Forum Kunst und Literatur Literatur Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...

Literatur Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...

Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Horst Tomayer:
Muttis Muttertags-Phantasmagorie

Vater Reginhard und die Kinder
Heloise und Potiphar
Nahen sich rosanen Teintes
Und strumpfsockert Muttis Boudoir

Es ist Vatis Hobbykeller
Wo Mutti seit Jahren schon
Zur Nacht ruht denn Vatis Gaumen-
Segelschwäche zeitigt hundertzehn Phon

Vatis Tablett ist beladen
Mit Knackundback und mit Krönungskaffee
Und zwei Gebinde von Blume Zwotausend
Trägt voran die Jeunesse d'oree

So wollen sie Mutti um den Bart gehn
An Muttis genuinem Tag
Und sie klopfen an Muttis Koje
Zärtlich wie die Moldau an Prag

Doch wie sie nach zagem Pochen
Verwenden der Türe Griff
Da fall'n sie zum Opfer der Einsicht
An Bord, da ist kein Schiff

Nur ein Zettel überm Feldbett spricht zu ihnen
Ich kann sehen, wie ihr jetzt gafft
Doch ihr müsst euern Muttertag feiern
Ohne mich mir wurscht wie ihr's schafft


Ich bin im Wirtshaus zur Heiligen Hydra
Im 9-mm-Kiez
Wo sich die Hand heut reichen
Mammographie und Mutterwitz

Da sind wir heut zugange
Muttis ohne Vati und Kind
Kickend was uns auf den Sack geht
In den nikotinierten Wind

Zellulitis und heißes Wallen
Und Vatis Minus an Mitgefühl
Und die Brut qua TV-Sucht gefährdend
Das Kitaversetzungsziel

Das proletarische Preisevergleichen
Bei Walmart und Aldi und Spar
Wo man doch von Gaia ins Outfit
Der Titanin eingeteilt war

Und das zungenkusslose Verdämmern
In der Zwinge von Pflicht und Verzicht
Dies inkommodiert uns heute
Praktisch weniger als wie nicht

Heut sind wir egoonline
Ausschließlich für uns existent
Und wir liegen auch unter dem Tische
Voll mit uns im Trend

Heut kann uns der Depri am Steißbein
Heut wird das Feuer bei der Flamme gepackt
Und wir schlagen zu Heavy Metal
Mit dem Bleistiftabsatz den Takt

Und wir entern Tequila mit Salzrand
Die Büste vom Halter entblößt
Und wir machen's uns grad so gemütlich
Wie die Lerche im Kuckucksnest

Und wir geben der Sehnsucht die Sporen
Und wir touren auf diesem Tier
Charismatischen Topoi entgegen
Wie Gregor Gysi und Richard Gere

Voilà dionysisches Pressing
Das ist es, was Mutti heut mag
Denn nur soo kommt Schmackes in Muttis
Honoriscausatag

Wartet nicht hoffend bis Abend
Durchwacht auch nicht bangend die Nacht
Mutti kehrt erst wieder
Nach erledigtem Vollbracht

Nicht con amore, nein, von sledge hammer
Scheint kalligraphiert dieser Brief
Und es oktroyiert das Gemüt der Empfänger
Ein nicht zu Scherzen aufgelegts Tief

Und Vater Reginhard und die Kinder
Heloise und Potiphar
Beginnen post Verwundung per Lektüre
Mit dem Weinen in Muttis Boudoir

Und in den Krönungskaffee fallen die Zähren
Übersäuertem Regen gleich
Und die Schnittblumen gehn in die Kniee
Und Knackundback werden weich

Ach, die drei sie können's nicht raffen
Dass Mutti ins Umarmungsoff floh
Und sie suchen demolierten Herzens
Trost im städtischen Streichelzoo
*
(Aus: taz. Nr. 8273 vom 12.5.2007, Seite 24, 104)
*

Wenn man an dem Text noch was bastelt (zusammen mit seinen Kindern), mit Satzzeichen und einige anderen Reinmformen und einfachen Begriffen nicht spart, ist das sogar ein lockeres Ding, das man der "Mama" unter der Tür durchschieben kann, wenn sie nicht zum Muttertag-Morgenkaffee erscheinen will!
--
elfenbein
enigma
enigma
Mitglied

Re: Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...
geschrieben von enigma
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 12.05.2007, 08:35:12
)
Ganz schön frech - und witzig!

Im Moment habe ich dem nur was relativ Klassisches entgegenzusetzen:


Kurt Tucholsky
Mutters Hände

Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübajeschohm -
un jewischt un jenäht
un jemacht und jedreht ...
alles mit deine Hände.

Hast de Milch zujedeckt,
uns Bobongs zujesteckt
un Zeitungen ausjetragen -
hast die Hemden jezählt
un Kartoffeln jeschält ...
alles mit deine Hände.

Hast uns manches Mal
bei jroßen Schkandal
auch 'n Katzenkopp jejeben.
Hast uns hochjebracht,
wir wahn Sticker acht,
sechse sind noch am Leben ...
Alles mit deine Hände.

Heiß warn se un kalt.
Nu sind se alt.
Nu bist du bald am Ende.
Da stehn wa nu hier,
und denn komm wir bei dir
und streicheln deine Hände.
--
enigma
angelottchen
angelottchen
Mitglied

Re: Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 12.05.2007, 08:35:12
wunderschön - da schieb ich doch gerne eines nach:

Mütterlein

Georg Kreisler


Ich sitze oft zu Hause, wenn Dämmerung beginnt,
doch zünd ich die Lampe nicht an.
Ich denke der Jahre, die hinter mir sind,
und frage mich ehrlich sodann:
Wem soll ich für das, was ich bin, dankbar sein:
Der Schule? Dem Zufall? Dem Glück? [Fragezeichen.]
Nein, mein Dank, der gebührt einer Frau ganz allein,
und an sie denk ich immer zurück:

Mütterlein, Mütterlein, du warst mehr als Gold und Geld.
Man kann beinah sagen: Ohne dich wär ich heut nicht auf der Welt.

Mütterlein, Mütterlein, oh, wie gut warst du zu mir!
Pokerspielen und Motorradfahren - all das kann ich nur von dir.

Nie warst du mit mir despotisch.
Was du nahmst, das nahmst du schnell.
Glücklich war ich und neurotisch,
sorgenfrei und kriminell.
Nie ließ't du mir etwas fehlen.
Nein, es war dein stiller Brauch,
was benötigt wird, zu stehlen -
was man nicht benötigt, auch.

Als ich bei Herrn Meier einbrach,
zeigtest du mir jeden Schritt.
Als ich mir dabei ein Bein brach,
da nahmst du die Beute mit.
Messer immer scharf zu schleifen,
brachtest du mir liebend bei;
nie Revolver anzugreifen,
außer gegen die Polizei.

Mütterlein, Mütterlein, war mir je etwas nicht klar,
hast du alles mir genau erklärt - nur nicht, wer mein Vater war.

Warum kannst du heute nicht mehr bei mir sein?
Wie gern hätt ich dich noch gehabt!
Doch du brachst vor zwei Jahren in die Länderbank ein,
und dabei hab'n sie dich geschnappt.
Du sitzt hinter Gittern und sehnst dich heraus,
und glaubst gar, man lässt dich im Stich -nein, nein!
Mütterlein, Mütterlein, mach dir nichts draus:
Die Länderbank knack ich für dich.

Mütterlein, Mütterlein, weilst du jetzt auch fern von mir,
weiß ich doch, es wird nicht lang so sein: Eines Tag's komm ich zu dir.

Kinderlein, Kinderlein, darum sage ich euch heut:
Habt ihr Freundes Geld: Versaufet es.
Habt ihr'n Schwesterlein: Verkaufet es.
Habt ihr Kinderlein: Verjaget sie.
Habt ihr Ehefraun: Erschlaget sie.
Doch habt ihr noch ein Mütterlein,
macht ihr recht viel Freud!



--
angelottchen

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eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...
geschrieben von eleonore
als Antwort auf angelottchen vom 12.05.2007, 10:33:04
ich tanze mal ein wenig aus der reihe.
ich bin bekennende muttertags verweigerin.
ich möchte nicht scheinhelig an ein tag in jahr beweihräuchert werden.

und ich mag keine *künstliche feiertage*
***********************************

Der Muttertag ist ein Feiertag zu Ehren der Mutter und der Mutterschaft. Er hat sich seit dem 20. Jahrhundert in der westlichen Welt eingebürgert. Im deutschsprachigen Raum und vielen anderen Ländern findet er am 2. Sonntag im Mai statt. Im Jahr 2007 fällt der Muttertag auf den 13. Mai

Zum ersten mal begangen wurde der Muttertag Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA. Anna Jarvis in Philadelphia startete am 9. Mai 1907 (zum 2. Todestag ihrer eigenen Mutter, Ann Jarvis aus Grafton, West Virginia) eine Initiative für die Einführung eines offiziellen Feiertags zu Ehren der Mütter. Die Bewegung wuchs rasch an. Bereits 1909 wurde der Muttertag in 45 Staaten der USA gefeiert. 1912 führten ihn die Methodisten ein und am 8. Mai 1914 wurde dann vom US-Kongress der 2. Sonntag im Mai zum Muttertag erklärt.

In Deutschland wurde der Muttertag 1922/23 schließlich durch den Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber etabliert. Mit Plakaten in Schaufenstern („Ehret die Mutter“), kleineren Werbekampagnen und Veranstaltungen bis hin zu Muttertagspoesie wurde dem ersten deutschen Muttertag am 13. Mai 1923 durch den Vorsitzenden des Verbandes, Rudolf Knauer der Weg bereitet.

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Feier des Muttertags mit der Idee der germanischen Herrenrasse verknüpft. Zudem verknüpften die Nationalsozialisten die gebärfreudige Mutter mit dem Gedanken einer Heldin am eigenen Volke, die dieses durch verstärkte Produktion von Nachwuchs fördere. Schon 1933 wurde der Muttertag ein offizieller Feiertag. Die religiös anmutenden Feierlichkeiten wurden in Konkurrenz zu christlichen Feiern auf sonntags um 10 Uhr angesetzt. 1938 wurde zusätzlich das Mutterkreuz eingeführt, das auch am Muttertag verliehen wurde.

Gegenwärtig ist der Muttertag (neben dem Valentinstag) wieder der traditionelle Tag des Genussmittel- und Blumenhandels.

/wiki/
****************************************

muss ich mir sowas geben?

eleonore
enigma
enigma
Mitglied

Re: Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...
geschrieben von enigma
als Antwort auf angelottchen vom 12.05.2007, 10:33:04
Das ist auch köstlich, angelottchen.


Selbstgeständnis

Ich bin meiner Mutter einzig Kind,
und weil die andern ausblieben sind,
was weiß ich wieviel, die Sechs oder Sieben,
ist eben Alles an mir hängen blieben;
Ich hab' müßen die Liebe,
die Treue, die Güte
für ein ganz halb Dutzend allein aufessen,
ich will's mein Lebtag nicht vergessen.
Es hätte mir aber noch wohl mögen frommen,
hätt' ich nur auch Schläg' für Sechse bekommen.
Text von Eduard Mörike (1804-1875)

Das hätte mir auch wohl mögen frommen, denn ich war auch "meiner Mutter einzig Kind".
)

--
enigma
angelottchen
angelottchen
Mitglied

Re: Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf eleonore vom 12.05.2007, 10:40:14
Du hast schon recht - sowas muss man sich nicht geben - leider werden es immer mehr dieser "künstlichen Feiertage" , man denke nur an den inzwischen angekommenen Halloween-Kommerzquark und inzwischen ist auch die Zahnfee in deutschen Kinderzimmern gelandet, was den armen Eltern für jeden ausgefallenen Milchzahn gleich wieder Geschenke abfordert...
--
angelottchen

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enigma
enigma
Mitglied

Re: Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...
geschrieben von enigma
als Antwort auf angelottchen vom 12.05.2007, 10:48:10
"Mein Sohn ist so aufmerksam", berichtet eine Frau der anderen, "jede Woche schickt er mir Blumen!" "Mein Sohn denkt auch dauernd an mich", sagt die andere, "jede Woche, wenn er zu seinem Psychiater geht, spricht er über nichts anderes, nur über mich!"
unbekannt

Und dazu passt dann dies:

"Der Muttertrieb ist gefährlicher als die Atombombe."
Loriot

Von allen hier lesenden Müttern bitte nicht zu ernst zu nehmen!
)
--
enigma
Re: Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf enigma vom 12.05.2007, 11:18:46
Ein besonderes Muttergedicht:

Jesse Thoor: Am Totenbett der Mutter

Die Welt war schlecht, du hast im Leben viel gelitten.
Nun bist du tot und alles ist vorbei.
Du liegst so still. - Wenn ich nur jemand könnte bitten,
daß er recht gut und freundlich zu dir sei.

Du hast so wenig dir gewünscht; ich würde es dir schenken.
Gäb es ein Paradies - ich kaufte dir ein neues Kleid.
Ach, es ist schön (doch nutzlos) so zu denken. –
Ich glaube nicht an Gott. Es tut mir leid,

Und wenn ich jetzt auch nicht mehr weiß, wohin; ich geh,
das eine weiß ich, daß es Millionen Mütter gilbt,
die kein Gesetz belohnt und niemand liebt.

Die Widersprüche sind gewaltig, maßlos ist das Weh.
Und du bist tot. Doch wie du lebtest und gestorben bist,
ich will es nie vergessen, nie - bis diese Welt geändert ist.
*
(Aus: Jesse Thoor: Gedichte. Hrsg. von Peter Hamm. Frankfurt 2004.
*
In einer späteren, nicht mehr atheistischen Fassung hat Thoor das letzte Terzett neu gedichtet:

Nun aber tropfen Sterne auf dein Grab in hellen Nächten.
Du bist dem Winde, bist den Wolken gleich -
du Mutter meines Leibes, Tochter der Gerechten.

Im TIPP: Zum Autor:

--
elfenbein
joschi33
joschi33
Mitglied

Re: Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...
geschrieben von joschi33
als Antwort auf angelottchen vom 12.05.2007, 10:48:10

Sehe ich auch so!
Re: Den Müttern, die sich dem Muttertag verweigern...
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 13.05.2007, 07:35:33
"Daß er recht gut und freundlich sei..."

Eine Interpretation zu Jesse Thoors Gedicht - von Hans Jansen


Unser Gedicht zum Muttertag stammt von einem Verfasser, der nicht in seine Zeit passte und den die Zeit vergessen hat. Er war ein Mystiker, der die Einfalt des Gerechten mit der Weisheit des Narren verband. In seiner Jugend glaubte er an die Verheißungen des Kommunismus. Er hat als Tischler und Goldschmied gearbeitet - als Dichter strebte er nach einer "Ästhetik des Humanen".
Peter Karl Höfler wird 1905 als Sohn steirischer Eltern in einem Berliner Arbeiterviertel geboren. Das Pseudonym Jesse Thoor wählt er nach dem biblischen Propheten Jesaja und dem nordischem Gott Thor: Dieser galt den Menschen als schützender Helfer, jener verkündete den Kindern Israels das Ende der Babylonischen Gefangenschaft. Der Künstername birgt das poetische Leitmotiv.

Das schmale Werk des Jesse Thoor ist getränkt vom Leid des Jahrhunderts -Essenz eines Lebens, das von einem Exil ins nächste führt: 1933 von Berlin nach Wien, dann über Brunn nach London. Von dort kehrt er 1952 in die vermeintliche Heimat Österreich zurück, wo er noch im selben Jahr, gebrochen an Leib und Seele, stirbt.
Auch für das Gedicht zum Andenken der Mutter wählt Thoor die von ihm bevorzugte hohe Form des Sonetts; sie scheint ihm angemessen für das maßlose Leid der einfachen Frau. Der Sohn möchte ihr über den Tod hinaus Gutes tun - ein neues Kleid schon hätte ihr das Paradies bedeutet. Doch der Garten Eden bleibt beiden verschlossen: "Ich glaube nicht an Gott. Es tut mir leid."

Thomas Mann hat das Sonett "Am Totenbett der Mutter" 1939 in die von ihm herausgegebene Zeitschrift "Maß und Wert" aufgenommen, die in Zürich erschien.
Es war in der frühen, atheistischen Phase des Dichters entstanden. Im kindlich schlichten Eingeständnis des Nichtglaubenkönnens wie im Hinweis auf das verlorene Paradies aber spüren wir die Sehnsucht nach einem Anker metaphysischer Geborgenheit.

Jesse Thoor fand ihn nicht in Büchern, er fand ihn im Exil, in der Erfahrung helfender Güte. So nimmt es nicht Wunder, dass er in einer späteren Fassung den areligiösen Aspekt des Gedichts tilgt. Die Schlussverse lauten nun, ohne sozialkritische Klage:
"Nun aber tropfen Sterne auf dein Grab in hellen Nächten.
Du bist dem Winde, bist den Wolken gleich -
du Mutter meines Leibes, Tochter der Gerechten."
*
(Aus: WAZ vom 13.05.07)

--
elfenbein

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