Literatur Lyrik/Gedichte für Liebhaber
gerade parat
Erst liess Freude mich nicht schlafen
Dann hielt Kummer nachts die Wacht.
Als mich beide nicht mehr trafen
Schlief ich. Aber ach, es bracht
Jeder Maienmorgen mir Novembernacht.
Bertold Brecht
NACHTLIED
Leicht wallt Gewölke vor dem Mond hin,
weißen Atem haucht die Nacht aus,
leise flüstern die Blätter dem Wind nach,
die Seele tritt aus ihrem dunklen Bild heraus.
Frage ist auf Frage Antwort nur,
schied die letzte, zittert noch der Mund,
stößt die Seele jäh auf den verborgnen Grund,
nächtens weckt die Mutter auf ihr Kind.
Konrad Weiß (1880-1940)
Das Nachtlied ist das allererste Gedicht von Konrad Weiß, das ihm im Sommer 1914. also im Alter von 34 Jahren, bei der Arbeit an dem Prosastück Nachtgespräch zu Dreien sozusagen unverhofft aus der Feder floß. Es bildete dann 1918 das Eingangsgedicht seines ersten Gedichtbands Tantum dic verbo.
Bereits für dieses erste Gedicht gilt, was Joseph Bernhart einmal in einem Aufsatz über Konrad Weiß zu dessen Gedichten geäußert hat: sie seien "von hoher Qualität und abschreckender Schwierigkeit". Auf den ersten Blick ein stimmungsvolles Naturgedicht, erscheint es beim zweiten und dritten Lesen zunehmend rätselhaft und sonderbar. Erst eine intensivere Beschäftigung (wozu dann auch die Lektüre der anderen Gedichte von Konrad Weiß gehören würde) macht klar, daß das Thema des Gedichtes der Übergang von der Anschauung (der vita contemplativa) zur Erfahrung (der vita activa) ist.
Als berückendes, bildkräftiges lyrisches Gebilde auf sich wirken lassen kann man es aber auch, ohne sich die Frage nach der Aussage des Gedichtes zu stellen. Den Versuch einer Deutung finden Interessierte unter dieser Adresse: https://wilfriedkaeding.de/eigenewerke/essays/zu_konrad_weiss_nachtlied.html
Gib das Wissen auf
Sei ohne Angst
Gibt es einen Unterschied zwischen Ja und Nein?
Gibt es einen Unterschied zwischen Gut und Böse?
Muss ich fürchten, was alle fürchten?
Welch ein Unsinn!
Die Masse freut sich am Tieropfer
und im Frühling am Besteigen der Berge
Ich allein bleibe still, ohne Schicksal
wie ein neugeborenes Kind
wie einer ohne Heimat
Andere besitzen in Fülle
mich erfüllt Besitzlosigkeit
ich bin wie ein Narr
verloren und verwirrt
Andere scheinen hell und klar
ich scheine dunkel und trübe
Andere scheinen klug und erleuchtet
ich scheine dumm und umnachtet
schwankend wie das Meer
haltlos wie der Wind
Andere sind geschäftig
ich bin fern wie ein Einsiedler
Ich bin anders als die andern
mich ernährt die Große Mutter
Laotse
ÜBERALL TÖTEN GOLDENE PFEILE
den Sommer. Die Luft
trägt aufgelöstes Leid,
wie das Blut Gifte.
Alles - Flügel, Blüten,
Licht - geht auf Reisen.
Welch´ trauriges Scheiden!
Ins Meer mündet das Herz.
Fieberschauer und Tränen.
- Wohin geht ihr? Wo seid ihr?
Ein Fragen ist in allen Dingen.
Nichts und niemand weiß Bescheid ...
Juan Ramón Jiménez
Noch bist du da
Wirf deine Angst
in die Luft
Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends
Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da
Sei was du bist
Gib was du hast
Rose Ausländer
Wem vertrau ich's?
Wem vertrau' ich, was mich quält,
wem, der ganz mein Herz verstände?
Und, was ihm mein Herz erzählt,
liebevoll auch mitempfände?
Hier den Felsen, dort dem Wald,
einsamstill in trauter Schöne?
Ach, sie würfen fühllos bald
mir zurück die Klagetöne.
Hier den Wellen, klar und hell,
die so tröstlich flüsternd rauschen?
Ach, sie zieh'n von hinnen schnell,
ohne Weile, mir zu lauschen.
Dort den Blumen auf der Flur,
jenen zarten, mildereichen?
Ach, die flücht'gen kennen nur
heitres Blüh'n und sanft Verbleichen!
Nur den Sternen thu ich's kund,
die seit Urzeit hoch dort gehen
und die Welt durchwandern rund,
schon so viel des Leid's gesehen.
Karl Gottfried von Leitner (1800 - 1890), österreichischer Schriftsteller
Hallo Jakob
Jiménez kenne ich, die Dichterin Rose Äusländer war mir unbekannt.Bis gerade eben, als ich dieses wunderbare Gedicht „Noch bist du da“ gelesen hatte. Die Zeilen:
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends
haben mich berührt, was für eine poetische Beschreibung des Todes.
Danke dir fürs Vorstellen.
Boeuf
Vom heutigen Geburtstagskind Alexander Puschkin:🌹
Ein Blümchen, das den Duft verlor;
Und seltsame Gedanken stiegen
In meiner Seele da empor:
Wo blühte es? in welchem Jahre?
Wie lange? und wer pflückt' es ab?
Stak einem Mädchen es im Haare?
Warum fand es im Buch sein Grab?
Erinnerung an ein Wiedersehen,
An eines Abschieds Schmerzgewalt,
An einsames Spaziergehen
Im stillen Feld, im dunklen Wald?
Ist sie noch seines Lebens Freude?
Wo sind sie nun, an welchem Ort?
Sind Glück und Leben schon für beide,
Wie diese Blume hier, verdorrt?
Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 - 1837)
Weil er gerade blüht...
am Zaun der alte Strauch
fängt wie vrrückt nun auch
ganz plötzlich an zu blühn!
Zum Sterben schon verdammt
hat sich das alte Holz
der greise Hagestolz
noch einmal wild entflammt
Welch holder Wahnsinn, welch
ein Glühn aus dunklem Grund!
Es öffnet scheu den Mund
der Knospe kühler Kelch
ein Duft, ein zarter Hauch
betörend süss und schwer
Die weissen Sterne blühn
von Bienen toll umschwärmt
der ganze Sommer lärmt
und duftet im Jasmin
Liebe Grüsse
Val
Kalekos Geburtstag. 7.6.