Unser aller Wunsch - einmal Aushilfsbulle sein




Ich lag meinem ältesten Bruder, dem Dorfpolizisten, so lange in den Ohren, bis er mir endlich wieder einmal zu einem Tatort mitnahm. „Ein höchst interessanter Fall“, sagte er auf der Fahrt dorthin. Sein Urteil schien schon jetzt festzustehen. „Zweifellos Mord.“ Und er fügte hinzu: „Aber benümm dir nicht wieder wie beis letzte Mal, sonst hau ich dir den Polizeiknüppel dreimal quer über die Rübe!“ Ich sank vor Scham in mir zusammen, denn ich wusste genau, worauf mein Bruder anspielte. Das waren jetzt fast drei Jahre her. Als die Techniker ihre Untersuchung des Tatortes – d.h. was davon übrig war – vornahmen, fanden sie überall meine Fingerabdrücke.
Weil ich doch alles angedaddelt hatte. Deshalb war das.
Außerdem hatte ich, wie schon angedeutet, den Tatort bös zugerichtet. Aber das waren doch reine Arbeitsunfälle, wie sie tagtäglich an jedem Arbeitsplatz vorkommen. Das kann man doch Emil nicht ankreiden.

Mein Bruder vernahm damals erst einmal die Nachbarschaft, um potentielle Zeugen ausfindig zu machen. Mir ließ er allein am Tatort zurück. In einer Scheune. „Halt schön Wache. Aber daddel nichts an!“ „Zu Befehl, Herr Dorfwachtmeister.“

Erst ging ich nur ziellos auf und ab, um die Zeit zu vertreiben. Dann fiel mein Blick auf die Leiche. Und schließlich interessierte mir die Leiche und ich begann sie – son’n büschen vorsichtig – zu untersuchen. Ich fing oben an und klopfte ihr erst mal systematisch den Kopf ab. Komisch! Der war ganz klanglos. Weder hohl noch blubberig noch sonst was. Und weich wie eine faule Birne. Ich konnte den Kopf zusammendrücken, bis er dünn wie eine Pizza war. Dann fühlte ich dem Mordopfer den Puls ab. Aber da war kein Puls, was man bei Leichen auch nicht unbedingt erwarten kann. Immerhin konnte ich jetzt aber den genialen Schluss ziehen, dass die Leiche tot war. Trotzdem versuchte ich eine Weile, durch künstliche Beatmung wieder Leben in die leblose Hülle zu pumpen, denn ich wollte nichts unversucht lassen. Aber meine Bemühungen waren vergeblich.

Um die Leiche genauer untersuchen zu können, war es zu schummrig in der Scheune. Deshalb zog ich sie an den Füßen nach Draußen. Ans helle Tageslicht, wo ich besser sehen konnte. Wie leicht sie war! Sie konnte nicht mehr als höchstens vier/fünf Kilo wiegen. Das kam mir aber sehr verdächtig vor! Zwei Theorien boten sich hier an. Entweder war das so ein verrückter Kerl, der sich einer radikalen Abmagerungskur unterzogen hatte. Oder der arme Hund war – was mich wahrscheinlicher dünkte – so einer Bande zum Opfer gefallen, die Organe klaut und sie denn an reiche Geldsäcke verschachert. Darüber konnte nur eine Obduktion Aufschluss geben. Zum Glück hatte ich mein Taschenmesser dabei. Ein forscher Schnitt und: Siehe da! Als wenn ich das nicht geahnt hätte! Im ganzen Körper befand sich nur Stroh. Im Kopf ebenfalls, was allerdings von Natur aus so gewesen sein könnte. Aber auch die Beine waren mit Stroh ausgestopft. Das erregte unmittelbar einen schweren Verdacht in meinem Kopp. Wieso stopft man denn heutzutage den seiner Organe Beraubten mit Stroh voll, statt einfach die leere Haut zusammen zu falten und in die Jackentasche mitzunehmen? Was will man mit dieser makabren Strohmethode verbergen? Auf welche falsche Fährte versuchte man Emil zu locken?

Meine Verwunderung kannte keine Grenzen mehr als ich entdeckte, dass die Leiche weder Knie noch Füße, weder Geschlechtsteil noch Bauchnaben noch Kehle, weder Brustwarzen noch Fuß- oder Fingernägel hatte. Nicht einmal richtige Augen. Bloß angenähte. Aus Stoff. Wird denn so ein Ramsch heutzutage auch auf dem Organmarkt verhökert? Als ich dann noch gewahr wurde, dass der Hut am Kopf festgenäht war, ging mir langsam ein Licht auf. Das war kein toter Mann. Das war eine Vogelscheuche.
So eine Blamage! Enttäuscht versetzte ich dem Mistding einen gehörigen Tritt in die Seite, dass es in den Graben segelte.

Jetzt war die Frage: Wo befindet sich die richtige Leiche? Um das herauszufinden, musste der Tatort minutiös untersucht werden. Nicht dass ich hier groß rumprotzen will. Ins Gegenteil: Das würde ein Verstoß gegen meine anerzogene vorbildliche Bescheidenheit sein. Aber die reine Wahrheit ist, dass Emils Adlerblick so leicht nichts entgeht. Darum stach mir sofort die Hühnerleiter ins Auge, die vom Fußboden zu einer Art von Dachboden führte. Als Berufsbauer stellte sich mir direkt die Frage: Was sollen denn Hühner mit einer ungefähr acht Meter langen Leiter anfangen? Da klettert doch keine Sau …. kein Huhn rauf. Hühner sind Hühner und keine Klettermäuse. Da ist was faul, sagte ich mir. Das riecht muffig. Das stinkt nach Keller. Natürlich hat der Mörder die Leiche die Hühnerleiter raufgetragen und dann oben im Heu versteckt. Die Polizei kann man vielleicht auf die Weise in die Irre führen. Aber Emil nicht. Wer Emil verar … betrügen will, muss früher aufstehen. Naja, früh? Jedenfalls früher als er.

Mutig und verwegen erklomm ich die Hühnerleiter und –krach! – zerbrach sie unter mir und ich klatschte wie eine überreife Gurke auf den Zementfußboden der Scheune. Frustriert und erniedrigt, wie ich war, zertrampelte ich die Reste des Mistdinges, bis nur noch Sägespäne von ihm übrig waren. Dieser Wutausbruch tat mir wohl, denn ich konnte danach wieder rational denken. Der Mörder kann die Leiche schon deshalb nicht die Hühnerleiter raufgetragen haben, weil er und Opfer zusammen – im Unterschied zum Spittel Emil – mehr als 15 Kilo gewogen haben müssten. Die Leiter wäre also schon unter ihnen eingeknickt und nicht erst unter dem Leichtgewicht Emil. Auch die Theorie, die Leiche könne allein die Leiter raufgeklettert sein, verwarf ich, denn sie hätte, um die Leiter nicht überzubelasten, nicht mehr als ein normal ernährtes, erwachsenes Durchschnittshuhn wiegen dürfen. „Aber ist denn menschenmöglich was nicht einmal ein Huhn vermag?“ fragte ich mir.

Da traf mir die Erleuchtung wie ein Blitz! „Ich hab’s!“ grölte es mir aus dem Hals. Der Mörder hat natürlich eine richtige Leiter benutzt. Bloß: es gab in der Scheune keine Leiter. Kann der Mörder eine eigne Leiter mitgebracht haben? Nein, so krumme Verhaltensweisen fallen auf. Da gab es nur noch eine Möglichkeit: Der Kerl hat die Leiche von unten her auf den Dachboden gefeuert. Die Hühnerleiter war bloß Tarnung, um die Polizei glauben zu machen, es gebe auf dem Dachboden gar keine Leiche. Ha, da hat der Täter aber nicht mit Emil gerechnet!
Kann man denn eine menschliche Leiche acht Meter hochwerfen? Klar! Kann man … wahrscheinlich. Wenn man den Bogen raus hat. Es handelte sich folglich um einen wohl geübten Berufsmörder! „Den muss ich festnehmen, ehe er Schaden anrichtet und vielleicht sogar noch Emil ausschlachtet“, dachte ich laut.

Mir war jetzt klar: Die Lösung des Rätsels befand sich auf dem Dachboden. Da musste ich rauf; egal wie.

Aber wie?!

Die Rettung war näher als ich es hätte für möglich halten können. Was baumelte nümlich da an der Scheunenwand an einem Haken? Ein langes Tau mit Enterhaken! Das war also das Geheimnis! Ebenso fröhlich wie verwegen warf ich das Tau, an deren Ende sich der Enterhaken befand, zum Dachboden rauf. Schon der zwanzigste Versuch glückte mir und ich fing an zu klettern. Aber wem das Pech im Nacken sitzt, der strampelt sich stets vergeblich ab. Als ich ungefähr die halbe Strecke hinter mich gebracht hatte, krachte der Dachboden über mir zusammen. „Wat’n gammeligen Schiet!“ dachte ich noch, als ich begraben unter den Trümmern lag. „Bald bratzt mi wull ook noch dat Dack op’n Dassel.“

Es kostete viel Mühe, mir aus die Trümmern raus zu arbeiten. Als ich dann aber den elendigen Trümmerhaufen sah, ergriff mir eine Wut, wie ich sie meinen Lebtag nicht erlebt hab. Ich riss eine Axt aus dem Hauklotz, in den sie versenkt worden war und schlug in blinder Raserei auf den ehemaligen Dachboden ein. Dann muss ich die Nerven völlig verloren haben. „Aha!“ brüllte ich. „Da ist die Leiche auch nicht!! Dann ist sie eben in die Wand!!“ Wütend wie ein Stier ging ich mit meiner Axt auf die Scheunenwände los. Schlag auf Schlag – so ließ ich meine Wut an ihnen aus. Was dabei herauskam, ist leicht zu erraten. Die ganze Scheune brach in sich zusammen.

Ich weiß heute nicht mehr, wie lange ich unter die Trümmern begraben lag. Ich erinnere bloß noch, dass ich irgendwann die entsetzte Stimme meines Bruders hörte. „Um Himmels Willen! Was ist denn hier los? Das sieht ja aus wie Pompei! Emil!! Du Rindvieh!! Wo bist du?!!“
„Unter die Trümmern. Ihr müsst mir ausgraben.“
Mein Bruder war mir überhaupt nicht dankbar dafür, dass ich ihm die Arbeit abgenommen hatte.


Autor: EmilWachkopp

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