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THEMA: Gedichte Kapitel 34
123 Antwort(en).
hl
begann die Diskussion am 26.11.04 (10:11) :
Ein neues Kapitel mit neuer Vorlesefunktion. Die Mailliste wird gleich übertragen.
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hl
antwortete am 26.11.04 (10:31):
Zu Beginn ein Songtext von Gert Steinbäcker
Es weht a and'rer Wind
Es is uns ziemlich gut 'gangen, wenn i heute z'rückschau Es war'n noch Fehler erlaubt, es war all's net so genau Irgendwie war immer Aufschwung, die Probleme abschätzbar Und die Zukunft war klar
Man hat die Dinge besprochen, auch dem Gegner zug'hört Die Toleranz war im Wachsen, man hat niemand aussig'sperrt Mit Gewalt löst man nix, a echter Krieg war nur im Fernseh'n Und weit weg vorstellbar
Grenzen brechen z'samm, alle jubilier'n Wenn Völker sich befrei'n, muss man applaudier'n Plötzlich kommt man drauf, es wackelt die ganze Welt Unmut schleicht sich ein und es kost' unser Geld
Und man wittert die G'fahr, dass einem schlechter geh'n könnt' Und so mancher Kussmund zeigt jetzt plötzlich die Zähne Jetzt muss man irgendwie schau'n, den Letzten beißen die Hund' Dass man dabei is, ganz vorn
Die ersten Stimmen verdammen den Sozialfirlefanz Mir hab'n jetzt andere Sorgen, jetzt is Schluss mit die Tanz Und so mancher heiße Tip mit nationalem Unterton Stoßt jetzt auf offene Ohr'n
Masken fall'n jetzt schnell, Fassaden bröckeln ab Ballast muss über Bord, und die Zeit wird knapp
Es weht a and'rer Wind, es weht a and'rer Wind Man rückt jetzt auseinand' und das geht viel schneller Als bis man z'sammenfind' Es weht a and'rer Wind, es weht a andr'rer Wind Das eig'ne Hemd fest im Griff traut man jedem alles zu Und das geht unheimlich g'schwind
Man will für schwierige Fragen einfache Lösungen hör'n Und so manch' starker Mann sieht ihn schon aufgeh'n, sein Stern Und man fackelt net so lang, man hat die Schuldig'n für wurscht was Wieder gleich bei der Hand
Die Angst is a Sau, der Ton is schärfer word'n Die dünne Schicht Haltung hat man schnell verlor'n
Es weht a and'rer Wind, ...
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iustitia
antwortete am 26.11.04 (10:40):
Danke noch - zurück an die Beispiele; auch für den frech-schönen Wedekind.
Gioconda Belli: Halluzination
Heute erwachte ich ganz still als Poetin und stellte mir vor ich könnte mich einfach hinfließen lassen zur Liebe wie ein träges Segelschiff spielerisch dem Winde folgt. Ich könnte plötzlich da sein, eine Erscheinung, das Klappern der Schreibmaschinen vergessen das Telefon die Zeit und dich anschaun als ob nichts auf der Welt wichtiger sei. Diese Vogelgefühle machen mir Angst weiß ich doch nicht wie weit die Stäbe des Käfigs sind die ich manchmal in deiner Stimme spüre wenn du mich zurückholst in die Wirklichkeit.
Weißt du denn, ob ich nicht an einem heimlichen magischen Ort wo ein freundlicher gütiger Zauberer haust den Kompaß finde der mir den Weg weist zu deinem Herzen und mich nicht irren läßt in dem Wald wo der Kobold der hinter deinen Augen lebt sein Häuschen hat mit Teekannen, Spiegeln und Zaubertiegeln?
Es gibt Tage, da füllen sich meine Arme mit Blumen und meine Haut riecht nach duftenden Kräutern und ich zerzause mein Haar, ziehe meine Schuhe aus und denke, diese ganze Verrücktheit gefällt mir. Du kannst dir nicht vorstellen wie sehr mir gefällt Eva zu sein und dir meine Welt zu benennen und zu beobachten wie du mit diesem seltsamen Ausdruck als ob du mich um den Schlüssel bätest und gleich wieder zurückzucktest in die Vernunft mit komplizierten Fäden knüpfst was uns kitzelt damit wir Telefon und Schreibtisch verlassen die verschiedenen Planeten vergessen, die wir bewohnen in freiem Flug aus dem Fenster schweben - nackt wie übermütige Engel - die Labyrinthe der Lebensrosen öffnen die aberwitzigen Maschinen des Todes stoppen und zur Mitte der Sonne gelangen zur Mitte des köstlichen Wahnsinns wo ein Kuß alle Weisheit des unerforschlichen Universums enthält. * ULR – mit einem Bilde...
Internet-Tipp: https://www.deutsche-liebeslyrik.de/die12/marz12.htm
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hl
antwortete am 26.11.04 (21:46):
Im November zu lesen
Gottlieder eines Gläubigen
Am Ufer deiner ewigen Unendlichkeit wandle, irre ich und suche dich. Es starrt der Blick zum Meere unverwandt, es müht sich und versinkt der Fuß im Sand, es hebt sich immer in den Wind die Hand. Und wie das Meer herüber Well um Welle trägt, und mir mein Herz das rote Blut bis an die Lippen schlägt,
Gott, Gott, ich suche dich. Du bist das Meer, das Meer, und ich bin eine Hand voll Sand, verschäumt, verweht. Ich bin am öden, weiten Strand der schwarze Tang, durch den der Wandrer strauchelnd geht. Ich bin mein Leben lang nur das zerschellte Wrack. Und du das Meer, das über alles her unendlich flutet Tag und Tag.
[Ernst Thrasolt 1878-1945]
Im Nebel
Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein, kein Baum sieht den andern, Jeder ist allein.
Voll von Freunden war mir die Welt, Als noch mein Leben licht war; Nun, da der Nebel fällt, ist keiner mehr sichtbar.
Wahrlich, keiner ist weise, Der nicht das Dunkel kennt, Das unentrinnbar und leise Von allen ihn trennt.
Seltsam, im Nebel zu wandern! Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern, Jeder ist allein.
[Hermann Hesse)
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aknediw
antwortete am 26.11.04 (22:36):
Advent
Es treibt der Wind im Winterwalde Die Flockenherde wie ein Hirt, Und manche Tanne ahnt, wie balde Sie fromm und lichterheilig wird;
Und lauscht hinaus. Den weißen Wegen Streckt sie die Zweige hin - bereit, Und wehrt dem Wind und wächst entgegen Der einen Nacht der Herrlichkeit.
Rainer Maria Rilke Allen einen schönen 1. Advent. Adolf
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hl
antwortete am 27.11.04 (05:29):
Ich sehn mich so nach einem Land der Ruhe und Geborgenheit. Ich glaub, ich habs's einmal gekannt, als ich den Sternenhimmel weit und klar vor meinen Augen sah, unendlich großes Weltenall. Und etwas dann mit mir geschah: Ich ahnte, ich spürte auf einmal, das alles: Sterne, Berg und Tal, ob ferne Länder, fremdes Volk, sei es der Mond, sei's Sonnenstrahl, daß Regen, Schnee und jede Wolk, daß all das in mir drin ich find, verkleinert, einmalig und schön. Ich muß gar nicht zu jedem hin, ich spür das Schwingen, spür die Tön' ein's jeden Dinges, nah und fern, wenn ich mich öffne und werd still in Ehrfurcht vor dem großen Herrn, der all dies schuf und halten will. Ich glaube, das war der Moment, den sicher jeder von euch kennt, in dem der Mensch zur Lieb bereit: Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit!
Hermann Hesse
Einen ruhigen besinnlichen 1. Advent wünsche ich
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iustitia
antwortete am 27.11.04 (08:36):
Nicht nur für Schmetterlingsfans, auch für die Sehnsucht haben nach Metamorphosen:
Novalis: Schmetterlinge
wer schmetterlinge lachen hört, der weiß wie wolken schmecken. der wird im mondschein, ungestört von furcht, die nacht entdecken. ...
der wird zur pflanze, wenn er will. zum tier, zum narr, zum weisen. und kann in einer stunde durch das ganze weltall reisen. ...
der weiß, daß er nichts weiß, wie alle anderen auch nichts wissen. nur weiß er, was die anderen, und auch er noch lernen müssen. ...
wer in sich fremde ufer spürt und mut hat sich zu recken; der wird allmählich, ungestört von furcht, sich selbst entdecken. abwärts zu den gipfeln seiner selbst blickt er hinauf. den kampf mit seiner unterwelt nimmt er gelassen auf. ...
wer mit sich selbst in frieden lebt, der wird genauso sterben: und ist selbst dann lebendiger als alle seine erben.
* URL einer kühnen Schmetterlings-Frau:
Internet-Tipp: https://www.gomah.de/poems/pics/fb020_bv_fairy.jpg
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Enigma
antwortete am 27.11.04 (09:29):
Guten Morgen alle, und die Grüsse zum 1. Advent erwidere ich ganz herzlich.
Ulrich Schaffer Ich wage der Mensch zu sein...
Ich wage der Mensch zu sein, der ich bin; unfertig, aber doch glücklich, unsicher im Neuen und doch wissbegierig, manchmal ängstlich in Entscheidungen, verwirrt im Überangebot der Ideen, doch auch begeistert von Kleinigkeiten. Zweifelnd und zögernd, dann wieder mutig und ernst, verzaubert von Worten oder schweigsam zurückgezogen. Manchmal zerrissen und voller Widersprüche, aber auch einseitig und naiv. Und noch vieles mehr bin ich, oft nicht genau zu beschreiben. Ich wage es, mich selbst so anzusehen, so zu lieben, wie ich bin, und mich auch so zu zeigen, ob ich nun dafür geliebt werde oder nicht.
Schaffer stammt ursprünglich aus Pommern, ist aber mit seiner Familie nach Kanada ausgewandert, wo er heute in British Columbia lebt. Er hat sich auch vor allem als Naturfotograf einen Namen gemacht. Im Moment versuche ich, einen Kalender von ihm in Deutschland aufzutreiben. Näheres - wen es interessiert - bitte der URL entnehmen.
@iustitia ein sehr schönes Gedicht über Schmetterlinge. Aber die Schmetterlings-Frau gibt ihr Geheimnis, wie sie kühn wurde, nicht preis. Bei der URL kommt bei mir: "Forbidden" :-)
Internet-Tipp: https://www.ulrich-schaffer.com/index.htm
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Sofia204
antwortete am 27.11.04 (14:42):
Im Baum kreist die Runde der Jahreszeit wirft Ringe unter`s Rindenkleid und metamorphorisiert den Fluß der Zeit
kratz ;-)
*
von der Namensähnlichkeit des Dichter`s Ulrich Schaffer in serpentinerart zum Dichter Albrecht Schaeffer (1885-1950)
Wandlungen
Keiner wird, keiner wird, Eh` er sich ins Nichts verirrt.
Süß und Hold, Süß und Hold, hast dein Haupt in Staub gerollt.
Stark und Gut, Stark und Gut Du verspritzest erst dein Blut.
Still und Rein, Still und Rein Schluchz`st empor aus Nächte Pein.
Gottes Reich, Gottes Reich Schaut sich nur durch Todes-Streich,
Der das schöne Fermament der das Herz vom Herzen trennt.
Blum und Gras, Blum und Gras Wissen davon auch etwas.
Busch und Baum, Busch und Baum Sahn dich gehn aus ihrem Traum.
Busch warst du, und Baum warst du Pilgre deiner Wandlung zu!
Steig in`s Leid, steig in`s Leid In die Unverweslichkeit.
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hl
antwortete am 27.11.04 (16:45):
Nikolaus Lenau (1838)
Ein Herbstabend
Es weht der Wind so kühl, entlaubend rings die Äste, Er ruft zum Wald hinein: Gut Nacht, ihr Erdengäste!
Am Hügel strahlt der Mond, die grauen Wolken jagen Schnell übers Tal hinaus, wo alle Wälder klagen.
Das Bächlein schleicht hinab, von abgestorbnen Hainen Trägt es die Blätter fort mit halbersticktem Weinen.
Nie hört ich einen Quell so leise traurig klingend, Die Weid am Ufer steht, die weichen Äste ringend.
Und eines toten Freunds gedenkend lausch ich nieder Zum Quell, er murmelt stets: wir sehen uns nicht wieder!
Horch! plötzlich in der Luft ein schnatterndes Geplauder: Wildgänse auf der Flucht vor winterlichem Schauder.
Sie jagen hinter sich den Herbst mit raschen Flügeln, Sie lassen scheu zurück das Sterben auf den Hügeln.
Wo sind sie? ha! wie schnell sie dort vorüberstreichen Am hellen Mond und jetzt unsichtbar schon entweichen;
Ihr ahnungsvoller Laut läßt sich noch immer hören, Dem Wandrer in der Brust die Wehmut aufzustören.
Südwärts die Vögel ziehn mit eiligem Geschwätze; Doch auch den Süden deckt der Tod mit seinem Netze.
Natur das Ewge schaut in unruhvollen Träumen, Fährt auf und will entfliehn den todverfallnen Räumen.
Der abgerißne Ruf, womit Zugvögel schweben, Ist Aufschrei wirren Traums von einem ewgen Leben.
Ich höre sie nicht mehr, schon sind sie weit von hinnen; Die Zweifel in der Brust den Nachtgesang beginnen:
Ists Erdenleben Schein? – ist es die umgekehrte Fata Morgana nur, des Ewgen Spiegelfährte?
Warum denn aber wird dem Erdenleben bange, Wenn es ein Schein nur ist, vor seinem Untergange?
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hl
antwortete am 28.11.04 (05:15):
Sich ausstrecken nach dem neuen Tag
fallen lassen was alt was beschwert
frei sein atmen - mit weit geöffneten Händen neues beginnen
C.Kerting
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Enigma
antwortete am 28.11.04 (08:00):
...oh, da ist ja jemand noch früher als ich :-)
Michael Snunit Der Seelenvogel
Tief, tief in uns wohnt die Seele. Noch niemand hat sie gesehen, aber jeder weiß, daß es sie gibt. Und jeder weiß auch, was in ihr ist.
In der Seele, in ihrer Mitte, steht ein Vogel auf einem Bein. Der Seelenvogel. Und er fühlt alles, was wir fühlen.
Wenn uns jemand verletzt, tobt der Seelenvogel in uns herum, hin und her, nach allen Seiten, und alles tut ihm weh.
Wenn uns jemand lieb hat, macht der Seelenvogel fröhliche Sprünge, kleine, lustige, vorwärts und rückwärts, hin und her.
Wenn jemand unseren Namen ruft, horcht der Seelenvogel auf die Stimme, weil er wissen will, ob sie lieb oder böse klingt.
Wenn jemand böse auf uns ist, macht sich der Seelenvogel ganz klein und ist still und traurig.
Und wenn uns jemand in den Arm nimmt, wird der Seelenvogel in uns größer und größer, bis er uns fast ganz ausfüllt. So gut geht es ihm dann.
Ganz tief in uns ist die Seele. Noch niemand hat sie gesehen, aber jeder weiß, daß es sie gibt. Und noch nie, noch kein einziges mal, wurde ein Mensch ohne Seele geboren. Denn die Seele schlüpft in uns, wenn wir geboren werden, und sie verläßt uns nie, keine Sekunde, solange wir leben. So, wir wir auch nicht aufhören zu atmen von unserer Geburt bis zum Tode.
Sicher willst du wissen, woraus der Seelenvogel besteht. Das ist ganz einfach. Er besteht aus Schubladen. Diese Schubladen können wir nicht einfach aufmachen, denn jede einzelne ist abgeschlossen und hat ihren eigenen Schlüssel. Und der Seelenvogel ist der einzige, der die Schubladen öffnen kann. Wie? Auch das ist ganz einfach: mit seinem Fuß.
Der Seelenvogel steht auf einem Bein. Das zweite hat er, wenn er ruhig ist, an den Bauch gezogen. Mit dem Fuß dreht er den Schlüssel zu der Schublade um, die er öffnen will, zieht am Griff, und alles, was darin ist, kommt zum Vorschein.
Und weil alles, was wir fühlen, eine Schublade hat, hat der Seelenvogel viele Schubladen. Es gibt eine Schublade für die Eifersucht und eine für die Hoffnung. Es gibt eine Schublade für Enttäuschung und eine für Verzweiflung. Es gibt eine Schublade für Geduld und eine für Ungeduld. Auch für Haß und Wut und Versöhnung. Eine Schublade für Faulheit und Leere und eine Schublade für die geheimsten Geheimnisse. Diese Schublade wird fast nie geöffnet. Es gibt auch noch andere Schubladen. Du kannst selbst wählen, was drin sein soll.
Manchmal sind wir eifersüchtig, ohne daß wir es wollen. Und manchmal machen wir etwas kaputt, wenn wir eigentlich helfen wollen. Der Seelenvogel gehorcht uns nicht immer und bringt uns manchmal in Schwierigkeiten.
Man kann schon verstehen, daß die Menschen verschieden sind, weil sie verschiedene Seelenvögel haben. Es gibt Vögel, die jeden Morgen die Schublade "Freude" aufmachen. Dann sind die Menschen froh.
Wenn der Vogel die Schublade "Wut" aufmacht, ist der Mensch wütend. Und wenn der Vogel die Schublade nicht mehr zuschließt, hört der Mensch nicht auf, wütend zu sein.
Manchmal geht es dem Vogel nicht gut. Dann macht er böse Schubladen auf.
Geht es dem Vogel gut, macht er Schubladen auf, die uns gut tun.
Manche Leute hören den Seelenvogel oft, manche hören ihn selten. Und manche hören ihn nur einmal in ihrem Leben. Deshalb ist es gut, wenn wir auf den Seelenvogel horchen, der tief, tief in uns ist. Vielleicht spät abends, wenn alles still ist....
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler.
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pilli
antwortete am 28.11.04 (18:33):
Mit der Zeit lernst du, dass eine Hand halten nicht dasselbe ist wie eine Seele fesseln. Und dass die Liebe nicht anlehnen bedeutet und Begleitung nicht Sicherheit. Du lernst allmählich, dass Küsse keine Verträge sind und Geschenke keine Versprechen. Und du beginnst, deine Niederlage erhobenen Hauptes und offenen Auges hinzunehmen und mit der Würde des Erwachsenen, nicht maulend wie ein Kind. Und du lernst, all deine Straßen auf dem Heute zu bauen. (Kelly Priest)
entdeckt bei einem besuch bei "Ti Amo"
eine der seiten im netz, die es wert ist, immer mal wieder dort zu verweilen.
Internet-Tipp: https://www.ti-amo.at/inhalt.htm
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hl
antwortete am 28.11.04 (18:59):
Nachtrag
und mit der Zeit lernst du, dass du niemanden wirklich vertrauen kannst dass Menschen lügen und betrügen und du lernst, dich zu verschliessen wie du es als Kind bereits gelernt und als Erwachsene vergessen hast. Du übst deine Kindheitsstrategien, nach innen reden, nach aussen schweigen; und mit der Zeit heilen die Wunden und du vergisst und öffnest dich erneut und lernst mit der Zeit deine Lektion immer wieder neu .. immer wieder gleich
hl
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hl
antwortete am 29.11.04 (20:55):
Erinnerung
Joseph von Eichendorff
1
Lindes Rauschen in den Wipfeln, Vöglein, die ihr fernab fliegt, Bronnen von den stillen Gipfeln, Sagt, wo meine Heimat liegt?
Heut im Traum sah ich sie wieder, Und von allen Bergen ging Solches Grüßen zu mir nieder, Daß ich an zu weinen fing.
Ach, hier auf den fremden Gipfeln: Menschen, Quellen, Fels und Baum, Wirres Rauschen in den Wipfeln, - Alles ist mir wie ein Traum.
2
Die fernen Heimathöhen, Das stille, hohe Haus, Der Berg, von dem ich gesehen Jeden Frühling ins Land hinaus, Mutter, Freunde und Brüder, An die ich so oft gedacht, Es grüßt mich alles wieder In stiller Mondesnacht.
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hl
antwortete am 30.11.04 (16:02):
Herbstentschluss
Trübe Wolken, Herbstesluft, Einsam wandl' ich meine Straßen, Welkes Laub, kein Vogel ruft Ach, wie stille! wie verlassen!
Todeskühl der Winter naht; Wo sind, Wälder, eure Wonnen? Fluren, eurer vollen Saat Goldne Wellen sind verronnen!
Es ist worden kühl und spät, Nebel auf der Wiese weidet, Durch die öden Haine weht Heimweh; - alles flieht und scheidet.
Herz, vernimmst du diesen Klang Von den felsentstürzten Bächen? Zeit gewesen wär' es lang, Dass wir ernsthaft uns besprächen!
Herz, du hast dir selber oft Weh getan und hast es andern, Weil du hast geliebt, gehofft; Nun ist's aus, wir müssen wandern!
Auf die Reise will ich fest Ein dich schließen und verwahren, Draußen mag ein linder West Oder Sturm vorüberfahren;
Dass wir unsern letzten Gang Schweigsam wandeln und alleine, Dass auf unserm Grabeshang Niemand als der Regen weine!
Nikolaus Lenau (1802 - 1850)
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Enigma
antwortete am 01.12.04 (10:20):
Clara Müller Herbstliche Liebe
Meine Seele spinnt dich ein; schimmernde Marienfäden sollen ihre Häscher sein.
Ihre Schlingen fühlst du kaum. Eine rote Märtyrkrone brech ich dir vom Eschenbaum.
Deine Stirne küß ich bleich - und so führ ich dich gefangen mitten durch mein Schattenreich.
Du wirst ganz mein eigen sein, wirst verbluten und verblühen - meine Seele spinnt dich ein.
Internet-Tipp: https://www.litlinks.it/m/mueller_clara.htm
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hl
antwortete am 04.12.04 (10:34):
Allmählich wird es Winter.
Gustav Falke
Winter
Ein weißes Feld, ein stilles Feld. Aus veilchenblauer Wolkenwand hob hinten, fern am Horizont, sich sacht des Mondes roter Rand.
Und hob sich ganz heraus und stand bald eine runde Scheibe da, In düstrer Glut. Und durch das Feld klang einer Krähe heisres Krah.
Gespenstisch durch die Winternacht der große dunkle Vogel glitt, und unten huschte durch den Schnee sein schwarzer Schatten lautlos mit.
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Enigma
antwortete am 05.12.04 (09:11):
Du gehst mir aus dem Sinn
Wir gelten als ein Paar, das man beneidet. Man sagt uns nach, uns bringt nichts aus dem Gleis. Und wenn es heisst: "bis dass der Tod euch scheidet" - dann sind wir zwei womöglich der Beweis. Oft war`s nicht leicht. Doch jede unsrer Krisen war immer eine Chance und ein Gewinn. Wie nur erkläre ich mir dann, was ich mir nicht erklären kann: Du gehst mir aus dem Sinn.
Ich liebe deine Gesten, die mir sagen, dass du noch immer jeden Tag genießt, dein Lachen und die kluge Art zu fragen und wie du meine Schwächen übersiehst. Wir teilen schon beinah ein halbes Leben. Das wirft man nicht aus einer Laune hin. Dir zu vertraun, war niemals schwer. Nun hab ich keine Worte mehr. Du gehst mir aus dem Sinn.
Wir sind so weit gekommen in den Jahren. Ich hab mir nie was andres vorgestellt. Was immer auch geschah - wir beide waren gemeinsam eine Insel in der Welt. Nun reise ich in schweigenden Gedanken allein zu meiner eignen Insel hin, wo niemand mich beim Namen nennt und wo den deinen keiner kennt, wo nichts mehr kalt ist oder heiß und die Erinnerung schwarz-weiß, wo man sein Herz nicht schlagen hört und wo kein Traum die Nächte stört und wo du nicht mehr fragst, warum ich traurig bin.
Text: Edith Jeske Komponist: Rainer Bilefeldt
Frau Jeske hat mir - sehr freundlich und herzlich übrigens -erlaubt, das Lied zu posten.
Internet-Tipp: https://www.musenlust.de
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marie2
antwortete am 05.12.04 (10:31):
Vier Kerzen
Eine Kerze für den Frieden, weil der Streit nicht wirklich ruht. Für den Tag voll Traurigkeiten Eine Kerze für den Mut.
Eine Kerze für die Hoffnung gegen Angst und Herzensnot, wenn Verzagt sein unseren Glauben heimlich zu erschüttern droht.
Eine Kerze, die noch bliebe, als die wichtigste der Welt; Eine Kerze für die Liebe, weil nur diese wirklich zählt.
Rainer Maria Rilke
Das Gedicht fand ich im Internet. Weiß jemand von Euch, ob es wirklich von Rilke ist? Für mich passt es irgendwie nicht zu den Gedichten, die ich von ihm kenne. Marie
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pilli
antwortete am 06.12.04 (00:46):
marie2,
ich habe das gedicht nicht auf der u.a. webseite gefunden, obwohl die auswahl der angebotenen gedichte groß ist.
aber ich entdeckte:
Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest. Und lass dir jeden Tag geschehen so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen sich viele Blüten schenken lässt.
Sie aufzusammeln und zu sparen, das kommt dem Kind nicht in den Sinn. Es löst sie leise aus den Haaren, drin sie so gern gefangen waren, und hält den lieben jungen Jahren nach neuen seine Hände hin.
Internet-Tipp: https://www.rilke.de/
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Enigma
antwortete am 06.12.04 (10:03):
Guten Morgen, besonders Marie2 und Pilli,
"Vier Kerzen" habe ich vielfach im Netz gefunden, immer mit der Angabe, dass es von Rilke ist.
Komm Erde
Komm Erde, daß ich an dein Herz mich lege nach all den lauten Reisen und der Pflicht! Es singt das Gras! Die Welle plätschert träge, und der Zenit lodert von Sonnenlicht! Jenseits der Meere voll Muwilligkeiten war ich oft ungeduldig, du mein Land, - und nach dem großen Wunder unserer Weiten hab ich manch andres Wunder noch erkannt. Und dennoch war ich all in dem Gewimmel sehnsüchtig deiner Stille noch ergeben, und ich bin glücklich, daß an deinem Himmel die Wolken wie Gedanken zíehn und schweben.
aus dem Russischen übersetzt von Günther Deicke
Internet-Tipp: https://www.kulturportal-russland.de/neuerscheinungen_detail.jsp?rid=128
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marie2
antwortete am 06.12.04 (17:51):
@ pilli und Enigma Danke für Eure Bemühungen. Ich habe das Rilkegedicht nicht in dem Band gesammelte Werke gefunden. Es war mir auch in den Vorjahren nie aufgefallen, wenn ich im Netz ein Adventsgedicht suchte. Dass es auf vielen Seiten jetzt erscheint, ist ja letztendlich auch kein Beweis, dass es von Rilke ist. Hier wird so viel kopiert und weitergegeben. Es wird allerdings hier auch in vielen Predigten angeführt. Ich hoffe, die Prediger haben sorgfältig die Quellen gesucht. Danke Pilli für die für mich neue Adresse mit Rilke-Adventskalender.
Ich liebe vergessene Flurmadonnen, die ratlos warten auf irgendwen, und Mädchen, die an einame Bronnen, Blumen im Blondhaar, träumen gehn.
Und Kinder, die in die Sonne singen und staunend groß zu den Sternen sehn, und die Tage, wenn sie mir Lieder bringen, und die Nächte, wenn sie in Blüten stehen.
Rainer Maria Rilke
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Enigma
antwortete am 07.12.04 (10:04):
Guten Morgen,
ja Marie2, da hast Du Recht. Mir ist auch schon öfter aufgefallen, dass eine ungenaue oder falsche Angabe sich wie ein sich selbst vervielfältigender Schneeball durchs Internet zieht.
Kommt Gott als Mensch
Kommt Gott als Mensch in Dorf und Stadt, hat er nicht viel zu lachen. Das Christenvolk ist lau und matt, verstrickt in eigne Sachen. Doch er zieht ein für jedermann, denkt nicht nur an die Frommen. Er will für alle kommen.
Drum sind die Kirchen viel zu klein, wo die Choräle klingen: Lässt Gott sich mit den Menschen ein, kann auch die Strasse singen. Hosianna kommt vom Straßenrand und von den Kirchenbänken, doch er weiß, was wir denken.
Kommt Gott als Mensch in Dorf und Stadt, hat er nicht viel zu lachen: Wir setzen ihn am Kreuze matt, um weiter Krieg zu machen. Auch Schweigen wird uns zum Gericht in Kirchen und in Straßen. Gott lässt nicht mit sich spassen!
Drum sind die Kirchen viel zu klein, wo die Choräle klingen: Die ganze Welt muss Schauplatz sein, wenn wir von Neuem singen. Es fängt mit dem Erschrecken an, dass wir so lieblos leben. Der Richter hat vergeben.
Kommt Gott als Mensch in Dorf und Stadt, kann der wieder lachen, der nicht mehr weiter lau und matt das eigne Spiel will machen. Wer Gottes Anspiel weiterspielt, wird dies auch sehen lassen in Kirchen und in Strassen.
Dieter Trautwein
Internet-Tipp: https://www.kath.de/bistum/limburg/presse/2002/id02359.htm
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marie2
antwortete am 09.12.04 (22:56):
Weihnachten am Alexanderplatz
Ein zwei drei Punks kommen mir auf der Rolltreppe entgegen der größte ein schlaksiger Typ mit blonden Zotteln und Nasenring sieht mich für einen Moment aus hellen rotgeäderten Augen an Ich liebe dich johlt er plötzlich Ich dich auch rufe ich so leichthin über die Schulter Echt? vernehme ich noch dann bin ich in der S-Bahn und er unten verschwunden
Tanja Dückers
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Enigma
antwortete am 10.12.04 (07:45):
Heinz Kahlau Zuneigung
Ich kann dich riechen, schmecken, hören, fühlen, ansehn.
Ich mag dich munter, müde, aufgeregt und still.
Auch was mir nicht an dir gefällt, kann ich verstehn.
Weshalb ich gerne bei dir mit dir älter werden will.
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hl
antwortete am 12.12.04 (21:56):
Zu viele Worte noch
Noch nichts ausgeschwiegen Noch nichts ausgelitten Noch nichts gestillt
Unsere Wörter werden wir tauschen Liebster unter dem Hundstern und vergraben am Fusse des Hügels dort wo das Kreuz gen Norden steht
Und gesenkten Hauptes werden wir ziehen ein jeder in seine Fremde vermummt und stumm
Und am Fenster sitzend mit grossen Augen werden wir warten dass der Schnee fällt lauschend dem Kommenden
Ingrid Haushofer in "Zeit der dunklen Frühe" Edition L Czernik-Verlag, Hockenheim 2004
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Enigma
antwortete am 13.12.04 (09:56):
Friedrich Gottlob Wetzel: Bittersüßes Schwanenlied
Wie so geistig zum Zerblasen ist doch meine Poesie! Nacht und Nebel! Ein paar Phrasen! Mondschein und Melancholie! Grau in Grau macht wenig Mühe, drum sind Nachtstück`meine Lust. Freilich, Abende zu schildern komm`ich nicht so wohlfeil los. Silber, Gold, zu allen Bildern, wenn auch Katzensilber bloß! Doch bei allem, was ich dichte, denk`ich an die Sterblichkeit. Und, beseh`ich`s mir bei Lichte, scheint mir`s wirklich hohe Zeit. Ach was, Rom und Belvedere! So ein Kirchhof macht mehr Not. Und ich zieh`mir draus die Lehre: wer gestorben, der ist tot! Mausetot, die Jung und Alten! Wie herzbrechend mal`ich das! Wer kann da das Wasser halten, mach`ich doch mich selber naß! Aber auch Ruinen rühren! Und gewiß, wär`am Ruin noch etwas zu ruinieren, täten`s meine Elegien! Denk`ich nun: so geht`s uns allen, müssen all`ins Loch hinein. A propos, darüber fallen mir die Kinderjahre ein. Ach die hübschen Kinderspielchen, wer spielt sie mit mir noch, wer? Und wer setzt mich noch auf`s Stühlchen, kömmt mir`s an von ungefähr? Ball und Oper, all den Plunder gäb`ich für solch Stühlchen hin! Damals! Damals und jetztunder! Miserabel wie ich bin! Was half mir die Alpenreise? Ach, die Mus`erfror im Schnee. Sie erstarrt im ew`gen Eise und ersoff im Genfer See! Ich selbst war fast umgekommen. Ja, das bißchen Spiritus, was ich etwa mitgenommen, fror und kam mir aus dem Fluß. Ach, ich armer Tropf, was helfen all die Ur`n und Gräber mir? Alle Geister, Gnomen, Elfen? Ganze Fuder Mondschein hier? Tränenweiden und Zypressen? Alles Jammerholz der Welt? Leider bin ich schon vergessen, eh`das Totenglöckchen schellt. Mag ich tuschen, mag ich färben, heißt`s ein ewig Einerlei. Auch, daß alle Menschen sterben, scheint nur wenigen mehr neu. Ja mein ewig Lamentieren, stets die alte Melodie. Die Ruinen ruinieren vollends alle Poesie! Nun so weiß ich, was ich mache: Fort, fort, nach Elysium! Schwimmt doch schon in Lethes Bache all mein ganzes bißchen Ruhm! O wie gut, wer nichts zu denken und nichts zu vergessen hat. Er darf sich in Lethe senken. Und verliert nichts bei dem Bad!
Internet-Tipp: https://gutenberg.spiegel.de/autoren/Druckversion_wetzel.htm
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Enigma
antwortete am 20.12.04 (08:58):
May Ayim grenzenlos und unverschämt ein gedicht gegen die deutsche sch-einheit
ich werde trotzdem afrikanisch sein auch wenn ihr mich gerne deutsch haben wollt und werde trotzdem deutsch sein auch wenn euch meine schwärze nicht paßt ich werde noch einen schritt weitergehen bis an den äußersten rand wo meine schwestern sind wo meine brüder stehen wo unsere FREIHEIT beginnt ich werde noch einen schritt weitergehen und noch einen schritt weiter und wiederkehren wann ich will wenn ich will grenzenlos und unverschämt bleiben
Internet-Tipp: https://www.marc-pendzich.de/NG/Links.htm
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iustitia
antwortete am 20.12.04 (15:28):
Danke, enigma! Aus einem anderen Forum, ein Stückchen Gegenwart, deutsch,hoihoi - unrecht-geschreibt - als Ergänzung zu enigmas schönem Gedicht: *
jodoca: inlander gefunten dunkelfarbengehaut kopf-stein!pflaster? getreht zusicht unwerd! dunkelfarbengehaut
Internet-Tipp: https://www1.unicum.de/forum/upload/printthread.php?t=4897
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Enigma
antwortete am 21.12.04 (08:25):
...danke iustitia...
Alberto Caeiro (eines der Heteronyme von Fernando Pessoa) Der Hüter der Herden
Mein Blick ist strahlend wie eine Sonnenblume... Ich habe die Angewohnheit, über die Straßen zu wandern und dabei nach rechts und links zu schauen und manchmal auch rückwärts... und was ich in jedem Augenblick sehe, habe ich nie zuvor gesehen und weiß sehr wohl darauf achtzugeben... Ich kenne den Wesensschauder, den Kinder spüren würden, wenn sie bei der Geburt begriffen, daß sie wirklich das Licht der Welt erblickten... Ich fühle mich alle Augenblicke für die ewige Neuheit der Welt geboren... Ich glaub`an die Welt wie an ein Tausendschönchen, weil ich sie sehe. Aber ich denke nicht über sie nach, denn denken heißt nicht-verstehen. Die Welt ward nicht geschaffen, damit wir über sie nachdenken sollten (denken heißt augenkrank sein), sondern damit wir sie anschaun und mit ihr einig sind. Ich habe keine Philosophie, ich habe Sinne.... Rede ich von der Natur, so nicht, weil ich weiß, was sie ist, sondern weil ich sie liebe, und deshalb liebe ich sie; denn niemals weiß der Liebende, was er liebt, noch auch, warum er liebt oder was Lieben ist... Lieben ist ewige Unschuld und die einzige Unschuld ist nicht zu denken...
Internet-Tipp: https://www.gabi-buchner.de/pessoa/content.htm
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Enigma
antwortete am 22.12.04 (09:59):
Gülbahar Kültür Leben
Was heißt das, Leben? Eine Gefangenschaft oder ein bestimmter Zeitvertreib?
Das Leben ist kein Gedicht, das man bei Nichtgefallen zerreißen kann und ist kein Glas, das man versehentlich kaputt macht. Es ist kein Traum, den man vergessen kann.
Ist das Leben ein Füller, der eines Tages vom Schreiben leer ist, eine Kerze, die ausgeht oder ein Weg von drei Sprüngen?
Kann das Leben eine Cassette sein, die wir nicht mehr hören mögen, vielleicht eine Blume, die eines Tages verwelkt.
Vielleicht auch Regentropfen, die herunterrieseln, eine Uhr, die stehenbleibt, wenn man sie nicht aufzieht.
Es könnte auch ein Buch bestehend aus Lügen sein, das wir satt habenzu lesen.
Internet-Tipp: https://www.gkultur.de
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Enigma
antwortete am 24.12.04 (09:48):
Stephen Crane In The Desert
In the desert I saw a creature, naked, bestial, who, squatting upon the ground, held his heart in his hands, and ate of it.
I said:"Is it good, friend?" "It is bitter-bitter", he answered, "But I like it because it is bitter, and because it is my heart."
Kennt jemand "Maggie das Strassenkind? Das wollten wir mal in der Schule im Englischunterricht lesen, aber irgendwie kam es nicht mehr dazu. Lohnt es sich, die Übersetzung zu kaufen??
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pilli
antwortete am 25.12.04 (08:34):
nein Enigma,
aber ich werde morgen, Johanna, eine freundin von mir, die den Englisch-Kreis im altentreff betreut, fragen, ob sie dir weiterhelfen kann. :-)
...
Philosophie der ringenden Menschlichkeit
Gehe gelassen in der Hetze, denn selten erwartet dich mehr als Lärm. Meide laute und aufdringliche Menschen, denn sie sind eine Qual in dein Innerstes…
Denke daran, welcher Frieden im Schweigen wohnt.
Höre anderen zu, sogar dem Törichten und Unwissenden, wenn er in Not ist; denn an ihm offenbart sich die Tragik und das Geheimnis auch deines Lebens. Versuche soweit wie möglich die Menschen zu verstehen und mit denen, die es verdienen, ohne Preisgabe deines Ich gut zu sein.
Obwohl niemand in der Wahrheit ruht und in ihrem Namen verurteilen darf, triffst du sie doch als Wahrhaftigkeit in der aufrichtigen Begegnung mit dir und dem anderen. Deshalb stehe zu ihr entschlossen und tapfer, vor allem, wenn sie auf dem Spiele steht.
Wenn du dich mit anderen vergleichst, betrüge nicht - denn es wird immer Bedeutendere, aber auch Geringere geben als dich. Freue dich, wenn von dir errungenes Maß in dein Leben wirkt.
Erfülle dich in deiner Aufgabe, da sie im Leben außer Freundschaft der einzige Besitz ist.
Bleib dir treu; heuchle niemals Zuneigung. Sprich nie gering über die Liebe, denn sie zählt zu dem Wenigen, was dem Leben unvergessliche Erinnerung schenkt…
Lass jede Lebensanschauung, jede einzelne Meinung gelten, sofern sie der andere lebt, und niemand durch sie Schaden nimmt.
Alle Ängste entstehen im Selbstzweifel, in der Erschöpfung und in der Einsamkeit; darum gönne deinem Geist und Körper auch Ruhe und Entspannung. Erhole dich auf einsamen Spaziergängen und kehre zurück in deiner Seele…
Du bist ein Geschöpf des Universums, nicht weniger und nicht mehr als die Bäume und die Sterne am Himmel; versuche dich als Geschenk - zu leben. und sei vornehm im Umgang mit dir selbst…
Mache gerade durch das Wissen um die Einsamkeit eines jeden ein Wesen der Mitmenschlichkeit aus dir. Dies ist die einzige Hoffnung, wenigstens für einen Augenblick in einem anderen dem Alleinsein zu entrinnen.
Jeder wird nur durch deine gelebte Größe an seine erinnert - voller Anerkennung oder Beschämung…
Hans-Christoph Neuert
Internet-Tipp: https://www.traumspuren.de
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Enigma
antwortete am 27.12.04 (08:29):
Ursula Krechel Umsturz
Von heut an stell ich meine alten Schuhe nicht mehr ordentlich neben die Fußnoten häng den Kopf beim Denken nicht mehr an den Haken freß keine Kreide. Hier die Fußstapfen im Schnee von gestern, vergeßt sie ich hust nicht mehr mit Schalldämpfer hab keinen Bock meine Tinte mit Magermilch zu verwässern ich hock nicht mehr im Nest, versteck die Flatterflügel, damit ihr glauben könnt ihr habt sie mir gestutzt. Den leeren Käfig stellt mal ins historische Museum Abteilung Mensch weiblich.
Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/autoren/krechel.htm
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Enigma
antwortete am 29.12.04 (08:36):
Henning Venske: Guter Rat
Halte Dich raus, sei zufrieden mit dem, was man Dir gibt - sei bescheiden zudem. Habe Ehrfurcht vor`m Geld, erkenn`Deine Grenzen, versuche niemals, nah der Sonne zu glänzen.
Dann bist Du normal, hast nie Schwierigkeiten, alles andere ist egal, das lernst Du beizeiten.
Leiste Dir kein Gefühl, gehorche der Macht, eine eigene Meinung hat noch nie was gebracht. Widersprich keinesfall, auch wenn Du`s besser weißt, geh mit der Mode, bis Du schließlich vergreist.
Dann bist Du normal, hast nie Schwierigkeiten, alles andere ist egal, das lernst Du beizeiten.
Hab`keine Flausen im Kopf, alles Neue ist schlecht, guck`schläfrig ins Fernseh`n, das hat immer recht. Lern`mit Geduld, was man Dich freiwillig lehrt, nur unauffällig bleibst Du unversehrt.
Dann bist Du normal, hast nie Schwierigkeiten, alles andere ist egal, das lernst Du bezeiten.
Tu, was andere tun, tu, was man Dir sagt, antworte nur, wenn man Dich etwas fragt. Sage nicht, was Du denkst. Denken gilt als beschränkt! Sage immer nur das, was die Bild-Zeitung denkt!
Dann bist Du normal, hast nie Schwierigkeiten, alles andere ist normal, das lernst Du beizeiten!
Internet-Tipp: https://www.venske.de/henning1.html
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iustitia
antwortete am 29.12.04 (13:01):
Danke für den Venske, den ich bewundere. Gedichte von ihm kannte ich bisher nicht. Viele satirische Texte gibt es von ihm, s. URL:
Internet-Tipp: https://www.aliaflanko.de/bogi/venske/indexs.html
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Enigma
antwortete am 29.12.04 (17:19):
..ja, ich mag den Venske auch sehr gerne. Danke für den Link, den ich meinen "Favoriten" zugefügt habe. Da kann ich mich mit den Texten so nach und nach "durcharbeiten".
Lothar Zenetti Begegnungen
"Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt?" Matthäus 16.26
Ich traf einen jungen Mann, kerngesund, modisch gekleidet, Sportwagen, und fragte beiläufig, wie er sich fühle: Was `ne Frage, sagte er, beschissen!
Ich fragte, ein wenig verlegen, eine schwerbehinderte ältere Frau in ihrem Rollstuhl, wie es ihr gehe: Gut, sagte sie, es geht mir gut.
Da sieht man wieder, dachte ich bei mir, immer hat man mit den falschen Leuten Mitleid.
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marie2
antwortete am 03.01.05 (22:18):
Erster Januar
Nur ein Kalender spricht morgens vom neuen Jahre, die Wände wissen, daß nichts Neues beginnt. Draussen die Wolken flattern wie immer so leicht wie Haare, und an die Fenster greift mit denselben Händen der Wind.
März und April wird kommen, und später füllt dich ein Tag mit ewigen Stunden aus, fällt mit Himmel und mit geblähter Wolke in deine Hände und in dein Haus.
Manchmal erblickst du dich nachts in einem Spiegel, das Gesicht undeutlich von Altern erfüllt, wie ein verblichener Brief mit nie geöffnetem Siegel, der immer die gleiche Schrift verhüllt.
Alle Tage sind neu und sind Jubiläen, aber der Schmerz ist fern, und du hast von den ewigen Trophäen nur noch den Abendstern.
Günter Eich
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Enigma
antwortete am 05.01.05 (17:08):
Leontine von Winterfeld-Platen Die Zeder
Ich wachse langsam, meine Zeit ist eine lange Geduldigkeit. Ich wachs an allem, was mir ward, kein Sturm zu zäh, kein Frost zu hart.
Ich wachs am Dunkel, daraus ich stieg, ich wachs am Licht, darin ich mich wieg. Ich wachs am Wurm, der an mir nagt, ich wachs am Sturm, der durch mich jagt.
Verwandelnd zwing ich jede Kraft hinaufzudehnen meinen Schaft. Ich dulde Blitz und Glut und Guss und weiß nur, daß ich wachsen muß.
Und kommt die Stunde die mich fällt und scheid ich einst aus dieser Welt, schmück Tempel ich und Paradies des Gottes, der mich wachsen ließ.
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Enigma
antwortete am 05.01.05 (17:47):
Ina Seidel Der Ahorn
Ich werde den Ahorn wiederfinden. Einmal am Ende der Tage wird es sein, daß ich zu ihm sage: "Ahorn, wo warst du so lang?" Er ist alt und selig geworden, er nimmt mich in seine Äste, er wiegt mich im herbstlichen Neste: "Kind, wo warst du so lang?"
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Enigma
antwortete am 07.01.05 (17:43):
Gottfried Keller Nachtfalter
Ermattet von des Tages Not und Pein, die nur auf Wiedersehen von mir schied, saß ich und schrieb bei einer Kerze Schein, und schrieb ein wild und gottverleugnend Lied. Doch draußen lag die klare Sommernacht, mild grüßt mein armes Licht der Mondenstrahl, und aller Sterne volle, goldne Pracht schaut hoch herab auf mich vom blauen Saal. Am offnen Fenster blühen dunkle Nelken, vielleicht die letzte Nacht vor ihrem Welken. Und wie ich schreib`an meinem Höllenpsalter, die süße Nacht im Zorne von mir weisend, da schwebt herein zu mir ein grauer Falter, mit blinder Hast der Kerze Docht umkreisend; Wohl wie sein Schicksal flackerte das Licht, dann züngelt`seine Flamme still empor und zog wie mit magnetischem Gewicht den leichten Vogel in sein Todesthor. Ich schaute lang und in beklommner Ruh, mit wunderlich neugierigen Gedanken des Falters unheilvollem Treiben zu. Doch als zu nah der Flamme schon fast sanken die Flügel, faßt`ich ihn mit schneller Hand, zu seiner Rettung innerlich gezwungen, und trug ihn weg. Hinaus ins dunkle Land hat er auf raschem Fittig sich geschwungen. Ich aber hemmte meines Liedes Lauf und hob den Anfang bis auf Weitres auf.
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hl
antwortete am 08.01.05 (09:37):
Gedicht aus einem einzigen Stein (Poemul dintr-o singurá piatrá)
Ja, er kommt nicht mehr, er verspätet sich. So wie denn alles aufgeschoben wird, versäumt auch er es, zu erscheinen. Er will nicht vergehen; weiß, was es heißt, bis ans Ende zu gehen. Lieber tritt er durch die Tür einer Schenke ein, trinkt schweigend, ißt, schläft ein, die Stirn auf dem Tisch. Über die Maßen traurig hat er sich angewöhnt zu fragen: "Wo ist das Haus der sanftesten Frau?" So fragt er auch jetzt und schläft im Sprechen ein zwischen der ausgetrunkenen Flasche Wein und dem Korb Brotes. Du erwartest ihn nicht mehr.
Für ihn hättest du gewollt es zu erschaffen, ein Gedicht aus einem einzigen Stein, dichtem und jungem Stein. Du tust es nicht - legst es auf ein Regal, heiligen Staubfällen überlassen und gehst aus dem Zimmer. Draußen empfangen dich heranstürmende Wolken, Wolken wie Vogelschwärme scheuchen dich in eine Schenke. Du trinkst dort ebenfalls, ißt auch, kaufst von geborgtem Geld zottige Chrysanthemen, große zottige Chrysanthemen, während du einschläfst, und die Fensterläden rasselnd fallen zwischen dich und die alten Wolken da draußen.
Mircea Ciobanu
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BodoBox
antwortete am 08.01.05 (17:14):
Hallo, Ihr Lieben ! Hörte heute im Fernsehen eine Zeile aus einem Brentano-Gedicht. Es handelte von der Einsamkeit: Aus Ihr könne man wie aus einem Bronnen schöpfen ... (Jawohl, Bronnen mit "o" !)
Habe schon lange im Internet gesucht, aben nichts dazu gefunden. Bin aber dadurch auf diese Seiten gestoßen, wofür ich wiederum sehr dankbar bin !
Ich wäre froh, wenn man mir das gesamte Gedicht übermitteln würde ! Herzliche Grüße von Bodo H. Schröter
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Karl
antwortete am 08.01.05 (17:24):
Hallo bodoBox,
wie wär es hiermit.
Clemens Maria Wenzeslaus von Brentano (1778-1842)
Einsamkeit, du stummer Bronnen, Heil'ge Mutter tiefer Quellen, Zauberspiegel innrer Sonnen, Die in Tönen überschwellen: Seit ich durft' in deine Wonnen Das betörte Leben stellen. Seit du ganz mich überronnen Mit den dunklen Wunderwellen. Hab' zu funkeln ich begonnen. Und nun klingen all die hellen Sternensphären meiner Seele, Deren Takt ein Gott mir zähle. Alle Sonnen meines Herzens, Die Planeten meiner Lust, Die Kometen meines Schmerzens Tönen laut in meiner Brust. In dem Monde meiner Wehmut, Alles Glanzes unbewußt, Muß ich singen und in Demut Vor den Schätzen meines Innern, Vor der Armut meines Lebens, Vor den Gipfeln meines Strebens, Ew'ger Gott! mich dein errinnern. Alles andre ist vergebens.
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BodoBox
antwortete am 08.01.05 (18:43):
Hallo Karl ! Vielen Dank ! Daß es so schnell gehen kann, hätte ich nicht gedacht ! Werde dieses Forum natürlich an meinen Bekanntenkreis "weiterreichen" ! Einfach toll !
Tschüß ! Bodo H. Schröter
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Enigma
antwortete am 09.01.05 (10:04):
...immer ran, möglichst auch mit den schreibenden (nicht nur lesenden) Bekannten. :-)
Hexe von Gertrud Kolmar
Die Monde gehen auf, die Monde gehen nieder; Mein Tag ist immer noch der gleiche Tag. Du liebes Angesicht. Dich kränzen bunte Lieder, der Meise blaues Läuten, schwarzer Amselschlag.
So sammetschwarzer Amselschlag, du Helle, so silberweißer Flötenjubel, dunkles Bild, Waldmädchen du. Die Moose hüten deine Schwelle. Zu deinem Brunnen bückt das Wild
die braunen Häupter mit den sprießenden Geweihen. Und deine Nächte sind ganz angefüllt mit seltnen pfauenfarbnen Schreien und ginstergelbem Flüsterwind.
Smaragdeidechse. Kleine goldenbraune Schleiche, um die noch Glanz des Laubes schwärt, das sommermüd verfällt in Elsenspiegel, Teiche und mit Schweigen abwärts fährt.
Mein einziger Besitz. Dich kann ich immer wandeln, verzaubern dich. Ich kann dir Hexe sein. So werd in meinem Park ein Strauch mit süßen Mandeln, auf meinem Tische Glas mit bernsteinklarem Wein.
Durchsichtig reife Erde. Komm, ich will dich trinken, dich Kraft. Und eine Mauer sehn, die schwere bronzene Löwenklau der Pforte klinken und wieder unterm Baum des Paradieses stehn.
Internet-Tipp: https://www.litlinks.it/k/kolmar.htm
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iustitia
antwortete am 09.01.05 (10:45):
Ja, ein lyrisch-historisches Gedenken an Gertud Kolmar - nicht nur wegen der heutigen Erinnerung an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht:
Gertrud Kolmar (1894 – 1943, nach Deportation in einem KZ getötet):
A n n o D o m i n i 1933
Er hielt an einer Straßenecke. Bald wuchs um ihn die Menschenhecke.
Sein Bart war schwarz, sein Haar war schlicht. Ein großes östliches Gesicht,
Doch schwer und wie erschöpft von Leid. Ein härenes verschollnes Kleid.
Er sprach und rührte mit der Hand Sein Kind, das arm und frostig stand:
»Ihr macht es krank, ihr schafft es blaß; Wie Aussatz schmückt es euer Haß,
Ihr lehrt es stammeln euren Fluch, Ihr schnürt sein Haupt ins Fahnentuch,
Zerfreßt sein Herz mit eurer Pest, Daß es den kleinen Himmel läßt -«
Da griff ins Wort die nackte Faust: „Schluck selbst den Unflat, den du braust!
Du putzt dich auf als Jesus Christ Und bist ein Jud und Kommunist.
Du krumme Nase, Levi, Saul, Hier, nimm den Blutzins und halt's Maul! «
Ihn warf der Stoß, ihn brach der Hieb. Die Leute zogen mit. Er blieb.
Gen Abend trat im Krankenhaus Der Arzt ans Bett. Es war schon aus. -
Ein Galgenkreuz, ein Dornenkranz Im fernen Staub des Morgenlands.
Ein Stiefeltritt, ein Knüppelstreich Im dritten, christlich-deutschen Reich. * (Aus Gertrud Kolmar: Gedichte. München 1980. Dtv 10779. S. 748f.; vom 16. Okt. 1933; Erstdruck 1972) * In der letzten, abschließenden Zeile ist, vordergründig, von einem der gegebenen faschistischen Anlässe her die Gleichschaltung der evangelischen Kirche durch die Berufung Ludwig von Müllers zum Reichsbischof Ende Sept. 1933 zu erkennen; generell aber geht Kolmars berechtigter, faktisch bewiesener Vorwurf weiter - gegen das grundsätzlich christliche Einverständnis mit den antijüdischen Maßnahmen - den Absichtserklärungen und Verfolgungsmaßnahmen der Nazis.- Was später, im Nachkriegsdeutschland als prophetische Dimension im Werk Gertrud Kolmars angesehen wurde, war hier, 1933, aktuelle Chronik, Wissen um Unrecht und Verbrechen und seine religiösen Bedingungen im Deutschen Reich.)
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Enigma
antwortete am 10.01.05 (10:18):
Ferdinand von Saar Alter
Das aber ist des Alters Schöne, daß es die Saiten reiner stimmt, daß es der Lust die grellen Töne, dem Schmerz den herbsten Stachel nimmt.
Ermessen läßt sich und verstehen die eigne mit der fremden Schuld, und wie auch rings die Dinge gehen, du lernst dich fassen in Geduld.
Die Ruhe kommt erfüllten Strebens, es schwindet des Verfehlten Pein - und also wird der Rest des Lebens ein sanftes Rückerinnern sein.
Das klingt aber schon sehr abgeklärt. Aber der Lebenslauf des Dichters weniger...?!
Internet-Tipp: https://gutenberg.spiegel.de/autoren/saar.htm
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hl
antwortete am 13.01.05 (20:47):
Gertrud Kolmar, eine wortgewaltige Frau :-)
Sehnsucht
Ich denke dein, Immer denke ich dein. Menschen sprachen zu mir, doch ich achtet es nicht. Ich sah in des Abendhimmels tiefes Chinesenblau, daran der Mond als runde gelbe Laterne hin, Und sann einem anderen Monde, dem deinen, nach, Der dir glänzender Schild eines ionischen Helden vielleicht oder sanfter goldener Diskus eines erhabenen Werfers wurde. Im Winkel der Stube saß ich dann ohne Lampenlicht, tagmüde, verhüllt, ganz dem Dunkel gegeben, Die Hände lagen im Schoß, Augen fielen mir zu. doch auf die innere Wand der Lider war klein und unscharf dein Bild gemalt. Unter Gestirnen schritt ich an stilleren Gärten, den Schattenrissen der Kiefern, flacher, verstummter Häuser, steiler Giebel vorbei Unter weichem düsteren Mantel, den nur zuweilen Radknirschen griff, Eulenschrei zerrte, Und redete schweigend von dir, Geliebter, dem lautlosen, dem weißen, mandeläugigen Hunde, den ich geleitete.
Verschlungene, in ewigen Meeren ertrunkene Nächte! Da meine Hand in den Flaum deiner Brust sich bettete zum Schlummer, Da unsere Atemzüge sich mischten zu köstlichem Wein, den wir in Rosenquarzschale darboten unserer Herrin, der Liebe, Da in Gebirgen der Finsternis die Druse uns wuchs und reifte, Hohlfrucht aus Bergkristallen und fliedernen Amethysten, Da die Zärtlichkeit unserer Arme Feuertulpen und porzellanblaue Hyazinthen aus welligen, weiten, ins Morgengrauen reichenden Schollen rief, Da, auf gewundenenm Stengel spielend, die halb- erschlossene Knospe des Mohns wie Natter blutrot über uns züngelte, Des Ostens Balsam- und Zimmetbäume mit zitterndem Laube um unser Lager sich hoben Und purpurne Weberfinken unserer Munde Hauch in schwebende Nester verflochten. - Wann wieder werden wir in des Geheimnisses Wälder fliehn, die, undurchdringlich, Hinde und Hirsch vor dem Verfolger schützen? Wann wieder wird mein Leib deinen hungrig bittenden Händen weißes duftendes Brot, wird meines Mundes gespaltene Frucht deinen dürstenden Lippen süß sein? Wann wieder werden wir uns begegnen? Innige Worte gleich Samen von Würzkraut und Sommerblumen verstreun Und beglückter verstummen, um nur die singenden Quellen unseres Blutes zu hören? (Fühlst du, Geliebter, mein kleines horchendes Ohr, ruhend an deinem Herzen?) Wann wieder werden im Nachen wir gleiten unter zitronfarbnem Segel, Von silbrig beschäumter, tanzender Woge selig gewiegt, Vorüber an Palmen, die grüner turban schmückt wie den Sproß des Propheten, - Den Saumriffen ferner Inseln entgegen, Korallenbänken, an denen du scheitern willst? Wann wieder, Geliebter ... wann wieder ...?...
Nun sintert mein Weg Durch Ödnis. Dorn ritzt den Fuß. Bäche, frische, erquickende Wasser, murmeln; aber ich finde sie nicht. Datteln schwellen, die ich nicht koste. Meine verschmachtende Seele Flüstert ein Wort nur, dies einzige: "Komm ..." O komm...
Gertrud Kolmar
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Enigma
antwortete am 14.01.05 (07:55):
Gabriele Wohmann Manchmal glaube ich nicht an den Fortschritt
Manchmal glaube ich nicht an den Fortschritt. Mein Lieblingsbild ist gemalt. Die schönsten Gedichte habe ich um mich versammelt. Mehr Musik brauche ich nicht. Das beste Gewitter ist schon erfunden. Der schönste Schnee fällt in meinem Kopf. Ich habe die wichtigsten Gipfel gesehen und das tiefste Tal ist besichtigt. Das Meer ist immer als eine Vorstellung am bemerkenswertesten. Wären denn abrufbare Fahrtgeschwindigkeiten noch zu übertreffen die Niederschläge und Psalmen und einfach Gegenden, einfach Sätze einfaches Auskommen? Manchmal meine ich ich hätte von allem genug. Da hat mich, mitten in seiner verriegelten Strenge das bis jetzt unauffällige Kind vorsichtig angelacht und ich bekam Lust zu einer Kutschfahrt durch den Englischen Garten.
Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/autoren/wohmann.htm
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hl
antwortete am 16.01.05 (15:24):
Erich Fried
Große Bereinigung
Die Ursachen kämpfen jetzt gegen ihre Folgen
daß sie keiner mehr für die Folgen verantwortlich machen darf
denn auch das Verantwortlichmachen gehört zu den Folgen
und Folgen werden verboten und verfolgt von den Ursachen selbst
Die wollen von solchen Folgen nichts mehr wissen
Wer sieht wie eifrig sie hinter den Folgen her sind
und immer noch sagt sie stehen in enger Verbindung mit ihnen
der wird nur sich selbst die Folgen zuschreiben müssen
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Enigma
antwortete am 17.01.05 (08:51):
Sankichi Toge Grabmal
So sehr habt ihr gerufen, so sehr habt ihr geschrien. Nicht Vater, nicht Mutter sind gekommen. und auch der fremde Mann, an den ihr euch geklammert, riß eure kleinen Hände von sich ab und lief davon.
Mit Steinen zugeschüttet euer Schrei. Heiß, glühendheiß umweht von einem Wind, und finster, erdenfinster, und keine Luft zum Atmen. Aus euren weichen Händen, dünnen Hälsen lief das Blut. Ihr, unter Steinen, Eisen, Staub und Schutt und Balken, wie leicht müßt ihr erschlagen worden sein.
Da, hinter dem Hijiyama-Hügel hockten, in sich gekauert, angstvoll eure Freunde in Gruppen, mit blind gebrannten Augen. Ihr rieft zum Knirschen der Soldatenstiefel, zum Hastgeklapper ihrer Maskenbüchsen: Helft uns Soldaten! Aber keiner half.
Und in den Schatten großer Wasserkübel habt ihr gebeten: Bitte, nehmt uns mit! Die kleinen Hände zeigten noch nach Westen. Doch keiner hat euch bei der Hand genommen. So ahmtet ihr die Großen nach und tauchtet euch allein in Wasserkübel. Ihr habt euch Feigenblätter aufs Gesicht gelegt und seid - ihr Kinder von Hiroshima - ohne zu begreifen -, dann gestorben.
Aus: Die Kinder von Hiroshima - Japanische Kinder über den 6. August 1945
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yankee
antwortete am 26.01.05 (11:27):
Damit es endlich auch hier mal weitergeht, oder seit ihr der Dichtkunst überdrüssig geworden ?
Der Schmetterling ist in die Rose verliebt
Der Schmetterling ist in die Rose verliebt, Umflattert sie tausendmal, Ihn selber aber, goldig zart, Umflattert der liebende Sonnenstrahl.
Jedoch, in wen ist die Rose verliebt? Das wüßt ich gar zu gern. Ist es die singende Nachtigall? Ist es der schweigende Abendstern?
Ich weiß nicht, in wen die Rose verliebt; Ich aber lieb euch all: Rose, Schmetterling, Sonnenstrahl, Abendstern und Nachtigall.
Heinrich Heine
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yankee
antwortete am 26.01.05 (11:40):
Oder wie wär´s hiermit :-)
Ein schlechter Schüler
Als ich noch zur Schule gehte, zählte ich bald zu den Schlauen, doch ein Zeitwort recht zu biegen, bringte immer Furcht und Grauen.
Wenn der Lehrer mich ansehte, sprechte ich gleich falsche Sachen, für die andern Kinder alle gebte das meist was zum Lachen.
Ob die Sonne fröhlich scheinte oder ob der Regen rinnte: wenn der Unterricht beginnte, sitzt' ich immer in der Tinte.
Ob ich schreibte oder leste, Unsinn machtete ich immer, und statt eifrig mich zu bessern, werdete es nur noch schlimmer.
Als nun ganz und gar nichts helfte, prophezieh mir unser Lehrer: wenn die Schule ich verlaßte, wörde ich ein Straßenkehrer.
Da ich das nicht werden willte, kommte ich bald auf den Trichter, stak die Nase in die Bücher, und so werdete ich Dichter.
Bruno Horst Bull
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iustitia
antwortete am 26.01.05 (13:52):
Wegen des Schulgedichts von yankee; danke! Das nächste, von der Droste, stammt noch aus einer Zeit, als Schüler nicht die falschen (schwachen) Tempusformen in der Umgangssprache vorgesagt kriegten. (Damals galt das Niederdeutsche im Umgang miteinander, im Westfälischen. Hochdeutsch lernte man in der Schule.) Aber an dem Text von Bull kann man ja die alten Imperfekt-Formen üben.
* Annette von Droste-Hülshoff: Die Schulen
Kennst du den Saal? - ich schleiche sacht vorbei »Der alte Teufel tot, die Götter neu« - Und was man Großes sonst, darin mag hören. Wie üppig wogend drängt der Jugend Schwarm! Wie reich und glänzend! - aber ich bin arm, Da will ich lieber eure Lust nicht stören.
Dann das Gewölb' - mir wird darin nicht wohl, Wo man der Gruft den modernden Obol Entschaufelt und sich drüber legt zum Streite; Ergaute Häupter nicken rings herum, Wie weis' und gründlich! - aber ich bin dumm, Da schleich' ich lieber ungesehn bei Seite.
Doch die Katheder im Gebirge nah Der Meister unsichtbar, doch laut Hurrah Ihm Wälder, Strom und Sturmesflügel rauschen, Matrikel ist des Herzens frischer Schlag, Da will zeitlebens ich, bei Nacht und Tag, Demüt'ger Schüler, seinen Worten lauschen. * URL - auch diese Briefmarke hat schon das Zeitliche gesegnet.
Internet-Tipp: /seniorentreff/de/4B6w8gF5T
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Enigma
antwortete am 28.01.05 (08:43):
Czeslaw Milosz Campo de`Fiori Warschau, Ostern 1943
In Rom, auf dem Campo de` Fiori Oliven, Zitronen in Körben, das Pflaster gesprenkelt mit Wein und abgebrochenen Blumen. Hellrose Früchte des Meeres, von Händlern auf den Tisch geschüttet. Und eine Fülle dunkler Trauben fällt aus Armen auf Pfirsichflaum.
Hier, auf genau diesem Platze, wurde Giordano Bruno verbrannt. Der Scheiterhaufen, vom Henker entzündet, war umringt von Schaulustigen. Doch kaum war die Flamme erloschen, waren erneut die Tavernen gefüllt, trugen die Händler auf ihren Köpfen Oliven, Zitronen in Körben.
Ich sah den Campo de`Fiori vor mir, in Warschau, beim Karussell. An einem heiteren Frühlingsabend, beim Klang von beschwingter Musik. Die lustige Melodie übertönte die Salven hinter der Ghettomauer. Und Paare flogen hoch in die Luft, hinein in den heiteren Himmel.
Der Wind trug von brennenden Häusern mitunter schwarze Drachen herüber, vom Karussell aus haschten die Menschen nach den Fetzen in der Luft. Die Röcke der Frauen bauschten sich im Wind von brennenden Häusern. Und die fröhliche Menge jubelte an dem schönen Warschauer Sonntag.
Vielleicht wird einer hieraus ersehen, daß Menschen in Warschau und in Rom, an brennenden Märtyrern vorübergehend, sich amüsieren und handeln und lieben. Ein anderer zieht daraus die Lehre, daß Menschliches vergänglich ist, und daß Vergessen größer wird, bevor noch die Flamme erloschen ist.
Ich jedoch dachte damals schon an das Alleinsein der Sterbenden. Daran, daß es in dem Moment, als Giordano das Gerüst erklomm, in der menschlichen Sprache kein einziges Wort gab, um der Menschheit Lebwohl zu sagen - der Menschheit, die übrig bleibt.
Schon liefen sie fort, im Wein zu zechen, um weiße Seesterne zu verkaufen. Mit fröhlichem Lärmen trugen sie Oliven, Zitronen in Körben. Und er war bereits in weiter Ferne. Als wären Jahrhunderte vergangen, und als hätten sie nur einen Moment auf seinen Abflug im Feuer gewartet.
Diesen Sterbenden, Einsamen, von der Welt schon Vergessenen ist unsere Sprache fremd geworden. Wie die Sprache eines vergangenen Planeten. So lang, bis all dies Legende sein wird. Und dann, nach vielen Jahren, auf dem neuen Campo de`Fiori ein Wort des Dichters Protest entfacht.
Aus dem Polnischen von Doreen Daume, Entnommen dem Band "Das und andere Gedichte" Hanser 2004
Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/autoren/milosz.htm
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yankee
antwortete am 28.01.05 (11:43):
An alle Kölner Mädchen und Frauen !
Georg Bötticher Geboren am 20.5.1849 in Jena; gestorben am 15.1.1918 in Leipzig. (War der Vater von Joachim Ringelnatz)
Säkscher Stosseifzer Gennse Geln? – Ä wunderscheenes Städtchen! (Geln am Rheine meen ich, mit'n »Ga«) Un das scheenste drinne sein de Mädchen, (Un de Fraun nadierlich) – herrnse ja! Unter uns gesagt, das sein Sie Wäsen, Andersch wie bei uns, von Fleesch und Been! (Weiter sag' ich nischt. D'r heeme läsen Se das Buch nadierlich – Sie verstehn!!)
Awer eens gann ich nich unterdricken: 's Härze schlägt m'r noch ämal so schnell, Läßt sich änne Gelnerin nur blicken! (Heeßt das: »Gelnerin« mit eenen »l«.)
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yankee
antwortete am 28.01.05 (14:32):
Passend zum letzten hier noch einen Beitrag von seinem Sohn Joachim Ringelnatz
An meinen Zigarettenrauch Gleite ins Weite und in die Höh! Adieu, du zartes Bleu Meines Zigarettenrauches, Der du so sanft entfliehst.
Wenn du ein zierliches Nasenloch siehst, Küß dem die Haare als Gruß meines Hauches.
Ob dich ein Höhendruck Zur Erde zurückschlägt, Eine Strömung, eines Windes Ruck Dich zu Himmelsglück trägt, – Finde das, was du erwartetest.
In dem hold gewürzten Augenblick, Da du aus mir startetest, Spielte Ziehharmonikamusik Ein Lieblingslied von mir: La paloma, Und auf Schwingen dieser Volksweise Steigst du auf. Glückliche Reise! Aus Nikotin ins ewige Aroma.
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Enigma
antwortete am 29.01.05 (14:20):
Fred Endrikat Erotisches Wechselspiel
Sie lagen hinterm Gartenzaun und waren lieblich anzuschaun. Fürwahr, ein Pärchen wundervoll, die Gurke Knill und Kürbis Knoll. Er schielte schon seit langer Zeit verliebt hin zu der Gurkenmaid und brachte ihr ein Ständchen still: "Dein ist mein Herz, geliebte Knill." Sie aber sagt mit stolzem Blick: "Nee, nee, Sie sind mir viel zu dick. Verehrter Herr, Sie sind wohl toll. Das Fett muß weg, mein lieber Knoll!" Er grämte sich und härmte sich und schwärmte innig-minniglich. Er schwoll und schwoll noch Zoll um Zoll. Schwermütig weinte Kürbis Knoll. Doch nach und nach und mit der Zeit war aus der schlanken Gurkenmaid ein ganz verschrobenes Idyll, und Runzeln kriegte Fräulein Knill. So kam denn auch im Lauf der Zeit der Ausgleich der Gerechtigkeit. Sie wölbte sich und wurde krumm, und Wärzlein wuchsen ringsherum. Die Warzen wuchsen schnell heran und an den Warzen Borsten dran. Auch Falten kamen ebenso vorn an der Nase und am Po. In einer lauen Sommernacht ihr Hochmut ward zu Fall gebracht. Sie seufzt: Wenn du noch willst - ich will." Da grinste Knoll, es schmollte Knill. Der dicke Kürbis neckte sie: "Schön siehste aus, du Borstenvieh. Das kommt davon, siehst du, mein Gold: Warum hast du nicht längst gewollt?" Sie schlug verschämt die Augen zu und lispelte:"Ach, du Loser, du." Bald färbt der Herbst die Blätter braun, und es wird still am Gartenzaun. Der Gärtner pflückt die Körbe voll, er pflückte Knill, und auch den Knoll. Nun schwelgen beide, Kopf an Kopf, vereint im großen Einmachtopf, in Zucker, Essig, Öl und Dill, sowohl der Knoll als auch die Knill. So geht es auch im Leben oft: Was man erwünscht und was man hofft, das kommt so - wie es kommen soll, genau wie hier bei Knill und Knoll Die Schönheit schwindet mit der Zeit. Die Liebe währt in Ewigkeit bei Gurken und bei Damen. Amen
Internet-Tipp: https://www.wanne-eickel.info/Gute_und_Bose/Endrikat/body_endrikat.html
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pilli
antwortete am 30.01.05 (09:04):
mit *beitragsleeren* händen steh ich heute morgen vor euch und mir bleibt nur euch zu herzlich zu grüssen :-)
ich lese zur zeit oft nachts und danke für nachdenkliche oder ein schmunzeln hervor zaubernde beiträge. heute nacht z.bsp. wußte ich nicht, ob ich mich nun mehr vater oder sohn Ringelnatz verbunden fühle.
"Awer eens gann ich nich unterdricken: 's Härze schlägt m'r noch ämal so schnell, Läßt sich änne Gelnerin nur blicken!"
da bleibt mir nur euch mit dem leicht textlich veränderten und übersetzten refrain aus dem liedtext einer kölner gesangsgruppe zu antworten:
"schön, dass ihr da seid, dass ihr gerade jetzt da seid. ich setz mich einfach mal zu euch hin"
und schaue meinem zigarettenrauch nach, auf den ich gestern mehr als acht stunden verzichtet habe :-)
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marie2
antwortete am 30.01.05 (10:40):
Februar
Schneeflöckchen flattern in der Luft, Schneeglöckchen dir am Busen, Mein Herz durchquillt ein Weiheduft, Die Quintessenz der Musen; Mit Sang, Geschrei und Schellenklang Zieht Mummenschanz die Stadt entlang, Heut lärmt das rohe Volk wie toll Und wirft sich morgen reuevoll Im Beichtstuhl auf die Kniee!
Uns strahlt ein höh'res Geisteslicht, Wir brauchen nicht bereuen, Wir wollen uns mit Asche nicht Die freie Stirn bestreuen; Uns stört die Reue nicht die Lust, Wir sind uns keiner Schuld bewußt, Wir hassen und wir lieben frei, Wir kennen keine Heuchelei Und kennen keine Sünde!
Die Maske fort, das Antlitz bloß, Die Lippen frei zum Küssen! All unsre Lust kann schleierlos Die ganze Menschheit wissen. Solang dein Herz für mich noch warm, Umschlingt dich fest mein starker Arm, Du wirst mein ehlich Treugemahl, Trotz Priesterfluch und Kirchbannstrahl, Zum Hohn der großen Lüge!
Hermann Löns LyrikM (1866-1914)
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eika
antwortete am 31.01.05 (10:23):
Krähen
Wie weißer Pelz liegt Schnee auf der Scholle, warm zugedeckt schlummern die Wiesen, nur Krähen trippeln umher, kopfnickend als wüßten sie alles.
Über mir der Wildgänse Flug. Sie können entkommen der Enge des Winters. Hoch über unserer Wirklichkeit ist alles grenzenlos.
Wie weißer Pelz liegt Schnee auf der Scholle, warm zugedeckt schlummern die Wiesen. Ich kann ihre Träume lesen aus den Zeichen der Krähen.
Gabriele Lins
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yankee
antwortete am 31.01.05 (10:56):
Zum Tod des jetzt verstorbenen Ephraim Kishon weiche ich etwas ab zum Nachdenklichen.
Nikolaus Lenau (1802-1850) geschrieben 1827
Vergänglichkeit
Vom Berge schaut hinaus ins tiefe Schweigen Der mondbeseelten schönen Sommernacht Die Burgruine; und in Tannenzweigen Hinseufzt ein Lüftchen, das allein bewacht Die trümmervolle Einsamkeit, Den bangen Laut: ›Vergänglichkeit!‹ ›Vergänglichkeit!‹ mahnt mich im stillen Tale Die ernste Schar bekreuzter Hügel dort, Wo dauernder der Schmerz in Totenmale Als in verlaßne Herzen sich gebohrt; Bei Sterbetages Wiederkehr Befeuchtet sich kein Auge mehr.
Der wechselnden Gefühle Traumgestalten Durchrauschen äffend unser Herz; es sucht Vergebens seinen Himmel festzuhalten, Und fortgerissen in die rasche Flucht Wird auch der Jammer; und der Hauch Der sanften Wehmut schwindet auch.
Horch ich hinab in meines Busens Tiefen, ›Vergänglichkeit!‹ klagts hier auch meinem Ohr, Wo längst der Kindheit Freudenkläng entschliefen, Der Liebe Zauberlied sich still verlor; Wo bald in jenen Seufzer bang Hinstirbt der letzte frohe Klang.
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yankee
antwortete am 31.01.05 (16:54):
@pilli Extra für dich und deine beitragsleeren Hände :-)
Mit leeren Händen kam ich, mit leeren Händen muß ich geh'n, was ich dazwischen erlebte, war fast zu viel, war wunderschön.
Annegret Kronenberg
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pilli
antwortete am 01.02.05 (02:46):
Die abgelaufene Zeit
Der Tod schleicht um das Haus. Schon seit Tagen rappelt er ans Tor, so daß die Hunde verwirrt aufjaulen. Ab und an späht er durch den offenen Fensterspalt und läßt seinen kalten Atem durch den Raum wehen. Will er der Hoffnungslosigkeit, dem unsagbaren Leid zuschauen oder noch Zeit schenken zum Abschiednehmen? Er kam nicht unvorbereitet, wurde eigentlich schon erwartet, doch sein Schleichen, seine Kälte, sein Schweigen, die Angst vor seinem Zugriff machen alles so schrecklich, so unerträglich. Es wird gebetet, um Erlösung gebetet, und dabei alle Kraft gebündelt, um dem Tod das Leben noch einmal zu entreißen, trotz der Gewißheit, daß er am Ende doch immer als Sieger von dannen zieht.
Annegret Kronenberg
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Enigma
antwortete am 01.02.05 (09:41):
...und jetzt wieder was aus dem "prallen Leben"...
Heinrich von Mühler Grad aus dem Wirtshaus
Grad aus dem Wirtshaus komm`ich heraus; Straße, wie wunderlich siehst du mir aus! Rechter Hand, linker Hand, beides vertauscht; Straße, ich merke wohl, du bist berauscht. Was für ein schief Gesicht, Mond, machst denn du? Ein Auge hat er auf, eins hat er zu; du wirst betrunken sein, das seh`ich hell; schäme dich, schäme dich, alter Gesell! Und die Laternen erst - was muß ich sehn! - die können alle nicht grade mehr stehn; wackeln und fackeln die Kreuz und die Quer; scheinen betrunken mir allesamt schwer. Alles im Sturme rings, großes und klein; wag`ich darunter mich nüchtern allein? Ds scheint bedenklich mir, ein Wagestück; da geh`ich lieber ins Wirtshaus zurück.
Internet-Tipp: https://www.bautz.de/bbkl/m/muehler_h.shtml
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yankee
antwortete am 01.02.05 (10:04):
Guten Morgen Enigma
Aus dem vollen Leben habe ich auch noch was gefunden :-)
Alfred Henschke (Klabund)
Hamburger Hurenlied
Wir Hamburger Mädchen haben's fein, Wir brauchen nicht auf dem Striche sein. Wir wohnen in schönen Häusern Wohl bei der Nacht, Ahoi! Weil es uns Freude macht.
Es kommen Kavaliere, Neger und Matros, Die werden bei uns ihre Pfundstücke los, Sie liegen uns am Busen Wohl bei der Nacht, Ahoi! Weil es uns Freude macht.
Madam kocht schlechtes Essen, Sami spielt Klavier, Mit den Kavalieren tanzen wir, Fließt ein Taler drüber, Wird er Madam gebracht, Ahoi! Weil es uns Freude macht.
Eines Tages holt die Sitte uns hinaus, Und sie sperrt uns in das graue Krankenhaus. Dann sind wir tot und sterben Wohl bei der Nacht, Ahoi! Weil es uns Freude macht.
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Enigma
antwortete am 01.02.05 (10:44):
..und nochwas aus dem Leben...
Alfred Lichtenstein Nächtliches Abenteuer
Ging da neulich über den Potsdamer Platz um 1 Uhr nachts ein allerliebster Fratz. Ich sprach die Kleine an mit frecher Stimme: "3 Mark mein Schatz?" Sagte, sie sei emport und finde so etwas unerhört. Und sagte, sie sei keine Dirne und es sei ihr etwas wert, ihr Name, und sie sei eine anständige Dame und sie gäbe sich nicht für 3 Mark her und sie nähme mehr.
Internet-Tipp: https://gutenberg.spiegel.de/autoren/lichtens.htm
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yankee
antwortete am 01.02.05 (10:47):
Und wenn wir grad dabei sind (Wirtshaus-Strichmeile) darf ein ordentliches Trinklied auch nicht fehlen :-)
Friedrich Theodor Vischer
Trinklied.
Laßt mich trinken, laßt mich trinken, Laßt von diesem Feuerwein Immer neue Fluten sinken Mir in' s durst'ge Herz hinein!
Jedes Ende sei vergessen! Wie's im Innern drängt und schafft! Sagt, wer will mir jetzo messen Grenz' und Schranke meiner Kraft!
Stellt mir schwere, weite, blanke Becher ohne Ende her, Füllet sie mit diesem Tranke, Und ich trink' euch alle leer!
Bringt mir Mädchen, schöne, wilde, Noch so spröd und noch so stolz, Schickt die schreckliche Brunhilde, Alle trifft der Liebesbolz!
Stellet mir die schwersten Fragen! Wo das ew'ge Räthsel ruht? Feuerhell und aufgeschlagen Schwimmt es hier im rothen Blut!
Gebt mir Staaten zu regieren! Kinderspiel soll mir es sein! Gebt mir Heere anzuführen, Und die ganze Welt ist mein!
Burgen möcht' ich jauchzend stürmen, Ihre Fahnen zittern schon, Felsen, Felsen möcht' ich thürmen Und erobern Gottes Thron!
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Enigma
antwortete am 01.02.05 (12:34):
uii, der ist beim Trinken aber schwer in Fahrt gekommen...
Aber ich will jetzt mal von den Damen und von den Trinkliedern etwas weg, sonst habe ich am Ende meinen Ruf total ruiniert.....:-)))
Stattdessen das folgende:
Johann Christian Günther Abschied von seiner ungetreuen Liebsten
Wie gedacht, vor geliebt, jetzt ausgelacht. Gestern in den Schoß gerissen, heue von der Brust geschmissen, morgen in die Gruft gebracht. Wie gedacht, vor geliebt, jetzt ausgelacht.
Dieses ist, aller Jungfern Hinterlist: Viel versprechen, wenig halten; sie endzünden und erkalten öfters, eh ein Tag verfließt. Dieses ist aller Jungfern Hinterlist. Dein Betrug, falsche Seele, macht mich klug; keine soll mich mehr umfassen, keine soll mich mehr verlassen, einmal ist fürwahr genug. Dein Betrug, falsche Seele, macht mich klug. Denke nur, ungetreue Kreatur, denke, sag ich, nur zurücke und betrachte deine Tücke und erwäge deinen Schwur. Denke nur, ungetreue Kreatur! Hast du nicht ein Gewissen, das dich sticht, wenn die Treue meines Herzens, wenn die Größe meines Schmerzens deinem Wechsel widerspricht? Hast du nicht ein Gewissen, das dich sticht? Bringt mein Kuß dir so eilends Überdruß, ei so geh und küsse diesen, welcher dir sein Geld gewiesen, das dich wahrlich blenden muß, bringt mein Kuß dir so eilends Überdruß? Bin ich arm, dieses macht mir wenig Harm; Tugend steckt nicht in dem Beutel, Gold und Schmuck macht nur die Scheitel, aber nicht die Liebe warm. Bin ich arm, dieses macht mir wenig Harm. Und wie bald mißt die Schönheit die Gestalt! Rühmst du gleich von deiner Farbe daß sie ihresgleichen darbe, auch die Rosen werden alt und wie bald mißt die Schönheit die Gestalt! Weg mit dir, falsches Herze, weg von mir! Ich zerreiße deine Kette, denn die kluge Henriette stellet mir was Bessers für. Weg mit dir, falsches Herze, weg von mir!
Unser Zecher wollte ja schwere Fragen haben, "wo das ew`ge Räthsel ruht.".... Ja, die Frage (an alle Leser) lautet: Was gehört zu dem vorstehenden Gedicht (ist wirklich nicht schwer....) :-)))
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Enigma
antwortete am 01.02.05 (13:53):
...Sorry, in Zeile 11 muss es natürlich "entzünden" heissen...
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yankee
antwortete am 01.02.05 (14:03):
@Enigma Ich möchte aber höflichst darauf hinweisen, daß du zuerst mit dem Wirtshaus gekommen bist!! lol Da hat pilli bestimmt wieder ihre Freude dran heut nacht :-) Aber jetzt werde ich wieder ganz nüchtern.
Lisa Baumfeld (1877-1897) Ich brauche Menschen ... Ich brauche Menschen! Ja - in hellen Zimmern, Erfüllt von Düften, Lächeln, Fächeln, Flimmern, Wo schlank geformt - leichtwiegende Gedanken Von Mund zu Mund sich lachend, blühend ranken! Ich brauche Menschen ... seid'ner Schleifen Rauschen Und Blicke, die sich sorglos spielend tauschen, Und Worte, die ob tausend Kelchen schweifen Und manchmal scheue, süße Beeren streifen - Und Töne, die wie flücht'ge Küsse drängen Und sich an lauschend bange Ohren hängen Und bunte Wolken in die Blicke stäuben Und blenden, schmeicheln, lügen und betäuben Und all das Leere, Schwere überhallen ... - - Stöhnst du, mein Herz, daß wir so tief gefallen?
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yankee
antwortete am 01.02.05 (14:31):
@Enigma Das ewige Rätsel war mir ehrlich gesagt "wurscht". Den Vers vorher fand ich dagegen besonders gelungen :-)
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Enigma
antwortete am 01.02.05 (14:44):
@Yankee
Ja, ich hab`mit dem Wirtshaus angefangen und mich ja auch selbst zur Ordnung gerufen. :-))
Wenn Dir die "vorherige" Zeile so gut gefällt, schicke ich Dir die "schreckliche Brunhilde". Du wist schon sehen, was das heisst....!!
Und das Rätsel betrifft nur den "Abschied von seiner ungetreuen Liebsten", ist sehr nett..... Es gehört was dazu, sozusagen eine Antwort auf den "Abschied".
Tschüss Enigma
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yankee
antwortete am 01.02.05 (14:59):
Wenn Abschied das Stichwort ist, dann ende ich mit diesem Gedicht von Ada Christen. Ich würde es unter der Rubrik "dumm gelaufen" einordnen.
Ada Christen (1839-1901) Abschied Und als ich fortgezogen, Hab' ich in der letzten Nacht Der Straße, wo er wohnte, Eine Abschiedsvisite gemacht. Hab' angesehen die Steine, Die oft sein Fuß betritt, Und dachte, wär' ich reich, Ich nähme sie alle mit. Ich kam zu seinem Hause Und wußte selbst nicht wie, Und hin bis an das Thor - Dort sank ich in die Knie'. Und sah empor zum Fenster Und hab' es schmerzlich gegrüßt; Ich habe mit heißer Lippe Die Stufen am Thore geküßt. Ja selbst die kalte Mauer Berührte mein brennender Mund; Doch hielt ich zitternd inne, Denn an mich hinan sprang sein Hund. Und er stand hinter mir; Ich sah ihn schweigend an. Da fragte er mich lächelnd, Was ich denn hier gethan? Dies Lächeln war vernichtend, Ich rang nach einem Wort; Dann sagte ich kaum hörbar: »Herr, morgen geh' ich fort.« Und abermals dies Lächeln, Das mich so elend gemacht: »Ich wünsche glückliche Reise - Und mithin gute Nacht.«
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pilli
antwortete am 02.02.05 (08:08):
na ihr lieben :-),
das könnte euch so passen...
pralles leben, kaschemmen-atmosphäre, lockere lasies und dumm-gelaufenes; unkommentiert von mir? :-)
wohl nicht; dazu muss zeit sein!
:-)
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pilli
antwortete am 02.02.05 (08:16):
BRECHT: BALLADE VON DER HANNA CASH
Mit dem Rock von Kattun und dem gelben Tuch Und den Augen der schwarzen Seen Ohne Geld und Talent und doch mit genug Vom Schwarzhaar, das sie offen trug Bis zu den schwärzeren Zeh'n: Das war die Hanna Cash, mein Kind Die die "Gentlemen" eingeseift Die kam mit dem Wind und ging mit dem Wind Der in die Savannen läuft.
2 Die hatte keine Schuhe und die hatte auch kein Hemd Und die konnte auch keine Choräle! Und sie war wie eine Katze in die große Stadt geschwemmt Eine kleine graue Katze zwischen Hölzer eingeklemmt Zwischen Leichen in die schwarzen Kanäle. Sie wusch die Gläser vom Absinth Doch nie sich selber rein Und doch muß die Hanna Cash, mein Kind Auch rein gewesen sein.
3 Und sie kam eines Nachts in die Seemannsbar Mit den Augen der schwarzen Seen Und traf J. Kent mit dem Maulwurfshaar Den Messerjack aus der Seemannsbar Und der ließ sie mit sich gehn! Und wenn der wüste Kent den Grind Sich kratzte und blinzelte Dann spürt die Hanna Cash, mein Kind Den Blick bis in die Zeh.
4 Sie "kamen sich näher" zwischen Wild und Fisch Und "gingen vereint durchs Leben" Sie hatten kein Bett und sie hatten keinen Tisch Und sie hatten selber nicht Wild noch Fisch Und keinen Namen für die Kinder. Doch ob Schneewind pfeift, ob Regen rinnt Ersöff auch die Savann Es bleibt die Hanna Cash, mein Kind Bei ihrem lieben Mann.
5 Der Sheriff sagt, daß er ein Schurke sei Und die Milchfrau sagt: er geht krumm. Sie aber sagt: Was ist dabei? Es ist mein Mann. Und sie war so frei Und blieb bei ihm. Darum. Und wenn er hinkt und wenn er spinnt Und wenn er ihr Schläge gibt: Es fragt die Hanna Cash, mein Kind Doch nur: ob sie ihn liebt.
6 Kein Dach war da, wo die Wiege war Und die Schläge schlugen die Eltern. Die gingen zusammen Jahr für Jahr Aus der Asphaltstadt in die Wälder gar Und in die Savann aus den Wäldern. Solang man geht in Schnee und Wind Bis daß man nicht mehr kann So lang ging die Hanna Cash, mein Kind Nun mal mit ihrem Mann.
7 Kein Kleid war arm, wie das ihre war Und es gab keinen Sonntag für sie Keinen Ausflug zu dritt in die Kirschtortenbar Und keinen Weizenfladen im Kar Und keine Mundharmonie. Und war jeder Tag, wie alle sind Und gab's kein Sonnenlicht: Es hatte die Hanna Cash, mein Kind Die Sonn stets im Gesicht.
8 Er stahl wohl die Fische, und Salz stahl sie. So war's. Das Leben ist schwer. Und wenn sie die Fische kochte, sieh: So sagten die Kinder auf seinem Knie Den Katechismus her. Durch fünfzig Jahr in Nacht und Wind Sie schliefen in einem Bett. Das war die Hanna Cash, mein Kind Gott mach's ihr einmal wett.
(Die Hauspostille, 1927)
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pilli
antwortete am 02.02.05 (08:19):
Pst!
Es gibt ja leider Sachen und Geschichten, Die reizend und pikant, Nur werden sie von Tanten und von Nichten Niemals genannt.
Verehrter Freund, so sei denn nicht vermessen, Sei zart und schweig auch du. Bedenk: Man liebt den Käse wohl, indessen Man deckt ihn zu.
Wilhelm Busch
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pilli
antwortete am 02.02.05 (08:22):
Einer nur und Einer dienen Das ermüdet meine Seele. Rosen nur und immer Rosen - Andere Blumen blühen noch bunter; Wie die Bienen will ich schwärmen Mich in Trauben Gluth berauschen, In der Lilie Weiß mich kühlen, Ruhen in der Nacht der Büsche.
Wehe, wer mit engem Sinne Einem, nur sich Einem weihet: Schmachvoll rächt sich an dem Armen Alles was er streng verschmähet! Nicht zur Heimath wird die Weite, Ungestaltet in die Ferne, Aufgelöst in leeres Sehnen Wird der Inhalt so des Lebens Schön ist was sich grenzt und g'nüget, Treu um eines sich beweget An dem Einen sich erneuet, Wie des Pulses rege Schläge Stets sich um das Herz bewegen, Stets zum Herzen wiederkehren Stets am Herzen sich erneuen Sich an seiner Gluth entzünden.
Karoline von Günderode
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pilli
antwortete am 02.02.05 (08:28):
Da sprach der Landrat unter Stöhnen: "Könnten Sie sich an meinen Körper gewöhnen?" Und es sagte ihm Frau Kaludrigkeit: "Vielleicht. Vielleicht. Mit der Zeit...mit der Zeit..." Und der Landrat begann allnächtlich im Schlafe Laut zu sprechen und wurde ihr Schklafe. Und er war ihr hörig und sah alle Zeit Frau Kaludrigkeit - Frau Kaludrigkeit!
Und obgleich der Landrat zum Zentrum gehörte, wars eine Schande, wie daß er röhrte; er schlich der Kaludrigkeit ums Haus... Die hieß so - und sah ganz anders aus: Ihre Mutter hatte es einst in Brasilien Mit einem Herrn der bessern Familien. Sie war ein Halbblut, ein Viertelblut: Nußbraun, kreolisch; es stand ihr sehr gut. Und der Landrat balzte: Wann ist es soweit? Frau Kaludrigkeit - Frau Kaludrigkeit!
Und eines Abends im Monat September War das Halbblut müde von seinem Gebember Und zog sich aus. Und sagte: "Ich bin..." Und legte sich herrlich nußbraun hin. Der Landrat dachte, ihn träfe der Schlag! Unvorbereitet fand ihn der Tag. Nie hätt er gehofft, es noch zu erreichen. Und er ging hin und tat desgleichen.
Sie lag auf den Armen und atmete kaum. Ihr Pyjama flammte, ein bunter Traum. Er glaubte, ihren Herzschlag zu spüren. Er wagte sie nicht mehr zu berühren... Er sann, der Landrat. Was war das, soeben? Sie hatte ihm alles und nichts gegeben. Und obgleich der Landrat vom Zentrum war, wurde ihm eines plötzlich klar: Er war nicht der Mann für dieses Wesen. Sie war ein Buch. Er konnt es nicht lesen. Was dann zwischen Liebenden vor sich geht, ist eine leere Formalität.
Und so lernte der Mann in Minutenfrist, daß nicht jede Erfüllung Erfüllung ist. Und belästigte nie mehr seit dieser Zeit Die schöne Frau Inez Kaludrigkeit
(Kurt Tucholsky 1890-1935)
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yankee
antwortete am 02.02.05 (09:06):
Peter Altenberg österreichischer Schriftsteller (1859 - 1919) Die geschickteste Art, einen Konkurrenten zu besiegen, ist, ihn in dem zu bewundern, worin er besser ist.
Gott denkt in den Genies, träumt in den Dichtern und schläft in den übrigen Menschen.
Hüte dich vor dem Imposanten! Aus der Länge des Stiels kann man nicht auf die Schönheit der Blüte schließen.
Es ist traurig, eine Ausnahme zu sein. Aber noch viel trauriger ist es, keine zu sein.
Die Mode ist ein ästhetisches Verbrechen. Sie will nicht das Endgültig-Gute, das Endgültig-Schöne. Sie will immer nur etwas Neues.
Überall gibt es Zuschauer - Menschen, die an etwas interessiert sind, das sie gar nicht interessiert
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Enigma
antwortete am 02.02.05 (09:07):
:)))... toll......
Aber wie irritierend, Pilli, jetzt hatte ich dich schon angedichtet, in Gedanken, nämlich so:
Wenn Pilli lacht, in tiefster Nacht, wenn keiner mehr wacht, dann ist`s vollbracht,dann freu`ich mich morgens schon um halb acht...
Und was passiert: Pilli kommt gegen halb acht....*lach*
Ludwig Thoma Karneval
Väter, hört mich, Mütter, hört die Mahnung, jetzt kommt wieder jene Zeit - versteht -, wo so manche Tugend ohne Ahnung der Besitzerin abhanden geht.
Beutesuchend schleicht umher das Laster; Wer ist sicher, daß ihm nichts geschieht, wenn man jetzt der Busen Alabaster und beim Hofball auch die Nabel sieht?
Von den Blicken kommt es zur Berührung, igendwo zu einem Druck der Hand, und so manches Mittel der Verführung sei aus Scham hier lieber nicht genannt!
Wenn an hochgewölbte Männerbrüste sich das zarte Fleisch der Mädchen drängt, regen sich von selbst die bösen Lüste und was sonst damit zusammenhängt.
Darum Eltern, wenn die Geigen klingen und die Klarinette schrillend pfeift, hütet Eure Tochter vor den Dingen, die sie hoffentlich noch nicht begreift. :-)
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yankee
antwortete am 02.02.05 (09:24):
Guten Morgen Feen der Phoesie. Vor lauter Zauber habe ich mich, wie ihr sicher bemerkt habt, im Forum vertan. Zum glück habe ich das Gedicht jetzt noch nicht zu den Zitaten gestellt.
@pilli ich dachte mir schon, daß unsere poetischen Ausschweifungen gestern, dich nicht unberührt lassen. So wie du loslegst, geht es dir (hoffentlich) wieder gut. @Enigma danke nochmals für die gestrige Excursion ins phoetische Millieu. Hat mir sehr viel Spaß gemacht.
Georg Heym
Fröhlichkeit
Es rauscht und saust von großen Karussellen Wie Sonnen flammend in den Nachmittagen. Und tausend Leute sehen mit Behagen, Wie sich Kamele drehn und Rosse schnellen, Die weißen Schwäne und die Elefanzen, Und einer hebt vor Freude schon das Bein Und grunzt im schwarzen Bauche wie ein Schwein, Und alle Tiere fangen an zu tanzen.
Doch nebenan, im Himmelslicht, dem hellen, Gehen die Maurer rund, wie Läuse klein, Hoch ums Gerüst, ein feuriger Verein, Und schlagen Takt mit ihren Mauerkellen.
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Joan
antwortete am 02.02.05 (23:11):
Hallo Pilli,Yankee,Enigma,man muss Euch einfach lieben für letztens entdeckte Vielseitigeit!! !!! JOAN
OPTIMIST Sieh dort,so sprach der OPTIMIST,in goldner Frühlingssonne blitzen auf einem Haufen Pferdemist in Eintracht sieben Spätzchen sitzen--- Wie reich ist doch der Schöpfungsplan und muss doch wohl Bedeutung haben: DENN WAS EIN GROSSER ABGETAN,KANN HIER NOCH SIEBEN KLEINE LABEN. , PESSIMIST Sieh dort,so sprach der PESSIMIST,und fass dies Bild dir in Gedanken wie sich um dreck`gen Pferdemist die sieben rupp`gen Vögel zanken. Das ist des Lebens grosser Zug vom einen bis zum andern Ende: NICHTS IST BEI UND GEMEIN GENUG,DAS NICHT NOCH SIEBEN FRESSER FÄNDE. Rudolf Presber
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marie2
antwortete am 03.02.05 (00:10):
Trinklied Parodie auf Richard Dehmel
Näher und näher die Nacht schon stapft: Trinkt, bis der Seher sich selbst verzapft - Stürzt das Fass! Schaut, wie im Blute die Sonn´ ersauft, Weil sich die Gute nun wärmer tauft - Hoch das Glas! Singt mir vom rötlichen, tödlichen Leben - Dagloni maro ni lazzaroni sasa, Gleiala kling klang gloria ... So trinkt doch, Donner und Doria! Knickeknackreben, süß triefende Wunden, Singt mir das Lied von droben und drunten, Wallalalei juchuh!
Der Mond hängt seine rote Zung´ Über den Berg - gute Nacht, min Jung´! Sonne, hist hott! Feuert den Pott, Krach! in die Ecke zum Gott - Hui!
Näher und näher schon schlurft die Nacht. Im Gurgelstrom ein Gegack´, ein Gezuck´ - Noch einen Schluck! Hört ihr, wie´s kracht? Fürchtet ihr den schwarzen Mann? Da kommt er schon an, Der Morian, Hopp, hopp, im Galopp, Und der Kopp so salopp - Hup utui! Singt mir vom rötlichen, tödlichen Leben! Maroni mahagoni - Klirrlala, g´schirrlala, Klingelingkling klimbim gloribusvallera ... Hussa! wir streben und kleben und schweben Immer darüber und immer daneben - Juch! Hanns von Gumppenberg
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pilli
antwortete am 03.02.05 (01:13):
von Joan ein füllhorn voll liebe :-) und yankee schenkt den vergleich mit elfen, dazu angedichtet werden von Enigma :-)
da hatte es grosse freude!
ja, :-) ich wollte euch überraschen und hatte schon seit 05.00 uhr gegoogelt, gewählt und wieder verworfen; die traum-gedichte waren es, die nicht leicht zu finden sind. vielleicht mag Joan mit "eigenem" auch das thema "Träume" bereichern?
:-)
...
Karneval
Auch uns, in Ehren sei's gesagt, Hat einst der Karneval behagt, Besonders und zu allermeist In einer Stadt, die München heißt. Wie reizend fand man dazumal Ein menschenwarmes Festlokal, Wie fleißig wurde über Nacht Das Glas gefüllt und leer gemacht,
Und gingen wir im Schnee nach Haus, War grad die frühe Messe aus, Dann können gleich die frömmsten Frau'n Sich negativ an uns erbau'n.
Die Zeit verging, das Alter kam, Wir wurden sittsam, wurden zahm. Nun sehn wir zwar noch ziemlich gern Die Sach' uns an, doch nur von fern (Ein Auge zu, Mundwinkel schief) Durchs umgekehrte Perspektiv. (Wilhelm Busch)
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pilli
antwortete am 03.02.05 (01:15):
Eins zwei drei, Münsterhex´ sei frei, vier und fünf, gelb-rote Strümpf sechs, sieben, acht, Krach wird gmacht, neun und zehne glei kasch´s sehne, heule, kitzle, schtrample, schreie, d´Leut i d´Luft umenander keie, mit de Leiter as Fenschder go, Knoblauchfurze krache lo, s´Münschterbergle suber kehre Pfarrers Gnadenbrot verzehre, Glocke nachts zum Läute bringe und am Hexefeuer schpringe. Ho Narro!
(Verfasser unbekannt)
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pilli
antwortete am 03.02.05 (01:16):
O wär im Februar doch auch, Wie`s ander Orten ist der Brauch Bei uns die Narrheit zünftig! Denn wer, so lang das Jahr sich mißt, Nicht einmal herzlich närrisch ist, Wie wäre der zu andrer Frist Wohl jemals ganz vernünftig.
(Theodor Storm)
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pilli
antwortete am 03.02.05 (01:40):
für meine mum :-) ein echtes "marjellchen" mit immer viel verständnis für datt *rheinische wesen*, drucke ich gleich anschliessend das folgende gedicht aus und werde es ihr morgen mitnehmen in das mit luftschlangen geschmückte krankenhaus und vielleicht glingt es uns beiden ein bissi zu schmunzeln über:
Die Maskerade
Gromballs Marieche war mit Franz Magul verlobt Und hatte ihm auch ew'ge Treu' gelobt! - Doch mit dem Mund bloß - denn sie war nich spröde - Und Franz, ihr Schmisser, bißche blöde. Doch bärenstark, die Ruhe in Person, War Schmied und Schmiedemeisters Sohn. Der hatte Pranken, wie so'n Deckel vonnem Faß, Und wo er hinhaud, wuchs kein Halmche Gras.
Nu gab es einmal so der Fall, Daß inne Nachbarschaft war Maskenball. Marieche, von 'ner Freundin stark bestürmt, War auch klammheimlich hingetürmt. Obwohl sie eine Maske vor der Nase, Wurd' sie erkannt von Franzens Base. Die rennd zum Telefong und schlug Alarm Und macht den Franz gehörig warm: "Franz, deine Braut is hier bei uns im Saal Und ihr Kostüm allein is schon Skandal! Die hat ja beinah nuscht nich an Und hängt am Arm vom fremden Mann! Sie drückt sich mit ihm inne Ecken Und läßt sich butschen - ohne zu erschrecken. Nu sag mal, Franz, is das Benehmen? Sie missd als deine Braut sich schämen ! Die beiden sind die reinsten Kälber ! Glaubst nich?... Na, komm rieber, ieberführ dich selber !"
Franz knalld vor Wut den Hörer hin Und schnurstracks kam in seinem Sinn, Daß aufe Lucht e Ritterrüstung stand, Die kam ihm grad so recht zur Hand. - Fohrts runter mit dem Panzer, blank poliert, Die Glieder frisch geölt und gleich probiert.- So zog der Franz - die Galle war ihm bitter - Wie einst zum Kampf die alten Ritter. - Er brausd mit dem Motorrad auf Schossee Wie'n losgelaßner Bull mank frischen Klee. - Franz ganz geschient von Kopf bis Fuß, Schritt in den Saal, ganz ohne Gruß! - Das Helmvisier deckt vollends sein Gesicht. - Er schlarrte schwer - die Rüstung hat Gewicht.- So schob er sich wie'n Schlachtschiff mittenmank, Wie Lohengrin erstrahld er blitzeblank.
Beim wilden Scherbeln und dem Drängen Blieb ausgerechnet an der Rüstung hängen Marieche mit den leichten Plossen, Die kreesten ab bis auf die Flossen. Ihr Partner rempelt drauf nu an den Franz, Weil die Marieche zerpliesert ganz.- Franz, all erbost und auch nich faul, Haud mit der Eisenfaust dem Gnos aufs Maul.- Der kippte um und seine Zahnprothesen, die waren reif für'n Reinmachbesen. Marieche, abgerebbelt und zerrissen, Krakeeld: "Herr, Ihren Namen will ich wissen!" Da schrie ein Spötter: "Marjell, hör auf zu singen! Das is doch Götz von Berlichingen! Kennst nich den alten Gruß und Brauch?" Sie wußd Bescheid: "Und du mich Ihnen auch!" Marie karäsig, macht ein Mordsgeschrei, Droht mit Gericht und Polizei: "Da kommt ein hergelaufener Banause Und stört die Stimmung hier im Hause! Ist niemand von den Kavalieren, Um dieses Monstrum zu halbieren?" -
fortsetzung
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pilli
antwortete am 03.02.05 (01:41):
Nuscht rührt sich - "Ah, die Helden haben Schiß ! Wär' ich ein Mann, dies Scheusal ich zerriß !" Vier Gnaschels fiehlten sich drauf stark, Im Glauben auf ihr Knochenmark. - Die drangen ein auf Franz mit Wucht, Doch der schlug alle inne Flucht. - Zwei krichten unter ihre Kiemen, Daß sie fohrts gleich beschwiemen. Der dritte, kracht auf seinen Schnurgel, Den vierten packt der Franz beim Gurgel. - Drauf wollten noch so'n Halbdutz hilfreich sein, Doch alle haud er kurz und klein.
Und wie aufs Stichwort ging im ganzen Haus Die große Festbeleuchtung kurzum aus. Die Panik wuchs; denn jeder wollte raus, So rasch wie möglich bloß nach Haus. - Aber in der Enge beim Gedränge Gabs Keilerei in rauher Menge. Der Krugwirt voller Wut und Zorn, Bließ angstbewegt ins Feuerhorn. - Nu wurd es noch viel kunterbunter Kopfieber gings und drauf und drunter.
In diesem Wirrwarr setzte Franz Sich ganz behutsam ab mit Eleganz.- Fuhr unerkannt als Siegesritter Aus diesem kleinen Ungewitter. Als wieder Licht wurd in den Runden, Bekickt sich mancher seine Wunden. Es war viel Bruch im Haus und Splitter - Wo aber blieb der fremde Ritter?
Am andern Tag erhielt Marie Gromball Per Post die Quittung von dem Fall: "Von der verflossnen Nacht Is mir nu alles hinterbracht - Und Schimpf und Schande nehm ich nich in Kauf, Drum heb' ich die Verlobung auf !" Als die Marie den Brief gelesen, Wußd sie, daß sie die Braut gewesen. - Sie plinst und granst und lamentiert, Daß ausgerechnet ihr so was passiert. - Der Vater stiepf: "Joa, Knall on Fall, Watt kröppst du ook opp Maskeball !"
:-)
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Enigma
antwortete am 03.02.05 (10:03):
Guten Morgen alle,
Pilli, die nächtliche Plackerei hat sich ja mal wieder sehr gelohnt. Vielen, vielen Dank. :-))
Als Dank was "an die Kölner" , die heute ja schon einen ihrer Haupttage der "fünften Jahreszeit" haben:
Johann Wolfgang von Goethe Der Kölner Mummenschanz
Fastnacht 1825 Da das Alter, wie wir wissen, nicht für Torheit helfen kann, wär es ein gefundner Bissen einem heitern alten Mann,
daß am Rhein, dem vielbeschwommnen, Mummenschaar sich zum Gefecht rüstet gegen angekommnen Feind, zu sichern altes Recht.
Auch dem Weisen fügt behäglich sich die Torheit wohl zur Hand, und so ist es gar verträglich, wenn man sich mit euch verband.
Selbst Erasmus ging den Spuren der Moria scherzend nach, Ulrich Hutten mit Obskuren derbe Lanzenkiele brach.
Löblich wird ein tolles Streben, wenn es kurz ist und mit Sinn, Heiterkeit zum Erdeleben sei dem flüchtgen Rausch Gewinn.
Häufet nur an diesem Tage kluger Torheit Vollgewicht, daß mit uns die Nachwelt sage: Jahre sind der Lieb und Pflicht.
Ich bin zwar keine überzeugte Karnevalistin, aber während meiner "Düsseldorfer Jahre" konnte ich doch feststellen, dass auch der richtige Ort dazugehört, um die Stimmung voll erfassen zu könne.
Bewundert habe ich immer die Karnevalsaktivitäten von Heinrich Lützeler, über den ich heute schon etwas finden konnte - she. URL! -
Internet-Tipp: https://biene.bonn.de/innensta/verschi/person/lutzeler.htm
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marie2
antwortete am 03.02.05 (11:24):
Hirtenbrief an die Kölner
Das Carnaval kommt. Wozu es euch frommt, Ihr Tausendsassas? Zum plattesten Spaß, Zum Fressen und Saufen, Nach Huren zu laufen. - Ihr knickrigen Kerle! Gebt Geld für den Dom: Der ist ja Kölns Perle. Sonst schreib´ ich nach Rom, Ich müsse hier streuen Die Perlen den Säuen.
August Wilhelm von Schlegel
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yankee
antwortete am 03.02.05 (14:46):
@ So ihr Lieben, da bin ich wieder um mitzumachen.
Wie ich heute so die Beiträge durchlas und pillis 5 Uhr Aktion bewunderte und genossen habe, dachte ich mir so, daß der nun folgende Dichter wohl nicht mehr Frauen in seinem Leben kennen gelernt hat, als seine Mama :-)
Julius Sophus Felix Dahn
Die Frauen sind oft fromm und still
Die Frauen sind oft fromm und still, wo wir ungebärdig toben, und wenn sich eine Stärken will, dann blickt sie stumm nach oben. Ihr' Kraft und Stärke ist gering, ein Lüftchen kann sie knicken, doch ist's ein eignes, starkes Ding, wenn sie gen Himmel blicken.
Oft hab' ich selbst mit Aufgesehn, sah die Mutter so nach oben, ich sah nur graue Wolken gehn und blaue Luft da droben, sie aber, wenn sie niedersah, war voller Kraft und Hoffen, mir ist, die Frauen hie und da sehn noch den Himmel offen.
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pilli
antwortete am 03.02.05 (15:27):
überraschung! :-)
helles tageslicht und früher abgelöst vom "händchenhalten" bei der mum, meine eintrittskarten für karnevalistische vergnügungen wild unters willige weibervolk geworfen und schon ist sie da die antwort auf allzu brave frauenfiguren.
erstaunlich watt so ein Karolinchen von Günderode schon 1780-1806) gewagt hat zu schreiben :-)
"Einstens lebt ich süßes Leben" (wo is sie hin die schöne zeit?) ...
Einstens lebt ich süßes Leben, denn mir war, als sei ich plötzlich nur ein duftiges Gewölke. Über mir war nichts zu schauen als ein tiefes blaues Meer und ich schiffte auf den Wogen dieses Meeres leicht umher. Lustig in des Himmels Lüften gaukelt ich den ganzen Tag, lagerte dann froh und gaukelnd hin mich um den Rand der Erde, als sie sich der Sonne Armen dampfend und voll Glut entriß, sich zu baden in nächtlicher Kühle, sich zu erlaben im Abendwind. Da umarmte mich die Sonne, von des Scheidens Weh ergriffen, und die schönen hellen Strahlen liebten all und küßten mich. Farbige Lichter stiegen hernieder, hüpfend und spielend, wiegend auf Lüften duftige Glieder. Ihre Gewande Purpur und Golden und wie des Feuers tiefere Gluten. Aber sie wurden blässer und blässer, bleicher die Wangen, sterbend die Augen. Plötzlich verschwanden mir die Gespielen, und als ich trauernd nach ihnen blickte, sah ich den großen eilenden Schatten, der sie verfolgte, sie zu erhaschen. Tief noch im Westen sah ich den goldnen Saum der Gewänder. Da erhub ich kleine Schwingen, flatterte bald hie bald dort hin, freute mich des leichten Lebens, ruhend in dem klaren Äther. Sah jetzt in dem heilig tiefen unnennbaren Raum der Himmel wunderseltsame Gebilde und Gestalten sich bewegen. Ewige Götter saßen auf Thronen glänzender Sterne, schauten einander selig und lächelnd. Tönende Schilde, klingende Speere huben gewaltige, streitende Helden; Vor ihnen flohen gewaltige Tiere, andre umwanden in breiten Ringen Erde und Himmel, selbst sich verfolgend ewig im Kreise. Blühend voll Anmut unter den Rohen stand eine Jungfrau, Alle beherrschend. Liebliche Kinder spielten inmitten giftiger Schlangen. - Hin zu den Kindern wollt ich nun flattern, mit ihnen spielen und auch der Jungfrau Sohle dann küssen. Und es hielt ein tiefes Sehnen in mir selber mich gefangen. Und mir war, als hab ich einstens mich von einem süßen Leibe losgerissen, und nun blute erst die Wunde alter Schmerzen. Und ich wandte mich zur Erde, wie sie süß im trunknen Schlafe sich im Arm des Himmels wiegte. Leis erklungen nun die Sterne, nicht die schöne Braut zu wecken, und des Himmels Lüfte spielten leise um die zarte Brust. Da ward mir, als sei ich entsprungen dem innersten Leben der Mutter, und habe getaumelt in den Räumen des Äthers, ein irrendes Kind. Ich mußte weinen, rinnend in Tränen sank ich hinab zu dem Schoße der Mutter. Farbige Kelche duftender Blumen faßten die Tränen, und ich durchdrang sie, alle die Kelche, rieselte abwärts hin durch die Blumen, tiefer und tiefer, bis zu dem Schoße hin, der verhüllten Quelle des Lebens. :-)
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yankee
antwortete am 03.02.05 (15:30):
Huch ! Hab wohl vor Aufregung zittrige Hände gehabt. Dat det dat jiebt :-)
Hier nochmal wat nettes zum allseits beliebten Thema :-)
Erich Weinert
Das pasteurisierte Freudenhaus (1.Teil)
Auch die sexuelle Frage Trat im neuen Staat zutage. Ganz besonders für Betriebe Öffentlicher Nächstenliebe Gab's noch keine feste Norm; Und sie schrien nach Reform. Schon vonseiten deutscher Frauen Scholl der Ruf, sie abzubauen. Doch auf männlichen Kongressen Fand für ihre Interessen Nirgends sich das nötige Drittel. Und so blieb kein andres Mittel, Als besagte Lasterhöhlen Völkisch-christlich zu durchseelen. Auch erwog man, und ganz richtig (Dies erschien besonders wichtig): Schon zu Zeiten unsrer Kaiser Gab es solche Freudenhäuser. Doch bei Schaffung höhrer Ebne Stieß man auf naturgegebne Hindernissen und Gefahren, Die nicht zu umgehen waren. Da, in einer Stadt im Norden, War sie bald gefunden worden, Und von einer Dame zwar, Welche aus der Branche war. Dieses war die Mutter Klippschen, Die Besitzer eines hübschen Kleinen Freudenhauses war, Wo die zarte Kinderschar, Die sie zwar nicht selbst gebar, Teils aus Lust, teils aus Prinzip, Ihre muntren Späße trieb. Eines Nachts, im Glorienschein, Trat ein Geist zu ihr hinein, Der sie freundlich interviewt; Und das ganze Institut War von Sphärenklang durchläutet. Sie verstand, was das bedeutet, Und erwog, vom Geist durchdrungen, Wesentliche Änderungen. Sie besuchte Pastor Quandte, Den sie schon von früher kannte, Dem sie ihre neuerbaute Mädchenseele anvertraute. Pastor Quandte, sanft geölt, Sprach: Das ist es, was uns fehlt! Ein für sittenreine Freude Eingerichtetes Gebäude, Das in jeder Hinsicht frei Von gemeiner Wollust sei. Man verpöne das Obszöne, Damit auch der angesehne Ältre Herr sich hingewöhne! Denn man weiß ja aus Erfahrung, Daß die eheliche Paarung Einmal nicht mehr den Effekt hat. Variatio delectat.
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yankee
antwortete am 03.02.05 (15:32):
Erich Weinert
Das pasteurisierte Freudenhaus (2.Teil)
Worauf er, für den Bedarf, Einen schlichten Plan entwarf, Wo die schwüle Atmosphäre Gründlich zu bereinigen wäre: Schlichte Kleidung, hochgeschlossen, Alkohol wird nicht genossen, Keine Akte, dafür schmucke Sonnige Dreifarbendrucke. Kurz, man fühle sich inmitten Guter bürgerlicher Sitten. Mutter Klippschen, so beschieden, Wandelte, im Herzen Frieden, Heimwärts in ihr Freudenhäuschen Und eröffnete den Mäuschen Bürgerliche Perspektiven Bei ermäßigten Tarifen. Feierlich im nächsten Lenz, Unter Quandtes Assistenz, Ward in aller Heimlichkeit Die Geschichte eingeweiht. Alle prominenten Geister Bis hinauf zum Bürgermeister, Meistens schon gewohnte Gäste, Kamen zum Eröffnungsfeste. Pastor Quandte, stante pede, Schlug ans Glas und hielt die Rede. Hierauf folgte Rektor Müller; Dieser brachte was von Schiller: Freude, schöner Götterfunken! Und dann wurde Wein getrunken. Später sang man frohe Lieder: "Deutsche Mädchen, keusches Mieder- Steh allein auf weiter Flur- Gaudeamus igitur." Darauf las Herr Pastor Quandte Noch was von der Waterkante. Und zum Schluß der Kommissar, Der schon ungeduldig war, Brachte auf die polygamen, Venusdienstbeflißnen Damen Einen sehr galanten Toast. Und dann wurde ausgelost. Und so wandelten die Zecher In die stillen Schlafgemächer. Und, von allen Lastern frei, Schlief man dort den Damen bei. Bald trug Minna auf der Taille Freudig die Verdienstmedaille, Und ihr Venusschwesternorden War zur Sensation geworden. Hier roch nichts mehr nach Verführung; Und in strenger Rationierung Wurde, je nach Interessen, Freie Liebe zugemessen. Auch die sonst fast monogamen Bessersituierten Damen Sah man, frei von Vorurteilen, Hier in Andacht still verweilen. Abends wurde temperenzelt, Nachmittags gekaffeekränzelt. Und so blühte still in wahren Deutschen Geist der neue Harem.
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pilli
antwortete am 03.02.05 (16:06):
yep yankee :-),
da werden sich wohl die forenblitze so gekreuzt haben, dass gleich dein zeitgleich geschriebener beitrag davon getroffen wurde?
foren-kaffeekränzelnd und dem thema mit höchster aufmerksamkeit zugeneigt, glaube ich aber nicht, dass es uns zu "Nöckergreisen" macht. :-)
...
Der Nöckergreis
Ich ging zum Wein und ließ mich nieder Am langen Stammtisch der Nöckerbrüder. Da bin ich bei einem zu sitzen gekommen, Der hatte bereits das Wort genommen.
"Kurzum" - so sprach er -, "ich sage bloß, Wenn man den alten Erdenkloß, Der, täglich teilweis aufgewärmt, Langweilig präzis um die Sonne schwärmt, Genau besieht und wohl betrachtet Und, was darauf passiert, beachtet, So findet man, und zwar mit Recht, Daß nichts so ist, wie man wohl möcht.
Da ist zuerst die Hauptgeschicht: Ein Bauer traut dem andern nicht. Ein jeder sucht sich einen Knittel, Ein jeder polstert seinen Kittel, Um bei dem nächsten Tanzvergnügen Gewappnet zu sein und obzusiegen, Anstatt bei Geigen- und Flötenton, Ein jeder mit seiner geliebten Person, Fein sittsam im Kreise herumzuschweben.
Aber nein! Es muß halt Keile geben. Und außerdem und anderweitig: Liebt man sich etwa gegenseitig? Warum ist niemand weit und breit Im vollen Besitz der Behaglichkeit? Das kommt davon, es ist hienieden Zu vieles viel zu viel verschieden.
Der eine fährt Mist, der andre spazieren; Das kann ja zu nichts Gutem führen, Das führt, wie man sich sagen muß, Vielmehr zu mehr und mehr Verdruß. Und selbst, wer es auch redlich meint, Erwirbt sich selten einen Freund.
Wer liebt, zum Beispiel, auf dieser Erde, Ich will mal sagen, die Steuerbehörde? Sagt sie, besteuern wir das Bier, So macht's den Christen kein Pläsier. Erwägt sie dagegen die Steuerkraft Der Börse, so trauert die Judenschaft.
Und alle beide, so Jud wie Christ, Sind grämlich, daß diese Welt so ist. - Es war mal 'ne alte, runde Madam, Deren Zustand wurde verwundersam.
Bald saß sie grad, bald lag sie krumm, Heut war sie lustig und morgen frumm; Oft aß sie langsam, oft aber so flink Wie Heinzmann, eh er zum Galgen ging. Oft hat sie sogar ein bissel tief Ins Gläschen geschaut, und dann ging's schief.
Sodann zerschlug sie mit großem Geklirr Glassachen und alles Porzellangeschirr. Da sah denn jeder mit Schrecken ein, Es muß wo was nicht in Ordnung sein.
Und als sich versammelt die Herren Doktoren, Da kratzten dieselben sich hinter den Ohren. Der erste sprach: ich befürchte sehr, Es fehlt der innere Durchgangsverkehr;
Die Gnädige hat sich übernommen; Man muß ihr purgänzlich zu Hilfe kommen.' Der zweite sprach: O nein, mitnichten! Es handelt sich hier um Nervengeschichten.' ,Das ist's' - sprach der dritte - was ich auch ahne; Man liest zu viele schlechte Romane.'
fortsetzung :-)
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pilli
antwortete am 03.02.05 (16:06):
,Oder' - sprach der vierte - sagen wir lieber, Man hat das Schulden- und Wechselfieber.' ,ja' - meinte der fünfte - das ist es eben; Das kommt vom vielen Lieben und Leben.' ,O weh!' - rief der sechste - der Fall ist kurios; Am End ist die oberste Schraube los.'
,Hah!' - schrie der letzte - das alte Weib Hat unbedingt den Teufel im Leib; Man hole sogleich den Pater her, Sonst kriegen wir noch Malör mit der.'
Der Pater kam mit eiligen Schritten; Er tät den Teufel nicht lange bitten; Er spricht zu ihm ein kräftiges Wort: ,Raus, raus und hebe dich fort, Du Lügengeist, Der frech und dreist Sich hier in diesen Leib gewagt!' ,I mag net!' - hat der Teufel gesagt.
Hierauf - - Doch lassen wir die Späß, Denn so was ist nicht sachgemäß. Ich sage bloß, die Welt ist böse. Was soll, zum Beispiel, das Getöse, Was jetzt so manche Menschen machen Mit Knallbonbons und solchen Sachen?
Man wird ja schließlich ganz vertattert, Wenn's immer überall so knattert. Das sollte man wirklich solchen Leuten Mal ernstlich verbieten, und zwar beizeiten, Sonst sprengen uns diese Schwerenöter Noch kurz und klein bis hoch in den Äther, Und so als Pulver herumzufliegen, Das ist grad auch kein Sonntagsvergnügen.
Wie oft schon sagt ich: Man hüte sich. Was hilft's? Man hört ja nicht auf mich. Ein jeder Narr tut, was er will. Na, meinetwegen! Ich schweige still!"
So räsonierte der Nöckergreis. Uns aber macht er so leicht nichts weis; Und ging's auch drüber oder drunter, Wir bleiben unverzagt und munter.
Es ist ja richtig: Heut pfeift der Spatz Und morgen vielleicht schon holt ihn die Katz; Der Floh, der abends krabbelt und prickt, Wird morgens, wenn's möglich, schon totgeknickt;
Und dennoch lebt und webt das alles Recht gern auf der Kruste des Erdenballes. - Froh hupft der Floh. - Vermutlich bleibt es noch lange so.
(Wilhelm Busch)
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Enigma
antwortete am 03.02.05 (18:19):
...da komme ich ganz harmlos nach Hause. Und was finde ich vor? Dass ein wahrer Schaffensrausch über den ST gebraust ist...:-) Pilli, ist die Mum schon wieder im Krankenhaus? Ich hoffe, dass sie nicht ernsthaft erkrankt ist.
Paul Heyse Novelle
Sie kannten sich beide von Angesicht. Sie sprachen sich nie und liebten sich nicht. Er nahm ein Weib, das die Mutter ihm wählte, als sie sich mit einem Vetter vermählte. Er war zufrieden mit seinem Los; Sie wähnte sich recht in des Glückes Schoß. Nur manchmal, zur Zeit der Fliederblüte, was wollte da knospen in ihrem Gemüte? Und einst nach Jahren am dritten Ort, da sagten sie sich das erste Wort. Am selben Tische zum ersten Male- der Flieder duftet herein zum Saale. Was er sie gefragt, was sie ihm gesagt, es war nicht neu und war nicht gewagt. Doch plötzlich, mitten im Plaudern und Scherzen, erschracken sie beide im tiefsten Herzen. Sie hatten mit tödlichem Staunen erkannt, wie seltsam eins das andre verstand. Auch das, was beiden im stillen Gemüte erwachte zur Zeit der Fliederblüte. Sie sahen sich an einen Augenblick und sahn einen Abgrund von Mißgeschick. Dann blickten sie weg, und beide verstummten, so munter rings die Gespräche summten. Drauf ging sie nach Haus mit dem eigenen Mann, er führte sein Weib, so schieden sie dann. Und sagten, sie würden sich glücklich schätzen, die werte Bekanntschaft fortzusetzen. Doch wie er am andern Morgen erwacht, was hat ihn so bitter lachen gemacht? Und wie sie auffuhr von ihrem Kissen, was hat sie so heimlich weinen müssen? Sie haben sich niemals wiedergesehn. Sie wußten sich klug aus dem Weg zu gehn. Nur immer zur Zeit der Fliederblüte wie Spätfrost schauert`s durch ihr Gemüte.
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yankee
antwortete am 04.02.05 (09:11):
An meine Rose Frohlocke, schöne junge Rose, Dein Bild wird nicht verschwinden, Wenn auch die Glut, die dauerlose, Verweht in Abendwinden.
So süßer Duft, so helle Flamme Kann nicht für irdisch gelten; Du prangst am stolzen Rosenstamme, Verpflanzt aus andern Welten;
Aus Büschen, wo die Götter gerne Sich in die Schatten senken, Wenn sie in heilig stiller Ferne Der Menschen Glück bedenken.
Darum mich ein Hinübersehnen Stets inniger umschmieget, Je länger sich in meinen Tränen Dein holdes Antlitz wieget.
O weilten wir in jenen Lüften, Wo keine Schranke wehrte, Daß ich mit deinen Zauberdüften Die Ewigkeiten nährte! –
Hier nahn die Augenblicke, – schwinden An dir vorüber immer, Ein jeder eilt, dich noch zu finden In deinem Jugendschimmer;
Und ich, wie sie, muß immer eilen Mit allem meinem Lieben An dir vorbei, darf nie verweilen, Von Stürmen fortgetrieben.
Doch hat, du holde Wunderblume, Mein Herz voll süßen Bebens Dich mir gemalt zum Eigentume Ins Tiefste meines Lebens,
Wohin der Tod, der Ruhebringer, Sich scheuen wird zu greifen, Wenn endlich seine sanften Finger Mein Welkes niederstreifen.
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Enigma
antwortete am 04.02.05 (11:55):
Mascha Kaléko Das berühmte Gefühl
Als ich zum ersten Male starb - ich weiß noch, wie es war. Ich starb so ganz für mich und still, das war zu Hamburg, im April, und ich war achtzehn Jahr.
Und als ich starb zum zweiten Mal, das Sterben tat so weh. Gar wenig hinterließ ich dir: Mein klopfend Herz vor deiner Tür, die Fußspur rot im Schnee.
Doch als ich starb zum dritten Mal, da schmerzte es nicht sehr. So altvertraut wie Bett und Brot und Kleid und Schuh war mit der Tod. Nun sterbe ich nicht mehr.
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yankee
antwortete am 04.02.05 (13:54):
Theodor Körner
Worte der Liebe.
Worte der Liebe, ihr flüstert so süß Wie Zephirswehen im Paradies; Ihr klingt mir im Herzen nah und fern; Worte der Liebe, ich trau' euch so gern. Streng mag die Zeit, die feindliche, walten, Darf ich an euch nur den Glauben behalten.
Wohl gibt es im Leben kein größeres Glück Als der Liebe Geständnis in Liebchens Blick; Wohl gibt es im Leben nicht höhere Lust Als Freuden der Liebe an liebender Brust. Dem hat nie das Leben freundlich begegnet, Den nicht die Weihe der Liebe gesegnet.
Doch der Liebe Glück, so himmlisch, so schön, Kann nie ohne Glauben an Tugend bestehn. Der Frauen Gemüt ist rein und zart; Sie haben den Glauben auch treu bewahrt. Drum traue der Liebe! Sie wird nicht lügen; Denn das Schöne muß immer, das Wahre muß siegen!
Und flieht auch der Frühling am Leben vorbei, So bewahrt den Glauben doch still und treu! Er lebt, wenn hier alles vergeht und zerfällt, Wie ein Strahl des Lichts aus der bessern Welt; Und tritt auch die Schöpfung aus ihren Schranken, Der Glaube an Liebe soll nimmer wanken.
Drum flüstert ihr Worte der Liebe so süß Wie Zephirswehen im Paradies! Drum klingt im Herzen noch nah und fern! Drum, Worte der Liebe, drum trau' ich euch gern. Und wenn im Leben nichts Heiliges bliebe, Ich will nicht verzagen, ich glaube an Liebe.
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Enigma
antwortete am 06.02.05 (19:54):
Michael Augustin Über Gedichte
Gedichte werden nicht geschrieben, Gedichte ereignen sich.
Gedichte gab es schon bevor es Dichter gab.
Gedichte sind zerkratzte Fensterscheiben.
Gedichte sind kompostierbar und sollten daher auf gar keinen Fall verbrannt werden.
Gedichte sind rund um die Uhr geöffnet (selbst die hermetischen).
Gedichte aus dem Ausland benötigen keine Aufenthaltsgenehmigung. Ein guter Übersetzer reicht.
Niemand darf gezwungen werden, ein Gedicht zu lesen oder gar eines zu schreiben.
Gedichte haften nicht für ihren Verfasser.
Gedichte lesen keine Gedichte
Gedichte können jederzeit gegen andere Gedichte eingetauscht werden.
Internet-Tipp: https://www.zeit.de/archiv/2001/28/200128_ka-gedicht-.xml
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marie2
antwortete am 06.02.05 (21:57):
Enigma, Dein letztes Gedicht ließ mich in meiner Sammlung blättern. Hier der erste Fund.
gedicht von gedichten
ein gedicht das nicht zu begreifen ist möchte vielleicht betastet sein
ein gedicht das nicht zu betasten ist möchte vielleicht betreten sein
ein gedicht das nicht zu betreten ist möchte vielleicht betrachtet sein
ein gedicht das nicht zu betrachten ist möchte vielleicht begriffen sein
-Kurt Marti-
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Enigma
antwortete am 07.02.05 (15:05):
Das ist auch sehr schön, Marie...
Aber jetzt wieder etwas ganz anderes:
Johannes Trojan Das verzeifelte Flaschenkind
Da lieg`ich nun und schrei mich matt, keine Menschenseel` erwacht. Wie ist das Leben so schal und leer! Ich hab`es mir anders gedacht. Man hat mich getauft, ich weiß nicht wie, man hat mich geimpft sogar, obgleich ich gegen das Taufen sowohl wie gegen das Impfen war.
Drei silberne Löffel, die sind mein, all mein Vermögen bis jetzt, wer weiß aber, wo die heut`schon sind - sie sind gewiß schon versetzt! Nur Milch bekomm`ich, und nichts als Milch, ich mag sie schon gar nicht mehr. Keine Abwechslung im Ernährungsgang, niemals der kleinste Likör!
Nur Milch, nur Milch und nichts als Milch, niemals ein and`res Getränk! Und die Masern steh`n mir auch noch bevor, mich schaudert, wenn ich dran denk`! Und dieselbe Umgebung, blöd`und stumpf, glotzt Tag für Tag mich an. Davonlaufen möcht`ich! Wehe mir, daß ich noch nicht laufen kann! Das Leben ist, ich merk`es schon, ein ewiges Einerlei: Man wird naß und wieder trocken gelegt - O wär`erst alles vorbei!
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yankee
antwortete am 08.02.05 (15:42):
Marianne Willemer
Was bedeutet die Bewegung
Was bedeutet die Bewegung Bringt der Ostwind frohe Kunde? Seiner Schwingen frische Regung Kühlt des Herzens tiefe Wunde.
Kosend spielt er mit dem Staube, Jagt ihn auf in leichten Wölkchen, Treibt zur sichern Rebenlaube Der Insekten frohes Völkchen.
Lindert sanft der Sonne Glühen, Kühlt auch mir die heißen Wangen, Küßt die Reben noch im Fliehen Die auf Feld und Hügel prangen.
Und mich soll sein leises Flüstern Von dem Freunde lieblich grüßen, Eh noch diese Hügel düstern Sitz ich still zu seinen Füßen.
Und du magst nun weiter ziehen, Diene Frohen und Betrübten, Dort wo hohe Mauern glühen Finde ich den Vielgeliebten.
Ach, die wahre Herzenskunde, Liebeshauch, erfrischtes Leben Wird mir nur aus seinem Munde, Kann mir nur sein Athem geben.
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Enigma
antwortete am 09.02.05 (10:06):
Fastenzeit
Wer Sorgen hat mit dem Gewicht, der sollte öfter fasten, um seinen Korpus durch Verzicht mal sinnvoll zu entlasten. Erfolg wird hierbei nur erreicht durch den Entzug von Nahrung. Die Prozedur ist denkbar leicht, das weiß ich aus Erfahrung. Bei Fastenkuren darf man nie das Wichtigste vergessen: Zum Hungern braucht man Energie. Und diese kommt - vom Essen! (Hanns vom Rhein)
Es gibt nur einen Weg, schlank zu bleiben: Essen Sie soviel Sie wollen von allem, was Sie nicht mögen! Sir Alec Guiness
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DorisW
antwortete am 09.02.05 (15:44):
@Enigma antwortete am 01.02.05 (12:34): "Ja, die Frage (an alle Leser) lautet: Was gehört zu dem vorstehenden Gedicht (ist wirklich nicht schwer....) :-)))"
Leonorens Antwort
Daß man im Lieben nicht auf Reichtum, sondern auf die Vergnügung sehen müsse
Ich liebe nur, was mich vergnügt, Nicht was mit Golde kirrt; Mein freies Herz wird nicht besiegt, Wenn gleich der Beutel schwirrt. Kein goldner Strick fängt meinen Fuß, kein heller Klang mein Ohr; Die Redlichkeit Geht allezeit Bei mir dem Nutzen vor.
Was hilft es, wenn das Silber blitzt Und doch der Bräut'gam schielt? Ein Mann, der stets beim Kasten sitzt Und in dem Sacke wühlt, Teilt mit dem Mammon seine Gunst, die bloß der Frau gehört; Sein Zeitvertreib Macht, daß das Weib Oft fremde Götter ehrt.
Kein Reichtum überwiegt das Weh, Kein Taler hilft der Braut, Wenn ihr die Zwietracht in der Eh Zuletzt ein Zuchthaus baut. Das Ungewitter ist nicht weit, wo gelbe Raben schrein; Wer wollte nun So töricht tun Und ihm zum Schaden frein?
Betörter Mund, ach spare doch Der Worte frechen Stolz! Dein Umgang ist mir stets ein Joch, Du selbst ein Marterholz. Dies Wörtchen bringt mir deinen Haß, der ficht mich wenig an; Wie bald stößt mir Was Bessers für, Das mich vergnügen kann!
Du aber, den des Himmels Schluß Dereinst für mich bestimmt, Magst glauben, daß mein reiner Kuß Von keiner Geldsucht glimmt. Nimm also meinen ganzen Schatz, die reine Hand voll Blut! Ein treues Herz Ist sonder Scherz Das beste Heiratsgut.
(Johann Christian Günther)
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Enigma
antwortete am 10.02.05 (11:38):
Ja, DorisW, das war es natürlich, Leonoren`s Antwort auf die Vorhaltungen, dass sie berechnend sei. Da hast Du aber aufmerksam gelesen. Danke!
Franz Grillparzer Der Minister des Äußern
Der Minister des Äußern kann sich nicht äußern; der Minister des Innern kann sich nicht erinnern; der Minister des Krieges ist nicht der des Sieges; nach dem Minister der Finanzen muß alles tanzen.
:-))) Ist doch hochaktuell, oder??
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DorisW
antwortete am 10.02.05 (11:43):
O komm, meine Herzallerliebste, Lass uns zum Bodensee fahren. Lass uns aufbrechen Richtung Alpen, Lass uns auf der A8 fahren gen Süden, Auch wenn sie im Radio Staustufe Rot verkünden. Lass uns durch das Land fahren, In dem sie alles können außer Hochdeutsch, Lass uns hinfahren zum Schwäbischen Meer, Zum Bodensee. Denn, meine Liebste, wenn es eines gibt, An dem es uns mangelt, Eines, das unsere Beziehung braucht, So ist es doch Konstanz.
(Lars Weisbrod)
Internet-Tipp: https://www.nensch.de/story/2005/1/14/04927/7418
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DorisW
antwortete am 10.02.05 (11:45):
Entschuldigung, bei dem eben zitierten Gedicht habe ich ja die - höchst wichtige - Überschrift unterschlagen:
"Ein Liebesgedicht (geschrieben im Geographieunterricht)"
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Enigma
antwortete am 10.02.05 (12:02):
...das ist sehr nett...:-))
Jetzt aber mal was "tiefschwarzes" (sorry, für einmal....):
aus: Kabarett: So weit die scharfe Zunge reicht; Scherz-Verlag, 64 Arthur Pserhofer Die Herzlose
Sie war bedacht mit allen Gaben, mit Schönheit, Geist und Witz - allein, wo andre ihre Herzen haben, da saß bei ihr ein großer Stein. Sie glaubte nicht an reine Neigung, sie leugnete der Liebe Macht, und über jede Gunstbezeugung hat unbarmherzig sie gelacht. "Nur der", so rief sie einst beim Plaudern, "könnt`brechen meinen Widerstand, der unverzüglich, ohne Zaudern, mir opfern würde seine Hand." Als tags darauf ein Jüngling, schaurig, mit abgehau`ner Hand erscheint, sagt lächelnd sie zu ihm: "Wie traurig"- Ich hab die andere gemeint." :-(((
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DorisW
antwortete am 10.02.05 (14:47):
Stark :-)
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Enigma
antwortete am 11.02.05 (08:30):
Hallo DorisW,
für Dein schönes "Konstanz"-Gedicht ist der Ausdruck "nett" viel zu schwach. Eigentlich meinte ich, dass es ein witziges Wortspiel ist.
Friedrich von Logau Die gute Diät
Charlotte hatte ihrem Arzt gesagt, daß ihr das Liebeswerk des Morgens sehr behagt, allein gesünder sei`s, des Abends es zu pflegen. Nun will sie aber mit Bedacht es täglich zweimal tun; des Morgens, weil`s Vergnügen macht, des Abends der Gesundheit wegen. :-)))
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Enigma
antwortete am 13.02.05 (10:48):
Sorry, ich hoffe sehr, dass die Wortverstümmelungen dank dem Rat von Karl nun vorbei sind. Ich pobiere nochmal, etwas zu posten:
Heidelinde Prüger Affenliebe
wir sind beide voller viren, wir sind beide voller bugs wir leben ohne überspannungsschutz und back-ups, benutzerfeindlich, full of bites wir sind die risse in der firewall, durch die das licht fällt wenn man uns anclickt, poassiert vielleicht nichts manchmal vergessen wir unser eigenes passwort und träumen von F1 in sechzig monaten kosten wir vielleicht nur noch die hälfte nichts als die auflösung ist perfekt aber: deine Hardware ohne meine software? deine software ohne meine hardware? ich sage dir: auch wenn wir der schwere ausnahmefehler sind, im sektor mensch, wir haben noch immer, zum ewigen neustart, den affengriff der liebe
Internet-Tipp: https://www.brindin.com/pgpruaff.htm
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pilli
antwortete am 20.02.05 (00:05):
worte
wenn meinen worten die silben ausfallen vor müdigkeit und dann die dummen fehler beginnen wenn ich einschlafen will und nicht mehr wach sein zur täglichen trauer um das was geschieht in der welt und was ich nicht verhindern kann beginnt da und dort ein wort sich zu putzen und leise zu summen und ein halber gedanke kämmt sich und sucht einen andern der vielleicht eben noch an etwas gewürgt hat was er nicht schlucken konnte doch jetzt sich umsieht und den halben gedanken an der hand nimmt und sagt zu ihm:
komm
und dann fliegen einige von den müden worten und einige schreibfehler die über sich selber lachen mit oder ohne die halben und ganzen gedanken aus dem ganzen elend über fluß und häuser und straßen immer wieder hinüber zur selben stelle und morgens wenn du die stufen hinuntergehst zur tür und stehenbleibst und aufmerksam wirst und hinsiehst kannst du sie sitzen sehen oder auch flattern hören ein wenig verfroren und vielleicht noch ein wenig verloren und immer ganz dumm vor glück daß sie wirklich bei dir sind
(Erich Fried)
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marie2
antwortete am 20.02.05 (00:13):
Logos
Das Wort ist mein Schwert und das Wort beschwert mich
Das Wort ist mein Schild und das Wort schilt mich
Das Wort ist fest und das Wort ist lose
Das Wort ist mein Fest und das Wort ist mein Los
Erich Fried:
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Enigma
antwortete am 20.02.05 (08:58):
Elisabeth Borchers Vom Morgen zum Abend
Am Morgen lerne ichzunächst das Kapitel vom Hören und Sehen, dann das Kapitel vom Nehmen und Geben, und schließlich das Kapitel vom Lesen und Schreiben.
Ich kontrolliere den Stand der Wörter, notiere Verlust und Gewinn, Überfluß und Bedürfnis. Ich bin in Erwartung. Erwarte NieDaGewesenes, (Erst gestern entdeckte ich in einem Gedicht <<ein Fugzeug aus Mann und Frau>>.)
Am Abend rekapituliere ich das Abnehmen der Kräfte und die Lektion der alten Meister, nicht oft genug könne die Sonne aufgehen, und purpurn sei sie zu nennen. Königlicher Mantel aus Arm und Reich.
Internet-Tipp: https://www.aphoristik.de/dichter/Borchers_Elisabeth.htm
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marie2
antwortete am 21.02.05 (19:25):
Ein Gedicht für dich? So einfach ist das nicht. Jetzt wo du wirklich da bist. Kein Mann: mein Wort Mein Mann: kein Wort Gingest du fort so fort gäb es wieder ein Wort für Wort und eines das andere. Bleib! Ich versprech dir dich nie zu zer reib en zwischen den Zei len in ein Gedicht für dich sind sie alle.
Ulla Hahn Aus: So offen die Welt
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Enigma
antwortete am 22.02.05 (10:39):
Johannes Kühn Nun mit den Raben
Nun mit den Raben am Tisch des Lands und klagend, sie nach Brot, ich nach Freundschaft.
Gestorben ist die Zeit, wo wir uns fanden, ein Schönes anzuloben, Tag oder Fest, ein Mädchen, ein neues Lied, das in Siegsfahrt durchs Land zog.
Es hat sich der Winter eingenistet in Aug und Mund. Er knechtet den Garten, in dem wir sonst saßen, und wo der Abendstern gut in unsere Mitte kam.
Wissend, daß das Alter uns weiter ändert ins Unglück, wissend, daß der heißeste Atem wegstirbt am rötesten Mund, bettle ich, stumm geworden, an keinem Himmel.
Internet-Tipp: https://www.tholey.de/johannes-kuehn/gedichte_1.php?id=7
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Enigma
antwortete am 03.03.05 (09:16):
Thekla Lingen (1866-1931) An die Männer Ich will nicht eure Hose Und will nicht euren Hut, Ich trage meine Schleppe, Sie kleidet mich auch gut. Ich will nicht eure Ämter Und will nicht eure Kraft, Nicht eure Titel und Würden Noch eure Kriegerschaft. Ich geb' euch meinen Herd nicht, Ich wirke und schaffe gern, Und geb' euch meinen Gott nicht, Erhabene Schöpfungsherrn. Auch geb' ich nicht mein Kindlein, Das ich in Schmerz gebar, Nicht all' die bangen Sorgen, Bis gross und stark es war. Doch gebt mir frei das Leben Und lasst mich's nahe sehn, Zwingt mich nicht, scheu und schämig An ihm vorbeizugehn. Und gebt mir frei zu wissen, So viel ich will und kann, Des Lernens Glück zu kosten So gut gleich wie ein Mann. Lasst mich nicht Mensch erst werden Durch euren Ehering - In seiner goldenen Fessel Sich manch ein Leben fing ...
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pilli
antwortete am 04.03.05 (13:14):
Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß wie Wolken schmecken. Der wird im Mondschein, ungestört von Furcht, die Nacht entdecken.
Der wird zur Pflanze wenn er will, zum Tier, zum Narr, zum Weisen. Und kann in einer Stunde, durchs ganze Weltall reisen.
Der weiß, dass er nichts weiß, wie alle Anderen auch nichts wissen. Nur weiß er, was die Anderen, und er noch lernen müssen.
Wer in sich fremde Ufer spürt, und Mut hat sich zu recken, der wird im Mondschein, ungestört von Furcht, sich selbst entdecken.
Abwärts, zu den Gipfeln seiner selbst blickt er hinauf. Den Kampf mit seiner Unterwelt, nimmt er gelassen auf.
Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß wie Wolken schmecken. Der wird im Mondschein, ungestört von Furcht, die Nacht entdecken.
Wer mit sich selbst in Frieden lebt, der wird genauso sterben, und ist selbst dann lebendiger, als alle seine Erben.
Novalis
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Enigma
antwortete am 05.03.05 (08:30):
Miriam Frances Du kannst mein Haus mit roter Farbe streichen...
Du kannst mein Haus mit roter Farbe streichen, wenn dir danach zumute ist. Du kannst in meinem Garten alle Wiesen bleichen und Disteln pflanzen, wenn du traurig bist. Du kannst mit meinen Händen Karten spielen und meiner Küche in die Töpfe sehn. Du kannst nach fremden Regenbogen schielen und wie November auf die Nerven gehn und "Miriam ist doof" auf alle Mauern schreiben und Herzen ritzen in den Gartenzaun und es so bunt wie Wundertüten treiben und einen Tag aus dem Kalender klaun. Und wenn du magst, im Juni Weihnachtslieder singen, weil es im Winter jeder tut. Und meinen Garten auf die Palme bringen und überschnappen wie die größte Flut. Du kannst aus Mücken Elefanten machen, wenn wir an Elefanten liegt. Und du kannst jedes Lachen lachen, bei dem sich auch das Herz mit biegt und lauter ungereimte Sachen sagen und nur mit einem Bein fest auf der Erde stehn. Und wenn du willst, drei rosa Brillen tragen.
Doch du kannst nicht an mir vorübergehn!
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