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THEMA:   Gedichte Kapitel 35

 208 Antwort(en).

Karl begann die Diskussion am 20.03.05 (15:40) :

Joachim Ringelnatz 1883-1934

Wenn die Schokolade keimt,
Wenn nach langem Druck bei Dichterlingen
"Glockenklingen" sich auf "Lenzesschwingen"
Endlich reimt
Und der Osterhase hinten auch schon preßt,
Dann kommt bald das Osterfest.


 Karl antwortete am 20.03.05 (18:39):

Auf ein Ei geschrieben
( von Eduard Mörike,
* 8. September 1804, † 4. Juni 1875 )

Ostern ist zwar schon vorbei,
Also dies kein Osterei;
Doch wer sagt, es sei kein Segen,
Wenn im Mai die Hasen legen?
Aus der Pfanne, aus dem Schmalz
Schmeckt ein Eilein jedenfalls,
Und kurzum, mich tät's gaudieren,
Dir dies Ei zu präsentieren.
Und zugleich tät es mich kitzeln,
Dir ein Rätsel drauf zu kritzeln.


Die Sophisten und die Pfaffen
Stritten sich mit viel Geschrei:
Was hat Gott zuerst erschaffen
Wohl die Henne? Wohl das Ei?


Wäre das so schwer zu lösen?
Erstlich ward das Ei erdacht:
Doch, weil noch kein Huhn gewesen,
Schatz, so hat der Hase es gebracht.


 lola antwortete am 21.03.05 (07:56):

(Aus Lob des Schweins)

Das Menschenvolk verachtet dich vergebens;
    Der weise Epikur                                                  
Verspricht uns ja das höchste Glück des Lebens,
    Wenn wir dir gleichen, nur.
 
Der stolze Mensch in seinem Hoheitstraume
    Vergaß schon ganz und gar
Der Eichelkost, die unter einem Baume war.
 
Ja, die Gemeinschaft wäre ganz verschwunden,
    Die dich zu uns gesellt,
Hätt' nicht ein grosser Heil'ger mit fünf Wunden
    Sie wieder hergestellt.
 
Und hält dich gleich das Volk, das durch sein Stinken
    Berühmt ist, nicht für rein,
So weiht man doch um Ostern deine Schinken
    Für Christenmägen ein.
 
Und sind gleich deine groben Borsten nimmer
    Von Schmutz und Koth befreit,
So danken wir doch diesen Borsten immer
    All' uns're Reinlichkeit.
 
Dein köstlich Fleisch nimmt ohne viel Beschwerde
    Beim schlecht'sten Futter zu:
Der Mensch verschlingt den Fünftelsaft der Erde:
    Und nützt er so, wie du?
 
Sogar dein Speck kann uns in manchem Stücke
    Von grossem Nutzen sein:
O würde doch so mancher, der vom Glücke
    Sich mästen läßt - ein Schwein!
 
[Blumauer: Sämmtliche Gedichte. (vgl. Blumauer-Sämtl. Ged., S. 129)]


 Enigma antwortete am 21.03.05 (08:21):

In meiner Stadt gab (und gibt es noch - allerdings eingeschränkt -) Steinkohlebergbau.
Und früher gab es auch Grubenpferde.
Und ein Gedicht zum Grubenpferd gibt es auch. :-)

Gerd Meussen
Das letzte Grubenpferd

In einer schwarzen Vollmondnacht,
da bin ich plötzlich aufgewacht.
Vor meinem Bette stand ein Tier,
sah ernst mich an und sprach zu mir:

"Nur keine Bange, lieben Gerd!
Ich bin dat letzte Grubenpferd!
Mach mich `ne Tafel, drauf zu lesen,
datt ich zwar doof, doch treu gewesen!"

So sprach das Pferd und es verschwand
bescheiden leuchtend durch die Wand.
Nett, dass es mich besucht. Allein -
das kann doch wohl kein Zufall sein.


 yankee antwortete am 21.03.05 (13:58):

Ein Ostergedicht

Wer ahnte, dass zum Weihnachtsfest
Cornelia mich sitzen lässt?

Das war noch nichts: zu Ostern jetzt
hat sie mich abermals versetzt!

Nun freu ich mich auf Pfingsten -
nicht im geringsten!

(Heinz Erhardt)


 Enigma antwortete am 21.03.05 (16:27):

Fred Endrikat: Pessimist im Lenz

Die Sonne lacht. Ja, ja - die hat gut lachen,
sie steht am Himmel frisch, fromm, frei und froh,
Wenn ich die Sonne wär' - ich würd' es auch so machen.
Mir geht mit Grundeis leider der Popo.

Der Flieder blüht. Ja, ja - der hat gut blühen,
ihn schützt der Zaun und eine Gartentür.
Er ist geschützt vor Ochsen und den Kühen.
Ich stehe außerhalb - und wer schützt mir?

Die Amsel lockt. Ja, ja - die hat gut locken,
sie sitzt im Baum, es jubelt fern und nah.
Es jubeln alle Kirchen-, Kuh- und Käseglocken:
Der Lenz und der Gerichtsvollzieher sind da.


 pilli antwortete am 22.03.05 (10:37):

Das Häslein

Unterm Schirme, tief im Tann,
hab ich heut gelegen,
durch die schweren Zweige rann
reicher Sommerregen.

Plötzlich rauscht das nasse Gras -
stille! Nicht gemuckt! -:
Mir zur Seite duckt
sich ein junger Has -

Dummes Häschen,
bist du blind?
Hat dein Näschen
keinen Wind?

Doch das Häschen, unbewegt,
nutzt, was ihm beschieden,
Ohren, weit zurückgelegt,
Miene, schlau zufrieden.

Ohne Atem lieg ich fast,
lass die Mücken sitzen;
still besieht mein kleiner Gast
meine Stiefelspitzen ...

Um uns beide - tropf - tropf - tropf -
traut eintönig Rauschen ...
Auf dem Schirmdach - klopf - klopf - klopf ...
Und wir lauschen ... lauschen ...

Wunderwürzig kommt der Duft
durch den Wald geflogen;
Häschen schnuppert in die Luft,
fühlt sich fortgezogen;

Schiebt gemächlich seitwärts, macht
Männchen aller Ecken ...
Herzlich hab ich aufgelacht -:
Ei, der wilde Schrecken!
(Christian Morgenstern)

Internet-Tipp: https://www.onlinekunst.de/ostern/hase/index.html


 tiramisusi antwortete am 22.03.05 (17:51):

wo wir grad bei Morgenstern sind ...

Das große Lalula

Kroklokwafzi? Semememi!
Seiokrontro - prafriplo:
Bifzi, bafzi; hulalemi:
quasti basti bo...
Lalu lalu lalu lalu la!

Hontraruru miromente
zasku zes rü rü?
Entepente, Leiolente
klekwapufzi lü?
Lalu lalu lalu lalu la!

Simarar kos malzipempu
silzuzankunkrei (;)!
Marjomar dos: Quempu Lempu
Siri Suri Sei []
Lalu lalu lalu lalu la!

Kindersprache? Dada? Gaga? Nonsens oder was hat es mit Schach zu tun, das Gedichtchen...:-)

Siehe Link

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/RtZZ9xvLJ


 Enigma antwortete am 23.03.05 (09:25):

aus: Robert Gernhardt: Wörtersee, Haffmans/Zweitausendeins, '81

Robert Gernhardt: Geständnis

Ihr fragt nach meinem Lieblingssport?
Nun gut, es ist der Mord.

Ja, ich sag's laut, ich morde gern,
besonders, wenn es heiß ist,
und wenn das Wasser in dem See
so klar und kalt wie Eis ist.

Dann ziehe ich die Kleider aus
und springe in die Wellen,
um dort mit Karpfen, Barsch und Aal
durchs kühle Naß zu schnellen.

Ja Bürger, lache nur getrost
und bleib in deinem Bette -
ich morde derweil frisch und froh
mit Fischen um die Wette.

Wie? Was?
Ich hör' ein Widerwort?
Der Sport heißt Schwimmen?
Und nicht Mord?
Wie war das nochmal?
Schwimmen?
Moment - ihr seht mich sehr verwirrt...
Mein Gott - vielleicht hab' ich geirrt...
Doch - Schwimmen könnte stimmen.

Internet-Tipp: https://www.aliaflanko.de/bogi/gernhardt/gernh23.htm


 TouchMe antwortete am 24.03.05 (20:08):

Bevor ich sterbe!

Bevor ich sterbe möchte ich geboren werden,
hier auf Mutters Erden -
möchte ich die Schönheit sehn
und den Sinn des Lebens verstehn.

Ich möchte etwas Besonderes tun
und trotzdem in meinem eigenen Herzen ruhn.
Auch möchte ich vorher noch begreifen,
wie Samen zu Früchte reifen.

Meine Gedanken sollten sich
mit Gestern versöhnen
und Lust und Freude zu meinem Herrscher krönen.
Ich möchte ein unbeschwertes Kinderlachen erleben
und anderen Menschen Trost und Hilfe geben.

Bevor ich sterbe möchte ich Großes vollbringen,
z.B. ein Hohelied an die Liebe singen.
Ich möchte vergeben und verzeihn
und mich bedingungslosen der Ewigkeit weihn.

Ich möchte das Fremde entdecken
und das Gute daran zum Leben erwecken.
All meine Erkenntnisse möchte ich überwinden
und trotzdem meine Wurzel darin finden.

Bevor ich sterbe möchte ich die Liebe spührn
und meine Träume zu Tatsachen kürn.
Ich möchte meine Erbschuld begleichen
und jemanden hilfreich die Hände reichen.

Meiner Seele möchte ich ein Zuhause geben
und im Herzen eines geliebten Menschen weiterleben.
Ich möchte es noch erreichen
dass meine Ideale dem Geschehen weichen.

Bevor ich sterbe
möchte ich in die Gegenwart reisen
um die Größe meiner Ahnen zu preisen.

lg
TouchMe

Internet-Tipp: https://www.acutouchpointer.at


 Enigma antwortete am 25.03.05 (08:48):

Paul Leppin
dein blaues kleid

dein blaues kleid ist irgendwie versöhnlich,
kornblumenfarben, schön und ungewöhnlich.
es hat den kühlen hauch der brunnenkresse,
der tiefen mondnacht milde silberblässe.

in bösen augenblicken der verliebnis
ist so ein kleid ein trost in der betrübnis.
sandige wüste quälende ekstase
besänftigt sich beim anblick der oase.

wenn schwere not sich in die herzen senkte,
stellt himmelsglanz sich schützend vor bedrängte:
erfahrne frauen wissen es genau:
rot ist die leidenschaft, die liebe blau.

Internet-Tipp: https://www4.in.tum.de/~fleischa/privat/interessen/literatur/gedichte


 TouchMe antwortete am 25.03.05 (09:20):

Danke, lieber Gott!

Danke, lieber Gott
für meinen alles geliebten Mann,
dass ich Dich durch ihn, auch auf dieser Welt
so richtig lieben und verehren kann.

Er ist einer, der es versteht
mich durch Taten zu belehren -
der meine tauben Sinne belebt,
und sich auch nicht scheut,
mich zu begehren.

Er ist einer, der sich, genauso wie Du
nicht lange um was bitten lässt;
ein Mann mit Leidenschaft und Takt,
der mich niemals belügt oder vergisst.
und der sich auch nicht über die vergossene Milch
von gestern beklagt.

Er ist mein Herz, in dem ich zu Hause bin
ein Lebensgefährte mit gütigem Sinn -
der in unserer Liebe seine Erfüllung findet
und mit dem mich auch wahre Freundschaft verbindet.

Dafür danke ich Dir heute,
bitte, fange für nicht mehr zu suchen an -
was mich am allermeisten freute
schenktest Du mir bereits -

Deinen Stellvertreter auf Erden -
meinen alles geliebten Mann.

TouchMe

Internet-Tipp: https://www.acutouchpointer.at


 tiramisusi antwortete am 25.03.05 (14:43):

@enigma: habe beim Suchen doch tatsächlich entdeckt, dass Du mein Lieblingsgedicht von D.Thomas schon einmal in deutscher Übersetzung gepostet hattest - wunderschöne. Hier ist noch ein Dylan Thomas:

Da wir nur Menschen sind

Da wir nur Menschen sind, schritten wir in den Wald,
Furchtsam, und acheteten auf leise Silben,
Aus Angst, die Raben aufzuwecken,
Aus Angst, geräuschlos
Einzugehn in eine Welt aus Flügeln und Gekreisch.

Wären wir Kinder, stiegen wir hinauf
Und fingen, ohne einen Zweig zu brechen, die Raben im Schlaf,
und nach dem leisen Aufstieg
Streckten wir unsre Köpfe oben aus den Ästen
Um die unweigerlichen Sterne zu bestaunen.

Aus der Verwirrung, wie's so geht,
und aus dem menschvertrauten Staunen,
Aus diesem Chaos wüchse Glück.

Das also, sagten wir, ist Schönheit,
Kinder, die staunend in die Sterne schaun,
Ist Ziel und Zweck.

Da wir nur Menschen sind, schritten wir in den Wald.


 Enigma antwortete am 26.03.05 (09:26):

Guten Morgen,

@tiramisusi
...das hatte ich aber schon vergessen. Aber ich gucke auch nicht immer nach, ob was schon mal so oder ähnlich gepostet war. Es schadet ja auch nicht, schöne Sachen noch einmal zu lesen.
Und das letzte jetzt gefällt mir auch sehr gut.


Marina Zwetajewa
Die Stirne küssen-verscheucht die Sorgen.
Ich küß die Stirn.

Die Augen küssen - heilt den Schlaflosen.
Ich küß die Augen.

Die Lippen küssen- stillt den Durst.
Ich küß die Lippen.

Die Stirne küssen - löscht das Gedächtnis.
Ich küß die Stirn.





 tiramisusi antwortete am 26.03.05 (10:04):

Hallo enigma - oh ich habe mich seh gefreut, das hier zu finden - zumal ich die deutsche Übersetzung nicht kannte - und ich finde sie sehr gelungen. Manchmal klappt das auch mit Gedichten aus dem Spanischen, wenn sie ins Deutsche übertragen werden, die Lyrik des wunderbaren Rafael Alberti gehört zum Teil dazu (das Milva-Lied "Es irrte sich eine Taube" ist zB ein gedicht von ihm)

Rafael Alberti:
MATROSE AN LAND

Wenn meine Stimme an Land stirbt,
bringt sie hinunter ans Meer
und laßt sie mir am Strande.

Bringt sie hinunter ans Meer
und ernennt sie zum Kapitän
auf einem weißen Kriegsschiff.

Oh, meine Stimme mit dem
großen Seemannsorden!
Über dem Herzen ein Anker
und über dem Anker ein Stern
und über dem Stern der Wind
und über dem Wind das Segel!

Marinero en tierra
Si mi voz muriera en tierra,
llevadla al nivel del mar
y nombradla capitana
de un blanco bajel de guerra.
¡Oh mi voz condecorada
con la insignia marinera:
sobre el corazón un ancla
y sobre el ancla una estrella
y sobre la estrella el viento
y sobre el viento la vela!


 tiramisusi antwortete am 26.03.05 (12:45):

Rafael Alberti
Es irrte sich eine Taube
Wie sie sich irrte.
Sie wollt nach Nord
und flog nach Süden.
Sie hielt das Korn
für das Wasser.
Wie sie sich irrte.
Sie hielt das Meer
für den Himmel
und die Nacht für den Tag.
Wie sie sich irrte.
Sie hielt für Tau die Sterne,
die Hitze für den Schnee.
Wie sie sich irrte.
Deinen Rock für dein Hemd,
Dein Herz für ihr Zuhause.
Wie sie sich irrte,
wie sie sich irrte.

(Sie ist am Strand entschlafen,
Du in einer Baumkrone.)


Se equivocó la paloma
Se equivocaba.
Por ir al norte, fué al sur.
Creyó que el trigo era agua.
Se equivocaba.
Creyó que el mar era el cielo;
que la noche, la mañana.
Se equivocaba.
Que las estrellas, rocío;
que la calor, la nevada.
Se equivocaba.
Que tu falda era tu blusa;
que tu corazón su casa.
Se equivocaba.
(Ella se durmió en la orilla.
Tú, en la cumbre de una rama.)

Spanisch vertont von Joan Manuel Serat
Deutsch gesungen von Milva


 Enigma antwortete am 28.03.05 (14:45):

Hallo tiramisusi,

gut, dass die Übersetzungen dabei waren, sonst hätte ich die schönen Gedichte ja überhaupt nicht geniessen können, weil ich leider nur ein paar "Touristennotbrocken" beherrsche. :-)

Und nun wieder ganz anders:

Fritz Graßhoff
Im Tingeltangel tut sich was

Im Tingeltangel tut sich was,
das Publikum sitzt leichenblaß
und schaudernd im Parkett:
der Fakir war so aufgeregt,
er hat die Dame durchgesägt
kurz unter dem Korsett.
Der Vorhang fällt, das Licht geht an.
Gleich ist die nächste Nummer dran.
Das Licht geht aus, es klingelt schon.
Da steigt die nächste Attraktion.

Im Tingeltangel tut sich was,
die Leute wischen leichenblaß
den Schweiß aus dem Gesicht.
Der Magier schlägt Höllenkrach,
er kriegt sein Medium nicht wach.
Er schafft und schafft es nicht.
Der Vorhang fällt, das Licht geht an.
Gleich ist die nächste Nummer dran.
Das Licht geht aus, es klingelt schon.
Da steigt die nächste Attraktion.

Im Tingeltangel tut sich was,
die Leute springen leichenblaß
von ihren Plätzen auf.
Der Degenschlucker schnauft und lutscht,
ihm ist der Degen reingerutscht
mit Klinge, Griff und Knauf.
Der Vorhang fällt, das Licht geht an.
Gleich ist die nächste Nummer dran.
Das Licht geht aus, es klingelt schon.
Da steigt die nächste Attraktion.

Im Tingeltangel tut sich was,
das Publikum stürzt leichenblaß
und kreischend zum Entree.
Die Riesendame ist zerpufft,
die Stücke fliegen durch die Luft
und klatschen auf's Buffet.
Das Licht geht an, der Vorhang fällt.
Das Publikum verlangt sein Geld.
Die Direktion bedauert sehr.
Die nächste Nummer steigt nicht mehr.


 schorsch antwortete am 28.03.05 (15:49):

Karl, bitte bei "Sollen Ihnen alle Antworten zu diesem Thema per E-Mail zugeschickt werden?" das Häken wegmachen. Ich habe keines gesetzt, bekomme aber die Beiträge frei Haus geliefert. Und wo nichts gesetzt ist, kann auch nichts weggenommen werden.

Danke und Gruss

Schorsch


 Marina antwortete am 28.03.05 (18:31):

Weltende

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
Und an den Küsten - liest man - steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Jakob van Hoddis 1911


 Marina antwortete am 28.03.05 (18:37):

Die Dämmerung

Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.

Auf lange Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Felde zwei Lahme,
Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.

An einem Fenster klebt ein fetter Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.

Alfred Lichtenstein 1911


 Marina antwortete am 28.03.05 (19:04):

Wahrlich
(für Anna Achmanova)

Wem es ein Wort nie verschlagen hat,
und ich sage es euch,
wer bloß sich zu helfen weiß
und mit den Worten . . .

dem ist nicht zu helfen.
Über den kurzen Weg nicht
und nicht über den langen.

Einen einzigen Satz haltbar zu machen,
auszuhalten in dem Bimbam von Worten.

Es schreibt diesen Satz keiner,
der nicht unterschreibt.

Ingeborg Bachmann


 tiramisusi antwortete am 28.03.05 (20:50):

Nun, mein Täubchen ...

Nun, mein Täubchen, ist's soweit,
jetzt will ich dir mal was sagen:
Dein Getue langweilt mich,
kann's nicht länger mehr ertragen.

Deine Launen habe ich
lang genug dir durchgehn lassen,
wollt wie jeder andre schon
längst den Laufpaß dir verpassen.

Hätt ich nicht solch gutes Herz!
Doch der Teufel soll es holen!
Oft genug hat es mich schon
um das schönste Glück bestohlen.

Um den Finger laß ich mich
nicht mehr wickeln von euch Gören!
Anders wird das nun ab heut!
Ja, das kann ich dir beschwören!

Glaube mir, aus ist der Spaß!
Ernst, mein Kind, wird nun die Lage!
Hör gut zu, was ich dir jetzt
feierlich entschlossen sage:

Mit den Faxen ist jetzt Schluß!
Schluß jetzt mit der Unschuldsmiene
Gleich gibst du mir einen Kuß,
wie ich es schon längst verdiene!

Sandor Petöfi (1823-1849)


 tiramisusi antwortete am 28.03.05 (20:59):

Wiegenlied

Solang die Welt noch Licht hat
und mein Kindchen wach ist,
machen ihm in seiner Wiege
alle Dinge beständig Zeichen.

Auf der Straße die Bäume machen
mit ihren gelben Fingern ihm Zeichen,
und nachher kommen Wolken
die machen Sprünge wie Böckchen.

Die Zikade, mittags,
macht ihm Zeichen mit ihrem Knarren,
und der schlaue Wind
macht ihm Zeichen mit seiner Windel.

Wenn es Nacht wird, macht
ein verstohlenes Zeichen die Grille,
und die Sterne, wenn sie aufgehn,
machen ihm ihre heiligen Zeichen.

Ich sag zu der andern Mutter,
der mit den vielen Wegen:
— »Laß deinen Kleinen schlafen,
damit meiner einschläft!«

Und sie, die immer zustimmt,
die mit Wegen gestreifte,
sagt: — »Laß deinen schlafen,
damit meiner einschläft.«

Gabriela Mistral
geboren als Lucila Godoy y Alcayaga, Tochter eines Volksschullehrers, am 7. April 1889 in Vicuña (Chile)
gestorben an einem langen Krebsleiden 1957. La Divina nannten ie Chilenen sie - die Göttliche.

1945 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur -
"Für ihre von starkem Gefühl getragene Lyrik, die ihren Namen zu einem Symbol für die ideellen Bestrebungen der lateinamerikanischen Welt gemacht hat".


 tiramisusi antwortete am 28.03.05 (21:10):

Noch ein Gedicht von Gabriela Mistral - deren grosse Liebe sich sehr jung das Leben nahm und die so viele Gedichte über Liebe, Mutterschaft und Kinder schrieb, die ihr aber ein Lebenlang versagt blieben --

Scham

Wenn du mich anblickst, werd' ich schön,
schön wie das Riedgras unterm Tau.
Wenn ich zum Fluss hinuntersteige,
erkennt das hohe Schilf mein sel'ges Angesicht
nicht mehr.

Ich schäme mich des tristen Munds,
der Stimme, der zerriss'nen, meiner rauhen Knie.
Jetzt, da du mich, herbeigeeilt, betrachtest,
fand ich mich arm, fühlt' ich mich bloss.

Am Wege trafst du keinen Stein,
der nackter wäre in der Morgenröte
als ich, die Frau, auf die du deinen Blick geworfen,
da du sie singen hörtest.

Ich werde schweigen. Keiner soll mein Glück
erschaun, der durch das Flachland schreitet,
den Glanz auf meiner plumpen Stirn nicht einer sehen,
das Zittern nicht von meiner Hand...

Die Nacht ist da. Aufs Riedgras fällt der Tau.
Senk lange deinen Blick auf mich. Umhüll mich
zärtlich durch dein Wort.
Schon morgen wird, wenn sie zum Fluss hinuntersteigt,
die du geküsst, von Schönheit strahlen.


 Enigma antwortete am 29.03.05 (08:53):

Christina G. Rosetti
1830-1894

Lied

Bin ich einst tot, mein Liebster,
sing keine Trauermessen;
pflanz mir zu Häupten Rosen nicht
noch schattige Zypressen:
Laß grünes Gras mich decken,
das Tau und Regen näßt;
und wenn ihr wollt, gedenket,
und wenn ihr wollt, vergeßt.

Ich sehe nicht die Schatten,
spür nicht des Regens Fall;
hör nicht den schwermutsatten
Gesang der Nachtigall;
und träumend lang im Dämmer,
der nimmer steigt noch fällt,
wer weiß, ob ich gedenke,
ob ich vergeß der Welt.

[aus dem Englischen von Hans Hennecke]

Lyrik des Abendlandes. München u. Wien: Carl Hanser Verlag 1978


 Marina antwortete am 29.03.05 (11:31):

Prognose

Ich werde mal an etwas sterben.
Soviel ist sicher, ungewiß
ist lediglich, woran. Die Erben
kratzts nicht. Denn eines ist gewiß:
Mal werde ich an etwas sterben.

Ich werd an etwas sterben, einmal.
Noch ist es nicht soweit. Gewiß
ist jedoch eins: Da droht kein Reinfall.
Denn eins ist sicher: Ungewiß
ist nichts. Dies Einmal wird kein Keinmal.

Robert Gernhardt


 Marina antwortete am 29.03.05 (11:56):

Nachruf

Ich werde sterben, wie die Vielen sterben;
Durch dieses Leben wird die Harke gehn
Und meinen Namen in die Scholle kerben.
Ich werde leicht und still und ohne Erben
Mit müden Augen kahle Wolken sehn.

Den Kopf so neigen, so die Arme strecken
Und tot sein, ganz vergangen sein, ein Nichts.
Und Bettler klammern noch die Wanderstrecken
Wie Zauberruten, stehn an Straßenecken,
In leerem Hut das Gold des Abendlichts,

Das ihre magren Finger doch nicht halten,
Dafür der Händler nie Kartoffeln tauscht.
Ich aber liege satt und warm im Kalten,
Und Zorn und Gram und Lust und Händefalten
Sind Meer, davon die große Muschel rauscht . . .

Ich war. Und werde Staub, den Füße trampeln.
Ich weiß es. Ihr. Ihr starbet lang und seid.
Die Krämer rechnen und die Nasen hampeln;
Ihr wartet schweigend unter roten Ampeln
So sanft und unerbittlich wie das Leid,

Den Arm noch festgeschnallt am Henkerkarren
Und einem strahlt das Messer in der Brust.
Da raffen Diebe, und da peitschen Narren,
Und ich bin Staub, den tausend Füße scharren,
Ich bin - und habe doch von euch gewußt.

Und hab auf diesem Antlitz euch getragen;
Der schwache Spiegel war es, der euch fing,
Der hingestürzt, erblindet und zerschlagen.
Ach ich. Was bin ich euren ewigen Tagen
Als Blick, als Sandkorn, rinnend und gering?

Die weiche Krume Lehm, die ihr geknetet
Und noch zur Form mit harten Händen zwingt.
Ihr. Die ihr ernst aus euren Nischen tretet,
Was wißt ihr von dem Herzen, das euch betet,
Was von dem Mund, der eure Glorie singt?

Gertrud Kolmar

Am 10.12.1894 in Berlin geboren, verschollen seit Februar/März 1945 (vermutlich nach Auschwitz deportiert)


 Enigma antwortete am 30.03.05 (10:46):

...ja, Gertrud Kolmar sagt mir auch viel..

Stefan Zweig
Die Zärtlichkeiten

Ich liebe jene ersten bangen Zärtlichkeiten,
Die halb noch Frage sind und halb schon Anvertraun,
Weil hinter Ihnen schon die andern Stunden schreiten,
Die sich wie Pfeiler wuchtend in das Leben baun.

Ein Duft sind sie; des Blutes flüchtigste Berührung,
Ein rascher Blick, ein Lächeln, eine leise Hand -
Sie knistern schon wie rote Funken der Verführung
Und stürzen Feuergarben in der Nächte Brand.

Und sind doch seltsam süß, weil sie im Spiel gegeben
Noch sanft und absichtslos und leise nur verwirrt,
Wie Bäume, die dem Frühlingswind entgegenbeben,
Der sie in seiner harten Faust zerbrechen wird.

Internet-Tipp: https://www.dhm.de/lemo/html/biografien/ZweigStefan


 pilli antwortete am 01.04.05 (08:03):

In meinem glühendsten Tulpenbaum
tausend Blüten!

Eine süße Stimme singt:
Blaue Flügel aus Perlmutter,
als Hochzeitsbett ein Lilienblatt,
eine ganz kleine Prinzessin!

Keiner kennt mich.

Niemand weiß,
wo mein Haus steht.

Sieben Regenbogenbrücken
funkeln zu ihm durch meinen Garten.

Wenn in deine Seele die Sonne scheint,
besuch mich mal.

Hörst du?

Starr, aus Schlangen gewunden,
steht der Baum.

Ein Windstoss rüttelt,
wie tanzende Flammen wehn seine Blüten.
(Arno Holz)


 Margit antwortete am 01.04.05 (10:21):

Spruch des Konfuzius

Dreifach ist der Schritt der Zeit:
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit.

Keine Ungeduld beflügelt
Ihren Schritt, wenn sie verweilt.
Keine Furcht, kein Zweifeln zügelt
Ihren Lauf, wenn sie enteilt.
Keine Reu, kein Zaubersegen
Kann die Stehende bewegen.

Möchtest du beglückt und weise
Endigen des Lebens Reise,
Nimm die Zögernde zum Rat,
Nicht zum Werkzeug deiner Tat.
Wähl' nicht die Fliehende zum Freund,
Nicht die Bleibende zum Feind.

Friedrich Schiller


 Marina antwortete am 01.04.05 (11:13):

Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration


Als er siebzig war und war gebrechlich
Drängte es den Lehrer doch nach Ruh
Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich
Und die Bosheit nahm an Kräften wieder zu.
Und er gürtete den Schuh.

Und er packte ein, was er so brauchte:
Wenig. Doch es wurde dies und das.
So die Pfeife, die er immer abends rauchte
Und das Büchlein, das er immer las.
Weißbrot nach dem Augenmaß.

Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es
Als er ins Gebirg den Weg einschlug.
Und sein Ochse freute sich des frischen Grases
Kauend, während er den Alten trug.
Denn dem ging es schnell genug.

Doch am vierten Tag im Felsgesteine
Hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt:
"Kostbarkeiten zu verzollen?" - "Keine."
Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach:
"Er hat gelehrt."
Und so war auch das erklärt.

Doch der Mann in einer heitren Regung
Fragte noch: "Hat er was rausgekriegt?"
Sprach der Knabe: "Daß das weiche Wasser in Bewegung
Mit der Zeit den mächtgen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt."

Daß er nicht das letzte Tageslicht verlöre
Trieb der Knabe nun den Ochsen an.
Und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre.
Da kam plötzlich Fahrt in unseren Mann
Und er schrie: "He du! Halt an!

Was ist das mit diesem Wasser, Alter?"
Hielt der Alte: "Intressiert es dich?"
Sprach der Mann: "Ich bin nur Zollverwalter,
Doch wer wen besiegt, das intressiert auch mich.
Wenn du's weißt, dann sprich!

Schreib mir's auf! Diktier es diesem Kinde!
So was nimmt man doch nicht mit sich fort.
Da gibt's doch Papier bei uns und Tinte
Und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort.
Nun, ist das ein Wort?"

Über seine Schulter sah der Alte
Auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh.
Und die Stirne eine einzge Falte.
Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.
Und ermurmelte: "Auch du?"

Eine höfliche Bitte abzuschlagen
War der Alte, wie es schien, zu alt.
Denn er sagte laut: "Die etwas fragen,
Die verdienen Antwort." Sprach der Knabe:
"Es wird auch schon kalt.
Gut, ein kleiner Aufenthalt."

Und von seinem Ochsen stieg der Weise
Siebe Tage schrieben sie zu zweit.
Und der Zöllner brachte Essen
(und er fluchte nur noch leise
Mit den Schmugglern in der ganzen Zeit).
Und dann war's soweit.

Un dem Zöllner händigte der Knabe
Eines Morgens einundachtzig Sprüche ein
Und mit Dank für eine kleine Reisegabe
Bogen sie um jene Föhre ins Gestein.
Sagt jetzt: kann man höflicher sein?

Aber rühmen wir nicht nur den Weisen
Dessen Name auf dem Buche prangt!
Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.
Darum sei der Zöllner auch bedankt:
Er hat sie ihm abverlangt.

Bertold Brecht


 hl antwortete am 01.04.05 (14:07):

Corona

Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt:
Wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster,
sie sehen uns zu von der Straße
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.

Paul Celan


 hl antwortete am 01.04.05 (14:09):


Wunschlied

Du solltest zu mir kommen in der langen Nacht.
Sie hätt aus Silberseide dir ein Bett gemacht.

Drum solltest du bei mir schlafen die ganze lange Nacht;
Mein kleines dunkles Auge war ein tiefer, tiefer Schacht.

Mein Auge war ein Brunnen, im Grunde Geisterlicht,
Da schautest du unter der Wirklichkeit allen Glückes Gesicht.

Träume blieben in Stunden stehn und sahn dich an: Es ist wahr.
Sehnsucht würf den Flügelhut aus ihrem brennenden Haar.

Alles was süß ist und warm ist, leis deine Lider nur streift,
Hätt Nacht in roter gespaltener Frucht für deine Lippen gereift.

Meine Locken wären feines braunes Gras und Kraut,
Aus den Halmen sprängen Blüten, wie du sie nie geschaut.

Blüten von so fremdem Duft, Blüten von so seltnem Schein
Schüteten mit unaufhörlich sachtem Rieseln ganz dich ein.

Aber meine Arme kröchen, listigen Schlangen gleich,
Durch den Blumenwald zu dir, schön und schwellend, bunt und weich.

In schillernde Schlingen verstrickt, in Blütenwehe verschneit -
Könntest du noch erwachen vor lauter Seligkeit?

Gertrud Kolmar


 pilli antwortete am 02.04.05 (03:34):

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.

Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.

Sie kommen durch euch, aber nicht von euch.

Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.

Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken.

Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.

Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen.

Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.

Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein; aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.

Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern.

Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als Lebende Pfeile ausgeschickt werden.

Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit, und er spannt euch mit seiner Macht, damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.

Lasst euren Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein.

Denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.
(Khalil Gibran)

...

gewidmet A & O, die mir heute nacht um 0.07uhr die prinzessin meines herzens, Sophie Emily, vorgestellt haben.

:-)


 Enigma antwortete am 02.04.05 (07:41):

Guten Morgen,

Pilli, was für ein wunderbares Geschenk.
Herzlichen Glückwunsch an Dich und die Eltern und für die kleine Sophie Emily ein gutes Leben...
Ich freue mich sehr für Euch!

Natalie von Herder
(1802-1871)

Das Kind und der Weise

Nach dem Französischen

Ein muntres Kind mit dunklem Haar,
Gar lieblich frischen Wangen,
Und einem klugen Augenpaar,
Kommt eilig früh gegangen,
Als kaum der Morgen aufgethan
Die große Himmelspforte,
Und klopft bei ihrem Nachbar an
Mit dem bescheid'nen Worte:
»Erlaubt Ihr, Herr Professor, mir,
»Daß ich ein Stückchen Kohle
»Von Eurem großen Heerde hier
»Zu unsrem Feuer hole?«
- Recht gern, mein Kind, versetzt bedacht
Der alte Hochgelehrte,
Doch hast Du ja nichts mitgebracht,
Worin Du's träg'st, ich werde
Dir holen ein ...... wie heißt's doch gleich,
Womit man Brennstoff träget?
Ein Werkzeug aus Vulkanus Reich,
Im Feuer ausgepräget ......
»O! Herr, das laßt hübsch Alles seyn,
»Gebt Euch nicht so viel Mühe,
»Ich leg's in meine Hand hinein«,
Versetzt das Kind und siehe,
In kurzer Zeit, man konnte kaum
Ein Amen dazu sagen,
Streu't in des Händchens innren Raum
Sie dichte Aschenlagen,
Damit die Glut sie nicht verbrennt,
Darauf legt sie die Kohlen,
Macht schnell dem Herrn ihr Compliment
Und ruft ein »Gott befohlen!«
So läuft sie fort, der Doktor steht
Am Ofen wie vernichtet.
Die Wissenschaft in Staub vergeht,
Ein Kind hat sie gerichtet.
Ich sinne nach, studiere schier
Schon mehr als dreißig Jahre,
Und jetzo lehrt die Einfalt mir
Auf kurzem Weg das Wahre.
Wie eitel ist Gelehrsamkeit
Und alles Reflektiren,
Verloren hab' ich meine Zeit,
Mein Wirken und Dociren.
Wohl spricht der weise Zeno wahr,
Wenn er vom Denker saget:
»Dem Klügsten ist nicht Alles klar!«
Wer den Gelehrten fraget,
Nach dem, was sich von selbst versteht,
Wird er Bescheid leicht geben
Von Allem, was im Mond vorgeht,
Doch nie vom prakt'schen Leben. :-))

Internet-Tipp: https://www.wortblume.de/dichterinnen/herder_b.htm


 Enigma antwortete am 02.04.05 (07:52):

Für Sophie Emily

Sophie Mereau
(1770-1806)

Das Kind

Duftende Blüthen aus freundlicher Höh'
säuseln hernieder wie glänzender Schnee;
sieh, wie die Schwalbe mit silberner Brust
fliegt an dem Teiche voll spielender Lust!

Schon sind am Wege die Büsche belaubt,
Vögelchen singen, es summt mir ums Haupt
freundlich der Käfer, und dort durch das Grün
rauschte die bunte Libelle dahin.

Welche Gerüche! woher? O, gewiß
find' ich Violen; sie düften so süß!
Sieh, wie sie blühen! Geschwind, o! geschwind
Kränze, bekränze das fröhliche Kind!



 Enigma antwortete am 02.04.05 (07:57):

Das Kind ruht aus vom Spielen
Josef Karl Benedikt von Eichendorff

Das Kind ruht aus vom Spielen,
Am Fenster rauscht die Nacht,
Die Engel Gottes im Kühlen
Getreulich halten Wacht.

Am Bettlein still sie stehen,
Der Morgen graut noch kaum,
Sie küssen's, eh sie gehen,
Das Kindlein lacht im Traum.


 hl antwortete am 02.04.05 (10:42):

Vor zweihundert Jahren wurde Hans Christian Andersen geboren.

Heute ist der Geburtstag der kleinen Sophie. Ich wünsche ihr die Phantasie und Kreativität des Märchendichters. :-)

Internet-Tipp: " target="_blank">


 Enigma antwortete am 02.04.05 (11:08):

... toll, das erste Foto der kleinen Sophie.

Da muss ich unbedingt noch ein Gedicht über ein Mädchen anschliessen:

Gotter Friedrich Wilhelm

Unbefangen

Ich bin ein Mädchen, fein und jung,
Und bin gottlob noch frei;
Ich weiß nichts von Romanenschwung
Und haß' Empfindelei.

Leicht fließt mein Blut. Ich liebe Scherz,
Ich liebe Sang und Tanz.
Mein Reichtum ist ein frohes Herz,
Mein Schmuck ein Blumenkranz.

Ich schlage nicht aus Evens Art,
Leichtgläubig, eitel, schwach;
Und Neugier, liehe Neugier, ward
Mein Erbteil siebenfach.

Auch flieh' ich nicht der Männer Spur;
Mir sagte die Mama:
Wir armen Mädchen wären nur
Um ihretwillen da.

Drum schleicht in meinen schlichten Sinn
Kein blöder Stolz sich ein.
Wohl mir, daß ich ein Mädchen bin!
Laßt andre: Engel sein!

Anmerkung:
Allerdings vermute ich stark, dass bei der kleinen Sophie bestimmt nicht die Oma (wahrscheinlich aber auch nicht die Mama) ihr sagen werden, dass sie "nur für die Spur der Männer da" ist.:-)))

Internet-Tipp: https://www.mdr.de/geschichte/personen/129663.html


 marie2 antwortete am 02.04.05 (11:30):

Wünsche für die kleine Sophie

Möge dem Kind die Sonne scheinen,
möge es im Leben mehr lachen als weinen.
Möge es Hände und Flügel berühren,
möge es Sehnsucht und Freiheit spüren.
Möge es träumen, tanzen und singen,
möge es Liebe zum Blühen bringen.
Möge es im Leid voller Hoffnung bleiben,
Menschen und Erde ins Herz sich schreiben.
Möge dem Kind das Gute begegnen,
möge die umfassende Liebe es segnen.

Marie


 Joan antwortete am 02.04.05 (16:06):

Pilli,weil ich durch Zufall hier alle Glückwünsche gesehen hab,möchte ich mich anschliessen und schick Dir, ausnahmsweise mitten in die erlauchte Gesellschaft der berufenen Dichter(-wofür ich den ST um Vergebung bitte)mein allererstes Gedicht,das ich mit 12 Jahren für meine "neue" kleine Schwester fabrizierte.
Also:

Am Abend kommen die Engel.

Wenn am Abend die Sonne sinkt und der erste Stern aufblinkt
wenn der goldne Mond aufgeht ,dann einmal zum Himmel seht:
Seht dann kommen die Engelein wieder,sie steigen sanft zur Erde hernieder
setzen sich auf euer Bettchen ganz sacht und halten hier während ihr schlaft treue Wacht.
Und während ihr süss schlummert und träumt,habt ihr bestimmt etwas versäumt
denn dann unterhalten sich die Engelein,ganz leis aber nur,sonst schlaft ihr nicht ein.
Und da fängt eines von den ganz kleinen ,plötzlich bitterlich an zu weinen-
traurigt weist es auf sein Schutzkind,
die anderen fragen:"Was hast du? Geschwind!"
"Ach wißt ihr,mein Kind ist so ungezogen.Ich habe heut seine Fehler gewogen
es waren so viele,ihr müßt mich nicht fragen.Ich wollt es dem lieben Gott schon sagen,aber ich habe mich nicht getraut--""Pst Engelchen nicht so laut--die Kinder sollens nicht hören,
wir wollen sie nicht stören" sagt ein größerer Engel,"Die Erdenkinder sind voll Mängel.Du wirst heute zu Gott-Vater gehn,und was er wird sagen,werden wir sehn."
So sagte der Engel und fragte geschwind:"Wie war es denn heute mit deinem Kind?"einen kleinen Engel der froh und munter sein Kindchen schaukelte rauf und runter,während die anderen alle liefen und dem betrübten Engel Trostworte riefen.
"Ach wißt ihr,mein Kindchen macht mir viel Freud!Es tut mir ganz wahrhaftig nicht leid,dass ich es beschützen darf.Eine rote Rose ich auf sein Kissen warf,als Zeichen der Liebe,und dass Ihr es wißt,der Liebe zu unserem Herrn Jesus Christ."
Da wurden die Engelein wieder froh und schliesslich kam es auch noch so,dass das traurige seinen Kummer vergaß und wieder fröhlich auf des Kindes Bettchen saß.
Seht,euer Bössein bringt immer Leid!
Seid ihr jetzt zum Gehorsam bereit?

PS.......wenn ihr nicht werdet wie die Kinder.Naja:::
Jedenfalls wünsche ich der neuen kleinen Erdenbürgerin einen guten Schutzengel-sie wird ihn brauchen.


 Marina antwortete am 02.04.05 (17:22):

Habt gehört ihr die Berichte
und die neueste Geschichte?
Unsre Pilli, hipp hurra,
ist geworden Großmama.
Lange hat sie es ersehnt,
und die Zeit hat sich gedehnt
bis zum freudigen Moment,
als zur Enkelin sie rennt.

Pilli hat sich sehr gefreut
Auf das Leben, das erneut
stößet zu der Family
Name? Sophie Emily.

Alle sind nun riesig froh
Und der ST ebenso.
Hat das Glück mit ihr geteilt,
als die Nachricht ihn ereilt,
oder, sagen wir: die „Leutz“,
die mit ihr nicht über Kreuz.

Liebe Pilli, alles Gute
und der Enkelin viel Mute
wünsch ich für die Zukunft euch,
die an Freude werde reich.
Auch die Eltern sollen leben.
Mit viel Sonne, wenig Regen
mag das Schicksal euch bedenken,
Sophie Emily beschenken.


Pilli, ich schließe mich allen guten Wünschen an und gratuliere dir ganz herzlich zu diesem schönen Ereignis. Vielleicht gefällt dir mein kleines Gedicht.


 Medea. antwortete am 02.04.05 (17:44):

Ein Kind - was ist das?

Es ist Liebe, die Gestalt angenommen hat.
Es ist Glück, für das es keine Worte gibt.
Es ist eine kleine Hand, die zurückführt
in eine Welt, die man vergessen hat.

Alles Gute für die kleine Familie.


 Enigma antwortete am 03.04.05 (08:13):

Aktueller Autor: Fritz Reutemann



das in mir schreibt

was das wohl ist
das in mir schreibt
wie vergangenes
in gegenwärtiges einbricht
mit künftigem
korreliert
abläufe mit der zeit
der welt
im fluss
geschlossener systeme
der tod als
trennung
die deadline
in unseren köpfen
dem wahrscheinlichen
auf der spur
den manifesten
des lebens
kollateralschäden
die wir hinterlassen
die zivilen opfer
des ungewissens
mit amerikanischer
gewalt
der mouseclick-krieg
in vollem gange
ohne mandat der
vereinten nationen
illegal scheißegal
kollateral
alles im
acheron verklappt
dem todesfluss
dem styx
das ist wohl das
was in mir schreit
& schreibt


aus: Augsburger Friedenssamen. Hrsg. von Bratislav Rakic. Geest-Verlag 2004




Fritz Reutemann
geb. 1947 in Lindau am Bodensee, Sozialarbeiter, Schriftsteller. VS-Vorsitzender der Region Bayerisch-Schwaben und Mitglied im Landesvorstand des VS in Bayern, Mitglied im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt und bei Signatur Lindau. Zwei eigenständige Gedichtbände. Veröffentlichungen in vielen Anthologien, im Rundfunk. Herausgeber.

Internet-Tipp: https://www.geest-verlag.de/kalender-2004/kalenderblatt-juli/lit-kal-jul26.html


 nopi antwortete am 03.04.05 (09:14):

Hallo ihr Lieben und solche, die es ein könnten,

der Administrator hat mich aus dem Rentnertreff-Forum vor etwa einem Jahr wegen unliebsamer, also nicht angepasster aber durchaus richtiger also zutreffender Meinungsäusserung rausgeschmissen.

Ich weiss nicht, was es soll, dass ich nun seit etwa dem 20.03.05 mit Gedichten und solchen die es sein wollen überschüttet werde.

Eine Antwort dafür wäre ganz nett

G. Nopens


 pilli antwortete am 03.04.05 (23:47):

"Freude kann dreimal beglücken:

als Erwartung, als Erlebnis, als Erinnerung."
(O. Capellmann)

ich danke euch allen für eine weitere mit euch erlebte variante:

freude gemeinsam zu teilen und zu empfinden. :-)

die glückwünsche und ausgewählten gedichte zu lesen...dazu die für mich so überraschende und fix angebotene hilfe von Heidi/hl, das foto von Sophie Emily präsentieren zu dürfen, das alles zu lesen, hat bewirkt, dass sich erlösende freudentränchen zeigten. erst dann löste sich die spannung und verwandelte sich in prächtigen genuss! :-)

es waren aufregende stunden, haben doch A&O wenige stunden nach der geburt mit Sophie das krankenhaus verlassen, um gleich zum Stift zu fahren und sie der uroma vorzustellen;

nur :-)

dabei blieb es nicht, rasch füllte sich das zimmer und da standen sie nun die ladies oder vielmehr "rollten" mit gehhilfen, um zu gratulieren. für mich mit einer der bewegenden momente, als die zimmernachbarin, deren "100" im Mai gefeiert wird, die kleine sanft streichelte.

die gewidmeten glückwünsche, texte, gedichte aber auch die per mail gesandten "gute wünsche" drucke ich gleich aus und binde die blätter mit rosa bändchen zu einer langen kette, die ich gleich morgen weiterleite an die junge familie;

dafür an alle mein allerherzlichstes "Danke"!

:-)


 pilli antwortete am 04.04.05 (00:10):

"Die Kinder schlummern"

Die Kinder schlummern in den Kissen,
Weich, weichen Atems, nebenan,
Ein Traum vom heutigen Tag, und wissen
Nicht was mit diesem Tag verrann.
Wir aber fühlen jede Stunde,
Die uns mit leisem Flügel streift
Und wissen, daß im Dämmergrunde
Der Zeit uns schon die letzte reift.

Wir sitzen enggeschmiegt im Dunkeln.
So träumt sich's gut. Und keines spricht.
Durchs Fenster fällt ein Sternenfunkeln,
Vom Ofen her ein Streifchen Licht.

Einmal, im Schlaf, lacht eines der Kleinen
Ganz leis. Was es wohl haben mag?
Springt es mit seinen kurzen Beinen
Noch einmal fröhlich durch den Tag?

Ein Mäuschen knabbert wo am Schragen,
Knisternd verkohlt ein letztes Scheit,
Die alte Uhr hebt an zu schlagen -
Da sprichst du leis: "Komm, es ist Zeit!"
(Gustav Falke)


 Enigma antwortete am 04.04.05 (09:17):

Guten Morgen,

jetzt wieder mal ganz anders:

Dieter Höss
Aus ... an ihren Dramen sollt
ihr sie erkennen...


Goethe
Götz von Berlichingen
oder
Das bessere Ende

Der eine ist zu frauentoll
und liebt je mehr, je lieber.
Der andre zu vertrauensvoll
dem einen gegenüber.

Der eine wird lieb Kind bei Hof
und macht im Bett Karriere.
Dem andern ist der Hof zu doof
und wider seine Ehre.

Der eine übt in Schmeichelei'n
sich und im Speichellecken.
Der andre lädt sie alle ein,
ihn seinerseits zu lecken.

Dem einen bricht ein Weib den Hals,
und solche Schmach ist bitter.
Der andre stirbt zwar ebenfalls,
doch stolz, als edler Ritter.

Wenn jemand Spass an Parodien hat, hier sind einige zu finden: - she. URL! -

Internet-Tipp: https://www.phil.uni-erlangen.de/~p2gerlw/parodie/lenore.html


 pilli antwortete am 04.04.05 (09:44):

spass?...und ob!

:-)

...

Wir sind zu sehr geneigt, uns zu verzwieseln,
wir wollen lieber wie ein Regen tröpfeln,
als, stromgleich von Felsköpfeln zu Felsköpfeln
uns werfend, ganze Bergstock' kühn verkieseln.

Was hilft's, vom Himmel selbst herabzurieseln
auf ganzer Länder tausendfaches Köpfeln; -
es ist ein Schaffen wie mit Spitzen-Klöpfeln,
es ist kein Rauschen, nur ein schnödes Nieseln.

Wie anders doch, gleich bajuvarschen Hieseln,
die ganze Welt mit fester Faust zu schöpfeln,
die letzten dicken Wämser aufzuknöpfeln,

die bestverfilzten Zöpfe aufzudrieseln,
ein Wildstrom kommen allen Kleistertöpfeln -
und so um ew'gen Ruhm mit Glück zu mieseln.
(Christian Morgenstern)


 Marina antwortete am 04.04.05 (10:03):

Von den Menschen

Und es setzen Menschen Menschen in die Welt
Rein in eine Welt, die schon von Menschen wimmelt
Hekatomben Menschen sterben unbemerkt
Doch der neue Mensch wird derart angehimmelt
Daß sich der Betrachter staunend fragt: Mensch Meier!
Was hat der, was die nicht hatten, dieser Schreier?

Robert Gernhard


 Marina antwortete am 04.04.05 (10:08):

Neulich im "Bombay Palace"

"Kinder statt Inder" -
doch wer wird dann kochen?
Wer löst das zarte Lammfleisch vom Knochen?
Wer würzt es mit Curry?
Wer sorgt für die Soßen?
Wenn wir die Inder für Kinder verstoßen,
dann sitzen wir bald schon
mit leerem Magen,
umgeben von Blagen,
die schrein, statt zu fragen:
"Und was wünschen Sie zum Dessert, mein Sahib?"

Robert Gernhardt


 Enigma antwortete am 05.04.05 (07:02):

:-)

Eduard Mörike
Zitronenfalter im April

Grausame Frühlingssonne,
Du weckst mich vor der Zeit,
Dem nur in Maienwonne
Die zarte Kost gedeiht!

Ist nicht ein liebes Mädchen hier,
Das auf der Rosenlippe mir
Ein Tröpfchen Honig beut,
So muss ich jämmerlich vergehn
Und wird der Mai mich nimmer sehn
In meinem gelben Kleid.


 hl antwortete am 06.04.05 (18:31):



Nur einmal bringt des Jahres Lauf
uns Lenz und Lerchenlieder.
Nur einmal blüht die Rose auf,
und dann verwelkt sie wieder;
nur einmal gönnt uns das Geschick
so jung zu sein auf Erden:
Hast du versäumt den Augenblick,
jung wirst du nie mehr werden.

Drum lass von der gemachten Pein
um nie gefühlte Wunden!
Der Augenblick ist immer dein,
doch rasch entfliehn die Stunden.
Und wer als Greis im grauen Haar
vom Schmerz noch nicht genesen,
der ist als Jüngling auch fürwahr
nie jung und frisch gewesen.

Nur einmal blüht die Jugendzeit
und ist so bald entschwunden;
und wer nur lebt vergangnem Leid,
wird nimmermehr gesunden.
Verjüngt sich denn nicht auch Natur
stets neu im Frühlingsweben?
Sei jung und blühend einmal nur,
doch das durchs ganze Leben!

Richard v. Wilpert
(1862 - 1918)


 Enigma antwortete am 07.04.05 (13:52):

Heinrich Seidel

April! April!
Der weiß nicht, was er will.
Bald lacht der Himmel klar und rein,
Bald schaun die Wolken düster drein,
Bald Regen und bald Sonnenschein!
Was sind mir das für Sachen,
Mit Weinen und mit Lachen
Ein solch Gesaus zu machen!
April! April!
Der weiß nicht, was er will.
O weh! O weh!
Nun kommt er gar mit Schnee!
Und schneit mir in den Blütenbaum,
In all den Frühlingswiegentraum!
Ganz greulich ist's, man glaubt es kaum:
Heut Frost und gestern Hitze,
Heut Reif und morgen Blitze;
Das sind so seine Witze.
O weh! O weh!
Nun kommt er gar mit Schnee!

Hurra! Hurra!
Der Frühling ist doch da!
Und kriegt der rauhe Wintersmann
Auch seinen Freund, den Nordwind, an
Und wehrt er sich, so gut er kann,
Es soll ihm nicht gelingen;
Denn alle Knospen springen,
Und alle Vöglein singen.
Hurra! Hurra!
Der Frühling ist doch da!


 hl antwortete am 07.04.05 (16:49):

Sidonie Grünwald-Zerkowitz:

Guten Morgen! Dein war, Lieb, die Nacht!
Ich hab' im Traum mit Dir sie verbracht.
Noch hab' ich keinen Tag gesehn
Wie diesen Traum, so himmlisch, so schön!
Ach, daß eine Stunde schlagen mir möchte,
Die solche Wonne wirklich mir brächte!

Der Lenz hat über den Thalesgrund
Einen Teppich gebreitet aus Blumen bunt
Und sandte nach uns den Sonnenschein,
Sandt' aus mit Sang die Vögelein,
Das Heer der zirpenden Cicaden
Unsere Liebe zur Flur zu laden.

Wir zogen Hand in Hand hinaus
Ins off`ne große Gotteshaus;
Und als die Vögel ich gewahrt,
In holder Freiheit traut gepaart,
Die Blumen sah den Kelch erschließen
Dem Blütenstaub, sich drein zu gießen:

Da zog es zu Dir mich auf den Grund -
Und nahe rückte Mund an Mund
Und immer näher ... wie war das süß!
Geschah's, weil das Denken mich verließ? ...
Der Gürtel war entzwei mir gerissen
Und mir kam der Mut:
Dich zu küssen ... zu küssen!


 Enigma antwortete am 08.04.05 (09:24):

Hofmannsthal Hugo von

Terzinen über Vergänglichkeit - Erste Terzine

Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann das sein, dass diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?

Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
Und viel zu grauenvoll, als dass man klage:
Dass alles gleitet und vorüberrinnt

Und dass mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.

Dann: dass ich auch vor hundert Jahren war
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,

So eins mit mir als wie mein eignes Haar.


 tiramisusi antwortete am 10.04.05 (18:20):

Miriam Frances:
So ist das
(hach wären doch so manch viel weniger talentierte Dichterin so bescheiden wie die wunderbare Miriam :-)

Tät' ich literarisch schreiben,
wär' ich wohl sehr angesehn.
Doch dann blieb' ich, Sie verzeihen,
in den hintern Bücherreihen,
meistens ungelesen stehn.

Und was soll ich da wohl machen,
da, wo nie ein Staubtuch wischt?
Ganz allein mit meinen Silben
fang' ich leise an zu gilben,
und mein Lebensmut erlischt.

Das ist was für die Kollegen,
die viel besser sind als ich.
Für die großen Wortartisten,
die auf den verbalen Pisten
Slalom fahren nur für sich.

Doch ich brauche einen Partner,
meistens einen mit Humor.
Hände, die auf mir verweilen,
die mich finden zwischen Zeilen
und versehn mit Eselohr.

Anmerkung: IHR Gedichtbändchen ist eines der wirklich abgegriffenen Bücher im Regal :-)


 tiramisusi antwortete am 10.04.05 (18:26):

gleich noch ein Gedicht von Miriam Frances

Ich bin im Mai idiotisch erotisch
da leg ich mich immer gleich hin.
Da wirkt alles Männliche auf mich hypnotisch,
wenn ich so erotisch bin.

Da sind meine Sinne total von Sinnen,
da bin ich am ganzen Leib Weib.
Da bringt mich der Anblick von Linnen zum Spinnen,
o Trieb, du mein Zeitvertreib.

Um alle Hüften da schwingt sich ein Bändchen,
mein Herz übt den Überschlag.
Auf jede Rundung da legt sich ein Händchen
bei Nacht und am hellichten Tag.

Die alte Erde trägt junges Gemüse,
ein Früchtchen wird frühreif gepflückt.
Es wiederbelebt sich die Hirnanhangdrüse,
vom Zucken des Frühlings entzückt.


 Enigma antwortete am 11.04.05 (11:39):

...ja, die Gedichte und Liedertexte von Miriam Frances gefallen mir auch sehr...:-)

Matthias Claudius

Der Mensch
Empfangen und genähret
vom Weibe wunderbar,
kömmt er und sieht und höret
und nimmt des Trugs nicht wahr;
gelüstet und begehret
und bringt sein Tränlein dar;
verachtet und verehret;
hat Freude und Gefahr;
glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
hält nichts und alles wahr;
erbauet und zerstöret
und quält sich immerdar;
schläft, wachet, wächst und zehret;
trägt braun und graues Haar,
und alles dieses währet,
wenn's hoch kommt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,
und er kömmt nimmer wieder.

(1783)


 Marina antwortete am 11.04.05 (12:08):

Es ist alles eitel

Du siehst wohin du siehst nur eitelkeit auff erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:
Wo itzund städte stehn, wird eine wiesen sein
Auff der ein schäffers kind wird spilen mitt den heerden.
Was itzund prächtig blüht sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vndt trotzt ist morgen asch und bein.
Nichts ist das ewig sey, kein ertz kein marmorstein.
Itz lacht das gluck vns an, bald donnern die beschwerden.
Der hohen thathen ruhm mus wie ein traum vergehn.
Soll den das spiell der zeitt der leichte mensch bestehn.
Ach! was ist alles dis was wir für köstlich achten.
Als schlechte nichtigkeitt als schaten staub vnd windt.
Als eine wiesen blum die man nicht wiederfindt.
Noch wil was ewig ist kein einig mensch betrachten.

Andreas Gryphius


 Marina antwortete am 11.04.05 (19:21):

Übrigens - ich habe mich nicht vertippt, das war vor mehreren Rechtschreibreformen. ;-)


 Enigma antwortete am 12.04.05 (07:58):

hc artmann
mein herz



mein herz ist das laechelnde kleid eines nie erratenen

gedankens

mein herz ist die stumme frage eines bogens aus elfenbein

mein herz ist der frische schnee auf der spur junger voegel

mein herz ist die abendstille geste einer atmenden hand

mein herz liegt in glaenzend weissen kaestchen aus mosselin

mein herz trinkt leuchtend gelbes wasser von der smaragd-

schale

mein herz traegt einen seltsamen tierkreis aus zartestem gold

mein herz schlaegt froehlich im losen regnen der

mitterwintersterne

Internet-Tipp: https://www.sfd.at/archiv/klasse97/artmannfakten.html


 yankee antwortete am 15.04.05 (11:49):

Wir wähnten lange recht u leben,
doch fingen wir es töricht an,
die Tage ließen wir entschweben
und dachten nicht ans End der Bahn.

Nun haben wir das Blatt gewendet
und frisch dem Tod ins Aug geschaut
Kein ungewisses Ziel mehr blendet
nur grüner scheint uns Busch und Kraut.

Und wärmer ward´s in unseren Herzen
es zeugt´s der froh gewordene Mund
in unseren Liedern unseren Scherzen
liegt doch des Scheidens Ernst zu Grund.

Gottfried Keller


 Enigma antwortete am 16.04.05 (08:21):

Francisca Stoecklin
(1894-1931)

Fieber

Roter Traum
Grauer Baum,
Roter Traum.

Sanfter Flieder,
Immer wieder
Hör ich weiße
Sterbelieder,
Immer wieder.

O vergib,
Mutter hab mich
Wieder lieb.
O vergib.

Weißer Schnee,
Grauer See.
Weißes Leid,
Ewigkeit.

Wie ich dich
Lieben muß,
Roter Traum,
Sterbekuß.
Wie ich dich
Lieben muß.

Weißer Wind,
Sterbekind.
Weißes Land,
Sterbehand.

O vergib,
Mutter hab mich
Wieder lieb.
O vergib.

Weißer Tag,
Moram sag
Liebst du mich
Immer noch,
Wie ich dich
Lieben muß?
Roter Traum,
Sterbekuß.

O vergib,
Mutter hab mich
Wieder lieb.
O vergib.

Graue Gassen,
Mond verlassen.
Blinde Fenster
Mondgespenster.
Weine Regen
Sanfter Segen,
Weine Regen,
Weine Regen.

Weiße Dirnen
Schweben über
Goldgestirnen.
Weiße Dirnen.
Weine Regen,
Weine Regen.

O vergib,
Mutter hab mich
Wieder lieb.
O vergib.

Weißer Wind.
Sterbe Kind.

PS
Karl, würdest Du bitte den vorhergehenden Eintrag löschen?
Danke.
Jetzt habe ich wieder den IE genommen und schweren Herzens den Mozilla verlassen. :-)


 Marina antwortete am 16.04.05 (14:57):

Duchzug von Wolkenfeldern
Schrift am Himmel
Unleserliche
Von den letzten Dingen
Schwebendes
Sinkendes
Plankton im Teich
Die Todesart
Ist jedem ausgewählt
Wer von uns würde
Unter der Folter nicht singen?
Jahre
Unhörbar heruntergezählt
Bei Null beginnt der Aufstieg
Rauschend

Marie Luise Kaschnitz (1901-1974)


 Enigma antwortete am 16.04.05 (19:00):

Hallo Marina,
hat Yankee uns gestern mit dem "Virus des Todes" infiziert??

Jetzt aber wieder anders:

Anemonen

Ein Strauß von Anemonen stand auf meinem Tisch.
Mit bunten Farben, fast zu laut,
sangen die Boten neuen Lebens
ihr jubelnd Lied vom Frühling,
von blauen Himmeln und von Sonnensiegen –
Das war der Morgen.

Der Mittag kam.
Und stürmischer und gellend wie Fanfarenklänge
umtost der Anemonen jauchzend Lied
von neuem Glück, von ewigen Seligkeiten
meine Seele.
Ich griff berauscht nach diesem Glück,
Das Glück – das größte Glück!
Und meine Seele sank ins Wunderbare.

Und als der Abend kam, da schrie es plötzlich auf.
Mit jähem Mißton brach der stolze Siegessang,
als schauerlich von unsichtbarer Hand berührt
Die Blüten starben und die bunten Blätter
wie tote Schmetterlinge niedersanken. –
Ein gräßliches Erwachen.
Vor öden Wüsten, schwarzen Einsamkeiten
stand die Seele.

Ein Strauß von Anemonen stand auf meinem Tisch.

Hermann (Harry)Schmitz

Internet-Tipp: https://gutenberg.spiegel.de/autoren/schmitz.htm


 yankee antwortete am 18.04.05 (09:42):

@Enigma
hallo Enigma, ich bin´s, der Virus des Todes. Wenn ich aus dem Fenster schaue, fällt mir einfach kein Frühlingsgedicht oder Friede-Freude-Eierkuchenvers ein. Schon möglich daß das ansteckend ist. Ich schwelge momentan lieber in trister Harmonie mit der Natur. Also Vorsicht, begib dich schon mal in deinen virussicheren Schutzanzug !! :-)

Dunkler Falter

Wenn zwei Eheleute in den Sternenhimmel starrn
oder ein Bruder hält der lieben Schwester den Garn
oder ein Freund schenkt bedachtsam dem Freunde ein

dann schwebt ein dunkler Falter über den zwein

einer von uns wird hinter dem Sarge gehn
graue Schleifen im Strassenwinde wehen
einer wird werfen mit kalter Hand
Erde hernieder vom bretternden Grabesrand
einer wird gehen nach Haus allein

lieber Gott, lass mich der andere sein.

Börries von Münchhausen


 Marina antwortete am 20.04.05 (17:35):

Roma aeterna

Das Rom der Foren, Rom der Tempel
Das Rom der Kirchen, Rom der Villen
Das laute Rom und das der stillen
Entlegnen Plätze, wo der Stempel

Verbliebner Macht noch an Palästen
Von altem Prunk erzählt und Schrecken
Indes aus moosbegrünten Becken
Des Wassers Spiegel allem Festen

Den Wandel vorhält. So viel Städte
In einer einzigen. Als hätte
Ein Gott sonst sehr verstreuten Glanz

Hierhergelenkt, um alles Scheinen
Zu steingewordnem Sein zu einen:
Rom hat viel alte Bausubstanz

Robert Gernhardt


 Marina antwortete am 21.04.05 (20:35):

Zur Beruhigung

Wir schlafen ganz, wie Brutus schlief –
Doch jener erwachte und bohrte tief
In Cäsars Brust das kalte Messer!
Die Römer waren Tyrannenfresser.

Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak.
Ein jedes Volk hat seinen Geschmack,
Ein jedes Volk hat seine Größe;
In Schwaben kocht man die besten Klöße.

Wir sind Germanen, gemütlich und brav,
Wir schlafen gesunden Pflanzenschlaf,
Und wenn wir erwachen, pflegt uns zu dürsten,
Doch nicht nach dem Blute unserer Fürsten.

Wir sind so treu wie Eichenholz,
Auch Lindenholz, drauf sind wir stolz;
Im Land der Eichen und der Linden
Wird niemals sich ein Brutus finden.

Und wenn auch ein Brutus unter uns wär,
Den Cäsar fänd er nimmermehr,
Vergeblich würd er den Cäsar suchen;
Wir haben gute Pfefferkuchen.

Wir haben sechsunddreißig Herrn
(Ist nicht zuviel!), und einen Stern
Trägt jeder schützend auf seinem Herzen,
Und er braucht nicht zu fürchten die Iden des Märzen.

Wir nennen sie Väter und Vaterland
Benennen wir dasjenige Land,
Das erbeigentümlich gehört den Fürsten;
Wir lieben auch Sauerkraut und Würsten.

Wenn unser Vater spazierengeht,
Ziehn wir den Hut mit Pietät;
Deutschland, die fromme Kinderstube,
Ist keine römische Mördergrube.

Heinrich Heine (1844)


 Enigma antwortete am 22.04.05 (07:28):

Guten Morgen alle,

@Yankee
...den Schutzanzug brauchte ich nicht, weil ich in "Real life" eine lustige Woche hatte. Und das ist ja bekanntlich ein gutes Gegengift bei trüben Gedanken... :-))

@ Marina,

ja, dann begleite ich Dich doch mal nach Rom....

Friederike Brun

Ich denke dein [I]

Ich denke dein, wenn über Roms Ruinen
Die Sonne sinkt!
Vom Abendroth durch Eichengrün beschienen
Die heil'ge Tiber blinkt!

Dein denk' ich, wenn der grauen Vorwelt Schauer
Der Hall' entschwebt!
Des Eppichs Netz an hoher Riesenmauer
Im Mondstrahl silbern bebt!

Wenn in der Pinie ernstem Säulentempel
Mein Aug' erquickt,
Betrachtung, Tiefsinn, eueren hehren Stempel
Rings um sich her erblickt!

Dort an des Grabes ew'ger Piramide
Warst du mir nah!
Mir nah als ich Orest der Eumenide
Geweiht, voll Wehmuth sah!

Electra's hoher Sinn, und Weibesmilde
Mich tief durchdrang!
Des Griechen Geist mir aus dem Marmorbilde
Wie Saitenton erklang!

Im Lorbeerwald, wo die Zipresse dunkelt,
Im Mirthenhain
Wenn über mir des Himmels Bogen funkelt
Denkt meine Seele Dein!

Ach dein, wenn über Tod, und Grab, und Erde,
Mein Geist sich schwingt!
Des Schöpfers zweyter Allmachtsruf es werde
Auch meine Gruft durchdringt.

Wenn Nemesis, was strenge du gefodert
Ist abgebüßt -
Und Psyche, der nicht mehr die Fackel lodert,
Vergelterin dich grüßt!

PS
Merke: Der "Eppich" ist auch wieder mit von der Partie..


 Marina antwortete am 22.04.05 (17:36):

@Enigma, blieben wir noch ein bisschen in Rom?

Der Alte mit dem weißen Haar will gehn,
er reißt sich los vom altvertrauten Ort,
von Weib und Kind und Enkel geht er fort,
die weinend seinen Tod vor Augen sehn.

Dann trägt er sich, des alten Leibes Gast,
in seine allerletzten Lebenstage,
dem Willen folgsam noch bei aller Plage,
müd von der Jahre und des Weges Last.

Und kommt nach Rom, an seiner Sehnsucht Ziel,
um dort im heilgen Bild den zu erschauen,
vor dem im Himmel er zu stehn begehrt.

So geh auch ich umher und sehe viel
und suche, Herrin, unter allen Frauen
das eine Urbild, das ihr mir verwehrt.

Francesco Petrarca (1304 - 1374)


 marie2 antwortete am 22.04.05 (22:38):

Der Römische Brunnen

Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.

Conrad Ferdinand Meyer


 marie2 antwortete am 22.04.05 (22:41):

Römische Fontäne (Villa Borghese)

Zwei Becken, eins das andere übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;

sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis

sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.

Rainer Maria Rilke


 Enigma antwortete am 23.04.05 (10:14):

Guten Morgen,

na gut, noch etwas Aufenthalt in Rom....:-)

Ingeborg Bachmann
Römisches Nachtbild

Wenn das Schaukelbrett die sieben Hügel
nach oben entführt, gleitet es auch,
von uns beschwert und umschlungen,
ins finstere Wasser,

taucht in den Flußschlamm, bis in unsrem Schoß
die Fische sich sammeln.
Ist die Reihe an uns,
stoßen wir ab.

Es sinken die Hügel,
wir steigen und teilen
jeden Fisch mit der Nacht.

Keiner springt ab.
So gewiß ist’s, daß nur die Liebe
und einer den andern erhöht.

Und zu dem von Marie geposteten schönen "Brunnen-Gedicht" von CFM noch ein paar Bildchen aus Rom - sehe URL! -

Internet-Tipp: https://www.romaculta.it/det/brunnen_maderno.html


 Marina antwortete am 23.04.05 (19:53):

INGEBORG BACHMANN ZUM GEDÄCHTNIS

Wohnung, dieses Versteck
Mit keinem Fenster
Zur Straße hin
Via Bocca di Leone
In der doch eines Nachts
Der Schläger stand
Ausholte zum Fausthieb

Ängste dir zugemutet
Gewitter und auf der Terrasse
Der riesigen kiesbedeckten
Die Schreie der räudigen Katzen
Ihre wahnwitzigen Sprünge im Oleander

Und Krankheiten rätselhafte
Taubwerden der Glieder
Schwinden der Sinne
Nacht vor den Augen
Plötzlich

Hinter der Türe
Dein leichter Schritt
Danach
Bei weißen Kugellampen Bücherreihen
Die Umarmung voll Freude

Dein zierlicher Salon
Dein rosa und weißes Bad
Schützte dich alles nicht
Vor den zehrenden Stränden
Vor Den Monstren von Bomarzo

Aber den Bergen zu
Am milchigen Schwefelwasser
Unter wehendem Eukalyptus
Erklärtest du präzis
Den Denker Wittgenstein

Die Männerschuhe störten
dich im Schrank

Aber du konntest nicht
atmen ohne Liebe

Gestorben nicht ist dein Rom
Dieses bestimmte
Voller Blumenstände
Voller Friseure
Mit dem Holzkohlenfeuergeruch
Winterlich sotto casa

Manchmal sehe ich dich
Noch unversehrt
Da stehst du
Da gehst du umher
Kein Glas in der Hand
Kein Wort auf den Lippen

Schutzflehende immer
"dein Herz erstarrt
in schneeiger Stille" ...

Marie Luise Kaschnitz


 Enigma antwortete am 23.04.05 (21:46):

Milosz Czeslaw
Campo di Fiori

In Rom auf dem Campo di Fiori
Körbe Oliven, Zitronen,
Wein fließt über das Pflaster
Zwischen den Blumenresten.
Rosige Früchte des Meeres
Schütten die Händler auf Tische,
Bündel von dunklen Trauben
Fallen auf Pfirsichdaunen.

Auf diesem selben Marktplatz
Verbrannte Giordano Bruno,
Das Feuer, geschürt vom Henker,
Wärmte die Neugier der Gaffer.
Und kaum war die Flamme erloschen,
Füllten sich gleich die Tavernen,
Körbe Oliven, Zitronen
Trugen die Händler auf Köpfen.

Ich dachte an Campo di Fiori
In Warschau an einem Abend
Im Frühling vor Karussellen
Bei Klängen lustiger Lieder.
Der Schlager dämpfte die Salven
Hinter der Mauer des Ghettos
Und Paare flogen nach oben
Hinauf in den heiteren Himmel.

Der Wind trieb zuweilen schwarze
Drachen von brennenden Häusern,
Die Schaukelnden fingen die Flocken
Im Fluge aus ihren Gondeln.
Der "Wind von den brennenden Häusern
Blies in die Kleider der Mädchen,
Die fröhliche Menge lachte
Am schönen Warschauer Sonntag.

Vielleicht wird jemand hier folgern,
Das Volk von Rom oder Warschau
Handele, lache und liebe
Vorbei an den Scheiterhaufen;
Ein andrer vielleicht die Kunde
Von der Vergänglichkeit dessen
Empfangen, was schon vergessen,
Bevor die Flamme verglüht war.

Ich aber dachte damals
An das Alleinsein der Opfer.
Daran, daß, als Giordano
Den Scheiterhaufen bestiegen,
Er keine einzige Silbe,
Menschliche Silbe gefunden,
Von jener Menschheit, die weiter
Lebte, Abschied zu nehmen.

Schon liefen sie, Wein zu trinken,
Seesterne zu verkaufen,
Körbe Oliven, Zitronen
Mit lustigem Lärmen zu tragen.
Und schon war er ihnen so fern,
Als wären Jahrzehnte vergangen,
Als hätten sie niemals gewartet
Auf seinen Abflug im Feuer.

Auch diese Opfer sind einsam,
Sie sind von der "Welt vergessen,
Und fremd ist uns ihre Sprache,
Als kam sie vom andern Planeten.
Bis alles dann zur Legende
Erkaltet und später nach Jahren
Auf neuem Campo di Fiori
Ein Dichterwort aufruft zum Aufruhr.

Warschau 1943


 iustitia antwortete am 24.04.05 (10:25):

Dank an Enigma und Marina - für das Rom-Thema.
*
WILHEM LEHMANN: BLICK AUF ROM

Im Boden verschollen
Triumphgeschrei, Geheul und Gelachter,
Alle Opfer und alle Schlächter.

Dann weideten hier Kühe und Geißen,
Campo caprino, campo vaccino.

Die aufgeweckten Steine hilft mein Fuß verschleißen.
Wohin vergehe ich? Wage ich, noch zu bestehn?
Teerose, Pfirsich geben ihre Farben der römischen Vedute;
Das Mauernsims besteigt der Feigenbaum mit immer wiederholtem Mute.

Über der Peterskuppel seh ich sich drehn
Eine Säule Zugvögel,
Des Weges gewiß, so tüchtig wie flüchtig.
Ich wage es, noch zu bestehn.
*
(Veröffentlicht in der „Deutschen Zeitung“, 09.11.1959.
Aus: Lehmann, Wilhelm: Gesammelte Werke. 8 Bde. Bd. 1. Sämtliche Gedichte. Hrsg. H. D. Schäfer. Stuttgart 1982. S. 282)
*
Lehmann war im September/Oktober 1959 als Gast in der römischen Villa Massimo. - Es gibt weitere Italien-Gedichte von ihm.
*
URL.: Die Kuppel - ohne Zugvögel...
https://www.tfh-wildau.de/jmuecke/petersdom.jpg

Internet-Tipp: https://www.tfh-wildau.de/jmuecke/petersdom.jpg


 marie2 antwortete am 24.04.05 (11:30):

Inmitten Roms, im Vatikan,
erweis´ ich mich als Scharlatan.
Ich beug´ mich gegen Mekka hin
und bete wie ein Muezzin.

aus: Vergnügliche Städtereisen
von Ingo Baumgartner


 iustitia antwortete am 24.04.05 (12:30):

Paul Celan:
Mittags

Mittags, bei
Sekundengeflirr,
im Rundgräberschatten, in meinen
gekammerten Schmerz
- mit dir, Herbei-
geschwiegene, lebt ich
zwei Tage in Rom
von Ocker und Rot -
kommst du, ich liege schon da,
hell durch die Türen geglitten, waagrecht-:

es werden die Arme sichtbar, die dich umschlingen, nur sie. Soviel
Geheimnis
bot ich noch auf, trotz allem.
*
(Aus "Atemwende". - Celan war Gast am 17.4.1964 im Goethe-Institut in Rom; von Rom aus besuchte er die etruskische Nekropole „Cerveteri“; vgl. sein Gedicht „DIE EWIGKEIT altert“, in „Fadensonnen“.)
URL.: Hügel in Cerveteri.
https://www.italyheaven.co.uk/images/cerveteri2.jpg

Internet-Tipp: https://www.italyheaven.co.uk/images/cerveteri2.jpg


 Marina antwortete am 24.04.05 (13:21):

Wunderbare Lyrik hier. Das Gedicht von Milosz Czeslaw passt gut zu den Papst-Diskussionen im Hinblick auf Ratzingers ehemalige Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation sprich Inquisitionsbehörde. Hier habe ich eine Frage. Was meint er mit der Strophe

"Bis alles dann zur Legende
Erkaltet und später nach Jahren
Auf neuem Campo di Fiori
Ein Dichterwort aufruft zum Aufruhr."

Weiß das jemand von euch? Wen kann er damit gemeint haben? Meint er einen bestimmten Dichter, der auf dem Campo di Fiori etwas gesagt hat, das zu einem Aufruhr führte?

Betr. Celan: In Cerveteri war ich auch, das ist unbedingt sehenswert. :-)


 iustitia antwortete am 24.04.05 (13:45):

Ja, schönen Tag - am Sonntag, wo in Roma die klassische Inszenierung abläuft, wie sie unser BuPrä Bieder-Köhler gerne sieht.
*
Ich glaube nicht, dass er (oder ein anderer Kardinal oder Häuptling) sich den Giordano Bruno ansieht auf dem Platz der Blumen, der für den Denker zum Platz des Fleurs, mhm: des Feuers - wurde.
Ja, genau: Campofiore oder Campo dei Fiori... - am 17. Febr. 1600, als der damals größte Denker dem Feuer übergeben wurde - unter der listig grinsenden, Widerruf verlangenden Assistenz von 53 Kardinälen. (Der Papst blieb im Palast.)
*
Einstein hätte seine Theorien und Berechungen nicht leisten können, ohne die Philosophie des Giodarno - zum Beispiel "Vom Unzählbaren, dem Unermesslichen und dem Unvorstellbaren" (1591).
Das kann noch heute kein Papst und kein Kardinal nachvollziehen. Dort wird "inthronisiert" - statt christlich und universal geglaubt.
*
URL: Campo...
https://www.enroma.com/rincones/campo%20dei%20fiori.jpg

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/Lp4HPgFPn


 Marina antwortete am 24.04.05 (18:26):

Ein Tod kommt
vor dem andern.
Atem und Rauch.
Und Rauch der Atem löscht.
Und Schweigen

Manchmal ist aber eine Zigarette
der letzte Halt. Und hält
was sie verspricht auch schneller.
Zwischen vergilbten Fingern
brennts wie Liebe wird Asche
wie Verrat. Atem und Rauch.

Die Schwurfinger gekrümmt
um die Zigarette: um
nicht abzuschwören.
Giordano brennt auf dem Campo di Fiori.
Die Glocken von Santa Maria Maggiore
gellen noch immer zum Autodafé.

Atem und Rauch.
Und Rauch der Atem löscht.
Und mit verbrannter Hand
über das Feuer schreiben.
Und die Grenzen der deutschen Sprache
sind mit mörderischen Zufällen vermint.
Ein Tod kommt dem andern zuvor.

Barbara Köhler 1992


 Enigma antwortete am 24.04.05 (19:23):

Friederike Mayröcker

Rom, 7. November 1994

durch die Viale Bruno Buozzi und am Hotel Lord Byron
vorüber, hinüber zum Kiosk, fragen ob Ansichtskarten von Rom,
der Mann mürrisch und mit seinen Händen mich abweisend, und
die hohe Platanenallee umschlungen vom zarten Dunst
des November wo ich lief und die Gesichter erblickte, die
schwebenden Fahrzeuge, leichtes Nieseln und kehrt machte
die andere Straßenseite zurücklief, mich nicht zu
verirren, während die Gefühle losgelassen, emporschwingend
die Wälder ohne Zögern mir folgten wie der tägliche
Aderlaß der Gedanken, wie die täglichen
GEDANKEN TOD SÜNDEN, verlispelt, und Abklatsch
(Hitzegestalt), auf dem runden Papierteller
mit alten Kaffeeflecken der poetische Furor : Baudelaire
in der Mundhöhle

PS
Marina, weiss ich auch nicht, was er (Milosz) mit dem letzten Absatz des Gedichts gemeint hat.
Ich weiss nur, dass er selbst 1945 einen Gedichtband herausgegeben hat, der "Rettung" oder "Errettung" heisst, den ich aber noch nicht gelesen habe.
Ich empfinde es nur so in dem Gedicht, dass das absolute Alleinsein im Tode ausgedrückt wird, während das Volk seiner Belustigung nachgeht.
Und der letzte Absatz drückt nach meinem Empfinden eine gewisse Hoffnung aus....
Und einen Protest?? Aber gegen was? Gegen die Grausamkeiten,die während der Okkupation wieder in Warschau abliefen.....??


 Marina antwortete am 24.04.05 (19:45):

Danke Enigma, ich hatte auch schon darüber nachgedacht, ob er vielleicht einfach von einer Utopie spricht statt von etwas Konkretem. Du bestätigst mir den Gedanken. Übrigens -das Gedicht von Köhler bezog sich auch auf Ingeborg Bachmann, hatte ich nicht erwähnt. Ich weiß nicht, ob das sofort ersichtlich ist. Aber interessant, wie oft in Texten der Campo dei Fiori erwähnt wird, nicht wahr? Der ist übrigens wirklich sehr schön. Aber noch schöner ist die Piazza Navona. :-)


 Marina antwortete am 24.04.05 (19:48):

P.S. Das Gedicht von Milosz finde ich sehr eindringlich, und es berührt mich besonders.


 Enigma antwortete am 24.04.05 (20:21):

Ja Marina, es berührt mich auch sehr.

Aber heute habe ich eines von Nietzsche gelesen, das mich erstaunt hat, weil ich nicht wusste, dass er so etwas geschrieben hat:


Das Nachtlied
Nietzsche, Friedrich

Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.

Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.

Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe.

Licht bin ich: ach, dass ich Nacht wäre! Aber dies ist meine Einsamkeit, dass ich von Licht umgürtet bin.

Ach, dass ich dunkel wäre und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten des Lichts saugen!

Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und Leuchtwürmer droben! - und selig sein ob eurer Licht-Geschenke.

Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich zurück, die aus mir brechen.

Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht; und oft träumte mir davon, dass Stehlen noch seliger sein müsse, als Nehmen.

Das ist meine Armuth, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; das ist mein Neid, dass ich wartende Augen sehe und die erhellten Nächte der Sehnsucht.

Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinsterung meiner Sonne! Oh Begierde nach Begehren! Oh Heisshunger in der Sättigung!

Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist zwischen Geben und Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu überbrücken.

Ein Hunger wächst aus meiner Schönheit: wehethun möchte ich Denen, welchen ich leuchte, berauben möchte ich meine Beschenkten: - also hungere ich nach Bosheit.

Die Hand zurückziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; dem Wasserfälle gleich zögernd, der noch im Sturze zögert: - also hungere ich nach Bosheit.

Solche Rache sinnt meine Fülle aus; solche Tücke quillt aus meiner Einsamkeit.

Mein Glück im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer selber müde an ihrem Überflusse!

Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer immer austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen.

Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham der Bittenden; meine Hand wurde zu hart für das Zittern gefüllter Hände.

Wohin kam die Thräne meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh Einsamkeit aller Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden!

Viel Sonnen kreisen im öden Räume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie mit ihrem Lichte, - mir schweigen sie.

Oh diess ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes, erbarmungslos wandelt es seine Bahnen.

Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen: kalt gegen Sonnen, - also wandelt jede Sonne.

Einem Sturme gleich fliegen die Sonnen ihre Bahnen, das ist ihr Wandeln. Ihrem unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kälte.

Oh, ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nächtigen, die ihr Wärme schafft aus Leuchtendem! Oh, ihr erst trinkt euch Milch und Labsal aus des Lichtes Eutern!

Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst ist in mir, der schmachtet nach eurem Durste!

Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Nächtigem! Und Einsamkeit!

Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen, - nach Rede verlangt mich.

Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.

Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden. -

Also sang Zarathustra.


 Marina antwortete am 24.04.05 (21:42):

Ja, Nietzsche war nicht nur ein großer Philosoph, sondern auch einer der größten deutschen Dichter. Aber was mir jetzt auffällt: "Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen". Hat Martin Walser von daher den Titel zu seinem Buch?


 Enigma antwortete am 25.04.05 (09:29):

Guten Morgen,

hallo Marina,

keine Ahnung, ob sich Walser daran orientiert hat.
Nietzsche war mir jedenfalls in seiner Lyrik weitgehend unbekannt...

"Königlich, Rom, hast du mich empfangen.
Ob ich von Norden zu dir aus der dunkleren Heimat
sehnsüchtig drängte oder aus reifenden Gärten
ferner hesperischer Täler gesättigt mich wandte:
herrlich umfing mich, vom Fluge der Wolken beschattet,
golden und schwarz die Campagna, und in der Ferne
hob sich dein ewiger Umriss vom feurigen Himmel.
Stolz war ich oftmals, dass du dich zur Heimat erboten.
Wie des gefährlichen Ursprungs der Sohn des Gebirges
immer sich freuet, ermass ich den Abgrund der Zeiten
daraus die betäubenden Nebel sich drohend erheben,
Urgeister auch und ein lockend gefährlicher Schwindel.
Träumend verweilt ich, und gleich deinen eigenen Kindern
pflückt ich die Frucht deiner Gärten, nicht achtend, dass tiefer,
tief in der Erde die Wurzeln des Schädel zerpresst."

Marie Luise Kaschnitz


 kns antwortete am 25.04.05 (11:02):

Justitias Aufklärung zum 24. April

das ein paar Hunderttausend Menschen nur einer Inszenierung wegen nach Rom gereist sind, hätte ich nie und nimmer zu ahnen vermocht.

Daß unter den Kardinälen, Häuptlingen (aus Karl Mays Büchern oder woher?) und den Teilnehmern die Promovierten und Habilitierten ihre Urkunden möglicherweise auf einem Wohltätigkeitsbazar oder auf dem Flohmarkt erworben haben möchte ich nach der Lektüre des Beitrages fast vermuten.

Schade, daß ich nicht weiß, aus welcher Quelle das erhellende Wissen geschöpft worden ist. Justitia fragen kann ich nicht, da sie lediglich ein Psudonym und keine Anschrift besitzt.

Das neuerdings Gottesdienste nicht mehr gefeiert, sondern aufgeführt werden, kommt einer einer ernüchernden Offenbarung gleich,
meint
kNs


 iustitia antwortete am 25.04.05 (11:13):

Quelle, Bächlein, Brunnen (der Erinnerung, der Inspiration)...?
Martin Walser lässt in einem schönen Kapitel den fast besoffenen Spenglermeister, Nazi-Heimatdichter Georg Schmitt auftreten; der Lehrer hat ihn präsentiert:

Dichterlings Vortrag:

„Hab oft auf blumiger Au
am rauschenden Bache geruht.
hab nordische Schönheit gesehen,
empfunden auch südliche Glut.
Doch nirgends fand ich den Frieden,
nie wurde mein Sehnen gestillt,
bis Du mein teureres Deutschland
meine schönsten Träume erfüllt.“
M:W. Ein springender Brunnen. 1998. (Kap. 8.: Abschied)
*
Dem kümmerlichen, heimischen „Bache“ setzt Walser in seiner Kindheitssuche die Metapher vom „springenden Brunnen“ entgegen, die natürlich auch anspielt auf T. Manns großes Motiv vom „Brunnen der Vergangenheit“, der Einleitung seiner Josephs-Romane.
*
URL - so einen Brunnen im bürgerlichen Festsaale meinten wohl M.W. oder T.M nicht!
https://www.blumen-ruehl.de/messen/brunnen%20558.gif

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/9FB0ro0JF


 iustitia antwortete am 25.04.05 (11:50):

kNs - ist das ein Klarname??
Ja, es gibt Hunderttausende, die solche Aufführungen "brauchen" für ihre illustre Abhängigkeit.
Für mich ist das kein Gottesdienst, sondern Menschen-Adoration.
*
Menschen, die dort in Rom (ob der G. Bruno) umgebracht wurden....- oder ob vor mehr als 100 Jahre erschossen wurden - noch auf Befehl Leo des XIII., bevor der sein Unfehlbarkeitsdogma sich erpresste von denen, die er eingeladen hatte (wenn sie ihn nicht schon vorher kritisiert hatten).
Ja, die Hinrichtung - seine letzte Gewalttat im Kirchenstaat, bevor ihm die schmucke Schweizer Garde verordnet wurde, von der ersten italien. Republik, als Gewaltverhinderung.
Das sind doch wahre Fortschritte der Nächstenliebe, wenn man es nicht gerade für Christenpflicht hält, Anders-Bedürftige und Menschen umzubringen.
*
Zu des Papstes "Wüsten"-Metapher für Individuen:
Er hätte Nietzsche zitieren können:
"Die Wüste wächst, weh dem, der Wüsten birgt..." (1888)
("Ha!
Feierlich!!
ein würdiger Anfang!" (so die Einleitung)

Und F. N., der humanistisch gebildete Professor hätte schon damals dem Papst oder seinem Heiligen Geist den Anteil der knechtischen Religion an der "Verwüstung" erklären können. Oder er hätte Nietzsche vorlesen lassen können.
Aber dazu wird auch heute niemand gezwungen - das ist die freiheitliche Demokratie, die darauf vertraut, das jegliches Menschlein, das noch nicht die kognitive Senilitätsgrenze und die Grenzmarke der Pessimissmus-Qualifikation überschritten hat, es merken könnte: "sapere aude!" (Ja, Kant!)
*
Jeder kann mir schreiben. Ist in x Beiträgen nachlesbar.
*
URL - Filmen ließ er sich schon, der Dogmen-Papst.
https://www.fh-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost19/LeoXIII/leo_foto.jpg

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/IVTxvhaL1


 kns antwortete am 25.04.05 (22:40):

Danke um der Justitia willen für die Einschränkung: "Für mich ist das kein Gottesdienst, ... "

Nachschlagen müßte ich noch folgende Begriffe: "knechtische Religion", "kognitive Senilitätsgrenze" und "Grenzmarke der Pessimismus-Qualifikation".

kNs ist im Seniorentreff (neurdings weniger) bekannt und steht als Abkürzung für meinen Namen,

kNs


 Marina antwortete am 26.04.05 (22:41):

Der Revoluzzer
(der deutschen Sozialdemokratie gewidmet)

War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer,
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: „Ich revolüzze!“
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonsten unverdutzt
Alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
Rupfte man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
Schrie: „Ich bin der Lampenputzer
Dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
Laßt die Lampen stehn, ich bitt!
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!“

Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zu Haus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich, wie man revoluzzt
Und dabei die Lampen putzt.

Erich Mühsam 1878-1934
Nach Folter im KZ Oranienburg von SS-Leuten ermordet


 iustitia antwortete am 27.04.05 (08:45):

Anton Antonovič Del'vig (1798-1831):
Der Dichter

Lang verbirgt er im Herzen die tiefen Gefühl' und Gedanken:
Scheint mit den Menschen, mit uns,
nicht sie zu teilen bereit!
Selten nur so – nach dem Willen des Himmels? –
beginnt er zu singen,
Götter! dann bringt uns sein Lied
Leben und Liebe und Glück,
Ganz wie in uraltem Wein,
dem teuren Gaste kredenzet,
Schmeicheln den Sinnen zugleich:
Farbe und Duft und Geschmack!
*
Quelle: Russische Lyrik. Gedichte aus drei Jahrhunderten.
Ausgewählt und eingeleitet von Efim Etkind. Serie Piper 1987. (Übertragung: Rolf-Dietrich Keil)

*
URL.: Russische Postkarte - mit Delvig-Marke
https://russian-stamps.dialog-it.ru/stpic/origcard/1998/84_98.jpg

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/0jd7tLtX8


 yankee antwortete am 27.04.05 (10:37):

Leitsatz (Erich Mühsam)

Fürcht nicht die Stunde, da du stirbst.
Die Welt, o glaub's nur, kann dich missen.
Kein Stern, um dessen Licht du wirbst,
wird mit dir in den Tod gerissen.
Solang du lebst, wirst du gebraucht.
Soll dich das Leben nicht vergessen,
sorg, daß die Tat nicht untertaucht,
an der du deine Kraft gemessen.
Leb, daß du stündlich sterben kannst,
in Pflicht und Freude stark und ehrlich,
nicht dich, - das Werk, das du begannst,
mach für die Menschheit unentbehrlich!


 yankee antwortete am 27.04.05 (10:39):

Ich bin ein Pilger ...

Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;
vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.

Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;
der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt;
der das Erwachen flieht, auf das er harrt.

Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;
der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;
der einst in fahle Ewigkeiten fällt.

Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;
das tauentströmt in Wolken sich ergießt;
das küßt und fortschwemmt ? weint und froh genießt.

Wo ist, der meines Wesens Namen nennt?
Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.

Erich Mühsam


 iustitia antwortete am 28.04.05 (08:27):

Friedrich Nietzsche: Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt...

Ha!
Feierlich!
ein würdiger Anfang!
afrikanisch feierlich!
eines Löwen würdig
oder eines moralischen Brüllaffen ...
- aber Nichts für euch,
ihr allerliebsten Freundinnen,
zu deren Füssen mir,
einem Europäer unter Palmen,
zu sitzen vergönnt ist. Sela.

Wunderbar wahrlich!
Da sitze ich nun,
der Wüste nahe und bereits
so ferne wieder der Wüste,
auch in Nichts noch verwüstet:
nämlich hinabgeschluckt
von dieser kleinsten Oasis
- sie sperrte gerade gähnend
ihr liebliches Maul auf,
das wohlriechendste aller Mäulchen:
da fiel ich hinein,
hinab, hindurch - unter euch,
ihr allerliebsten Freundinnen! Sela.

Heil, Heil jenem Walfische,
wenn er also es seinem Gaste
wohlsein liess! - ihr versteht
meine gelehrte Anspielung? ...
Heil seinem Bauche,
wenn es also
ein so lieblicher Oasis-Bauch war,
gleich diesem: was ich aber in Zweifel ziehe.
Dafür komme ich aus Europa,
das zweifelsüchtiger ist als alle Eheweibchen.
Möge Gott es bessern!
Amen!

Da sitze ich nun,
in dieser kleinsten Oasis,
einer Dattel gleich,
braun, durchsüsst, goldschwürig,
lüstern nach einem runden Mädchen-Maule,
mehr aber noch nach mädchenhaften
eiskalten schneeweissen schneidigen
Beisszähnen: nach denen nämlich
lechzt das Herz allen heissen Datteln. Sela.
*

Forts. folgt.

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/zd0ACWOHG


 iustitia antwortete am 28.04.05 (08:32):

Nietzsche:
Die Wüste wächst: weh dem...
(Teil 2)

Den genannten Südfrüchten
ähnlich, allzuähnlich
liege ich hier, von kleinen
Flügelkäfern
umtänzelt und umspielt,
insgleichen von noch kleineren
thörichteren boshafteren
Wünschen und Einfällen, -
umlagert von euch,
ihr stummen, ihr ahnungsvollen
Mädchen-Katzen
Dudu und Suleika
- umsphinxt, dass ich in Ein Wort
viel Gefühle stopfe
( - vergebe mir Gott
diese Sprachsünde! ...)
- sitze hier, die beste Luft schnüffelnd,
Paradieses-Luft wahrlich,
lichte leichte Luft, goldgestreifte,
so gute Luft nur je
vom Monde herabfiel,
sei es aus Zufall
oder geschah es aus Übermuthe?
wie die alten Dichter erzählen.
Ich Zweifler aber ziehe es in Zweifel,
dafür komme ich
aus Europa,
das zweifelsüchtiger ist als alle Eheweibchen.
Möge Gott es bessern!
Amen.

Diese schönste Luft athmend,
mit Nüstern geschwellt gleich Bechern,
ohne Zukunft, ohne Erinnerungen,
so sitze ich hier, ihr
allerliebsten Freundinnen,
und sehe der Palme zu,
wie sie, einer Tänzerin gleich,
sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt
- man thut es mit, sieht man lange zu ...
einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will,
zu lange schon, gefährlich lange
immer, immer nur auf Einem Beinchen stand?
- da vergass sie darob, wie mir scheinen will,
das andre Beinchen?
Vergebens wenigstens
suchte ich das vermisste
Zwillings-Kleinod
- nämlich das andre Beinchen -
in der heiligen Nähe
ihres allerliebsten, allerzierlichsten
Fächer- und Flatter- und Flitter-Röckchens.
ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen,
ganz glauben wollt,
sie hat es verloren ...
Hu! Hu! Hu! Hu! Hu! ...
Es ist dahin,
auf ewig dahin,
das andre Beinchen!
Oh schade um dies liebliche andre Beinchen!
Wo - mag es wohl weilen und verlassen trauern,
dieses einsame Beinchen?
In Furcht vielleicht vor einem
grimmen gelben blondgelockten
Löwen-Unthiere? oder gar schon
abgenagt, abgeknabbert -
erbärmlich wehe! wehe! abgeknabbert! Sela.

Oh weint mir nicht,
weiche Herzen!
Weint mir nicht, ihr
Dattel-Herzen! Milch-Busen!
Ihr Süssholz-Herz
Beutelchen!
Sei ein Mann, Suleika! Muth! Muth!
Weine nicht mehr,
bleiche Dudu!
- Oder sollte vielleicht
etwas Stärkendes, Herz-Stärkendes
hier am Platze sein?
ein gesalbter Spruch?
ein feierlicher Zuspruch? ...

Ha!
Herauf, Würde!
Blase, blase wieder,
Blasebalg der Tugend!
Ha!
Noch Ein Mal brüllen,
moralisch brüllen,
als moralischer Löwe vor den Töchtern der Wüste brüllen!
- Denn Tugend-Geheul,
ihr allerliebsten Mädchen,
ist mehr als Alles
Europäer-Inbrunst, Europäer-Heisshunger!
Und da stehe ich schon,
als Europäer,
ich kann nicht anders, Gott helfe mir!
Amen!
*
Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt!
Stein knirscht an Stein, die Wüste schlingt und würgt.
Der ungeheure Tod blickt glühend braun
und kaut, - sein Leben ist sein Kaun . . .

Vergiss nicht, Mensch, den Wollust ausgeloht:
du - bist der Stein, die Wüste, bist der Tod ...
*
Wir wissen: "NIETZSCHE IST UNSER SUPERMAN". - ? Oder Suppenmann..?

https://www.ayrinti.net/nietzsche/resim/nietzsche/b120300.jpg

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/QIy8cLONv


 Enigma antwortete am 28.04.05 (10:13):

William Butler Yeats (1865-1939):
Unten im Park

Im blühenden Park traf ich mich mit der Liebsten.
Sie ging leichtfüßig durch die Blumen und sagte:
„Sieh, so leicht sind Liebe und Leben...“.
Ich verstand sie nicht und zögerte zu lang.

Später unten am Fluß hat sie sich an mich gelehnt
und sagte mir: „Genieß das Leben, nimms nicht zu schwer“.
und ich Dummkopf grübelte wieder zu lang.


 Marina antwortete am 28.04.05 (21:31):

Narr in Verzweiflung

Ach! Was ich schrieb auf Tisch und Wand
Mit Narrenherz und Narrenhand,
Das sollte Tisch und Wand mir zieren? . . .

Doch ihr sagt: "Narrenhände schmieren,
Und Tisch und Wand soll man purgieren,
Bis auch die letzte Spur verschwand!"

Erlaubt! Ich lege Hand mit an -,
Ich lernte Schwamm und Besen führen,
Als Kritiker, als Wassermann.

Doch wenn die Arbeit abgetan,
Säh gern ich euch, ihr Überweisen,
Mit Weisheit Tisch und Wand besch . . .

Friedrich Nietzsche

(man sollte meinen, er hätte den ST gemeint. :-) )


 Enigma antwortete am 29.04.05 (16:08):

:-)
Lieber nicht im ST, Marina.
Dann müssten wir auch noch evtl.lernen, Schwamm und Besen zu führen....


"Ich habe Heimweh nach einem Feuer,
das aus den Sternen kommt und mich verbrennt.

Ich find' bei Frauen nicht und nicht bei Freunden
die Glut der Flamme, die die Welt nicht kennt.

Ist es der Zorn vielleicht eines gerechten Himmels?
Ist es die Liebe, die das All durchdringt?


Ist es im Lachen eines spielenden Kindes?
Ist es die Sonne, die hinterm Wald versinkt?


Ich habe Heimweh nach einem Brennen,
das nicht vom Fleisch kommt und nicht vom Blut.


Ob es Ideen gibt, die wir noch nicht erkennen,
und die voll Wärme sind und gut?

"Die Sternwelt wird zerfließen
zu goldnem Lebenswein.
Werden wir sie geniessen
und neue Sterne sein?" *

Ich habe Heimweh nach einem Feuer,
dass mich verwandelt, mich verbrennt.

Frieder Nögge
* Frei nach Novalis

Internet-Tipp: https://www.atelier-theater.de/noegge.html


 Enigma antwortete am 29.04.05 (16:21):

...und noch eines von Nögge:

aus: Frieder Nögge: Ich singe dieses Lied für Euch - Narrenpoesie, Urachhaus, '85

Frieder Nögge: Die Legende von einer Kindheit

Charlies Mutter, Charlies Vater
traten auf beim Varieté.
Doch der Vater war ein Trinker
und zerbrochen war die Eh'.
Charlies Mutter, die sang Lieder,
bis die Stimme ihr zerbrach.
Darauf nähte sie für Reiche,
nähte tags und nähte nachts.

Charlies Bruder und der Charlie
kamen bald ins Arnmenhaus.
Haare wurden abgeschoren,
daß der Schädel nicht zerlaust.
Und der Charlie bekam Prügel,
um das Kind war Traurigkeit.
Ja, so hat er früh erfahren
den Geschmack vom Menschenleid.

Charlies Mutter, sie erzählte
ihrem Kind vom heil'gen Christ.
Selig pries der Herr die Armen,
einte mit den Bettlern sich.
Und der Charlie lernte tanzen
in den Holzschuhn, und er sang,
zwischen faulem Brot und Wanzen
Charlies großes Spiel begann.

Charlie spielte mit dem Abfall,
mit den Lumpen, Büchsenblech,
alles hat er umgewandelt,
jedes war ihm recht.
In den grauen Hinterhöfen
von den Bürgern angespien,
wurde er zum großen König
übers Reich der Phantasie.

Charlie, dieses lumpenarme
oft getretne Gassenkind,
das vergaß das Wort des Herrn nicht,
daß die Armen selig sind.
Und er tat in spätren Jahren
als der ewge Vagabund
allen Menschen auf der Erde
seine Liebesbotschaft kund.

Mit dem Stöckchen, der Melone,
mit dem Schnauzbart zieht der Tramp -
wandelt Lumpen in Gewänder,
wandelt Steine um in Blumen,
wandelt Prügel um in Lachen,
und wer arm ist, ist nicht arm mehr,
wenn er Charlie Chaplin kennt.


 Marina antwortete am 30.04.05 (19:42):

Das Pflaumenhuhn

In Pleischte lebte einst ein Huhn,
Das Ärgernis erregte,
Weil es (was Hühner sonst nicht tun)
Statt Eier Pflaumen legte.

Es gackerte und legte froh
Die Pflaumen rot und dicklich.
Doch schien den Dorfbewohnern so
Ein Pflaumenhuhn nicht schicklich.

Sogar die Bäurin fand es dumm
Und briet bei großen Feiern
Verdrießlich und mit viel Gebrumm
Rührpflaumen statt Rühreiern.

Der Bauer sagte rundheraus,
Sehr unbekömmlich schmeckten
Gekochte Pflaumen, die, o Graus!
Im Eierbecher steckten.

Und kurz und gut und jedenfalls
Und ganz im Allgemeinen
Das arme Pflaumenhuhn fand, als
Es Freunde brauchte, keinen.

Die Köchin, die in ihrem Sinn,
Was sie nicht kennt, verachtet,
Die hat mit einem Dolch aus Zinn
Das Pflaumenhuhn geschlachtet.

In Plauschte stand ein Pflaumenbaum
An einem alten Weiher,
Der trug (ich wag’s zu sagen kaum),
Der trug statt Pflaumen Eier.

Die Eier waren zweifellos
Im Plauschner Land die besten.
Sie waren frisch und weiß und groß
Und hingen an den Ästen.

Doch reiften herbstlich ringsherum
Die Äpfel, Birnen, Feigen,
Dann fielen, plim, dann fielen, plum,
Die Eier von den Zweigen.

Sie fielen Mädchen auf den Kopf
Und Buben auf die Mützen.
Und oft schon trat ein dummer Tropf
In tiefe Gelbei-Pfützen.

Und kurz und gut und jedenfalls
Und ganz im allgemeinen:
Der arme Eierbaum fand, als
Er Freunde brauchte, keinen.

Der Tischler meint, ein Eierbaum
Verderbe gute Sitten.
Er hat ihn für den Frühstücksraum
Zu Möbelholz zerschnitten.

So büßten sie und litten sie,
Weil es die Ordnung heischte:
Der Eierbaum aus Plauschte wie
Das Pflaumenhuhn aus Pleischte.

Und nie ward jemals einem kund,
Wer diese zwei vertauschte:
Das Pflaumenhuhn aus Pleischte und
Den Eierbaum aus Plauschte.

Peter Hacks


 Enigma antwortete am 01.05.05 (07:11):

Trost

Unsterblich duften die Linden -
Was bangst du nur?
Du wirst vergehn, und deiner Füße Spur
Wird bald kein Auge mehr im Staube finden.
Doch blau und leuchtend wird der Sommer stehn
Und wird mit seinem süßen Atemwehn
Gelind die arme Menschenbrust entbinden.
Wo kommst du her? Wie lang bist du noch hier?
Was liegt an dir?
Unsterblich duften die Linden -

Ina Seidel


 Enigma antwortete am 08.05.05 (20:52):

Spätes Liebeslied

Komm, wir gehen Berge versetzen.
Wir stülpen die kranke Erdhaut um.
Komm, wir spielen mit dem Entsetzen
Únd nehmen Katastrophen nicht krumm.
Komm, wir lieben den Himmel herunter.
Er schmutzt das weißeste Linnen ein.
Komm, wir dichten die Finsternis bunter
Und kehren bei den Giftmischern ein.
Komm, wir fügen uns zusammen
Zu einem Stein, der im Feuer besteht.
Komm, hab keine Furcht vor den Flammen.
Komm, ehe der Welt der Atem vergeht.

Peter Härtling


 Marina antwortete am 11.05.05 (17:22):

Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen

Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen
Daraus entnehme ich: ihr seid Millionäre.
Eure Zukunft ist gesichert – sie liegt
Vor euch im Licht. Eure Eltern
Haben dafür gesorgt, daß eure Füße
An keinen Stein stoßen. Da mußt du
Nichts lernen. So wie du bist
Kannst du bleiben.

Sollte es dann noch Schwierigkeiten geben, da doch die
Zeiten
Wie ich gehört habe, unsicher sind
Hast du deine Führer, die dir genau sagen
Was du zu machen hast, damit es euch gut geht.
Sie haben nachgelesen bei denen
Welche die Wahrheiten wissen
Die für alle Zeiten Gültigkeit haben
Und die Rezepte, die immer helfen.

Wo so viele für dich sind
Brauchst du keinen Finger zu rühren.
Freilich, wenn es anders wäre
Müßtest du lernen.

Bertold Brecht


 Enigma antwortete am 12.05.05 (20:40):

WAS BLEIBT
Das Haus der Welt ist schlecht gebaut,
ich sitze krumm und schief darin.
Ach Sprache, meine stumme Braut,
sag mir, wo ich zuhause bin.
Hier steht ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch,
da ist noch Brot und dort ist Wein.
Was bleibt? Versteinertes Gemisch
aus Sätzen vom Lebendigsein.
Der Sinn der Wörter ist die Haut,
die langsam auseinanderfällt.
Ach Sprache, meine stumme Braut-
das Aug weint, was die Silbe hält.
Werner Söllner

Internet-Tipp: https://www.txt.de/engeler/soellner.html


 Marina antwortete am 14.05.05 (14:24):

Pfingsten

Die Engel unsrer Mütter
sind auf die Straße gestiegen.
Das Raufherz der Väter
stiller schlägt.
Feurige Zungen fliegen
oder sind wie Kränze
auf Stirnen gelegt.

Gehör und Gesicht kennen keine Grenze,
wir sprechen mit Mensch und Tier.
Was unser Blick trifft, antwortet: "Wir".
Die Kiesel am Weg sind schallende Lieder,
jeder Pulsschlag kommt von weither wieder,
Blühendes strebt, von kleinen Flammen beschwingt.

Die Fische schaukeln den Himmel auf ihren Flossen
und sind von blitzenden Horizonten umringt,
Sonne tanzt auf dem Rücken der Hunde.
Jedes ist nach Gottes Gesicht in Licht gegossen
und weiß es in dieser einzigen Stunde
und erkennt Bruder und Schwester und singt.

René Schickele
(1883-1940)


 Enigma antwortete am 14.05.05 (16:43):

Pfingstlied

Pfingsten ist heut', und die Sonne scheint,
und die Kirschen blüh'n, und die Seele meint,
sie könne durch allen Rausch und Duft
aufsteigen in die goldene Luft.

Jedes Herz in Freude steht,
von neuem Geist frisch angeweht.
Und hoffnungsvoll aus Tür und Tor
steckt’s einen grünen Zweig hervor.

Es ist im Fernen und im Nah’n
So ein himmlisches Weltbejah’n
In all dem Lieder- und Glockenklang,
und die Kinder singen den Weg entlang.

Wissen die Kindlein auch zumeist
Noch nicht viel vom Heiligen Geist,
die Hauptsach‘ spüren sie fein und rein:
Heut‘ müssen wir fröhlichen Herzens sein.

(Gustav Falke)


 Marina antwortete am 15.05.05 (10:20):

Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen; es grünten und blühten
Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn' in Büschen und Hecken
Übten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel;
Jede Wiese sproßte von Blumen in duftenden Gründen,
Festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde.

Nobel, der König, versammelt den Hof; und seine Vasallen
Eilen gerufen herbei mit großem Gepränge; da kommen
Viele stolze Gesellen von allen Seiten und Enden,
Lütke, der Kranich, und Markart, der Häher, und alle die Besten.
Denn der König gedenkt mit all seinen Baronen
Hof zu halten in Feier und Pracht; er läßt sie berufen
Alle miteinander, so gut die Großen als Kleinen.
Niemand sollte fehlen! Und dennoch fehlte der Eine,
Reineke Fuchs, der Schelm! der viel begangenen Frevels
Halben des Hofs sich enthielt. So scheuet das böse Gewissen
Licht und Tag, es scheute der Fuchs die versammelten Herren.
Alle hatten zu klagen, er hatte sie alle beleidigt,
Und nur Grimbart, den Dachs, den Sohn des Bruders, verschont’ er.


Aus Johann Wolfgang Goethe, Reineke Fuchs, Erster Gesang, V. 1-18

(Ob er wohl den ST kannte? Man könnte die Personen austauschen.:-) )


 iustitia antwortete am 15.05.05 (11:11):

Und Du, Marina??

Doch nicht Isegrim?? (Das beanpruche ich für... - na, setze die Namen selber ein...)

Goethe:
Isegrim sagte darauf: "Ein jeder brate zum Besten!"
Ach, pardon: Da steht: "Ein jeder rate...!"
- Also kann ich Opa-Felix hier und am Feiertag nicht "verbraten". (Ich entschuldige mich auch, das ich ihn FELIX-chen genannt habe. Ist eine Minimalisierung. - Seine Leistung aber besteht ja in Magnifizierung (seiner selbst) und in der "Automatisierung". Wenn er was von mir liest, überliest 101 Prozent - und findet 99 neue Prozentchen hinzu - auf der "UID" ist solch ein Gedankenzwang ein fixes SK-Syndrom: 3. Stufe. Aber das ist hier beinahe STandard!)
*
Opa-Felix - also doch der Löwe??
*
D e n Titel hätte ich für "Karl" vorbehalten.
"Da riefen sie alle: 'Wir werden gehorchen!'
- Prima, ihr Mitläufer! Und jetzt springen, hopp! Jeder darf sich eine STele "seiner Selbst" aussuchen, sie okkupieren - und rufen (was er will); es muss nur "alt-ehrwürdig" klingen.
*
Ich bin für die Abschaffung von Pfingsten überhaupt, nicht nur des Pfingstmontags!
Die Hälfte der Deutschen wissen nicht, was Pfignsten ist oder heißt; die andere Hälfte verzichtet darauf, sich entsprechend zu verhalten.
Wenn man sich für statt dessen für "Aufklärung" entscheiden könnte; aber man müsste erst alle "aufklären", z.B., dass damit kein Aktienkrieg gemeint ist.
Aber z.B.: "Ein jeder rate zum Besten!"
<*
URL.: ein stolzer Isegrim - wer widerpricht ihm gerne:

Internet-Tipp: https://www.elfenmaids-reich.de/wolf0023.jpg


 Marina antwortete am 15.05.05 (13:47):

Es ist leichter zu schweigen,
als sich im Reden zu mäßigen.

(Thomas a Kampis)


 iustitia antwortete am 15.05.05 (17:23):

Ach? Schweigen? Bitte - auch selber!
*
Und sich informieren, wer Thomas von Kempen ist.
Wenn man ihn auf Latein zitiert, kann man ihn Thomas a Kempis nennen. Aha? Oder äh: -e?
(Sonst ist es Angeberei.)
*
URL.: Ja, auf Latein, der Thomas...

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/yiBtuz6tD


 Marina antwortete am 15.05.05 (18:41):

Ich hatte das aus den Aphorismen rauskopiert, daher der lat. Name.
Hauptsache, du verstehst mich. :-)

Es gibt keine größere Illusion als die Meinung, Sprache sei ein Mittel der Kommunikation zwischen Menschen.
(Elias Canetti)

Und jetzt bitte noch'n Gedicht.


 Marina antwortete am 15.05.05 (18:58):

Wer ahnte, daß zum Weihnachtsfest
Cornelia mich sitzenläßt?

Das war noch nichts: zu Ostern jetzt
hat sie mich abermals versetzt!

Nun freu' ich mich auf Pfingsten -
nicht im geringsten!

Heinz Erhard


 iustitia antwortete am 15.05.05 (20:14):

Ja, hab' Dich verstanden, MarinA!
*
Hast Du d a s schon gelesen: Pfingsten, da überraschen mich manchmal Gedanken, wenn und ob und wie Priester, Bischöfe, Theologie-Professoren oder gar Päpste in ihrer geistig-religiösen Einsamkeit auch kritische Dichtung, z.B. von Fontane, zur Kenntnis nähmen...:

Theodor Fontane:
B e r l i n 1850

Pfingsten ist das Fest der Freude,
Das da feiern Wald und Heide. -
>Uhland<

Pfingsten war's! Nach langen Jahren
Kehrt ich heim zur Vaterstadt,
Hatte Sehnsucht nach den Laren
Und die Fremde herzlich satt.
Tanzte schon im Kolosseum,
Rutschte schon im Tivoli,
Schlürfte Kaffee im Odeum –
Und Bouillon bei Stehely.
(usw.)
[Ist hier im ST zu finden.]
*
Eine Interpretation dieses Gedichts gibt's auch im Internet - Ja, von mir, aber ich biete hier nix mehr für "lau" an - dass andere es ignorieren oder beschimpfen können, weil sie es nicht verstanden haben; da will - außer MarinA und Enigma - ja niemand sich wirklich mit Literatur und deren Erkenntnismöglichkeiten auseinandersetzen mag. Es muss ja alles spaßig-beliebig, ohne Verantwortung, "hintenrum", platt- na, und ein Alterspräsentchen sein: "gaudikativ..."
Hat Du den Begriff "Gaudikative" schon gehört.
Ja, als Ergänzung zu J., L., Exekutive.. -
(Jetzt hau ich das Thema aber anderswo rein. - Es sollen hier ja Gedichte sein.)
*
URL.: auch ein "Gaudi".

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/ocMcF17Mb


 kns antwortete am 16.05.05 (10:36):

Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!
Johannes 20,22-23


 Marieke antwortete am 16.05.05 (11:04):

DANKE, kns" !!


 Enigma antwortete am 16.05.05 (18:49):

Friedrich von Hagedorn
Der Mai

Der Nachtigall reizende Lieder
Ertönen und locken schon wieder
Die fröhlichsten Stunden ins Jahr.
Nun singet die steigende Lerche,
Nun klappern die reisenden Störche,
Nun schwatzet der gaukelnde Star.

Wie munter sind Schäfer und Herde!
Wie lieblich beblümt sich die Erde!
Wie lebhaft ist jetzo die Welt!
Die Tauben verdoppeln die Küsse,
Der Entrich besuchet die Flüsse,
Der lustige Sperling sein Feld.

Wie gleichet doch Zephyr der Floren!
Sie haben sich weislich erkoren,
Sie wählen den Wechsel zur Pflicht.
Er flattert um Sprossen und Garben,
Sie liebet unzählige Farben,
Und Eifersucht trennet sie nicht.

Nun heben sich Binsen und Keime,
Nun kleiden die Blätter die Bäume,
Nun schwindet des Winters Gestalt;
Nun rauschen lebendige Quellen
Und tränken mit spielenden Wellen
Die Triften, den Anger, den Wald.

Wie buhlerisch, wie so gelinde
Erwärmen die westlichen Winde
Das Ufer, den Hügel, die Gruft!
Die jugendlich scherzende Liebe
Empfindet die Reizung der Triebe,
Empfindet die schmeichelnde Luft.

Nun stellt sich die Dorfschaft in Reihen,
Nun rufen euch muntre Schalmeien,
Ihr stampfenden Tänzer, hervor!
Ihr springet auf grünender Wiese,
Der Bauernknecht hebet die Liese
In hurtiger Wendung empor.

Nicht fröhlicher, weidlicher, kühner
Schwang vormals der braune Sabiner
Mit männlicher Freiheit den Hut.
O reizet die Städte zum Neide,
Ihr Dörfer voll hüpfender Freude!
Was gleichet dem Landvolk an Mut?


 yankee antwortete am 18.05.05 (10:21):

Frühling

Wenn die Winde milder singen
Duft der Wiesen überall
Wenn die Vogelstimmen klingen
In dem grünen Blätterwald
Wenn das Gefühl ein Lächeln zaubert
Auf das Menschenangesicht
Wenn überall das Leben lauert
Und das Eis der Seen bricht
Wenn Blumen sich ihr Kleid anziehen
als schämten sie sich nackt zu sein
Wenn alles will zur Sonne fliehn
Juchuuh - dann kehrt der Frühling ein !


 yankee antwortete am 18.05.05 (10:22):

Frühling

Wenn die Winde milder singen
Duft der Wiesen überall
Wenn die Vogelstimmen klingen
In dem grünen Blätterwald
Wenn das Gefühl ein Lächeln zaubert
Auf das Menschenangesicht
Wenn überall das Leben lauert
Und das Eis der Seen bricht
Wenn Blumen sich ihr Kleid anziehen
als schämten sie sich nackt zu sein
Wenn alles will zur Sonne fliehn
Juchuuh - dann kehrt der Frühling ein !


 Enigma antwortete am 18.05.05 (14:50):

Hallo Yankee, lange nicht gelesen.
Aber dann erscheinst Du gleich wieder mit "Selbstgemachtem"?
Schön und lecker, wie selbstgebackener Kuchen. :-)

Und ich kann leider nur Gekauftes (besser gesagt: Geliehenes) anbieten:

Clemens Brentano
Maikäferlied.

Maikäferchen, Maikäferchen, fliege weg!
Dein Häuschen brennt,
Dein Mütterchen flennt,
Dein Vater sitzt auf der Schwelle,
Flieg in Himmel aus der Hölle.


 yankee antwortete am 18.05.05 (15:10):

@Enigma
Als ich heute aus meinem Bürofenster sah und dieses miese Wetter mir meine Vorstellung von Frühling versaute , hab ich mich an den Vers erinnnert, den ich mal vor ein paar Monaten im März an einem schönen Frühlingstag schrieb. Ich wollte, sozusagen mit aller Macht, das Gefühl eines schönen Frühlingstages geniessen. Mir schmeckt mein selbstgebackenes zwar in der Regel nicht besonders, aber das war mir heute wurscht :-)


 yankee antwortete am 18.05.05 (15:38):

Geliehenes

Heinrich Heine

Frühlingsbotschaft

Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied,
Kling hinaus ins Weite.

Kling hinaus, bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen.
Wenn du eine Rose schaust,
Sag ich laß sie grüßen.


 Enigma antwortete am 18.05.05 (20:58):

Auch Geliehenes:

Silja Walter (*1919): Tänzerin

Der Tanz ist aus. Mein Herz ist süß wie Nüsse,
Und was ich denke, blüht mir aus der Haut.
Wenn ich jetzt sacht mir in die Knöchel bisse,
Sie röchen süßer als der Sud Melisse,
der rot und klingend in der Kachel braut.



Sprich nicht von Tanz und nicht von Mond und Baum
Und ja nicht von der Seele, sprich jetzt nicht,
Mein Kleid hat einen riesenbreiten Saum,
Damit bedeck ich Füße und Gesicht
Und alles, was in diesem Abend kauert,
Aus jedem Flur herankriecht und mich misst
Mit grauem Blick, sich duckt und mich belauert,
Mich gellend anfällt und mein Antlitz küsst.



Sprich nicht von Tanz und nicht von Stern und Traum
Und ja nicht von der Seele, laß uns schweigen.
Mein Kleid hat einen riesenbreiten Saum,
Drin ruht verwahrt der Dinge Sinn und Reigen.



Ich wollte Schnee sein, mitten im August,
Und langsam von den Rändern her vergehn,
Langsam mich selbst vergessen, ich hätt Lust,
Dabei mir selber singend zuzusehn.



 Enigma antwortete am 20.05.05 (18:28):

Lied vom Meer
Capri. Piccola Marina

Uraltes Wehn vom Meer,
Meerwind bei Nacht:
du kommst zu keinem her;
wenn einer wacht,
so muss er sehn, wie er
dich übersteht:
uraltes Wehn vom Meer
welches weht
nur wie für Ur-Gestein,
lauter Raum
reißend von weit herein...

O wie fühlt dich ein
treibender Feigenbaum
oben im Mondschein.


Rainer Maria Rilke, vor dem 26.1.1907, Capri


 Enigma antwortete am 23.05.05 (08:48):

Eva Zeller (*1923) Nach erster Korinther 13

Wenn ich das Schweigen brechen könnte / und mit Menschen- / und Engelszungen reden / und hätte die Liebe nicht / so würde ich / leeres Stroh dreschen / und viel Lärm machen / um nichts.

Und wenn ich wüßte / was auf uns zukommt / und könnte alle Situationen / im Simulator durchspielen / und den Winkel errechnen / unter dem ich umkehren könnte / und ließe mich nicht einfangen / vom Schwerefeld der Liebe / so schösse ich / übers Ziel hinaus / und alle Reserven / nützten mir nichts

Und wenn ich / beim Versuch zu überleben / mein Damaskus hätte / und fände mich selbst / über alle Zweifel erhaben / auf dem Pulverfaß sitzend / wie in Abrahams Schoß / und hätte die Liebe nicht / als eiserne Ration / hinübergerettet / so fiele ich / auf meinen bergeversetzenden / Glauben herein

Und wenn ich / alle meine Habe den Armen gäbe / und meine linke Hand nicht wüßte / was die rechte tut / und ich ginge nicht / zur Tagesordnung über / sondern wäre der Spielverderber / und die lebende Fackel

und erklärte mich nicht solidarisch mit der Liebe / so hätte ich / im Ernstfall / Steine statt Brot / und Essigschwämme / für den Durst der Menschen

Die Liebe ist lächerlich / Sie reitet auf einem Esel / über ausgebreitete Kleider / Man soll sie hochleben lassen / mit Dornen krönen / und kurzen Prozeß mit ihr machen / Sie sucht um Asyl nach / in den Mündungen unsrer Gewehre / Eine Klagesache von Weltruf / immer noch / schwebt das Verfahren

Sie stellt sich nicht ungebärdig / sondern quer zur Routine der Machthaber / Die Behauptung / sie ließe sich nicht erbittern / hat sie im Selbstversuch / eindrücklich bestätigt / Sie ballt nicht die Faust / Sie steigt nicht herab / Sie hilft sich selbst / Sie dient als Kugelfang

Sie freut sich nicht / über die Ungerechtigkeit / Sie ergreift Partei / für die Ausgebeuteten / Daher ist es lebensgefährlich / sich mit ihr einzulassen / Sie könnte nämlich / Bewußtsein bilden / und den Lauf der Dinge / durchkreuzen / Also üben wir ihre Vermeidung / Tuchfühlung nur / mit ihrem ungenähten Rock / dem durch und durch gewirkten / um den wir würfeln / bis zum dreimal krähenden Morgen

Was ich auch zuwege bringe / sie ist nicht produzierbar / die Liebe / in keiner Retorte zu züchten / und schon gar nicht / auszumendeln / und aus der Welt zu schaffen / Sie ist ein Skandal / geboren / bezeugt / in Beweisnot geraten / verurteilt / gestorben / begraben / in Strahlung zerfallen

Die Liebe hört nicht auf / mich zu verunsichern / Sie findet Fragen zum Eingreifen / wo ich keine vermute / Sie überredet mich / in der Muttersprache des Menschen / Sie öffnet mir die Augen / und tritt als Sehnerv ein / An dieser Stelle ist der blinde Fleck / Und ich sollte nicht mit der Wimper zucken?

Wir sehen jetzt den Text / nicht fettgedruckt / sondern unleserlich / im Kontext beweglicher Leuchtschrift / der an- und ausgeht / Wir sind in unserm Element / im Zustand der fressenden Larve / und können nur hoffen / bis in die Verpuppung zu kommen / in den durchsichtigen Kokon / in dem wir zu erkennen sind

Nun aber bleibt / Glaube Liebe Hoffnung / diese drei / aber die Liebe ist das schwächste / Glied in der Kette / die Stelle / an welcher / der Teufelskreis bricht

Internet-Tipp: https://ursulahomann.de/WelcheRolleSpieltGottInDerModernenLiteratur/kap008.html


 Literaturfreund antwortete am 23.05.05 (17:01):

Schon unterwegs, Enigma...? Ein Psalm zur Begleitung:

Eva Zeller:
Ein Psalm zu singen

Ein Psalm zu singen
wenn meine Hoffnung
nur noch am
seidenen Faden hängt

dann wäre ich gern
die Ranke vor
meinem Fenster mit
ihrer Suchbewegung
zum Licht

ein wilder
Bienenschwarm
über erfühlter
Wasserader

eine Brieftaube
ganz und gar
mit dem Sonnen-
kompaß im Kopf

was sage ich
der Blütenküsser
Kolibri um an den
süßesten Göttertrank
zu gelangen zapft
er mit dem Schnabel
den Kelchboden an
zwanzig Blüten
pro Minute

(1992)

Internet-Tipp: https://www.litlinks.it/z/zeller_eva.htm


 Enigma antwortete am 23.05.05 (17:28):

Hallo Literaturfreund,

der Name mutet an und lässt auf einiges an lyrischen Geschenken hoffen. :-)
Den Psalm mag ich und nehme ihn mit auf die Reise, weil ich im Flugzeug immer etwas Angst habe. Vielleicht hat er, der Psalm, ja eine beschützende Kraft.
Aber jetzt ohne Scherz. Die Eva Zeller gefällt mir schon sehr.

Und als Gegenleistung lasse ich ein "Gebet" da.

Bis dann!


aus: Christian Hörburger: Nihilisten - Pazifisten
Nestbeschmutzer, Verein für Friedenspädagogik, '93

Dieter Hildebrandt: Gebet

Lieber Gott mach mich fromm,
daß ich weit nach oben komm,
hilf mir meinen Mund zu halten,
vor den irdischen Gewalten,
laß mich nicht zu tolerant sein
und ein bißchen Intrigant sein,
daß mich der Herr Pfarrer liebt
und mir Heiligenbildchen gibt.

Lieber Gott mach mich kalt,
daß ich nie zu Schwachen halt,
hilf mir Treue vorzuheucheln
und den Mächtigen zu schmeicheln,
laß mich nicht an Dogmen zweifeln
und mich hüten vor den Teufeln,
die stets alles kritisieren
und des Lehrers Gunst verlieren.

Lieber Gott mach mich dumm,
daß ich niemals frag warum.
Hilf mir stets das eigne Denken
auf den Alltag einzuschränken,
vor Geboten mich zu ducken,
gegen Zwang nicht aufzumucken,
dann schaff's ich mit dieser Tour
sicher bis zum Abitur.

Lieber Gott mach mich fromm,
daß ich weit nach oben komm.
Laß mich stets ein dumpfer Christ sein,
nie ein grüner Anarchist sein.
Ich will statt zu demonstrieren
an Fronleichnam mitmarschieren.
Hilf mir nirgends anzuecken,
alle Stiefel blank zu lecken,
dann werd ich, das hoff ich sehr,
einmal Fernsehredakteur.


 Literaturfreund antwortete am 23.05.05 (17:42):

Na, der Dieter H. -
da schick ich Dich mit diesem "Höss" auf Reisen; und kannst Dir selber den alten "Claudius", vorgetragen von ihm oder dem Polit-Pöten Kohl, dazu summen.

*

DIETER HÖSS
Lied des Astronauten
Melodie: Der Mond ist aufgegangen

Der Mond ist eingefangen,
von Sonden schon begangen,
von Fotos wohlvertraut.
Das All steht schwarz und schweiget,
doch aus Raketen steiget
schon hie und da ein Astronaut.

Noch ist der Kosmos stille
und in der Kapsel Hülle
so traulich und so hold
als wie ein leeres Zimmer,
das nur der Sterne Schimmer
erreichen und erhellen sollt.

Wenn wir darein nun treten,
was nützet unser Beten,
daß es so traulich blieb?
Da wir doch weiterfahren,
herrscht hier in ein paar Jahren
bestimmt der schlimmste Hochbetrieb.

Wir tollen Menschenkinder
sind mächtige Erfinder
und machen nirgends halt.
Wir holen uns die Sterne,
selbst Venus, die noch ferne,
und wenn es sein muß, mit Gewalt.

Wie bist du, Welt, von weitem
so still. Von deinem Streiten
spürt man hier keinen Hauch.
Herr, schütze mein Reisen
und laß mich ruhig kreisen –
und meinen toten Nachbarn auch.


 Enigma antwortete am 23.05.05 (18:17):

Danke,
bis auf den Nachbarn ist ja auch alles o.k. :-)

Jetzt aber wirklich das aller-, allerletzte, für heute:
Morgen ist um 5.00 Uhr für mich Tag.

aus: Dieter Höss: HÖSSlich bis heiter; Fischer, '79

Dieter Höss: Neuer Skandal

Katholische Hirtenkreise erwägen
eine Strafanzeige gegen
sieben Senner aus der Schweiz,
die vor Jahr und Tag bereits
das Geständnis unterschrieben:
Wir haben abgetrieben.


 Literaturfreund antwortete am 27.05.05 (17:19):

Was Sprachspielerisches vom fast vergessenen Odeman:

Robert T. Odeman:
Besitzrecht

Das Wort „besitzen" hat von eh und je
mich fasziniert in unsrer deutschen Sprache.
Es ist abstrakt gemeint, jedoch ich mache
Experimente mit der Silbe „be“.
Ich kann mich, wenn der Sinn mir danach steht,
besaufen, auch betasten und beklopfen,
ich kann mit Wachs die Hose mir betropfen,
ist also Handlung und durchaus konkret.

Jedoch „besitzen" ist ein Zwitterding.
Ein Sofa kann ich so und so besitzen.
Doch einer Geige würde es konkret nichts nützen,
weil sie ganz sicher in die Binsen ging'.
Noch ein konkreter Fall sei hier berührt.
Ein Mann besitzt zum Beispiel eine Torte.
Wie sieht er danach hinten aus? Genug der Worte!
Man sieht, wohin mit dem Begriff es führt.
Ganz sonderbar ist es bei einer Frau.
Ich kann auf ihrem Schoß mich niedersetzen,
vorausgesetzt, es wird sie nicht verletzen.
Besessen hab ich sie dann nicht - genau.
Man sagt von manchem, daß er Geist besitzt.
Das mag wohl sein, doch zweifle ich indessen.
Die meisten haben ihren platt gesessen,
und dadurch ist er völlig abgenützt.

Die Henne aber, die ist sehr geschickt.
Vom Hahn besessen, sitzt sie auf den Eiern.
Als Phänomen ist sie darob zu feiern.
Ihr ist der Doppelsinn durchaus geglückt.
*
(R.T. Odeman: Im Vertrauen gesagt... Berlin 1967. S. 15.- Ich werde noch mehr Odeman-Gedichte aus seinen wichtigsten Büchern hier einstellen; z. B. aus “Ins Fettnäpfchen getreten“. Oder aus: “Unter uns Pastorentöchtern. Alte und neue Zeit aufs Korn genommen“.


 Enigma antwortete am 07.06.05 (13:44):

Die Frauen von Nidden

Die Frauen von Nidden standen am Strand,
Über spähenden Augen die braune Hand,
Und die Boote nahten in wilder Hast,
Schwarze Wimpel flogen züngelnd am Mast.

Die Männer banden die Kähne fest
Und schrieen: "Drüben wütet die Pest!
In der Niedrung von Heydekrug bis Schaaken
Gehn die Leute im Trauerlaken!"

Da sprachen die Frauen: "Es hat nicht Not, -
Vor unsrer Türe lauert der Tod,
Jeden Tag, den uns Gott gegeben,
Müssen wir ringen um unser Leben,

Die wandernde Düne ist Leides genug,
Gott wird uns verschonen, der uns schlug!" -
Doch die Pest ist des Nachts gekommen,
mit den Elchen über das Haff geschwommen.

Drei Tage lang, drei Nächte lang,
Wimmernd im Kirchstuhl die Glocke klang.
Am vierten Morgen, schrill und jach,
Ihre Stimme in Leide brach.

Und in dem Dorf, aus Kate und Haus,
Sieben Frauen schritten heraus.
Sie schritten barfuß und tief gebückt
In schwarzen Kleidern bunt bestickt.

Sie klommen die steile Düne hinan,
Schuh und Strümpfe legten sie an,
Und sie sprachen: "Düne, wir sieben
Sind allein noch übrig geblieben.

Kein Tischler lebt, der den Sarg uns schreint,
Nicht Sohn noch Enkel, der uns beweint,
Kein Pfarrer mehr, uns den Kelch zu geben,
Nicht Knecht noch Magd ist mehr unten am Leben. -

Nun, weiße Düne, gib wohl Acht:
Tür und Tor ist dir aufgemacht,
In unsre Stuben wirst du gehn
Herd und Hof und Schober verwehn.

Gott vergaß uns, er ließ uns verderben.
Sein verödetes Haus sollst du erben,
Kreuz und Bibel zum Spielzeug haben, -
Nur, Mütterchen, komm, uns zu begraben!

Schlage uns still ins Leichentuch,
Du unser Segen, - einst unser Fluch.
Sieh, wir liegen und warten ganz mit Ruh" -

Und die Düne kam und deckte sie zu.
Agnes Miegel


 Literaturfreund antwortete am 07.06.05 (18:54):

Zum Gruße, Enigma!
Ich stelle mir vor: Ich bin raufgekraxelt und stehe auf der großen Aussichtsdüne, vor Nida - und lese Dir von Bobrowski das Gegenstück zu der Ballade von der Miegel vor:

Johannes Bobrowski:
DIE FRAUEN DER NEHRUNGSFISCHER

Wo das Haff
um den Strand lag
dunkel, unter der Nacht noch,
standen sie auf im klirrenden
Hafer. Draußen die Boote
sahen sie, weit.

Wenn sie kamen - die Alten
wachten am Ruder, die Söhne,
wirr vor Schlaf, in den Armen
des Netzzugs Last -,
ging durch den Himmel ein heller
Streif und hing um die Dächer.
Droben
wenige Rufe
trieben im Wind.

Und gering war der Fang.
Vor Zeiten, sagt man, umglänzte
hundertschwärmig der Hering
draußen die Meerbucht, silbern
schwand er. Die Närrin
schreit es am Waldrand hin,
altes Lied, Gewitter
reißt’s aus der Bläue.
*
In: Sarmatische Zeit. (15.6.1955; aus: J. B.: Werke. Bd. I. S. 13)
*
URL.: Blick aufs Haff

Internet-Tipp: https://www.radelreisen.de/Riga/Nidden.jpg


 Enigma antwortete am 08.06.05 (08:42):

...ja danke, Bobrowski mag ich auch sehr gerne.
Und der Blick aufs Haff ist fast so fantastisch wie in der Realität.
Und jetzt wieder was anderes, aber auch aus dem Baltikum:

Jannis Rainis
Der Weg des Geistes

-- Doch höher, immer höher führt dein Weg:
Zurück bleibt alles wie ein Morgenschatten,
Die Luft wird kühl und dünn über den Graten,
Doch höher, immer höher führt der Weg ...
Vom Körper fallen ab die Erdenbande,
Der Haß, der Zorn, Gebrechen und die Schande;
Befreit von Leid, Vergangenheit und Sorgen
Schaust du ein Bild von einem goldnen Morgen;
Frei ist der Geist zum Flug in dieser Helle;
Weiß wie der Berge Schnee erglänzt die Seele;
Was rauh und schwer, versinkt, - die Sanftheit strahlt,
Als ob ein Sternenschein durchsicht´ge Schimmer malt ...
... Doch höher, immer höher führt dein Weg ...
Zurück bleibt alles wie ein Morgenschatten,
Die Luft wird kühl und dünn über den Graten,
Doch höher führt der Weg, der Sonne zu,
In Ewigkeit bringt nichts den Weg zur Ruh ..

Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/autoren/rainis.htm


 Enigma antwortete am 08.06.05 (08:48):

Und gleich noch eins von ihm, das ich auch sehr schön finde:

Jannis Rainis

Dreifach duften alle Blüten,
vierfach duften nur die gelben:
Duft der Süße, Duft der Freude,
Duft der jungen Frühlingstage.
Welches ist der vierte Duft?
Duft der ungestandnen Liebe.


 mmargarete01 antwortete am 08.06.05 (14:52):

Jede Blume

Jede Blume ist eine Königin.
Willst du sie pflücken,
musst du dich bücken,
tief verbeugen,
ihr die Ehre beweisen.

Margret Nottebrock


 Enigma antwortete am 09.06.05 (07:16):

Peter Rühmkorf
Naturlyrik


Kalmusduft kommt wild und würzig
Kraut und Rüben gleich Gedicht,
Wenn die Gruppe Siebenundvierzig
Spargel sticht und Kränze flicht.

Abendland hat eingeladen
Suppengrün und Fieberklee -
Auf die Quendelbarrikaden,
Engagée, engagée!

Wenn die Abendglocken läuten,
Wenn die grüne Heide blüht, -
Lattich den Geworfenheiten,
Pfefferminze fürs Gemüt.

Weyrauch duftet süß und Bender,
und es dämmern Laich und Eich.
Sachte rutscht der Abendländer
In den sanften Ententeich.

Internet-Tipp: https://www.litlinks.it/r/ruehmkorf.htm


 Enigma antwortete am 14.06.05 (17:36):


Der Frieden

Friede ist das Selbstgespräch des Reisenden
Zum Reisenden am anderen Ufer
Friede - zwei Fremde, sie teilen das Gurren ihrer Tauben
Am Rande des Abgrunds
Friede - die einsame Sehnsucht zweier Feinde
Nach einem Gähnen auf dem Gehsteig der Langeweile
Friede ist das Stöhnen zweier Liebender
Bei ihrem Bad im Mondlicht
Friede ist des Waffenstarken Bitte
An den Schwachen, doch Gefassteren: Vergib
Friede sind Schwerter, zerbrechend im Angesicht
Natürlicher Schönheit, wenn Frühtau den Stahl zersetzt
Friede ist ein vertrauter Morgen, ein freundlicher
Leichtfüßiger, fern jeder Feindschaft
Friede ist ein Zug, der Ausflügler vereint, die heimkehren
Oder ausziehen in die Vororte der Ewigkeit
Friede heißt öffentlich bekennen: Was habt ihr getan
Mit dem Schatten des Ermordeten?
Friede heißt den Garten pflegen und fragen:
Was pflanzen wir demnächst?
Friede heißt Vorsicht vor magischen Fuchsaugen, die
Urtriebe wecken in einer verängstigten Frau
Friede ist der stützende Seufzer für das Tremolo
Im blutenden Herzen einer Gitarre
Friede ist des Lebens Gesang hier im Leben
Auf der Saite einer Ähre
Friede heißt einen Jungen beweinen, dem ein Frauenblick
Das Herz durchbohrte
Keine Kugel, keine Granate

Mahmud Darwisch

Internet-Tipp: https://www.exil-archiv.de/html/biografien/darwisch.htm


 yankee antwortete am 14.06.05 (18:15):

Friede kann auch sein: zwei Meter unter der Erde in einer dunklen Kiste die ewige Nacht zu geniessen. :-)


Der Schwan
Rilke

Diese Trübsal, durch noch ungetanes
schwer und wie gebunden hinzugehn,
gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes.

Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen,
jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn,
dieses ängstliche sich Niederlassen

in die Wasser, die ihn sanft empfangen
und die sich wie glücklich und vergangen
unter ihm zurück ziehn, Flut um Flut,
während er unendlich still und sicher,
immer mündiger und königlicher
und gelassener zu ziehn geruht.


 Enigma antwortete am 15.06.05 (08:12):

@Yankee
hoffentlich erstmal nicht, der Friede "in der dunklen Kiste".
Der bleibt uns ja immer noch :-)

Alexander Puschkin
Wiedergeburt


Ein Kunstbarbar mit schlaffer Hand
Befleckt das Bild eines Genies,
Indem er es voll Unverstand
Mit eignen Krakeln überzieht.

Die fremden Farben mit den Jahren
Platzen schuppenwelk herab;
Bis das, was das Genie gestaltet,
In alter Schönheit wieder strahlt.

So muss auch jener Irrtum schwinden,
Der lang schon meine Seele quält,
Bis sich Visionen wiederfinden,
Die rein der erste Tag enthält.

1819


 Literaturfreund antwortete am 15.06.05 (08:30):

Wilhelm L e h m a n n: Signale

Seewärts hör ich Signale tuten:
Sie schießen die Torpedos ein.
Auf fernen Meeren, nah dem Ohre,
Gesprengter Leiber letztes Schrein.

Der Märzwind greift den Wandernden,
Ich gleite wie auf Flügelschuhn;
Dann bin ich selbst ihm aufgestiegen
Und kann auf seinem Rücken ruhn.

Ein Girren streicht um meine Kniee,
Ein Rebhahn schwirrt am Kleinbahndamm.
Vor aufgerauhter Schlehdornhecke
Säugt Mutterschaf sein erstes Lamm.

Hör ich noch die Signale rufen?
Sie wurden Klang von Roncevalles:
Woran die Herzen eins zersprangen,
Schwebt echoleicht als Hörnerschall.

Mich feit der süße Augenblick.
Die Zügel häng ich ins Genick
Dem Windpferd, daß es schweifend grase.
Huflattich blüht, es springt der Hase.

Die Wolken bauen Pyrenäen,
Der Erdgeist denkt die Vogelreise:
Und ohne daß sie wissen, zucken
In Aufbruchslust die Kuckuckszehen.
Sie landen, höhren Flugs getragen
Als ich Schrapnells, Granaten wagen.

Ob draußen noch Signale tuten?
Schießt man noch die Torpedos ein?
Schreckt noch das Ohr auf fernen Meeren
Zerfetzter Leiber Todesschrein?

Tief innen übte sich inzwischen
Gesang, der Thebens Mauern baute.
Fang an mit zwiegespaltnem Laute:
Und "heile, heile, heile!" tönt es,
Kuckuck! Kein Fluch der Erde höhnt es.

Granaten und Schrapnells verzischen.
*
(Entstanden ist das Gedicht im März 1941. Veröffentlichen konnte W.L. es nicht in der ersten Auflage des Gedichtbuchs „Der grüne Gott“, 1942 erschienen. Es fand erst Aufnahme in die 2. Auflage, die in Heidelberg 1948 herauskam.
Text nach W. L.: Gesammelte Werke in acht Bänden. Bd. 1. Sämtliche Gedichte. Stuttgart 1982: Klett-Cotta. S. 116.)
*
"Signale" als Gedicht spiegelt nicht die oft kritisierte Realitätsflucht und Zeitenthobenheit der „inneren Emigration“ des Dichters oder seiner Freunde bis 1945...
*
URL.: eine Plastik Wilhelm Lehmanns im Museum in Eckernförde.

Internet-Tipp: https://www.eckernfoerde.net/museum/bilder/lehmann_plastik_200.jpg


 Enigma antwortete am 16.06.05 (08:11):

Joseph Brodsky
Litauisches Divertimento

Des Himmels Gesicht schauen
Darf nur die See.
Der Wanderer senkt seinen Blick,
In die Dünen geduckt,
Zum Wein, den er nippt,
Wie ein König
Ohne sein Reich und die Harfe.

Das Haus ist verwüstet,
Die Herden geraubt.
Den Sohn hat ein Hirt in der Höhle versteckt.
Und vor ihm liegt nun: das Ende der Welt.

Internet-Tipp: https://lexikon.freenet.de/Joseph_Brodsky


 Literaturfreund antwortete am 16.06.05 (08:49):

Zu dem Puschkin-Gedicht, das Enigma hier einstellte, habe ich noch eine andere Übersetzung gefunden, von Michael Engelhard:

Alexander P u s c h k i n:
WIEDERGEBURT

Der Pinsel eines Kunstbanausen
Fährt über eines Genius Bild,
Worauf er es mit seinem krausen
Gesudel unverständig füllt.

Doch schuppengleich fällt mit den Jahren
Die fremde Farbenschicht herab,
Daß wir die Schönheit neu gewahren
Des Werks, das uns der Genius gab.

So wird auch meines Irrens Plage
Aus der zerquälten Seele gehn,
Und werden meine Jugendtage
In reinen Bildern auferstehn.

*

A.P.: Die Gedichte. Insel Verlag. 2003. S. 127)

URL.: Das Puschkin-Denkmal, zentral in St. Petersburg -

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/024qkAicQ


 Literaturfreund antwortete am 16.06.05 (12:05):

Ich erlaube mir.. zu Puschkins "Wiedergeburt":

Wer das Gedicht genau liest, spürt oder ahnt zumindest, dass hier beide Vorstellungen über das Nach-Leben (die christliche: vom Weiterleben in irgendeinem Gnaden-, Licht oder erfüllteren Geisteszustand... - und die alte indische Wiedergeburtslehre) einbezogen sind: in die psychologisch-künstlerisch legitimierte Erweckungs-Vorstellung, dass wir uns mit uns selber beschäftigen können und uns renoviern, erneuern können - aus dem Bedürfnis heraus, dass wir uns unter Wert beschäftigt haben, dass wir mehr als nur das bisher Nötige, das bis jetzt Erlebte, aus uns machen können.

Alle weiteren Erwartungen, Hoffnungen - weiterleben können, irgendwie, außerhalb unsere materiellen und neurologischen Existenz - sind selbstbetrügerische Wunschvorstellungen. Kein Mensch kann außerhalb der uns umgebenden Atmosphähre, unter deren Bedingungen, sich überhaupt alles Leben entwicklen konnte, e x i s t i e r e n. Jedenfalls kann er keine nervliche Leistung erbringen, irgendetwas davon zu bemerken, zu verspüren, zu genießen - was ihn den da "beglücken" im Jenseits, im Nirwana, im Paradies, im "Wer-weiß-was-auch-immer-Bereich".
Wer sich solchen Ideen hingibt, hat (mindestens) e i n e s nicht gelernt, sich hier und heute im Dasein und in der für uns und andere kommunizierbaren S p r a c h e - zu verwirklichen. (Alles andere irgendwie Erlebbbare wäre noch nicht mal animalisch, wie ein Hund z. B. uns angähnen, eine Katze uns angucken kann, eine Blüte uns erfreuen, ein Liebesspiel - ein Buch - uns völlig umkrempeln können.)
*
Im Menschen stecken viele w u n d e r b a r e L e b e n - v o r dem T o d!
Dichter (oder andere Künstler) erleben es täglich!
*
Url. - guter Rat ist nicht teuer...

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/5TpTZSyJc


 Literaturfreund antwortete am 16.06.05 (12:15):

Mit dem Text von Hugo Claus möchte ich hinweisen auf die neue www.lyrikline.de; das umfangreichste Lyrik-Portal.
(Ältere Autoren wie die Dickinson gibt es dort aber nicht.

Hugo Claus:
DICHTER

Herbst. Horch. Knattern. Hörst du das laute Prasseln?
Es naht in unsern Kleidern, in unsern Haaren.
Läuse aus Geräusch. Was ist dies aussätzige Murmeln?
Kind, das sind die zähneklappernden Dichter draußen.

Je näher die Dichter ihrem Sterben kommen
Desto grimmiger greinen sie zu den Sternen.
Im Morgennebel, in dem ihre Bilder schmelzen
Erfrieren die Dichter in einem erkennbaren Jackett.

Horch wie fiebrig sie ihr nahendes Schwinden erklären
Denn ihr letztes Röcheln soll durchsichtig sein,
Ihre Leserwitwen zum Schluchzen bringen.

,0, unser Ego war zu düster!’ klagen sie.
,Das verlangte die Zeit, polyinterpretabel wie wir!’
Und siehe, sie kriechen aus ihren Seelenwickeln,
Den Mund voll Kroketten und Gebeten um Gnade
Für ihre Prostata, ihr Plagiat.

Und in den letzten Zügen entdecken die Dichter jäh
Die beruhigenden Mirakel der Götter, Aphorismen,
Aspirin, Zärtlichkeiten. Zum erstenmal kann ihre Liebste
Etwas von den Lippen ihres Liebsten lesen.

Und bevor die Dichter, lose Winteräpfel,
Von den Pflückern als minderwertig verschmäht
Schließlich doch im November fallen
Wollen sie auf ewig für die Nachbarn verständlich
Fallen. Im Krämerjargon, wie Obst natürlich überreif.

Sie lauschen noch immer verbittert dem Geschmier
Der Zeitung, die ihren Namen stets falsch buchstabiert
Und füllen ihre Kreuzworträtsel aus
Voll Anekdoten, Angst und stolpernder Lieben.

Aber zu spät, zu taub, wird den Dichtern klar
Daß, was düster und platt in ihren Versen war,
Durch Abnutzung, Dauer, nicht heller wird,
Sondern weiter verdirbt. Unergründlich
Bleiben ihr Haus, ihr Wort, der Breitengrad, der Azur.
Ihre sture Dunkelheit bleibt ordinär wie Geld
Und flüchtig wie der Tod.
*
Übertragen von Maria Csollàny. Aus: Hugo Claus, Gedichte, Klett-Cotta, Stuttgart 2000.

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/9blKbqqqy


 Enigma antwortete am 17.06.05 (09:48):

Guten morgen alle

@Literaturfreund
Danke für die 2. Gedichtfassung, die ich auch besser finde, und vor allem für die Interpretation, besonders, weil sie gut zu meinem Wunsch passt, zumindest einiges, was ich noch tun oder kennenlernen möchte, möglichst in diesem Leben zu realisieren.
Auf dass es mir nichtganz und gar so gehe, wie diesem Mann: :-))

Leichenreden
betrauern wir diesen mann
nicht weil er gestorben ist
betrauern wir diesen mann
weil er es niemals wagte
glücklich zu sein
betrauern wir diesen mann
der nichts war als arbeit und pflicht
betrauern wir diesen mann
weil er immer getan hat
was man von ihm verlangte
betrauern wir diesen mann
der nie mit der faust auf den tisch schlug
betrauern wir diesen mann
weil er nie auf das urteil anderer pfiff
und einfach tat was ihm paßte
betrauern wir diesen mann
der fehlerfrei funktionierte
betrauern wir diesen mann
weil er streit und frauen vermied
und heute von allen gerühmt wird
betrauern wir diesen mann
nicht weil er gestorben ist
betrauern wir diesen mann
weil er war wie wir auch sind -
betrauern wir uns
Kurt Marti

Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/autoren/marti.htm


 Enigma antwortete am 19.06.05 (08:39):

aus: Dieter Höss: HÖSSlich bis heiter; Fischer, '79
Dieter Höss:

Der Rosenmord

Der Rosenmord
in der Wahner Heide
ist aufgeklärt.
Der Täter war
schon bevor er gestand,
klar überführt aufgrund
von Kratzwunden
an der Hand.
Die Heiderose
hatte sich offenbar
verzweifelt gewehrt.
Als Motiv
nannte der aus einem Heim
entwichene Jugendliche
sexuelle Nöte.
Der Rosenmord
in der Wahner Heide
war der dreimillionste
seit Goethe.


 Literaturfreund antwortete am 21.06.05 (09:33):

...> Wilhelm Lehmanns besondere "Naturlyrik":

Da ich hier das Lehmann-Gedicht "Signale" schon mal vorgestellt habe, verweise ich auf diese Adresse:

Internet-Tipp: https://www.anthologie.de/010.htm


 Enigma antwortete am 22.06.05 (09:01):

Danke, ich habe auch Kahlau und Cullum gefunden und gelesen...

Aber ich habe noch mehr gefunden:
Ist das wirklich ein unbekanntes Gedicht von Benn?

"Wer war Else?

Die FAZ präsentiert heute ein unbekanntes Gedicht und eine unbekannte Liebe von Gottfried Benn. Das Gedicht beginnt so:

Liebe -
dies Wort wollen wir garnicht in die Diskussion werfen
ich bleibe ja doch in mir allein
aber ich sehe dich gern an
ich fühle dich gern an
ich esse gerne mit dir
wir sprechen so freundschaftlich mit einander
sind den ganzen Tag auf einer zärtlichen Ebene
ach - morgen
weisst du was davon"


 Literaturfreund antwortete am 22.06.05 (09:54):

Ja, schöner Fund....!
Den Text hatte ich noch nicht gelesen...
Passt aber zu dem Fremdel-Bild, das sich Benn gegenüber Frauen gab: kalt, zynisch, herrisch, erprobungsvoll, verantwortungslos, aber auch gestylt "entsagungsvoll" - am öffentlichsten eben gegenüber E. L. SCH.:

Die antwortete in vielen Texten, so z.B.:

Else Lasker-Schüler (1869-1945)

GISELHEER DEM KÖNIG

Ich bin so allein
Fänd ich den Schatten
Eines süßen Herzens.

- Oder mir jemand
Einen Stern schenkte -

Immer fingen ihn
Die Engel auf
So hin und her.

Ich fürchte mich
Vor der schwarzen Erde.
Wie soll ich fort?

Möchte in den Wolken
Begraben sein,
Überall wo Sonne wächst,

Liebe dich so!
Du mich auch?
Sag es doch - - -

*

Dargestellt in:
Helma Sander-Brahms: G.B und E.L.Sch. rororo 22535.

Internet-Tipp: https://www.hagalil.com/sfarim/else.jpg


 Enigma antwortete am 25.06.05 (07:52):

Geschichte der Poesie

Wie die Erde voller Schönheit blühte,
Sanftumschleiert von dem Rosenglanz
Ihrer Jugend und noch bräutlich glühte
Aus der Weihumarmung, die den Kranz
Ihrer unenthüllten Kindheit raubte,
Jeder Wintersturm die Holde mied,
O! da säuselte durch die belaubte
Myrte Zephir sanft das erste Lied.
Eva lauschte im Gebüsch daneben
Und empfand mit Jugendphantasie
Dieser Töne jugendliches Leben
Und die neugeborne Harmonie,
Süßen Trieb empfand auch Philomele
Leise nachzubilden diesen Klang;
Mühelos entströmet ihrer Kehle
Sanft der göttliche Gesang.

Himmlische Begeistrung floss hernieder
In der Huldin reingestimmte Brust,
Und ihr Mund ergoss in Freudenlieder
Und in Dankgesängen ihre Lust,
Tiere, Vögel, selbst die Palmenäste
Neigten staunender zu ihr sich hin,
Alles schwieg, es buhlten nur die Weste
Froh um ihre Schülerin.

Göttin Dichtkunst kam in Rosenblüte
Hoher Jugend eingehüllt herab
Aus dem Äther, schön wie Aphrodite,
Da ihr Ozean das Dasein gab.
Goldne Wölkchen trugen sie hernieder,
Sie umfloss der reinste Balsamduft,
Kleine Genien ertönten Lieder
In der tränenlosen Luft.
Novalis
Freiherr Georg Philipp Friedrich Leopold
von Hardenberg, NOVALIS, 1772 - 1801

Und die Bilder vom "Paradiesgärtein" finde ich auch sehr schön - she. URL! -

Internet-Tipp: https://www.onlinekunst.de/mai/02_05_3_Novalis.htm


 Enigma antwortete am 28.06.05 (18:07):


Sonnenuntergang

Sacht erlischt schon die Sonne, warm war der Abend und stille,
Hie und da deckt noch die Runde des Himmels ein flockiges Wölkchen,

Oben leuchtet es blau, gen Abend in rosigem Schimmer.
Schönes Wetter künden die Wölkchen in ihrer strahlenden Leichte,
Herden von Lämmern gleichen die einen, die schlummern auf Wiesen,

Doch auch wie Krickentenscharen schweben noch kleinre am Himmel.
Schleiern von Vorhängen gleicht eine ruhende Wolke im Westen,
Durchsichtig fast, wie in Falten gelegt und perlgrau von außén,
Golden umsäumt ist ihr Rand und im Innern glänzt sie wie Purpur,
Glimmt und glüht auf im Glanz der am Abend verblühenden Sonne,
Bis sie allmählich vergilbt und fahl wird, verblassend ins Graue;
So senkt die Sonne ihr Haupt und schiebt vor sich eine Wolke,
Mit einem wärmenden Hauche seufzt sie noch auf - und entschlummert.

Adam Mickiewicz

Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/autoren/mickiewicz.htm


 Enigma antwortete am 30.06.05 (07:07):


GRÄSSLICHES UNGLÜCK
welches eine deutsche Familie betroffen hat

Im Wirtshaus sitzt der Vater,
Die Mutter im Theater,
Sie schwelgt im Kunstgenuß.
Die Tochter, unschuldsreine,
Liest still beim Lampenscheine
Den Simplicissimus.

Wie alle höh'ren Töchter
Hat sie nicht der Geschlechter
Verschiedenheit gekennt.
Doch als sie dies gelesen,
Ist alles futsch gewesen,
Was man moralisch nennt.

Sie ließ den Storchenglauben
Wohl über Nacht sich rauben
Und sonst noch mancherlei.
Sie las vergnügt die Witze,
Verstand die frechste Spitze
Und wußte, was es sei.

Als dies die Mutter ahnte
Und ihr das Schlimmste schwante,
Sprach sie nicht einen Ton.
Sie schloß in ihrer Kammer
Sich ein, mit ihrem Jammer
Und einem Bariton.

Noch tiefer ist gesunken
Der Vater. Schwer betrunken
Holt er sich bald die Gicht.
Wie war er gut katholisch!
Jetzt ist er alkoholisch!
Bis daß sein Bierherz bricht.

Er geht nicht mehr von hinnen,
Poussiert die Kellnerinnen
Vor Gram und Überdruß.
Und wer hat das verschuldet?
Der, den man leider duldet,
Der Simplicissimus.


Ludwig Thoma
Aus: Deutsche Balladen :-)


 Enigma antwortete am 03.07.05 (17:34):

In einem kleinen Gedicht von Günther Grass mit dem ironischen Titel
"Tour de France" heißt es:

Als die Spitzengruppe
von einem Zitronenfalter
überholt wurde
gaben viele Radfahrer
das Rennen auf


 marie2 antwortete am 03.07.05 (21:57):

Noch ein kleines Gedicht, nicht zur Tour de France, aber zum Zitronenfalter.

Ein weißer Schmetterling...

Ein weißer
Schmetterling ein
Zitronenfalter erzählst du
Haben sich mustergültig
Umtanzt wüsste
Gern was es bedeutet.

Sarah Kirsch
(aus: Schwanenliebe, Zeilen und Wunder, Gedichte, 2001, DVA)


 Enigma antwortete am 04.07.05 (07:32):

Sehr schön, marie2...


Jedes Mal,
wenn die Sonne einen Schatten wirft,
nehme ich die Brille ab
und schließe die Augen,
um besser zu sehen.

„Blinder!” ruft mir das Leben zu.
„Hellseher?” murmelt die Ewigkeit.

Und ich werfe mich
unterwürfig zu Boden,
hebe das Glas auf,
das der Sonnenschatten eingefärbt hat,
und setze es vor die Augen.

„Sehender!” ruft mir das Leben zu.
Die Ewigkeit
schweigt.
18. 1. 1978 Anatols Imermanis
Deutsch von Matthias Knoll

Internet-Tipp: https://www.literatur.lv/autoren/imermanis/gedichte.htm


 Enigma antwortete am 05.07.05 (09:57):

Wenn ich einst alt bin ...

Wenn ich einst alt bin
trage ich Mohnrot
weil ich das Brennen nicht missen möchte
in meinen Gliedern
in meinem Herz
Einen grossen Hut
der weit auslädt
und das Gesicht anmutig verschattet
Ich werde stolz sein
wenn die Leute hinter mir tuscheln:
Da geht die verrückte Alte mit ihrem Hut
Vieles werde ich nicht mehr machen
Zuhören zum Beispiel
wenn ich nicht mag
oder bleiben wenn es mich langweilt
nicht mehr fächeln
mit höflichen Floskeln
sondern sagen wie es mir ist
Vieles aber
will ich noch tun
Rutschbahn fahren mit meinem Enkel
rumpurzeln im Heu
und lachen dazu
Leute ansprechen
im Tram auf der Strasse
die mir gefallen und fragen
wie geht’s?
Zeit mir nehmen für einen Schwatz
im Blumenladen die Ansicht
der Gärtnerin kennen lernen
über Jahreszeiten und Sträusse
Reisen
ein Weingut suchen im Herz der Toskana
weil mir das Etikett auf der Flasche gefiel
An die Nordsee fahren
weil ich Sehnsucht habe
nach grauen Stränden und frischem Wind
Was mir so einfällt
ein Nachtspaziergang
Düften folgen
und fliegen lassen Bänder im Wind
Unbekümmert und barfuss
lauf ich ins Grab
Elisabeth Schlumpf


Elisabeth Sclumpf, inzwischen 74-jährige Psychotherapeutin aus Zürich, beschäftigt sich u.a. mit Fragen der Gestaltung des Alters.
Sie ist Mitbegründerin des Zentrums für Form und Wandlung in Zürich.

Internet-Tipp: https://www.maur.ch/aussenstellen/bibliothek/frames/ttext1004.html


 pilli antwortete am 05.07.05 (10:03):

welche lust...

*alt* werden zu dürfen!

ich dank dir Enigma, das gedicht von Elisabeth zu lesen!

:-)


 Enigma antwortete am 05.07.05 (10:22):

... ja Pilli, ich finde auch sie und ihre Einstellung toll.


gelegentlich aber

wer im glück ist
fragt nicht
was glück ist

sein herz
wird zum kuckuck
für gott

und
tröstet diesen
vielleicht

Kurt Marti

Internet-Tipp: https://www.litlinks.it/m/marti_k.htm


 Enigma antwortete am 05.07.05 (16:59):

Gebet für Marilyn Monroe
Ernesto Cardenal

Herr,
nimm dieses Mädchen auf, das die ganze Welt kannte als
Marilyn Monroe,
obwohl dies nicht Ihr wirklicher Name war,
(doch Du kennst ihren Namen, den Namen des Waisenkindes,
das mit 9 Jahren vergewaltigt wurde,
den Namen der kleinen Verkäuferin, die mit 16 versuchte, ihrem
Leben ein Ende zu setzen)
und das jetzt vor Dir steht, ohne jedes Make-up,
ohne Ihren Manager,
ohne Fotografen, ohne Autogramme zu geben,
einsam wie ein Astronaut vor der Nacht des Universums.
Als Kind träumte sie, dass sie nackt in einer Kirche stand,
(so stand es in der Times)
vor einer knienden Menge, die Köpfe geneigt bis zur Erde,
und sie musste auf Zehenspitzen gehen, um die Köpfe nicht
zu zertreten.
Du kennst unsere Träume besser als alle Psychiater.
Kirche, Haus, Höhle – das bedeutet Sicherheit
Des mütterlichen Schoßes, aber doch auch mehr als das...
Die Köpfe sind die Bewunderer, das ist klar,
(die Masse der Köpfe in der Dunkelheit, erhellt von einem
Lichtstrahl)
Doch der Tempel ist keins der Studios der 20th Century-Fox.
Der Tempel - aus Marmor und Gold – ist der Tempel
Ihres Körpers
In dem der Menschensohn mit der Peitsche in der Hand steht
Und treibt sie aus, die Händler der 20th Century-Fox,
die dein Bethaus zu einer Räuberhöhle machten.
Herr,
in dieser Welt, die verseucht ist von Sünde und Radioaktivität
sprichst Du eine kleine Verkäuferin nicht schuldig,
die wie alle kleinen Verkäuferinnen davon träumte, ein Filmstar
zu sein
Ihr Traum wurde Wirklichkeit (doch eine Wirklichkeit in
Technicolor).
Sie agierte nur nach dem Drehbuch, das wir ihr gaben
- das unseres eigenen Lebens – es war ein absurdes
Drehbuch
Vergib ihr, Herr, und vergib uns allen unsere 20th Century-Fox,
diese Kolossal-Superproduktion, an der wir alle Anteil haben.
Sie hungerte nach Liebe, und wir boten ihr Beruhigungsmittel.
Gegen die Traurigkeit, nicht heilig zu sein,
empfahl man die Psychoanalyse.
Denk, Herr, an ihre wachsende Angst vor der Kamera,
an ihren Hass auf die Schminke – und sie schminkte sich für
jede Szene –
und ihr Entsetzen immer größer wurde
und wie sie immer unpünktlicher in den Studios erschien.
Wie jede Verkäuferin
Träumte sie davon, ein Filmstar zu sein.
Und ihr Leben war irreal wie ein Traum, den der Psychiater
analysiert und zu den Akten legt.
Ihre Liebesabenteuer waren wie ein Kuss mit geschlossenen
Augen
-und wenn man die Augen öffnet, merkt man,
dass es nur ein Filmkuss war.
Und dann löschen sie die Scheinwerfer!
Und demontieren die zwei einzigen Wände der Filmwohnung
(es war ein kinematografischer Set)
und der Regisseur geht mit dem Script davon,
denn die Szene ist abgedreht.
Oder wie eine Fahrt auf einer Yacht, ein Kuss in Singapur, ein Tanz
in Rio,
der Empfang im Landhaus des Herzogs und der Herzogin von
Windsor
- all das betrachtet in einem schäbig möblierten Zimmer.
Der Film ist aus – doch ohne Happy-End.
Man fand sie tot in ihrem Bett, den Hörer in der Hand.
Und die Detektive wussten nicht, mit wem sie sprechen wollte.
Es war
Wie wenn jemand die Nummer der einzigen Freundesstimme
gewählt hat
und eine Stimme vom Thonband hört, die schnarrt:
WRONG NUMBER,
oder wie wenn jemand getroffen von der Kugel der Gangster
die Hand nach einem Telefon ausstreckt, das nicht
angeschlossen ist.
Herr,
wer es auch sei, den sie anrufen wollte
und nicht anrief (vielleicht war es auch niemand
oder jemand, dessen Nummer nicht im Telefonbuch von
Los Angeles steht)
Nimm Du den Hörer ab!


 Literaturfreund antwortete am 05.07.05 (17:54):

Enigma!
Danke für das "Gebet..." von Cardenal; sowohl für die Monroe als auch für Cardenal wohl einmalig wichtige Texte.
Bei "google" findet man 45000 Bilder zu M.M.; ich habe in meinem Poesie-Album eine "lesende M." dem "Gebet" zugeordnet; obwohl erkennbar ist, dass sie nicht Cardenal liest, sondern "Molly" von Joyce.
Zu E.C.: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernesto_Cardenal

URL.: Monroe, „Molly“ lesend.
*

Cardenal: Wie leere Bierdosen

Wie leere Bierdosen und die Stummel
erkalteter Zigaretten gingen meine Tage vorbei.
Wie Gestalten, die ueber den Fersehschirm huschen
und verschwinden, so zog mein Leben vorueber.
Wie die Autos, die auf den Landstrassen dahinglitten,
voll Maedchenlachen und Radiomusik ...
Und auch das Schoene verschwand rasch wie Automodelle
und wie aus der Mode gekommene Schlager.
Von all jenen Tagen blieb nichts, nichts
als leere Dosen, erkaltete Kippen,
Lachen auf vergilbten Fotos, abgerisse Billetts und
das Saegemehl, mit dem man im Morgengrauen die Bars ausfegte.
*

Cardenal, Ernesto, nicaraguanischer Lyriker und Bildhauer, *Granada 20.1. 1925; seit 1965 katholischer Priester (seit 1985 suspendiert); schloss sich im Exil in Costa Rica (1977-79) den Sandinisten an, unter deren Reg. (1979-90) Kulturminister; 1965 Mitbegründer der christlichen Kommune von Solentiname; schrieb religiöse, stark politisch und sozial engagierte Lyrik (u.a. »Gebet für Marilyn Monroe«, 1965; »Für die Indianer Amerikas«, 1969; »Gesänge des Universums«, 1989); erhielt 1980 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Internet-Tipp: https://www.robotwisdom.com/jaj/mmmolly.jpg


 Enigma antwortete am 06.07.05 (08:24):

Guten Morgen,

danke für die Erläuterungen, Literaturfreund,

Hätte Marilyn das Gedicht noch lesen können, wäre es ihr wahrscheinlich wichtig gewesen, dass jemand über sie nachgedacht und nicht nur ihr Äusseres wahrgenommen hatte...

Vielleicht hätte sie mehr von dem hier haben sollen:


Eigenliebe

Wer liebt, weil er nicht anders kann
Und sich nicht sträubt dagegen -
Nein, so ein willenschwacher Mann
Soll nie mein Herz bewegen.
Doch auch nicht so ein Willensbold,
Der nach Gefalln entscheidet,
Der, fing er mich, davon sich trollt,
Und dableibt, wenns ihm leidet.
Auch der nicht, der nur Schöne jagt,
Die jagen alle nämlich,
Nicht der, dem Häßliches behagt,
Sein Urteil ist dann dämlich.
Auch nicht der Schlaumann, denn er macht
Zur Sklavin mich und Närrin.
Doch auch kein Narr, der nur blöd lacht,
Entreißt man ihm die Herrin.
Nicht der die Liebste reich beschenkt,
Daß er sie knechte schneller,
Noch der, der nichts schenkt, denn er denkt,
Wert ist sie keinen Heller.
So gibts denn nichts in Männerkluft,
Was mir zur Probe bliebe?
Ich mache meiner Neigung Luft,
Indem ich selbst mich liebe


John Donne
Aus: Hier lieg ich von der Lieb erschlagen
:-)


 Enigma antwortete am 07.07.05 (07:08):


"Lied der Jahre"

Wer bin ich und wie halte ich die Jahre,
die glühn, verflackern, sinken wie der Mohn?
Wohin der Duft? Und wer bewahrt den Ton?
Hoch flog der Ball im Aufwind junger Jahre.
Nun fällt er schon. ..?
Ist dies verloren, ist es je gewesen?
Schlaf unter Sternen; Küsten meerumblaut;
der Ströme Wandern; Städte hochgebaut?
Ich könnte wieder alte Straßen gehen
Sie wären nicht vertraut.
Wer bin ich, da mir dies entsunken?
Und wer vor dem, das Zukunft mir gespart?
Und wer, vom Winde wach, vom Weine trunken,
inmitten dieses Schwarms und dieser Fahrt
von Seelenvögeln und von Geisterfunken?
Gib Antwort, Gegenwart!
Ich bin, ich atme - eines: Mund und Flöte.
Ich spiele mir ein Lied; ich bin das Lied.
Ich bin der Hauch, der durch die Höhlung zieht,
der Spieler und das Spiel, der Leib der Flöte,
der Flöte Lied.
Was frag ich nach dem Lied verschollner Jahre. ..
Ich bin. Ich atme. Hör ich nicht den Ton?
Hell schwebt die Wolke. Leuchtend brennt der Mohn.
Die Flöte harrt. Laß singen deine Jahre.
Ich hör sie schon.

Rudolf Hagelstange


 Marina antwortete am 07.07.05 (10:41):

Der Heine auf dem Weinbergsweg

Der Heine auf dem Weinbergsweg
Hat einen goldnen Zeh
Und einen goldnen Daumen.
Der Zeh tut ihm nicht weh.

Die Kinder, wenn sie steigen
Aufs Knie dem Dichtersmann,
Fassen sie erst die Zehe
Und dann den Daumen an.

O deutsches Volk, erobere
Dir deiner Meister Knie.
Dann wetzt du ab die Patina
Vom Gold der Poesie.

Peter Hacks


 Enigma antwortete am 07.07.05 (13:44):


Praktisch eine Liebeserklärung
von Miriam Frances


Ich würde im tiefkühlfach auf dich warten
auch wenn ich ernsthaft dabei friere
ich liebte dich im gemüsegarten
auch wenn ich mich vor dem porree ziere
ich täte dir meine zahnbürste leihen
und eine ansichtskarte schreiben
und dir die zwölf pfund mehr verzeihen
und einen hutsalon betreiben

und den rasierapperat nicht benutzen
und dir dein auto wiedergeben
mit dem topflappen nie mehr schuhe putzen
und marken auf die briefe kleben
und mir endlich mal ein Beispiel nehmen
zum beispiel an deiner mutter
mich fremder nackter busen schämen
und beliebter sein als Hundefutter

Für dich tät ich sogar kochen lernen
und auf'ne cola-rum verzichten
und mein make-up vorher entfernen
und nicht mehr nachts statt dessen dichten
du würdest dein graues wunder erleben
und mich mit liebesglut bedrängen
zwei wochen würdest du tierisch schweben
dann würde ich dir zum hals rauf hängen
:-))


 Enigma antwortete am 09.07.05 (09:12):

Sylvia Plath
Im Gipsverband

Ich komme nie mehr hier heraus. Mich gibt es jetzt zweimal:
Diese neue vollständig weiße Person und diese alte gelbe,
Und die weiße Person ist sicher die Überlegene.
Sie braucht keine Nahrung, sie ist eine von den echten Heiligen.
Anfangs hasste ich sie, sie war ohne Persönlichkeit -
Sie lag im Bett mit mir wie eine Tote,
Und ich bekam Angst, denn sie hatte meine Gestalt.
Nur viel weißer, und nicht zerbrechlich und ohne Klagen.
Ich konnte eine Woche lang nicht schlafen, sie war so kalt.
Ich gab ihr die Schuld für alles, doch sie antwortete nicht.
Ich konnte ihr blödes Gehabe nicht verstehen !
Wenn ich sie schlug, hielt sie still, wie eine wahre Pazifistin.
Dann begriff ich. Was sie wollte, war, dass ich sie liebe :
Sie wurde allmählich warm, und ich entdeckte ihre Vorzüge.
Ohne mich existierte sie nicht, also war sie dankbar.
Ich schenkte ihr eine Seele, ich blühte aus ihr,
Wie eine Rose aus einer Vase von nicht sehr edlem Porzellan,
Und ich war es, die alle Aufmerksamkeit auf sich zog,
Nicht ihre Weiße und Schönheit, wie ich anfangs dachte.
Ein wenig umhegte ich sie, sie gierte danach -
Beinah auf den ersten Blick zeigte sich ihre sklavische Gesinnung.
Ihre Dienstwilligkeit ließ ich mir gefallen, sie war selig.
Frühmorgens weckte sie mich durch den Sonnenspiegel
Ihres blendendweißen Torso, und widerstrebend bemerkte ich
Ihre Reinheit und ihre Ruhe und ihre Geduld :
Sie passte sich meiner Schwäche an wie die beste Pflegerin,
Hielt meine Knochen zusammen, damit sie richtig heilten.
Mit der Zeit wurde unsere Beziehung gespannter.
Sie passte sich nicht länger so eng an - ging, wie mir schien, auf Abstand.
Ich spürte, sie tadelte mich wider Willen,
Als ob meine Gewohnheiten sie irgendwie kränkten.
Sie ließ Zugluft herein und wurde immer zerstreuter.
Und meine Haut juckte und blätterte ab in dünnen Fetzen,
Einfach weil sie mich so schlecht pflegte.
Dann sah ich, woran das lag: Sie hielt sich für unsterblich.
Sie wollte weg von mir, sie hielt sich für überlegen,
Ich hatte sie im Dunkeln gelassen, und sie war wütend
Über diese Zeitverschwendung im Dienst einer Halbleiche.
Und insgeheim fing sie an, auf meinen Tod zu hoffen.
Dann könnte sie meinen Mund und meine Augen zudecken, mich ganz.
Und mein aufgemaltes Gesicht tragen, wie ein Sarkophag
Das Gesicht eines Pharaos trägt, auch wenn es aus Lehm und Wasser ist.
Meine Lage erlaubte es mir nicht, sie loszuwerden.
Sie hatte mich so lange gestützt, ich war völlig kraftlos -
Sogar wie man geht und sitzt, hatte ich vergessen,
Daher passte ich auf, sie in keiner Weise zu reizen,
Oder mich vorzeitig zu brüsten, wie ich mich rächen würde.
Mit ihr leben hieß, mit meinem eignen Sarg leben:
Noch war ich von ihr abhängig, obwohl es mir widerstrebte.
Zuvor dachte ich, gemeinsam könnten wir es schaffen -
Schließlich war es eine Art Ehe, diese Nähe.
Jetzt verstehe ich: entweder die eine oder die andere.
Sie mag eine Heilige sein, und ich hässlich und behaart,
Aber bald wird es ihr dämmern: Das zählt überhaupt nicht.
Ich sammle meine Kräfte; eines Tages schaff ich es ohne sie,
Dann wird sie eingehen an der Leere, anfangen, mich zu vermissen.

Internet-Tipp: https://www.jiii.de/dichterinnen-2002/Plath/


 Marina antwortete am 09.07.05 (12:27):

Kriegslied
1778

's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
's ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Kron' und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Matthias Claudius


 Enigma antwortete am 10.07.05 (10:40):

Ich liebte sie,
Verschlossen war sie, stille;
Und ihrer Schönheit Fülle
Versiegte nie.
Der Blume gleich,
Glaubt ich die Welt verstecket,
Wo nie ein Ton erwecket,
Ihr Herz wie reich.

Du liebe Zeit,
Da fängt sie an zu sprechen,
Will mir das Herze brechen,
Ach, wie sie schreit;
Ich fühl mich arm,
Nun sie sich reicher fühlet,
Wie ist mein Herz erkühlet,
Was einst so warm.

Achim von Arnim (1781-1831)


 Enigma antwortete am 11.07.05 (10:11):

aus: Wilhelm Schlösser (Hrsg.): Vorwiegend heiter
Dr. Owlglass: Späte Einsicht

Einst war ich höflich und artig und fein,
von allerlei Rücksicht benommen,
und immer wieder fiel ich herein,
bin immer zu kurz gekommen.
Zu kurz beim Trank, zu kurz beim Schmaus.
Ich säte, andere mähten.
Die Haare gingen mir langsam aus,
zusammen mit den Moneten.
Jetzt endlich, endlich schlag' ich Krach;
ich rechne, statt bieder zu ,,wähnen".
Die Haare wachsen mir wieder nach
und zwar, gottlob, auf den Zähnen.


 Marina antwortete am 11.07.05 (23:05):

Im uralten See

Im uralten See
Hausen die traurigen Fische
Und fürchten den Gott der Fische

Indessen wir die jungen Wellen
Mit unseren Rudern kämmen
Die rosa Hügel rundum tanzen
Wie die Hügel der Bibel

Auf Schaumpferdchen schaukelt
Ein kleiner Wind -

Auf unseren uralten Augen
Lächelt es golden:
Doch drunter haust eine traurige Furcht

Yvan Goll


 Enigma antwortete am 12.07.05 (08:29):

aus: Henning Venske: Herr Kalaschnikoff rattert den Sonntag ein, Buntbuch-Verlag '83

Henning Venske: Keine Lust
Ich hab' keine Lust, ich hab' keine Lust, ich hab'
wirklich keine Lust!
Steig ich morgens aus der Falle,
geht's gleich los mit voller Palle.
Du mußt Dir noch das Hälschen waschen,
gesund ist's, einmal kalt zu daschen!
Wie kannst Du hier so ruhig sitzen,
Du mußt Dir noch die Zähne pitzen!
Ich hab' keine Lust...
Heute gehst Du Haare schneiden,
wie Deine netten Kamereiden!
Vergiß nicht Deine Geigenstunde,
ab zur Schule jetzt, geschwunde!
Paß' schön auf und sei recht fromm,
ordentlich und arbeitsom!
Ich hab' keine Lust...
Dann das Schularbeiten machen
und das Klassenziel errachen...
Auf der Straße ist kein Spielplatz,
jeder sagt, ich bin ein Nichtsnatz.
Sonntags in die Kirche fahren,
die Predigt kann ich täglich haren.
Ich hab' keine Lust...
Ich möchte schnell Motorrad fahren,
meinen Brustkorb tätowaren.
Fußballprofi wär' ich gern,
bräuchte dazu kaum Gehern.
Will in's Bett geh'n, wann ich will
und nicht immer, wann ich sill.
Ich hab' keine Lust...
Immer Ferien will ich haben,
mich mit Schnuckiputz verlaben.
Fernseh'n morgens schon im Bette,
"Ruhe" schreien, hör' ich Schrette.
Bier zum Frühstück will ich trinken,
und mit keinem Menschen zinken.
Ich hab' keine Lust...
Alles Wissen will ich wissen,
mich nicht jedermann anpissen.
Alles Können will ich können,
auch mal einen Tag verpönnen.
Alles Dürfen will ich dürfen,
ach, Ihr fallt mir auf die Nürfen.
Ich hab' keine Lust, ich hab' keine Lust,
ich hab' wirklich..., ach, laß mich doch zufrieden.

PS
@Webmaster
Sollen wir hier mal Kapital 36 einrichten?
Oder sollte/dürfte ich das tun?
Danke!


 Literaturfreund antwortete am 12.07.05 (08:41):

PETER HACKS:
FRAGE NICHT, OB LIEBE LOHNET

Frage nicht, ob Liebe lohnet,
Frage alles, nur nicht das.
Ende, das im Anfang wohnet,
Färbt die Mitte leichenblaß.

Frage nicht, wie lang es daure,
Mach uns nicht das Starksein schwer.
Dank das Glück dem Glücke, traure
Nicht die Trauer von nachher.

Lebens blühende Entwürfe
Drängen tief in dir ans Licht.
Freilich, fragst du, ob man dürfe,
In dem Falle darf man nicht.

Denn die Knospe wird zum Sarge,
Die den Winter scheut im Mai,
Und Vorhersicht zieht das Arge,
Das sie meiden will, herbei.
*
In dem Link Informationen zu Peter Hacks:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/zSvTClOId


 Literaturfreund antwortete am 12.07.05 (08:47):

Peter H a c k s:
ROTE SOMMER

Derweil der große Haufen sich, in überengen
Behältern drangvoll duldend wie auf Viehtransporten,
Aus Deutschlands nördlich milden Breiten oder Längen
Hinquält zu seinen grauenhaften Urlaubsorten,

Begeben Preußens dünkelhafte Kommunisten,
Gewohnt, in völliger Absonderung zu glänzen,
In Linnen leichtgewandet, duftenden Batisten,
Nach ihren Dörfern sich und Sommerresidenzen.

Und sie verharren vor Parterren mit Verbenen
Und nippen edlen Wein in schattigen Remisen.
Manchmal, nicht allzu oft, empfängt wohl dieser jenen,
Beziehungsweise jener bewillkommnet diesen.

Dann nehmen sie den Tee aus köstlichen Geschirren,
Plaudernd vom Klassenkampf, während ein Pfau, ein bunter,
Gekrönter Mohrenvogel, mit metallnem Flirren
Durch Heckenwege schreitet und zum See hinunter.
*
Peter Hacks: Die Gedichte. Hamburg: Edition Nautilus 2000, S. 306.

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/3n1vwHEVR


 Marina antwortete am 12.07.05 (10:10):

Danke für die Hacks-Gedichte und Infos. Über seinen politischen Dogmatismus darf ich aber nicht nachdenken. ;.)


 Literaturfreund antwortete am 12.07.05 (10:53):

Na, bitt' schön, gerne mehr; sind ja tolle Sachen (nicht nur wg. der Erinnerung an die schönen Kindergedichte und -geschichten...:

Peter Hacks:
ANLÄSSLICH DER WIEDERGEWINNUNG DES PARADIESES

Vorüber, Liebste, ist das Exil jetzt. Zieh
Jetzt deine dünnere Haut an, die für Glück
Durchlässigere, die sich leicht trägt. Die Luft
Ist sanfter. Anmut ist dir erlaubt. In das,
Aus dem sie dich geschmissen haben, das Land,
Kehr heim, wo nicht die Abgase giftig sind
Und nicht die Abwässer stinkend, wo der Wolf
Hin mit dem Lamm geht und mit dem Menschen selbst
Der andre Mensch, und Ratten kommen nicht vor.
Die furchtbare Zigarette, laß sie jetzt
Unangesteckt. Den Panzer aus Selbstaufsicht,
Der vor dem Feind dich schützt und, leider, dem Freund,
Dem Schmerz und, leider, dem Genuß, häng ihn weg,
Zieh deine dünnere Haut; an. Vor dem Tor
Des Lands ja steh ich, und was dem Gabriel,
Dem büffelstirnigen Schließmann, zustieß, daß
Die Hölle sich ihm zwischen dem Stiefelpaar
Durchwärmte: nimmer, Liebste, geschieht mir das.
*
Aus: P.H.: Lieder... (1974)
*
Kennst du diese URL.:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/L2AvGWQnd


 Marina antwortete am 12.07.05 (22:24):

Schnellimbiß

Sangsemal, Salat ham Se nich – oder sonstso? –
Nee, nur Secondhand-Imbisse, klar,
Häm-und-Eggs in der Art, Bouletten, Currywürste –
Eß ich eigentlich überhaupt nicht,
aber wie sagt meine Mutter?
Der Verhungernde blickt nicht aufs Haltbarkeitsdatum.

Immerhin doch’n ziemliches Monopol,
was Sie hier so innehaben mitten in der Wüste.
Fehlt nur noch das Schild:
WER HIER ABSTEIGT DER HAT ES NÖTIG
DER WIRD NOCH MEHR AUF SICH NEHMEN –
Nein, keine Kritik, Señorita, nichts, ich sag ja gar nichts,
seh ja nur. . .
Daß Ihr Jubidubi beim Bezahlen
schon wieder mehr kostet als beim Bestellen
wollen wir lieber gleich
unter Konjunkturzuschlag verbuchen.

Wie man in diese Gegend - - - ah, das raten Sie nie!
Oder warten Sie mal, wenn Sie unsere beiden Berufe
einfach an ihren losen Enden zusammenhalten,
wird vielleicht noch’n richtiger Bogen daraus:
ich stotter meine Tour auf Prozentbasis ab
und sie lassen schluckweise überkommen –
Vertreter?
Kalt wie Ihr Koffie.

Ver-teiler?
Seh ich aus wie’n Dealer (obwohl :
ich hasse den Kapitalismus, aber nur hier krieg ich
alle meine Drogen)
Ver-, Ver-, Ver-treiber, ja!
Ich vertreibe die Zeit, ich vertreibe den Raum,
ich vertreib Ihnen umgehend
Ihre sämtlichen Übergewichtsprobleme –
(Ist doch gut, wenn die Liebe auch noch’n Wörtchen
mitzureden hat . . .
eine Kraft, die alles entschuldigt)

Also mit anderen Worten Artist.

Leichtmacher.

Trickesoteriker.

Levitation, Levitation! Aufheben den Erdenklumpatsch
absolut für einen Augenblick und zwei Personen:
die Altersschranken,
den Ladenschluß,
den Satz vom Widerspruch und alles was da dranhängt,
Sie da – ich hier –
also alkohologisch gesehen schon sone Art von Utopie,
wo der Geist mal für zehn Prozent Chance mehr hat
und die Schönheit der Weisheit entgegenfiebert
in Anbetracht ihrer Erbauung –
Jaaaa, wie was hier abhebt praktisch,
luftwandelnd,
atemlöslich,
auf den Zeilenschwung genau . . .

Aber hören Sie mal, Sie hören ja gar nicht richtig
hin, Señorita, drücken nur die Jubiläumsstimmung:
Kaltebauernfrühstücke – eingelegte Handschuhfinger –
Secondhand-Imbisse –
Eß ich heute bestimmt keinen Haps mehr,
allerdings, wie sagte doch meine Mutter?
Wenn sie dir nicht noch zusätzlich auf die Pfoten treten
und dir Dreck in die Schnauze stopfen,
ist das schon ein ausgesprochener Achtungserfolg.

Und, Frollein, man soll Artistik nur nicht mit Arthritis verwechseln

Aus: Peter Rühmkorf, Einmalig wie wir alle
Rowohlt, Reinbek 1989


 Enigma antwortete am 13.07.05 (07:28):

Aus dem Gedichtband: Hell und Schnell

Hugo der Finstere
Mit seinen wilden Knappen zwo
Reitet der finstere Ritter Hugo,
Er reitet dahin in heftigem Zoren
Und stachelt die Mähr' mit spitzigen Sporen.
In heftigem Zoren dahin er reit',
Weil ihn betrogen die schändliche Maid,
Die ihre Ehre gar sehr verloren, -
Drum reitet er hin in heftigem Zoren.
Mit seinem langen, großmächtigen Speer
Ersticht er der Maid ihren Liebhaber,
Ersticht er die Maid, die ihre Ehr' verloren,
Ersticht er sich selbst in heftigem Zoren.
Also verstarben diese drei: -
Da waren noch der Knappen zwei' -
Und da sie sonst nichts mehr hier verloren,
Erstachen sie sich ganz ohne Zoren.

Ludwig Kalisch


 Marina antwortete am 14.07.05 (00:03):

Kinder, aufgepaßt!

War einer hinter dem Gelde her,
arbeitete hart, arbeitete schwer.
Gönnte sich keine freie Stunde,
sparte sich ab jeden Bissen vom Munde.
Nahm sich nur Zeit zum Zählen der Scheine,
andere Hobbys hatte er keine.
Hockt nun, alt und mit weißen Haaren,
auf dem Ersparten von fünfzig Jahren.
Und fragt sich: Wenn ich nun sterbe,
wer ist denn dann mein Erbe?
Kinder, besucht den Geizkragen gleich!
Vielleicht seid ihr dann bald sehr reich!

© Christine Nöstlinger
Aus: Ein und Alles.
Beltz & Gelberg, Weinheim und Basel 1993


 Enigma antwortete am 14.07.05 (08:12):

Wie deine grüngoldnen Augen funkeln,
Wald, du moosiger Träumer!
Wie deine Gedanken dunkeln,
Einsiedel, schwer von Leben,
Saftseufzender Tagesversäumer!

Über der Wipfel Hin- und Wiederschweben
Wies Atem holt und voller wogt und braust
Und weiter zieht
und stille wird
und saust.

Über der Wipfel Hin- und Wiederschweben
Hoch droben steht ein ernster Ton,
Dem lauschten tausend Jahre schon
Und werden tausend Jahre lauschen
Und immer dieses starke, donnerdunkle Rauschen


Peter Hille

Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2002/51/L-Frost


 Enigma antwortete am 15.07.05 (09:40):

Lies Pilgram
Nach Pred. 3, 1-9

Es hat alles seine Zeit
Geben hat seine Zeit und bleiben,
verströmen und versiegen.
Sich halten hat seine Zeit
und sich unter Schmerzen verlassen.
Zusammen weinen hat seine Zeit
und einander Tränen trocknen.
Trösten hat seine Zeit
und getrost des Weges ziehen.

Gefunden im "Almanach Poetenpark"

Internet-Tipp: https://poetenpark.20six.de/weblogCategory/723hdsn4amb


 aknediw antwortete am 15.07.05 (23:13):

Danke
Danke ist ein Wort nicht nur,
das gesprochen schnell verklingt,
wenn darin auch eine Spur
meiner Herzlichkeit mit schwingt.

Danke wird nicht oft gehört,
weil dafür meist keine Zeit.
Manchmal denkt man schon es stört,
weil's gar eine Nichtigkeit.

Glückwunsch war es im Plural,
Freude, die den Tag verschönt,
am Geburtstag mich zumal
mit dem Alter auch versöhnt!
Unbekannt
Adolf


 Marina antwortete am 16.07.05 (22:11):

Auf der Suche nach türkischen Dichtern in "Lyrikline bin ich auf dieses Gedicht von Adnan Özer in drei Teilen gestoßen. Erinnert es nicht an die Todesfuge von Celan? Könnte es in Anlehnung an sie geschrieben sein?

TON EINES GLÖCKCHENS 1
in einem Tonhaus bin ich geboren
ich glaube an den Tod der Glocken
wenn der Sturm endet, bring ich mich um

weil du gezeichnet hast, bin ich entstanden
ich glaube an deine sandigen Finger
wenn du verschwindest, bring ich mich um

aus Kupfertropten bin ich erkaltet
ich glaub’ an dein giftiges Herz
ich schwöre, ich bringe mich um

Adnan Özer


 Marina antwortete am 16.07.05 (22:13):

TOD EINES GLÖCKCHENS 2
I
die Zeit geht unter Margarita
Wasser dringt in die Uhren
ein Würmchen kriecht
aus dem Sand in meinem Gehirn

die Stimme vergeht Margarita
die Glocken sterben im Tonhaus
ihre Zunge wird madig, verfault
der Tod kommt nur
durch die offene Tür

II
stirbt die Stimme
kann keiner keinen mehr rufen
findet sich unsere heimliche Liebe
nicht mehr
im Perlenherz

wenn die Zeit brennt
hört der Tod auf, treulos zu sein
er kommt, lässt sich nieder in unseren Häusern
zieht unsere Nachhemden
über seinen blutschaligen Leib
liegt in unseren Betten

wenn alles vergeht
lebt der Tod seine Einsamkeit
spür zum letzten Mal meine Haut
riech mich
wenn ich verlösche
bricht vielleicht eine neue Sintflut herein

Adnan Özer


 Marina antwortete am 16.07.05 (22:13):

TOD EINES GLÖCKCHENS 3

meine Schritte
bringe mich nirgendwo hin jetzt
auf ein Haar zeichne ich
die Spuren einer kleinen Glocke

meine Augen
brechen in einem Garten
Teer umarmt eine Rose
eins werden
Himmel und Hölle
ihre Leiber kennend
wie Zunge und Gaumen

meine Schritte
bringen mich nirgendwo hin jetzt
der Regen, ein epileptischer Bettler
fällt hinter mir
jede Gasse, die ich gehe
mauert sich zu

meine Hände
lösen sich auf in einem Garten
der Ohrring reisst
die Gürtelschnalle
die Einsamkeit jagt mit löchrigen Netzen
mein Innen

mein Schritte
bringen mich nirgendwo hin jetzt
ich bin ein kleines Glöckchen
läute mich selbst

Adnan Özer


 Literaturfreund antwortete am 17.07.05 (10:18):

Peter Hacks:
FREIKÖRPER

Sie betragen sich — von Norwegs Fjorden
Bis nach Elba, Kämpen oder Rügen –
So, als wäre nichts verloren worden,
Wenn sie keinen Badeanzug trügen.

Diese Frauen sind so wenig packend
Wie die glatten Steine in den Wogen.
Ohne Scham sind sie, wie Tiere, nackend.
Doch den Menschen lieb ich ausgezogen.

Und ich wate, unversucht von Lüsten,
Trocknen Herzens durch ein Meer von Brüsten.
Mit der Neugier schwindet der Genuß.
Sie sind nicht mehr, was wir so gern wüßten.
Ach, es sind Europas Badeküsten,
Wo Gott Eros Schiffbruch leiden muß.
(P.H.: 1974. Lieder... S. 114)

*
Wo doch in der DDR - die FFK so beleibt, äh, beliebt war unn so freisinnig machte... - hatte Hacks andere, ästhetischere Empfindungen an Bucht, Busen und Bolks-, äh, Volkskörper...?
*
Aus dem SPIEGEL, angeblich ein Foto, das auch Lesekultur bezeugt... - mit Männern als Blickfang wärs' erstens für Männer nicht interessant -
Und "Lesen"...?
"Wat - wat soll ich da suchn auffem Papier, wenn ich im Sand genug Weibers, äh - zu sehn krieg? Hä?"

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/img/0,1020,59647,00.jpg


 Enigma antwortete am 17.07.05 (17:34):

Edgar Allan Poe
Annabel Lee

It was many and many a year ago,
In a kingdom by the sea,
That a maiden there lived whom you may know
By the name of Annabel Lee;
And this maiden she lived with no other thought
Than to love and be loved by me.
I was a child and she was a child,
In this kingdom by the sea,
But we loved with a love that was more than love,
I and my Annabel Lee;
With a love that the wing'd seraphs of heaven
Coveted her and me.
And this was the reason that, long ago,
In this kingdom by the sea,
A wind blew out of a cloud, chilling
So that her highborn kinsmen came
And bore her away from me,
To shut her up in a sepulchre
In this kingdom by the sea.
The angels, not half so happy in heaven,
Went envying her and me;
Yes! that was the reason (as all men know,
In this kingdom by the sea)
That the wind came out of the cloud by night,
Chilling and killing my Annabel Lee.
But our love it was stronger by far than the love
Of those who were older than we,
Of many far wiser than we;
And neither the angels in heaven above,
Nor the demons down under the sea,
Can ever dissever my soul from the soul
Of the beautiful Annabel Lee:
For the moon never beams, without bringing me dreams
Of the beautiful Annabel Lee;
And the stars never rise, but I feel the bright eyes
Of the beautiful Annabel Lee;
And so, all the night-tide, I lie down by the side
Of my darling - my darling - my life and my bride,
In her sepulchre there by the sea,
In her tomb by the sounding se



Übersetzung:
Es ist lange her, da lebte am Meer,
Ich sag euch nicht wo und wie –
Ein Mägdelein zart, von seltener Art,
Mit Namen Annabel Lee. Und das Mägdelein lebte für mich allein,
Und ich lebte allein für sie.
Ich war ein Kind, und sie war ein Kind,
Meine süße Annabel Lee,
Doch eine Liebe, so groß, so grenzenlos,
Wie die unsere, gab es nie.
Wir liebten uns so, daß die Engel darob
Beneideten mich und sie.
Da kam eines Tags aus den Wolken stracks
Ein Ungewitter und spie
Seinen Geifer aus, einen Höllengraus,
Und traf meine Annabel Lee.
Und es kam ein hochgeborener Lord,
Der holte auf immer sie von mir fort
In sein Reich am Meer und sperrte sie
Dort ein, meine Annabel Lee.
Ja, neidisch war die geflügelte Schar
Im Himmel auf mich und sie,
Und dies war der Grund, daß der Höllenmund
Des Sturms sein Verderben spie,
Bis sie erstarrte,
Und der Tod sie verscharrte,
Meine süße Annabel Lee.
Doch eine Liebe, so groß, so grenzenlos,
Wie die unsere, gab es nie.
So liebten Ältere nie,
So liebten Weisere nie,
Und wären die Engel auch noch so scheel,
Sie trennten doch nicht meine Seel' von der Seel'
Der lieblichen Annabel Lee.
Wenn die Sterne aufgehn, so kann ich drin sehn
Die Äuglein der Annabel Lee,
Und noch jegliche Nacht hat mir Träume gebracht
Von der lieblichen Annabel Lee.
So ruh' ich denn, bis der Morgen graut,
Allnächtlich bei meinem Liebchen traut
In des schäumenden Grabes Näh',
An der See, an der brandenden See.
(Übersetzer/in mir unbekannt)


 Enigma antwortete am 19.07.05 (08:07):

Songtext von den „Wise Guys“
Powerfrau


Ich wecke sie mit meinem fröhlichsten Lachen:
"Aufstehn, Schatz, Karriere machen!
Im Schrank liegt deine frisch gebügelte Hose,
Tomaten, Mozzarella und Basilikum sind in der Tupperdose!".
Sie sagt: "Die Sonne scheint - ich nehm den Lamborghini,
heute wird es spät, wir trinken noch'n Martini
bei Salvatore. Bitte warte nicht auf mich.
Ich muss jetzt los. Vergiss die Blumen nich'!"
Ich strahl sie an und sag: "Mach dir keine Sorgen,
die Blumen und die Fenster mach ich gleich heute morgen.
Pass auf dich auf! Wann kommst du denn nach Haus?",
doch da ist sie schon lange aus der Türe raus.

Sie ist 'ne Power-Frau, die alle Tricks kennt.
Im Communication-Front-Consulting-Multi-Management
ist sie Main-Assistant-Chief-Controlling-Analyst.
Ich hab bis heut noch nicht verstanden, was das ist.
Doch sie weiß, dass sie sich auf mich verlassen kann:
Hinter jeder starken Frau steht 'n fleißiger Mann!

Die Blumen sind gepflegt, alle Fenster sind geputzt,
der Wohnzimmerteppich war die längste Zeit verschmutzt.
Mit meinem neuen Wasserheißdampfreinigungsgerät
kommt für den Dreck jede Hilfe zu spät!
Ich hab eingekauft und die Betten frisch bezogen
und aus Langeweile alle krummen Gabeln grad gebogen.
Jetzt warte ich auf sie und vermisse sie voll,
doch ich weiß, dass ich sie im Büro nicht anrufen soll.

Sie ist 'ne Power-Frau...

Manchmal fühle ich mich müde und leer.
Mein Therapeut sagt täglich: "Nimm's nicht so schwer!
Ein eigenes Hobby wär geschickt und klug!"
Doch zum Töpfern bin ich einfach nicht geschickt genug.
Ich hasse ihren jungen Privatsekretär!
Sie lächelt und sagt, dass da absolut nix wär,
doch der Typ hat Muskeln, da komm ich nicht gegen an,
und ich trau ihr nicht. Sie ist ja auch nur ein Mann.

Sie ist 'ne Power-Frau und das ist ihre Art
der Rache für fünftausend Jahre Patriarchat...
Doch im Scheidungsrecht kenn' ich mich bestens aus:
Wenn es so weit ist, dann behalt' ich das Haus!

Internet-Tipp: https://lyrics.songtext.name/Wise%20Guys/Powerfrau-17114.html


 Literaturfreund antwortete am 19.07.05 (10:09):

Auch ganz mein Wille, Peter Hille.
Für heute aber wieder der andere Peter - der Hacks'sche!

Peter Hacks:
MEIN DÖRFCHEN

Mein Dörfchen, das heißt DDR,
Hier kennt jeder jeden.
Wenn Sie in Rostock flüstern,
Herr,
Hört Leipzig, was Sie reden.
Das Mädchen, das zu lieben lohnt,
Kennt auch Ihr Freund genauer.
Es gibt nichts Neues unterm Mond,
Nicht dieserseits der Mauer.
*
(P. H.: Lieder… (1974) S. 119)
*
URL.: Soooo also hat Hacks sein "DDR-Dörfchen!" nie gesehen!

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/HlV2KxDhP


 Literaturfreund antwortete am 19.07.05 (10:12):

Und noch ein Hacks, ein anderer, poetischer:

Peter Hacks:
Philomele

Zu des Himmels Feuersaume,
Zu des Dunstes blauem Runde,
Zu der Sterne Kuppelraume
Send ich meiner Liebe Kunde.
Wag es, Herz, durchbrich die Hülle,
Die dich noch befangen hält.
Eines Busens Überfülle
Füllet eine ganze Welt.

Von des Hains erwärmter Kühle
Zum Gewölk, dem schluchtenreichen,
Alles fühlet, wie ich fühle,
Alles will dem Glücke gleichen.
Wag es, Herz, dann tönt die Stille,
Singt der Felsen auf dem Feld.
Eines Busens Überfülle
Füllet eine ganze Welt.
*
Philomele ist der griechische Name der Nachtigall; sie ist die Schwester der Prokne.
- P. H. Lieder… (1974). S. 123 -
*
Singend..., als ob sie Peters Lied kennte.

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/kw6X2rZIt


 Marina antwortete am 19.07.05 (13:05):

Der Hacks hat es dir wohl jetzt angetan? Aber er ist auch wirklich gut.

Johann Gottlieb Seidelbast

Johann Gottlieb Seidelbast
war ein Gymnasiast
war so jung und wunderschön
keine konnt ihm widerstehn

Da war auch Elisabeth
die war auch ganz hübsch und nett
tät mit allen Trieben
Seidelbasten lieben

Alle Abend um halb zehn
konnte man die beiden sehn
knneschten sich, daß alles kracht
Schularbeit wurd' nicht gemacht

Doch der Rektor hört davon
schickt' ihm gleich die Dimission.
Vater ihn enterbete
ihm das Fell vergerbete

Johann Gottlieb Seidelbast
hängte sich an einen Ast
Streckte dann die Zunge raus
weil ihm schon die Luft ging aus.

Als das Lieschen tralala
ihren Gottlieb hängen sah
hängt' sie sich daneben
und vergaß zu leben

Die Moral von die Geschicht
liebe als Pennäler nicht
liebe lieber als Student
solches nimmt ein beßres End
:-))
aus dem 19. Jahrhundert

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/X3reZy0hA


 angelottchen antwortete am 19.07.05 (21:01):

Der Ofen ist aus
======================

Du ich will dir was sagen
du hör mir mal zu
du mir liegt was im Magen
du mir drückt der Schuh

Ich kann nicht mehr schweigen
es bricht aus mir raus
du weißt du was
der Ofen ist aus

Ich sags gern noch genauer
du widerst mich an
wie man nur auf die Dauer
jemand anwidern kann.

Du bist so öde
du bist so schmal
du bist so blöde
und du find'st das normal

Du bist so eckig
du bist so dürr
du bist so dreckig
dein Wesen ist wirr

Du bist so trocken
du bist so blaß
nur deine Socken
sind bei Tag und Nacht naß

Du bist so ärmlich
du bist so karg
du bist erbärmlich
wie getretener Quark

Nun scher dich von hinnen
es hat doch keinen Sinn
geh und pack deine Plünnen
und dann mach dich dünn.

Hör auf mich zu quälen
du weckst bloß meine Wut
es gibt nichts mehr zu wählen
ich bin gereizt bis aufs Blut

Und auch dein Geheule
ist ohne Sinn ohne Zweck
du widerst mich an
bitte hebe dich weg

Bestell deiner Mutter
und sieh zu wie sie's schluckt:
Herzlichen Glückwunsch mein gnädiges Fräulein
zu diesem Produkt

Nun guck nicht so dumm aus der Wäsche und steh hier nicht rum
Little Lady zieh Leine, sonst leg ich dich um.
Verlassen sie bitte mein Haus
denn der Ofen ist aus.

Ulrich Roski 1972


 Marina antwortete am 20.07.05 (22:50):

Achtzehnhundert und ein Jahr,
grad am ersten Februar
kam zu Neustadt an der Lind
Jakob Rind zur Welt als Kind.

Da er nun auf dieser Erden
sollt ein Theologe werden,
tät man ihn ins Stift hinein,
wo die Theologen sein.

Doch er fröhnet einer Wonnen:
Wenn des Abends sinkt die Sonnen,
dann er in sich geht und denkt,
wo man einen Guten schenkt.

Doch der ist auf bösen Wegen,
wer sich hat dem Trunk ergeben,
denn der Teufel ist verschmitzt,
wenn man einen Rausch besitzt.

Er verführt ein schönes Mädchen,
das er fand auf seinem Wegchen,
brachte um das Kindelein,
Jakob Rind! das ist nicht fein!

Draußen auf der großen Heide
sind versammelt viele Leute;
man errichtet, großer Gott!
man errichtet ein Schaffott.

Endlich ist's soweit gekommen,
daß der Kopf ihm abgenommen,
einem von der Geistlichkeit
wahrlich keine Kleinigkeit.

Alles, was ich hier berichte
ist ganz wahr und kein Geschichte,
darum liebes Publikum,
bringe keine Kinder um.

aus dem 19. Jahrhundert


 Enigma antwortete am 02.08.05 (09:03):

Yüksel Pazarkaya (1989)

deutsche sprache

die ich vorbehaltlos liebe
die meine zweite heimat ist
die mir mehr zuversicht
die mir mehr geborgenheit
die mir mehr gab als die
die sie angeblich sprechen

sie gab mir lessing und heine
sie gab mir schiller und brecht
sie gab mir leibniz und feuerbach
sie gab mir hegel und marx
sie gab mir sehen und hören
sie gab mir hoffen und lieben
eine welt in der es sich leben läßt

die in ihr verstummen sind nicht in ihr
die in ihr lauthals reden halten sind nicht in ihr
die in ihr ein werkzeug der erniedrigung
die in ihr ein werkzeug der ausbeutung sehn
sie sind nicht in ihr sie nicht
meine behausung in der kälte der fremde
meine behausung in der hitze des hasses
meine behausung wenn mich verbiegt die bitterkeit
in ihr genoß ich die hoffnung
wie in meinem türkisch.

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Y%C3%BCksel_Pazarkaya


 Marina antwortete am 02.08.05 (18:08):

Schön, dass du wieder da bist, Enigma. :-)

MIT DER FREUNDSCHAFT IST ES VORBEI

zigeunerseele, zügle endlich dein pferd,
der weg ist dir verbaut.
todmüde sinkt der abend nieder,
ein windgeflügelter vogel -
das ist der moment,
wenn reisen scheitern.

beug dich nieder, schau mir ins gesicht,
schau dir die alten landkarten an,
mir in die augen geritzt,
die alten wege, von sternen gesprenkelt.
dort fließen keine ströme mehr,
an deren ufern träge Karawanen lagern,
mit der nomandentrunkenheit
heißer sommernächte ist es vorbei.

das ist das dach der nacht. als die schönheit des universums
sich auftat, kamen wir unter tausendundein himmelszelten,
wo wir schliefen, einander liebten und uns vermehrten,
ans ende der freien hochgemuten tage der freundschaft.

was für eine sehnsucht ist das, die uns aufzehrt.
in zimmern, die türen angelehnt, schmolzen die kerzen,
wie spät ist es, wo sind wir,
wem ist die mauer, mit stacheldraht umsäumt,
wer nur schuf die düstre straße,
das blendend weiße leichentuch,
die zeit, die plötzlich starb und uns verloren ging.

schösse ich einen pfeil auf die nacht,
fielen helle tage vor mir auf die knie,
lauthals öffnet sich mein herz
auf unseren nackten brüsten mit den frisch gewaschenen wunden
und auf dem höchsten zweig des baums.

zigeunerseele, zügle endlich dein pferd,
wir sind am ende des weges.

Tugrul Tanyol
Aus dem Türkischen übersetzt von Monika Carbe

Internet-Tipp: https://www.lyrikline.de/de/list_translations.aspx?authorId=tt00


 Enigma antwortete am 03.08.05 (08:26):

Guten Morgen und danke, Marina..:-))


LIEBESGEDICHT

Du warst die Blume Makellos
und ich war wild und wach.
Als deine Iris überfloß,
da gabst du gebend nach.
Ich war die Blume schmerzenlos
in deinen lichten Duft.
Wir schenkten uns aus Grenzenlos,
aus Erde, Leid und Gruft.
Da wuchs die Blume Morgenrot
an unserer Nächte Saum.
Wir litten eine süße Not
um einen süßen Traum.

(Wolfgang Borchert)

Internet-Tipp: https://www.deutsche-liebeslyrik.de/borch.htm


 Enigma antwortete am 04.08.05 (07:34):

Nachträglicher Abschied

Auf einmal und ganz unvermittelt
bleibt man stehn.
Und horcht.
Da war etwas.
Etwas ist vergangen.
(Wir sehen uns bald,
wir werden reden,
wir werden auch zusammen essen gehn.)
Es wäre Zeit gewesen,
zu hören und zu sehn.
Ich wusste, ungenau,
und hatte viel zu tun.

Elisabeth Borchers

Internet-Tipp: https:///www.litlinks.it/b/borchers_e.htm


 Marina antwortete am 04.08.05 (19:23):

Das Leben ein Traum

Ein Traum, ein Traum ist unser Leben auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wogen schweben und schwinden wir.
Und messen unsre kühnen Tritte nach Raum und Zeit
und sind (und wissens nicht) inmitten der Ewigkeit.

Johann Gottfried Herder


 Enigma antwortete am 06.08.05 (21:59):

Hiroshima


Der den Tod auf Hiroshima warf
Ging ins Kloster, läutet die Glocken.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Fiel in Wahnsinn, wehrt Gespenster ab
Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich
Auferstandene aus Staub für ihn.

Nichts von alledem ist wahr.
Erst vor kurzem sah ich ihn
Im Garten seines Hauses vor der Stadt.
Die Hecken waren noch jung und die Rosenbüsche zierlich.
Das wächst nicht so schnell, dass sich einer verbergen könnte
Im Wald des Vergessens. Gut zu sehen war
Das nackte Vorstadthaus, die junge Frau
Die neben ihm stand im Blumenkleid
Das kleine Mädchen an ihrer Hand
Der Knabe, der auf seinem Rücken saß
Und über seinem Kopf die Peitsche schwang.
Sehr gut erkennbar war er selbst
Vierbeinig auf dem Grasplatz, das Gesicht
Verzerrt von Lachen, weil der Photograph
Hinter der Hecke stand, das Auge der Welt

(Marie Luise Kaschnitz)


 Marina antwortete am 07.08.05 (11:33):

7. August 1929

Ein Zeppelin fliegt übers Meer.
Aber es gibt schon heute
Ganz gut gescheite Leute,
Die interessiert das gar nicht sehr.

Der Weltenraumverkehr floriert
Seit Urzeit, niemals minder.
Wo gut? Wo schlecht? – Das interessiert
Die Greise wie die Kinder.

Was man im Leben sich erwarb,
War Gnade oder Beute.
Da ich Geburtstag feiere, starb
Die Kathi Kobus heute.

Es hat an solchen Tagen –
— — — — — —
Was wollte ich denn eigentlich sagen? –
Es hat ein Jedes was erträumt.
Es hat ein Jedes was versäumt.

Joachim Ringelnatz


 Enigma antwortete am 07.08.05 (12:13):

Ein Internet-Freund, der seit einigen Jahren in Neuseeland lebt, hat folgendes Gedicht über Foristen, das in einem dortigen Forum veröffentlicht war, rübergeschickt.
Trifft es nicht irgendwie auch auf die Nutzer des ST zu? :-)



Someone asked me once
about people online
Don't I find it silly
to call them friends of mine?

I pondered the thought
for a little while
and slung them a story
with a huge smile

I wake up in the morning
I'll tell you what I do
I race to my computer
to check my mail, it's true!

I open each and everyone
and reply with tender care
maybe just a line or two
to let them know I'm there!

I have seen strange things
been so many places
Have even seen a few
of their online faces!

It doesn't matter to me
that they are far away
Meeting them has surely
brightened up my day! !

We've shared a morning coffee
and at times we've shed a tear
We've been there for each other
even played cards and drank a beer!

They are just as real to me
as you are standing there
They are always here for me
with lots of love and care

One thing online has taught me
something I'll never forget
There's a lot of great people
out there on the net!

"How can you be friends with
someone you've never met?"
I'll smile and tell them
"You've never been online I bet!"

So you can call me silly
if that's what you want to do-
But I care for them every bit
as much as I care for you.

author unknown

PS
Ausserdem hat es auch noch viel mit den "Apostrophen" zu tun. :-)))


 Marina antwortete am 07.08.05 (18:23):

Das hat mir gefallen, Enigma. Wichtig für alle ForistInnen, die meinen, verrückt zu sein wegen ihrer Schreiberei.. :-)

Hier etwas anderes:

SEHNSUCHT

Heimkehren
will ich zum Meer,
hineintauchen in den blauen Wasserspiegel,
ins Meer!
Heimkehren will ich zum Meer!
Die Schiffe streben zum Horizont,
hell und weit,
ihre straffen Segel sind nicht gebläht vom Leid.
Ich wäre glücklich,
könnt ich einmal auf einem solchen Schiff Wache tun.
Da uns der Tod eines Tages gewiss ist,
nun so möcht ich wie ein in der Flut versickerndes Licht
verlöschen im Meer.
Heimkehren will ich zum Meer!
Heimkehren zum Meer!

NAZIM HIKMET

Internet-Tipp: https://www.onlinekunst.de/januar/20_01_Hikmet2.htm


 Enigma antwortete am 08.08.05 (08:50):

Den Nazim Hikmet mag ich auch sehr gerne.
Das nachfolgende auch:

NAZIM HIKMET, 24 September 1945

Das schönste Meer:
es ist das noch unbefahrene...
Das schönste Kind:
es ist das noch nicht erwachsene.
Unsere schönsten Tage:
es sind die noch nicht gelebten.
Das allerschönste Wort was ich Dir
sagen wollte:
es ist das noch nicht ausgesprochene Wort...

Übersetzung: Rana Talu


 Marina antwortete am 08.08.05 (16:43):

Ja, die sind beide sehr schön, Enigma. Da du unter "Sommer" etwas von Ted Hughes veröffentlicht hast, hier etwas von seiner Frau Sylvia Plath, die sich leider viel zu früh das Leben genommen hat.

Mänade

Einst war ich gewöhnlich:
saß bei meines Vaters Bohnenbaum,
aß die Finger der Weisheit.
Die Vögel gaben Milch.
Bei Donner versteckte ich mich unter einem flachen Stein.

Die Mutter der Münder liebte mich nicht.
Der alte Mann schrumpfte zu einer Puppe zusammen.
O ich bin zu groß, um rückwärts zu gehen:
Vogelmilch ist Federn,
die Bohnenblätter sind stumm wie Hände.

Dieser Monat taugt zu fast gar nichts.
Die Toten reifen in den Traubenblättern.
Eine rote Zunge ist unter uns.
Mutter, halt dich von meinem Scheunenhof fern,
ich werde jemand anders.

Hundskopf, Verschlinger:
füttere mich mit den Beeren des Dunkels.
Die Lider schließen sich nicht. Die Zeit
entwickelt vom großen Nabel der Sonne
ihr endloses Glitzern.

Das alles muß ich schlucken.

Meine Dame, wer sind diese anderen im Mondbottich –
schlaftrunken, ihre Glieder uneins?
In diesem Licht ist das Blut schwarz.
Sag mir meinen Namen.

Sylvia Plath
in deutscher Übersetzung von Johannes Beilharz

Internet-Tipp: https://www.jbeilharz.de/plath/crossing.html


 Literaturfreund antwortete am 09.08.05 (08:26):

Zu der Eingabe von Sylvia Plaths Poem, hier das Original:

Sylvia P l a t h: Maenad

Once I was ordinary:
Sat by my father's bean tree
Eating the fingers of wisdom.
The birds made milk.
When it thundered I hid under a flat stone.

The mother of mouths didn't love me.
The old man shrank to a doll.
O I am too big to go backward:
Birdmilk is feathers,
The bean leaves are dumb as hands.

This month is fit for little.
The dead ripen in the grapeleaves.
A red tongue is among us.
Mother, keep out of my barnyard,
I am becoming another.

Dog-head, devourer:
Feed me the berries of dark.
The lids won't shut. Time
Unwinds from the great umbilicus of the sun
Its endless glitter.

I must swallow it all.

Lady, who are these others in the moon's vat ---
Sleepdrunk, their limbs at odds?
In this light the blood is black.
Tell me my name.
*
Johannes Beilharz’ Übertragung garantiert gerade das nötigste Verständnis des Plath-Gedichts; eine angemessene Translatio eines lyrischen Poems, das psychiche Erlebnisse in disparate Metaphern umsetzt, ist sie nicht.

Ich biete hier, auch zur Kritik, eine eigene Übersetzung an:

**

Sylvia P l a t h: Mänade

Ja, einst war ich in schöner Ordnung:
ruhte unter meines Vaters Bohnenstrauch,
lutschend von diesen Fingern meiner Kinderzeit Weisheit.
Die Vögel sorgten für Milch.
Wenn's Donner lag ich versteckt unter glattem Stein.

Die Münder der Mütter mochten mich nicht.
Der Alte schrumpfte ein zum Puppensack.
Ach, ich bin dem entwachsen, kann nimmer zurück:
Vogelmilch verklebt zu Gefieder,
die Bohnenblätter nur noch dumm wie der Eltern Hände.

Dieser Mond taugt nicht mehr.
Was tot, ist zerrissen für der Weinreben Wuchs.
Nur rote Zunge zeigt sich uns.
Mutter, verschwind von meinem Stallgeviert,
ich verwandle mich im Werden.

Hundsfottkopp, Würger:
fütter mich mit der Beeren Schwärze.
Meine Lider wollen nicht mehr verschließen. Zeit
entwindet dem großen Nabel der Sonne
endloses Glitzern.

Ich Schwälbchen muss schlucken all das.

Lady, wer sind diese anderen unter Mondes Kufe –
schlaftrunken, ihre Glieder im Streit?
In diesem Gelicht schwärzt sich das Blut.
Erkenn mir neuen Namen zu.

**

Nachwort: Diese Übersetzung berücksichtigt die heftige Klage der Dichterin als Mänade gegen Vater und Mutter als ihre kindlichen Obstruktoren. Die lebensgeschichtlichen Ankläge an psychischen und sexuellen Missbrauch der Eltern blitzen in den schmerzlichen Metaphern auf.
Wortstämme wie bei „swallow“ („Schwalbe“ als Nomen; als Verb „füttern“, „einverleiben“, schlucken“ zeigen die etymologische Sprachkraft der Dichterin Plath. – Ähnlich bei „vat“ als „Bottich" oder "Kufe“ oder „in ein Fass geraten“, „in einer Kufe bearbeitet werden“.)


 Marina antwortete am 09.08.05 (18:14):

Da bist du ja auch wieder, danke für die Mühe!
Hier etwas anderes:

In zwanzig Jahren

In zwanzig Jahren
werde ich altgeworden sein, oder? Nämlich gebrechlich,
geschwächt, habe mehr als gelegentlich dann,
ja gewiß gleichermaßen systematisch

Ausfälle des Gedächtnisses, des Wahrnehmens.
Und die Löcher, wie Mottenfraß,

werden aber andererseits
Gewebeverdickungen sein - Löcher nur meinerseits -
unauflösliche, undurchdringliche
Knoten. Dazwischen ich.

Seit ich denken kann, ein Geschrei jedesmal,
wenn ich durchkomme irgendwo - von irgendwo nach
(unvermutet) irgendwo.

Werde dies Durchkommen zeitlebens als Text
aufgesetzt, gewebt haben, plusquamperfekt.

Also doch dauerhaft dann,
jedes Mal, schärfer, rascher als jetzt & zeitlebens
wahrnehmen, was bleibt, verdickt, während ich
abnehme.

Abnehme, zunehmend stocke, stutze, stehe und
Schluß. Kehre ich um, wie vor verschlossenen Türen?

Schließlich weg sein,
als Kürzel mich überholender Perspektiven

einst in die Welt gesetzt, unvollendeter Vergangenheit.
Heerzugsmut, schicksalsergebener.

Es sei ausdrücklich wieselflink,
wie unterwegs das Bachwasser blink.

Werde nicht hören, was man
Unbekömmliches sagt. Reine Materie, still doch.

Sinnlöcher, Seinsknubbel, unverschluckbar
(unerreichbare Gegenteil-Häppchen). - Taugen,
miteinander verbunden, als Käfig

(oder nur die Verbindungen, knotenlos), - und drin,
in die Ecke geduckt, das verschüchterte Huhn

(flatternd, wenn jemand kommt, mit den gestutzten
Flügeln.

Wie gehetzt.)
Wie verschreckt.

Die Blicke der Greisin sind klein und huschen,
habe ich öfter gesehen. So geistert sie,

entgeistert,
nicht mehr das Rebhuhn der Steppen zu sein.
Ça ira.

Elke Erb

Internet-Tipp: https://www.lyrikline.de/de/ShowPoem.aspx?authorId=ee00&poemId=91


 Enigma antwortete am 10.08.05 (08:46):

Marjana Gaponenko
Mein Mund hängt am Baum

Mein Mund hängt am Baum
vor den Toren der Stadt.
Er wird grün, er wird gelb, er wird rot.

Wer auch immer du bist,
gehe bitte vorbei
und ziehe vor ihm deinen Hut.

Wer auch immer du bist,
nimm ihn mit auf den Weg,
sei so lieb.

Er wird singen und küssen.
Er wird lachen für dich.
Nimm ihn mit!


Marjana Gaponenko
(*1981)

Internet-Tipp: https://www.marjana-gaponenko.de


 Marina antwortete am 10.08.05 (21:04):

Ich bin die Zeit

Mein Reich ist klein und unbeschreitbar weit.
Ich bin die Zeit.
Ich bin die Zeit, die schleicht und eilt,
die Wunden schlägt und Wunden heilt.
Hab weder Herz noch Augenlicht.
Ich trenn die Gut' und Bösen nicht.
Ich hasse keinen, keiner tut mir leid.
Ich bin die Zeit.
Da ist nur eins, das sei euch anvertraut
Ihr seid zu laut.
Ich höre die Sekunden nicht,
Ich hör den Schritt der Stunden nicht.
Ich hör euch beten, fluchen schrein,
Ich höre Schüsse zwischendrein;
Ich hör nur Euch, nur Euch allein.
Gebt acht, ihr Menschen, was ich sagen will:
Ihr seid ein Stäubchen, seid endlich Still
Am Gewand der Zeit.
Laßt euren Streit
Klein wie ein Punkt ist der Planet,
Der sich samt euch im Weltall dreht.
Die oben pflegen nicht zu schrein
Und wollt ihr schon nicht weise sein,
Ihr könnt zumindest leise sein.
Schweigt vor dem Ticken der Unendlichkeit.
Hört auf die Zeit!

Erich Kästner


 Enigma antwortete am 11.08.05 (08:12):

Unser Leben
ist das Berufsleben
Unsere Kraft
ist die Arbeitskraft
Unser Wachstum
ist das Wirtschaftswachstum
Unsere Zeit
ist die Produktionszeit
Unser Interesse
ist das Geschäftsinteresse
Unser Denken
ist das Konkurrenzdenken
Unser Streben
ist das Gewinnstreben
Unsere Sorge
ist die Geldsorge
Unsere Liebe
ist die Eigenliebe

Unser Tod
ist der Gefühlstod
zu Lebzeiten

Bertram Münker, Sentenz Verlag, Siegen