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THEMA: Prä-postmoderne Experimentaljuristik
6 Antwort(en).
emilwachkopp
begann die Diskussion am 22.01.06 (00:01) :
Carl Hubert Krach hieß er. Der is nu auch schon tot. Obwohl er immer sieben Jahre jünger war als wie ich. Aber das Absterben geht nich immer die Reihe nach.
Dass ich mir ausgerechnet jetzt an den komischen Kauz erinnern tu, das is, weil ich doch ins Sportfernsehen so ein aweltwatschen Fragesport („Kwiss“ nannte der sich) gesehen hatte. So ein, wo man die Fragen graad eben noch versteht, die Antworten aber schon deshalb nich wissen kann, weil ein solche Sachen gar nich eingetrichtert worden sind. Einige Fragen hab ich noch in Kopp, bloß dass ich die Antworten schon wieder vergessen hab. Einmal hören reicht eben nich. Das muss ein öfter eingelöffelt werden, ehr das sitzt. „Liegt das Rostocker Ostseestadion an der Ostsee oder am Karibischen Eismeer?“ „War Sepp Herberger der erste Fußballbundestrainer oder der letzte mohikanische Herbergsvater?“ „Dauert die Halbzeit eines Fußballspiels 45 Minuten oder 300 Lichtjahre?“ „Befindet sich der Mittelpunkt eines Spielfelds innerhalb oder außerhalb des Spielfelds?“ „Ist ein Pennäler ein Schüler oder ein Dauerschläfer?“
Eins hab ich mir aber zuerst über gewundert. Wenn einer mal zufällig die richtige Antwort erraten hatte, denn hat er bloß immer eine neue Frage gewonnen. Nichts Materielles und Griffiges. Nich mal ein akademisches Diplom. „Sind die denn bekloppt?“ denk ich noch. Aber denn hab ich das doch nachher spitz gekriegt, dass man eine ganz besondere, noch schwerere, Frage auf antworten musste. Wenn man die nich wusste, denn bekam man eine phosphoreszierende Fußballmütze mit Blinklichter und Olli Kahns Autogramm drauf. Als Trostpreis. Wenn man aber die richtige Antwort wusste, denn gewann man ein Auto. Ein richtiges.
„Wie hoch ist die Umdrehungszahl einer Eistänzerin in Ekstase bei einer Pirouette, ehe sie ermattet umkippt?“
Ich find diese Frageprogramme richtig quatschig. Wie soll ich denn richtig antworten, wenn ich die richtigen Antworten gar nich weiß? Das muss ein doch alles vorher eingetrichtert werden. Hinterher is das zu spät. Denn is das Auto weg.
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emilwachkopp
antwortete am 22.01.06 (00:08):
Jedenfalls kam mir durch dieses Quatschprogramm der Carl Hubert Krach plötzlich wieder in Erinnerung. Ich glaub jedenfalls, dass der Krach hieß. Dass ich mir nich sicher bin, das liegt daran, dass wir ihn immer Hubert das Schlitzohr genannt haben. Das war, weil er doch als Kind schon immer so pfiffige Einfälle hatte. Deshalb war das. Ich weiß noch, dass er, gerade vier Jahre alt, bei unsern Gemüsehändler immer leere Flaschen geklaut hat. Die bewahrte der Händler in ein Schuppen, gleich neben den Laden, in Bier- und Brausekästen auf. Da hat der Carl Hubert sie geklaut und denn in Laden versetzt. Von den Erlös hat er sich immer Erdnüsse gekauft. Mit Schale. Als ich ihn dabei mal erwischt hab, hab ich gesagt: „Hubert“, hab ich gesagt, „das is Diebstahl.“ „Eben nicht“, hat er geantwortet. „Ich erstatte ja das Diebesgut zurück und erhalte dafür lediglich eine Belohnung.“ Ich wusste vor Staunen gar nich was ich sagen sollte. „Der wird mal Jurist“, hab ich gedacht. Und das wurde er auch fast. Aber erst als er älter war.
In Bamberg oder in Heidelberg hat er Jura studiert. Jedenfalls war das was mit Berg an Schluss. Er soll der beste Student gewesen sein. Das sagen die, die ihn kannten. Aber denn muss was schief gelaufen sein. Ich hab mal versucht das genau zu rekonstruieren, aber es is mir nich lückenlos gelungen. Er kam für drei Jahre ins Zuchthaus. „Unschuldig“, versicherte mir seine Mutter, was die Amanda Krach war. „Aber wieso haben sie ihn denn weggesperrt?“ „Weil er sich nich ordentlich verteidigen konnte. Sonst er hätte er sie Dampf gemacht.“ „Ich wollte meinen Sohn ja selber verteidigen, aber mein Mann – der Feigling – hat mir ein Strich durch die Rechnung gemacht. Der hat unsern Sohn aufs Gewissen!“ Die gutmütige Frau und liebende Mutter vertraute mir an, Richter und Staatsanwalt vor dem Prozess mit vergifteten Torten, die ihr Mann – was der Apotheker Albert Krach war – als Bäckermeister verkleidet liefern sollte, aus dem Weg zu räumen geplant hatte, da ihr für eine mehr konventionelle Form der Verteidigung die nötige Zeit der Vorbereitung fehlte. Aber ihr Mann, dessen einziges Lebensinteresse die Giftmischerei war, weigerte sich ganz entschieden sich als Bäcker zu verkleiden. Das war unter seine Würde, weil Bäcker doch damals meist noch kein Abitur hatten. Deshalb war das. Aber denn wurde seine einzige Passion schon zwei Tage später sein eignes Verhängnis. Es war überwiegend ein Unfall, stellte die Polizei fest. Na ja, für die ganz Pedantischen in dies Forum (für die Juristen) kann ich ja nebenbei erwähnen, dass es sich streng genommen um zwei Unfälle an diesem schicksalsschweren Tag im Leben des Apothekers Krach handelte. Den ersten hätte er mit Sicherheit überlebt, hätte sich der zweite nich kurz danach ereignet. Weil aber die tödliche Dosis des aasig teuren Schlangengiftes für dreihundert Elefanten gereicht hätte, schloss man Selbstmord aus. Apotheker Krach war seiner ganzen Natur nach kein Verschwender, weshalb man eher geneigt war den ersten Unfall, der auffällig knickerigen Unterdosierung wegen, als Selbstmordversuch auszulegen.
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emilwachkopp
antwortete am 22.01.06 (00:12):
Als Carl Hubert aus das Zuchthaus entlassen wurde, da hatte er einen andren Kopf auf. Ich wollte sagen: Sein Kopf hatte jetzt eine ganz andre Form, als wie wenn der runderneuert oder renoviert worden war. Und ganz komisch benommen hat er sich auch. Was das mit sein neuen Kopf auf sich hatte, das erzähl ich später mal. Jetzt möchte ich erst mal berichten, wie es überhaupt dazu kam. Das Problem is bloß, dass ich das gar nich weiß. Gerüchte gab es natürlich, aber wie soll ich beurteilen können, ob die wahr sind oder nich? Da gab es ein Gerücht, welches besagte, er solle eine zu starke Sprengladung verwendet haben, so dass die Tresortür ihn an den Kopf geknallt is. Ein andres Gerücht behauptet hingegen, die Sprengladung sei goldrichtig, d.h. fachmännisch perfekt dosiert gewesen. Die Erklärung für das Unglück wäre psychologischer Natur. Carl Hubert sei zu dicht an den Ort des Geschehens rangegangen. Aus unbezähmbarer Neugier.
Als Leihe kann ich nich beurteilen, welche von die beiden Schulen die Wahrheit sagt: die physikalische oder die psychologische. Jedenfalls war Carl Hubert, falls er wirklich eine Tresortür an den Dassel gekriggt hatte, natürlich zu bedeppert um vor Gericht die Gesetze pfiffig auslegen zu können. Und von sein Anwalt, der orthodox geschult war, konnte er keine brauchbare Schützenhilfe erwarten. Der wollte ihn glatt – simpel und vulgär – als unzurechnungsfähig in die Klapse bringen. Aber das Gericht fand, dass Carl Hubert, wenn überhaupt, erst während des Verbrechens seine Zurechnungsfähigkeit eingebüßt hatte, nich vorher, wo er sich alles ausgedacht hatte. Carl Huberts Einwand, er hätte kein Verbrechen geplant, sondern im Strukturkomplex einer höchst eigentümlichen Kombination und Verdichtung materieller Gegebenheiten spontan und ohne Absicht gehandelt, kam ihn denn auch selber so komisch vor, dass das improvisierte, vorgezogene Plädoyer in ein schallendes Gelächter seinerseits mündete. Überhaupt fühlten sich alle durch den Carl Hubert sein ständiges, brüllendes Gelächter über die tapsigen Fummeleien der juristischen Exegeten garstig genervt. Aber was eingebracht hat ihn das nich, denn das Gericht legte das als Schauspielerei aus. Er wolle durch bizarres Verhalten bloß die alberne These von sein Rechtsanwalt verifizieren: aus Eigennutz und zu den altruistischen Nebenzweck, sein pensionsreifen Anwalt zun ersten Erfolg in seiner Laufbahn zu verhelfen. So sagte der Staatsanwalt. Worauf Carl Hubert so einen unbeherrscht brüllenden Lachanfall bekam, dass sie ihn eine Beruhigungsspritze verabreichen mussten. Danach brummte, grunzte und blubberte er bloß noch so vor sich hin. Das brachte zwar den Tauziehern um die Gerechtigkeit gleichermaßen wenig Erleuchtung, aber Carl Hubert befand sich jetzt im Zustand absolut erhabener Seligkeit.
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emilwachkopp
antwortete am 22.01.06 (00:18):
Carl Hubert hatte sich den Pflichtverteidiger – den er zur Zeit seines Studiums manchmal in zweifelhaften Nachtclubs getroffen hatte – eher aus Trotz andrehen lassen, tödlich beleidigt darüber, dass seiner ersten Wahl nicht stattgegeben worden war. Da sich aber seine Oma, an Alzheimer erkrankt, seit fünf Jahren schon in einem Pflegeheim befand, hielt das Gericht diesen Wunsch für den ersten versteckten Zug einer Verteidigungsstrategie, die sich immerhin schon in ganz groben Zügen andeutete. Irgendwie tut es mir leid, dass der Carl Hubert sich nich systematisch, sondern bloß indirekt und planlos situationsbedingt verteidigen konnte. Wie gern hätte ich diesen – jedenfalls damals noch – hoch begabten Studenten im Vollbesitz seiner kognitiven Fähigkeiten agieren sehen! Es wird nämlich gemunkelt, er hätte schon lange vor seiner prophylaktischen Aktion detaillierte Pläne für seine Verteidigung entworfen. Pläne, die ihm aber in sein benebelten Zustand unbegreiflich und komisch zugleich erschienen. Er wollte mit seiner Nacht- und Nebelaktion einen geplanten schweren Betrug verhindern. Der Tresor war nömlich randvoll mit Geld voll gestopft, und das obwohl die Firma offiziell pleite war und alle Zahlungen (selbst die Auszahlung der Gehälter) eingestellt hatte. Nach der Entsorgung des Tresors, d.h. nach Richtigstellung der Dinge, wäre das Unternahmen tatsächlich mittellos gewesen und hätte gesetzlich gesehen zulässig gehandelt. Die Gehälter wollte Carl Hubert auszahlen, der Rest war die Strafe, zu der das Unternehmen und die trottelige Gewerkschaft hätten verurteilt werden müssen.
Carl Hubert hatte sich – so lange er seinen alten Kopf noch hatte – immer als Vertreter einer Experimentaljuristik verstanden. „Wahre Gerechtigkeit, Emil“, sagte er mir einmal, „kann es nur in der Welt der vollkommenen Urbilder geben. Der Geist, wenn er in die Materie fährt, verdirbt und verpfuscht sich. Wie sehr er sich aber verpfuscht, mein guter Emil, das kann nur das Experiment zutage bringen.“ Er hatte mich sogar zur Teilnahme an seinen Experimenten eingeladen und ich sollte eine Bank ausrauben. Aber nich maskiert sondern umgekehrt: nackt! Um Opfer und Zeugen oder - falls das schief gehen sollte - mich selbst unzurechnungsfähig erscheinen zu lassen. Ich hab aber abgelehnt, weil ich doch als einfacher Bierkutscher nichts von überirdische Dinge versteh. Ich kannte damals bloß den Geist aus der Flasche, und wie der sich in meiner Materie aus Fleisch und Blut verpfuschte, das weiß jeder ebenso gut als wie ich. Aber so’n büschen is mir dadurch verständlich geworden, was der Carl Hubert gemeint haben könnte. Der Inhalt der Flasche war, so lange er sich in die Flasche befand, klar und rein. Erst in mein Kopp wurde er unklar.
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schorsch
antwortete am 22.01.06 (09:53):
Willkommen auf Erden, Emil!
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Olive
antwortete am 22.01.06 (10:00):
Hihi so gut!
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pilli
antwortete am 22.01.06 (11:15):
geile frühstückslektüre!
:-)
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