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Meine Zeit in

jugoslawischer

Kriegsgefangenschaft

 

1945 - 1948

 

 

 

PIK BUBE

 

 

ein Bericht von

Peter J. Kurtenbach

 

 

 

 


 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 


PIK BUBE nach der Vorstellung

eines jungen bulgarischen Künstlers:

Ein mazedonischer Bauer (unten)

in Gefangenen-Montur (oben) mit

seiner Herzdame im Hintergrund.


Jugoslawien vor dem Zweiten Weltkrieg

 

Kampf, Tapferkeit, Hass und Vergeltung, Glaubensfehden zwischen dem Islam, den römischen und den orthodoxen Christen, haben unter den Balkanvölkern alte Tradition.

Es wohnen aber auch nirgendwo sonst so viele grundverschiedene Volksgruppen auf so engem Raum beieinander: Die Serben in Serbien, aber auch in Teilen Bosniens, in Montenegro und dem Kosovo; die Kroaten in Kroatien und Slowenien, in Dalmatien und in Teilen Bosniens; dann die Albaner, die Bulgaren, die Griechen und schließlich die Mazedonier in den serbischen, bulgarischen und griechischen Grenzgebieten. In Bosnien und im Kosovo, in Albanien und Bulgarien leben noch zahlreiche Türken, Relikte einer nahezu fünfhundertjährigen osmanischen Herrschaft.

Der Balkankenner Dr. Franz Thierfelder gab vor dem Amerikanischen Militärgerichtshof Nr.V. (Leyser-Dokumentenbuch III) folgende Erklärung ab (Auszug):

»Das heute im jugoslawischen Staat vereinigte Volk der Südslawen besteht aus drei Stämmen: den Serben, den Kroaten und den Slowenen, die sich nicht durch ihren rassischen Ursprung, sondern durch ihr religiöses Bekenntnis und eine stark voneinander abweichende politische, kulturelle, wirtschaftliche und soziale Entwicklung unterscheiden. Auf diesen Unterschieden beruht der serbischkroatische Gegensatz, der akut wurde, als es sich nach der Auflösung der Donaumonarchie darum handelte, wer in dem neu entstehenden Staat der Serben, Kroaten und Slowenen die politische und geistige Führung übernehmen sollte. Der Streit um den Führungsanspruch hat die letzten dreißig Jahre so vergiftet, dass zwischen Serben und Kroaten ein nur mit Gewalt niederzuhaltender  Gegensatz besteht, dessen Überwindung vorerst nicht abzusehen ist.

Die orthodoxen Serben, die im Mittelalter zeitweilig den größeren Teil der Balkanhalbinsel beherrschten (...) sind über vierhundert Jahre der türkischen Herrschaft unterworfen gewesen und von der orientalischen Denkweise stärker beeinflusst als die katholischen Kroaten, deren nördliche Provinzen von der türkischen Herrschaft frei blieben, und die im Rahmen Österreich-Ungarns an der abendländischen Entwicklung teilgenommen haben. (...) Schwer, ja hoffnungslos belastet wurde das serbisch-kroatische Verhältnis durch die volkspolitische Lage in Bosnien. Die Bevölkerung Bosniens ist der Herkunft nach vorwiegend kroatisch, aber zu einem bedeutenden Teil mohammedanischen Glaubens und dadurch vom orthodoxen Serben, wie vom katholischen Kroatien getrennt.(...). So kamen zu den religiösen die nationalen Gegensätze hinzu, und die Katastrophe war unvermeidbar, sobald es zu offenen Auseinandersetzungen kam.(...)»

So blieb der Balkan in vieler Hinsicht eine Region fundamentaler Vielfalt.

Während sich die Städte und Dörfer in Kroatien, bis hin zu den Donau-Schwaben im Banat, kaum von österreichischen und ungarischen Ansiedlungen unterschieden, muteten Städte wie Sarajewo, Mostar, Trawnik oder Jajce, wie ein orientalisches Märchen an.

Ähnlich verhält es sich heute noch mit der Vegetation. Während im Gebiet von Donau und Save große Waldgebiete und fruchtbare Ländereien ertragreich bewirtschaftet werden können, sind die Gebiete um Bosnien, der Herzegowina und Montenegro von dem rigorosen Holzeinschlag der osmanischen Besatzer wohl für alle Zeit gezeichnet.

Seit dem Verfall des osmanischen Reiches, gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, ist der Balkan, auch durch viele blutige Auseinandersetzungen heillos zerstritten, in einem sehr labilen Zustand verblieben:

1877 -78   der russ.-türk. Krieg,  der auf bulgarischem  Boden am Schipka-Pass entschieden wurde.

1897          der griech.-türk. Krieg mit der griech. Niederlage in Thessalien.

1912          der erste Balkankrieg. Als Folge entwickelte sich eine kritische internationale Lage, in der unter anderem Italien die Annexion Albaniens anstrebte.

1913          der zweite Balkankrieg. Als Folge verlor Bulgarien Mazedonien und die Dobrudscha. Albanien wurde selbständig. Österreich-Ungarn hinderten Serbien an die Adria vorzudringen was unter den Serben große Verbitterung auslöste. Die Bündnispositionen versteiften sich. Die Lage auf dem Balkan, dem "Pulverfass Europas", blieb überaus labil und entzündete dann

1914          durch die Ermordung des österreichischen Thronfolgers, Ehz.Franz Ferdinand  in Sarajewo, den Ersten Weltkrieg.

Und wie kaum ein anderer Teil Europas bildete der Balkan mit seinen zerklüfteten Hochebenen und Schluchten, seinen düsteren Urwäldern mit endlos erscheinenden Höhlenformationen, die ideale Landschaft für Freischärler, Banden und Partisanen.

 

***


Chronologie einer Tragödie

 

Am 07.04.39 ...drei Wochen, nachdem deutsche Truppen in Böhmen und Mähren einmarschiert sind, beschließt Mussolini, König ZOGU aus Albanien zu vertreiben. Albanien wird von italienischen Truppen besetzt und in das italienische Imperium eingegliedert. Damit ist Mussolini seiner Absicht, sich bei günstiger Gelegenheit mit Griechenland anzulegen, ein Stück nähergerückt.

Am 28.10.40 ...greift Mussolini, ganz sicher geblendet durch die deutschen Erfolge in Westeuropa, Griechenland von albanischem Boden aus an.

Am  1.11.40 ...gelingt es den Griechen, die Italiener auf albanisches Gebiet zurückzuwerfen und weiter ins Land zu verfolgen. Am gleichen Tage führt Italien 24 Luftangriffe gegen Griechenland durch. Dabei werden auch Flugblätter in griechischer Sprache abgeworfen, in denen erklärt wird: Italien sei kein Feind des griechischen Volkes, sondern liebe und respektiere das griechische Volk, und es würde nur einmarschieren, um die Griechen gegen die Engländer zu schützen.

Am 13.11.40 ...meldet die Agentur Reuter, dass die Royal Air Force in der Nacht vom 11. auf den 12. erfolgreiche Operationen gegen Durazzo an der albanischen Küste durchgeführt hat. Auch das Gebiet um Valona ist stark bombardiert worden.

Zur gleichen Zeit hält sich der sowjetische Außenminister MOLOTOW in Berlin auf, um mit Hitler und dessen Außenminister v.Ribbentrop den Beitritt der UdSSR zum  'Dreimächtepakt' zu erörtern.  Dabei soll die Aufteilung der Welt nach Interessensphären nach der Niederlage Englands und die Aufteilung seines Imperiums besprochen werden.

Bezüglich des Balkans bekundet Molotow das Interesse des Kreml an Griechenland, Rumänien und Jugoslawien. Er lässt dabei durchblicken, dass der Sowjetunion eine dauernde Präsenz Deutschlands auf dem Balkan unerwünscht sei.

Die griechische Armee bleibt bei der Verfolgung des Aggressors weiterhin erfolgreich.

Am 20.11.40 ...berichtet die Agentur Reuter, dass am Vortage britische Jagdverbände ohne eigene Verluste neun italienische Flugzeuge abgeschossen haben.

Am 24.11.40 ...meldet das griechische Kriegsministerium den Vormarsch seiner Truppen an allen Fronten. Die Beute an Kriegsmaterial nimmt ständig zu.

Am 13.12.40 ...erfolgt die Weisung Nr.20 aus dem Führerhauptquartier: Unternehmen "MARITA". Auszug:

Der Ausgang der Kämpfe in Albanien lässt sich noch nicht übersehen.


Angesichts der bedrohlichen Lage in Albanien ist es doppelt wichtig, dass englische Bestrebungen, unter dem Schutz einer Balkanfront eine vor allem für Italien, daneben für das rumänische Ölgebiet, gefährliche Luftbasis zu schaffen, vereitelt werden ...

Meine Absicht ist daher ... nach Eintreten günstiger Witterung, voraussichtlich im März, diese Kräftegruppe über Bulgarien hinweg zur Besitznahme der Ägäischen Nordküste und, sollte dies erforderlich sein, des ganzen griechischen Festlandes anzusetzen. Mit der Unterstützung Bulgariens ist zu rechnen ...

Am 15.12.40 ...recherchiert W. CHURCHILL beim Chef des Luftstabes: Welche Fortschritte machen Sie in Griechenland mit der Anlage eines großen Systems von Flugplätzen, die geeignet sind, moderne Bomber und Jäger aufzunehmen ...?

Am 02.03.41 ...meldet Agentur Reuter: Deutsche Truppen in Sofia.

Am 20.03.41...meldet der Sender Beromünster, dass britische Truppen aus Nordafrika nach Griechenland entsandt werden.

Am 26.03.41 ... findet in der Nacht zum 27. in Belgrad ein Militärputsch statt. König Peter wird im Alter von 17 Jahren vom Kabinett für mündig erklärt und als König PETER 'II. ausgerufen.

Am 27.03.41 ... erfolgt die Weisung Nr. 25 aus dem Führerhauptquartier: Auszug: Der Militärputsch in Jugoslawien hat die politische  Lage auf dem Balkan verändert. Jugoslawien muss als Feind betrachtet und daher so rasch als möglich zerschlagen werden.

Meine Absicht ist, durch eine konzentrische Operation aus dem  Raum Fiume/Graz einerseits und dem Raum um Sofia andererseits in allgemeiner Richtung Belgrad und südlich in Jugoslawien einzubrechen und die jugoslawische Wehrmacht vernichtend zu schlagen, außerdem den äußersten Südteil Jugoslawiens vom Festland abzutrennen und als Basis für die Fortführung der deutsch-italienischen Offensive gegen Griechenland in die Hand zu nehmen.

Am gleichen Tage meldet die Agentur Reuter, dass nach Bekanntwerden der Regierungsänderung Freudenkundgebungen in den Straßen Belgrads stattfanden. Tausende durchzogen die Hauptstraßen und huldigten dem König. Tausende von Menschen versammelten sich vor dem Palast des Patriarchen der orthodoxen Kirche. Der Patriarch hielt eine Ansprache in der er ausführte: "In diesem entscheidenden Augenblick unserer Geschichte werden die Ehre und der Ruhm des serbischen Volkes bewahrt werden. Dazu fordere ich euch auf, euch um den jungen König zu scharen. Die Kirche steht immer hinter euch."

Am 28.03.41 ... berichtet United Press von Protesten der 'Friedensbewegung'. Kommunisten, denen sich Schüler und Studenten anschlossen, versuchten in Belgrad eine Demonstration abzuhalten. In Flugblättern wurde der neuen Regierung der Vorwurf gemacht, sie versuche in den Krieg zu ziehen, "um dem imperialistischem England zu helfen".

Am 06.04.41 ... erfolgt der Einmarsch deutscher Truppen nach Griechenland (aus Bulgarien) und nach Jugoslawien.

Am 07.04.      ... Luftangriff auf Belgrad,

       09.04.       ... Räumung von Skopie,

       12.04.       ... Zagreb in deutscher Hand,

       13.04.       ... Belgrad besetzt,

       14.04.       ... erste Kampfberührung mit Brit. Expeditionskorps,

       18.04. 41  ... kapituliert Jugoslawien,

Am 22.04.41 ... beginnen das Britische-, das Australische- und das Neuseeländische Expeditionskorps mit der Räumung Griechenlands.

Am 23.04.41 ... kapituliert Griechenland.

Am 01.05.41 ... gilt das Unternehmen "MARITA" als abgeschlossen.

Am 20.05.41  ... läuft das Unternehmen "MERKUR" an, eine Luftlandeoperation mit dem Ziel, die britischen und neuseeländischen Verbände von der Insel Kreta zu vertreiben.

Am 01.06.41 ... haben die britischen Expeditionseinheiten die Insel verlassen. Das Unternehmen 'MERKUR' forderte hohe Verluste.

So wäre dieser Balkanfeldzug fast wieder ein "Blitzkrieg" geworden. Doch schon sehr bald setzte sich die Einsicht durch, dass der Krieg auf dem Balkan sich anschickte - erst zu beginnen. Die Deutschen waren nicht nur in des "Teufels Küche" geraten; sie waren dabei, sich dort auch noch häuslich einzurichten.  Die Beziehungen der  einzelnen Balkanvölker und -stämme untereinander schienen nur aus offenen Rechnungen zu bestehen, die schon lange darauf warteten, nun endlich beglichen zu werden. Was am Anfang noch als vereinzelte Bandentätigkeit eingeschätzt wurde, formierte sich allmählich zu einem gnadenlosen Gemetzel aller gegen alle. - Und der Kreml mischte eifrig mit. Waren seine Balkaninteressen nicht mit Hitler als Bündnispartner wahrzunehmen, dann eben gegen ihn, durch die Aktivierung kommunistischer Partisanentätigkeit.

In Griechenland hat das dank britischer Interessenwahrnehmung dem Kreml nichts eingebracht. Dort hatte sich eine "Nationale und soziale Befreiung = EKKA" gebildet. Daneben operierte die "Nationale Republikanische Griechische Liga = EDES". Beide Widerstandsvereinigungen wurden ungemein brutal von einer "Nationalen Volksbefreiungsarmee = ELAS" und einer "Nationalen Befreiungsfront = EAM", beides kommunistische Befreiungsbewegungen, bekämpft, verfolgt und später zum Teil mit ihren Angehörigen niedergemacht. Das einzige, was sie verband, war der Kampf gegen die deutschen Okkupanten. Diese Zeit des griechischen Widerstandes hat eine wohlklingende Folklore inspiriert. Wie schon in Spanien, wurden bei dieser musikalischen Präsentation immer, und ausschließlich, nur die Helden besungen, die um ihre eigene, ihre 'Diktatur des Proletariats' gebracht wurden.

In Jugoslawien entwickelten sich die Dinge völlig anders. Was die Briten in Griechenland noch verhindern konnten, dem haben sie in Jugoslawien am Ende mit zum Sieg verholfen. Ansonsten war die Gesamtsituation noch bedeutend verworrener.

Dort gab es  Widerstandsgruppen, die letzten Endes ohne Bedeutung blieben. Man kann sie der Vollständigkeit wegen erwähnen. Die KOMITADSCHI zum Beispiel, die während des Ersten Weltkrieges und während der Balkankriege schon von sich reden machten. Oder die HAJDUKEN, um die sich bereits die abenteuerlichsten Überlieferungen rankten, als es den osmanischen Besatzern zu widerstehen galt.

Das nach der deutschen Okkupation neuerstandene "Unabhängige Kroatien" hatte gleich eine eigene Heimwehr, die DOMOBRANEN; die neue serbische Verwaltung in Belgrad eine "Serbische Staatswache" aufgestellt. Da sie von Natur her nur deutsche Interessen wahrnehmen konnten, ergaben sich daraus für die deutschen Besatzer keine Probleme. Ganz anders sah das untereinander aus.

Eine bedeutende Rolle spielten die USTASCHI (kroat.: Aufständische). Sie waren bereits 1929 als eine "Nationale Kroatische Bewegung" gegründet worden, um den serbischen Zentralismus zu bekämpfen. So vertraten sie erst einmal die deutschen Interessen. Im Kampf gegen ihre serbischen Landsleute kannten sie aber kein Pardon. Deshalb hat es sie am Ende auch entsprechend hart getroffen. Ihnen erging es ähnlich wie EKKA und EDES in Griechenland. Sie wurden, wenn man ihrer habhaft wurde, nicht selten mit ihren Familien von den Tito-Partisanen umgebracht.

Für die Wiederherstellung der serbischen Monarchie und gegen die Sammlung der Tito-Partisanen kämpften die TSCHETNIKI (serb.: Freischärler). Ihr Anführer, Drascha Mihailovic, galt immer noch als der Kriegsminister König Peters im englischen Exil.

Um die Kampffähigkeit der TSCHETNIKI zu sichern, wurden sie aus England durch die Luft versorgt. Drohten die kommunistischen Tito-Partisanen dem deutschen Druck zu unterliegen, erhielten auch sie auf diesem Wege Munition und Verpflegung. Erschienen sie aber den Exilanten in den einzelnen Gebieten zu übermächtig, dann geschah es nicht selten, dass statt der erwarteten Munition und der Verpflegung Bomben vom nächtlichen Himmel fielen und den Partisanen empfindliche Verluste beibrachten.

Nach Churchills Rückkehr aus Teheran im Dezember 1943, zog dieser seine Militärmission bei Mihailovic zurück und stellte jede weitere Waffenhilfe ein. Daraufhin entzog auch die jugoslawische Exilregierung ihrem 'Kriegsminister' jeden weiteren Beistand und entfernte ihn aus dem Exilkabinett.

Diese westalliierten Hilfslieferungen gingen fortan an die Tito-Partisanen. Deren Kommissare hatten ihren Leuten einzuschärfen, dass die Initiale "US" auf den Containern "Union Sowjetica" bedeuteten.

Die Art, mit der Mihailovic von seinen westlichen Freunden fallengelassen wurde, macht seinen Untergang zur Tragödie.

Trotzdem fanden im Sommer 1944 noch hunderte von amerikanischen Fliegern, die über den rumänischen Ölfeldern von Ploiesti abgeschossen wurden, bei den TSCHETNIKS kameradschaftlichen Unterschlupf, während diese selbst nur noch um ihr eigenes Leben kämpften.

Anfang 1946, ein ganzes Jahr nach Kriegsende, wurde Drascha Mihailovic in eine Falle gelockt. Man spürte ihn völlig erschöpft in einer Höhle an der serbisch-bosnischen Grenze auf. Es heißt, dass sich der einstige Minister des Königs nur noch von Schnecken und Kräutern ernährt habe. In einem Schauprozess in der Topschieder Kaserne wurde er zum Tode verurteilt. Seine Grabstätte ist niemandem bekannt. Man singt ihm und seinen Getreuen auch keine Lieder.

Der Balkanfeldzug im Sommer 1941 hat auf deutscher Seite etwa 4.150 Soldaten das Leben gekostet. Die Operation „Marita“ dauerte vom 7. bis zum 18. April, also ganze elf Tage bis zur Kapitulation Jugoslawiens. Auf deutscher
Seite haben bei diesem Feldzug 166 Soldaten ihr Leben verloren. Davon gelten 15 als vermisst. Das erklärt auch die relativ geringen Zerstörungen, wenn man von den Verwüstungen absieht, die durch den Luftangriff auf die Hauptstadt entstanden waren.  

Die Operation „Merkur“, die Besitznahme der Insel Kreta durch Fallschirmjäger und die Vertreibung der britischen Expeditionseinheiten von dieser Insel, in der Zeit vom 20. Mai bis zum 1. Juni, dem Tag der griechischen Kapitulation, war umso verlustreicher. In jenen Tagen verloren ca. 3.985 deutsche Soldaten ihr Leben. Von ihnen gelten 1.995 (!), also die Hälfte,  als vermisst .

Unendlich viel größer waren aber die Verluste, die anschließend der vierjährige Partisanenkrieg forderte. Allein in Jugoslawien soll jeder neunte Einwohner ein Opfer dieser Tragödie geworden sein.

 

***

 

Quelle: Janusz Piekalkiewicz, KRIEG AUF DEM BALKAN 1940-1945

                              MÜNCHEN 1984

 


PROLOG

 

Im Juni 1941 wurde ich von Wien nach Sofia zur Deutschen Luftwaffenmission in Marsch gesetzt. Diese Dienststelle war dem Deutschen Luftattaché an der Deutschen Gesandtschaft zugeordnet. Luftattaché General v.Schönebeck war im Ersten Weltkrieg ein Staffelkamerad Görings, mit dem er sich duzte und respektlose Reden führte.

Diese Indizien und einiges mehr erlaubten mir, meiner besorgten Mutter guten Gewissens zu versichern, dass sie sich vorerst um mich keine Gedanken zu machen brauche; dass ich mich wie PIK KÖNIG fühle.

Bis Juni 1943 wohnte ich in einem Hotel im Zentrum Sofias. Alle zehn Tage wurde mir ausreichendes Verpflegungsgeld ausgezahlt. Nach diesen beiden Jahren ging es dann aber unaufhaltsam bergab.

Schon ein Jahr später träumte ich von einem Urlaub, der nicht mehr zustande kam. Die Nachrichtentechnik machte es aber möglich, jeden Sonntag um die Mittagszeit eine ausgedehnte Unterhaltung mit meinem Schätzchen zu führen. Meine Liebste lebte in einem Forsthaus, ganz nahe beim Führerhauptquartier WEST, das sich FELSENNEST nannte. Hitler schätzte es wohl nicht, wenn alle Welt wusste, wo er sich aufhielt. Aus diesem Grunde war seinem Amt FALKE eine Vermittlung 'W-NULL' vorgeschaltet. Die wusste, ob er momentan in Berlin, auf der WOLFSSCHANZE in Ostpreußen, oder im FELSENNEST, in der Eifel war.

Ich ließ meine Sonntagsgespräche bis Amt FALKE über ein Inverter-Gerät schalten. Das bedeutete, dass meine Unterhaltung durch Frequenzmodulation nicht abgehört werden konnte. Kein Mensch getraute sich, meine Sonntagssprüche 'mit dem Führerhauptquartier' zu trennen oder zu stören. Für die Kollegen auf der Vermittlung FALKE, und natürlich auch für die Nachrichtenmänner im Forsthaus Unterdickt war unser Treiben nicht ganz ungefährlich. Es war ein nobles, kameradschaftliches Entgegenkommen.

Ich bin sicher, dass diese grobe Regelwidrigkeit keinen Einfloss auf den Ausgang dieses Krieges hatte. Wie es mir ergangen wäre, hätte man dieses Privatissimum aufgedeckt, habe ich mir erst gar nicht vorzustellen versucht.

Solche Eskapaden setzten natürlich zwei Dinge voraus: Beziehungen und Unauffälligkeit. Die Beziehungen hatte ich als Nachrichtenmann. Meine Unauffälligkeit sah ich durch meinen Dienstgrad gewährleistet. Ich war Obergefreiter.

Am 6. September 1944 verließen die deutschen Luftwaffenverbände in aller Frühe Sofia und das Land Bulgarien. Unser Chef, Oberstltn. Darries, hatte seinen Freund, den Oberbefehlshaber der bulgarischen Luftwaffe, General Airanow, mit einem Fliegeralarm getäuscht. Die gemeldeten feindlichen Flugverbände waren unsere Transportflugzeuge und Lastensegler, die wir vereinbarungsgemäß unseren einstigen Verbündeten vor die Tür stellen sollten. Ich bin fast sicher, General Airanow hat's gewusst. Die Russen sollen ihn gleich nach ihrem Einmarsch umgebracht haben. Vielleicht waren es auch die Bulgaren selbst.

Am 6. September also verließen wir dieses vordem so gastliche Land, das uns noch am gleichen Tage den Krieg erklärte. Am Abend trafen wir in Nischka Banja ein. Nur hundertfünfzig Kilometer hatten wir geschafft. Also setzte ich mich hin und schrieb noch am gleichen Abend an mein Schätzchen: "Wenn das so weitergeht, brauchen wir mindestens noch vierzehn Tage bis ins Reich ...". - Und so etwas nannte sich Nachrichtenmann!

Ganze acht Monate hat dieser Rückzug gedauert; acht Monate ununterbrochener Kämpfe auf einem Marsch durch Schnee und Eis, ohne einen Tag der Rast.

Von der Heeresgruppe E haben noch zweihundertfünfzigtausend Mann die Reichsgrenze erreicht. Die Nachhuten, rund hundertfünfzigtausend Mann, dazu gehörte auch ich, standen zum Zeitpunkt der Kapitulation noch auf jugoslawischem Gebiet. Ich stand allerdings nicht mehr. Ich saß bereits - vier Wochen hinter Schloss und Riegel. In der sich anschließenden Gefangenschaft sind weit mehr als die Hälfte unserer Landsleute umgekommen.

Allein dieser berüchtigte ,Hungermarsch', unsere ANTIFAorientierten Mitgefangenen nannten ihn später ‚Sühnemarsch‘, hat ungezählte Opfer gefordert. Es war ein Fußmarsch, der in Ljubljana (Laibach) begann und bis zum fünfhundert Kilometer entfernten Belgrad führte. Alle die, denen man schon das Schuhwerk abgenommen hatte, machten diesen langen Weg auf bloßen Füßen. Je näher man an die Reichsgrenze herangekommen war, umso länger wurde die Rückmarschstrecke. Die schon in Zagreb (Agram) in Gefangenschaft gerieten, denen blieben fünfundsiebzig Kilometer dieser fürchterlichen Prozedur erspart.

Unserer Rotkreuzschwestern und die noch auf dem Balkan verbliebenen Nachrichtenhelferinnen hatte man verschiedentlich bis aufs Hemd ausgezogen. Ihrer bediente sich das Wachpersonal während der Marschpausen. 

 Von denen, die in Belgrad oder auf dem 'Kalvarienberg' von Zemun (Semlin) eintrafen, sind noch viele an Schwäche oder an der Ruhr gestorben. Andere sind Seuchen zum Opfer gefallen, dem Typhus oder dem Fleckfieber. Wieder andere wurden ganz einfach ermordet oder erschlagen, weil man eine Rechnung zu begleichen glaubte - oder nur so aus Spaß. -

Ich habe dies alles schadlos überstanden. Gott sei gedankt dafür.

Gedankt sei aber auch all jenen, die mir auf dem Weg durch diese Zeit mit großer Menschlichkeit begegnet sind.

Die Redewendung: 'Wo viel Licht, ist auch viel Schatten', will doch sagen, dass eben nichts vollkommen ist. - Kehrt man diesen Ausspruch um: 'Wo viel Schatten, ist auch viel Licht ', dann steht dahinter die Erfahrung furchtloser und tapferer Zuwendung und die Hoffnung auf eine bessere Zeit. Diese Hoffnungsträger gab es überall. Da, wo die Verhältnisse sie auf den Plan riefen, blieben sie am liebsten unerkannt. Im braunen Deutschland und im kommunistischen Russland galten sie als Staatsfeinde. Wurde man ihrer habhaft, bezahlten sie dafür oft mit ihrem Leben. In Jugoslawien war das zeitweilig nicht anders. Diesen drangsalierten Männern und Frauen kann ich meinen Dank nur dadurch zum Ausdruck bringen, indem ich ihre Menschlichkeit bezeuge.

Ich danke aber auch allen meinen deutschen Weggefährten, die mir überall zur Seite standen.

 

 

***


 

 

Volksbefreiungsarmee hat zusam-

men mit der tapferen Roten Armee

 

B e o g r a d

Jugoslawiens Hauptstadt befreit.

Abteilungen der Volksbefreiungs-

armee, der Roten Armee und Bul-

garen,  die gegen Hitler kämpfen,

haben die Stadt NIS eingenommen.

Damit ist  den deutschen  Truppen

der Rückzugweg  aus dem  Balkan

abgeschnitten.

A l l e   d i e s e    D i v i s i o n e n   s i n d
z u r   V e r n i c h t u n g   v e r u r t e i l t

Die Rote Armee steht vor Budapest,

der letzte Hitlerhelfer wird  kapitulie-

ren müssen.

A r m e e   i n   B a l t i k u m   i s t   v e r n i c h t e t

R o t e   A r m e e   d r i n g t   i n   O s t p r e u s s e n   v o r

Im Westen ist die  Stadt Aachen

eingenommen, und die Alliierten marschieren durch die Siegfriedlinie

ins Reich vor.  -  Jeden Tag bom-

bardieren tausende von Flugzeu-

gen mit Sechstonnenbomben die

deutschen Städte.

D  e  u  t  s  c  h  l  a  n  d
h  a  t   d  e  n   K  r  i  e  g    v  e  r  l  o  r  e  n

Rettet Euch und tretet in die Reihen der Volksbefrei-

ungsarmee über und kämpft gegen Hitler, der Euch
in den Tod jagt!

K  ä  m  p  f  t    f  ü  r
F  r  e  i  h  e  i  t    u  n  d    F  r  i  e  d  e  n  !

Flugblatt der Jugoslawischen Befreiungsarmee
für die Deutschen Truppen im Oktober 1944


... rien ne va plus!

 

Es ging aber auch wirklich gar nichts mehr!

Im Herbst 1939 hatte dieser Krieg begonnen. In einem beispiellosen Siegeszug konnte die deutsche Wehrmacht fast ganz Europa überrennen. Die Regierungen der westlichen Welt schienen wie gelähmt; bis sich dann im Winter 1942/43 an der Wolga die Wende vollzog. Ausgerechnet die russischen Streitkräfte, von denen wir annahmen, dass sie sich durch uns von einer menschenverachtenden Diktatur befreit fühlen müssten, schlugen uns fortan an allen Frontabschnitten und trieben uns außer Landes. Und nicht nur das. Nun waren sie bereits bis tief in unsere Ostgebiete vorgedrungen; Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien hatten sich der 'Roten Armee' unterwerfen müssen; und überall war diese dabei, eine blutige Abrechnung zu vollziehen.

Trotzdem, der Soldat konnte nur in den Kategorien von Sieg und Niederlage denken, wobei die Hoffnung auf einen Sieg allerdings längst sehr fragwürdig geworden war.

Als ich im März 1945 noch in ein Strafbataillon versetzt wurde, hatte das nicht mehr viel zu bedeuten. Warum ich überhaupt zu dieser dubiosen Einheit kommandiert wurde? Ich wusste es zu Anfang nicht, bis ich vier Wochen später dahinterkam: Diese Versetzung erfolgte 'Zur Beobachtung'. In meiner Beurteilung fand ich den Vermerk "Neigt zum Nörgeln". Weiter nichts.

Aus dieser Kenntnis wurden mir dann aber Zusammenhänge klar. Kurz vor meiner Abstellung zu dieser Festungsbrigade 967 hatte ich in unserem Luftwaffen-Alarmbataillon Ärger mit dem Kommandeur:

Ein Obergefreiter, den ich vor dem Rückzug auf dem Flugplatz Sofia-Vrazdebna kennenlernte, er fuhr dort einen Tankwagen, hatte nach einem Nachteinsatz vor versammelter Mannschaft sicherlich Unfreundliches vor sich hingebrummelt. Der Bataillonsführer, ein Hauptmann der Luftwaffe, bestand darauf, dass er dies in verständlicher Form wiederhole.

Dieser Kommentar muss sich für Klartext nicht geeignet haben. Jedenfalls war Helmut Tietze zu keiner Wiederholung zu bewegen. Je heftiger der ansonsten recht umgängliche Hauptmann auf seiner Aufforderung bestand, umso 'dienstfreudiger' erhellten sich die Gesichter der angetretenen Kompanien.

Jeder Schulmeister weiß, dass Kraftproben vor versammelter Klasse im günstigsten Falle nichts bewirken. Natürlich wusste das unser Hauptmann auch. Was half's, es war passiert. Und damit nicht genug. Zur Strafe erhielt Helmut Tietze Dauerwache. Das bedeutete zwei Stunden Wache und vier Stunden Ruhezeit, rund um die Uhr. Während dieser Ruhezeit sollte Helmut einen beachtlichen Baumstamm, der vor der Wachstube im Graben lag, zersägen und ofengerecht mit der Axt bearbeiten. Dieses 'verordnete' Wachvergehen hätte den Hauptmann noch in große Verlegenheit bringen können.

Schon nach zwei Tagen konnte man sich diese Tortur nicht mehr mit ansehen. Ich wusste, wo im Ort eine lange Säge aufzutreiben war. In der folgenden Nacht haben wir den Baumstamm gemeinsam zersägt. Das Kleinhacken war noch Arbeit für einen Tag.

In einer regulären Wehrmachtseinheit wäre ein solcher Vorgang kaum denkbar gewesen. Da kannte man sich untereinander. Da wusste der Chef seine Leute einzuschätzen. Man half sich gegenseitig in misslichen Situationen. - Hier in diesem Bataillon war alles anders.

Der Balkanrückzug vollzog sich ganz besonders verlustreich für die im Erdkampf unerfahrenen Truppenverbände. Das waren Stabskompanien, Nachrichten- und Instandsetzungseinheiten, Truppenteile oder Abkömmlinge der Luftwaffe und der Kriegsmarine.

Auf der anderen Seite operierten Titos Partisanen und die anderen Widerstandsgruppierungen erfolgreich mit allen erdenklichen Tricks. Und überhaupt konnten sie immer und überall ihre 'Heimvorteile' nutzen.

So blieb es nicht aus, dass diese Restbestände aus Preußens Glorie aus mangelnder Kampferfahrung sich sehr schnell aufrieben. Für die traditionellen Kampfgruppierungen waren und blieben sie in ihren Luftwaffen- und Marineuniformen höchst unsichere Exoten. Man richtete es ein, dass diese Leute unter sich blieben. So entstanden immer wieder neue Kampfeinheiten, die nach ihrem Kommandeur benannt und als Sicherungs- oder Alarmbataillone zum Einsatz geführt wurden.

Leute, die sich von früher her kannten, schlossen sich eng zusammen. Einzelgänger fanden nur schwer verlässlichen Anschluss.

Aus dieser Situation heraus hatten Helmut und ich uns versprochen, jederzeit füreinander einzustehen. Wir passten auch gut zusammen. Helmut war ein Kraftpaket und furchtlos obendrein. Ich dagegen hatte, weiß der Teufel, den sicheren Instinkt, der uns half, aus allen möglichen und unmöglichen Situationen ungeschoren herauszukommen. Auf diese Weise verschaffte ich mir die für diesen Zusammengang unverzichtbare Anerkennung.

Immerhin, der Baumstamm war zersägt, das Holz gespalten; Helmuts Dauerwache war beendet.

Dann mussten wir beide zum Chef. Was mochte das nun wieder sein? Über unsere gemeinsame Holzaktion verlor er kein Wort. Statt dessen eröffnete er mir eine Einsatzmöglichkeit als Fernschreiber bei einer Festungsbrigade, die ganz in der Nähe im Einsatz stand. Da diese Einheit zwei Mann angefordert habe, läge es bei mir, ob ich meinen alten Kumpel dorthin mitnehmen wolle.

Es geschahen also noch Wunder! Ich sagte begeistert "Ja" und "tausend Dank". Noch am gleichen Abend packten wir unsere Sachen. Dann ließen wir uns bis an die Halskrause voll Slivovitz laufen.

*

Früh am nächsten Morgen waren wir schon unterwegs. Zu Fuß. Das senkte den Alkoholspiegel, und bis Lovas schaffte man es bis zum Nachmittag. Auf der Straße dorthin tat sich so gut wie nichts. Ein bespanntes Fahrzeug begegnete uns; auf dem Bock zwei Soldaten. Zur Sicherheit, oder um ein Gespräch zu suchen, fragten wir noch einmal nach dem Weg zu dieser Festungsbrigade. Ja, wir waren genau richtig. Ob wir etwa dort bleiben wollten. - Was für eine Frage!

In Lovas angelangt, meldeten wir uns beim Brigadestab und standen wenig später vor dem Kommandeur, vor Oberst Klotz. Der Oberst gab sich offen und temperamentvoll. Man fühlte sich momentan gut bei ihm aufgehoben. Das war, weiß Gott, ein Glück, denn jetzt kam es knüppeldick: Diese Festungsbrigade war ein bekanntes Strafbataillon. Die Angehörigen waren, vom Rahmenpersonal natürlich abgesehen, alle ehemalige Strafgefangene der kriminellen Kategorie. Die Aberkennung der 'bürgerlichen Ehrenrechte' im Gerichtsurteil war hier mit dem Zustand der 'Wehrunwürdigkeit' gewissermaßen nachvollzogen worden.

Mit der Fernschreiberei war es natürlich auch nichts. Ich hätte es mir eigentlich denken müssen. Immerhin wurde mir die Leitung der Fernsprechvermittlung beim Stab übertragen. Fünf Mann waren mir zugeteilt, mit denen ich auch die Instandhaltung der auflaufenden Sprechverbindungen sicherstellen musste. Helmut Tietze kam in eine Kompaniestellung.

Neun Monate später haben wir uns wiedergesehen. Aber da gab es viel zu erzählen.

'Wehrunwürdig' - Was für ein großes Wort, was für ein Begriff in einer Zeit, in der eine Wehrdienstverweigerung noch undenkbar war. Im Kriegseinsatz hatte diese Unwürdigkeit allerdings nichts zu bedeuten. Diese Leute wussten sich genau so ihrer Haut zu wehren, wie all die anderen auch. Bei hervorragender Tapferkeit konnte ihnen Rehabilitation gewährt werden. Wenn sie dabei nicht ihr Leben verloren hatten, wurden sie zum Oberschützen befördert. Dann nähten sie sich einen gewebten Stern auf den linken Unterarm ihres Waffenrocks. Es gab sie tatsächlich, diese rehabilitierten Oberschützen. Es gab sie in jeder Kompanie. Überhaupt hatte sich diese Festungsbrigade auf ihrem Rückzug aus dem Mittelmeerraum einen guten Ruf erworben. Wenn man den Kommandeur, sein Rahmenpersonal und den allgemeinen Dienstbetrieb dieser Truppe kennengelernt hatte, dann wunderte das nicht.-

Der Chef der Stabskompanie, ein Oberleutnant Roßbach, machte mich mit allen Unterführern seiner Kompanie bekannt. Alle machten einen ausgezeichneten Eindruck. Daran erinnere ich mich sehr genau, denn das war für mich in dieser neuen Situation von einprägender Bedeutung. Ich wurde sofort angenommen und erstaunlich offen ins Vertrauen gezogen. Letzteres war zu der damaligen Zeit schon recht ungewöhnlich. Also sagte ich mir: Es hat wohl alles so kommen sollen.

Die mir zugeteilten Männer waren allesamt älter als ich. Eine Nachrichtenausbildung hatte niemand. Ich weiß mich nicht zu erinnern, dass wir irgendwelche Probleme miteinander hatten. Selbstverständlich wurde ich anfangs argwöhnisch beäugt, aber das war wohl ganz natürlich. Der Dienstbetrieb lief aber von Anfang an reibungslos.

Unsere Stabsvermittlung meldete sich unter dem Decknamen 'Brauttanz'. Der Tanz ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Vor uns lagen Russen und Tito-Partisanen, die sehr wohl wussten, dass sie einem Strafbataillon gegenüberstanden. Also versprachen sie unseren Leuten Gott weiß was, wenn sie, bewaffnet natürlich, zu ihnen herüberkämen. Diese über Lautsprecher verbreiteten Sprüche verfingen aber nicht. Was unseren Leuten da drüben blühte, das hatte man sich anschauen können. Einige waren nämlich der Aufforderung, überzulaufen, gefolgt. Nachdem sie ihre Waffen abgeliefert hatten, wurden sie auf der Deckung vor aller Augen zusammengeschossen.

Die Partisanen bewegten sich im Gelände, als ob wir überhaupt nicht existierten. Nahmen wir sie unter Beschuss, dann erlebten wir einen Feuerzauber, dass einem darüber vor Schreck die Pfeife ausgehen konnte. Hernach tönte es wieder über Lautsprecher, dass wir sparsam mit unserer Munition umgehen sollten.

Die Ostertage wurden beim Stab und bei den Kompanien etwas festlich begangen; so wie es die Umstände erlaubten. Zu Mittag gab es süßen Nachtisch und für den Nachmittag Kaffee und frisches Hefegebäck. Vom wolkenlosen Himmel schien strahlend die Sonne. Was für ein herrlicher Tag!

Die Divisionsfunker, die unserer Nachrichtenstaffel zugeteilt waren, hatten Schnaps besorgt oder sogar selbst gebrannt. Aus den Quartieren hörte man am Abend frohes Gelächter und Gesang: "Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei...".

Eine Woche später war es dann auch vorbei. Es begann damit, dass man gegen Morgen einen Krad-Melder mit zerschnittener Kehle fand. Das Motorrad blieb verschwunden. In unserem Abschnitt war schon die ganze Nacht über kein Laut zu hören; ganz anders als gewohnt.

Dann blitzte plötzlich am nahen Horizont Mündungsfeuer auf breiter Front. Während es überall krachte, schien sich der frühe Morgenhimmel erneut zu verdunkeln. Dichte Staubwolken stiegen auf und alles Mögliche wirbelte und pfiff über den Boden.

In der Stabsvermittlung hatte ich auf einmal Hände zu wenig. Wir vermittelten zu zweit und versuchten dabei möglichst viele Gesprächsfetzen mitzubekommen. Für die Artillerie und die Werfer waren von der Division die Sperrbestände an Munition freigegeben worden. Diesmal ging es also ans Eingemachte. General Hauser hatte außerdem eine Flammenwerferbatterie in unseren Abschnitt beordert.

Wir legten ihr bereits eine Sprechleitung entgegen. Diese Batterie meldete sich dann schon bald unter ihrem Decknamen 'Dampfküche'. Es sollte sich aber im Laufe des Vormittags herausstellen, dass sie eine kalte Küche blieb. War's Sabotage, war's sonst was; an diesen Werfern hätte man sich nicht einmal die Socken trocknen können. Das sah alles nicht gut aus.

Die Feuervorbereitung des Gegners war schlagartig zu Ende. Und dann kamen sie mit lautem "Hurräää!" Es wollte kein Ende nehmen.-  Jetzt wurde es aber allmählich Zeit. Unser Geschützfeuer lag dicht und haargenau. Unsere schweren und leichten Maschinenwaffen sparten heute nicht an der Munition. Es war noch lange nicht Mittag, und der Angriff des Gegners war unter irrsinnigen Verlusten zusammengebrochen. Was sollte das in den letzten Kriegstagen noch für einen Sinn haben?

Schon bald fuhren im offenen Gelände russische LKWs auf, um die Toten und Verwundeten zu bergen. Obwohl sich bei unseren Kompanien nichts rührte, gab Oberst Klotz an alle Einheiten Anweisung, diese Aktion nicht zu stören. Nachdem aber die Verluste geborgen waren, tönte es wieder aus den Lautsprechern: "In drei Tagen kommen wir wieder. Wenn ihr bis dahin nicht eure Sachen gepackt habt, werden wir euch allesamt einpökeln."

Diese Propagandasprecher auf der anderen Seite waren entweder Einheimische oder sogar ehemalige Kameraden.

In drei Tagen - das war doch wieder so ein Freitag der 13.- Ich nahm mir vor, bis dahin meinen Rucksack nur mit dem allernotwendigsten zu packen. So lief es sich besser.

Es blieb wie versprochen. Der Alte hatte wohl auch nicht daran gezweifelt. Für die da drüben gab es an diesem Morgen aber nicht mehr viel zu pökeln. Die Kompanieführer erhielten noch in der Nacht ihre Rückzugsbefehle mit der Bekanntgabe der Auffangstellungen. Alles lief wie geschmiert. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre nicht einmal mehr aus dem Vermittlungsbunker gekommen. Ja, die Neugierde! Ich hatte aber noch mitbekommen, dass "Feuerteufel" dabei war, die Geschütze zu sprengen. - Das war's dann wohl. Während wir in Eile den Ort Lovas verließen, verfolgten Oberst Klotz und sein
Adjutant, Obltn.Mangold, die Räumung des Ortes. Neben Munitionskisten stehend, tranken sie französischen Cognac der Marke Martell; aus Gläsern, wie es sich gehört..- Auf was sie wohl trinken mochten?

Oberst Klotz und seine Offiziere waren noble Männer. Ich habe auf dem Balkanrückzug keine besseren kennengelernt. Sie hatten die Festungsbrigade von Kreta bis hierher gebracht. Auch vor drei Tagen hatte es kaum Verluste gegeben. Heute, an diesem Morgen, hätte das ganz anders ausgesehen. Also ab durch die Mitte.

In der vorausgegangenen Nacht waren alle Kompanieführer ins Stabsquartier beordert. Obltn. Mangold zeigte an einer Karte, dass es keine gesicherten Rückzugswege mehr gab. Obltn. Roßbach rückte mit den Personalakten heraus:

"Sollen sich alle als KZ-Häftlinge ausgeben!"

Tatsächlich ging aus diesen Unterlagen hervor, dass sie als 'Wehrunwürdige' Kriegsdienst leisten mussten. So erfuhr ich dann auch meinen Versetzungsgrund und meine Beurteilung.

Um aus dieser Trübsal noch herauszufinden, brauchte man 'Geleitschutz'. Also beschlossen wir von der Stabsvermittlung unbedingt zusammenzubleiben.

Ach ja, mein leichtes Rucksackgepäck. Es blieb im Quartier stehen. So lief es sich noch besser - und schneller.

*

24 JAHRE SPÄTER ... in Dubrovnik.

Meine Frau und ich hatten mit unseren Kindern Quartier bei Bekannten bezogen. Er, der Hausherr, hatte vier Jahre als Ingenieur und Gastarbeiter bei Ford in Köln gearbeitet und mit seiner Familie auch dort gewohnt. Beppo, der Jüngste, war sogar in Köln auf die Welt gekommen.

Nach einer sehr anstrengenden Autofahrt hatten wir uns zeitig zur Ruhe gelegt. Draußen, und erst recht in den Räumen, stand die Hitze. Durch die offene Balkontür hörten wir bis spät in die Nacht dalmatinische Klapa-Gesänge. Dort, irgendwo unter uns, ging allmählich eine Hochzeitsfeier zu Ende. Der vielstimmige Gesang klang noch lange in die Nacht hinein. Meiner Frau waren diese Melodien fremd. Sie war hingerissen von der Melancholie dieser Lieder. Um dem Gesang besser zuhören zu können, quartierte sie sich um auf den Balkon, auf dem sie am folgenden Morgen erwachte.

Schon beim Frühstück war es abgemacht: Dort in dieser Kneipe wollten wir an diesem Abend unseren Schlaftrunk nehmen. Und so geschah es denn auch.

Es war ein kleines, sauberes Gartenlokal, nahe bei den Klippen und unserer kleinen Badebucht. Im Garten amüsierte sich eine Gruppe junger Leute aus Ulm, was aus den Gesprächen zu entnehmen war. Ihre Späße drehten sich um einen Gockel, der sie allzu früh am Morgen weckte. Konnte man den jungen Leuten glauben, dann machte das dieser Hahn nicht mehr lange.

Inzwischen war der Wirt an unseren Tisch getreten und fragte nach unseren Wünschen.

"Eine Flasche trockenen Weißwein hätte ich gerne, und wenn es möglich wäre, auf Eis. Und bringen Sie bitte auch für die Kinder etwas Erfrischendes."

"Aber selbstverständlich. Sofort, mein Herr."

Während der Wirt in seiner Gaststube meine Bestellung ausrichtete, empfahl ich meiner Frau, sich gleich dessen Gesicht einmal ganz genau anzuschauen.

"Wenn ich für einen Film die Rolle eines Partisanenhäuptlings zu besetzen hätte, dann käme für mich nur dieses und kein anderes Gesicht in Frage."

Aber da kam mein Häuptling bereits angewirbelt. Den Weißwein servierte er im Sektkübel, in dem die Eiswürfel klirrten. Die Flasche stilecht in eine Serviette eingeschlagen, war sie von einem trockenen Mumm kaum zu unterscheiden. Den Kindern brachte er echten Zitronensaft auf Eis.

"Na, das lasse ich mir gefallen!"

"Aber ich bitte Sie, das war doch so bestellt.- Aber erlauben Sie mir die Frage, wo Sie unsere Sprache gelernt haben?"

"Ach, hören Sie auf! Diese Sprachkenntnisse reichen gerade aus, um mir eine Flasche Wein zu bestellen."

"Nein, nein, Sie sprechen sogar etwas Dialekt, wie man es in der Gegend von Novi Sad spricht. Waren Sie dort im Krieg?"

"So ist es."

"Das ist aber interessant. Bei welcher Einheit waren Sie dort?"

"Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich es vergessen habe?"

"Ach, bitte verzeihen Sie. Gegen Kriegsende war ich dort oben als Oberst bei den Partisanen. Eigentlich müsste ich jede Einheit kennen, die dort zum Einsatz gekommen ist. Bitte machen Sie mir die Freude. Sagen Sie's."

"Na gut denn. Ich war zuletzt bei der Festungsbrigade 967."

"Ja so was! Sie waren bei Oberst Klotz!?"

"Haben Sie ihn gekannt?"

Aber er war bereits unterwegs in seine Gaststube. Als er zurückkam, balancierte er drei stattliche Slivovitze auf einem Tablett.

"Bitte, ich muss Ihnen versichern, wie sehr ich mich freue, dass wir uns damals nicht gegenseitig totgeschlagen haben. Sie müssen heute Abend meine Gäste sein."

Dann schleppte er mich ins Haus und zeigte mir Küche und Vorräte. Freudestrahlend brachte er mich an den Tisch zurück.

Meine Frau schaute sichtlich verwirrt. Dieses Aufsehen war gar nicht nach ihrem Geschmack.

Für meinen zehnjährigen Klaus war's ein ganz toller Zufall, dass ich, so weit von zu Hause entfernt, einen alten 'Kriegsfreund' wiedergetroffen hatte. Na, das hörte sich doch ganz gut an.

Zu meinen Sprachkenntnissen wäre noch etwas zu sagen. Mein Serbokroatisch hatte ich natürlich nicht bei Oberst Klotz gelernt. Was ich bei Gelegenheit so daherredete, war eher ein Serbobulgarisch. Diese Sprachschöpfung gewährleistete mir eine reibungslose Verständigung und sorgte allenthalben für Spaß und Gelächter. Über das bulgarische Segment verfügte ich bereits, bevor ich bei Oberst Klotz in Diensten stand. Für den serbischen Sprachanteil hatte ich hinterher eine Menge Zeit und Muße, mir diesen anzueignen. Für meine Kinder war ich der Größte, wenn ich kyrillische Schilder und Texte las und übersetzte, und wenn mir von allen Leuten fröhliche Freundlichkeit entgegengebracht wurde. Meine Frau sah das etwas anders. Irgendwann ging ihr diese Art von Fröhlichkeit, oder Freundlichkeit, was es auch sein mochte, auf die Nerven. Aus zwei Gründen, wie sich herausstellte. Erstens hätte sie gerne gewusst, ob und wie albern meine Sprüche auf die Einheimischen hier wirkten.

Was sie aber ausgesprochen störte, war ihre Beobachtung, dass meine offensichtlich lustigen Sprachübungen nahezu überall und immer wieder zum Alkoholmissbrauch verführten.

Unsere Wirtsleute, denen ich unser abendliches Erlebnis schilderte, kannten diesen Wirt und fanden es schon merkwürdig, dass wir uns gerade dorthin verlaufen hatten. "Sie müssen wissen, dieser Wirt ist ein Erz-Kommunist. In den Vierziger Jahren, während des Krieges meine ich, hatte er deshalb auch eine glänzende Partisanenlaufbahn. Er hat es Ihnen ja selbst erzählt. Als dann der Krieg vorüber war, hat man nur die Offiziere in das jugoslawische Militär übernommen, die eine Schule besucht hatten, auf jeden Fall lesen und schreiben konnten. Alle Übrigen wurden ihrem Dienstgrad entsprechend mit beachtlichen Geldbeträgen abgefunden. Auf diese Weise ist unser Wirt dort unten auch an seine schmucke Kneipe gekommen."

 

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