Von Avignon nach Australien


Von Avignon nach Australien

Freitags treffen wir uns zum Calligraphy-Unterricht in unserem Nachbardorf. Mitglieder kommen und gehen. Ich bin einer der Getreuesten. Letzten Freitag kam eine „Neue“ zum Schnuppern. Sie ist mit ihrem Mann von Charleville nach hier gezogen und unterscheidet sich ziemlich von uns. Trotzdem nicht mehr die Juengste, ist sie eine quirlige Person mit einem besondern Outfit. So neugierig wie ich bin, musste ich gleich nach ihren Vorfahren fragen und sie erzaehlte mir gerne ihre Geschichte.

Ich stamme aus einem Dorf nahe Avignon in Frankreich. Ich war kaum geboren da schnuerten meine Eltern ihr Buendel, mich obendrauf und ab ging’s nach Marseille um mit dem Schiff nach Australien auszuwandern. Aber das weiss ich nur von meiner Eltern.

Ich erinnere mich so gerne an meine Kindheit auf der Farm bei Charleville in Queensland. Ich hatte keine Geschwister zum Spielen. Zur naechsten Farm fuhren wir ab und zu zum Sonntagstee. Sie hatten vier Jungens und der Juengste war zwei Jahre aelter wie ich. Wir beide hockten immer zusammen und heckten irgendeinen Unsinn aus. Er setzte mich das erste mal auf ein Pferd, ohne Sattel und ohne Decke. Wenn ich daran denke, spuere ich noch heute, wie sich der Pferderuecken anfuehlte. Aber einen Haken hatten die Besuche auf der Nachbarfarm. Ich wurde immer vorschriftsmaessig und ordentlich angezogen. Nur die Schuhe durfte ich nach kurzer Zeit ausziehen.

Wie anders war mein Leben doch auf unserer Farm. Bei uns wohnten fast bestaendig einige Aboriginesfamilien mit ihren Kindern. Auf den Bildern in unserem Familienalbum kann man mich sehen, von der Sonne kaffeebraun gebrannt, fast wie die Aborigineskinder und genauso nackt. Auf spaeteren Bildern haben wir alle ein Hoeschen an. Mama sagte, das sei ein Kampf gewesen. Ich wollte nur eine Hose anziehen, wenn meine Freundinnen auch welche anzogen. Mama naehte aus buntem Stoff fuenf Spielhosen. Da sie so lustig aussahen, waren meine Freundinnen begeistert, sie anzuziehen.

Inzwischen war ich so gross, dass ich immer mit zum monatlichen Einkauf fahren durfte.
Mama setzte ihren Sonntags-Strohhut auf, Papa striegelte das Pferd nochmals, damit es auch schoen glaenzte und ich bekam mein schoenstes Sonntagskleid angezogen. Vor lauter Vorfreude machte es mir garnichts aus, richtig angezogen zu sein. Vielmehr fuehlte ich mich an dem Einkaufstag immer als etwas besonderes.

Wenn es vorher geregnet hatte, wurden wir auf dem Pferdewagen so richtig durchgeschuettelt, denn nur ein Feldweg fuehrte ins Dorf und der hatte dann noch mehr Schlagloecher wie ueblich. Im Dorf angekommen, war der erste Weg mit der langen Einkaufsliste in den Lebensmittelladen . Ach, diese Gerueche und was man alles kaufen konnte. Papa machte seine Besorgungen in der Eisenhandlung, denn auf der Farm reparierte er alles selbst. Es musste Neues bestellt werden und Bestelltes wurde abgeholt. Ach ja, zur Post mussten wir auch. Immer waren einige Briefe da und die Zeitungen aus Frankreich. Manchmal, wenn einer von uns Geburtstag hatte, wartete auch ein Paeckchen von den Verwandten aus Frankreich auf uns.

War das alles erledigt, ging Papa in den Pub und Mama besuchte mit mir eine Freundin. Wenn die Freundin nicht zu Hause war, das passierte schon einmal, da wir unregelmaessig zum Einkaufen fuhren, setzten wir uns auf unseren Pferdewagen, denn Frauen durften nicht in den Pub. Fuer sie gab es einen Extraraum. Aber unser Pub war klein, da gab keinen Raum fuer Ladies. Auf dem Kutschbock sitzen war aber auch lustig. Man konnte dem ganzen Dorfleben zusehen. Die Leute hielten ein Schwaetzchen mit Mama und sie erfuhr viele Neuigkeiten. Um viertel vor sechs wurde im Pub die Glocke fuer die letzte Runde gelaeutet. Dann sagte Mama:“Gleich kommt Papa und wir fahren nach Hause“. Kurz nach sechs kam Papa aus dem Pub, den Hut verwegen auf seinem Kopf und die Pfeife im Mund. Er schwang sich auf den Wagen, klopfte seine Pfeife aus und zuendete die Laterne am Wagen an. Papa erzaehlte die Neuigkeiten, die er erfahren hatte, dann pfiff er ein franzoesisches Volkslied und Mama sang dazu. Manchmal liess er die Zuegel locker und schlief ein. Das war kein Problem, Die treue Emma fand unsere Farm auch so.

Die Calligraphystunde war vorbei und sie seufzte tief :“Ja, das waren schoene Zeiten “. Ich verabschiedete mich von ihr mit den Worten, dass ich sehr hoffe, sie kommt naechsten Freitag wieder, damit sie weiter erzaehlen kann.

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Kommentare (14)

koala Mit dem Lesen geht es mir genauso wie Dir. Mit den Buechern von Pearls Buck hatte es angefangen. Kennst Du von Tania Blixen den Roman"Afrika"? Er wurde verfilmt und faengt mit dem Satz an "Ich hatte eine Farm in Afrika". Durch die Art, wie dieser Satz gesprochen wird, bleibt er mir immer in Erinnerung.
LG Anita
chris33 es ist, als ob ich dabei war!!
Wie bekannt: Manche Geschichten (Bücher) liest man, manche überfliegt man etc., und manche verdaut man. Deine ist so eine wunderbare Erzählung, die ich verdaut habe.
PS.: Kann mich etwas hineinversetzen- in diese "etwas andere Zeit". Liebe Grüsse Christel.
kolli Will wer einen Beitrag schreib'n
wünscht er sich: man mög ihn leiden!

End-und-schließ-lich fügt er munter
kurz sein "Kaiser Willem" drunter.
heutzutage heist das: "Nick",
wird mit "Klick" dann
weggeschickt.

Auch unser Koala-Baerchen
hält das nicht für Grimmsche Maerchen
gibt sich Müh', schreibt flott drauf los
alles klappt auch fabelmos.
Nur zum Schluss kommt es ins Wanken.
Derweil es schrieb, war'n die Gedanken
zu Guana abgedriftet.
ja, und das hat angestiftet
zu verwechseln ihren Nick.
(war Guanas kurzes Glück)
liebe Grüße
kolli
koala Ich freue mich, dass Dir die Geschichte wieder gefallen hat.
LG Anita
koala Er hat's manchmal an sich. Wie ich schon Mo geschrieben habe, war das obige Posting von mir und nicht von guana.
LG Anita
koala Ich hatte vergessen mich ordnungsmaessig anzumelden und habe unter dem Nickname von guana geschrieben.
Anita
koala Schreiben im ST ist fuer mich doppelte Freude. Einmal, weil ich gerne schreibe und zum anderen, weil es den Lesern auch noch gefaellt, was ich schreibe. Das ermutigt mich immer wieder, mir etwas Neues einfallen zu lassen.
LG Anita
guana Zum Glueck gab's bei uns in Deutschland keinen Pub und in's Wirtshaus durften die Frauen schon immer. Die Australier hatten das mit dem Pub von England uebernommen. Dort durften die Frauen auch nicht......
LG Anita
guana die 'Neue' war am letzten Freitag wieder da und natuerlich habe ich wieder nachgefragt.
In Calligraphy habe ich meine "Hoechststufe" erreicht. Mit anderen Worten, ich schaffe es nicht mit dem Pinsel. Das ueberlasse ich lieber den Chinesen. Sie haben es einfach in ihrer Gene.
LG Anita
Britt während ihr schöne Calligraphiezeichen malt (?), erzählt die "Neue" aus ihrer Kindheit.
Es ist schön, dass es noch so eine Erzählrunde gibt, wo einer dem anderen gut zuhört und danach so lebendig wiedergeben kann. Sie wird sicher zum nächsten Unterricht kommen. LG, Britt
marlenchen Ich lese gerne deine Berichte-dank dafür,liebe grüße an dich koalachen von marlenchen
outofspain schöne Erzählung. Interessantes aus dem Leben anderer Menschen zu erfahren. Erstaunliches oder auch Dinge,bei den wir heute nur noch mit dem Kopf schütteln können( Frauen durften nicht in den Pub^^). Gut, dass sich die Zeiten geändert haben,heute dürfen wir...

LG Mo.
girasola Immer wieder bin ich begeistert darüber,wie Du die Erlebnisse von Einwanderen beschreiben
kannst.Obwohl es für mich schwer vorstellbar ist,habe ich das Gefühl ich wäre dabei gewesen und hätte alles miterlebt.Danke,dass Du uns teilnehmen lässt an Eurem Leben und dem Leben
von Nachbarn und Bekannten. Liebe Grüße von Rosemarie
kolli Lieber Guana.
Schnörkellos und doch mit vielen Details erzählst du prima von deiner Zeit.
Zurückversetzte Gegenwart erlebt man angenehm durch deine Beschreibungen.
Man möchte fast dabei gewesen sein.
Von deinen Calligraphy-Ergebnissen wirst du uns sicher auch mal was zeigen?
Liebe Grüße
kolli

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