Tirol 2

Ein Schleier liegt über dem Tal. Tief hängen die Wolken. Eng wirkt die Welt und bedrückend. Es ist noch nicht hell geworden, zu hoch sind die Berge rundum. Noch ist der Tag nicht erwacht.
Die vier Menschen, die sich auf schmalen Pfaden bewegen, haben dafür fast keinen Blick. Jede Faser ihrer Konzentration richtet sich auf den Weg, auf die Steigung. Kaum ein Wort fällt. Ab und zu eine Hand, die sich dem reicht, der einen kleinen Halt benötigt.
Die Zeit eilt. Einzelne Vogelstimmen durchdringen den erwachenden Morgen und geben dem Grau ein wenig Helle. Dies spiegelt sich auch gleich auf den Gesichtern der Steigenden. Suchende Blicke schweifen nun ab und zu in Richtung der Lieder, die die Natur ihnen bietet.
Die erste Etappe ist geschafft.
„Wir halten hier an und trinken etwas!“ Jupp, der Führer hebt die Hand, denn sie sind an einer kleinen Quelle angelangt.
Abwechselnd trinken die Wanderer. Eiskalt und sprudelnd springt das Wasser in die aufgehaltenen Hände und schlürfend wird es voller Genuss getrunken.
„Da verzichte ich doch auf jede andere Gesellschaft, auf Sekt und Buffet!“ Der Musiker lacht die junge Frau an. Sie schüttelt den Pferdeschwanz und lacht zurück.
„Das ist mir noch nie wichtig gewesen, das weißt du. Mir ist am wohlsten, wenn ich mich draußen bewegen kann.“
„Kommt weiter, wir haben noch ein Stück vor uns.“ Auch Achim hat getrunken und will voran.
Der Weg wird schmaler, teilweise kaum erkennbar. Würzige Luft umgibt sie und macht das Atmen immer wieder zum Erlebnis.
Und dann…plötzlich wird es hell, die Sonne ist über die Wolkendecke gestiegen, taucht alles in ein strahlend funkelndes Märchenlicht, denn Stein, Baum und Pflanzen am Boden hängen noch voller kleinster und größerer Tropfen, die sich nun glitzernd den Augen darbieten.
Alle verharren in stiller Andacht, so intensiv ist immer wieder das Erleben hier oben in den Tiroler Bergen. Atemberaubende Fernsicht und zu Füßen nur die Ahnung des Tals, noch begraben unter den Wolkenbergen, die sich wabernd weiter schieben und in ihrem langsamen Farbwechsel und der Verflüchtigung an den Ränder auf einen Durchbruch der Sonne hoffen lassen.
Wie nötig für die Bewohner dort unten, die schon seit Tage besseres Wetter ersehnen.
Die kleine Gruppe genießt wie so oft schon ihre Gemeinsamkeit, die Anstrengung. Das Ziel ist nur eine Wegmarke, der Aufstieg ist das, was das Blut, den Körper, jede Faser des Gefühls in Wallung bringt.
Es werden Glücksgefühle freigesetzt, die eine absolute innere Zufriedenheit vermitteln.



Die Übernachtung in der Hütte, Gesang und deftiges Essen, der Abstieg... all das ist nur begleitend, die Momente der Überwindung von Schwierigkeiten, der Zusammenhalt, das Erleben, das sind die Momente, die ich tief im Herzen trage




FvB 1977

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