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THEMA: Erdbeben kann der Mensch nicht beeinflussen, die Folgen schon
46 Antwort(en).
Karl
begann die Diskussion am 28.12.04 (10:52) :
Noch immer wachsen die Opferzahlen in Südasien. Die durch das Erdbeben im indischen Ozean ausgelösten Flutwellen haben Zigtausende in den Tod gerissen. Ohne Vorwarnung wurden sie von dieser Naturkatastrophe überrascht. Dabei hatten amerikanische und japanische Sensoren im Pazifik die Erschütterungen registriert und lokalisiert, aber nur an die eigenen Küsten weitergemeldet, dass für Japan und Kalifornien keine Gefahr bestehe. Es gab keine Kommunikationsschiene zu Verantwortlichen in den von der Flutkatastrope betroffenen Ländern.
Die erste Anmerkung ist also, dass eine Frühwarnung prinzipiell möglich ist. Es gab sie nicht, weil ihre Installation sehr teuer ist.
Die hohen Opferzahlen haben aber auch noch andere Gründe. Betroffen sind zwei grundverschiedene Menschengruppen:
1. Touristen und ihre einheimischen Versorger Häufig wurden die Hotels im Bungalowstil (Flachbauweise) direkt ans Meer gebaut. Der Pauschaltourist will keine weiten Wege haben, sondern am liebsten vom Balkon direkt ins Meer springen können.
2. Slumbewohner, vor allem in Südostindien, die häufig direkt an den unbefestigten Küsten ihre Hütten in Leichtbauweise erbaut haben, weil sie anderenorts keine Platz gefunden haben und sich vom Fischfang ernähren. Wer solche Hütten einmal gesehen hat, weiß, dass sie keinerlei Schutz bieten können und von einer Riesenwelle komplett weggespült werden können.
Die zweite Anmerkung also ist, dass die Menschen allzu vergeßlich sind. Tsunamis hat es bereits in der Vergangenheit fürchterliche gegeben, aber die Lehren wurden nicht gezogen. Die bislang schwerste Tsunami-Katastrophe wurde am 27. August 1883 vom Ausbruch des Vulkans Krakatau ausgelöst. Eine 30 Meter hohe Welle brandete damals an die Küsten von Java und Sumatra, mehr als 36.000 Menschen kamen ums Leben.
Wenn sich die Lage wieder beruhigt hat, steht zu befürchten, dass in zwei, drei Jahren wieder baugleiche Hotels wie auch Slums an den alten Plätzen errichtet werden. Die Touristen wollen ihren Pauschalurlaub möglichst billig, viele Einheimische glauben gar keine andere Wahl zu haben. Der Mensch ist ja so vergeßlich - oder diesmal etwa nicht?
Zumindest was das Frühwarnsystem angeht sollte es doch möglich sein in einer internationalen solidarischen Anstrengung globusweit ein System zu etablieren, das nicht nur Japans und Amerikas Küsten schützt.
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Roby
antwortete am 28.12.04 (12:26):
Seismologische Frühwarnsysteme im indischen Ozean fehlen nicht weil sie zu teuer sind, sondern weil sie angeblich kaum jemanden nützen würden – außer den Armseligen an den Küsten. Das bringt aber fast keinen Gewinn.
Solche Frühwarnsysteme, wären sie billig – sie würden trotzdem nicht installiert. Es ist für Neckermann u. Co. billiger, neue Hotels in Typenbauweise zu errichten, als sich maßgeblich am Frühwarnsystem und seinen notwendigen ergänzenden Einrichtungen zu beteiligen. Die Warnung allein kann nur wenige Menschen retten. Es müssen daher auch Möglichkeiten zum Schutz – außer wegrennen – geboten werden.
Frühwarnsysteme dienen den USA und Japan nicht nur zum Schutz der Küstenbewohner, sondern vor allem zum Schutz ihrer profitablen Anlagen auf und am Meer. Ursprünglich waren sie von den USA und Russen auch zur Überwachung atomarer Versuche gedacht gewesen. Relikte des kalten Krieges.
Der Pauschaltourist ist nicht am Übel der Billigbauweise schuld. Das sind jene, die möglichst viel mit möglichst wenig Investitionen kassieren wollen. Darunter viele Deutsche. Jedoch: Auch teure Hotelbauten würden einen solchen Tsunamis nicht wiederstehen können. Ob also billig oder teuer gebaut wird – das hat bei einer meterhohen Welle keinen Einfluss auf die Opferzahlen. Die Masse der Opfer war sowieso nicht in einem Hotel.
Es ist menschenverachtend und zynisch, wenn man sagt, dass die Slumbewohner selbst Schuld haben an ihrem massenhaftem Tod. Natürlich könnten sie ihre Slums auch woanders errichten. In den Bergen, den Regenwäldern – eben dort, wo die Aussichten auf Arbeit und Nahrung noch viel geringer sind....
Und es ist nicht die Vergesslichkeit der Menschen, die Investitionen zum Schutz von Menschenleben behindert – es ist die menschenverachtende, auf den persönlichen Profit bedachte Denk- und Handelsweise einiger weniger reicher und maßgeblichen politischen Einfluss habender Leute.
Nein, – es wird auch hiernach noch kein Tsunamis Frühwarnsystem im indischen Ozean geben.
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mart
antwortete am 28.12.04 (12:49):
https://www.portugalvacances.com/german/general/tremblement%20terre%201755.htm
Das Erdbeben von Lissabon und die davon ausgelöste 15 m hohe Flutwelle hatte 1755 allein in dieser Stadt 60.000 Tote zur Folge.
<<Der Pauschaltourist ist nicht am Übel der Billigbauweise schuld.<< (Roby)
No, na, net !
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Karl
antwortete am 28.12.04 (14:28):
@ roby,
allein der Preis für ein Frühwarnsystem ist tatsächlich nicht entscheidend, sondern es spielt auch eine Rolle, wer von dem Frühwarnsystem profitiert, da gebe ich Dir Recht. Die Kosten des Nichthabens sind nun aber wohl hoch genug, um an eine Änderung zu denken. Nirgends habe ich den Slumbewohnern "Schuld" gegeben, aber wie schön ist es doch, anderen Zynismus vorwerfen zu können.
<<Der Pauschaltourist ist nicht am Übel der Billigbauweise schuld.<< (Roby)
Da möchte ich (nur) teilweise widersprechen. Es ist leicht immer alles den wenigen "bösen" Unternehmern in die Schuhe zu schieben, aber die vielen Konsumenten (hier des Urlaubs), die nur an den schnellen, möglichst billigen Genuss und nicht an Sicherheit denken, frei zu sprechen.
Es ist übrigens, auch hier möchte ich Roby widersprechen, schon ein Riesenunterschied, ob ich in dem vierten Stock eines massiv gebauten Hotels hinter Ufermauern sitze oder in einem Bungalow in Meereshöhe. Die Bauweise hat einen großen Einfluss auf die Überlebenschance.
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Karl
antwortete am 28.12.04 (14:57):
Inzwischen werden auch mehrere Hundert deutsche Touristen vermisst und die Liste der Toten ist insgesamt auf über 40000 angestiegen:
Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/panorama/0,1518,334667,00.html
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pilli
antwortete am 28.12.04 (15:15):
die wenigsten opfer gab es, wenn ich den berichten glauben darf, in den hotels. wer aber einmal an ort und stelle gewesen ist und sich davon überzeugt hat, wie der grossteil der menschen in diesen ländern gezwungen ist, zu *wohnen* und sein leben unter erbärmlichsten bedingungen zu fristen, der wird schon überlegen ob ein "Frühwarnsystem" zu nutzen sinnvoller wäre als für stabilere unterkünfte zu plädieren.
ein paar rohe bretter, grob zusammengehauen und alte decken auf dem dach...that`s oft all! jeder baucontainer schien mir seinerzeit sicherer zu sein! hier wird kein reiseleiter die ferien-gäste hinführen und auch wenig spenden erreichen je diese empfänger. ich sah verschläge an verkaufs-buden angebaut, wo es kein wasser und auch keinen strom gab. die bewohnerin, eine mutter mit drei kindern teilten sich den raum und schliefen auf zwei matratzen. es hatte einen (!) wackligen stuhl und wenig regale mit kleidung.
und doch scheuten sich deutsche und auch sicherlich andere senioren nicht, diesen raum und die matratze mit der jungen Thailänderin zu teilen!!! (den deutschen senior entdeckte ich mit seinen reise-kumpanen im Hotel wieder) :-(
wie lange wohnten auch die überlebenden des erdbebens in Agadir in ihren zelten, vergessen von vielen? erst vor zwei jahren besuchte ich dieses terrain und unterhielt mich ´mit dem einheimischen taxifahrer, der mir während der fahrt dahin, berichtete, dass die "umgesiedelten" nach wie vor die angst spüren; ist doch der neue verbleib gleich unsicher gebaut; in fast jeder familie gab es seinerzeit tote familienangehörige.
welche folgen könnten eigentlich so beeinflussend wirken, dass die jetzt immer noch reisewilligen in die katastrophen-gebiete nicht die Hotline zumüllen mit ihren nachfragen; wann wieder gereist werden könnte?
da liegen tote menschen am strand oder hängen noch in den bäumen (soeben bei der ARD gesehen) und schon will mann oder frau wieder das reise-ränzlein schnüren um vielleicht hautnah-erlebnisse zu spüren? :-(
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iustitia
antwortete am 28.12.04 (17:30):
Dank Dir, pilli, für etliche Beiträge (nicht immer wg. der Meinung, aber wg. Deiner Sprache und Deiner Menschlichkeit). Dank auch für Information durch Karl * Zum "Paradies"-Tourismus gab es schon öfter Anlass, über solchen Unsinn nachzudenken, unabhängig von "biblischen" Katastrophen, egal ob Deppen, Prinzen, Politiker oder Lehrer mal schnell irgendwohin flogen, wo sie in soziale oder sonstig irdische Konflikte gerieten: * Es führte immmer in die zwar geografisch oder klimatisch "edelsten" Länder, aber in die eldendesten, ärmsten (samt AIDS, Prostitution, Menschrechtsverletzungen und Militärwesen, wg. der "Sicherheit"). * Gelder und kapital egoistische Konsum-Bedürfnisse dorthin geschleppt, haben kaum dafür gesorgt, dass es in diesen Armenhäusern einen Wandel im Materiellen, in der Kultur und für einen demokratisch geregelten Frieden gab. * Das Geld, das dort mit der Dienstferigkeit der Armen erwirtschaftet wird, fließt auf wenige Konten im Ausland, ob für Konzerne oder Königshäuser oder Mafia-Bosse. * Dort prägen $- oder €-Könige das soziale Klima; es werden religiöse oder geologisch-natürliche Bedingungen plattgewalzt. * Nein, die Natur der Erde rächt sich da nicht. Auch nicht die Götter für Unbill. Die Natur ist in diesen geologischen Bedingungen "chaotisch"; aber wir im Westen würden uns nicht darum kümmern (so wenig wie bei anderen Beben oder Taifunen oder sozialen "Schlachten" und Guerillakämpfen), wenn nicht "unsere" Weihnachts- oder Sonnentouris da zu Schaden gekommen wären. * Ob jetzt die UN-Hilfsorganisationen eine Chance kriegen, auch Gelder genug, um nicht nur wieder für die paradiesische Genusssucht ein bisschen sicherere Unterkünfte und mehr Komfort für Pauschalkonsumenten als Flüchtlinge aus unserem Klima prima ertragreiche Investitionen zu ermöglichen?
(Nein, der Körperklotz Kohl hat durch seinen Transport hin zu Ayurweda-Spezialitäten (Flüssigbutter, weiße Illusionen, Verneigungstheater, Geklingel, Doppelmassage am Mann) in Sri Lanka nicht das tektonische Gleichgewicht gestört. Das machen solche Körper und Kapialexisenzen durch Gelder und Mentalität.)
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maggy
antwortete am 28.12.04 (20:07):
Auszüge aus dem unten angegebenen link:
Südasien Schon aufgrund des nach wie vor dramatischen Bevölkerungswachstums droht eine weitere Zunahme vielfältiger Risiken für Umwelt und ökologische Stabilität: Der Druck auf die wenigen verbliebenen Naturräume läßt nicht nach, der Energiebedarf wachsender Volkswirtschaften muß befriedigt werden, die Wälder im Himalaya schwinden, die Erosion nimmt zu, gleichzeitig wachsen Überschwemmungsgefahren und Wasserknappheit; die teilweise äußerst intensive Landwirtschaft wird auf längere Sicht die Böden überfordern; eine geordnete Abfall- und Abwasserwirtschaft existiert allenfalls in Ansätzen. Der Stand der Integration Südasiens in die Weltwirtschaft bleibt unbefriedigend. Lediglich 1,1 Prozent des Welthandels und 0,36 Prozent der weltweiten Direktinvestitionen entfallen auf die Region.
Die Erfolge indischer Software- oder Pharma-Unternehmen zeigen, wie die allmähliche Öffnung auch in Südasien zunehmend neue Wirtschaftspotenziale schafft. Ihr Beitrag zur Entwicklung der Region ist hoch. Deshalb muß überall wirtschaftliche Reform- und Öffnungspolitik sowie die dringend notwendige Verbesserung der Infrastruktur unterstützt werden. Nur so werden sich internationale Kapitalströme vermehrt nach Südasien lenken lassen und die Länder der Region in der Lage sein, die für umfangreicheren Handel erforderlichen Devisen selbst zu erwirtschaften.
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Um zukünftig mit solchen Katastrophen und den Folgen anders umgehen zu können, muß also dringend die Infrastruktur verbessert werden. Das schafft Südasien aber nicht allein.
Internet-Tipp: https://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/asien/konz_suedasien.pdf
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iustitia
antwortete am 28.12.04 (20:46):
Wie sich touristische Paradiesbesucher und Herrschaften und Wichtigkeitstuer, die zwei Tage später, gesund und versorgt innerhalb von zwölf Stunden über den halben Erdball nach Hause jetten konnten, beklagten, dass sie so schlecht versorgt wurden...! * Ob dieses irdische Menscheitsdrama bewirkt: * dass Silvester nicht geböllert wird – sondern Stille gehalten und gespendet? (Wie AM Fischer anregte.) * Idiotien wie Schnee-Schauspiele „AufSchalke“ in diesem Winter nicht mehr stattfinden? * Kirchen mindestens zehn % vom Besitzvermögen spenden? Und Staaten mindestens zehn % ihrer Militärhaushalte? Und keine militärischen Ausgaben mehr fortan planen in Entwicklungsländern. * (Puh - die USA sitzen im Irak allerdings noch auf einem Pulverfass, weil sie es dort und in Guatanamo nicht geschafft haben, demokratisch und human geistigen und materiellen Sprengstoff einzukassieren. (Um die Lagerstätten rauszukriegen, haben sie wohl niemanden gefoltert.)
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mart
antwortete am 29.12.04 (01:21):
Und der ehemalige Paradegrüne, Paradelinke, Paradedemonstrierer weiß sich heute großbürgerlich gesittet zu benehmen:
Fischer spricht Erdbebengebieten Beileid aus
Berlin (AP) Bundesaußenminister Joschka Fischer hat den betroffenen Staaten des schweren Erdbebens in Südostasiens sein Beileid ausgesprochen. «Mit großem Entsetzen haben wir von dem Seebeben im Indischen Ozean erfahren», schrieb Fischer in einem Telegramm an die Außenminister von Sri Lanka, Indonesien, Indien, Thailand, Bangladesch, Malaysia und Malediven am Sonntag. Deutschland sei «bereit, unseren Partnern bei der Bewältigung dieser schweren Krise Hilfe zu leisten», erklärte er.
https://www.auswaertiges-amt.de/
Und ebenso werden die sich hier bekennenden Thailandurlauber, die das Elend der ausgenützten Menschen aus erster Hand angeblich erkundet haben, aber natürlich nie selbst daran beteiligt waren, ihren Obulus entrichtetn. Grins
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Karl
antwortete am 29.12.04 (08:15):
Allen Unkenrufen zum Trotz ist internationale Solidarität gefragt. Wir wollten billige Urlaubsregionen, damit haben wir Verantwortung übernommen.
Auch ich sehe den internationalen Paradiesurlaub, der die Außenwelt häufig ausklammert, als problematisch an, aber daraus Argumente zu ziehen, jetzt über Spendenforderungen zu lästern, ist traurig.
Dieser Tsunami wäre auch ohne Tourismus entstanden, aber ohne Tourismus wäre der Tod in den Slumvierteln von uns weitgehend unbeachtet geblieben. Tourismus hat unseren Horizont durchaus erweitert. Ohne Frage - oder wer will dies zynisch verneinen - ist internationale Hilfe für alle betroffenen Gebiete gefordert.
Auch wenn die Forderung Fischers, auf die Silvesterknallerei zu verzichten, etwas hilflos wirkt, eine Welle der Solidarität ist das mindeste, was wir der Riesenwelle entgegensetzen müssen. Natürlich ist es mit privaten Spenden nicht getan. Die Staaten müssen helfen und nach den Direkthilfen haben Taten zu folgen, die nachhaltig die Vorwarnung vor Tsunamis und den Schutz vor Ort verbessern.
Hier ist noch einmal die Liste der Spendenadressen:
Internet-Tipp: /seniorentreff/de/diskussion/threads/thread2387.php
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schorsch
antwortete am 29.12.04 (10:02):
Fast alle Bewohner der betroffenen Gebiete leben heute vom Tourismus. Auf 10 Einwohner kommt ein Ernährer, der irgendwo im Tourismus-Sektor beschäftigt ist. Die übrigen Einwohner sind entweder Zulieferer oder "unproduktive" Familienmitglieder.
Gestern sah ich einen indischen Journalisten im Schweizer Fernsehen. Er erklärte dem Publikum, wie die asiatische Seele mit solchen Katastrophen umgeht: Beten, opfern.....und darauf hoffen, dass Gott nächtes Mal humaner umgeht mit ihnen! Und mit dieser Hoffnung lebt man - und baut seine Hütte wieder genau dort auf, so die alte weggeschwemmt wurde! Wo denn sonst? Es gibt ja niemand den Strand-Slum-Bewohnern ein anderes Areal zum Bauen!
Wetten dass: Die Güter, die jetzt gesammelt und in den Ländern dort eingekauft werden für die Überlebenden, verhalten sich wie wenn man einen Eimer Wasser in den Sand schüttet: Die nähere Umgebung lebt davon, die wirklich Bedürftigen bekommen noch ein paar Spritzer ab!
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Karl
antwortete am 29.12.04 (10:48):
Lieber Schorsch,
die menschliche Ratio wird viele Gründe finden können, nichts zu spenden. Ich sehe aber (und jeder der hinhört und zuschaut erkennt das), dass direkte Hilfe jetzt nötig ist, denn Seuchen drohen und Versorgungsengpässe sind schon da.
Es ist möglich, Direkthilfe durch Spendengelder zu fördern und möglich, Einfluss auf die Politik zu nehmen, dass sich langfristig etwas ändert und das reine Gottvertrauen durch reale Taten zu ersetzen.
Es ist möglich Entschuldigungen zu finden, weder das eine noch das andere zu tun, aber sind sie nicht nur ein Vorwand? Geiz ist geil?
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iustitia
antwortete am 29.12.04 (13:36):
Wg. F i s c h e r: Ja, er ist der Außenminister aller Deutschen. Und kein schlechter. Das er "Paraden" gefahren ist, na; man kann ihn auch als engagierten Opportunisten bezeichnen. Aber er hat die Rolle seiner Lebens gefunden, niemandem zum Nachteil in Deutschland. (Z. B. baut er keine "Drohkulissen" auf, um mal an Merkeleien zu erinnern.) @ Karl: "Geiz ist geil!!" Ja, das zu zitieren, finde ich einen guten Anklang! Wirtschaftlich gesehen, leben wir hier doch (fast) alle im Konsum-Paradies im Vergleich zu diesen Armutsländern, mit von westlichen Schick und touristischer Begehrlichkeit diktierten Traumhotels. Da fliegen doch keine sanften Touris an die Traumstrände. (Außer wenn sie eine Reportage darüber schreiben wollen und finden, dass es keine öffentliche Kanalisation und Kläranlagen gibt, sondern auf die Komfort-Anlagen bezogene Müll- und Sickergruben; versteckte Bereiche, natürlich nicht am Sandstrand.)
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Wolfgang
antwortete am 29.12.04 (14:24):
In ein paar Tagen wird der Spuk vorbei sein, das Event abgehakt, die Kameras dann abgebaut, die Touristenkarawane wird sich woanders hin verzogen haben. Auch im ST wird dann das so begehrte Spendenthema im Archiv verschwunden sein. Die Welt, so, wie sie ist, wird es dann immer noch geben, die Armen (die wie immer am meisten zu leiden haben) und natuerlich auch dei Reichen (die, wenn sie nicht gerade versoffen sind, sich schnell werden zu helfen wissen). War was, werde ich in ein paar Wochen hier noch mal fragen. Und, wenn ihr ehrlich seid, werdet ihr antworten: Nein, viel war nicht fuer uns... Nur ein wenig Medienzirkus und ein bisschen Gruseln zwischen Entenbrust und -keulen (aus dem Original-1910-Braeter) und einem Schluck Wein.
Geiz sei geil, heisst es. Leider stimmt das nicht und ist nur ein Slogan westlicher Menschen, an den sich so gut wie niemand haelt. Waere doch Geiz geil ! Die Welt waere sicherer ! Vor allem die Armen stuenden besser da und waeren nicht auf Almosen angewiesen und auf penetrante 'Spender' (wenn sie denn tatsaechlich spendeten und dies nicht nur im ST-Forum verkuendeten) !
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iustitia
antwortete am 29.12.04 (17:05):
Zwei Berichte, beide in der FAZ, haben mich beeindruckt: einmal menschlich-mitfühlend, aus Sri
Lanka:
Ein Puzzlespiel des Glücks - von Cornelia von Wrangel
29. Dezember 2004 Sie hatte es sich
so schön vorgestellt: ein paar Tage am Strand mit der Kollegin, die längst zur Freundin geworden ist. Anke
Schürmann und ihre Freundin arbeiten bei der Welthungerhilfe, die eine in Indien, die andere in Sri Lanka. (...)
https://kuerzer.de/F0RYYWXfE
* Dann der zweite, wissenschaftl. Report von Horst Rademacher über Tsunamis (tatsächlich seit 47 vor Chr.! nachweisbar):
https://kuerzer.de/9LR3ngrfT
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Karl
antwortete am 29.12.04 (17:44):
@ wolfgang,
ich war ja versucht iustitias ewig lange URLs, die ich soeben manuell gekürzt habe, als Mantel des Schweigens über deinem Beitrag liegen zu lassen.
Wie intellektuell von jeder Menschlichkeit abgehoben muss man eigentlich sein, um angesichts des realen Dramas, das sich vor unseren Augen abspielt, von einem "Event" zu reden?
Es mag ja sein, dass einige Fernsehanstalten und auch einige Privatpersonen jede Gelegenheit verwenden, um sich zu produzieren, aber was bedeutet das schon angesichts des nicht wegzudiskutierenden Leids, das uns entgegenschlägt?
Die Katastrophe ist nicht vorbei, sondern für die Überlebenden beginnt sie gerade. In dieser Situation das "so begehrte Spendenthema" ins Lächerliche zu ziehen und eitle Spenderinnen aufs Korn zu nehmen, ist - um die geringste Verfehlung anzunehmen - meilenweit am eigentlichen Problem vorbeigeschossen. Das reale Problem sind jetzt auch nicht die Medien, die uns die Katastrophenbilder ins Wohnzimmer liefern, sondern ohne diese Medien hätten die - wie sich herausstellt - hunderttausenden überlebenden Opfer eine viel geringere Chance Seuchen, Wasser- und Hungersnot zu entkommen.
Diese gewaltige Naturkatastrophe ist jetzt Fakt und es bringt wenig jetzt, wo Direkthilfe Not tut, ideologische Leerformeln zu verbreiten. Hilfe tut Not und zwar sofort - ohne Ideologie, mit den eigenen Händen oder wenigstens mit dem eigenen Geldbeutel:
Internet-Tipp: /seniorentreff/de/diskussion/threads/thread2387.php
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hl
antwortete am 29.12.04 (18:00):
Lieber Karl, ich unterstreiche Wolfgangs Kommentar Wort für Wort! (Bis auf den letzten Klammersatz, da es mich nicht interessiert wer spendet oder nicht)
Lies doch einmal in den Archiven, hier und in den Zeitungen. Was hat sich wirklich geändert nach den vergangenen Katastrophen? Nichts! Das gleiche Bühnenbild wurde wieder neu aufgebaut mit dem Wissen, dass das gleiche "Schauspiel" sich wiederholen wird.
Die Spendengelder füllen gerade einmal einen hohlen Zahn, der ein oder zwei Jahre später wieder neu saniert werden muss. Was soll das alles?
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hl
antwortete am 29.12.04 (18:15):
PS: Gäbe es einen Spendenaufruf unter dem Motto: Wir sorgen dafür, dass die einheimischen Bewohner dieser gefährdeten Gebiete im sicheren Inland Wohnung und Arbeit haben, würde ich spenden.
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Karl
antwortete am 29.12.04 (18:19):
Liebe hl,
vermutlich würdest du vor Ort zu den aktiven Helfern gehören. Die Not ist real und mit Händen zu greifen. Selbst wenn alles wieder so aufgebaut würde wie es war (was ich in letzter Konsequenz bezweifle; denn wir haben es nicht mit einer Naturkatastrophe "normalen" Ausmaßes zu tun), wäre es doch wichtig, die jetzige Not zu lindern. Du würdest garantiert vor Ort zu den Helfern gehören wie viele hier. Warum sollen wir nicht unsere Hilfe, da wir nicht selbst vor Ort sein können, in der Form von Sach- und Geldspenden leisten?
Ich finde die Solidarität mit den betroffenen Menschen eine gute Sache und wehre mich dagegen, wenn diese Haltung lächerlich gemacht werden soll. Weltweite Solidarität ist das, was wir brauchen, natürlich nicht nur in der Katastrophe, sondern auch im Alltag. In der Notsituation muss sich Solidarität jedoch immer besonders bewähren.
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BarbaraH
antwortete am 29.12.04 (19:07):
Dass unverschuldet in Not geratenen Menschen geholfen wird, dagegen wird wohl niemand etwas haben. Dass sich weltweit Staaten zur Hilfe verpflichtet fühlen, finde ich selbstverständlich. Endlich können sich die Jungs von der Bundeswehr mal wieder nützlich machen und z.B. Hospitale aufbauen. Starke Befürchtungen habe ich jedoch, dass diese Katastrophe dazu missbraucht wird, endlich wieder einmal die Spendentöpfe der Organisationen zu füllen.
Die Spendenbereitschaft ist in den letzten Jahren stark zurück gegangen. Hungernde Schwarze treiben die Menschen nicht mehr zur Bank. Nun endlich liegt das langersehnte Filmmaterial vor, das die Geldbörsen der Menschen öffnet und die Spendengelder in Strömen fließen lässt.
Das Thema heißt: "Erdbeben kann der Mensch nicht beeinflussen, die Folgen schon"
Habt Ihr Euch einmal die betroffenen Gebiete auf dem Globus angeschaut? Wie sollte man die Folgen für all diese Menschen durch Spenden beeinflussen können?
Meine Befürchtung ist, dass in erster Linie die Hilfsorganisationen von diesem "Event" profitieren werden, dass ihre Zulieferfirmen satte Gewinne erzielen werden, dass sich die ganze "Hilfsindustrie" über den Aufschwung freuen wird. Kann sich jemand vorstellen, dass z.B. Pharmafirmen ihre Medikamente ohne satte Gewinnspanne abgeben werden? Ich leider nicht.
Indien hat bisher jede Hilfe von außen kategorisch abgelehnt. Sie bräuchten keinen Reis und keine Medikamente aus dem Ausland. Vielleicht sprechen sie aus leidvoller Erfahrungen mit "weltweiter Hilfe"?
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Karl
antwortete am 29.12.04 (19:14):
@ barbara,
selbst wenn Pharmafirmen in dieser Situation verdienen wollten, wäre das jetzt der Zeitpunkt für Systemveränderungen, wo Hunderttausende auf die Medikamente angewiesen sind? Bitte, lass uns doch nicht die Ebenen vermengen. Wir können, dürfen, sollen für Systemverbesserungen streiten, aber jetzt brauchen die Menschen ihre Medikamente, ihre Nahrung, ihr Trinkwasser. Würdest Du als Betroffene vor Ort Verständnis dafür aufbringen, wenn der Wassertankwagen nicht kommen würde, weil im Westen darüber diskutiert wird, wie im nächsten Jahrhundert geholfen werden soll?
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pilli
antwortete am 29.12.04 (19:27):
vor ort, Karl
werden die wenigsten der betroffenen in den persönlichen genuss der spenden kommen, das sollte jedem klar sein, der die korrupten verhältnisse "vor ort" kennt; das bedeutet aber für mich nicht, dass nicht gespendet werden soll.
wenn das domizil, der meist gut betuchten touris, wieder in strandnähe aufgebaut werden sollte, dann bedeutet das eine chance für viele einheimische, zumindest in dieser saison, nicht zu verhungern. und wenn die kinder, deren mütter oder eltern nicht überlebt haben, in den nun zu bauenden waisen-häusern mehr als ein tuch auf dem boden zum schlafen zugeteilt bekommen; sehe ich auch darin einen vorteil.
ich habe auf Bali lange schlangen von arbeitswilligen an den hotelverwaltungen anstehen sehen, während die hotelgäste das abend-büffet plünderten. nachgefragt warum so spät am abend, antwortete mir meine bekannte mit der erklärung, dass bestimmte tätigkeiten nur für eine nacht per woche ausgeschrieben werden. ohne schutzkleidung und nur mit lächerlichem mundschutz versehen, wurden des nachts mit giftspritzen die hotelwände besprüht, damit nicht das ungeziefer die gäste abschrecken könnte.
warum hausen die menschen in thailändischen bretterbuden denn in strandnähe? sehr einfach, damit die mütter sich oder ihre kinder (oft säuglinge) den widerlichen typen anbieten, die nur aus diesem einen grund dort urlaub machen. das alles ist vielen bekannt und es hindert niemand daran, trautes vom gänseklein zu berichten. das ist widerlich zu lesen, hast du auch dass mal berücksichtigt?
da wird zu felde gezogen und aufgerüstet, wenn es ums kopftuch-tragen geht, was interessieren da fremde kinder?
wie liest sich denn mit dem hintergrundwissen, dass einige von uns haben, die nette geschichte von Babette vom armen mädel aus Thailand? naaa...merkste watt, kotzen hätte ich können und hab nix geschrieben; wozu nachfragen, wo denn der gönner und könig war, als in einer sendung im fernsehen videos gezeigt werden, wie kleine mädchen gefoltert und gemartert werden in weissen gekachelten stuben damit sich ekelhafte typen daran befriedigen können?
nein, da lasse ich den kommentar:
"was für ein anrührendes Märchen - das Beste ist, dass es sogar Realität ist! Frohe Weihnachten!"
einfach unkommentiert, warum die aufschrecken...warum den glauben an solche rührseligkeiten nehmen?
aber gilt nicht das eine auch für das andere? jetzt sind alle aufgeschreckt und das ist auch gut so!
es wird gespendet, Karl,
heute bei meiner bank wurde jeder gefragt, ob es okay sei, die übliche überweisungsgebühr bei bareinzahlungen als spende zu deklarieren; in einigen geschäften wurde ich gefragt, ob der zu zahlende Betrag aufgerundet werden durfte; viele schnell entstandenen initiativen von denen vielleicht nicht so öffentlich berichtet wird.
ich hoffe mit dir, dass die folgezeit aufmerksam macht auf die probleme "vor ort" und Illona in die schranken zu weisen, mit ihrer dämlichen vermutung, es bedürfe aus ihrer sicht eines "anstosses", dazu stehe ich...nach wie vor!
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Wolfgang
antwortete am 29.12.04 (20:06):
Offensichtlich, Karl, ist Dein Blick getruebt. Denn ich sprach tatsaechlich von dem Event 'Katastrophe' (derzeit zelebriert von allen Unterhaltungsmedien), nicht von der Katastrophe selbst. Das eine gilt es vom anderen streng zu unterscheiden.
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pilli
antwortete am 29.12.04 (20:58):
eines der events "Katastrophe" wurde vor einer knappen stunde auf WDR3 bekannt gegeben, mir stockte erst der atem...aber dann dachte ich schon:
"scheissegal" (Titel eines Kölner Karnevalsliedes)
es wird dabei viel gespendet; watt soll`s.
wie jedes jahr feiern die "Bläckföös" in der KölnArena ihr Sylvesterkonzert mit tausenden von fans, die auf dieser seite der erdkugel in den stühlen und rängen hängen und laut mitsingend...tanzen und feiern...während auf der anderen seite die leichen noch nicht gefunden bzw. begraben sind.
da wird im "Haus des Kölner Karnevals" die flagge auf halbmast gesetzt und der OB sumselt watt von spenden statt böllern!
das ist fakt und für mich bedeutet das:
"sich mit geld freikaufen"
hier hätte ich mir gewünscht, auch nur einen winzigen hauch der Solidarität zu spüren, die es zu zeigen gilt!
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Karl
antwortete am 29.12.04 (20:59):
@ Wolfgang,
das nehme ich gern zur Kenntnis. Dann können wir uns also vielleicht doch darauf einigen, dass die Betroffenen jetzt (!) Hilfe brauchen.
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BarbaraH
antwortete am 29.12.04 (21:03):
>>Würdest Du als Betroffene vor Ort Verständnis dafür aufbringen, wenn der Wassertankwagen nicht kommen würde, weil im Westen darüber diskutiert wird, wie im nächsten Jahrhundert geholfen werden soll?<< (Karl)
Deine Frage verstehe ich nicht, Karl...
... denn ich schrieb:
>>Dass unverschuldet in Not geratenen Menschen geholfen wird, dagegen wird wohl niemand etwas haben. Dass sich weltweit Staaten zur Hilfe verpflichtet fühlen, finde ich selbstverständlich. Endlich können sich die Jungs von der Bundeswehr mal wieder nützlich machen und z.B. Hospitale aufbauen. Starke Befürchtungen habe ich jedoch, dass diese Katastrophe dazu missbraucht wird, endlich wieder einmal die Spendentöpfe der Organisationen zu füllen.<<
Merkwürdig, dass stets an das Mitgefühl der Menschen, aber nicht an das der vom Leid profitierenden Wirtschaft appelliert wird...
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schorsch
antwortete am 29.12.04 (21:08):
Was es jetzt und sofort braucht: Wasseraufbereitungsanlagen. Es sollten auf Tod und Teufel jetzt solche Anlagen im 24-Stunden-Betrieb gefertigt und in den Kathastrophenländern verteilt werden. Natürlich sind auch andere Gebrauchsgegenstände aller Art nötig. Aber diese sind zweitrangig wenn man bedenkt, dass man mit der gleichen Anzahl Toter durch Typhus und Cholera rechnen muss, wie bereits durch die Flutwelle zu beklagen sind. Kleider und Nahrungsmittel sind in der Regel vor Ort oder in näheren Ländern als z.B. Europa genügend vorhanden. Das Problem ist nur die Verteilung.
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pilli
antwortete am 29.12.04 (21:25):
aber warum sitzen die techniker und helfer noch immer in "wartestellung" und können nicht anfangen? eben sah ich auf n-tv, dass experten des Technischen Hilfswerkes nun endlich auf dem wege sind.
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BarbaraH
antwortete am 29.12.04 (22:20):
In der Frankfurter Rundschau ist ein interessantes Interview mit Dr. Wolf R. Dombrowsky, dem Leiter der Katastrophenforschungsstelle (KfS) der Universität Kiel, zu lesen.
Dort heißt es u.a.:
>>FR: Wäre es nicht sinnvoll, ein globales Katastrophenmanagement unter einheitlicher Regie aufzubauen?
Das gibt es ja. Es gibt die Katastrophenschutzorganisation der Vereinten Nationen. Es gibt das UN- Flüchtlingshochkommissariat und auch die EU hat entsprechende Unterorganisationen. Diese Institutionen sind alle koordinierungsfähig. Die Schwierigkeit ist, wie weit man sich diesen globalen Playern unterordnet. Es gibt zum Beispiel eine ganz harte Diskussion zwischen den Internationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes und den Vereinten Nationen, weil sich das Rotes Kreuz als unabhängige Institution nicht den VN unterstellen möchte. (...)
In etlichen der betroffenen Ländern gibt es ethnische und religiöse Konflikte. Es ist ein Gebiet, in dem Piraterie herrscht und in denen es Zonen von völliger Staatenlosigkeit gibt. Da kann globale Katastrophenhilfe nicht einfach hinein gehen und anordnen: Alles hört auf mein Kommando! Wirksame Hilfe hängt entscheidend davon ab, wie organisiert die Staaten und ihre Administration sind und ob es überhaupt einen durchgesetzten Rechtsraum gibt. Man muss auch genau hinschauen, wie groß das Ausmaß der Korruption ist und ob die Polizei hilfreich ist oder ob sie und das Militär eher gefürchtet sind. Das sind ganz diffizile Probleme.
FR: Scheitert Katastrophenhilfe nicht auch am Geld?
Die Frage der Ökonomie wird völlig überschätzt. Viel wichtiger sind die Gegebenheiten und Strukturen vor Ort. Die ökonomischen Folgen dieser Katastrophe werden gar nicht so schlimm sein. Weltökonomisch ist diese Katastrophe für diese Staaten fast bedeutungslos. Die wichtigen Infrastruktureinrichtungen wie Straßen, Brücken und Häfen sind zum Glück ja kaum beschädigt. Was getroffen ist, ist der Dienstleistungssektor. Es ist eine Katastrophe der kleinen Leute.<<
Quelle: Frankfurter Rundschau vom 30.12.04 "Es ist eine Kleine-Leute-Katastrophe" Der Katastrophenforscher Wolf Dombrowsky fürchtet vor allem einen mentalen Rückschlag für Südostasien https://www.frankfurter-rundschau.de/fr_home/topthema_die_flutkatastrophe/?cnt=611766
Internet-Tipp: https://www.frankfurter-rundschau.de/fr_home/topthema_die_flutkatastrophe/?cnt=611766
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Felix
antwortete am 30.12.04 (01:18):
Bis jetzt habe ich hier n u r gelesen. Ich kenne die Bedenken ... oder sind es Ausreden ... auch von Biertischgesprächen. "Man weiss ja, wie dieses Geld versickert!" "Da bereichern sich wieder einige Organisationen!" "Wir haben genügend Elend im eigenen Land!" u.s.w.
Nein, für mich ist das keine Frage ... Es gibt nichts Gutes ausser man tut es!
Eine andere anfangs gestellte Frage nach einer besseren Alarmorganisation hat mich hellhörig gemacht. Ich stand auch heute in telefonischem Kontakt mit einem Bekannten der die Flutkatastrophe in Phuket miterlebt hat.
Und nun kommt etwas sehr Merkwürdiges: Er und das ganze Hotel wurde rechtzeitig vor dem Eintreffen der Flutwelle alarmiert. Gemeinsam stiegen sie auf eine nahegelegene Anhöhe und warteten dort, bis das Wasser wieder abgelaufen war. Frage: Weshalb wurde nicht versucht diesen Alarm zu verbreiten? Gab es noch andere bekanntgewordene Vorwarnungen in Thailand oder andern gefährdeten Küstengebiete. Tektonische Beben breiten sich ja schneller aus als die Flutwelle. Ich bin überzeugt, dass jetzt schon ein dichtes Netz an seismographischen Beobachtungsstationen besteht, das vermutlich auch per Satelliten vernetzt ist. Auch gibt es Bojen mit entsprechenden Sensoren, die aussergewöhnliche Bewegungen der Meeresoberfläche registrieren können. In den letzten Tagen sah man verschiedene Sondersendungen darüber. Vielleicht weiss einer von euch von andern Vorwarnungen. Ich werde meinen Bekannten noch ausfragen, wenn er am 1. Januar wieder zurück sein wird.
Ich glaube auch in dieser Richtung müsste man mehr investieren.
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BarbaraH
antwortete am 30.12.04 (01:34):
SPIEGEL ONLINE schreibt dazu:
>>Schwere Vorwürfe gegen thailändische Meteorologen
Nach der verheerenden Flutwelle steht der meteorologische Dienst Thailands in der Kritik. Eine Zeitung berichtet, die Wetterexperten hätten eine Tsunami-Warnung absichtlich zurückgehalten. Angeblich wollten sie vermeiden, dem Tourismus-Geschäft zu schaden. Sie hofften, eine Flutwelle würde ausbleiben, schreibt das Blatt.<<
https://www.spiegel.de/panorama/0,1518,334892,00.html
Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/panorama/0,1518,334892,00.html
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Felix
antwortete am 30.12.04 (01:55):
Es muss also zumindest für Thailand eine Vorwarnung gegeben haben. Dass diese nicht allgemein verbreitet wurde ... ist ein Skandal!
Hier noch ein Artikel aus der Mitteldeutschen Zeitung:
Diese kleiner gewordene Welt ein wenig sicherer zu machen, darauf zielt das ewige Bemühen. Denn ganz so ohnmächtig, wie wir uns zuweilen wähnen, sind wir nun doch nicht. Die Gesetze der Natur, an der wir uns immer wieder vergreifen, können wir zwar nicht aushebeln, doch einstellen auf diese - das können wir schon, jedenfalls besser als unsere Vorfahren. So schwirren Satelliten durch das All, denen praktisch kein irdischer Wimpernschlag entgehen sollte. Doch noch immer nicht gelingt es, die High-Tech-Forschung so zu nutzen, dass das Schutzschild für die Menschheit entscheidend verstärkt wird.
Ahnungslos waren die meisten, die jetzt vom Indischen Ozean in den Tod oder in die Trauer gerissen worden sind. Dies aber ist die Katastrophe vor der Katastrophe: Die Unfähigkeit, diese akute Gefahr nicht nur zu erkennen, sondern vor dieser auch zu warnen. Mittlerweile kann fast jeder Hurrikan oder Taifun fixiert und verfolgt werden. Da ist es nicht einzusehen, dass sich eine solche Flutwelle ohne Vorwarnung den Küsten eines halben Kontinents nähern und diese überspülen kann.
Vielleicht wird dieses Desaster wenigstens zum Anstoß dafür, ein Alarmsystem zu installieren. Das mag blauäugig klingen, ist aber in diesen Stunden die einzige Konsequenz, die in aller Ohnmacht und Ratlosigkeit benannt werden kann. Ein solches System könnte das Leben an den Küsten, die ja mancherorts bis zum Meeressaum besiedelt sind, ein wenig sicherer machen. Es wäre eine Überlebenshilfe gerade für die Ärmsten und gerade für die Kinder, die von der jüngsten Naturkatastrophe besonders hart getroffen wurden.
Und die Urlauber? Sie werden vom Reisen nicht lassen. Doch wissen sie, wenn sie sich prüfen: Das Paradies ist auf Erden nicht zu haben. Kein Ort auf der Welt, schimmere er auch noch so türkisblau oder goldsandig, an dem nicht plötzlich die Hölle ihren Schlund öffnen könnte. Leben war immer schon lebensgefährlich. Die neuerliche Weihnachtskatastrophe, ein Jahr nach dem Erdbeben im iranischen Bam, hat es in Erinnerung gerufen.
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Medea.
antwortete am 30.12.04 (07:10):
Und die Lehren aus der Bam-Katastrophe? Wie sieht es dort ein Jahr danach aus? Was ist aus den vielen Spendengeldern geworden? Wurden sie sinnvoll für die dort betroffenen Überlebenden eingesetzt oder versickerten sie in korrupte Hände? Sollten die Spender nicht auch zu späteren Zeitpunkten mal immer wieder erfahren, was damit konkret getan wurde?
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Rosmarie
antwortete am 30.12.04 (11:41):
Auch wenn alle Einwände und Rufe wie "Erst sind die Verantwortlichen dran!" berechtigt sein mögen, so könnte doch jeder mal in sich hineinhören, was ihm im Angesicht dieser Not seine innere Stimme sagt - und natürlich sein Geldbeutel. Vielleicht ist ja doch eine kleine Spende drin? Auch eine Flasche Wein, ein Strauß Blumen und ein neuer Pulli hinterlassen nach einem Jahr keine bleibenden sinnvollen Spuren...
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mart
antwortete am 30.12.04 (15:14):
Da hier zwei Leuten doch abgerungen werden konnte, daß eine Sofort-Hilfe moralisch erlaubt sei, möchte ich die Aufmerksamkeit wieder auf Dafur und die dort darbenden und sterbenden Menschen lenken.
Darf nun dort geholfen werden oder nicht, Wolfgang und hl?
Sollen diese Menschen dort weiterhin verkommen, damit die Ideologie ihre Vorrangstellung vor der Menschlichkeit behält?
Oder fehlt das anschauliche Sterben im Fernsehen?
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BarbaraH
antwortete am 30.12.04 (15:20):
Ich zitiere noch einmal den Leiter der Katastrophenforschungsstelle der Universität Kiel, Dr. Wolf R. Dombrowsky, in der Frankfurter Rundschau:
>>Wirksame Hilfe hängt entscheidend davon ab, wie organisiert die Staaten und ihre Administration sind und ob es überhaupt einen durchgesetzten Rechtsraum gibt. Man muss auch genau hinschauen, wie groß das Ausmaß der Korruption ist und ob die Polizei hilfreich ist oder ob sie und das Militär eher gefürchtet sind. Das sind ganz diffizile Probleme.
FR: Scheitert Katastrophenhilfe nicht auch am Geld?
Die Frage der Ökonomie wird völlig überschätzt. Viel wichtiger sind die Gegebenheiten und Strukturen vor Ort. Die ökonomischen Folgen dieser Katastrophe werden gar nicht so schlimm sein. Weltökonomisch ist diese Katastrophe für diese Staaten fast bedeutungslos. Die wichtigen Infrastruktureinrichtungen wie Straßen, Brücken und Häfen sind zum Glück ja kaum beschädigt. Was getroffen ist, ist der Dienstleistungssektor. Es ist eine Katastrophe der kleinen Leute.<<
Spenden macht den Spendern ein gutes Gefühl. Das gönne ich jedem. Ich frage mich nur, warum Nachrichten von einer Naturkatastrophe, die niemand verhindern kann, die Geldbeutel so weit öffnet, die Tatsache hingegen, dass jeden Tag 35 000 Menschen verhungern, keine müde Mark in die Spendentöpfe bringt. Im letzteren Fall wäre immerhin Hilfe möglich.
Internet-Tipp: https://www.frankfurter-rundschau.de/fr_home/topthema_die_flutkatastrophe/?cnt=611766
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BarbaraH
antwortete am 30.12.04 (15:27):
Die Frage ist doch, mart, was unter "Hilfe" zu verstehen ist.
Der eine versteht darunter "Füttern" bzw. Menschen versorgen, der andere möchte die Grundvoraussetzungen ändern, damit diese Menschen unabhängig und eigenständig ihr Leben meistern können.
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schorsch
antwortete am 30.12.04 (15:40):
Im Moment sind die Strandbewohner daran, aus zusammengesuchten Brettern und Pfählen primitive Hütten zu bauen. Sie fangen also dort wieder an, wo ihre Grossväter aufgehört haben.
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mart
antwortete am 30.12.04 (15:42):
Also, die sterbenden Menschen aus Dafur werden sich freuen, wenn die Grundvoraussetzungen für ein unabhängiges und eigenständiges Leben erst einmal geändert wurden -
und eigentlich sollte die Frage auftauchen, ob diese hunderttausenden Menschen vor ihrer Verjagung nicht doch von ihrer Arbeit gelebt haben? oder war das zuwenig eigenständig?
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BarbaraH
antwortete am 03.01.05 (11:00):
Sensible Messgeräte reagierten überall auf der Welt. Menschen versagten bei der Deutung und Umsetzung der alarmierenden Daten. Viele fühlten sich nicht verantwortlich, meinten, andere würden schon reagieren...
Internet-Tipp: SPIEGEL ONLINE vom 03.01.05 Wie Geologen reagierten und Behörden versagten
Nach dem Seebeben vor Sumatra rechneten viele Experten zunächst nicht mit einem Tsunami. Andere wussten nach Recherchen der "Los Angeles Times" von dem Unheil, das übers Meer heranrollte - konnten oder wollten jedoch nichts unternehmen. Viele Menschen hätten gerettet werden können, wenn Behörden die Warnsignale ernst genommen hätten.
https://www.spiegel.de/panorama/0,1518,335242,00.html
Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/panorama/0,1518,335242,00.html
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mart
antwortete am 03.01.05 (12:05):
30 Prozent des Staatshaushalts von Sri Lanka gehen auf das Militär drauf. Die Verteidigungsausgaben liegen damit weit höher als die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung und für das Bildungswesen zusammengenommen.
Damit ist natürlich klar, daß dieser Staat Sri Lanka nicht einmal über Seismographen verfügt (zumindest nach dem vorher zitierten Spiegelbericht):
"Beim Nationalen Meteorologischen Amt in Colombo verfügt man nicht über teure Seismographen, sondern muss sich ganz auf Informationen verlassen, die von außen die Hauptstadt Sri Lankas erreichen. Meteorologe Sarath Premalal war gerade am Ende einer 24-Stunden-Schicht als das Telefon klingelte und er erste Informationen von dem gewaltigen Naturereignis erhielt."
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schorsch
antwortete am 03.01.05 (13:57):
Auf der ganzen Welt sind tausende von Militärhelikoptern stationiert, die keine anderen Aufgaben haben, als Trainingsstunden für ihre Piloten zu liefern - ausser, ein "hohes Tier" gelüste es gerade, einen kleinen Ausflug zu machen. Andererseits fehlen in den Katastrophengebieten solche Helikopter um die vom Verkehr abgeschnittenen Bewohner und Touristen mit Essen und Wasser zu versorgen.
Themawechsel: Bereits hat eine "innovative" Mutter ihrem Säugling den Namen "Tsunami" gegeben! Naja; schliesslich wurde mein Sohn auch Roland getauft, weil bei seiner Geburt gerade der Komet Roland an der Erde vorbeizog....
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schorsch
antwortete am 03.01.05 (14:00):
Soeben gelesen: Bill Gates & Co. spenden Milliarden
Ach könnte ich das doch auch ):--((((
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mart
antwortete am 03.01.05 (17:27):
Anderes als der Spiegelbericht weiß die Zeitung für das nördliche Sri Lanka (Tamilnet: siehe Link)
Laut Tamilnet gab es sehr wohl ein System für seismologisches Monitoring, das vor eineinhalb Jahren aus Japan geliefert wurde und an der Peradeniya Universität installiert wurde.
Seit zumindest drei Monaten sei es aber defekt gewesen, anderen Berichten zufolge wurde es nie in Betrieb genommen. Grund: Geldmangel. Stunden vor der Flutwelle wurde aus einer zentralen Provinz Sri Lankas über Erdbewegungen informiert, es gab aber keine Gegenbestätigung von der Abteilung für geologische Überwachung. Die Menschen hätten informiert werden können. (aus Standard)
"Sometime before the Tsunami disaster struck, residents of Central Province had informed the media of tremors taking place, but there was no immediate confirmation of this from the Dept of Geological Survey. However. California University analysts have stated in a communique that they warned 26 countries and that unfortunately countries including India and Sri Lanka were not equipped to receive the alerts."
Internet-Tipp: https://www.tamilnet.com/art.html?catid=13&artid=13818
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maggy
antwortete am 04.01.05 (12:18):
Lieber Schorsch, Kleinvieh macht auch Mist - den Satz kennst du sicherlich :-) ...damit will ich sagen, dass jeder Euro wichtig ist.
Es wäre aber sehr gut, wenn die ganz Reichen dieser Erde dem Beispiel von Bill Gates folgen würden.
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BarbaraH
antwortete am 10.01.05 (19:13):
Stephan Hilpold in einem Interview mit dem Philosophen Gernot Böhme:
>>Wird sich unsere Vorstellung von Natur auf Grund dieser Katastrophe ändern?
Ich erhoffe mir das. Es wäre gut, wenn mehr Achtung und Sorgfalt bezüglich der Natur einziehen würde. Nur will ich daran erinnern, dass die Katastrophen, die der Mensch selbst verursacht, um Dimensionen größer sind als die jetzige Umweltkatastrophe. Der Bürgerkrieg im Sudan hat zwei Millionen Menschenleben gekostet. Um nur ein Beispiel zu nennen. Oder: Die USA stellen 350 Millionen Dollar für die Flutopfer zur Verfügung. Gleichzeitig gibt Amerika zig Milliarden Dollar für Vernichtungswaffen aus. Die viel größeren Probleme der Menschheit liegen bei ihr selbst. Und betreffen nicht die Natur.<<
Quelle: Frankfurter Rundschau vom 10.01.2005 "Es ist eine große Enttäuschung eingetreten" Der Philosoph Gernot Böhme im Gespräch über entfesselte Naturgewalten, entmündigte Götter und die Symbolik der Welle https://www.frankfurter-rundschau.de/fr_home/topthema_die_flutkatastrophe/?cnt=615533
Internet-Tipp: https://www.frankfurter-rundschau.de/fr_home/topthema_die_flutkatastrophe/?cnt=615533
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