Diskussion historischer Ereignisse Wir gedenken heute der ermordeten Menschen im Holocaust
vor gut einem Jahr berichtete die SZ (20.11.2018) :
"40 Prozent der befragten Deutschen im Alter von 18 und 34 Jahren antworteten, sie wüssten "wenig" oder "gar nichts" über die Judenvernichtung unter den Nazis im Zweiten Weltkrieg. Unter allen europäischen Befragten liegt der Wert bei 33 Prozent. Die Teilnehmer stammen neben Deutschland aus Österreich, Frankreich, Großbritannien, Ungarn, Polen und Schweden. Etwa fünf Prozent der Europäer gab an, sie hätten "nie vom Holocaust gehört".
Ob das heute viel besser ist ? Ich glaube nicht an eine Amnäsie solchen Aussmasses.
Die 34-jährigen waren 1996 10 Jahre alt hätten also nach den Lehrplänen aller Bundesländer zumindest etwas von der Judentötung gehört haben müssen.
Etwas muss da an den deutschen Schulen nicht richtig laufen.
aixois:Lieber @aixois,
"Etwas muss da an den deutschen Schulen nicht richtig laufen."
ich denke, dass heutzutage an Schulen einiges passiert (s. hier), aber dass wir als Gesellschaft noch immer an der Sprachlosigkeit der traumatisierten Kriegsgeneration leiden, die vielfach ihr Wissen verschwieg und nicht an die nächste Generation weitergegeben hat. Verdrängung war die einzige Medizin, die den Menschen damals zur Verfügung stand, eine wirkliche Aufarbeitung der Geschehnisse fand nicht statt. Das hat sich nur allmählich geändert. Vielfach drängen heute bei denjenigen, die damals Kinder waren, lange verschüttete Erinnerungen an die Oberfläche, jedenfalls erlebe ich dies in meinem Umfeld.
Liebe @luchs35,
deinen Beitrag finde ich sehr gut. Hoffentlich kann er etwas zur Versöhnung auch hier im ST beitragen. Uns alle verbindet unabhängig von Abstammung oder Religion die Verantwortung des Wissens. Keiner, der hier heute noch schreiben kann, trägt persönliche Schuld, aber wir sollten uns sensibilisieren für die tradierten Traumata auf Opfer- und Täterseite. Es ist kein leichtes Unterfangen, die Balance zu wahren, aber pauschaler Hass auf das "Tätervolk" oder Unverständnis für die Traumata der Opferseite wären auch wieder nur eine Fortschreibung von Unrecht.
Karl
zitiert nach Karl
Ich denke, dass dies gar nicht möglich war. Es müsste sofort eine Gerichtbarkeit sich gebildet haben,
das ging nicht, wer sollte aktiv werden?
Wenn es geschehen wäre, wären ganz sicher vornedran die Nazis gewesen, mit fadenscheinigen Ausreden.
Ein Bild für die scheinbare Ruhe nach dem Sturm sind für mich die Bomben, die jetzt immer wieder bei Bauarbeiten buchstäblich "ans Tageslicht" kommen. Erst mal alles zudecken, nicht an die Gefahr in der Zukunft denken. Zudecken und drauf bauen, man braucht Wohnungen, egal wie gefährlich.
Ich bewundere die Menschen, die diese grausigen Überbleibsel entschärfen und freue mich, dass so wenig dabei passiert.
Clematis
Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Dortmund
Zwischen 1933 bis 1945 wurden dort insgesamt 66.000 Personen unter unmenschlichen Bedingungen von den Nationalsozialisten inhaftiert. Diejenigen die überlebten wurden im Anschluss in Arbeitslager deportiert.
Die Steinwache Dortmund erlangte damals auch den zweifelhaften Ruf die Hölle von Westdeutschland zu sein.
Vor einiger Zeit besuchte ich mit einer Freundesgruppe diese Gedenkstätte.
Danach schwiegen wir nur noch vor Erschütterung und kämpften mit den Tränen, denn man spürte körperlich die Angst, die sich sogar nach Jahrzehnten in dieses Gemäuer eingenistet hat.
Dort lasen wir auch einige Originalbriefe, in denen Ärzte die ahnungslosen Eltern über das plötzliche Ableben ihrer Kinder informierten. Diese Kinder waren vorher nur zur Kurzerholung in Landheime verschickt worden. Aber alle diese armen Kinder hatten eines gemeinsam...eine Behinderung. Man hatte sie dort heimlich als Versuchskaninchen für medizinische Zwecke missbraucht.
Gut, dass es diese Gedenkstätte als Zeuge der Erinnerung gibt, die auch laut Aussage der Museumsaufsicht, von vielen Schulklassen aufgesucht wird.
Rosi65
Lieber @Karl,
ich gehe völlig mit Dir einig, was die "Verarbeitung" der individuellen (kollektiven ?) Traumata (Zeitzeugen im besten Falle) und ihre schweigende Scham - wie ich es nennen möchte - gegenüber den nachwachsenden Generationen angeht. Das war ja im Kern die Frage der deutschen 68-er an ihre schweigsamen Väter (und Mütter) : was wusstet ihr, was war los, warum macht ihr weiter als wäre nichts geschehen. Da war viel Anklage, oft zu wenig Verständnis und persönliches Einfühlungsvermögen, aber das ist das Privileg der Jugend und dem alten Denken verhaftete Seilschaften gab es ja auch und nicht alle wollten überhaupt 'verdrängen', aus etlichen Tätern , waren plötzlich Opfer geworden, die sich erdreisteten das "Weiter-so" in neuen Gewändern zu propagieren.
Ich finde das Engagement einzelner Schüler oder ganzer Klassen / Schulen sehr gut, da wird durch die Informationssuche (meist zu lokalen Abläufen) über eine zunächst ungläubige Betroffenheit, letztlich ein zu der "Geschichte-Stehen". Einer Historie, die man "ererbt" hat, ganz schuldlos, die man aber in Händen hält, die man nicht wegwerfen/ungeschehen machen kann. Da fängt dann das Bewusstsein an, bei den Jungen, dass sie es sind, die Verantwortung tragen für das Fortschreiben der Geschichte. Einer Geschichte, die das, was falsch gelaufen ist, nicht wiederholen darf.
Ich erinnere mich selbst sehr gut an die vielfältigen Widerstände (selbst der Schulleitung) – Mitte der 1960-er – als wir im PAO (politischen Arbeitskreis Oberschulen) versuchten, etwas zusammenzustellen über eine Reihe ortsbekannter „Nazis“, darunter einen noch aktiven Lehrer der Schule, kurz vor dem Ruhestand. Da gab es die Argumente der mitfühlenden Verschwiegenheit (betroffenes einsichtiges Nicht daran erinnert sein wollen), die wir nachvollziehen konnten. Da waren aber die falschen Schutzbehauptungen bis hin zu der Meinung, dass das alles Übertreibungen der Presse der Besatzer seien usw.
Nach vielem Gezerre und Schickaniererei schafften wir es, einen Film der LBSt (Landesbildstelle) über die letzten Tage von Berlin in der Aula aufführen zu dürfen. Altersgrenze: ab 16, mindestens 16, peinlich entschuldigende Einführung durch den Rektor , keine Fragen/Diskussion am Ende, Bestuhlung durch dei Leutze des PAO usw.
Was ich meinte, ist das rein Faktische, das die Problematik der Verarbeitung höchstens marginal tangiert. Wie kann es sein, dass 2018 40 % von deutschen jungen Leuten, die in den letzten beiden Jahrzehnten jahrelang durch eine deutsche Schulausbildung gelaufen sind, nichts oder nur sehr wenig von der geplant durchgeführten Judenausmerzung erfahren haben bzw. überhaupt wissen. Selbst in meinem Geschichtsbuch von 1965, gibt es 2 ganze Seiten über die „Verfolgung von Juden“ – im Unterricht nicht behandelt).
Entweder man hat den Lehrplan links oder vielleicht eher rechts, liegen lassen (keine Zeit usw.) oder - wenn überhaupt - nur minimalistisch/selektiv verfolgt. Es gibt heute exzellente Materialien(von Schulbüchern gar nicht reden, aber die liest man ja kaum noch im Zeitalter der ‚ fliegenden Blätter‘) , die man einfach und gut verwenden kann, ohne gestresste Lehrkräfte zu überfordern. Dass 10 – 20 % vom Unterricht nichts mitbekommen, wäre schlimm genug, kommt aber vor. Aber 40 % ?
Da sind aber auch 60 %, die gute Lehrer/Lehrpläne gehabt haben müssen oder sich sogar für das Thema interessieren.
Anders kann es gar nicht sein, zumindest bis 89 in der BRD-alt, und seitdem in den Schulen Gesamtdeutschlands, ansonsten wären wir nicht von diesem eklatanten Unwissen zum Thema, dass auch von karls Statistik untermauert wurde, umgeben.
Etwas muss da an den deutschen Schulen nicht richtig laufen.
Und auch Spiegel-Journalisten wüssten was, und würden nicht solche Lügen verbreiten:
Entnommen Jutta Ditfurths Getwitter
@ Clematis
Es gab ja ab 1946 so eine Art Sondergerichtsbarkeit , die sog. Spruchkammern (zumindest in der US Zone), die die sog. "Entnazifizierung" durch die Deutschen selbst durchführen sollte.
Siehe Auszug aus einem Fragebogen
https://www.landesarchiv-bw.de/web/59956
Der beginnende kalte Krieg und die Notwendigkeit aus Deutschland schnell ein Bollwerk gegen den Russen zu machen, wozu es einsatzbereites, fähiges Personal (wen sonst als die alten Stelleninhaber) brauchte, so dass diese "Aufarbeitung" sehr schnell einschlief, und die 'Laienrichter' die kritischen Fälle ohnehin nicht fassen konnten/durften.
Emotional und treffend !
Jedes Wort deines Beitrages präge ich mir ein .
Gruß
Gilbert
@wandersmann,
bist Du sicher, dass das kein Fake ist.
Ich lese im Spiegel folgendes:
Spiegel-Online
75 Jahre nach der BefreiungAuschwitz
Vor 75 Jahren erreichten Soldaten der Roten Armee das Vernichtungslager. Nach und nach erschloss sich ihnen die Dimension des Grauens.
Ein Film von Heike Janssen
23.01.2020, 17:33 Uhr
Karl
@ karl
Kein fake. Die online-Redaktion des Spiegel hat diesen Fehler zugegeben, und ihn später auf "Rote Armee" korrigiert.