„Marken haben wir wohl, aber es fehlt die Butter!“
„Marken haben wir wohl, aber es fehlt die Butter!“
Erinnerung an die Weihnachtszeit vor 100 Jahren
Hatte man mit dem Weihnachtsfest 1914 die Hoffnung genährt, dass der Krieg wie versprochen zu Ende gehen sollte, so sollte es aber auf jeden Fall im Jahre 1915 werden. Es blieb ein Wunschdenken. Das für den Kriegsalltag in Sachsen verantwortliche XII. Armeekorps bot nun oft propagandistische Hilfe. Flugblätter, vorgegebene Nachrichten und die Bitte an die Kirchenleitungen, in die wöchentlichen Kriegsbetstunden mit festgelegten Themen zu gehen.
Unter der Überschrift „Kriegsweihnachten, ein Friedensfest in der Kriegszeit“ formulierte Radebergs Stadtpfarrer Fuchs: „Ihr Väter draußen fühlt euch mit starken Seilen an die Heimat gebunden auch durch eure Kinder. Für sie kämpfet, entbehret und leidet ihr gern!“ Dieser massiven Gefühlsvorgabe konnte sich praktisch niemand entziehen. Ein eigenartiges Gefühl beherrschte den Festalltag. Friedensfest zu Kriegsweihnachten, ein Widerspruch an sich. Mit dem Gesang von Kirchenliedern aus alter Zeit wurde zumindest während der Gottesdienste eine weihnachtliche Stimmung erreicht.
Nach dem Gottesdienst war dann zu Hause nicht mehr viel davon übrig. Der Satz „Marken haben wir wohl, aber es fehlt die Butter“ zeigt die Spitze des kriegsbedingten Mangels an Lebens- und Nahrungsmitteln in der Heimat. Im Radeberger Land fehlte mehr als 40% der kontingentierten und bewirtschafteten Butter.
Am 8. Dezember der größte vorweihnachtliche Schock in Sachsen. Das XII. Armeekorps verbot das Stollenbacken. Der weit verbreitete Bericht, dass auch Sachsens König Friedrich August III. auf den traditionellen Stollen verzichtete, war vielen kein Trost. Nun war Erfindungsgeist gefragt. In vielen Haushalten wurde der Stollen als „Bäbe“ gebacken. Schon deswegen erfolgte am 18. Dezember eine weitere Verfügung zum Kuchenbacken. Unter der Maßgabe der Streckung von Eiern, Speisefett, Zucker, Milch und Sahne wurden die noch vorhandenen Grundnahrungsmittel weiter rationiert. Elf Bauern der Region wurden in einem ersten großen Milchpanscherprozess zu teilweise hohen Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt. Nur die Spitze des Eisbergs, denn auch mehr als 460 Vergehen wegen Preiswuchers wurden im Dezember aktenkundig.
Die Tradition sollte dennoch aufrecht gehalten werden. Und so wurde die Verteilung der Brotkarten vom 27. bzw. 28. Dezember auf den 22. vorgezogen, als kleines Trostpflaster. Und es gab für alle Kriegerfamilien 250 Gramm Speck extra für 1.65 Mark. Kriegerfamilien und Arme konnten erstmals in der Geschichte der Weihnachtsbaumtradition eine solche Fichte oder Kiefer kostenlos erhalten. Der Handel blieb auf den Bäumen sitzen. Allein in Radeberg mussten nach dem Weihnachtsfest zwei Waggons geschlagener Bäume aus Schlesien entsorgt werden. Vielen war der Verkaufspreis ab 4 Mark zu teuer, andere argumentierten „ohne den Vater ist es kein echtes Fest“.
Enorm waren die Anstrengungen Mittel zur Weihnachtsbetreuung zu bekommen.
Seit Mitte November wurden etwa vierzig Wohltätigkeitskonzerte oder Liedernachmittage veranstaltet. Der Erlös der Veranstaltungen ging an die örtliche Kriegerhilfe, an die Aktion „Weihnachtskiste“ für evangelische Kirchgemeinden in der Diaspora oder der neu gebildeten Organisation „Heimatdank“. In Seifersdorf gab es darüber hinaus eine Hauslistensammlung mit dem Ergebnis von 201.25 Mark oder in Wallroda eine Gemeindeaktion „Winterspende Rotes Kreuz“ mit 192.80 Mark Spendenergebnis. Die Mildtätigkeit war der große öffentliche Halt in schwerer Zeit.
So wurde die traditionelle Form des Aufsuchens der „Herberge der Heimat“ in Radebergs Stolpener Straße ebenso gepflegt wie die Weihnachtsfeier im städtischen Krankenhaus. Am 24. Dezember waren hier Radebergs Stadträte gemeinsam mit Vertretern der Kirche unterwegs. Die Kinderbewahranstalt hatte am 25. Dezember ihre Christbescherung. Dazu waren Spielsachen gespendet worden. Erstmals gab es umfangreiche Weihnachtsfeiern in den Lazaretten und völlig neu, Weihnachtsabende für Kriegsgefangene. Letztere natürlich ohne Geschenke, jedoch mittels Erbauung durch Gesang und Wort. Da es zuvor am 22. Dezember an Annäherungsverbot zu den Kriegsgefangenen gab, waren diese Feiern meist die Sache der Kirche oder der Fabrikanten bzw. der für den Arbeitseinsatz Verantwortlichen. Frauen durften daran grundsätzlich nicht teilnehmen.
Bleibt zuletzt die Frage nach den Geschenken. Es waren vor allem Gebrauchsgegenstände, dazu Textilien und Schuhe. Ein durchgängiges Weihnachtsangebot gab es zwar, doch setzte das weit verbreitete geringe Einkommen in den Familien deutliche Grenzen. War der Vater im Krieg, erhielt er seinen Sold an der Front. Ein Senden an die Familie war ausgeschlossen. Ganz im Sinne der vaterländischen Erziehung das von der Ehefrau des kaiserlichen Thronfolgers publizierte Kinderbuch. Unter dem Werbeslogan: Das Kriegskinderbuch „Vater ist im Krieg“, wurde für 1.20 Mark als stark bebildertes Buch angeboten. 25 Pfennig davon gingen in den Reichskriegskinderfonds. Der traditionelle Radeberger Weihnachtsmarkt hatte drei Buden mit Christbaumschmuck, sonst nichts, außer den Verkaufsständen in den Geschäften. Eine Schnee- und Eisglätte sorgte für zusätzliche Erschwernisse. Es war der trostloseste Weihnachtsmarkt seit Menschengedenken, schrieb man damals.
haweger
Erinnerung an die Weihnachtszeit vor 100 Jahren
Hatte man mit dem Weihnachtsfest 1914 die Hoffnung genährt, dass der Krieg wie versprochen zu Ende gehen sollte, so sollte es aber auf jeden Fall im Jahre 1915 werden. Es blieb ein Wunschdenken. Das für den Kriegsalltag in Sachsen verantwortliche XII. Armeekorps bot nun oft propagandistische Hilfe. Flugblätter, vorgegebene Nachrichten und die Bitte an die Kirchenleitungen, in die wöchentlichen Kriegsbetstunden mit festgelegten Themen zu gehen.
Unter der Überschrift „Kriegsweihnachten, ein Friedensfest in der Kriegszeit“ formulierte Radebergs Stadtpfarrer Fuchs: „Ihr Väter draußen fühlt euch mit starken Seilen an die Heimat gebunden auch durch eure Kinder. Für sie kämpfet, entbehret und leidet ihr gern!“ Dieser massiven Gefühlsvorgabe konnte sich praktisch niemand entziehen. Ein eigenartiges Gefühl beherrschte den Festalltag. Friedensfest zu Kriegsweihnachten, ein Widerspruch an sich. Mit dem Gesang von Kirchenliedern aus alter Zeit wurde zumindest während der Gottesdienste eine weihnachtliche Stimmung erreicht.
Nach dem Gottesdienst war dann zu Hause nicht mehr viel davon übrig. Der Satz „Marken haben wir wohl, aber es fehlt die Butter“ zeigt die Spitze des kriegsbedingten Mangels an Lebens- und Nahrungsmitteln in der Heimat. Im Radeberger Land fehlte mehr als 40% der kontingentierten und bewirtschafteten Butter.
Am 8. Dezember der größte vorweihnachtliche Schock in Sachsen. Das XII. Armeekorps verbot das Stollenbacken. Der weit verbreitete Bericht, dass auch Sachsens König Friedrich August III. auf den traditionellen Stollen verzichtete, war vielen kein Trost. Nun war Erfindungsgeist gefragt. In vielen Haushalten wurde der Stollen als „Bäbe“ gebacken. Schon deswegen erfolgte am 18. Dezember eine weitere Verfügung zum Kuchenbacken. Unter der Maßgabe der Streckung von Eiern, Speisefett, Zucker, Milch und Sahne wurden die noch vorhandenen Grundnahrungsmittel weiter rationiert. Elf Bauern der Region wurden in einem ersten großen Milchpanscherprozess zu teilweise hohen Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt. Nur die Spitze des Eisbergs, denn auch mehr als 460 Vergehen wegen Preiswuchers wurden im Dezember aktenkundig.
Die Tradition sollte dennoch aufrecht gehalten werden. Und so wurde die Verteilung der Brotkarten vom 27. bzw. 28. Dezember auf den 22. vorgezogen, als kleines Trostpflaster. Und es gab für alle Kriegerfamilien 250 Gramm Speck extra für 1.65 Mark. Kriegerfamilien und Arme konnten erstmals in der Geschichte der Weihnachtsbaumtradition eine solche Fichte oder Kiefer kostenlos erhalten. Der Handel blieb auf den Bäumen sitzen. Allein in Radeberg mussten nach dem Weihnachtsfest zwei Waggons geschlagener Bäume aus Schlesien entsorgt werden. Vielen war der Verkaufspreis ab 4 Mark zu teuer, andere argumentierten „ohne den Vater ist es kein echtes Fest“.
Enorm waren die Anstrengungen Mittel zur Weihnachtsbetreuung zu bekommen.
Seit Mitte November wurden etwa vierzig Wohltätigkeitskonzerte oder Liedernachmittage veranstaltet. Der Erlös der Veranstaltungen ging an die örtliche Kriegerhilfe, an die Aktion „Weihnachtskiste“ für evangelische Kirchgemeinden in der Diaspora oder der neu gebildeten Organisation „Heimatdank“. In Seifersdorf gab es darüber hinaus eine Hauslistensammlung mit dem Ergebnis von 201.25 Mark oder in Wallroda eine Gemeindeaktion „Winterspende Rotes Kreuz“ mit 192.80 Mark Spendenergebnis. Die Mildtätigkeit war der große öffentliche Halt in schwerer Zeit.
So wurde die traditionelle Form des Aufsuchens der „Herberge der Heimat“ in Radebergs Stolpener Straße ebenso gepflegt wie die Weihnachtsfeier im städtischen Krankenhaus. Am 24. Dezember waren hier Radebergs Stadträte gemeinsam mit Vertretern der Kirche unterwegs. Die Kinderbewahranstalt hatte am 25. Dezember ihre Christbescherung. Dazu waren Spielsachen gespendet worden. Erstmals gab es umfangreiche Weihnachtsfeiern in den Lazaretten und völlig neu, Weihnachtsabende für Kriegsgefangene. Letztere natürlich ohne Geschenke, jedoch mittels Erbauung durch Gesang und Wort. Da es zuvor am 22. Dezember an Annäherungsverbot zu den Kriegsgefangenen gab, waren diese Feiern meist die Sache der Kirche oder der Fabrikanten bzw. der für den Arbeitseinsatz Verantwortlichen. Frauen durften daran grundsätzlich nicht teilnehmen.
Bleibt zuletzt die Frage nach den Geschenken. Es waren vor allem Gebrauchsgegenstände, dazu Textilien und Schuhe. Ein durchgängiges Weihnachtsangebot gab es zwar, doch setzte das weit verbreitete geringe Einkommen in den Familien deutliche Grenzen. War der Vater im Krieg, erhielt er seinen Sold an der Front. Ein Senden an die Familie war ausgeschlossen. Ganz im Sinne der vaterländischen Erziehung das von der Ehefrau des kaiserlichen Thronfolgers publizierte Kinderbuch. Unter dem Werbeslogan: Das Kriegskinderbuch „Vater ist im Krieg“, wurde für 1.20 Mark als stark bebildertes Buch angeboten. 25 Pfennig davon gingen in den Reichskriegskinderfonds. Der traditionelle Radeberger Weihnachtsmarkt hatte drei Buden mit Christbaumschmuck, sonst nichts, außer den Verkaufsständen in den Geschäften. Eine Schnee- und Eisglätte sorgte für zusätzliche Erschwernisse. Es war der trostloseste Weihnachtsmarkt seit Menschengedenken, schrieb man damals.
haweger
Kommentare (0)