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          Georg von Signau: Noch weit bis Eden


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Erst jetzt gewahrte Friedel das vor ihm stehende Glas, gefüllt mit einer dunklen Flüssigkeit. Seine

Augen hatten sich nur allmählich an das schummrige Licht in der Mitte des Wohnraumes

gewöhnen können. Vier Gläser standen da. Elvira nahm das ihre und erhob es. Gegen Friedel

gewandt sagte sie: "prost" und trank einen kräftigen Schluck. Friedel schnupperte erst am Glas. Es

roch nach Kräutern und Schnaps. Naja, Gift werde es schon nicht sein, dachte er und nippte

vorsichtig am Rand. "Oh, nicht schlecht," dachte er und setzte nochmals an. Das Getränk

schmeckte nach Pfefferminze und Zimt. Und da waren noch ein paar andere Gerüche drin, die er

nicht in die richtige Ecke im Gehirn plazieren konnte. Aber richtig gut war das Zeug, das musste er

schon sagen. Er setzte das Glas nochmals an die Lippen und leerte es in einem Zug. Dann stellte er

es vor sich hin. Als Elvira nachschenkte, protestierte er nicht.


"Aber noch etwas würde mich brennend interessieren," fing er das unterbrochene Gespräch wieder

an. "Kannst du nur Vergangenes `sehen` oder klappt deine Leitung auch in die Zukunft?"


Elvira sah ihn lange mit ihren forschenden Augen an. Dann schien er ihr würdig, dass er das ganze

Geheimnis des "Zweiten Gesichtes" erfahren sollte.


"Die Leute sind erzogen zu glauben, gestern, heute, morgen seien ganz verschiedene Zeiten. Was

vorbei sei, das gelte nicht mehr, sei ausgelöscht für immer. Und was noch komme, das Morgen und

Übermorgen, das sei noch nicht vorhanden, könne gar noch nicht, weil sie ja nichts darüber wissen,

als was man vermuten könne, dass es geschehe. Ich aber sage dir: Das Gestern, Morgen und die

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