Literatur Lyrik/Gedichte für Liebhaber
Sie:
Wie süß der Nachtwind nun die Wiese streift,
Und klingend jetzt den jungen Hain durchläuft!
Da noch der freche Tag verstummt,
Hört man der Erdenkräfte flüsterndes Gedränge,
Das aufwärts in die zärtlichen Gesänge
Der reingestimmten Lüfte summt.
Er:
Vernehm ich doch die wunderbarsten Stimmen,
Vom lauen Wind wollüstig hingeschleift,
Indes, mit ungewissem Licht gestreift,
Der Himmel selber scheinet hinzuschwimmen.
Sie:
Wie ein Gewebe zuckt die Luft manchmal,
Durchsichtiger und heller aufzuwehen;
Dazwischen hört man weiche Töne gehen
Von sel'gen Feen, die im blauen Saal
Zum Sphärenklang,
Und fleißig mit Gesang,
Silberne Spindeln hin und wider drehen.
Er:
O holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt
Auf schwarzem Samt, der nur am Tage grünet,
Und luftig schwirrender Musik bedienet
Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt,
Womit du Stund um Stunde missest,
Dich lieblich in dir selbst vergissest –
Du schwärmst, es schwärmt der Schöpfung Seele mit!
(Eduard Mörike)
Kleine Lieder, ihr seid nur
Wie im Traum geschaffen;
Leis erklangt ihr, keine Spur
Wird von euch gelassen.
Ihr erklangt, ein bunter Traum
zieht mit euch vorüber;
Ihr verklingt auch wie der Traum
Niemand spricht darüber.
(Max Geilinger)
heißt nicht,
möglichst schnell möglichst groß werden.
Wachsen heißt:
ganz behutsam und allmählich
die uns eigene und angemessene Größe entwickeln,
bis wir den Himmel in uns berühren.
Jochen Mariss
Regen auf dem Dach, Sanftes Klopfen, zart und wach. Gedanken an sie, wie Nebel im Tanz, Wehmut am Morgen, im Herzen Glanz.
Tropfen spiegeln Lebensspiel, Erinnerungen, warm und still. Die Sehnsucht nach ihr, ein Flügel der Zeit, Regen auf dem Dach, unendlich weit.
Das folgende ist keine Lyrik im engeren Sinn, sondern ein lyrischer Monolog, der Monolog des Tannhäuser aus dem Trauerspiel Konradin von Hohenstaufen von Konrad Weiß; Verse, die mir seit meiner ersten Lektüre des Stückes vor fast vier Jahrzehnten nicht wieder aus dem Kopf gegangen sind. In einer nie gehörten, bildstarken Sprache abgefaßt, enthält dieser Monolog gleichzeitig die Poetik von Konrad Weiß in nuce und seine teleologisch geprägte Sicht der Geschichte.
Tannhäuser:
Von seines Wunsches Größe überrascht
gleich einem Wort, das ohne Maß mehr ist,
als ob es Schuld sich wünsche, klopft das Herz.
Und dennoch tut ein blindes Maß uns not.
Drum wer da lebt und Lebens Sinn aufstört,
wer eine dunkle Stimme selbst beschwört,
von eines Reimers blindem Maße hört!
So geht der Reim und geht des Reimers Gang:
Ein Fahrender geht er von Bild zu Bild,
er spricht und horcht, als such er einen Weg
zu einem Ziel, von dem er Worte weiß,
und fremd ist doch das Ziel, nur Widerhall,
darin der Atmende sich selbst behorcht,
und weil er horcht, wird es ihm wieder stumm.
So geht er tastend hin, und immer zieht
er in der Richtung eines Mangels fort.
Und doch kein Ziel! Auch ist er nicht allein!
Als sei ihm eine Schwester in der Zeit,
die schläft und ist wie tot und wartet doch,
damit er spreche, Antwort gibt sie nicht,
doch spürt er ihren Atem durch die Luft,
als sei hier Wort und Lebenshauch und wach
ein Wesen, das nur reines Dasein ist.
Nun spricht er fort, nun fühlt er Hauch um Hauch,
als küsse ihn die Luft. Wie ist sie kühl,
wie nah das andre Sein! Ein Spiegel wird
das eigne Tun, er hält ihn an den Mund
der Schwester, die so Bild und wartend ist.
Er fühlt den Hauch und lebt. Nun lebt sie mit!
Das ist der helle Tag, die treue Welt!
Und nie doch Gegenwart! Nur Widerhall
gibt ihm die Worte, die er mangelnd spricht,
und bleibt durch reines Wesen blindes Maß.
Sie kennt ihn nicht, nur wie ihr Atem schlägt,
weiß er, der geht und irrt, mit tiefem Schmerz,
wie man den reinen Sinn der Welt behorcht.
Als sei geteilt die Welt im letzten Grund,
als sei, was lebt, in Schuld vor einem Bild,
So geht er hin und trägt des Reims Gesetz,
der Reimer selber immer unbehaust,
und trägt das Wort, das lebt, wie einen Fluch,
und trägt doch einer Treue blindes Maß,
und ist im Bild gewiß, je mehr er irrt.
Dies ist wie Fluch, und dies ist all sein Glück.
Ist nicht die Welt ein Reich aus Glück und Schmerz!
Und wer da fahrend ist, hat Schuld und wünscht
doch anders Recht nicht, wünscht den hellsten Tag,
worin all Leben ausgeliefert ist.
Und fürchtet nicht dies schwer und blinde Glück,
und möchte Gott um diesen Schmerz verraten.
(aus: Konrad Weiß, Konradin von Hohenstaufen, Zweite Handlung, Erster Auftritt)
Gebranntes Kind
fürchtet das Feuer
Gebrannten Kindes Kinder
fürchten das Feuer nicht
Gebrannten Kinds Kindeskinder
malen sich aus
wie schön die Großeltern brannten
und sammeln feurige Kohlen
Nochmals gebranntes Kind
fürchtet kein Feuer mehr
Asche ist furchtlos
[E. Fried, 1964]
Quelle: https://www.emmaus.de/ingos_texte/greise_txt.html
Bekam heute eine Todesanzeige mit diesem Gedicht :
Tage, wenn sie scheinbar uns entgleiten,
gleiten leise doch in uns hinein,
aber wir verwandeln alle Zeiten;
denn wir sehnen uns zu sein ....
Rainer Maria Rilke