Mein Zorn und ich
Wir duzen uns, wir kennen uns schon ziemlich lange. Er kommt immer unverhofft; er weiß, dass er kein gerngesehener Gast ist. Wenn er wieder einmal bei mir auftaucht, muss ich herausfinden, wo und in welcher Gestalt er dieses Mal erschienen ist.
Liegt er noch frisch auf der Zunge, schlucke ich ihn rasch hinunter. Manchmal ist er aber schon so heiß, dass er bereits ein Loch in meinen Verstand gebohrt hat. Dann spucke ich ihn aus, ganz schnell, mit vielen bösen Worten.
Ist er bereits in mir, räkelt er sich gerne im Oberbauch herum und quetscht die Magenwände zusammen.
Jetzt kommt es auf die Form an. Ist er rund wie eine Billardkugel, lässt er sich ertragen. Ein paar Kanten gehen auch noch. Wenn er aber zackig ist wie ein Morgenstern, dann wird es gefährlich. Er kann mich innerlich schwer verletzen, er kann die Magenwände durchbohren oder sich einen Weg zum Herzen bahnen. Da darf er aber auf keinen Fall hin!
Wichtig ist auch, welche Farbe er hat. Ist er blau, dann geht ihm bald die Luft aus. Ist er rot, hat er die Schwäche eines Strohfeuers, das geht bald aus. Wenn er aber gelblich-grün ist, hat er meine Galle angezapft. Dagegen hilft nur noch eines: Den Zorn auf Papier zu bannen, mir alles von der Seele zu schreiben, haarklein !!!
Dann falte ich daraus ein Boot, setze meinen Zorn ganz oben darauf und wünsche ihm eine gute Reise …
Kommentare (12)
Fluchen kann ich gut und tue es auch oft, wenn ich alleine im Campo herumstreife. Am besten hilft mir Musik, die kann ich nur nicht mitten in der Nacht spielen, wenn diese immer wiederkehrenden Gedanken kommen. Ich werde diese morgen früh gleich aufschreiben, verbrennen und danach wandere ich mit meinem Hund und meiner Lieblingsmusik. Mal sehen wie dann der Tag wird. Ich bin positiv gestimmt .
Bruny
Richtig so!
Kannst aber auch ruhig mitten in der Nacht aufstehen und schreiben, warum bis zum Morgen warten?
Keine schlechte Idee. Könnte ich auch mal versuchen.
Aber ich kenne noch ein anderes Mittel:
Fluchen.
Psychologen haben haben nämlich herausgefunden, dass auch Fluchen hilft. Es lindert Wutanfälle, vor allem bei Schmerzen. Körperlich oder seelisch.
Ich habe dazu mal eine Geschichte geschrieben, in der ich schildere, was ich selbst erlebt habe.
Vielleicht stelle ich sie demnächst hier noch einmal ein.
Aber danke nochmals für diesen etwas anderen Tipp.
Andrea
Auch keine schlechte Idee.
Leider (?) kann ich überhaupt nicht fluchen.
"Verflixte Kiste" ist schon fast das Höchste der Gefühle.
In ganz schlimmen Fällen vielleicht noch ein herausgebelltes "shit".
Du könntest ein Thema dazu anlegen, deine Geschichte einbringen und zum Flüche-Sammeln auffordern, wie wäre das?
LG Renate
Das muss ich auch probieren. Es ist zwar kein Zorn den ich in mir trage aber eine Form von Niedergeschlagenheit die ich irgendwie nicht ablegen kann. Ich rede mir selbst ein, dass ich stark bin, alles ertragen, immer wieder von vorne beginnen kann. Das ist tagsüber, aber nachts wenn ich nicht schlafen kann, kommt die Niedergeschlagenheit und holt mich schmerzhaft ein.
Danke für den Tipp.
Bruny
Kenn ich, Bruny, wer nicht!
Schreiben erleichtert tatsächlich.
Aber mach's wie von APet empfohlen, verbrenn es hinterher.
Geruhsamen Schlaf wünscht dir
Renate
Du kannst das Schifflein auch dem Feuer übergeben
und die Asche dem Wind zuspielen...
Dann bist du sicher, dass es nicht zurück kommt.
Lieben Gruss, Agathe
Das, Via, werde ich auch ausprobieren. Mal schauen, ob es immer klappt oder ob ihn nicht vielleicht doch ab und an eine Welle wieder zurückbringt . Die Idee ist genial .
Herzlichen Gruß
Roxanna
Liebe Roxanna,
tatsächlich klappt es nicht immer, aber eine Weile kann ich ihn mir schon damit vom Hals halten
Grüße
Renate
Es ist ein probates Mittel, den Herz und Seele zernagenden Zorn in geschriebene Worte zu bannen und mit einem freundlichen Abschiedsgruß in die Weiten des unendlichen Meeres zu entlassen – auf Nimmerwiederkehr...
...das macht unendlich frei, weiß
Syrdal
Da hat Jeder wohl so sein "Rezept", denke ich...ich bin ein Mensch, der fast nichts in sich hinein frisst...dies war aber nicht immer so, das musste ich alles erst lernen und habe dann gemerkt, dass alles, was mich belastet einfach RAUS muss...nur mit Worten, nie mit anderen Mitteln und das hilft zumindest mir ungemein.
Früher habe ich vieles zu Papier gebracht aber nie abgeschickt, es half wirklich sehr... , denn Papier ist sehr geduldig und kann dann auch einfach weggeschmissen werden, was ich gemacht habe.
Eine Gefahr ist aber leider dabei..., man kann ja Worte nicht mehr zurücknehmen...was gesagt ist, bleibt meistens stecken und sich dann zusammenreißen... schwierig !
Kristine