Zur Autorenübersicht | Neuere Autoren | Impressum | Inhaltsverzeichnis "Ein deutscher Junge"

Vor dem eingeschossigen Wohnbau auf der anderen Straßenseite
erstreckte sich ein breiter Sandplatz, der hin und wieder zum

Trocknen der Wäsche genutzt wurde. Am Ende dieses Geländes hatte

man eine Sandkiste gebaut, in der sich die Kleinen vergnügen durften.

Meistens spielten Jungen nur mit Jungen; die Mädchen blieben unter

sich. Aber es gab auch Ausnahmen.

Wenn ich Hunger hatte, warf mir meine Mutter aus dem Fenster häu-

fig eine in Butterbrotpapier eingewickelte Stulle herab. Um mich darauf

aufmerksam zu machen, daß die Speisung bevorstand, ließ sie aus

dem Fenster ein weithin schallendes ,,Büüübchen" ertönen. O mein

Gott, war mir das peinlich, denn alle Spielkameraden nannten mich nun

auch Bübchen!

An Freunden mangelte es mir nicht. Häufig traf ich mich mit dem ein

Jahr älteren Werner K. oder mit Herbert F. zum ,,Messerstech". Beim

,,Landklau", wie wir Kinder dieses Spiel auch nannten, mußte man zu-

nächst ein rechteckiges Feld abstecken. Dann wurde abwechselnd ein

Messer oder eine Feile in die Erde geworfen. Je nach Richtung der

Schneide zogen wir Linien, welche die Grenzen des ,,Landes" darstell-

ten. Bei diesem Spiel verschaffte ich mir durch Schummeln stets Vor-

teile, weil Werner mir zwar körperlich deutlich überlegen war, dafür a-

ber meinen geistigen Winkelzügen nicht ganz folgen konnte. Auch beim

,,Pickern", einem unter Kindern weit verbreiteten Murmelspiel, mußte er

meine Überlegenheit anerkennen. Bei den größeren Jungen war das

,,Köppen" ein beliebtes Spiel: Ein Ball durfte nur mit der Stirn getippt

werden, auf keinen Fall sollte er den Boden berühren. Hierbei kam es

weniger auf Kraft an als auf Geschicklichkeit. Manchmal prügelte ich

mich mit Werner aus nichtigen Anlässen, wobei ich oft den kürzeren

zog.

Die Mädchen bevorzugten sanftere Spiele, meistens solche mit

Bällen und Springtauen. Wahre Künstlerinnen konnte man bei ihnen

beim Spiel ,,Ball gegen die Wand" bewundern, einem faszinierenden

Zeitvertreib mit tausend Variationen. Beliebt war bei den Mädchen

auch ein Spiel mit Puppen und Puppenwagen, das ,,Mutter und Kind"

genannt wurde, wobei die Mutterrolle offenbar sehr begehrt war, denn


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