jeda zu riechn. Dann sagense nachha im Haus: „Die Olle tut ihrem Köta deratich eins plästern, datt Kalle schon den Köta dat stinksiebelnde Kisselkoppwassa bringen muss."
*
(Forts. folgt.)


 Literaturfreund antwortete am 07.07.05 (18:49):

Kalle kwatert vonne Geburztach von Trauti sein Hundchen
(Forts.)

Aba Trauti ihre Omma hat sich gezz selbs vakwatscht. Gestan aamd sachtze bei ein Pinneken „Blauet Kafuck“, dat Neuerste von 'Jäga sein Meista': „Wenn Trauti eina auf ihrn Hund sein Geburztach son halb Fündken Pralinekens bringen tät, dann tätze sich richtich freun."

Siehsse, undat krichtze gezz morgn von mich: inne Sonne vabackene Braune Sarottis.

Trautis Hundken hat au fein nen Namen: Furchendackel. Abba den daaf ich nich varratn.
„Sonz häng ich dich man auff am Kippmänneken am Fensta von meinet Schlafzimma.“ - Sowatt sacht die füa mich! Auf loll! Die Lorbass!
*
URL. watt dea "Klein-King-Kong" allet kann!

Internet-Tipp: https://www.hundestudio.de/h1.jpg


 Enigma antwortete am 09.07.05 (10:39):

aus: Zulassen - rauslassen! (Neue Satiren aus der Psychowelt), dtv '95
Eckhard Giese: Der Psycho-Knigge
Sie haben drei bis acht therapeutische Zusatzausbildungen, ein Positive Encounter und zwei Erleuchtungen durchlitten. Sie stehen in permanenter Selbstanalyse. Kein Wimpernschlag, den Sie nicht vollbewußt durchleben würden.
SIE wissen, was "das" mit Ihnen macht. Sie haben die Schmerzschwelle beim bioenergetischen Handtuchwürgen mehrfach überschritten. Aus dem Biofastentrauma konnte Sie kürzlich nur der Notarzt zurückholen. Beim Selbstsicherheitstraining haben Sie gelernt, Ihrem Tischnachbarn das Kotelett vom Teller zu schneiden (obschon Sie Schweinefleisch verachten!). SIE senden unausgesetzt ICH-Botschaften. Kurzum: Sie sind ein 1a durchtrainiertes Mitglied der PSI-Gemeinde. IHNEN ist nichts Menschliches fremd. IHR Pech ist, daß Sie nun nichts mehr fühlen können, ohne daß man es Ihnen sagt.
Verhaltensunsicherheiten im zwischenmenschlichen Bereich könnten sich aber negativ auf Ihre Akzeptanz ("Ich mag Dich!") und Erlebnisfähigkeit ("Das tut mir jetzt gerade unheimlich gut!") in Therapiegruppen und Berufsleben auswirken.
Unser Psycho-Knigge sagt Ihnen, wie Sie ganz bei sich bleiben können, ohne vollkommen desinteressiert an Ihrer Umgebung zu wirken; wie Sie echt echt daherkommen und Ihrer Selbstverwirklichung den Raum schaffen, den Sie als vollfunktionierende Persönlichkeit mit Fug und Recht beanspruchen!
Das Ich-Du-Prinzip
Im Prinzip ist es völlig in Ordnung, daß Sie ständig von sich und Ihren Problemen sprechen. Je nach therapeutischer Sozialisation ist für Sie die Welt ein großes Genogramm, ein epochaler K(r)ampf zwischen Ich-Es-oder-wem-sonst und/oder eine Geschichte mehr oder weniger gelungener Kindheiten und Partnerschaften, über die zu reden immer verlohnt. Wenn Sie im Gespräch über sich ab und zu die Sätze mit einem lockeren "Du, ... ich ..." einleiten, zeigen Sie dem Zuhörer, daß Sie ihn nicht ganz vergessen haben.
Sie/er wird ja noch gebraucht!
Verpassen Sie ganz generell keine Gelegenheit, Ihre Äußerungen mit einem bedeutungsschweren "Ich denke ..." einzuleiten. Sie weisen damit auf einen der bei Ihnen besonders seltenen mentalen Vorgänge hin. Auch gerade dann, wenn Sie eigentlich nichts zu sagen haben, empfiehlt sich eine solche Ankündigung, weil Sie damit dem Zuhörer Gelegenheit geben, sich auf das Schlimmste einzustellen.

Fortsetzung


 Enigma antwortete am 09.07.05 (10:43):

Fortsetzung!

Nicht über Geld reden, sondern es nehmen!
Diese Devise macht natürlich nur Sinn, wenn Sie auf der richtigen Seite des Tresens stehen, also freischwebender Psychoguru oder Kommanditist in einem Eso-Psycho-Körpertherapiezentrum sind. "Was bist Du Dir wert?!" schleudern Sie Kritikern Ihrer Wucherpreise entgegen. Nur Kleinmütige werden antworten: "Zwei Mark fünfzig."
Wie grüße ich richtig?
Menschen und solche, die es bleiben wollen, kommunizieren spätestens seit Bateson auf mehreren Kanälen (Papenburger v. a. auf dem Hauptkanal, Säzz.).
Seit wir romanische Umgangsformen importieren und imitieren, gehört die rituelle Umarmung dazu. Bitte vermeiden Sie hierbei Körperkontakt oder gar erotische Provokationen. Wenn Sie die Nachrede vermeiden wollen, Sie hätten "Einfühlendes Verstehen" mit "Verstehendem Einfühlen" verwechselt beziehungsweise nähmen auch wirklich jede Gelegenheit wahr ..., dann bleiben Sie bei der erwünschten Als-Ob-Umarmung.
Wichtig ist es, gleich vom Start weg die Nase vorn zu haben. Wenn Sie Teil einer urbanen Psychosozialszene sind, dann haben Sie folgendes sicher schon erlebt: Es geht Ihnen nicht besonders, andere sehen es Ihnen an - und reiben Ihnen die Ringe unter Ihren Augen gnadenlos unter die Nase!
Was nach den Regeln bürgerlicher Höflichkeit als unverschämt beziehungsweise grob verletzend gewertet wird, gilt hier als Ausweis besonderen Einfühlungsvermögens. "Geht's Dir mies?", "Hängste durch?" sind gängige Grußformeln in so mancher Berliner SozialpädagogInnenschmiede.
Lassen auch Sie sich keine Gelegenheit entgehen, Mitbewerber/innen unter dem Rubrum besonderer Vertraulichkeit jede noch so geringe Formschwäche erbarmungslos per Du und mit steil aufgestellter Stirnfalte unterzujubeln. Lassen Sie sich dabei von dem Grundsatz leiten: Je stärker der Tobak, desto vertrauter die Beziehung.
Übrigens, "Aus welchem Mülleimer hat man IHR Gesicht eigentlich gerade gezogen?"


 Literaturfreund antwortete am 12.07.05 (08:51):

Herbert Knebel: Boh glaubse,

man meint ja immer, gerade im meinem Alter, man hat alles schon erlebt, wat die Erlebniswelt für einen bereitgestellt hat. Aber dann gibt et immer wieder noch Situationen, wo man denkt, hömma, hasse dat schomma erlebt? Und man muß felsenfest sagen: ja, nur anders.
Ja, jetz fragen Sie sich bestimmt, wat is gez schon wieder los mit ihn? Worauf will er mit seine charmante Einleitung ... hin? Ja, mein Frau wollt da nämlick hin, und zwar, halten Se sich fest: Seniorentanz! Also, Disco für Fußkranke. Ich denk, komm, Herbert, tuse sie den Gefallen. Kommt ja heute kein Fußball im Fernsehen, und sonne Frau will ja auch ma bewegt werden.
Wir da rein in den Schuppen. Der war, glaub ich, vom DRK. Ja, am Eingang gab et auch direkt zur Begrüßung en „Malteser“. Ich sach so zu den „Rot-Kreuz-Gorilla“ am Eingang, sach ma, wat is dat denn hier fürn Kuddelmuddel? Müßt ihr hier vonne Konkurrenz einschenken? Wenn sich beim Tanzen hier einer aufn Bart legt, kommt dann noch einer vonne „Johanniter“ vorbei? sacht ich so zu ihm im Spaß. Ja, er war aber wohl nich für Spaß da und sachte direkt, halts Maul, sons muß ich dich behandeln, du Wichser! Ich sach, angenehm, Knebel, und denk, oh, da hat sich der Tonfall bei de „Caritas“ aber auch ganz schön geändert. Die sind doch lockerer geworden.
Ja, und in den Tanzsaal selbs herrschte an für sich auch en lockeres Treiben von. Tanzenden, mit Kapelle dabei. Ein son Heini mit sonne Hormonorgel, der dazu sang, und der Rest vom Band. Die Guste und ich, wir waren kaum aum Parkett, da hielt die Kapelle an, und der Heini schrie »Damenwahl!«. Ich sach, Guste, spute dich, damitte auch ein abkriss! Und ich kuck so inne Runde und sach, Mädels, nich alle auf einmal Ich kann maximal zwei bis drei befriedigen. Ich hab auch nur zwei Hände ... zum Tanzen. Ja, und dat hatte die Damenwelt vor Ort sich wohl sehr zu Herzen genommen. Da ham die mich da sitzen lassen, die Ballettratten.
Ich denk, wer nich will, der hat schon. Die Ahnungslosen, wenn die wüßten! Ich mein, jetz kann ich Sie dat ja ruhig erzählen. Dat weiß keiner. Ich bin nämlich ein Tänzer vor dem Herrn. Bei uns inne Familie wurde Tanz immer großgeschrieben. Mein Vatter war ein Tänzer und mein Mutter auch. Fuchstrott, Quickistep, Rumbo, Sambo, Rocken Roll, dat waren für uns keine Fremdwörter.
Mein Vatter war vom Tanz besessen. Ich seh ihn noch vor mir, wie mein Mutter ihm noch im letzten Moment abhalten konnte, im Tütü unter Tage einzufahren. Die hätten den doch gelyncht, die ganzen Hauer. Jaa, man hattet damals als Tänzer schwergehabt, gerade unter Tage.
Na ja, et macht ja keinen Sinn, vergangene Wunden wieder hochkommen zu lassen. Auf jeden Fall war nach die Damenwahl direkt Herrenwahl, und da hab ich dann en ganz netten Herrn kennengelernt.
*
H. Knebel: Boah, ich glaub, mich holnse bald (zum Seniorentanz). S. 123.


 Literaturfreund antwortete am 12.07.05 (22:06):

Herbert Knebel: "Boh glaubse ...": Aberglaube

Boh glaubse …

… weiße, wo ich auch keine Antenne für überhab? Wo mir jegliche Verständniskeit für fehlt? Dat sind diese Maskottchen.
Also gez eigentlich nich selbs diese Maskottchen, sondern die Halter von die, diese Abergläubiger.
Ich weiß auch nich, ich hab wirklich den Eindruck, dat dat inne letzte Zeit immer mehr am zunehmen is. Wahrscheinlich hängt dat mit diese turbelente Zeiten zusammen, in die wir grade dummerweise am stecken sind, dat sich die Leute irgenzwat besorgen, wo se einen Halt dran finden können.
Zum Beispiel der 1. FC Köln. Also ohne dat ich die Elf gez ein an die ihren Pfosten kacken will, aber dat, wat da aum Rasen passiert, sieht doch mehr so aus wie leichte Gar----tenarbeit als wie Fußball. Ja, und grade deswegen klammern die sich alle an ihr Maskottchen, ihren Geißbock. Aber wenne mich frags, die Ziege is doch längs verpufft in ihre Wirkung. Die hat doch gar keine Ausstrahlung mehr auf die Kicker. Die solln sich ma en neuen Glücksbringer zulegen, en Trecker vielleicht, der den Verein ausse Scheiße zieht.
Oder anderes Beispiel: Die ganzen betrogenen Ehefrauen, die von ihre Kerls ma eben durch ein junges Flittchen ausgewechselt werden. Ja, die benutzen dann als Talismann zum Beispiel son Steiftier und versuchen damit in den einsamen Stunden Trost zu finden. Da sollten die ma lieber nach son Schornsteinfeger greifen. Der bringt doch auch Glück.
Ne, aber woe hinkucks, siehse diesen Aberglaube verbreitet, im Kaffeesatz, im Horrorskop, im Lotto oder sogar inne Religion. Also dies Kruzifix, dat is doch praktisch auch son Maskottchen, oder die heiligen Rinder in Indien, wat solln die denn sagen!? Die will keiner essen, nur weil se die da vor Ort zum Maskottchen ernannt haben.
Also ich persönlich glaub an diesen ganzen faulen Zauber nich. Dat is doch alles Spuck. Als wenn son Schwein, wat unter ner Leiter herläuft, Schicksal beeinflussen könnte oder sechs Richtige im Lotto. Also wenn auf mich son Freitach der 13te zukommt, weiße, wat ich dann mach? Da steh ich ersma kackfrech mitten linken Fuß auf. Den provenzier ich förmlich, den Freitach. Und dann stell ich meine Aluleiter auf und lauf da ständig drunter her, und als Höhepunkt leih ich mir bei mein Nachbar, den Paul Menke, den sein Kater Mikesch aus und kreuz dann vorsätzlich den seine Wege. Und weiße, wat dann passiert? Soll ich Sie dat gez ma sagen? Gar nix! Wahrscheinlich. Toi, toi, toi!
**
copyright Verlag Henselowsky Boschmann, Bottrop

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/vozc6KS4P


 Marina antwortete am 17.07.05 (09:47):

Donnerstag, den 5.
Auftrag bekommen, Plauderei "Über die Faulheit" zu schreiben. Liegestuhl gekauft. Darin in entspannter Lage über das Thema nachgedacht. Dabei eingeschlafen.
Freitag, den 6.
Vormittags im Liegestuhl Faulheit studiert und dabei sehr müde geworden. Langer Mittagsschlaf. Nachmittags zu der Überzeugung gekommen, dass Beharren in Faulheit (italienisch: dolce far niente) natürlicher Zustand der Kreatur. Kein Tier arbeitet. Mit dieser Erkenntnis zufrieden früh Feierabend gemacht.
Samstag, den 7.
Diese Notizen ins Tagebuch eingetragen. Davon sehr erschöpft, deshalb freien Nachmittag gemacht.
Sonntag, den 8.
Sonntag geheiligt. Ganzen Tag ausgeruht. Barbaras Vorschlag, lästige Bewegungen in Form eines Spaziergangs zu machen, entrüstet abgelehnt, weil ich an Faulheit arbeite. Früh zu Bett. Von Ohrensesseln, Schlaraffenland und Bärenhäuten geträumt.
Montag, den 9.
Ausgeschlafen. Vormittags ganz kaputt vom vielen Schlaf, arbeitsunfähig. Nachmittags Einfall gehabt: Trägheit ist nicht gleich Faulheit. Trägheit ist eine Veranlagung, Faulheit eine Weltanschauung. Der Faule lebt in Harmonie mit dem Bestehenden und verspürt keinen Drang, es zu ändern. Folgerung: faule Menschen sind staatspolitisch besonders wertvoll, weil sie nicht zu Rebellion, Umsturz oder Revolution neigen.
Dienstag, den 10.
Schlecht geschlafen, weil die Tage vorher zu viel geschlafen. Wieder im Liegestuhl. Barbara meint, meine Faulheit stinke zum Himmel. Ihr erklärt: Trägheit ist verabscheuenswert, Faulheit bewundernswert. Der Faule ist von Natur fleißig, überwindet aber den Fleiß, weil er damit nur Unruhe schafft und das Behagen stört. Beispiel: Ameisen sind fleißig und unsympathisch, Murmeltiere faul und sympathisch. Frage an Barbara: wer hat mehr Unglück über die Welt gebracht, die Faulen oder die Fleißigen? Können Faule Kriege vom Zaun brechen ?
Mittwoch, den 11.
Von geistiger Arbeit des Vortags erschöpft. Tag der Faulheit ausgerufen und zum Familienfeiertag erklärt.
Donnerstag, den 12.
Kalenderspruch gelesen "Der Schweiß ist die Träne der Arbeit". Da es unmännlich ist, Tränen zu vergießen, beschlossen, niemals in Schweiß zu geraten. Erkenntnis: Faulheit ist der Humus des Geistes. Erhabene Gedanken gedeihen nur in körperlichem Ruhezustand. Im Liegestuhl darüber nachgedacht, ob Barbara wohl ihr deliziöses Gulasch kocht. Gedanke war zutreffend. Zu viel Gulasch gegessen. Da ein voller Bauch nicht gern studiert (Erkenntnis der alten Römer), nachmittags nicht mehr nachgedacht.


 Marina antwortete am 17.07.05 (09:49):

Fortsetzung:

Freitag, den 13.
Mit Schrecken festgestellt, dass heute der 13, auf einen Freitag fällt. Daher beschlossen, nichts zu tun, um Unglück nicht zu berufen. Gut geschlafen. Erkenntnis: man muss sich ohne schlechtes Gewissen zur Faulheit bekennen. Das Gewissen ist der Motor, der zur Tätigkeit treibt und der Faulheit das Behagen nimmt. Über das Hamlet-Zitat nachgedacht: "Es ist etwas faul im Staate Dänemark". Wieso? Bin ich ein Däne? - Verlag ruft an, ob Plauderei über die Faulheit noch nicht fertig. Geantwortet: Wenn ich so schnell arbeiten würde, wäre ich nicht würdig, das Thema fachkundig zu behandeln.
Samstag, den 14.
Barbara macht sich Gedanken über meinen Gesundheitszustand, weil so viel Schlaf unnatürlich sei. Bedenken mit folgenden Erkenntnissen zerstreut: Manager sind fleißig; Götter sind nicht fleißig. Manager sehr sterblich; Götter dagegen unsterblich. Barbara stellt beruhigt fest, demnach würde ich Götter überleben.
Da viel zu faul, um Plauderei über Faulheit jemals zu schreiben, beschlossen, diese Tagebuchblätter drucken zu lassen. Überlegt: wer nimmt mir lästigen Gang zum Briefkasten ab. Barbara beschwatzt. Nach langem Mittagsschlaf Plan gefasst, auf die Anstrengungen der letzten zehn Tage hin nächste Woche gründlich auszuspannen.

Thaddäus Troll 1914-1980

Internet-Tipp: https://www.otium-bremen.de/autoren/a-troll.htm


 Marieke antwortete am 17.07.05 (16:27):

Danke, Marina !


 Enigma antwortete am 17.07.05 (18:11):

Ich danke auch, Marina.

Noch was von ihm:

Thaddäus Troll: Alle Journalisten sind doof!
So, da steht es, in der Überschrift sogar, so fett es auf dieser Seite möglich ist. Da geht es also in die Geistesgeschichte ein. Vielleicht wird diese Seite in zehntausend Jahren ausgegraben. Dann stellen die Klamottensammler, auch Archäologen genannt, fest: Im Jahrhundert des Atoms waren die Jounalisten so ehrlich, daß sie in ihren eigenen Büchern behaupteten, sie seien doof (doof laut Duden: ursprünglich taub, dann langweilig, beschränkt, stumpfsinnig, dumm). Die Journalisten des 20. Jahrhunderts waren, so folgern die Historiker messerscharf, ein Stand, der zur Selbstkritik imstande war. Um mich im Stand des Bildes zu halten: Sie schossen zwar häufig (freihändig) aus dem Stand, aber sie schossen auch auf den Stand.
Und nun bitte ich diejenigen meiner journalistischen Kollegen, die sich durch die Überschrift beleidigt fühlen, die Hand zu heben. Ich sehe keine. Aber ich wette: Es werden Briefe kommen, in denen sich Archäologen beschweren, daß ich ihre Ehre in den Schutt gezogen hätte, in dem sie wühlen. Weil ich sie "mit dem abschätzigen Wort Klamottensammler belegt" habe.
Da wäre also die Katze aus dem Sack, in dem des Pudels Kern begraben liegt. Ich wäre bei meinem Thema mit Variationen, das lautet: Die Kollektivempfindlichkeit der deutschen Stände. Ein Thema wahrlich, das den Schreibenden Kummer macht.
Denn ihre Aufgabe ist es verzeihen Sie, wenn ich eine jener Wahrheiten ausspreche, die in die Binsen gehen, den Menschen so zu schildern, wie er ist. Nun ist aber der Mensch weder gut, wie Leonhard Frank sagt, noch schlecht, wie man meinen könnte, wenn man die Seite eins von Tageszeitungen liest. Der Mensch ist durchwachsen, oder:
Z wei Seelen wohnen, ach! unter der nicht immer weißen Frackweste, um das übliche Goethe-Zitat anzubringen. Der Mensch, der gern auf der moralischen Schattenseite des Lebens lustwandelt und mordet, ist nicht als Falschmünzer, Raubmörder, Hochstapler, Schläger oder Unterschläger polizeilich gemeldet. Er hat auch mal was Rechtes und Linkes gelernt und hat deshalb einen bürgerlichen Beruf. So gibt es also Schneidermeister, die betrügen. Es gibt Postbeamte, die unterschlagen. Jugendpfleger, die ihre eigene Art von Sittlichkeit haben. Zahnärzte, die ins Zuchthaus kommen.
Nun hat der Leser nichts dagegen, wenn der Journalist über Zuchthaus, Unsittlichkeit, Betrug und Raub schreibt. Je höher einer stapelt, umso mehr Zeilen stehen ihm in der Presse zu. Dem Abonnenten erscheinen Berichte über die moralische Abrüstung lesenswerter als solche über die moralische Aufrüstung.


 Enigma antwortete am 17.07.05 (18:14):

Fortsetzung!

Niemand protestiert gegen Überschriften wie Elektriker rettet Damenstift vor Feuersbrunst. Aber wehe der Zeitung, in deren Roman ein Elektriker auftritt, dessen Kinder hungern, während er sich mit der zweifelhaften Baronin Schipopmanski amüsiert. Sofort protestiert die Innung:
"Sollte unser Berufskamerad nicht spätestens in der nächsten Fortsetzung zu Frau und Kind zurückkehren, so werden wir bei der zuständigen Handwerkskammer veranlassen, daß sämtliche Gewerbetreibenden Ihr verleumderisches Blatt abbestellen." Auch die Mimosen tragen Früchte. Die Übeltäter und Bösewichte, die in die Zeitung kommen, verlieren ihren Beruf, damit die Zeitung keine Abonennten verliert. Aber fast noch mehr als der Redakteur leidet der Schriftsteller unter der Kollektivempfindlichkeit der deutschen Stände. Besonders wenn er zu den Leuten gehört, welche die Welt zum Weinen finden und sich nur dadurch vor der Verzweiflung retten, daß sie möglichst viel darüber lachen. Da sitzt er nun an seinem Schreibtisch und arbeitet an einer Geschichte, in der ein Betrunkener vorkommt. Diesem ihm gar nicht unsympathischen Menschen möchte er einen Beruf geben. Aber Sie wissen, was geschieht, wenn er ihn zum Metzgermeister macht.
Ich habe unter meinen Lesern viele Metzgersfrauen. Sie gaben mir in schlimmen Zeiten gelegentlich fünfzig Gramm über meine Markenverhältnisse. Jetzt kann ich es ja sagen, weil die Wurst vermutlich unter die Amnestie fällt. Damals hatte ich das Gefühl, als ob meine Wohltäterinnen meinetwegen ständig mit einem Fuß im Zuchthaus stünden. Und nun soll ich so undankbar sein und einen betrunkenen Metzgermeister erfinden? Zumal ich weiß, daß dann die Innung geschlossen frei von der beleidigten Leberwurst weg gegen den "verleumderischen Schreiberling" vorgehen würde? Nein, nein! Lieber stelle ich fest, daß es nie einen Metzgermeister gab, der jemals einen Tropfen über den Durst getrunken hat. Das tun nur die Journalisten. Wer kann es wagen, von einem dicken Wirt, von einem geschwätzigen Friseur oder von einem eitlen Arzt zu reden? Wo ist der Mann, der so kühn ist, in einem Zeitungsroman einen Schornsteinfeger zum Vater eines unehelichen Kindes zu machen? Wo ist die Zeitung, die sich anmaßt zu schreiben, ein guter Regierungsrat sei teuer? Wer wagt es, den Ausdruck Schulmeister zu gebrauchen? Wenn ich jetzt etwas über einen Friseur schreibe, vergesse ich nicht zu betonen, daß er keinem Kunden ein Haar krümmen kann. Ein Kammerjäger vermag keiner Fliege etwas zuleide zu tun. Meine Schornsteinfeger tragen blütenweiße Westen. Chirurgen können kein Blut sehen. Metzgermeister beweinen jedes geschlachtete Kalb und kaufen ihm einen Kranz. Wirte klären ihre Gäste über die bösen Folgen des Alkohols auf.
Nur mit Herzklopfen schreibe ich heitere Romane, denn man kommt dabei nicht ohne komische Figuren aus. Und man kann wohl alle Journalisten zu komischen Figuren, aber nicht alle komischen Figuren zu Journalisten machen. Denn sie gehören dem einzigen Stand an, der nicht empfindlich ist. Die Überschrift soll ihre Unempfindlichkeit beweisen.

Internet-Tipp: https://www.litlinks.it/t/troll_t.htm


 Enigma antwortete am 03.08.05 (09:27):

"Kamelopedia-Projekt zur Übersetzung der Aussage "Es ist drei Uhr" in die führenden Weltsprachen
Die ganze Wahrheit
Inhaltsverzeichnis
1 Das Projekt und sein Gegenstand
2 Bisher gewonnene Erkenntnisse
2.1 Detaillierte Ergebnisliste
3 Praktische Aspekte
4 Wissenschaftlicher Beirat des Projektes



Das Projekt und sein Gegenstand
Das Kamelopedia-Projekt zur Übersetzung der Aussage "Es ist drei Uhr" in die führenden Weltsprachen (KPzÜdAEi3UidfW) wurde am 16.April des Jahres 2005 aus der Taufe gehoben. Sein Gegenstand ist die Erforschung und Differenzierung der Kommunikationsgewohnheiten in Bezug auf die Uhrzeit betreffende Angelegenheiten. Damit leistet dieses Projekt einen wichtigen Beitrag zur linguistischen Wissenschaft, aber auch zur Völkerverständigung.
Gleichzeitig ist es auch für den polyglotten Reisenden von höchstem Nutzen - wo früher Sprach- und Verständnislosigkeit herrschten, kann er sich in Zukunft jederzeit und an praktisch jedem Ort durch die Aussage "Es ist drei Uhr" mitteilen. Auch wird es ihm möglich sein, Sprecher fremder Sprachen zu verstehen und sich deren Gedankenwelten zu erschließen.
Durch das offene Konzept können alle qualifizierten Wissenschaftler, die sich zur Mitwirkung berufen fühlen, dem Projekt beitreten.

Bisher gewonnene Erkenntnisse
Bei seiner Gründung konnte der wissenschaftliche Beirat des Projektes lediglich auf Quellen zu zwei relevanten Weltsprachen außerhalb des Deutschen zurückgreifen. Mit der Fortentwicklung des Projektes ist die Liste bereits auf über zweihundert Sprachen angewachsen.

Detaillierte Ergebnisliste
Die Übersetzung des Ausdrucks "Es ist drei Uhr" in die gewünschte Zielsprache oder von der gewünschten Zielsprache in die deutsche Sprache erfolgt ohne Gewähr. Die Benutzung gegenüber Dritten unterliegt vollständig der Verantwortung des Benutzenden. Die Kamelopedia ist zu keiner Zeit wegen eventueller Missverständnisse, insbesondere falscher Zeitangaben, haftbar zu machen.
(....)
Praktische Aspekte
Auf einer Reise ist nicht immer klar, welche der Sprachen gesprochen werden soll. In solchen Fällen lesen Sie am besten die ganze Liste runter. Und damit Sie am Ende nicht als Lügner dastehen folgt hier demnächst das Kamelopedia-Projekt zur Übersetzung der Aussage "Es ist vier Uhr" in die führenden Weltsprachen.

Wissenschaftlicher Beirat des Projektes
Dr. amphoris causa Kamel:Arcimboldo"
:-))

Internet-Tipp: https://kamelopedia.mormo.org/index.php/Hauptseite


 Marina antwortete am 03.08.05 (20:36):

Eine wunderbare Entdeckung, Enigma. :-))

Teutschland
Die ganze Wahrheit

Teutschland ist ein Land in Europa. Es hat den 1. und den 2. Weltkrieg gemacht, das Wirtschaftswunder, im Jugoslawienkrieg mit, im Golfkrieg aber nicht, worauf es sich schwer was einbildet. Teutschland wird oft verwechselt mit Deutschland, einem fiktiven Land, in dem zu leben die meisten Teutschen annehmen (worin sie sich aber teuschen).
Die Präsidentin von Teutschland ist Akne Engerling. Sein Außenkamel ist der Kugelfischer, welcher stark von Mao Kamel Dung beeinflusst ist. Die Hauptstadt ist Bonz. Teutschlands Hauptexportprodukt sind heutzutage nicht mehr Soldaten, sondern gute Ratschläge und Furzmusik (Lebt denn das alte Holzkamel noch, Ich bin das Kamel aus Tirol)
Für ein paar Jahre gab es zwei Teutschlands, nämlich Rostteutschland und Restteutschland. Das war praktisch, denn man konnte arbeitsscheuen Kamelementen sagen, sie sollen nach drüben gehen (im Resten) bzw. sie könnten nicht nach drüben gehen, selbst wenn sie wollten (im Rosten). Heute kann man das nicht mehr sagen, da Resten und Rosten vom Grökaz Helmut Kamelohl und dem Riesenkamel Mikamel Gorbatschov zwangsvereinigt wurden.

Schreibwiese - Die Fachleute haben hier noch keine Einigkeit. Sollten die Teuschonen etwas mit der Sache zu tun haben, so müßte es lauten: Teuschland und nach der Rechtschreibreform vielleicht auch Tauschland heißen, was den neuzeitlichen Vorstellungen der Göbalisierungskamele sehr entgegenkommt.

Internet-Tipp: https://kamelopedia.mormo.org/index.php/Teutschland


 Enigma antwortete am 04.08.05 (08:16):

..oh, oh, und ich bin auch eine "Teuschonin aus Teutschland".
:-)))

"Nupsi

Ein Nupsi ist ein nicht näher bestimmter Gegenstand, der einem anderen Gegenstand zugehörig und in Relation zu dessen Größe erheblich viel kleiner ist. Der Nupsi kann meistens daran befestigt werden und steht an diesem hervor. Das Wort „Nupsi“ wird im normalen Sprachgebrauch meist dann verwendet, wenn dem Sprechenden das richtige Wort für einen solchen Gegenstand nicht einfällt. Die Verwendung des Wortes verbreitet sich zunehmend im Bereich des Shopping-TV, da hier oft Gegenstände angeboten werden, deren Sinn nicht genau definiert werden kann. In manchen Gegenden Deutschlands wird der Nupsi auch mit b (Nubsi) geschrieben."

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Humorarchiv/Sprache


 Marina antwortete am 04.08.05 (21:40):

Apfeltasche
die apfeltasche auch bekannt als apflus taschus lebt in supermärkten meisst im herbst wird sie von ihren kumpels getrennt und verwendet die apfeltasche ist unfruchtbar, das heisst: sie kriegt in nich in die horizontale ihr durchschnittsalter beträgt etwa eine woche danach endet sie auf einen friedhof der auch als abfalleimer bekannt ist

Taschenbier
Bei einem Taschenbier handelt es sich um ein Bier das im Normalfall in einer Tasche eines Kleidungsstücks mitgeführt wird, zum Beispiel in der Jacke oder der Hose. Meist wird ein Taschenbier verwendet wenn ein längerer Fußmarsch bevorsteht und man während dessen nicht auf den Genuss eines frischen Bieres verzichten will.
Da Schraubverschlüsse oder andre Formen einfach wiederverschliessbarer Verschlussarten bei Bieren relativ selten sind ist beim Transport eines Taschenbiers das Hauptproblem sicherzustellen dass das Bier auch nach dem Öffnen nicht ausläuft wenn man es zurück in die Tasche steckt und es weiter während des Gehens transportiert. Das offene Herumtragen des angefangenen Bieres wird von echten Taschenbier-Anhängern nicht praktiziert. Ebenso ist bei einem Taschenbier entscheidend dass der Träger nicht ständig darauf achten muss das Bier vor dem Umkippen zu bewahren.
Besonders geeignet sind also Bierflaschen, aufgrund der Form mit dem eng nach oben verlaufenden Hals, damit verbunden ein anfangs relativ starkes Absinken des Pegels. Das Auslaufrisiko ist bei eingesteckten Dosen vorerst höher, da in Relation zur abgetrunkenen Menge der Pegel anfangs relativ schwach sinkt, im Vergleich zur Flasche.
Betrefflich der Tasche ist entweder eine grössere aber dennoch enge Hosentasche, die das Bier relativ stramm umfasst, oder sehr oft eine innere Jackentasche in der richtigen Grösse geeignet. Hier ist es recht wahrscheinlich dass das Taschenbier auch nach dem Öffnen und Wiedereinstecken bei normalem Gang nicht ausläuft. Äussere Jackentaschen bergen oft das Risiko dass das Bier im eingesteckten Zustand zuviel 'Spiel' hat und damit leicht kippt.
Zusätzlich ist der erste Schluck aus einem Taschenbier im Normalfall ein sehr anständiger, was auch dem eben erwähnten Zweck dient.

Plätzchen
Ein Plätzchen ist ein aus krümeligen, nach einiger Zeit des Liegens auch matschigen Teig geformte Konstruktion, die zuvor mittels Ausstechform und Backofen hergestellt wurde.

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Humorarchiv/Kulinarisches


 Marina antwortete am 06.08.05 (19:19):

Deppenapostroph des Monats

"bei Metro", gefunden von Andreas Rensch
Nicht's. Nur Dunkelheit und Schwärze. Die Apostrophenkatastrophe.

Schon länger erscheint das deutsche „Auslassungszeichen“, der Apostroph, in einer Art sächsischer Genitiv (Heidi's Geburtstag, Tilo's beste Freundin), was man zunächst noch als die neueste von vielen anglizistischen Albernheiten abtun konnte. Dann aber drang der Apostroph auch in die Pluralbildung vornehmlich solcher Substantive vor, die bei Kommunikationsfrenetikern beliebt sind (Hi Fan's, wichtige Info's, coole Link's). Inzwischen sind die von dem Hochstrich zerteilten Wortbilder zu einer echten Landplage geworden, die einem das Lesen verleiden kann. Besonders böse erwischt hat es das Pronomen „nichts“. 2.690 „Nicht'se“ findet die Suchmaschine Google Anfang Mai 2001 im Internet, und dabei werden nicht nur panische newsgrouppostings (kann nicht's mehr downloaden) und verzweiflungsvolle Jungpoeten (Ich bin nicht's. Nicht's. Nur Dunkelheit und Schwärze.) auffällig, sondern auch das Erzbischöfliche Gymnasium St. Anna (wenn Sie mit der Kirche nicht's am Hut haben), die Freiwillige Feuerwehr Laxenburg, von der wir das zuallerletzt erwartet hätten (Rasen bringt nicht's), und schließlich die „Studiengemeinschaft Darmstadt“, die auf einer (orthographisch überhaupt sehr originellen) Seite die Situation mit einem gegen fortbildungsunwillige Phlegmatiker gerichteten Spruch ganz unfreiwillig und satirefrei auf den Punkt bringt: „Wissen ist Macht, nicht's Wissen macht aber auch nicht's!“ Der Apostroph verliert sich aber leider nicht im „Nicht's“: Mittlerweile gibt's auch schon den Bauer'n-Hof, das Spielzeug von Damal's und den Weihnacht's-Baum. Kein Zweifel mehr: Wir sind gerichtet — alles nur noch Kabarett. Allerdings: Widerstand wird noch geleistet, auch im Internet.
Quelle: Thomas Hoof in "Manufactum HAUSNACHRICHTEN SOMMER 2001"

Internet-Tipp: https://www.deppenapostroph.de/


 Marina antwortete am 06.08.05 (19:24):

Die Apostroph-S-Hass-Seite
APOSTROPHENKATASTROPHEN


Immer weiter greift das Phänomen des Apostroph-Missbrauchs um sich.... Ist die (offensichtlich extrem ansteckende) Apostrophitis noch aufzuhalten, ist der totalen Verblödung noch Einhalt zu gebieten? Diese Internetseite will einige der schlimmsten Auswüchse dokumentieren und versuchen, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, die drohende Gefahr noch abzuwenden. Allerdings muß ich sagen, daß mich langsam die Resignation packt. Der Feind ist einfach übermächtig. Hier das Ergebnis einer aktuellen AltaVista-Suche nach deutschsprachigen Seiten mit dem Wort "Info's": "AltaVista found 67709 Web pages for you" (Januar 2002). Ende 1998 waren das etwa 11000... Auffällig ist auch die ausgeprägte Indifferenz der von dem Virus Befallenen. Zur Typologie: Nachdem zunächst (in Anlehnung an das Englische) der Apostroph im Deutschen auch zur Abtrennung des Genitiv-S benutzt wurde, wird mittlerweile in beunruhigendem Ausmaße auch das Plural-S durch einen Apostroph abgetrennt, ein Trend, der sich auch schon in englischsprachigen Ländern abzeichnet. Neuere Varianten der Apostrophitis bewirken auch das Abtrennen anderer End-Buchstaben durch einen Apostroph oder (in englischsprachigen Ländern) das Abtrennen des 3. Person-Singular-S bei Verben.... Diese Sammlung wird kontinuierlich ausgebaut. Wer gute Beispiele liefern kann, schicke diese bitte als E-Mail an mich. Bilder sollten im jpg- oder gif-Format angehängt werden und möglichst nicht größer als 100 kB sein. Papierbilder nehme ich auch gerne. Auf diesem Wege auch noch vielen Dank an all die edlen Spender, deren Beiträge ich zeitbedingt erst jetzt veröffentlichen kann.Eventuelle lange Ladezeiten bitte ich zu verzeihen, aber diese Seite lebt nun mal von den Bildern. Ich bemühe mich, diese so klein wie möglich zu halten. Den Apostrophensündern zur Warnung: Ich habe aufgerüstet und jage Eure Untaten hiermit...

Internet-Tipp: https://members.aol.com/apostrophs/


 Marina antwortete am 07.08.05 (11:19):

Grauslige Apostrophen

Man begnet inzwischen so viel falschen Apostrophen, daß man schon aufschreckt, wenn das mal jemand nicht falsch schreibt. Allüberall prangen einem die "Günter's ...", "Heinrich's ...""Jürgen's ..." entgegen und auch an "Sonntag's" etc. herrscht kein Mangel. Deswegen hier nun meine kleine Rache zu diesem Unfug. Damit diese Seite nicht ausufert, werden hier nur 'offizielle' Ankündigungen aufgenommen. Nichts gegen ein paar kleine Schwächen, aber das ist echt nervig. Leider habe ich mit dem Sammeln erst jetzt angefangen, weshalb ich zwei hübsche Sachen aus dem Wolfsburger Rundblick vom 8. März 1998 nicht photographiert bieten kann. Die Peiner Härke-Brauerei hat in Zusammenarbeit mit der Werbeagentur FF+P z.B. aus Braunschweig einen "Wolf's trunk" auf den Markt geschmissen (ein Bier für die Fans vom VfL Wolfsburg). Aber auch die Redakteure können es nicht: "Auf Schuster's Rappen in's 'Alte Land'". Ach, wenn Worte reden könnten ...


Bitte unbedingt den Link anklicken, da kommen so schöne Bild'chen :-))

Internet-Tipp: https://www.springstubbe.net/div/apostroph.htm


 Enigma antwortete am 07.08.05 (12:39):

Hallo Marina,

noch mehr zum Apostroph (ja, auch ganz "intimes" :-))):

"Die Sexualität des Apostrophs
Nicht jedem ist bekannt, dass der Apostroph ausschließlich als Maskulinum existiert. Das Apostroph gibt es nicht, und die Apostrophen auch nicht:
Singular Plural
Nom. Der Apostroph Die Apostrophe
Gen. Des Apostrophs Der Apostrophe
Dat. Dem Apostroph Den Apostrophen
Akk. Den Apostroph Die Apostrophe
Vok. Du Apostroph! Ihr Apostrophe!

Wie sich Apostrophe vermehren – dass sie das tun, steht außer Zweifel –, ist auf diesem Hintergrund ein noch nicht ganz gelöstes Rätsel. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um eine virenartige Vermehrung über Wirtspersonen. Dabei ist der Apostroph in der Regel gar nicht auf exzessive Vermehrung aus, sondern die Wirtsperson selbst forciert sie offenbar.
Immerhin ist diese Hypothese eine schlüssige Erklärung für die erschreckend hohe Zahl an Mutationen.
Allen Angehörigen der Gattung apostrophus ist jedoch gemeinsam, dass sie relativ aufrecht im Wort stehen und wenig Platz verbrauchen. Das ist auch schon das wichtigste Unterscheidungsmerkmal gegen die häufigen Verwechslungen mit anderen Arten."

Auch auf dieser Seite - she. Link! - gibt es noch mehr zu lesen....

Internet-Tipp: https://einklich.net/etc/apostroph.htm


 Marina antwortete am 07.08.05 (17:59):

Hallo Enigma, da der Apostroph auch im Forum immer wieder an falscher Stelle sein Unwesen treibt, fand ich diese Seiten doch mal ganz interessant und obendrein wirklich sehr geistreich und witzig. :-)) Hier kommt noch das, was du ausgelassen hast und was vor deinem Text stand. Es ist zu schön, um es wegzulassen. :-)

"Vorwort
Diese Seite soll zum Nachdenken anregen. Der in letzter Zeit zunehmend reichlich und oftmals auch falsch eingesetzte, also missbrauchte Apostroph schreit nach Rettung.

Mein Ohr vernahm seine Stimme, wie andere Ohren auch, und ich ergreife mutig das Wort zur Verteidigung eines kleinen und wehrlosen Satzzeichens.

Hier erfährt man einiges über den Apostroph an sich, seinen Charakter und seine natürlichen Lebensräume. Jeder ist aufgerufen, die zunehmende Verwilderung des Apostrophs eindämmen zu helfen – dem Artenschutz zuliebe.

Wissenswertes über Apostrophe
Die Arten des Apostrophs
Die Gattung der Apostrophe (apostrophus) gehört zur Familie der Auslassungszeichen (substituenteae) und besteht im Wesentlichen aus zwei Arten:

Den Echten oder Geraden Apostroph (apostrophus apostrophus) findet man auf deutschen Tastaturen zwischen dem Ä und der Return-Taste, und er sieht in der Schreibmaschinenform so aus:

äuß're Freud'

Der gelernte Schriftsetzer liebt diese wilde Form des Apostrophs nicht und hat aus dem Geraden Apostroph den Typographischen Apostroph (apostrophus typographicus) gezüchtet, den man an der leicht eingerollten Haltung oder der leichten Schräglage erkennt (je nach Schriftart). Der Typographische Apostroph sieht einem zu hoch gesetzten Komma nicht unähnlich:

äuß’re Freud’

Viele Textverarbeitungssysteme können den Geraden Apostroph schon bei der Eingabe gentechnisch in den Typographischen umwandeln. Wer kein solches System hat, erreicht den Typographischen Apostroph auf Windows-Systemen, indem er die ALT-Taste gedrückt hält und auf dem Ziffenblock 0146 tippt."


 Enigma antwortete am 08.08.05 (09:09):

ICH ÄRGERE MICH ÜBER:- Klugscheisser.
eingereicht von Gian Claverdetscher, 2001

Philosophische Betrachtungen
Ein Philosophieprofessor stand vor seinen Studenten und hatte ein paar Dinge vor sich liegen. Als der Unterricht begann, nahm er ein großes leeres Mayonnaiseglas und füllte es bis zum Rand mit großen Steinen. Anschließend fragte er seine Studenten, ob das Glas voll sei. Sie stimmten ihm zu.
Der Professor nahm eine Schachtel mit Kieselsteinen und schüttete sie in das Glas und schüttelte es leicht. Die Kieselsteine rollten natürlich in die Zwischenräume der größeren Steine. Dann fragte er seine Studenten erneut, ob das Glas jetzt voll sei. Sie stimmten wieder zu und lachten. Der Professor seinerseits nahm eine Schachtel mit Sand und schüttete ihn in das Glas. Natürlich füllte der Sand die letzten Zwischenräume im Glas aus.
"Nun", sagte der Professor zu seinen Studenten," ich möchte, dass Sie erkennen, dass dieses Glas wie ihr Leben ist! Die Steine sind die wichtigen Dinge im Leben: Ihre Familie, Ihr Partner, Ihre Gesundheit, Ihre Kinder - Dinge, die - wenn alles andere wegfiele und nur sie übrig blieben – ihr Leben immer noch erfüllen würden. Die Kieselsteine sind andere, weniger wichtige Dinge, wie z.B. Ihre Arbeit, Ihre Wohnung, Ihr Haus oder Ihr Auto. Der Sand symbolisiert die ganz kleinen Dinge im Leben.
Wenn Sie den Sand zuerst in das Glas füllen, bleibt kein Raum für die Kieselsteine oder die großen Steine. So ist es auch in Ihrem Leben: Wenn Sie all ihre Energie für die kleinen Dinge in ihrem Leben aufwenden, haben Sie für die großen keine mehr. Achten Sie daher auf die wichtigen Dinge, nehmen Sie sich Zeit für Ihre Kinder oder Ihren Partner, achten sie auf Ihre Gesundheit. Es wird noch genug Zeit geben für Arbeit, Haushalt, Partys, usw. Achten Sie zuerst auf die großen Steine - sie sind es, die wirklich zählen. Der Rest ist nur Sand."
Nach dem Unterricht nahm einer der Studenten das Glas mit den großen Steinen, den Kieseln und dem Sand - bei dem mittlerweile sogar der Professor zustimmte, dass es voll war - und schüttete ein Glas Bier hinein. Das Bier füllte den noch verbliebenen Raum im Glas aus; dann war es wirklich voll.
Die Moral von der Geschichte: "Egal wie erfüllt Ihr Leben ist, es ist immer noch Platz für ein Bier"!

Hallo Marina, hat Euer Philosphie-Prof auch so schöne Geschichten auf Lager?? :-))

Internet-Tipp: https://home.egge.net/~savory/aerger08.htm


 Marina antwortete am 08.08.05 (15:56):

:-) Die Moral ist fast so tiefschürfend und bedeutend für eine philosophische Ethik wie Kants kategorische Imperative. :-)
Habe noch mehr auf dieser schönen Website gefunden:

Lustiges aus Kinderaufsätzen!
Die Erde dreht sich 365 Tage lang jedes Jahr. Alle vier Jahre braucht sie dazu einen Tag länger, und das ausgerechnet immer im Februar. Warum weiß ich auch nicht. Vielleicht, weil es im Februar immer so kalt ist und es deswegen ein bisschen schwerer geht.
. Der Mond ist kleiner als die Erde. Das liegt aber auch daran, dass er so weit weg ist.
. Der Hauptmann zog seinen Säbel und schoss den Angreifer nieder.
. Als die Männer zurückkamen, waren sie steifgefroren. Sie standen um das prasselnde Feuer und wärmten ihre Glieder.
. Siegfried hatte an seinem Körper eine wunderbare Stelle, die er aber nur der Kriemhild zeigte.
· Dann folgte das Zeitalter der Aufklärung. Da lernten die Leute endlich dass man sich nicht durch die Biene oder den Storch fortpflanzt, sondern wie man die Kinder selber macht.
· Die Christen wollten, dass sich alle Menschen lieben, und sie taten das auch bei jeder Gelegenheit. Da hatten aber die Römer was dagegen.
· Meine Schwester ist sehr krank. Sie nimmt jeden Tag eine Pille. Aber sie tut das heimlich, damit sich meine Eltern keine Sorgen machen.
· Auf dem Standesamt geht es sehr feierlich zu. Während ein älterer Mann im Hintergrund leise orgelte, vollzog der Standesbeamte an meiner Schwester die Ehe.
· Wenn der Schutzmann die Arme gespreizt hat, will er damit
verkünden, dass er gerade keinen fahren lässt.
. Eines der nützlichsten Tiere, die wir besitzen, ist das Schwein. Von ihm kann man alles verwenden, das Fleisch von vorn bis hinten, die Haut für Leder, die Borsten für Bürsten und den Namen als Schimpfwort.
· Es waren fast alle Rassen vertreten. Zur Begutachtung mussten die Besitzer mit ihren Hunden vor die Jury treten, die meisten von ihnen wedelten dabei freudig mit dem Schwanz.
· Alle Fische legen Eier. Die russischen sogar Kaviar.
· Der Tierpark ist toll. Da kann man Tiere sehen, die gibt es gar nicht.
· Viele Hunde gehen gern ins Wasser. Manche leben sogar immer dort, das sind die Seehunde.
· Butter wird aus Kühen gemacht. Sonst heißt es Margarine.
· Die Periode der Königin Elisabeth dauerte 30 Jahre.
· Im Dreißigjährigen Krieg nannte man die besten und stärksten Soldaten Muskeltiere.
· Das Problem mit den alten Leuten wird nicht weniger obwohl so viele sterben. Aber es wachsen immer neue nach.
· Es gefällt mir gar nicht, wenn in einem alten Film nur tote Schauspieler mitspielen.
· Eine Halbinsel ist eine Insel, die noch nicht ganz fertig ist.
· Der Ätna ist ein sehr tätiger Vulkan. Erst im letzten Jahr hatte er eine Erektion.
· Orgel und Klavier unterscheiden sich vor allem dadurch, dass an der Orgel die größeren Pfeifen sitzen.
· Als Mozart tot war, hat einer alle seine Kompositionen gezählt und nummeriert und eine Liste gemacht. Sie heißt das Knöchelverzeichnis.
· Eine katholische Schwester kann nicht austreten, da sie
zeitlebens im Kloster leben muss.
· Caesar machte das Segel voll und jeder stand bei seinem Haufen.
· Graf Zeppelin war der erste, der nach verschiedenen Richtungen schiffte.
· Wir gingen in den Zoo. Es war ein großer Affe im Käfig. Mein Onkel war auch dabei
· Mit starkem, großem Strahl gaben die Feuerwehrleute ihr Wasser ab.
· Der Landwirtschaftsminister ließ die Bauern zusammenkommen, denn die Schweine fraßen zuviel.
· Als der Jäger Rotkäppchens Großmutter mit dem dicken Bauch sah, wusste er sofort, was geschehen war.
· Dort, wo jetzt Ruinen ragen, standen einst stolze Burgfräuleins und warteten auf die ausgezogenen Ritter.
· Nachdem die Männer 100 m gekrault hatten, wickelten die Frauen ihre 200 m Brust ab.
· Streichhölzer müssen gut versteckt sein, damit die keine Kinder bekommen.

Internet-Tipp: https://home.egge.net/~savory/aerger11.htm


 Enigma antwortete am 08.08.05 (21:24):


Der Apostroph lässt uns natürlich nicht los, aber nicht nur uns.....:-))

Aus:
Deutsche Rechtschreibung im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert gab es noch keine für den gesamten deutschen Sprachraum verbindliche Rechtschreibung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden in den deutschen Ländern Rechtschreibungen amtlich eingeführt. Es gab Bemühungen, die deutsche Rechtschreibung in allen Ländern zu vereinheitlichen. Dies gelang jedoch erst mit der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1901

(...)


Über den Apostroph
(nach dem preußischen Regelbuch)
Wenn Laute, die man gewöhnlich bezeichnet, unterdrückt werden, so bezeichnet man in der Schrift ihre Stelle durch einen Apostroph.
Ich lieb' ihn. Das leid' ich nicht. Heil'ge
Jedoch ist in der gewöhnlichen prosaischen Darstellung eine solche Verstümmelung der Wortform zu vermeiden, ausgenommen etwa im Pronomen "es"
ist's, geht's
Wenn die Präposition mit dem von ihr regierten Artikel verschmolzen wird, gebraucht man den Apostroph nicht
am, beim, unterm, zum, ans, aufs, ins
Bei Eigennamen ist es nicht erforderlich, das s des Genitivs durch einen Apostroph abzutrennen
Ciceros Briefe, Schillers Gedichte, Homers Ilias
Hingegen wird bei Eigennamen, welche den Genitiv auf s nicht bilden können, das Rektionsverhältnis durch den Apostroph bezeichnet
Voß' Louise, Demosthenes' Reden

(...)

Internet-Tipp: https://lexikon.freenet.de/Deutsche_Rechtschreibung_im_19._Jahrhundert


 Marina antwortete am 09.08.05 (18:01):

Hallo Enigma, zu deinem Beitrag vom 08.08.05 (09:09):
„Die Moral von der Geschichte: "Egal wie erfüllt Ihr Leben ist, es ist immer noch Platz für ein Bier"!“
hier noch eine Ergänzung:

"Der Nocheinbier-Glaube
aus der einzig realen Datenbank

Die Anhänger dieser Religion glauben daran, noch ein Bier zu brauchen. Sollten sie es bekommen, vernichten sie es umgehend und äußern dann wieder ihr Glaubensbekenntnis: "Ich glaube, ich brauche noch ein Bier."
Dieser Ritus wird nur durch kurze Huldigungen an den Kanalgott unterbrochen.
Nach besonders intensiver Ausübung des Rituals (sog. "Kampftrinken", "Abschädeln") kommt es auch gelegentlich zur Anbetung des HUALP-Geistes mit anschließender Ruhephase.
Der danach einsetzende Nachdurst läßt die Gläubigen dann aber wieder zum rechten Glauben zurückfinden."

Internet-Tipp: https://www.uni-verden.de/wiki/index.php/Der_Nocheinbier-Glaube


 Enigma antwortete am 09.08.05 (18:28):

Hallo Marina,

nach dem Bier jetzt - nein, nicht zum Apostroph -, aber zum "zumla": :-)))

Untersuchungen zur Etymologie des Wortes zumla
von Dr. humoris causa R. Svark
Vor einiger Zeit stieß in dem Schreiben eines geschätzten Freundes auf das ungewöhnliche Wort zumla, das sich mir zunächst in seiner Bedeutung verschloß. Mein Kollege konnte mir da auch nicht weiterhelfen, da er selber das Wort nur zitiert und sich sowohl seiner Herkunft als auch seiner Bedeutung ebenfalls nicht im Klaren war. Zumla wenn sie besser gespielt lautete die zitierte Stelle, und mein Korrespondent äußerte die Vermutung, daß es sich dabei um einen afrikanischen Ausdruck handeln könnte, ohne jedoch die Vermutung näher zu begründen.
Wahrscheinlich erinnerte ihn das Lautbild des Wortes an das mittlerweile über Afrika hinaus bekannte Suaheli (Swa'e'li). Leider erwies sich diese Vermutung als völlig falsch, wie mir seine Exzellenz, der Botschafter von Mosambique, Herr Mobuto Sese Seko Kuku Zuwleien Matabanga, die Freundlichkeit mitzuteilen hatte. Weder die aktuellen, die neue Rechtschreibung berücksichtigenden Wörterbücher, noch das Grimmsche Wörterbuch (Buchstabe Z um 1870 erschienen) führen zumla als Stichwort auf.
Nach längeren Recherchen, konnte ich endlich auch einen weiteren Nachweis des Wortes finden, und zwar bei Wilhelm Hauff:
Der Affe sehr possierlich ist,
zumla wenn er vom Apfel frisst!
Auf den ersten Blick scheint das der Suaheli-These neue Nahrung zu geben, da ist einerseits der Affe, der auf Afrika hindeutet, zum andern kennt jeder Hauffs Märchen, die im fernen Nordafrika spielen. Bei genauerer Betrachtung muß diese Annahme wieder verworfen werden: der Affe frißt einen Apfel und keinen Banane, das Zitat stammt aus der Erzählung Der junge Engländer, die sich im Wirtshaus-im-Spessart-Zyklus befindet.
So wie es aussah, war ich bei meinen Recherchen in eine Sackgasse geraten - doch glücklicherweise war es nur scheinbar eine Sackgasse. Den Ausweg wies mir das Wort Engländer, genauer gesagt das Wort Franzose (in Hauffs Engländer erkennt jeder den galanten, tänzerisch begabten Franzosen, der knapp zehn Jahre nach den napoleonischen Kriegen aus naheliegenden Gründen unter dem falschen Etikett eines Engländers auftauchen mußte).
Verfolgen wir nun die richtige Fährte systematisch: Zerlegen wir das Wort, so erhalten wir zum la, zum ist wiederum Verkürzung von zu dem. Zu weit dürfen wir dieses Verfahren aber nicht treiben, la ist mitnichten Abkürzung von Lachen (possierlich ist das selbe wie zum Lachen, und solcherlei Wiederholungen sind bei Hauff unüblich). Der Schlüssel ergibt sich nun, wenn wir uns an die Etymologie des Wortes mutterseelenallein erinnern: neueste Untesuchungen haben ergeben, daß mutterseelen eine Verballhornung des französischen moi, tout-seul ist, mutterseelenallein ist somit genauso ein Monstrum wie der unausrottbare Probeversuch - entweder man ist allein, oder nicht, tertium non datur!
zum bzw. zu dem entspricht also dem französischen au, zur bzw. zu der dem französischen a la. Zumla erweist sich also als Verschmelzung von deutschem Maskulinum und französischem Femininum. So ungewöhnlich diese Verschmelzung auch anmuten mag, es handelt sich jedoch dabei um kein Hybrid, wie vorliegende furchtbare [fruchtbare - Anm. der Red.] Untersuchung beweist.
Überprüfen wir nun unsere These anhand der vorliegenden Belege, so ist für jeden die Richtigkeit der obigen Schlußfolgerungen ersichtlich:
... possierlich ist, zudem wenn er vom Apfel frißt
... zudem, wenn sie besser gespielt haben.
Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß zumla keineswegs identisch mit zum ist, da letzteres präpositional gebraucht wird. Ich kann zwar sagen: Zum Wort zumla ist nichts mehr hinzuzufügen, es ist jedoch falsch: Zumla Wort zumla ist nichts mehr hinzuzufügen.
Unveröffentlicht
Entstehungsdatum
29. Oktober 2003

Internet-Tipp: https://www.guntherkrauss.de/texte/nonsense/zumla.html


 Marina antwortete am 10.08.05 (20:54):

Der Glaube an die Provokation

Der Erkenntisweg der Provokation™ gewinnt immer mehr Anhänger. Die spirituelle Entwicklung vollzieht sich in drei heiligen Stufen, in denen jeweils die Bedingungen der Realität hinterfragt werden, um zu größerer Weisheit zu gelangen.
Die heilige Stufe Eins™ ist meist durch eine einfache Frage gekennzeichnet:
Machst Du mich an?
Hier wird nach grundsätzlicher Erkenntnis gesucht. Andere Formulierungen lauten
· Willsch Du mir provozieren? (Anfänger des Weges der Provokation™ verwenden oft falsche Begriffe mangels Erfahrung, daher auch oft promovieren oder produzieren)
· Hey, hasch Du Problem oder was?
· Hasch Du was gsagt?
Die heilige Stufe Zwei™ symbolisiert das Fortschreiten auf dem Wege der Provokation™, sie steht für gewonne Sicherheit und wird meistens durch
Ich glaube, Du machst mich an! oder
brausch Du Stress oderwas
ausgedrückt.
Auf der dritten heiligen Stufe™ zeigt der Wahrheizsucher die Bereitschaft, für seinen Glauben einzutreten und für die Wahrheit zu kämpfen. Sie ist gekennzeichnet durch ebenso rasches, wie brutales Handeln, oft eingeleitet durch Phrasen wie
Jeeeeeeeeeeeeezz reichts
Isch mach dich Kickbox
Du bisch gfickt
Hey Jungä, jezz hasch tierisch Stress, oke?
Isch schlag disch Krankenhaus!
Doch der Weg der Provokation™ muß täglich neu beschritten werden - auch wer die dritte heilige Stufe™ erreicht hat, muß wieder von vorn beginnen und sich die Erlösung täglich neu verdienen. Daher sind die Anhänger des Weges der Provokation™ besonders in theologischer Dialektik geschult, die den dreigeteilten Weg der Erkenntnis ebnen soll. Ein typisches EEG (ErkenntnisErweckungsGespräch) könnte so aussehen:
Jünger: [erzählt einen Witz]
J2[*]: Haha! Das war lustig!
Jünger: Du machst Dich über mich lustig?
J2: Wie? Nein! Ich habe nur gesagt, das Du etwas lustiges gesagt hast.
Jünger: Ich bin also ein Spaßvogel, hmm? Ein Kasper? Eine Witzfigur?
J2: Neinnein, nur was Du gerade gesagt hast war witzig.
Jünger: Jeeeeezz reichts!
*stürzt sich auf Jünger2 und verprügelt ihn*
Besonders geübte Theologen können auf etwaige Abweichung dieses Schemas ohne größere Schwierigkeiten reagieren:
Jünger: [erzählt einen Witz]
J2[*]: Haha! Das war lustig!
Jünger: Machst Du Dich über mich lustig?
J2: Wie? Nein! Ich habe nur gesagt, das Du etwas lustiges gesagt hast.
Jünger: Ich bin also ein Spaßvogel, hmm? Ein Kasper? Eine Witzfigur?
J2: Entschuldige. Du hast recht, das war nicht witzig.
Jünger: Aha? Ich bin also nicht lustig? Jeeeeeezz reichts!
*verprügelt J2*
[*] = um das heilige Wort der Provokation™ zu verbreiten, wird anstelle eines anderen Jüngers hier auch gerne ein Ungläubiger mit eingebunden.
Bekannte Anhänger:
· Hinnerk Ebert
· Die Goodfeathers [siehe "Animaniacs" für Details]
· Viele Jugendliche, oft aus fernen Landen angereist
Bekannte Gegner:
· Jesus Christus
· Mahatma Ghandi
· Saddam Hussein

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/qDcAnbZ7Y


 Enigma antwortete am 11.08.05 (08:01):

"Ratschläge für einen schlechten Redner" (Kurt Tucholsky)
Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor dem Anfang! Etwa so:
"Meine Damen und meine Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abends komme, lassen Sie mich kurz... ."
Hier hast du schon alles, was eine schönen Anfang ausmacht: eine steife Anrede; der Anfang vor dem Anfang; die Ankündigung, daß und was du zu sprechen beabsichtigst, und das Wörtchen kurz. So gewinnst du im Nu die Herzen und die Ohren der Zuhörer.
Denn das hat der Zuhörer gern: daß er deine Rede wie ein schweres Schulpensum aufbekommt; daß du mit dem drohst, was du sagen wirst, sagst und schon gesagt hast. Immer schön umständlich!
Sprich nicht frei, das macht einen so unruhigen Eindruck. Am besten ist es: du liest deine Rede ab. Das ist sicher, zuverlässig, auch freut es jedermann, wenn der lesende Redner nach dem vierten Satz mißtrauisch hochblickt, ob auch noch alle da sind.
Wenn du gar nicht hören kannst, was man dir so freundlich rät, und du willst durchaus und durchum frei sprechen... du Laie! Du lächerlicher Cicero! Nimm dir doch ein Beispiel an unseren professionellen Rednern, an den Reichstagsabgeordneten - hast du die schon mal frei sprechen hören? Die schreiben sich sicherlich zu Hause auf, wann sie "Hört! Hört!" rufen... ja, also wenn du denn freisprechen mußt:
Sprich, wie du schreibst. Und ich weiß wie du schreibst. Sprich mit langen, langen Sätzen - solchen, bei denen du, der du dich zu Hause, wo du ja die Ruhe, deren du so sehr benötigst, deiner Kinder ungeachtet, hast, vorbereitest, genau weißt, wie das Ende ist, die
Nebensätze schön ineinandergeschachtelt, so daß der Hörer ungeduldig auf seinem Sitz hin und her träumend, sich in einem Kolleg wähnend, in dem er früher so gern geschlummert hat, auf das Ende solcher Periode wartet. Nun ich habe dir eben ein Beispiel gegeben. So mußt du sprechen.
Fang immer bei den alten Römern an und gib stets, wovon du auch sprichst, die geschichtlichen Hintergründe der Sache. Das ist nicht nur deutsch, das tun alle Brillenmenschen. Ich habe einmal in der Sorbonne einen chinesischen Studenten sprechen hören, der sprach glatt und französisch, aber er begann zu aller Freude so:
"Lassen sie mich Ihnen in aller Kürze die Entwicklungsgeschichte meiner chinesischen Heimat seit dem Jahre 2000 vor Christi Geburt...." Er blickte ganz erstaunt auf, weil die Leute so lachten.
So mußt du das auch machen. Du hast ganz recht: man versteht es ja sonst nicht, wer kann denn das alles verstehen, ohne die geschichtlichen Hintergründe... sehr richtig! Die Leute sind doch nicht in deinen Vortrag gekommen, um lebendiges Reden zu hören, sondern das, was sie auch in den Büchern nachschlagen können... sehr richtig! Immer gib ihm Historie, immer gib ihm.
Kümmere dich nicht darum, ob die Wellen, die von dir ins Publikum laufen, auch zurückkommen - das sind Kinkerlitzchen. Sprich unbekümmert um die Wirkung, um die Leute, um die Luft im Saale; immer sprich mein Guter. Gott wird es dir lohnen.
Du mußt alles in die Nebensätze legen. Sag nie: "Die Steuern sind zu hoch." Das ist zu einfach. Sag: "Ich möchte zu dem, was ich soeben gesagt habe, noch kurz bemerken, daß mir die Steuern bei weitem..." so heißt das !
Trink den Leuten ab und zu ein Glas Wasser vor - man sieht das gerne.
Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 11.08.05 (08:06):

Fortsetzung!

Wenn du einen Witz machst, lach vorher, damit man weiß, wo die Pointe ist.
Eine Rede ist, wie könnte es anders sein, ein Monolog.
Weil doch nur einer spricht. Du brauchst auch nach vierzehn Jahren öffentlicher Rednerei noch nicht zu wissen, daß eine Rede nicht nur ein Dialog, sondern ein Orchesterstück ist: eine Stumme Masse spricht nämlich ununterbrochen mit. Und das mußt du hören. Nein, das brauchst du nicht hören.
Sprich nur, lies nur, donnere nur, geschichtle nur. Zu dem was ich eben über die Technik der Rede gesagt habe, möchte ich noch kurz bemerken, daß viel Statistik eine Rede immer sehr hebt. Das beruhigt ungemein, und da jeder imstande ist, zehn verschiedene Zahlen mühelos zu behalten, so macht das viel Spaß.
Kündige den Schluß deiner Rede lange vorher an, damit die Hörer vor Freude nicht einen Schlaganfall bekommen. (Paul Lindau hat einmal einen dieser gefürchteten Hochzeitstoaste so angefangen: "Ich komme zum Schluß"). Kündige den Schluß an, und dann beginne deine Rede von vorne und rede noch eine halbe Stunde. Dies kann man mehrere Male wiederholen.
Du mußt dir nicht nur eine Disposition machen, du mußt sie den Leuten auch vortragen - das würzt die Rede.
Sprich nie unter anderthalb Stunden, sonst lohnt es gar nicht erst anzufangen.
Wenn einer spricht, müssen die Anderen zuhören - das ist deine Gelegenheit. Mißbrauche sie.

Anmerkung:
Wer möchte solch einer Rede nicht gerne zuhören..:-)))


 Marina antwortete am 12.09.05 (23:23):

Diagnose Exitus

»Ich bin nicht so abergläubisch wie einige von euch Ärzten - Männer der Wissenschaft, wie ihr euch gern nennen lasst«, sagte Hawver als Antwort auf eine Anklage, die niemand erhoben hatte. Einige von Ihnen - nur ein paar, gebe ich zu - glauben an die Unsterblichkeit der Seele und an Erscheinungen, die Geister zu nennen Sie nicht die Ehrlichkeit haben. Ich gehe nicht weiter als bis zur Uberzeugung, daß die Lebenden manchmal gesehen werden, wo sie nicht sind, sondern gewesen sind - wo sie so lange gelebt haben, vielleicht so intensiv, daß sie auf allem um sie her ihren Eindruck hinterlassen haben. Ich weiß nämlich, daß man mit seiner Persönlichkeit seine Umgebung so beeinflussen kann, daß sie noch lange danach den Augen eines anderen das Bild von einem vermittelt. Zweifellos muß man, um einen solchen Eindruck zu hinterlassen, die richtige Art Persönlichkeit sein, wie die wahrnehmenden Augen die richtige Art Augen sein müssen meine, zum Beispiel.«
»Ja, die richtige Art Augen, die Wahrnehmungen an die falsche Art Gehirn übermitteln«, sagte Dr. Frayley lächelnd. »Danke sehr; es ist schön, seine Erwartungen erfüllt zu bekommen; das ist etwa die Antwort, von der ich angenommen hatte, daß Sie sie höflicherweise geben würden.« »Entschuldigen Sie. Aber Sie sagen, Sie wissen. Das ist eine ganz schöne Behauptung, finden Sie nicht? Vielleicht würde es Ihnen nichts ausmachen zu erzählen, wie Sie zu diesem Wissen gekommen sind. «
»Sie werden es eine Halluzination nennen«, sagte Hawver, »aber das spielt keine Rolle.« Und er erzählte die Geschichte.

»Wie Sie wissen, war ich letzten Sommer fort, um die heiße Zeit in der Stadt Meridian zu verbringen. Der Verwandte, in dessen Haus ich hatte bleiben wollen, war krank, deshalb habe ich ein anderes Quartier gesucht. Nach einigen Schwierigkeiten ist es mir gelungen, ein leerstehendes Gebäude zu mieten, in dem einmal ein exzentrischer Doktor namens Mannering gewohnt hatte, der schon vor Jahren fortgegangen war, niemand wußte wohin, nicht einmal sein Verwalter. Er hatte das Haus selbst gebaut und etwa zehn Jahre lang mit einem alten Diener dort gewohnt. Seine Praxis, die nie besonders groß gewesen war, hatte er nach ein paar Jahren völlig aufgegeben. Nicht nur das, sondern er hatte sich fast ganz vom gesellschaftlichen Leben zurückgezogen und war zum Einsiedler geworden. Der Dorfarzt, so ungefähr der einzige, zu dem er überhaupt Beziehungen unterhalten hatte., erzählte mir, daß er sich in seiner Abgeschiedenheit einem einzigen Studienthema widmete, mit Ergebnissen, die er in einem Buch dargelegt hatte, das nicht den Beifall seiner Berufskollegen fand, die ihn im Übrigen für nicht ganz normal hielten. Ich habe das Buch nicht gesehen und kann mich jetzt nicht an den Titel erinnern, aber mir ist gesagt worden, daß es eine ziemlich erschreckende Theorie darlegte. Er war der Meinung, daß es bei vielen Personen von guter Gesundheit möglich sei, ganz genau den Tod vorherzusagen, und zwar etliche Monate vorher. Im Ort gab es Geschichten darüber, wie er seine Fähigkeiten der Prognose eingesetzt hatte, oder vielleicht sollte man Diagnose sagen; und es hieß, daß die Person, deren Freunde er gewarnt hatte, in jedem einzelnen Fall plötzlich zur vorhergesagten Zeit gestorben war, ohne feststellbare Ursache. All das hat aber nichts mit dem zu tun, was ich erzählen will; ich dachte nur, es könnte einen Arzt amüsieren.


 Marina antwortete am 12.09.05 (23:24):

Fortsetzung:

Das Haus war möbliert wie zu der Zeit, als er darin gewohnt hatte. Für einen, der weder Einsiedler noch Forscher war, war es ein ziemlich finsteres Gebäude, und ich glaube, es hat etwas von seinem Charakter auf mich übertragen vielleicht etwas vom Charakter des früheren Bewohners; ich verspürte dort nämlich immer eine gewisse Melancholie, die nicht meine natürliche Veranlagung ist, und die auch nicht, wie ich glaube, auf die Einsamkeit zurückzuführen war.

Ich hatte keine Dienstboten, die im Haus schliefen, aber wie Sie wissen, bin ich immer sehr gern allein gewesen, da ich gern und viel lese, wenn auch weniger zum Studium. Was immer die Ursache war, die Wirkung war jedenfalls Niedergeschlagenheit und ein Gefühl von drohendem Übel besonders in Dr. Mannerings Arbeitszimmer, obwohl dieser
Raum der hellste und luftigste im Haus war- Das lebensgroße Ölportrait des Doktors hing in dem Raum und schien ihn völlig zu beherrschen.
An dem Bild war nichts Ungewöhnliches; offensichtlich sah der Mann recht gut aus, war etwa fünfzig Jahre alt, mit eisengrauem Haar, einem glattrasierten Gesicht und dunklen, ernsten Augen. Etwas an dem Bild zog immer meine Aufmerksamkeit an und fesselte sie. Das Äußere des Mannes wurde mir vertraut und begann, mich zu >bespuken<.
Eines Abends ging ich durch diesen Raum zu meinem Schlafzimmer mit einer Lampe - Gas gibt es nicht in Meridian. Wie üblich blieb ich vor dem Portrait stehen, das im Lampenlicht einen neuen Ausdruck angenommen zu haben schien, der nicht leicht zu benennen ist, aber entschieden unheimlich war. Es hat mich interessiert, aber nicht verstört. Ich habe die Lampe von einer Seite zur anderen bewegt und die Wirkung des veränderten Lichts beobachtet. Während ich so beschäftigt war, spürte ich den Drang, mich umzuwenden. Als ich es tat, sah ich einen Mann, der durch den Raum direkt auf mich zukam! Sobald er nahe genug war, daß die Lampe sein Gesicht beleuchten konnte, sah ich, daß es Dr. Mannering selbst war; es war, als ob das Portrait herumliefe!
>Ich bitte um Vergebung<, sagte ich ein wenig kalt, >aber falls Sie geklopft haben, habe ich es nicht gehört.<
Er ist an mir vorbeigegangen, eine Armlänge entfernt, hat den rechten Zeigefinger gehoben, wie zur Warnung, und dann ist er ohne ein Wort aus dem Zimmer gegangen, wenn ich auch sein Hinausgehen selbst ebensowenig gesehen habe wie sein Hereinkommen.

Natürlich brauche ich Ihnen nicht zu sagen, daß dies das war, was Sie eine Halluzination nennen werden und ich als Erscheinung bezeichne. Der Raum hatte nur zwei Türen, von denen eine abgeschlossen war; die andere führte in ein Schlafzimmer, aus dem es keinen weiteren Ausgang gab. Meine Gefühle, als ich dies begriff, sind kein wesentlicher Teil des Vorfalls.
Zweifellos erscheint Ihnen das als ganz gewöhnliche >Gespenstergeschichte< - konstruiert innerhalb des von den alten Meistern dieser Kunst niedergelegten Rahmens. Wenn das so wäre, hätte ich sie nicht erzählt, selbst wenn sie wahr wäre. Der Mann war nicht tot: ich habe ihn heute auf der Union Street getroffen. Er ist im Gedränge an mir vorbeigegangen.«


 Marina antwortete am 12.09.05 (23:25):

Forts.:

Hawver hatte seine Geschichte beendet, und beide Männer schwiegen. Dr. Frayley trommelte zerstreut mit den Fingern auf den Tisch.
»Hat er heute irgendwas gesagt?« sagte er. »Irgendwas, woraus Sie den Schluß gezogen haben, daß er nicht tot ist?«
Hawver starrte ihn an, ohne zu antworten.
»Vielleicht«, fuhr Frayley fort, »hat er Ihnen ein Zeichen gegeben, eine Geste - einen Finger gehoben wie zur Warnung. Das war so ein Tick von ihm - eine Angewohnheit, wenn er etwas Ernstes sagte - zum Beispiel das Resultat einer Diagnose verkündete.«
»Ja, hat er - genau wie seine Erscheinung es getan hatte. Aber, lieber Himmel, haben Sie ihn denn gekannt?«
Hawver wurde offensichtlich nervös.

»Ich habe ihn gekannt. Ich habe sein Buch gelesen, wie es eines Tages jeder Arzt tun wird. Es ist einer der beeindruckendsten und wichtigsten Beiträge des Jahrhunderts zur medizinischen Wissenschaft. Ja, ich habe ihn gekannt; ich habe ihn behandelt, als er krank war, vor drei Jahren. Er ist gestorben.«
Hawver sprang von seinem Stuhl auf, sichtlich verstört. Er ging hin und her durch den Raum; dann näherte er sich seinem Freund und sagte mit nicht ganz beherrschter Stimme: »Doktor, haben Sie mir irgendwas zu sagen - als Arzt?«
»Nein, Hawver; Sie sind der gesündeste Mensch, den ich je gekannt habe. Als Freund rate ich Ihnen, gehen Sie in Ihr Zimmer. Sie spielen Geige wie ein Engel. Spielen Sie; spielen Sie etwas Leichtes, Lebhaftes. Spielen Sie sich diese verdammt scheußliche Geschichte aus dem Kopf. «
Am nächsten Tag fand man Hawver tot in seinem Zimmer, die Geige am Hals, den Bogen auf den Saiten, die Musik vor ihm aufgeschlagen: Chopins Trauermarsch

Ambrose Bierce (1842-1914)


 Enigma antwortete am 13.09.05 (07:17):

Woher konntest du wissen, dass ich den so gerne mag, Marina??

:-))

Mark Twain
Meine Uhr
Eine lehrreiche kleine Geschichte
(Oder ein Urteil über Fachleute?)

Meine schöne neue Uhr ging nun schon anderthalb Jahre weder vor noch nach, sie war kein einziges Mal stehengeblieben und an dem Werk war nie etwas zerbrochen. Es kam soweit, daß mir ihr Urteil über die Tageszeit für unfehlbar, ihre Konstitution und ihre Anatomie für unverderblich galt. Schließlich aber vergaß ich sie eines Abends aufzuziehen, und über Nacht lief sie ab. Ich trauerte darüber, als sei dies Versehen ein Vorbote von kommendem Unheil und Mißgeschick. Erst allmählich wurde meine Stimmung heiterer, ich zog die Uhr wieder auf, stellte sie nach Gutdünken und schlug mir alle abergläubischen Gedanken und trüben Ahnungen aus dem Sinn.
Am nächsten Morgen trat ich in den Laden des ersten Uhrmachers der Stadt, um meine Uhr genau stellen zu lassen. Der Herr nahm sie mir aus der Hand, um dieses Geschäft für mich zu besorgen.
"Sie geht vier Minuten nach", sagte er dabei, "der Regulator muß vorgeschoben werden."
Ich versuchte ihn daran zu hindern, ich suchte ihm begreiflich zu machen, daß der Gang der Uhr unübertrefflich sei. Vergebens - der Kohlkopf in Menschengestalt sah nur das eine: die Uhr ging vier Minuten nach und der Regulator mußte vorgestellt werden. Ich flehte, er solle die Uhr in Ruhe lassen, ich sprang angstvoll um ihn herum, doch alles umsonst. Mit kaltblütiger Grausamkeit vollbrachte er die schändliche Tat.
Von nun an begann meine Uhr schneller und schneller zu laufen, von Tag zu Tag mehr. Innerhalb einer Woche geriet sie in wahres Fieber, ihr Puls stieg bis auf hundertfünfzig Grad im Schatten. Nach knapp zwei Monaten hatte sie alle Uhren der Stadt weit hinter sich gelassen und war dem Kalender vierzehneinhalb Tage voraus. Noch hing das bunte Oktoberlaub an den Bäumen und sie tummelte sich schon im Novemberschnee. Die Zahltermine für die Hausmiete, für alle fälligen Rechnungen und sonstigen Schulden kamen in so wahnsinniger Hast näher, daß ich mir kaum mehr zu helfen wußte.
So brachte ich sie denn zum Uhrmacher, um sie regulieren zu lassen. Dieser fragte mich, ob sie schon jemals repariert worden sei. Als ich das mit der Bemerkung verneinte, dies sei noch nie nötig gewesen, glitt ein boshaftes Lächeln über seine Züge. Gierig öffnete er die Uhr, guckte hinein, klemmte sich ein Ding ins Auge, das aussah wie ein kleiner Würfelbecher, und betrachtete das Räderwerk genau.
"Sie muß gereinigt und geölt werden", sagte er, "und außerdem reguliert; kommen Sie in einer Woche wieder."
Gereinigt, geölt und reguliert war meine Uhr; aber nun ging sie schrecklich langsam, ihr Ticken klang wie Grabgeläute. Jetzt begannen mir die Eisenbahnzüge vor der Nase wegzufahren, ich kam zu allen Verabredungen zu spät, ja, ich versäumte mein Mittagessen. Allmählich machte meine Uhr aus drei Tagen vier; zuerst wurde es bei mir gestern, dann vorgestern, dann letzte Woche, und schließlich gewann ich die Vorstellung, ich treibe mich einsam und verlassen in der vorletzten Woche herum und die Welt entschwinde meinem Gesichtskreis. Es schien mir, als entwickelte sich in mir so etwas wie ein heimliches Kameradschaftsgefühl für die Mumie im Museum, sowie die Sehnsucht, mit ihr in Gedankenaustausch zu treten.
Ich begab mich zu einem andern Uhrmacher. In meiner Gegenwart nahm er die ganze Uhr auseinander und sagte, der Zylinder sei "gequollen"; in drei Tagen könne er ihn aber wieder auf das richtige Maß bringen.

Fortsetzung!


 Enigma antwortete am 13.09.05 (07:23):

Fortsetzung!

Hierauf hielt die Uhr eine gute Durchschnittszeit, sonst nichts. Den halben Tag raste sie wie der Teufel unter fortwährendem Schnarren, Quieken, Schnauben und Schnaufen, so daß ich vor Lärm meine eigenen Gedanken nicht hören konnte. Keine Uhr im ganzen Lande hätte sie in ihrem tollen Lauf einzuholen vermocht. Den Rest des Tages blieb sie allmählich immer mehr zurück und trödelte derart, daß sie ihren ganzen Vorsprung einbüßte und von sämtlichen Uhren wieder eingeholt wurde. Einmal in vierundzwanzig Stunden aber war sie auf dem richtigen Fleck und gab die Zeit genau an. Dies hielt sie pünktlich ein und niemand hätte daher behaupten können, sie erfülle ihre Pflicht und Schuldigkeit nicht.
An die Tugend einer Uhr stellt man jedoch höhere Ansprüche, als daß sie nur von Zeit zu Zeit richtig geht. Ich trug sie daher abermals zu einem andern Uhrmacher. Er sagte, die Hauptwelle sei zerbrochen, und ich sprach ihm meine Freude darüber aus, daß der Schaden nicht größer sei. Ehrlich gesagt, ich hatte noch nie etwas von einer Hauptwelle gehört, aber ich wollte mich doch einem Fremden gegenüber nicht unwissend zeigen. Die Welle wurde ersetzt; was die Uhr jedoch damit gewann, verlor sie anderswo. Die Uhr ging jetzt eine Weile und dann blieb sie wieder eine Weile stehen, ganz nach ihrem Belieben. Und jedesmal, wenn sie wieder losging, gab es einen Rückstoß wie bei einer alten Muskete. Ein paar Tage lang wattierte ich meine Brusttasche; schließlich brachte ich sie zu einem neuen Uhrmacher.
Der zerlegte sie in einzelne Stücke, drehte die Trümmer vor seinem Vergrößerungsglas hin und her und meinte, es müsse an der "Hemmung" etwas nicht in Ordnung sein. Das besserte er aus und setzte die Uhr wieder zusammen. Nun ging sie gut- nur alle zehn Minuten klappten die Zeiger zusammen wie eine Schere und legten den Rest der Runde gemeinsam zurück.
Der weiseste Mann auf Erden konnte aus solch einer Uhr nicht klug werden, und nicht herausbekommen, welche Tageszeit es sei. Ich ging also zum fünften Uhrmacher, um das Ding reparieren zu lassen. Dieser Mann meinte, der Kristall sei verbogen und die Spiralfeder krumm, auch müsse ein Teil des Werkes neu gefüttert werden. All diese Schäden beseitigte er, und meine Uhr ließ nun nichts mehr zu wünschen übrig, nur dann und wann, nach etwa acht Stunden regelmäßiger Tätigkeit, geriet in ihrem Innern alles in Bewegung; sie begann zu summen wie eine Biene, und die Zeiger rasten so rasch ums Zifferblatt, daß man sie nicht mehr unterscheiden konnte, und sie nur noch ein zartes Spinngewebe darstellten. In sechs oder sieben Minuten hatte sie die nächsten vierundzwanzig Stunden durchwirbelt, dann blieb sie mit einem Knall ganz stehen.
Schweren Herzens ging ich zu einem weitern Uhrmacher und sah zu, wie er das Werk auseinander nahm. Dabei ermannte ich mich, ihn in ein strenges Verhör zu nehmen, denn die Sache ging mir jetzt über den Spaß. Ursprünglich hatte die Uhr zweihundert Dollar gekostet, und ich hatte jetzt bereits etwa zwei- bis dreitausend für Reparaturen ausgegeben. Während ich dem Manne zusah, kam er mir plötzlich bekannt vor. Nein, ich irrte mich nicht- der Uhrmacher war ein früherer Dampfbootmaschinist, und nicht einmal ein guter. Er betrachtete die Teile sorgfältig, genau wie die andern Uhrmacher auch, und fällte dann seinen Urteilsspruch mit derselben Überzeugung.
Er sagte: "Sie entwickelt zuviel Dampf - wir müssen den Schraubenschlüssel an das Sicherheitsventil hängen!"
Ich schlug ihm auf der Stelle den Schädel ein und ließ ihn auf meine Kosten begraben. Mein Onkel William - Gott hab ihn selig! - pflegte zu sagen, ein gutes Pferd sei ein gutes Pferd, bis es einmal durchgegangen wäre, und eine gute Uhr eine gute Uhr, bis sie den Reparierern in die Hände fiele. Er zerbrach sich oftmals den Kopf, was denn eigentlich aus allen erfolglosen Kesselflickern, Büchsenmachern, Schustern, Hufschmieden und Maschinisten schließlich würde - aber niemand konnte ihm je Auskunft geben.