Schnapsdrosseln und aufgeblasene Nullen


Schnapsdrosseln und aufgeblasene Nullen
Ein Theaterstück wird 1891 zum Politikum
Der Jugendverein der Stadt Radeberg hatte für Sonntag, dem 24. Mai 1891 in den Gasthof „zum Roß“ eingeladen. Es sollte ein Ball für Theaterbesucher abgehalten werden, nachdem man am Freitag, dem 22. Mai, das Theaterstück „Die Compromittirten“, ein Lustspiel in drei Akten nach Julius Rosen, aufgeführt hatte. Das Theaterstück war noch in der Nacht zum Sonnabend zum Politikum geworden. In der Tradition der Zeit hatten zwei Gendarmen Obacht zu geben und Protokoll zu führen. Und sie hatten viel zu tun. Das Stück war zwar seit 1864 bekannt, wurde jedoch vom Jugendverein als Karikatur auf die herrschenden Zustände in Radeberg, Sachsen und dem Deutschen Reich inszeniert. In der eigentlichen Handlung kamen mit Gerichtsrat, Kaufmann, Privatmann und verschiedenen Beamten die damalige Schichtung des bürgerlichen Staates vor, jedoch war es ein Verwechslungsspiel mit einer Vielzahl typischer Lustspielelemente. Rosen benutzte in seinem Manuskript jedoch viele derbe Ausdrücke, „vom Esel abwärts“ wie ein Chronist schrieb.
Und so hatte die Jugend der Stadt viele Sprechszenen eingebaut, die mit Seitenhieben zunächst auf das meist junge Publikum aber auch in die Gesellschaft wirken sollte. Entscheidender Hintergrund war die Aufhebung des Sozialistengesetzes im Herbst 1890, jedoch war die in Radeberg ziemlich aktive Sozialdemokratie noch immer gesellschaftlich geschnitten.
Ein Satz wie „Leute, die sich aufdringlich wie ein Kackvogel oder eine Schnapsdrossel benehmen, betraut man mit öffentlichen Ämtern, hier werden sie zu aufgeblasenen Nullen“, spielte auf aktuelles Stadtgeschehen an. Man nutzte die Familiennamensgleichheit des Bürgermeisters Rumpelt mit einem Vorfall aus dem Jahre 1799, als damals ein gewisser Rumpelt, Insasse des Krankenhauses an der Hospitalbrücke, im Suff in die Röder gestürzt war und ertrank. Da ein rotes Bändchen oder ähnliches immer noch in der Öffentlichkeit zu tragen verboten war, trugen die Männer graue Schlapphüte von der Form, die man ohne weiteres als Kennzeichen sozialdemokratischer Gesinnung ansah.
Und man räsonierte in jedem Akt über den Esel, der als Synonym für sich blöd anstellen, langsam und trottelig agierend oder einfach störrisch sein galt. Fragend hier in den Szenen die Magd Amalie, die jedes Mal einen stadtbekannten Namen in die Runde warf. Das Volk jubelte, solch eine Kritik hatte man seit Jahren vermisst. Und trotz Anzeigen von Leuten, die nicht am Theaterabend teilgenommen hatten, es war ja eine Jugendveranstaltung(!), gab es einen zweiten Auftritt am 31. Mai. Es hatte wohl einen vorläufigen Gerichtsentscheid gegeben, demnach bestimmte Texte der Zensur verfielen. Diese kurzen Szenen wurden mit „Kunstlärm“ durch das Schlagen von Holz auf Blech überbrückt. Die danach entstehende akustische Pause nutzten Besucher, um den verbotenen Text aus dem Saal laut auszurufen. Die beiden anwesenden Gendarmen trauten sich jedoch nicht einzugreifen. Es gab auch danach kein Gerichtsverfahren wegen des Theaterstücks, aber jeder Jugendliche, der mitgewirkt hatte, wurde nach und nach auf die Polizeiwache bestellt und „wegen anderer Delikte“ in Haftung genommen. So war das kurze Aufbegehren nach wenigen Wochen nur noch Gesprächsstoff und verlor sich zunehmend im Alltag, trug aber hier und da zur Legendenbildung bei. So wurde der Kaufmann Alfred Boeck auch danach in seiner Amtsbezeichnung „Feinkosthändler“ hinter vorgehaltener Hand als „Frischfleischhändler“ bezeichnet, womit wohl die im Verborgenen existierende Prostitution gemeint war.

haweger

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