Geisteswissenschaft / Philosophie Gibt es einen rechten und linken Totalitarismus
Die Legitimation des totalitären Stalinismus erfolgte nicht durch Terror und Massenlenkung allein (wie erwähnt), vielmehr auch durch philosophische Theorien, die auf Menschheitsziele verweisen und die in der Tradition der europäischen Aufklärung stehen.
carlos,
erklär mir doch bitte mal, wie Terror und Massenlenkung zur Legitimation werden können und wie das durch Theorien der Menschheitsziele und der europäischen Aufklärung unterfüttert wird.
--
adam
Re: Gibt es einen rechten und linken Totalitarismus
@ Adam:
Ja Adam, das kann mir Carlos gleich mit erklären.
Die Philosophen finden vermutlich für jedes Menschenverbrechen eine Rechtfertigung. In der gesamten bisherigen Menschheit hatten gerade die Philosophen die unterschiedlichsten und sich widersprechenden Behauptungen aufgestellt, so dass es zu den einzelnen Themen eine Vielzahl von Meinungen gibt. Gegenseitig bezeichneten sie sich sogar als Scharlatane.
Zum Glück gibt es hier keine gemeinsame, zusammenfassende Meinung.
Ich messe die Massenverbrechen an den Anklageschriften der Internationalen Menschenrechtscharta und da würde nicht nur Hitler und Stalin, sondern auch Napoleon angeklagt. Nach den Kriterien des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses 1945/46 hätte auch Napoleon gehängt werden müssen.
Hafel
Ja Adam, das kann mir Carlos gleich mit erklären.
Die Philosophen finden vermutlich für jedes Menschenverbrechen eine Rechtfertigung. In der gesamten bisherigen Menschheit hatten gerade die Philosophen die unterschiedlichsten und sich widersprechenden Behauptungen aufgestellt, so dass es zu den einzelnen Themen eine Vielzahl von Meinungen gibt. Gegenseitig bezeichneten sie sich sogar als Scharlatane.
Zum Glück gibt es hier keine gemeinsame, zusammenfassende Meinung.
Ich messe die Massenverbrechen an den Anklageschriften der Internationalen Menschenrechtscharta und da würde nicht nur Hitler und Stalin, sondern auch Napoleon angeklagt. Nach den Kriterien des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses 1945/46 hätte auch Napoleon gehängt werden müssen.
Hafel
Die Philosophen finden vermutlich für jedes Menschenverbrechen eine Rechtfertigung.
Umgekehrt finden auch die größten Verbrecher die passende Philosophie, bzw. machen sie für sich passend. So berief sich Adolf Eichmann beim Verhör in Israel darauf, "sein Leben lang den Moralvorschriften Kants gefolgt zu sein, und vor allem im Sinne des kantischen Pflichtbegriffs gehandelt zu haben". (Hannah Arendt in dem Buch "Eichmann in Jerusalem") Eichmann wollte sagen, dass er nicht auf Befehl handelte, sondern aus innerster Überzeugung, aus Pflicht zu handeln.
Wenn Kant gewusst hätte, wozu er einmal dienen würde!
Die Deutschen und die Pflicht
Clara
"carlos,
erklär mir doch bitte mal, wie Terror und Massenlenkung zur Legitimation werden können und wie das durch Theorien der Menschheitsziele und der europäischen Aufklärung unterfüttert wird." adam[/indent]
Lieber adam,
ich gebe keine Nachhilfe in Geschichte, adam, aber einen Hinweis. Den ersten habe ich bereits mit dem Verweis auf Robespierre gegeben, der kein Sadist und Schlächter war, sondern ein penibler Advokat, der Rousseaus Ideen im Kopf (Vernunft, direkte Demokratie etc.) hatte und sie strikt durchführen wollte. Ich ließ einen Absatz weg im Zusammenhang mit Robespierre, weil der Beitrag sonst ausgeufert wäre. Darin versuchte ich zu erklären, dass die frz. Revolution zu Ende war, als der Raubzug in Frankreich beendet war, das Kirchengut war verteilt (ein Drittel des Grund und Bodens). Die Bereicherung hatte stattgefunden und die Bürger wollten anfangen ihren Besitz zu genießen. Die Geschichte der Philosophie ist voll von Utopien mit Glücksverheißungen. Angefangen bei Platon über Rousseau, Marx etc bis zu den modernen Glücksversprechern. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung begint mit der folgenden Erklärung (sinngemäß aus dem Gedächtnis): Wir halten diese Wahrheiten für evident ..... Dazu gehören ..das Streben nach Glück. Wohlgemerkt, nicht Glück wird versprochen, sondern es wird gesagt, dass es gut ist und rechtens, wenn die Menschen nach Glück streben, weil es zu ihrem Wesen gehört.
Dazu ein Zitat:
Das ist eine der Wurzeln des Totalitarismus.
Viele Grüße
c.
erklär mir doch bitte mal, wie Terror und Massenlenkung zur Legitimation werden können und wie das durch Theorien der Menschheitsziele und der europäischen Aufklärung unterfüttert wird." adam[/indent]
Lieber adam,
ich gebe keine Nachhilfe in Geschichte, adam, aber einen Hinweis. Den ersten habe ich bereits mit dem Verweis auf Robespierre gegeben, der kein Sadist und Schlächter war, sondern ein penibler Advokat, der Rousseaus Ideen im Kopf (Vernunft, direkte Demokratie etc.) hatte und sie strikt durchführen wollte. Ich ließ einen Absatz weg im Zusammenhang mit Robespierre, weil der Beitrag sonst ausgeufert wäre. Darin versuchte ich zu erklären, dass die frz. Revolution zu Ende war, als der Raubzug in Frankreich beendet war, das Kirchengut war verteilt (ein Drittel des Grund und Bodens). Die Bereicherung hatte stattgefunden und die Bürger wollten anfangen ihren Besitz zu genießen. Die Geschichte der Philosophie ist voll von Utopien mit Glücksverheißungen. Angefangen bei Platon über Rousseau, Marx etc bis zu den modernen Glücksversprechern. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung begint mit der folgenden Erklärung (sinngemäß aus dem Gedächtnis): Wir halten diese Wahrheiten für evident ..... Dazu gehören ..das Streben nach Glück. Wohlgemerkt, nicht Glück wird versprochen, sondern es wird gesagt, dass es gut ist und rechtens, wenn die Menschen nach Glück streben, weil es zu ihrem Wesen gehört.
Dazu ein Zitat:
"Die geistige Heimat des Begriffs Totalitarismus scheint in jenem Bereich zu liegen, den man die Tradition der politischen Manipulation nennen könnte, dort nämlich, wo Menschen die Formel [i]für das vollkommene Glück der Menchen in Händen zu halten glauben und über diesem Ziel die Fragen der Methoden, mit denen es erreicht werden soll, vernachlässigen. Die europäische Geschichte ist voll von solchen Denkern, angefangen von Platon bis hin zu Beatrice Webb (englische Sozialistin, Fabian Society). Der Großteil von ihnen scheint sich - so Platon in der "Politeia" und mit ihm praktisch alle Verfasser von Utopien - des Problems der individuellen Freiheit, ja des Menschen als Einzelwesen überhaupt gar nicht bewusst zu sein. ...." Shapiro
Das ist eine der Wurzeln des Totalitarismus.
Viele Grüße
c.
@carlos,
ich hatte nicht um Nachhilfe in Geschichte gebeten, sondern um Erklärung dessen, was Du geschrieben hast, weil es mir nicht erstrebenswert scheint, so zu schlußfolgern. Der Mensch muß kein Philosoph sein, um logisch denken zu können.
Zum logischen Denken gehört, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu bedenken, in diesem Zusammenhang zu erkennen, daß der Zweck die Mittel nicht heiligt und zu schlußfolgern, daß dem Streben nach Positivem reale Grenzen gesetzt sind, wenn dieses Streben nicht in Negatives umschlagen soll. Das gilt für Robespiere, Hitler, Stalin, und andere, weswegen sie sehr wohl Schlächter waren.
Indem Du jetzt in Konjunktiven schreibst und das Zitat von Shapiro(?) bringst, versuchst Du weg zu kommen von der entschuldigenden Auslegung.
Das Fatale ist aber, daß es Schwärmer für politische Ideologien gibt, die gerade die Schlußfolgerungen auf positive Beweggründe durch philosophische Betrachtungen, unverstanden dafür heran ziehen, den Totalitarismus als notwendige Entwicklung zu erklären und stolz damit argumentieren, auch wenn sie die Folgen der Entwicklung wenigstens oberflächlich verurteilen, d.h. nicht ernsthaft.
So schließ sich der Kreis Deiner möglichen Erklärung einer Wurzel des Totalitarismus, hin zur Falschauslegung durch Täter, bis zur Neuauflage durch extremistische Dummheit heutzutage, sei es in linken oder rechten Kreisen.
--
adam
ich hatte nicht um Nachhilfe in Geschichte gebeten, sondern um Erklärung dessen, was Du geschrieben hast, weil es mir nicht erstrebenswert scheint, so zu schlußfolgern. Der Mensch muß kein Philosoph sein, um logisch denken zu können.
Zum logischen Denken gehört, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu bedenken, in diesem Zusammenhang zu erkennen, daß der Zweck die Mittel nicht heiligt und zu schlußfolgern, daß dem Streben nach Positivem reale Grenzen gesetzt sind, wenn dieses Streben nicht in Negatives umschlagen soll. Das gilt für Robespiere, Hitler, Stalin, und andere, weswegen sie sehr wohl Schlächter waren.
Indem Du jetzt in Konjunktiven schreibst und das Zitat von Shapiro(?) bringst, versuchst Du weg zu kommen von der entschuldigenden Auslegung.
Das Fatale ist aber, daß es Schwärmer für politische Ideologien gibt, die gerade die Schlußfolgerungen auf positive Beweggründe durch philosophische Betrachtungen, unverstanden dafür heran ziehen, den Totalitarismus als notwendige Entwicklung zu erklären und stolz damit argumentieren, auch wenn sie die Folgen der Entwicklung wenigstens oberflächlich verurteilen, d.h. nicht ernsthaft.
So schließ sich der Kreis Deiner möglichen Erklärung einer Wurzel des Totalitarismus, hin zur Falschauslegung durch Täter, bis zur Neuauflage durch extremistische Dummheit heutzutage, sei es in linken oder rechten Kreisen.
--
adam
Re: Gibt es einen rechten und linken Totalitarismus
@ Clara:
Vorausschicken möchte ich, dass ich Carlos in seinen philosophischen Fragen nicht das Wasser reichen kann. Ich hatte einen naturwissenschaftlichen Beruf und ich gehe an (fast) alle Themen logisch/repoduzierbar heran. Somit ist meine Anmerkung mehr rational.
Die Philosophie – ganz allgemein – betrachte ich ebenso wie die Religionen - als "Behauptungen", die weder empirisch noch rational überprüfbar sind und in der Regel einfache Glaubensartikel sind. So rücken die beiden Begriffe Religion und Philosophie – für mich – auch etwas zusammen. Auch Carlos spricht ja in seinen philosophischen Darlegungen weitgehend im Konjunktiv.
So baute z. B. A. Hitler sich seine mythische Religion (oder Philosophie ?) in den alten Begriffen "Gott" und "göttliche Vorsehung" auf und gab so seinen politischen Projekten (und Verbrechen) die metaphysische Legitimation. Gerade die "göttliche Vorsehung" ist ein Begriff der Religionen im Christentum, wie auch im Islam.
Alles das ist mit der Naturwissenschaft nicht erklärbar und deshalb gibt es auch zu jeder politischen und religiösen "Tat" eine philosophische Rechtfertigung – oder Ablehnung.
Hafel
Vorausschicken möchte ich, dass ich Carlos in seinen philosophischen Fragen nicht das Wasser reichen kann. Ich hatte einen naturwissenschaftlichen Beruf und ich gehe an (fast) alle Themen logisch/repoduzierbar heran. Somit ist meine Anmerkung mehr rational.
Die Philosophie – ganz allgemein – betrachte ich ebenso wie die Religionen - als "Behauptungen", die weder empirisch noch rational überprüfbar sind und in der Regel einfache Glaubensartikel sind. So rücken die beiden Begriffe Religion und Philosophie – für mich – auch etwas zusammen. Auch Carlos spricht ja in seinen philosophischen Darlegungen weitgehend im Konjunktiv.
So baute z. B. A. Hitler sich seine mythische Religion (oder Philosophie ?) in den alten Begriffen "Gott" und "göttliche Vorsehung" auf und gab so seinen politischen Projekten (und Verbrechen) die metaphysische Legitimation. Gerade die "göttliche Vorsehung" ist ein Begriff der Religionen im Christentum, wie auch im Islam.
Alles das ist mit der Naturwissenschaft nicht erklärbar und deshalb gibt es auch zu jeder politischen und religiösen "Tat" eine philosophische Rechtfertigung – oder Ablehnung.
Hafel
Hallo Hafel,
dass ich mit Deinen - und auch Adams Ansichten - über Totalitarismus übereinstimme, habe ich schon in meinem anderen Beitrag versucht zu erklären. Deswegen beantworte ich die gestellte Frage in der Überschrift mit "Es gibt keinen rechten und linken Totalitarismus", sondern nur verschieden definierte Wege, die zu ihm führen. Für mich besteht nicht der geringste Anlass, irgend eine Art von T. irgend wie zu entschuldigen.
Das von Carlos gebrachte Zitat (Shapiro habe ich noch nie gehört) ist voll gültig:
"Die geistige Heimat des Begriffs Totalitarismus scheint in jenem Bereich zu liegen, den man die Tradition der politischen Manipulation nennen könnte, dort nämlich, wo Menschen die Formel für das vollkommene Glück der Menschen in Händen zu halten glauben und über diesem Ziel die Fragen der Methoden, mit denen es erreicht werden soll, vernachlässigen."(Shapiro)
Was Philosophie betrifft, so waren und sind Denker (Philosophen) oft auch Naturwissenschaftler.
Clara
dass ich mit Deinen - und auch Adams Ansichten - über Totalitarismus übereinstimme, habe ich schon in meinem anderen Beitrag versucht zu erklären. Deswegen beantworte ich die gestellte Frage in der Überschrift mit "Es gibt keinen rechten und linken Totalitarismus", sondern nur verschieden definierte Wege, die zu ihm führen. Für mich besteht nicht der geringste Anlass, irgend eine Art von T. irgend wie zu entschuldigen.
Das von Carlos gebrachte Zitat (Shapiro habe ich noch nie gehört) ist voll gültig:
"Die geistige Heimat des Begriffs Totalitarismus scheint in jenem Bereich zu liegen, den man die Tradition der politischen Manipulation nennen könnte, dort nämlich, wo Menschen die Formel für das vollkommene Glück der Menschen in Händen zu halten glauben und über diesem Ziel die Fragen der Methoden, mit denen es erreicht werden soll, vernachlässigen."(Shapiro)
Was Philosophie betrifft, so waren und sind Denker (Philosophen) oft auch Naturwissenschaftler.
Clara
Re: Gibt es einen rechten und linken Totalitarismus
@ Clara: "Was Philosophie betrifft, so waren und sind Denker (Philosophen) oft auch Naturwissenschaftler".
Richtig, wie zum Beispiel: Carl Friedrich von Weizsäcker.
Ich habe ihn persönlich im Kieler Audimax zu einer Friedens-Ringvorlesung gehört.
Ich verehre ihn sehr.
hafel
Richtig, wie zum Beispiel: Carl Friedrich von Weizsäcker.
Ich habe ihn persönlich im Kieler Audimax zu einer Friedens-Ringvorlesung gehört.
Ich verehre ihn sehr.
hafel
@clara
Zu Shapiro: L.B. Shapiro in "Marxismus im Systemvergleich", Geschichte 5, 1974 (Sonderausgabe der Enzyklopädie „Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft), Seite 103. Shapiro war Professor an der Universität von London und der London School of Economics. International renommiert. In meinem Beitrag vom 27.08.2011 19:44 wurde am Zitatende die Fundsstelle eingefügt und die Publikation. Deshalb habe ich zuletzt nur den Namen "Shapiro" genannt.
Ich verwies bereits im einleitenden Beitrag darauf, dass gleiche Methoden und Grundsätze der Herrschaftsausübung nicht dazu führen müssen oder sollten alle Totalitarismen in einen Topf zu werfen: "muss nicht dazu führen, dass sie alle drei in einen Topf geworfen werden. So geschehen in den 50er Jahren. Eine Unsicherheit bleibt, weil der geistige Hintergrund des Faschismus anders ist als der des Stalinismus." Gefragt werden muss trotzdem, warum die sich "wissenschaftlich" nennende Philosophie des sowjetrussischen dialektischen Materialismus einen so großen Widerhall und Anhang auch bei Intellektuellen insbesondere in Deutschland fand. Wo war da die Rationalität der Technokraten und Naturwissenschaftler? Wo war sie, als Rassenideologie im Dritten Reich gelehrt und praktiziert wurde?
Auch wenn ich das Thema in Philosophie eingestellt habe, ist es nur indirekt ein Thema, das die Philosophie berührt. Es geht um historische Aufarbeitung und Erinnerung. Gambler hatte gerade ein Thema in "Ereignisse der Geschichte" eingestellt und ich wollte nicht sofort ein neues Thema dort folgen lassen. Philosophische Fragen werden hier nur am Rande gestreift, erwähnt, nicht explizit behandelt.
Ich habe sehr wenig oder gar keine Ahnung von Ph. Ich wiederhole: Bis jetzt habe ich keine Philosophie behandelt. Nur einige geschichtliche Hinweise auf die Ph. als Verdeutlichung historischer Zusdammenhänge. Die Philosophie ist eine schwierige technische Disziplin, deren Methode und Problematik in 2600 Jahren intensiver Arbeit bedeutender Denker und Genies entwickelt wurde. Der Name Fr. von Weizsäckers wurde von dir, lieber hafel, genannt. Ich möchte Heisenberg hinzufügen, Russell ebenfalls, der mit dem Philosphen Wittgenstein zusammen arbeitete, R. Penrose wäre zu nennen.
Wie Weizsäcker in Bezuig auf die Ph. dachte, ein Beispiel:
Den folgenden Hinweis Weizsäckers auf Kant erspare ich mir.
Richtig ist auf jeden Fall dein Hinweis, clara, dass Ideologien und Utopien von Verbrechern aufgegriffen werden und genutzt werden können. Shapiro weist ausdrücklich darauf hin.
Adam, ich weiß nicht, wo ich im Konjunktiv gesprochen haben könnte. Geistesgeschichtliche Sachverhalte lassen sich nicht rechnerisch exakt nach Formeln aus dem Lehrbuch bestimmten Zusammenhängen zuordnen. Linear ableiten lassen sie sich nicht. Geschichte ist ein Tollhaus, ein irrenhaus, kein Logikseminar. Die Wirkungsgeschichte von Ideen lässt sich auch nicht nach physikalischen Gesetzen berechnen. Aber Ideen haben trotzdem ihre Wirkungsgeschichte. Der Stalinismus, der Faschismus sind Beispiele. Prof. Shapiro jedenfalls wollte vorsichtig sein. Ich bin es auch. Auf jeden Fall bin ich dankbar, dass die Diskussion bis jetzt so sachlich verlaufen ist.
Viele Grüße
c.
Zu Shapiro: L.B. Shapiro in "Marxismus im Systemvergleich", Geschichte 5, 1974 (Sonderausgabe der Enzyklopädie „Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft), Seite 103. Shapiro war Professor an der Universität von London und der London School of Economics. International renommiert. In meinem Beitrag vom 27.08.2011 19:44 wurde am Zitatende die Fundsstelle eingefügt und die Publikation. Deshalb habe ich zuletzt nur den Namen "Shapiro" genannt.
Ich verwies bereits im einleitenden Beitrag darauf, dass gleiche Methoden und Grundsätze der Herrschaftsausübung nicht dazu führen müssen oder sollten alle Totalitarismen in einen Topf zu werfen: "muss nicht dazu führen, dass sie alle drei in einen Topf geworfen werden. So geschehen in den 50er Jahren. Eine Unsicherheit bleibt, weil der geistige Hintergrund des Faschismus anders ist als der des Stalinismus." Gefragt werden muss trotzdem, warum die sich "wissenschaftlich" nennende Philosophie des sowjetrussischen dialektischen Materialismus einen so großen Widerhall und Anhang auch bei Intellektuellen insbesondere in Deutschland fand. Wo war da die Rationalität der Technokraten und Naturwissenschaftler? Wo war sie, als Rassenideologie im Dritten Reich gelehrt und praktiziert wurde?
Auch wenn ich das Thema in Philosophie eingestellt habe, ist es nur indirekt ein Thema, das die Philosophie berührt. Es geht um historische Aufarbeitung und Erinnerung. Gambler hatte gerade ein Thema in "Ereignisse der Geschichte" eingestellt und ich wollte nicht sofort ein neues Thema dort folgen lassen. Philosophische Fragen werden hier nur am Rande gestreift, erwähnt, nicht explizit behandelt.
"Vorausschicken möchte ich, dass ich Carlos in seinen philosophischen Fragen nicht das Wasser reichen kann. Ich hatte einen naturwissenschaftlichen Beruf und ich gehe an (fast) alle Themen logisch/repoduzierbar heran. Somit ist meine Anmerkung mehr rational." hafel
Ich habe sehr wenig oder gar keine Ahnung von Ph. Ich wiederhole: Bis jetzt habe ich keine Philosophie behandelt. Nur einige geschichtliche Hinweise auf die Ph. als Verdeutlichung historischer Zusdammenhänge. Die Philosophie ist eine schwierige technische Disziplin, deren Methode und Problematik in 2600 Jahren intensiver Arbeit bedeutender Denker und Genies entwickelt wurde. Der Name Fr. von Weizsäckers wurde von dir, lieber hafel, genannt. Ich möchte Heisenberg hinzufügen, Russell ebenfalls, der mit dem Philosphen Wittgenstein zusammen arbeitete, R. Penrose wäre zu nennen.
Wie Weizsäcker in Bezuig auf die Ph. dachte, ein Beispiel:
"Ich will sagen, dass die Naturwissenschaft der Neuzeit, die sich zu Anfang einmal auf Platon berief, ohne ihn philosophisch ganz zu vollziehen, eben an den Stellen, wo sie ihn nicht vollzogen hat, auf die Probleme zurückgeführt worden ist, die Platon schon recht genau gesehen hat, und dass eine Vollendung der Physik, so wie sie heute vollendet am Horizont zu stehen scheint, eine philosophische Reflexion verlangt, die der platonischen Reflexion als Partner gegenüberstehen würde." Aus Fr. von Weizsäcker, Platonische Naturwissenschaft im Laufe der Geschichte. Aus:Weizsäcker, Ein Blick auf Platon, Seite 140
Den folgenden Hinweis Weizsäckers auf Kant erspare ich mir.
Richtig ist auf jeden Fall dein Hinweis, clara, dass Ideologien und Utopien von Verbrechern aufgegriffen werden und genutzt werden können. Shapiro weist ausdrücklich darauf hin.
Adam, ich weiß nicht, wo ich im Konjunktiv gesprochen haben könnte. Geistesgeschichtliche Sachverhalte lassen sich nicht rechnerisch exakt nach Formeln aus dem Lehrbuch bestimmten Zusammenhängen zuordnen. Linear ableiten lassen sie sich nicht. Geschichte ist ein Tollhaus, ein irrenhaus, kein Logikseminar. Die Wirkungsgeschichte von Ideen lässt sich auch nicht nach physikalischen Gesetzen berechnen. Aber Ideen haben trotzdem ihre Wirkungsgeschichte. Der Stalinismus, der Faschismus sind Beispiele. Prof. Shapiro jedenfalls wollte vorsichtig sein. Ich bin es auch. Auf jeden Fall bin ich dankbar, dass die Diskussion bis jetzt so sachlich verlaufen ist.
Viele Grüße
c.
Re: Gibt es einen rechten und linken Totalitarismus
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Richtig ist auf jeden Fall dein Hinweis, clara, dass Ideologien und Utopien von Verbrechern aufgegriffen werden und genutzt werden können.
Ich finde, dass das Suchen nach Begründungen (auch dann wenn es sich explizit nicht um Rechtfertigungen handelt) und nach ein paar positiven Aspekten oder Absichten dazu dient, die grundlegende Problematik zu verschleiern und Hoffnung auf eine neues, DIESMAl aber erfolgreicheres Projekt ähnlicher Art zu erwecken.
"Seid umschlungen Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt" klingt nicht nur gut und erhebend, sondern sollte die Welt retten können, würde man doch liebend gern glauben.
"Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
erkämpft das Menschenrecht."
Ach, wie leicht ist es doch, die Welt zu küssen und die Völker zur Völkerschlacht aufzurufen und wie schwer ist es dagegen, den Nächsten zu respektieren.
Ich erinnere an die simple Weisheit: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen."
Die Mehrzahl der Früchte sind bei jedem Totalitarismus eindeutig faulig.
Jede Ideologie und Utopie, die nicht die menschliche Natur einbezieht, wird sich gegen den Menschen richten. Der Mensch ist eben nicht nur gut; einen neuen Menschen schaffen zu wollen, der dann die Früchte utopiegemäß genießen und nicht mißbrauchen könnte, ist bereits Hybris und führt nicht zu mehr Menschlichkeit sondern nur zur Unmenschlichkeit.
Das heißt für mich: Es muß grundlegend ein System der gegenseitigen Überwachung und Machtbeschneidung bereits in den Fundamenten und im theoretischen Unterbau eingebaut sein.
Alle Ideologien und Utopien, die vor dieser für mich doch so einsichtigen Tatsache die Augen verschließen, werden mit einer für mich 100 %igen Sicherheit in einem Meer von Blut versinken.
Mattäus sollte aber noch weiter zitiert werden: "Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber reißende Wölfe sind."