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THEMA: Es geht niemals vorbei
13 Antwort(en).
pucki
begann die Diskussion am 27.01.05 (08:53) :
Am 27.1.1945 befreiten sowjetische Streitkräfte die Ge- fangenen des Konzentrationslagers Auschwitz. Eine Über- lebende ist die Schriftstellerin Cornelia Edvardson, die in Jerusalem lebt. Ein Beitrag von ihr in der heutigen Ausgabe der FAZ/ Feuilleton
Es geht niemals vorbei
Sechzig Jahre sind eine lange Zeit. Für mich dauerte der Aufenthalt im "Niemansland" noch einige Monate, die Be- freiung kam erst bei Kriegsende Anfang Mai. Obwohl - Be- freiung? Für Körper und Seele? Der Körper wurde befreit und heilte so gut es ging. Doch die Seele gehörte einer Über- lebenden und überleben ist nicht dasselbe wie leben. Nicht wirklich dasselbe. Die körperlichen Wunden können verheilen, mehr oder weniger, aber in einer Ecke der Seele ist die Erinnerung an das Wüste Land eingebrannt. Unauslöslich wie die Nummer auf dem Arm. A 3709 meldet sich zur Stelle. Jawohl, Frau Lagerführe- rin! Und das Wissen, daß niemand diese Einsamkeit je ver- stehen wird, nicht ganz. Mit T.S. Eliot könnte ich sagen: "Ich bin Lazarus, komme von den Toten, um euch alles zu sagen, ich werde euch alles sagen." Aber es wäre ja sinnlos, wenn man später sagen müßte: "Das ist es überhaupt nicht, das habe ich überhaupt nicht gemeint." Schon früh lernte ich, daß die Menschen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht zuhören wollen. Überdies fehlten mir die richtigen Worte. Und dann gab es ja das Leben. Das Leben, das verlangt, gelebt zu werden. Kinder, die geboren werden wollen und sollen und nach bestem Vermögen betreut, Männer und Arbeit, immer wieder Arbeit. All das nahm ich mit Dank- barkeit an, um seiner selbst willen, aber auch, weil es das Wüste Land bevölkerte. Doch auch Überlebende werden alt. Das Leben reduziert sich, die Kräfte schwinden, die Einsamkeit breitet sich aus, und die Schutzmauern stürzen ein. Dann, wenn nicht schon früher, weiß man: Es gibt kein Eintkommen mehr aus dem Wüsten Land. Es geht nie vorbei. Niemals.
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schorsch
antwortete am 27.01.05 (09:01):
Ach wie sehnsuchtsvoll warten doch einige Schergen jener Zeit darauf, dass endlich der letzte Mahner von dieser Erde verschwinde......
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iustitia
antwortete am 27.01.05 (11:04):
Ich verweise auf unsere frühere Diskussion zum Über-Leben und zum Werk der Cordelia Edvardson - einer Frau mit einem wahrlich prophetisch-wahnsinnigen Schicksal - aus katholisch-jüdischem Elternhaus der Elisabeth Langgässer - in die Folterstätte eines ruhmsüchtigen Mengele im KZ Auschwitz. * Und sie hat auch im vorigen Jahr noch als Journalistin kritische Beiträge gegen den Panzer-Scharon geschrieben. * Zu einem Zeitpunkt, als die Familien Langgässer und Wilhelm Lehmann noch nicht wussten, ob das Mädchen überlebt hatte, schrieb Lehmann in einem besonders wichtigen Gedicht: "Kordelias leises Lachen hallt / durch die Jahrhunderte." (W.L.: "Atemholen") * Es ist natürlich auch ein Anklang an die "Kordelia", die Tochter des King Lear. * Beliebige Information aus dem Internet:
Cordelia Edvardson (* 1929 in Berlin), lebt und arbeitet in Jerusalem/Israel Stationen u.a.: Tochter der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer. Als "Halbjüdin" wird sie in die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz eingelebt, die sie aber überlebt. 1945 geht sie nach Schweden. Seit 1962 lebt sie in Jerusalem. Arbeitsgebiete: Gedicht, Erzählung, Roman Veröffentlichungen (Auswahl): Gebranntes Kind sucht das Feuer, Roman (1986 - Übertragung Peter Lindberg). * Ja, ich habe in jeder Abitur-Gruppe Werke von Länggässer und ihrer Tochter dem befreundeten Lehmann vermittelt; sie sind Zeichen der Hoffnung und Überwindung von Antisemitismus und kriegerischer Gewalt. (Was es ja nach Meinung derer, die sie praktizieren, nicht geben kann.) * Bis solche Bildungsgrundsätze nicht in Deutschland allgemein von Lehrern vermittelt, gar von PISA-Konstrukteuren europäisch berücksichtigt werden, gibt es Defizite, an Wissen, Gesinnung und politische Verantwortung. * Aber wem hier im ST würde ich wohl schon solch eine Bildung zumuten mögen...? Dem Laien-Kaleu "aarleu"? * Aber erinnern werde ich immer, wenn es nötig ist. * Und wenn Schorch sein letztes Buch verramscht hat, schenk ich ihm "Gebranntes Kind sucht das Feuer" von E. Edvardson (als dtv); damit er noch mal von vorne anfangen kann, mit Kultur. (Von der in einem anderen Thema so vollmundig gequatscht wird - ohne ein konkretes Beispiel aus unserem letzten Jahrhundert! Das muss wohl an einem Schwatzbedürfnis liegen; an partikuläre Zwangswiederholungen der Gesinnungsaufsätze aus der Schule.)
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carla
antwortete am 27.01.05 (16:25):
Für den, der als KZ-Häftling das 3. Reich überlebt hat, wird diese Zeit nie wirklich vergessen und verarbeitet sein - denke ich. Ich bewundere Menschen wie Mannheimer, die informieren ohne Haß, ohne Schuldzuweisung an alle Deutschen, teilweise sogar tröstend, wie heute im Tagesgespräch von BR2Radio.
Ich verstehe aber auch junge Menschen, geboren etwa nach 1960, die nichts mehr vom Holocaust wissen wollen, weil sie keinerlei Verbindung zu sich selbst mehr sehen. Der Versuch, ihnen klar zu mache, was es hieß, im 3. Reich zu leben und Mensch zu bleiben, ist wichtig.Ob er gelingt, ist eine andere Frage. Der Versuch, ihnen klar zu machen und zu schildern, was es hießt, im 3. Reich Jude, Sinti, Roma, Homosexueller oder eben "Politischer" zu sein, ist heute fast nicht mehr möglich. Der Versuch, die Grauen der Vernichtungslager zu beschreiben, ist wichtig, aber fast nicht möglich.
Ob dieses Nicht-Verstehen der Generationen nach dem Krieg etwas mit Kultur oder Unkultur zu tun hat, möchte ich dahingestellt sein lassen. Daß die Haltung vieler Juden im und nach dem 3. Reich sehr viel Kultur beweisen, ist für mich klar.
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Karl
antwortete am 27.01.05 (18:42):
@ Carla,
ich bin 1948 geboren. Alles, was ich über Auschwitz weiß,
ist aus Filmdokumenten, Büchern, Zeitungen. Das, was ich daraus lernen konnte, ist die Ungeheuerlichkeit des
Holocausts und das hat - wie unter Politik beschrieben - bei mir zu der anhaltenden Verpflichtung geführt,
mich gegen alles zu wehren und zu Wort zu melden, was zu einer Wiederholung solchen Tuns führen könnte.
Was,
so frage ich, sollte "junge Menschen, geboren etwa nach 1960" davon abhalten, bei sogar verbesserter Quellenlage und einem wesentlich geordneterem Informationsangebot über diese Zeit, ähnlich erschüttert zu sein und ähnliche Verpflichtungen zu empfinden?
Ob 1948, 1960 oder 1980 geboren, der Versuch, die Grauen der Vernichtungslager zu beschreiben, ist wichtig, notwendig und innerhalb gewisser Grenzen auch möglich!
Mit Sorge sehe ich manchmal die Tendenz von Nichtdeutschen, das Problem des Holocausts als allein deutsches Problem zu sehen. Hier besteht die Gefahr, dass ähnliche Tendenzen in neuen historischen Zusammenhängen und an neuen Schauplätzen übersehen werden.
Leider ist die Gefährdung eben nicht auf Deutsche beschränkt. Es ist auch nicht der Antisemitismus allein, sondern allgemein der Rassismus, den es zu bekämpfen gilt in allen seinen Schattierungen. Die Nationalität von Opfern und Tätern ist letztlich austauschbar. Nur wenn alle das im Auge behalten, sind ähnlich schreckliche Entwicklungen hoffentlich rechtzeitig zu vermeiden.
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ueberhaupt
antwortete am 27.01.05 (19:39):
@Schorsch: Die "letzten Schergen" waren zur Zeit dieser Verbrechen um die 20 Jahre alt; ein Alter, in dem viele Straftäter heute nach Jugendstrafrecht bestraft werden....Und damit ich für diese Anmerkung nicht in die rechte Ecke geschoben werde: Ich habe bei dem Film "Schindlers Liste" geweint.
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carla
antwortete am 27.01.05 (22:15):
"Ob 1948, 1960 oder 1980 geboren, der Versuch, die Grauen der Vernichtungslager zu beschreiben, ist wichtig, notwendig und innerhalb gewisser Grenzen auch möglich!"
Es wird ja versucht, Karl, und ich finde, es wird sogar sehr häufig und in vielerlei Weise versucht, den Holocaust zu beschreiben. Ich habe nur meine Zweifel, ob die Menschen dieser Jahrgänge noch häufig dieses Grauen nachempfinden. Ich höre sehr oft den Satz "jetzt hört doch endlich mal auf damit, ich hab damit nichts zu tun" ... Mehr als informieren kann man nicht. Wenn kein Interesse da ist, kann man es in niemand hineinzwingen. - Das meinte ich.
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Lara
antwortete am 27.01.05 (23:03):
Hallo carla,
ich sehe das etwas anders als Du. Ich bin 1944 geboren und weder in meiner Schulzeit noch in meinem Elternhaus wurde über die Judenverfolgung gesprochen.
Erst als ich etwa 14 oder 15 Jahre alt war, waren meine Eltern sehr aufgeregt, sie hatten eine Aufforderung zur Wiedergutmachung bekommen. Meine Eltern hatten von einer jüdischen Familie ein Gebäude erworben, und wurden nun von einem Anwalt der Familie auf Entschädigung verklagt.
Was genau passiert ist weiß ich nicht, nur dass meine Eltern viele Jahre einen monatlichen Betrag an den Anwalt der Familie zahlten.
Das war damals Anlass für mich mit dem Thema zu befassen. Von meinen Eltern bekam ich nie eine vernünftige Auskunft. Für mich selber war es sehr unverständlich da meine Eltern sehr christlich eingestellt waren.
Ich möchte nicht schweigen und auch meine Kinder sind von mir informiert worden.
Sie sind 1971 und 1974 geboren und sehr wohl an dem Thema interessiert
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carla
antwortete am 27.01.05 (23:15):
Lara:-): heute im Tagesgespräch hat eine Frau fast wörtlich das gleiche gesagt...
Meine Eltern waren durchaus auskunftsfreudig; sie hatten mehrere jüdische Freunde aus den Augen verloren und freuten sich sehr, als sie hörten, daß die nach Palästina gekommen waren. Ich habe meinen Kindern erzählt, was ich wußte. Sie haben in der Schule sehr, sehr viel über das Dritte Reich und den Holocaust gehört. Und genau deshalb mochten sie irgendwann gar nichts mehr darüber hören. - Es ist einfach so.
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Tobias
antwortete am 28.01.05 (00:25):
Es geht nie vorbei pucki, mit und ohne Richtersprüche " Im Namen des Volkes " mit und ohne Gesetzen auch wieder " Im Namen des Volkes ". Wie kann dann soetwas vorbei gehen.
Schuld daran tragen die Nachkommen nicht, aber sie haben die verdammte Pflicht diese Schandtaten, die im Auftrag deutscher Bürger im Großdeutschen Reich durchgeführt wurden, nie aus dem Gedächtnis zu verlieren.
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Eumeline
antwortete am 02.02.05 (13:12):
Auch nach 60 Jahren sickert immer mehr durch...nur leider traun sich so wenige. Das neue Buch von: Eva Schweiter - ist mal wieder ein PUZZLESTEINCHEN - zugut gehüteten Geheimnissen - mehr. Empfehlung: "Amerika und der Holocaust" - eine verschwiegene Geschichte
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Miriam
antwortete am 02.02.05 (13:43):
Im Zusammenhang mit der hier geführten Diskussion, die ich als sehr sensibel und nachdenklich empfinde, hat mich immerwieder das Problem des Berliner "Denkmal für die ermordeten Juden" beschäftigt.
Um es vorweg zu sagen: das Denkmal ist nicht ein Problem der hier lebenden Juden, sondern ein Problem der Nichtjuden in Deutschland. Aber als Jüdin, hat mich so manches gestört: die Grösse des Denkmals, die Debatten rund um seiner Errichtung, und auch die Tatsache, dass so wenige wissen, dass eine der Initiatorinen, Lea Rosh, keine Jüdin ist, sie hat sich diesen Namen gewählt und wollte damit auch ein Zeichen setzen. Aber da die meisten sie als Jüdin hielten, sah es nun aus, als würden sich die Opfer selber ein Denkmal setzen. Was natürlich schon grotesk wäre...
Ich habe nun die Auffassung und Stellungnahme von Michael Naumann gehört und gelesen, möchte sie hier einbringen, weil sie differenziert und intelligent ist - und auch weil ich damit völlig übereinstimme.
Internet-Tipp: https://www.3sat.de/kulturzeit/themen/75147/index.html
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klaus-h-w
antwortete am 07.02.05 (21:42):
Miriam! in eine Diskusion über das zu bauende Denkmal fragte ein Jornalist warum dieses Denkmal denn nur den jüdischen Ofpern geweiht würde. Antwort:" wenn die Roma Sinti und all die anderen Opfer ein Denkmal haben wollen sollen sie sich doch eins bauen" Es ist ja noch platz. Rate mal wer das gesagt hat
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schorsch
antwortete am 08.02.05 (08:51):
Ich denke, wollten die Deutschen für die Schandtaten ihrer Vorfahren ein Denkmal setzen, müsste das ganz Europa überspannen.....
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