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THEMA:   Glauben oder Aberglauben ... nur eine Frage des Standpunktes?

 7 Antwort(en).

Felix begann die Diskussion am 21.12.04 (17:25) :

Begriffsbestimmung / Einführung

- Der Begriff Aberglaube wird abwertend für einen Glaubenssatz oder ein Glaubensgebilde gebraucht, das dem eigenen unterlegen eingestuft wird. Dabei kann es sich sowohl um alle Arten von Theismus handeln als auch um nicht gottesbezogene Glaubenssätze.
- Der Begriff taucht in der christlichen Religion am Ende des Mittelalters auf, er sollte Abweichungen von der geltenden Kirchenlehre anprangern und ins Abseits stellen.
- Heute sind in Europa Aberglauben eine sehr interessante Quelle von alten Sitten und Glaubensvorstellungen und Objekt zahlreicher volkskundlicher Forschungsarbeiten. Natürlich sind bis heute die eigenen Sitten und Gebräuche immer eine echte und begründete Tradition, während diejenigen Vorstellungen der Nachbarn nur Aberglauben sind - aber das war bereits auch im Mittelalter nicht viel anders.
- Der Umstand, dass man die eigene Kultur und den eigenen Glauben über alles Andere stellt, wird als Ethnozentrismus bezeichnet. So schüttelt man den Kopf über fremde Gebräuche und Riten ohne zu bemerken, dass die eigenen kein Haar besser sind.
Die Bekehrung der Heiden war in Europa zwar abgeschlossen, doch die lokalen Volksglauben lebten in gewissen Grenzen weiter. Zauber, Amulette, Böser Blick, heilige Bäume und heilige Haine, nichts sollte die Christen von dem wahren Glauben und Heilsbotschaft ablenken, kein anders Heil sollte der einzig gültigen Religion konkurrieren dürfen. Die Gnade, den Ablass der Sünden und die Erlösung sollte es nur innerhalb der einzig gültigen Kirche geben.

- Ob Glauben oder Aberglauben ist also nur eine Frage der subjektiven Sichtweise!

Einige Formulierungen habe ich hier entnommen:
<https://aberglaube.adlexikon.de/Aberglaube.shtml>

Internet-Tipp: https://aberglaube.adlexikon.de/Aberglaube.shtml


 Miriam antwortete am 21.12.04 (18:27):

Nun sind solche Bräuche, die von den anderen entweder abgelehnt oder aber zum Aberglauben abgestempelt werden, oft Merkmale einer gewissen Kultur, die eine Religion regional geprägt hat.

Ich erzähle hier eine konkrete Gegebenheit.

Als vor einigen Jahren meine Cousine in Israel starb, sah sich ihre Mutter (meine Tante) mit einer für sie ganz fremden Welt von Bräuchen konfrontiert, die sie als Aberglauben bezeichnete und erst ablehnte.
Was war geschehen: der Ehemann der Verstorbenen, war ein Sefarde, also ein Jude spanischer Abstammung (er kam aus Argentinien). Wir aber sind Ashkenasim, also osteuropäischer Abstammung. Diese zwei grossen Richtungen des jüdischen Glaubens, haben zum Teil Bräuche der Länder angenommen, wo sie beheimatet waren. Dies gilt im besonderen für die Sefarden.

Und so kamen die Sefarden zur Trauerzeremonie mit vielen Süssigkeiten und süssen Speisen, was meiner ashkenasischen Tante als Blasphemie erschien. Die Sefarden aber erklärten, dass süsse Speisen den Weg der Verstorbenen ins Jenseits erleichtert. Die Ashkenasim, lehnen wiederum den Gedanken des Jenseit ab - und sicherlich ganz kathegorisch, die etwas heitere Musik am Grabe..

Alle diese bunten und märchenhaften Rituale der Sefarden, scheinen mir persönlich sehr human, werden aber von Ashkenasim als Aberglaube abgelehnt.


 schorsch antwortete am 21.12.04 (18:51):

Aberglaube ist all das, was uns in unserer Jugend nicht als Glaube eingeimpft wurde!


 mart antwortete am 22.12.04 (01:13):

"Wir müssen erkennen, daß es Aberglaube ist, wenn wir annehmen, Gott würde handeln, wenn wir müßig bleiben." - Martin Luther King


 Medea. antwortete am 22.12.04 (06:52):

Aus Aberglauben wurden im Laufe der Zeit Bräuche und
umgekehrt wiederum werden Bräuche in die Nähe von Aberglauben gerückt.

Verstarb ein Angehöriger wurden die Spiegel im Haus verhängt und die Fenster weit geöffnet -
die Seele sollte sich nicht im Spiegel verirren und durch die geöffneten Fenster ihren Weg zu Gott finden.

Ich habe das gleiche getan beim Tode meiner Schwiegermutter, meines Vaters und meines Tantchens - es war mir einfach eine Selbstverständlichkeit, darüber mußte ich gar nicht nachdenken.


 schorsch antwortete am 22.12.04 (08:35):

Ein Aberglaube - oder Glaube? - ist z.B. auch, dass man seinen Schutzengel im Spiegel sehe......

Apropos Schutzengel:

Soeben hat mir mein Schutzengeli geholfen. Das kam so: Gestern Abend habe ich blöderweise einen Pfropfen im linken Ohr beim Gehörgang putzen nach hinten verschoben – Funkstille! Heute Morgen habe ich um Halbacht meinem Doc angeläutet deswegen. Die Sprechstundenhilfe sagte, vor morgen Mittag gehe es nicht. Ich solle also morgen um 12 kommen. Zwei Minuten später kam ein Anruf, eine Patientin, die um Halbacht hätte kommen sollen, sei nicht gekommen, ob ich vielleicht.....? Ich unterbrach das Zähne putzen, setzte mich ins Auto, und um 7.50 waren beide Ohren wieder wie neu geboren!!! Danke Schutzengeli!
Als ich beim Arzt zur Ausgangstür ging, öffnete diese sich - die verspätete Patientin kam aufgeregt herein. Ich sagte zu ihr: "Danke, dass Sie sich verspätet haben....."


 Rosmarie antwortete am 22.12.04 (12:07):

Hallo Felix,

deinem Einführungstext kann ich nur in allem voll und ganz zustimmen.
Auch die folgenden Beiträge sprechen mich sehr an. Ein offener Blick für das Andere, Selbsterkenntnis und Toleranz können uns allen nur förderlich sein.

Zu Marts Beitrag fällt mir das Goethegedicht ein, den mir mein Vater ins Poesiealbum schrieb:

Feiger Gedanke, bängliches Schwanken,
ängstliches Zagen, weibisches Klagen
wendet kein Unheil, macht dich nicht frei.
Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten,
kräftig sich zeigen, nimmer sich beugen
rufet die Arme der Götter herbei.

Interessant, dass Goethe offensichtlich in seiner Zeit nicht mit der Kirche zusammenstieß, denn schließlich benutzt er so manche Formulierung und vertritt so manchen Gedanken, der bestimmt nicht kirchen-, also glaubenskonform war.
Worauf soviel kirchliche Toleranz wohl zurückzuführen war?
War Goethe zu einflussreich und mächtig?
Oder war seine Zeit, d.h. das Bildungsbürgertum, in Punkto Glauben und Aberglauben offener (Folge der Aufklärung?)als unser vergangenes Jahrhundert? Oder weiß ich heute nur nichts von den damaligen Vorgängen hinter den Kulissen?

Hallo Schorsch, solche Engel kenne ich auch... :-)


 Felix antwortete am 22.12.04 (15:41):

Ich möchte noch etwas zur Bewertung des (Aber-)Glaubens und der damit verbundenen Bräuche und Rituale anbringen.
Die Vernunft, die Ratio, lässt viele Fragen offen. Auch die Gelehrten mit ihrem ganzen wissenschaftlichen Apparat können nicht auf alle Gegebenheiten und Fragen eine befriedigende Erklärung abgeben.
Der Mensch trachtet nach Sinnhaftigkeit und Ordnung und füllt diese Lücken mit dem Glauben an einen göttlichen Willen oder einer magisch-animistischen Welterklärung aus.
Es ist psychygienisch gesehen durchaus ein Weg, sich eingebettet in eine sinnvollerscheinende Weltordnung zu erleben und nicht zu verzweifeln.
Ich toleriere dieses Korsett ... hoffe aber auch, dass man den Verzicht darauf verstehen kann.