Stimmen am Abend
Ein langer Tag im Garten. Ich bin ganz schön abgeschlafft, bin doch scheinbar nichts Gutes mehr gewohnt. Aber »wat mutt, dat mutt«, sagt man bei uns ja so treffend. Ich krabbele unter die Dusche, lasse den ganzen Arbeitsstress von mir herunterspülen und setze mich dann wohlig ermüdet auf die Terrasse, um den wunderschönen Abend zu genießen. Meine Herzallerliebste hat sich in das Innere des Hauses verzogen, um noch einige Mails zu schreiben.
So versuche ich den Tag noch einmal Revue passieren zu lassen. Am Nachmittag haben wir im Gartenmarkt noch einige Pflanzen besorgt, die morgen dann eingesetzt werden sollen. Okay, ich versuche mir díe Standorte vorzustellen, die dafür geplant sind. Nicke mir dann bestätigend selber zu, ich denke, alles wird schon wunderbar aussehen, wie geplant.
Plötzlich höre ich ein kaum vernehmbares Flüstern! Nanu? Wer treibt sich denn da am Abend in unserem Garten herum? Mein scharfer Rundblick kann keinen Fremden erkennen. Dann, wie aus dem Nichts heraus ist das Flüstern wieder da!
»Was glaubt ihr, wie wird es weitergehen? Kriegen wir alle einen schönen Platz?«
»Mach dir bloß keine Gedanken, die werden uns sicher nicht zum Spaß geholt haben!«
Jetzt erkenne ich, wer da ganz leise in der Dunkelheit spricht! Ich bin vor Überraschung geschockt. Es sind die sechs großen ›Lavendelbüsche‹, die in der großen, mit Wasser gefüllten Wanne neben mir stehen, um gut gewässert morgen gepflanzt zu werden. Ich bin bass erstaunt, ich weiß nicht, ob ich so etwas schon einmal gehört habe - ich glaube es einfach nicht!
Bevor ich selbst nun etwas sagen könnte, höre ich schon die dunkle Stimme des ›Sommerfliederstrauchs‹, der ebenfalls neben dem Lavendel auf sein Einpflanzen wartet.
»Nun hört endlich auf mit eurem Gefasel! Wir alle haben in unserer Schule nichts Nachteiliges über die Menschen gehört, die uns mitnahmen. Das sind alles vernünftige Leute, die die Natur zu schätzen wissen, sie sind ja selbst ein Teil davon!«
»Ja, hört euch nun mal den an!« Das große rote Pampasgras klingt recht zornig.
»Du glaubst aber auch alles, was man dir erzählt, ja? Hast du schon einen gesprochen, der zurückgekommen ist? Nicht einer, sage ich euch, nicht ein einziger! «
»Ich vertraue den Menschen, sie werden es schon richtig machen. Der Flieder hat Recht, sie wissen, dass wir Pflanzen wichtig sind und deshalb kann da nichts schiefgehen!« Ein Lavendelstrauch nickt bestätigend mit seinen Köpfchen.
Das Pampasgras winkt ab. »Ihr habt euch ganz schön einwickeln lassen, stelle ich fest. Habt ihr denn keinen Verstand? Diese Menschen tun nichts für uns, alles soll nur immer ihnen selbst zugutekommen. Und wenn sie uns nicht mehr brauchen – dann ab auf den Müll.
So sieht es doch aus: Das Nirwana wartet immer auf uns!«
»Ich habe Angst!« Die kleine schwarz-gelbe Kokardenblume flüstert still vor sich hin. »Ich möchte noch so richtig aufblühen, darauf freue ich mich schon so lange!«
»Das wirst du auch. Lass dich nicht unterkriegen; du wirst sehen, es wird alles gut werden!«
Das Pampasgras grinst den Sommerflieder, der das Blümchen getröstet hat, höhnisch an: »Ich weiß, was ich weiß. Und das ist bestimmt nicht schön. Ganze Wälder werden einfach getötet, vernichtet, um Kulturland zu schaffen, wie sie sagen. Und was schaffen sie? Endlose eintönige Weiten fast ohne Leben! Kultur! Das ich nicht lache - Kultur.«
»Ja«, sagte der Lavendel, »davon erzählte man sich auch in unserer Schule. Aber hier bei uns ist das doch anders. So etwas gibt es hier nicht.«
»Ach nein?« Die Hortensie, die sich bisher aus der Unterhaltung herausgehalten hatte, konnte nicht mehr ruhig sein. »Ich hörte von einem Arbeiter an unserer Schule, dass es in unserem Land kilometerlange Maisfelder gibt, die nur zur »Energiegewinnung« dienen. Kann man sich das vorstellen?«
»Jawohl, so ist es. Sicher - wir werden in einem Garten stehen und vielleicht auch geschützt leben können. Aber was ist mit den anderen da draussen? Nee, nee, ich sage es euch: Der Mensch ist es nicht wert, dass man ihm vertrauen kann!«
Das Pampasgras macht sich nun lang und geht zur Ruhe, alle anderen Pflanzen schwiegen nun ebenfalls.
Meine Partnerin steht plötzlich vor mir und fragt: Hast du geschlafen? Komm, das Abendessen ist fertig ...
©2020 by H.C.G.Lux
Kommentare (6)
"Ach du lieber Syrdal" - du hast es verstanden und mich richtig herzhaft lachen lassen!
Dank sei Dir dafür gesagt.
Und was den Hlg. Franz betrifft: Ich habe nicht vor, in einen Konkurrenzstreit zu treten 😊
(Nächstes Mal träume ich von Rasern, die rücksichtslos durch die Straßen brettern und denen dabei das Leben ihrer Mitmenschen völlig egal ist!)
Auch auf einem Balkon lässt sich wunderbar träumen ...
meint mit nachdenklichen Grüßen
Horst
Wenn auch am Ende der so hübschen „erlauschten“ Erzählung einige durchaus wichtige Kritiken anklingen, darf mit Fug und Recht bewundert werden, dass der begabte Erzähler zu den überaus Glücklichen dieser Welt gehört. – Wer schon ist selbst in lebenserfahrenen Altersjahren derart feinfühlig und sensibel, dass er das feine Wispern der Pflanzen deutlich als menschliche Sprache wahrnehmen kann? Ähnliches wurde bisher nur von Franz von Assisi überliefert, der mit den Vögeln sprechen konnte...
Lieber Pan – zugegeben – um diese wunderbare Gabe beneidet dich trotz lieber Grüße zum bevorstehenden Wochenende aufrichtig
Syrdal
(...der sich heute Abend ganz still auf seinen naturnahen Balkon setzen wird, um die Stimmen der Bäume, Hecken, Gräser und Vögel verstehen zu lernen)
Schön, wenn Menschen noch der Natur zuhören können - sie würden dann öfter selbst schweigen, wenn sie nichts zu sagen hätten...
Hat mir sehr gefallen.
( H.C.G.Lux bist Du selbst?)