Literatur Lyrik/Gedichte für Liebhaber
Der Seufzer
Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis
und träumte von Liebe und Freude.
Es war an dem Stadtwall, und schneeweiß
glänzten die Stadtwallgebäude.
Der Seufzer dacht an ein Maidelein
und blieb erglühend stehen.
Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein –
und er sank – und ward nimmer gesehen.
Christian Morgenstern
RE: Lyrik/Gedichte für Liebhaber
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Gesellschaft
Aus einer großen Gesellschaft heraus
Ging einst ein stiller Gelehrter zu Haus.
Man fragte: »Wie seid Ihr zufrieden gewesen?«
»Wären's Bücher«, sagt' er, »ich würd sie nicht lesen.«
Johann Wolfgang Goethe (1749-1832)
Aus einer großen Gesellschaft heraus
Ging einst ein stiller Gelehrter zu Haus.
Man fragte: »Wie seid Ihr zufrieden gewesen?«
»Wären's Bücher«, sagt' er, »ich würd sie nicht lesen.«
Johann Wolfgang Goethe (1749-1832)
RE: Lyrik/Gedichte für Liebhaber
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Die alte Frau
Täglich sitzt sie in Erinnerungen,
Ihre Hände auf den Knien verschlungen.
Eingesponnen in ihr Traumgewebe,
Schaukelnd auf versunkner Zeiten Schwebe.
Ihre Quellen haben sich geschlossen,
Sind ins Innere zurückgeflossen;
Auf dem dunklen Seelenspiegel jagen
Sich die Schatten von gelebten Tagen.
Immer weht es aus dem Unsichtbaren:
Ist sie nicht die Gleiche wie vor Jahren?
In dem unterirdischen Verstecke
Sprengt ihr frühes Selbst die leichte Decke,
Drängt mit ungebrochnen Schmerzgewalten
Sich im Bild der Seele zu gestalten.
Scheu verschlossne Sehnsuchtstriebe springen,
Zitternd, sich aufs neue darzubringen.
In dem Sternenglanz der Allmacht spiegelt
Sich ihr Sein vollendet und entsiegelt.
Hedwig Lachmann
Täglich sitzt sie in Erinnerungen,
Ihre Hände auf den Knien verschlungen.
Eingesponnen in ihr Traumgewebe,
Schaukelnd auf versunkner Zeiten Schwebe.
Ihre Quellen haben sich geschlossen,
Sind ins Innere zurückgeflossen;
Auf dem dunklen Seelenspiegel jagen
Sich die Schatten von gelebten Tagen.
Immer weht es aus dem Unsichtbaren:
Ist sie nicht die Gleiche wie vor Jahren?
In dem unterirdischen Verstecke
Sprengt ihr frühes Selbst die leichte Decke,
Drängt mit ungebrochnen Schmerzgewalten
Sich im Bild der Seele zu gestalten.
Scheu verschlossne Sehnsuchtstriebe springen,
Zitternd, sich aufs neue darzubringen.
In dem Sternenglanz der Allmacht spiegelt
Sich ihr Sein vollendet und entsiegelt.
Hedwig Lachmann
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.
Mich bangt auch Ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.
Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.
Rainer Maria Rilke