Einmal Beli
Potok und zurück
Wie schon gesagt,
der Lagerarzt wusste nichts rechtes mit mir anzufangen. Und ich war es
schon lange leid. Aber wie schon so oft. Die Probleme lösten sich fast von
selbst. Ob es ein Verdienst der ANTIFA war, oder ob die Lagerverwaltung den Versuch
unternahm, auf diese Weise unsere Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen,
alle Kranken, die an Mangelerscheinungen litten, wurden zu einem
Krankenkommando für leichte Arbeit zusammengestellt. Die akut Gefährdeten,
die Dystrophiker, die Leute mit Karbunkulose, überhaupt alle mit offenen
Wunden, betraf das natürlich nicht. Aber die vielen Nachtblinden, die Leute mit
Skorbut, für sie hatte man ein Arbeitskommando eingerichtet, das auf 'laktsche
radi', auf leichte Arbeit abgestellt
war. Mein Leiden galt zwar noch als nicht erforscht, mich aber zu den Mangelerkrankten
einzuordnen, konnte auf keinen Fall schaden. Also ging ich mit auf
die Reise. In einer ganz einsamen Gegend, östlich von Alexinac, hatte man einen
verluderten Schießstand dazu auserkoren, diesen und uns selbst zu
renovieren. Ein enges Tal mit satten Wiesen, einem Bach, von Kopfweiden
flankiert, einem Steinbruch, in dem Schildkröten auf sonnenwarmen Steinen
faulenzten, alles in allem eine harmonische Idylle. In dieser wunderschönen Umgebung befand sich, an ein Akazienwäldchen
grenzend, ein betagter Schießstand, den man wohl wieder in Betrieb
nehmen wollte; denn geschossen muss ja sein. Sah man von den auf Schießständen
üblichen Traversen ab, so befanden sich hier eine auf Betonsockel
errichtete und verschließbare Holzhalle und ein kleines Steinhaus. Die
Schießhalle bezog unser Kommando 'Elend', in dem kleinen Steinhaus waren
unsere Bewacher untergebracht. Wir waren etwa hundert Mann; dazu die
Wachmannschaft, ein Wodnik und vier Posten. Eine schmale, von Regengüssen stark ausgewaschene Straße, führte in steilen
Windungen zum Schießplatz hinab. In diesem Zustand war sie für Fahrzeuge
aller Art kaum zu benutzen. Das sollte sich durch unseren Einsatz ändern.
Mit Spitzhacken, Schaufeln und Spaten, mit Schubkarren und Tragen, sollten
wir die Unwegsamkeiten ausbessern und beheben. Wenn das etwa leichte Arbeit
sein sollte? Na, warteten wir es ab. Der Kommandant war ein schon etwas betagter, aber recht quirliger
Geselle. Er sprach ein herrliches k+k.-Deutsch, dieses kaiserlich-königliche,
aus österreich-ungarischen Tagen. Das war aber auch das einzige, was
uns an Poldi erinnerte. Poldi begann seine Rede stets mit
"hörn's". Er hier fragte gleich "verstehn's". Er tat immer
so, als mache er uns gewaltig Dampf, von dem man aber nichts verspürte. Ich
glaube, das war schon immer eine Kunst im alten Österreich. Erst hat uns der neue Kommandant einmal aufmerksam gemustert. Er wollte
doch sehen, was er sich da für Krücken eingesammelt hatte. Aber unsere Leute
waren ja tagsüber uneingeschränkt einsatzfähig; bis auf mich. Ich durfte hier
jetzt schrittweise gesunden. Also meldete ich mich, nannte ihm meine
Beschwerden und dass ich nur mit erheblichen Einschränkungen arbeitsfähig sei. "Ich werd eh einen brauchen, der mich über den Fortgang der
Arbeiten unterrichtet. Das werdn's doch wohl noch können." "Jawohl, das werde ich ganz sicher können." "Na da kommen's gleich mit mir in die Wachstubn." Das alles ging ruckzuck. Er ließ die Leute wegtreten, und ich hatschte
hinter ihm her in die Wachstube. "Wie heißn's?" "Peter Kurtenbach, Herr Hauptmann." "Was sind Sie von Beruf?" "Kaufmann." "Na sehn's, da können's mir doch jeden Tag alles
aufschreiben." "Jawohl Herr Kommandant. Das werde ich können." "Was werden Ihre Kameraden für Probleme haben?" "Meine Kameraden leiden alle unter starken Mangelerscheinungen.
Sie brauchen vitaminreiche Kost." "Ihr werdt's Essen aus meiner Kaserne bekommen. Die wird Ihnen
doch wohl gut genug sein." "Das bedarf keiner Frage. Wir könnten aber ein übriges tun. Wenn
zwei Leute von der Arbeit freigestellt würden, um vitaminreiche oder heilende
Kräuter zu sammeln." "Willst wohl paar Weiber losschicken. - Aber mir solls recht
sein. Werde mich in acht Tagen erkundigen, wie es den Leuten geht." "Besten Dank, Herr Kommandant." Über diese letzte Abmachung wurde sogleich der Wodnik informiert, damit
keine Probleme mit der Wachmannschaft aufkamen. Das Sammeln von vitaminreicher Kost bewährte sich vortrefflich. Zwei
unserer Leute waren von der Früh bis nachmittags unterwegs, um wilde Melde und
Brennesseln zu sammeln. Jeden Tag wurden beachtliche Mengen dieses Grünfutters
gekocht und wie Spinat gehackt. Dieses Grünmus aßen wir fingerdick
auf dem Brot und verrührten es, wo es passte, reichlich ins ansonsten gute
und schmackhafte Essen. Auf dem artenreichen Wiesengelände entdeckten wir noch eine kleine Kostbarkeit,
von der niemand von uns vorher etwas gehört hatte. Wie Schnittlauch sah
dieses Kraut aus, und es wuchs genauso aus kleinen weißen Zwiebeln. Wir fragten
unsere Wachleute. "Extra, extra, bijeli luk, divlji bijele luk." - Alles klar. Es gab also auch einen wilden
Knoblauch, sehr aromatisch im Geschmack und geruchlos. Das war eine Zugabe, mit
der wir natürlich nicht gerechnet hatten. Unsere Nachtblindheit reduzierte sich von Tag zu Tag. Da ich selbst davon betroffen war, konnte ich das an mir selbst deutlich beobachten. Jetzt konnte ich also allmählich auch etwas meine Wadenmuskel lockern. - Ich sollte mich noch sehr wundern. So einfach war das gar nicht. Wadenkrämpfe und Muskelkater sorgten schon dafür, dass ich mich nicht zu hastig regenerierte. Meine echte Nachtblindheit verging schneller und unproblematischer als meine simulierte Muskellähmung. Mit der Arbeit ging es mäßig voran, wobei es an gutem Willen nicht fehlte.
Zwischen dem Kommandanten und mir hatte sich ein merkwürdiges
Vertrauensverhältnis entwickelt. Dies lässt sich vielleicht an
folgender Episode beschreiben: Wir waren dabei, diese buckelige Straße auszubessern, als der Kommandant
auf uns zugeritten kam. Bei einigem Abstand ging ihm der Warnruf "fuffzehn
(15)" voraus, damit sich jeder rechtzeitig in Bewegung setzen konnte.
Ihm war das natürlich nicht verborgen geblieben. Jetzt wollte er es aber
endlich wissen, was dieses dauernde "fuffzehn" zu bedeuten habe. Ich
sollte es ihm erklären. "Herr Kommandant, man kann nicht von früh bis spät ohne Unterbrechung
arbeiten. Da muss ab und zu einmal eine kleine Pause eingelegt werden." "Ja und?" "Damit Sie sich nicht darüber ärgern, rufen die Kameraden eben
dieses "fuffzehn", wenn man Sie kommen sieht. So sehen Sie immer
alle fleißig bei der Arbeit." Der Kommandant schaute mich argwöhnisch an, sagte aber noch nichts. Langsam
und umständlich stieg er vom Pferd. Die Fäuste in die Hüften gestemmt fragte er
lauernd: "Wie viel Prozent Pause?" "Höchstens zehn, Herr Kommandant." Er schien kurz zu überschlagen. Dann grinste er zufrieden. Diese Art des
respektvollen Umgangs schien ihm sehr zu liegen. Während wir auf die
Wachstube zugingen, berichtete ich ihm über die verblüffenden Erfolge mit
unserer Melde- und Brennnesselaktion. Als Betroffener konnte ich ihm dies
überzeugend vortragen. Dieses Brennnesselseminar scheine mir eine sinnvolle Investition zu
sein. Für mich persönlich sei es schon nahezu aufregend, dass ich allmählich
wieder Kräfte in meinen Beinmuskeln verspüre. - So, nun hatte ich einen
kompetenten Zeugen. Als der Kommandant auf die Wachstube zuging, holte ich meine Tagesrapporte
und folgte ihm ins Wachhaus. - Wie es schien, waren wir auch unserem Wodnik
bisher nicht über die Füße gefahren. "Am Sonntag ist Ostern" "Ich weiß, Herr Kommandant. Leider wird uns aus Nova Pazova
keine Post nachgeschickt. Da werden wir Ostern ohne Nachricht von zu Hause
sein." "Haben Sie Kranke, die wir ins Lager zurückbringen müssen?" "Nein, keine Kranken." "Können Sie gesunde Leute auswechseln?" "Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin kein Arzt." "Dann werden Sie keine Post haben." "Herr Kommandant, mir kommt da jetzt eine ganz andere, eine
ziemlich verrückte Idee." "Und die wäre?" "Ziehen Sie an den Ostertagen Ihre Posten von hier ab, damit wir
uns für eine ganz kurze Zeit wieder einmal wie freie Menschen fühlen
dürfen." "Sie sind verrückt!" Als ich trotzdem vor ihm stehenblieb und ihn weiter fragend anschaute,
schimpfte er, - ein ganz klein wenig freundlich: "Haun's ab, verrückter Kerl!" Inzwischen war der Karsamstag herangekommen. Den Kameraden, die kein
Rasierzeug besaßen, hatte ich meinen Apparat angeboten. Allerdings
hatte ich darum gebeten, nur die bereits gebrauchten Klingen zu benutzen. Ich
hatte die berechtigte Sorge, dass ich mir die nasse Bartflechte einfangen
könnte. Während wir auf manche Art Festtagsputz hielten, kam der Wodnik mit
seinen Leuten. Alle wünschten uns "Gute Ostern und auf Wiedersehen am
Dienstag". - Ich war sprachlos. Das hatte es wohl in ganz Jugoslawien
noch nicht gegeben. Und sogar einen Oster-Montag hatte uns der Alte
eingeräumt. Diese außergewöhnliche Vergünstigung verschaffte mir natürlich Ansehen
und Einfluss bei den Kameraden. Ich war schon längst nicht mehr dieser
flügellahme Rapportschreiber, als der ich angefangen hatte. Man
zollte mir allenthalben freundlichen Respekt. Niemand verließ den Unterkunftsbereich,
ohne mich zu verständigen. Niemand machte den leisesten Versuch, sich mit
mir anzulegen. Weswegen auch? Unsere Tüftler hatten ein raffiniertes Lampenmodell entwickelt. Eine
Karbidlampe aus zwei kleineren und einer etwas größeren Konservendose.
Karbid benutzte unsere Wachmannschaft für die Versorgung ihrer Lampen. Der Wodnik
hatte mir signalisiert, dass er uns bei Bedarf etwas abgeben würde. Also wurden
Karbidlampen gebaut. Die beiden kleineren Dosen wurden mit Karbid gefüllt
und ineinandergetrieben, nachdem man in beide Böden ein winzig kleines
Loch genagelt hatte. Diesen geschlossenen Behälter steckten wir dann in die
etwas größere Dose in die wir etwas Wasser gegeben hatten. Diese Karbidbomben
spendeten ein ganz hervorragendes, ein regelrecht grelles Licht. Dass dies
dann aber tatsächlich Karbid-"Bomben" waren, das zeigte sich, während
ich eines Abends in diesem Licht einen Brief an mein Schätzchen schrieb. - Ein
harter Knall, Wasser spritzte über meinen begonnenen Brief. Ich saß im Dunkeln.
Die Karbiddose war über mir durch die Dachziegel geschossen. Vermutlich
war die untere Dosenöffnung zu groß gewesen, so dass sie zu viel Wasser
gezogen hatte. Zum Glück war es kein Problem, die Dachziegel zu ersetzen,
sonst hätte es mir auch noch auf den Kopf geregnet. Es hatte also doch alles
seine Tücken. Wenn ich mich an die Schießhalle erinnere, dann habe ich gleich wieder
den penetranten Duft der Akazienblüte in der Nase. Selbstverständlich
blühten die Akazien zu Hause um die gleiche Zeit; aber diesen Duft, so
phantastisch intensiv wie hier, das kennt man, so wie ich meine, in
Deutschland nicht. Meinen Rasierapparat hätte ich mal nicht verleihen sollen. Jetzt hatte
ich auch die nasse Bartflechte, und das nicht zu knapp. Meine Kinnspitze
sutterte ekelhaft. Der Wodnik hielt für solche Kalamitäten Verbandsmaterial
bereit. Außerdem war ich selbst einigermaßen gut versorgt, so dass
ich mir auch eines dieser verdammten 'Kinnkörbchen' zurechtbasteln konnte.
In einem Brief an meine Schwester bat ich dringend um ein wirksames
Medikament. In Belgrad behandelte man die Bartflechte mit Bestrahlungen. Diese Art
der Behandlung hatte zur Folge, dass im Bestrahlungsbereich kein Bartwuchs
mehr stattfand, Die Hautoberfläche veränderte sich und erinnerte ein
wenig an Streuselkuchen. Das wollte ich nur dann über mich ergehen
lassen, wenn keine medikamentöse Behandlung möglich war. So baute ich erst
einmal auf eine entsprechende Versorgung über meine Schwester, die später
auch mit Erfolg zustande kam. Mit dieser speziellen Salbe habe ich hier so
einige Bärte retten können. Jene Salbe brachte mich noch auf einen anderen, nicht ganz so erfolgreichen
Versuch. Mir war aufgefallen, dass diese Salbe deutlich nach den grünen
Schalen der Walnuss roch. Mir war dieses Aroma noch ziemlich
vertraut, weil ich mit den Blättern der Walnüsse damals in Privlaka erfolgreich
gegen Erdflöhe angegangen war. Im Lager Nova Pazova war auch die
trockene Bartflechte stark verbreitet. Rieb man die befallenen
Hautstellen mit der Innenseite der grünen Walnussschalen ein, dann stellte sich
über Nacht ein Erfolg insofern ein, dass diese hässlichen Ränder vollkommen
verschwanden. Leider war dieser Erfolg nicht von Dauer. Nach wenigen Tagen
wurde die Flechte wieder sichtbar. Die Wirkung der Walnuss war in dieser
Primitivform wohl mehr kosmetischer Natur. Während ich mich noch auf meine Bartflechte konzentrierte, bekam ich
auch noch Zahnschmerzen. Das war ein Grund, unser Lager in Nova Pazova
aufzusuchen, um dann alle Post mitzubringen. Der Kommandant
machte keinerlei Umstände. Von einem Posten begleitet, trat ich meine Reise
nach Belgrad an. * Die Zahnstation für die Kriegsgefangenen befand sich im Stadtzentrum,
nahe dem 'Platz der Republik' und auch nicht weit vom Bahnhof entfernt. Wenn uns auch im Augenblick verhältnismäßig großzügige Freiheiten eingeräumt
wurden, so empfand man die Trostlosigkeit der eigenen Situation beim Anblick
dieses Großstadtlebens ganz besonders deutlich. Sauber gekleidete Leute,
bunte Schaufensterauslagen, das ganze Leben und Treiben auf den Straßen, es war
einem in den letzten beiden Jahren schon ganz fremd geworden. Das alles
lag als eine glückliche Erinnerung weit hinter uns. Nun lebten und arbeiteten
wir dafür, dass wir dies wieder zurückgewinnen würden. Da ich meine Sachen gut in Ordnung hielt, war ich einigermaßen angezogen.
In meiner gefärbten amerikanischen Uniform und meiner flotten
Schlägermütze passte ich ganz gut in dieses Straßenbild. Es erfüllte mich mit
Genugtuung, dass es keinem gelungen war, mich vom aufrechten Gang, nach
Vaters Vorbild, abzubringen. An mir war nichts, was Mitleid wachrief, sah
man davon ab, dass immer dieser bewaffnete Aufseher hinter mir her schlurfte.
Er war ja auch ein armer Kerl und ein guter noch dazu. Es sah alles nur so
gefährlich aus. Ein großer Teil der hiesigen Bevölkerung war uns gut gesonnen. Man
spürte es in den Blicken, und man erhielt es bestätigt, in teilnehmenden
Äußerungen. Mitunter bekam man sogar unauffällig etwas zugesteckt. Ich
empfand das als sehr wohltuend, habe dies aber in keiner Weise provoziert.
Einmal bin ich sogar in recht große Verlegenheit geraten, als nämlich eine
Frau an mich herantrat, mir eine Packung Zigaretten zusteckte, um mir
dann gleichzeitig noch zu sagen: "... und wenn Sie diese Zigaretten
rauchen, dann denken Sie bitte daran, dass eine Jüdin Sie Ihnen geschenkt
hat." Mein Gott, warum sagte sie mir das? Ich wusste von den Judenverfolgungen
vor und zu Anfang des Krieges. Von den grässlichen Dingen, die sehr viel später bekannt wurden, erfuhr
ich erst nach meiner Heimkehr. Um diese Frau nicht vor den Kopf zu stoßen, nahm
ich die Zigaretten an, doch fühlte ich mich von ihr zu Unrecht auf das Niveau
dieser braunen Rabauken heruntergezogen und empfand dies als eine
Kränkung. Ich habe die Zigaretten dann auch meinem Aufseher
gegeben, der sie gerne annahm. Es tat mir bisweilen körperlich weh, wenn ich zusehen musste, wie nicht
wenige meiner Schicksalsgenossen sich bettelnderweise oder in unwürdiger
Unterwürfigkeit vorführten. Die Behandlung beim Zahnarzt war eine Qual. Der deutsche Arzt setzte mir
eine Spritze, was immerhin schon ein Fortschritt war. Diese Injektion zeigte
aber nicht die geringste Wirkung. Daraufhin fragte mich dieser Arzt, ob ich
etwa regelmäßig Alkohol verkonsumiere? Na, sagte ich ihm, dann solle er mir mal
verraten, wo ich mir solches Gesöff beschaffen könne. - Der Arzt versuchte
es mit einem anderen Betäubungsmittel. Das brachte mehr zuwege. Also
legten er und sein Sani los. Dass ihm der Zahn sofort abbrach, führte er auf eine abnorme Wurzelverformung
zurück. Das hat mich in diesem Augenblick wenig interessiert. Jetzt musste er
die Wurzel buchstäblich ausgraben. Dies geschah mit einem kleinen Hammer
und einem Satz Schraubenzieher, wie sie bei Feinmechanikern gebräuchlich sind.
Der Sani führte nach Anweisung den Schraubenzieher. Der Arzt hämmerte mit der
gefühlvollen Vorsicht, die sich auf einen Hammer umsetzen lässt. Ob mittlerweile auch noch die Wirkung der ersten Spritze eingesetzt
hatte, wer weiß. Ich ließ diese Prozedur halb ohnmächtig über mich ergehen. In
meinem Schädel dröhnte es, wie auf einer Baustelle. Für lange Zeit war ich auf
Zahnärzte nicht mehr gut zu sprechen. Im Lager Nova Pazova erwartete mich eine Menge Post für unser Elendsgeschwader.
Ganz kurz begrüßte ich meine Freunde und machte mich wieder auf den Rückweg. Beim Öffnen der Post stellte sich hier und da große Enttäuschung ein.
Unsere ANTIFA hatte sich etwas neues einfallen lassen. Auf diese quergeschriebenen
dreißig Zeilen mochte er sich wohl nicht einstellen. Also gingen
diese Kerle hin und schnitten das so beschriebene Übermaß kurzerhand
mit der Schere weg. Jetzt hatte man nur noch Dreiviertelzeilen im Normalformat.
Die Briefe von zu Hause hatte man auf ein borniertes Rätselraten
reduziert. Man betrieb dies aber nur mit der eingehenden Post. In Richtung
Heimat wollte man sich wohl in dieser Weise nicht kompromittieren.
Die Brüder, die uns zur Sonne und Freiheit führen wollten, waren ja doch
verflixte Kerle. Ob es der verbesserte Gesundheitszustand war oder dies die großzügige
Haltung des Kommandanten bewirkte, bei uns wurde mit einem Male wie
besessen geschuftet. Das fiel den Wachleuten auf; das war aber auch
dem Kommandanten nicht verborgen geblieben. Als er diese
Feststellung in ein dickes Lob verpackte, sagte ich ihm, dass er
zweifellos durch seine Menschlichkeit diesen Arbeitseifer geweckt habe. Unser Schießplatzkommando ging allmählich dem Ende zu. Es gab keine
Nachtblinden mehr. Wie es bei den Skorbuterkrankungen aussah, dass konnte
ich so eindeutig nicht bestimmen. Und meine Beinmuskulatur? - Na, der
Arzt in Nova Pazova würde staunen, was sich mit Brennnesseln alles behandeln
und heilen lässt. Der Kommandant lieferte uns zum Schluss noch einen imponierenden Vertrauensbeweis,
der aber um ein Haar gewaltig in die Hose ging. Er zog für die letzte Woche
seine Wachmannschaft ab. Ich muss gestehen, dass wir ihm das nicht durch besondere
Arbeitsleistung gedankt haben. Es steckte so eine Entlassungsstimmung
in uns, die natürlich völlig unbegründet war. Aber als Generalprobe
hätte man es schon gelten lassen können. Und wie es dann so geht. - Einer fand sich dann doch, der uns auf ganz
ärgerliche Weise die Schau stahl. Wir hatten einen Vielfrass unter
uns, der die Äpfel schon von den Bäumen pflückte, noch ehe sie ihre Kerne ausgebildet
hatten; dem mit hungrigem Weitwinkel nichts entging, was irgendwie essbar
erschien. Er war an die zwei Meter lang und, trotz aller Fresserei, abgemagert
bis auf die Knochen. Wegen seines geschrumpften Schädels schienen die
Ohren weit abzusegeln. In Nova Pazova war er im Lager wegen dieser
Körperlänge und seines maßlosen Verhaltens mit dem Spitznamen 'Hungerturm' belegt worden. Dort hatte man ihn auch mehrmals des Brotdiebstahls überführt. Von ihm
hatte Helmut damals in Zemun die Brille gekauft, die mir nun schon eine Weile
gute Dienste tat. Ich hielt schon die ganze Zeit stets ein wachsames Auge auf
ihn, und ausgerechnet jetzt, in dieser stolzen Woche des Vertrauens,
machte sich dieser Kerl schon in der Frühe auf die Beine. Keiner wusste wohin.
Als er am späten Nachmittag zurückkehrte, baumelte ein schlapp gefüllter
Leinensack an seiner Schulter. Er machte Miene, als sei dieser Ausflug
nach Beli Potok das Selbstverständlichste von der Welt. Wir alle waren empört.
Der Ehrgeiz, unseren Kommandanten nicht zu enttäuschen, war nun
von diesem notorischen Schnorrer beschädigt worden. Ich hatte keinen
Zweifel, dass dies ein Nachspiel haben würde. Bei der Rolle, in die ich
hineingewachsen war, stellte man an mich die Frage, was jetzt zu tun sei. Ohne
Nachdenken und ohne jedes Zögern befand ich, dass ihm ganz gehörig der Arsch
versohlt gehöre. - Nun ließ ich also auch schon einen wehrlosen Kameraden
verprügeln. Der Kommandant brachte schon am folgenden Vormittag seine Wachmannschaft
zurück. Fast hysterisch schiss er mich zusammen, ohne dass er mir Gelegenheit
ließ, dazu etwas zu sagen. Aber was hätte ich auch sagen sollen? Dann wollte er
den 'Saukerl' sehen, der oben in Beli Potok aufgekreuzt war. Ich führte ihn an
sein Lager. Man hatte ihn so verdroschen, dass er sich noch nicht auf die Beine
stellen konnte. Der Kommandant sprach ihn nicht mehr an. Er schien irgendwie erleichtert.
Trotzdem, ihm und auch uns war eine Freude verdorben worden, für die unser
'Hungerturm' wohl kein Verständnis aufbringen konnte. So wären diese acht Wochen in Beli Potok fast einmalig schön zu Ende
gegangen. Nur ein bisschen von allem, ein bisschen Freiheit, ein bisschen
Demokratie, ein bisschen Frieden, das scheint nirgendwo zu funktionieren. * Im Lager hatten sich die Arbeitszeiten geändert. Der Grund dafür war
dieser ungewöhnlich heiße Sommer. Im Wiesenthal von Beli Potok hatte sich
das nicht so bemerkbar gemacht. Hier aber flimmerte die Weite des künftigen
Flugfeldes in der Sonne. Man trug diesem Umstand Rechnung, indem man auf der
Baustelle von sechs bis vierzehn Uhr durcharbeiten ließ. Das hieß um vier
Uhr wecken, um fünf Uhr Abmarsch. Zwischen halb sechs und sechs am Spätnachmittag
trafen wir wieder im Lager ein, wo wir dann sogleich unser Essen erhielten. Bis
zum Abendessen um achtzehn Uhr fanden wir Zeit zum Waschen, Putzen und
Flicken oder für ein Schläfchen, denn die Hitze hatte einen tagsüber ganz
schön schlapp gemacht. Natürlich
bekam ich auch prompt wieder meine Darmbeschwerden, die sich diesmal trotz
Hitze nicht so schlimm auswirkten. Auf der Baustelle wurde jetzt gelegentlich geprügelt. Das hatte es zu
Poldis Zeiten nicht gegeben. Da gab es einen Wachmann, inzwischen von
allen sehr gefürchtet, der warf einen mit schnellem Griff zu Boden, setzte
einem den Stiefel auf den Hals, wodurch man sogleich wie gelähmt schien, und dann ging's zur Sache. Man
sagte ihm nach, dass er als Zivilist Schafhirte sei und diese 'Technik' vom
Schafescheren beherrsche. Ein anderer trug statt eines Karabiners stets einen Knüppel bei sich.
Das galt ganz allgemein als ein Zeichen dafür, dass dieser Mann an einer
Epilepsie litt. Hier unten war das gar nicht so selten. Man mochte diesen
Leuten keine Schusswaffe überlassen, um möglichen Unfällen vorzubeugen.
Diese Umsicht war zwar anerkennenswert, aber so ein Knüppel konnte einem
auch ganz schön zu schaffen machen. Jedenfalls machte es diesem Wüstling einen
Mordsspaß, hin und wieder einmal kräftig hinzulangen. - Ich habe zum Glück
nie etwas abbekommen. Schon bald nach meiner Rückkehr aus Beli Potok ereignete sich an einem
Sonntag etwas ganz Merkwürdiges, was für mich Folgen haben sollte. Am Vormittag hatten wir noch in einer kleinen Gruppe in der Sonne
gesessen und aufmerksam einem Kameraden zugehört, der an Sonntagen, immer
an der gleichen Stelle, höchst interessante Vorträge hielt. Von Beruf war
dieser Mann Direktor einer Bank gewesen. Seine Vortragsthemen hatten aber
mit Geld nicht das Geringste zu tun. Er sprach über die große Kunstfertigkeit
bei der Herstellung von Farben in der mittelalterlichen Malerei. Er
dozierte gewissermaßen über die Schwingungsbereiche im
Farbspektrum. Er führte uns die Schwingungsmodelle vor Augen, die
Tonfrequenzen über ganz feinen Sand sichtbar werden lassen. In
unserer geistigen Einöde waren diese sonntäglichen Unterhaltungen
eine Kostbarkeit, die man sich nicht entgehen ließ. Während dieser
Mann seine Gedanken vortrug, strickte er aus eingesammelten Wollresten
kunterbunte Socken für den nächsten Winter. Man war den ganzen Sonntag über
froh gestimmt, wenn man ihm am Vormittag zugehört hatte. Für den Nachmittag war aber auch ein Vortrag angesagt. Der 'Instrukteur
der Woiwodina', das war die Provinz, in der sich unser Lager befand, dieser
Instrukteur, ein arrivierter Kriegsgefangener vom Zentralausschuss
der ANTIFA, war unterwegs zu uns. Er musste ein ganz wichtiger Mann sein, denn
er brachte seine eigene Musikkapelle mit. Seine Musikanten waren Leute aus
dem Belgrader Offizierslager, von denen bekannt war, dass sie recht gute
Musik auf die Beine brachten. Also ging man allein der Musik wegen zu dieser
politischen Versammlung. Von unseren Lagerbauleuten war schon vor längerer Zeit für solche Veranstaltungen
eine Freilichtbühne errichtet worden. Vor dieser Bühne hatte man nun lange
Bankreihen aufgestellt. Die Vorstellung konnte beginnen. Da mich das
politische Vortragsthema absolut nicht interessierte, wusste ich hinterher
schon nicht mehr, worüber dieser Mensch gesprochen hatte. Wenn ich
trotzdem wie gebannt auf den Vortragenden schaute, hatte das einen
ganz anderen Grund. Ich musste diesen Mann kennen. Irgendwo musste ich ihm
schon einmal begegnet sein. Aber wo war das nur gewesen? Ich überlegte
angestrengt. Mit einem Mal stellte ich fest, dass auch sein Blick mich immer
wieder suchte. Kein Zweifel, wir kannten uns. Nach seinem Vortrag spielte die Kapelle noch einige Musikstücke, die der
Instrukteur aber nicht erst abwartete. Er kam geradewegs auf mich zu und
begrüßte mich laut und herzlich. "Mensch Pit, du lebst also auch noch! Erzähl, wo du die Jahre
über gewesen bist." "Du musst entschuldigen. Ich bin immer noch nicht
dahintergekommen, wer du bist." "Hainisch ist doch mein Name, aber das sagt dir vielleicht
nichts mehr. Wir waren doch kurz vor der Kapitulation in Vinkovci als
'Entlausungsminister' in einem Partisanen-Lazarett." Ja, jetzt erinnerte ich mich genau. Wir hatten uns damals ausgiebig über
Schwarzweiß- und Farbfotografie unterhalten. Er war mir in sehr angenehmer
Erinnerung, deshalb wunderte ich mich über diesen Aufzug hier. Er war sogar von
einem jugoslawischen Soldaten hier per Dienstwagen vorgefahren worden. Ich beantwortete seine Fragen, in welchen Lagern ich bisher gewesen war;
fragte ihn dann aber, was er für eine merkwürdige Laufbahn eingeschlagen
habe. Wenn er sogar mit Dienstwagen hier erscheine, sei er doch sicher kein
Kriegsgefangener mehr. Selbstverständlich sei er noch Gefangener, aber er sei nun einmal ein
Mensch, der sich immer und überall engagieren müsse. Man solle nicht immer
alles 'den Anderen' überlassen. Wen er damit wohl gemeint haben mochte? Da mir seine Freude über unser Wiedersehen echt zu sein schien, sagte
ich ihm ganz offen, dass mir bei dem Begriff ANTIFA ausschließlich negative
Dinge in den Sinn kämen. Allerdings müsse ich einräumen, dass ich nur die
beiden Typen aus unserem Lager kenne. Hainisch wollte mehr und Einzelheiten über die Tätigkeit der ANTIFA in
unserem Lager wissen. Ich aber winkte ab. "Mein lieber Hainisch," seinen Vornamen hatte ich nicht mehr in Erinnerung, "soll
ich mich wegen diesen Typen hier noch in Gefahr bringen? Die sind fähig und in
der Lage, mich über Nacht verschwinden zu lassen. Da wäre ich nicht der erste,
dem das geschehen würde. Da du zur gleichen Fraktion gehörst, sollten wir
uns lieber wieder über die Fotografie unterhalten." "Solange du mir keine Einzelheiten berichtest, kann ich mich zu
nichts äußern. Mir liegt sehr viel daran, dass sich unsere Ausschüsse in den
Lagern tadellos und im Sinne unseres Auftrags verhalten. Bist du damit
einverstanden, dass wir uns nach dem Abendessen noch einmal zusammensetzen?
Ich lasse dir Bescheid geben, wo du mich finden wirst." "Unter einer Bedingung: Du gibst mir dein Wort, dass ich durch
unsere Unterhaltung hier nicht unter die Räder komme." "Hast du etwa Angst?" "Bin ich etwa verrückt?" "Pit, ich versichere dir, ich lasse dich hier nicht hops
gehen." Die auffällige Begrüßung zwischen dem Instrukteur und mir hatte im Lager
gleich die Runde gemacht. Wo ich hinkam, standen Grüppchen zusammen und
schienen alle nur das eine Thema zu haben. In der Unterkunft kamen sogar einige
an meine Pritsche und boten sich bedingungslos als Informanten
an. Wieso kamen diese Leute darauf, dass Informationen überhaupt gefragt waren.
Die Hoffnung ist nun mal leichtsinnig. Ich aber hielt mich erst einmal
zurück. Nach dem Abendessen vermeldete mir der zweite Vorsitzende, dass Genosse
Hainisch im ZbV-Raum auf mich warte. Ich kam das erste Mal in diesen Raum und war überrascht, wie gut
möbliert er war. An den Wänden hingen schmiedeeiserne Wandleuchter,
wunderschön gearbeitet. Sah man genau hin, so war dieses Schmiedeeisen
gehämmertes und geschwärztes Weißblech von Konservendosen. Das
Kunsthandwerk machte hier aus allem etwas. Hainisch kam ohne Umschweife zum Thema. Was geht hier vor? - Er habe
festgestellt, dass auch der Lagerälteste ihm geflissentlich aus dem Wege
gehe. Also fing ich beim Postdienst an, dass man uns die Briefe von zu Hause
zerschneidet und die Pakete im bereits geöffneten Zustand vorlege. Dass
man sich ständig der Bespitzelung ausgesetzt fühle. Es käme vor, dass
Leute mitten in der Nacht von der Pritsche geholt würden, um auf Nimmerwiedersehen
zu verschwinden. Als Beispiel erzählte ich von dem Kameraden, den ich mit
meiner Erzählung über die Gräber von Klenak aus der Fassung gebracht
hatte. Wenn hier in irgendeiner Weise terrorisiert würde, so geschähe dies
weder durch den Kommandanten, noch durch seine Wachmannschaft. Angst habe man
in unserem Lager nur vor diesen undurchsichtigen Typen. Hainisch musste nach Belgrad zurück, wollte aber schon in aller Kürze
wieder hierher kommen, um in dieser Angelegenheit tätig zu werden. Er wolle an
dieser Sache dranbleiben. Mit seiner überschwänglichen Verabschiedung
wartete er, bis sich die beiden Vorsitzenden eingefunden hatten. Diese machten noch am Abend einen großen Fehler. Dem zweiten Vorsitzenden
fiel gerade und zufällig ein, dass auf dem Flugfeld die Stelle eines technischen
Zeichners freigeworden sei. Ich hätte mich doch anfangs auch um diese
Tätigkeit beworben. Unsere Antifaschisten hatten wohl mehr zu verbergen, als ich wusste.
Mein Interesse, über diese Burschen mehr zu erfahren, wuchs. Ich half dem Zufall etwas nach, indem ich die Begegnung mit dem
Lagerältesten suchte. Ganz nebenbei bemerkte ich, dass er auf Hainisch
einen so guten Eindruck gemacht habe, trotz der Zurückhaltung, die er sich
offensichtlich auferlegt habe. Unser Lagerführer bekam allmählich
spitze Ohren. Auch die Spitzel waren aufgescheucht. Auf Umwegen ließen
sie erkunden, welcher Art meine Kontakte zu diesem Instrukteur seien, für
was er sich interessiert habe. Der Lagerälteste, der 'ständiges Mitglied' der ANTIFA-Ausschusses war,
berichtete mir von einer Sondersitzung, die den Besuch von Hainisch zum
Gegenstand hatte. Der Erste Vorsitzende habe drohend geknurrt, dass neuerdings
'reaktionäre Kräfte' am Werk seien, um ihre Arbeit zu diskriminieren. Ihre
'Bombe sei bereits gelegt', aber man werde sich sehr wundern, wenn diese schon
sehr bald nach hinten losgehe.- So wurde die Angst geschürt, dass viele sich
schon nicht mehr getrauten, mit mir ein Gespräch zu führen. Als dann Tage
später in der Nacht zwei Leute in Marsch gesetzt wurden, die mir tatsächlich
Informationen geliefert hatten, wurde es allmählich Zeit, dass etwas
geschah. Bis Hainisch wieder auftauchen würde, musste ich versuchen, etwas Wind
zu machen. So besuchte ich den nächsten 'Antifaschistischen Schulungsabend' und
setzte mich vorne in die erste Reihe. Die entsprechenden Anmerkungen
blieben natürlich nicht aus. "Ja, was verschafft uns denn diese Ehre?!" "Lasst euch durch meine Anwesenheit nicht stören. Unser
gemeinsamer Freund ist der Meinung, dass etwas politische Bildung auch mir
nicht schaden könne." Hainisch kam wie versprochen. Nach seinem Eintreffen berief der Erste
Vorsitzende hier in Nova Pazova seine letzte außerordentliche Sitzung ein.
Die nächtliche Abschiebung meiner beiden Informanten und der bestätigende
Bericht des Lagerältesten zu diesen Vorgängen hatten wohl schon ausgereicht,
diesen Mann aus dem Lager zu entfernen. Der Zweite Vorsitzende verblieb im
Lager zur Weiterführung der ANTIFA-Geschäfte. Für mich hatte Hainisch die Versetzungsverfügung in der Tasche. Ich
musste noch am gleichen Tage packen, da er die Absicht hatte, mich auf dem Rückweg
im Donaulager abzuliefern. Als ich mich an diesem Tage von Helmut Tietze und unseren Freunden verabschiedete,
konnte ich davon ausgehen, dass wir uns nicht mehr wiedersehen würden. Was
weiterhin in Nova Pazova geschah, hat mich auch nicht mehr interessiert. Dem Genossen Hainisch ist diese 'Revierreinigung' nicht sonderlich bekommen.
Er wurde aus dem Zentralausschuss entfernt und war fortan Leiter des Entlassungslagers
auf dem Kalvarienberg von Zemun. Da würde er dann wohl irgendwann einmal
'als Letzter von Bord gehen'. *** |