Kleine und große Fische
Um zehn Uhr war ich mit meinem Agenten an seinem Messestand verabredet. Einen Termin mit einem Buchagenten auf der Frankfurter Buchmesse zu bekommen, das war wie ein Hauptgewinn im Lotto.
Gerade waren meine ersten Sachbücher veröffentlicht worden, nun hoffte ich vor allem auf den Einstieg in die Belletristik. Wir kleinen Fische wühlen uns durch alle Tiefen des Autorenlebens und freuen uns über die kleinste Aufmerksamkeit der Agenturen. Die Buchmesse liebt die Verlage, jedoch weniger die aufdringlichen Autoren, die auf der Suche nach „Möglichkeiten“ die Stände der Verlage bevölkern und Agenten und Verleger bis zur Verzweiflung belästigen.
Aber jetzt war ich hier, mit Herzklopfen und vielen Vorschlägen und Ideen. Geduldig wartete ich am Stand meines Buchagenten, als ein Mann mittleren Alters hinzukam, nervös auf die Uhr schaute, sich – ohne mich zu beachten oder zu grüßen - neben mich stellte und ein Manuskript aus seiner Aktentasche holte, in dem er aufmerksam blätterte. Der Fremde war schmalbrüstig, von ziemlich kleinem Wuchs, hatte lichtes Haar, eine von Falten gerunzelte Stirn; er schaute oft auf seine Uhr und trat von einem Fuß auf den anderen.
‚Aha!’ dachte ich. ‚Noch so ein armes Schwein wie ich, das man hierher bestellt hat und das jetzt ungeduldig wartet, um für sein erstes Manuskript einen Verlag zu finden. Wahrscheinlich hat er den gleichen Agenten wie ich, den berühmten Sowieso, der sich Unpünktlichkeit erlauben und uns kleine Fische hier wie den letzten Dreck warten lassen konnte.
Ich hatte Mitleid mit dem vermeintlichen Kollegen, wie er immer nervöser herumgockelte und die Ankunft des Agenten kaum erwarten konnte. Ich wollte ihn beruhigen und sagte: „So ist das mit den großen Agenturen! Uns kleine Lichter lassen sie warten! Wir müssen schon froh sein, wenn wir überhaupt einen Termin bekommen!“ Fast hätte ich ihm jovial auf die Schultern geklopft.
Der Mann schaute mich an, als würde ich von einem anderen Stern kommen. Seine Augen blinzelten hinter den dicken Brillengläsern Unverständnis. Seine Brauen zogen sich teils verwundert, teils empört zu noch mehr Stirnfalten nach oben. Er setzte zu einer Antwort an, sagte „Ich ...,“ aber dann zitterte sein Mund und er verschluckte die Worte.
‚Na, der ist aber ganz schön von sich eingenommen!’ dachte ich, wollte ihn aber weder beleidigen noch entmutigen und meinte vermittelnd: „Wahrscheinlich haben Sie ein vielversprechendes Manuskript anzubieten?! Jedenfalls wünsche ich Ihnen Erfolg und alles Gute!“
„Um zehn Uhr bin ich hier mit Sowieso verabredet! Jetzt ist es bereits fünf nach zehn!“ sagte er plötzlich in Englisch. Die Empörung in seinen Augen stieg zum Siedepunkt. Ich fand das ein bisschen kleinlich, ja sogar lächerlich, wollte aber höflich sein und sagte freundlich und kollegial: „Mein Termin ist auch um Zehn, aber wenn Sie es eilig haben, lasse ich sie gerne vor ...“ In Wirklichkeit wollte ich nur, dass dieser ungeduldige Wicht schnell wieder verschwindet und mein Agent dann mehr Zeit für mich und meine „Werke“ hat.
Als das Männlein gerade sagte: „Sie wissen wahrscheinlich nicht, wen Sie …“, kam unser Agent, dick und behäbig schnaufend, den Korridor entlang und zwängte sich durch die Publikumsmenge.
Ich ging ihm entgegen, streckte die Hand zum Gruß aus und – er schoss an mir vorbei, mit rotem Kopf und Schweißperlen auf der Stirn, ging direkt auf den kleinen Mann zu, öffnete weit beide Arme, als wolle er den Mann herzlich umschlingen und rief überschwänglich in Englisch: „Mister Kishon! Es ist mir ein Vergnügen! Bitte entschuldigen Sie, mein lieber Freund! Ich weiß, ich bin zu spät. Ich bin überaus unglücklich, dass Sie warten mussten!” Damit lenkte er Kishon in den Stand und bugsierte ihn auf einen Sessel.
Nach ein paar Minuten bemerkte mich unser Agent doch noch irgendwie, denn ich stand wie ein belämmerter Esel an der Ecke des Messestandes. Er blickte kurz zu mir herüber und rief erkennend: „Ahh, Sie sind es! Rufen Sie mich doch nach der Messe mal im Büro an, ich will sehen, ob ich etwas für Sie tun kann…“
*
Michael Kuss (Berlin)
Gerade waren meine ersten Sachbücher veröffentlicht worden, nun hoffte ich vor allem auf den Einstieg in die Belletristik. Wir kleinen Fische wühlen uns durch alle Tiefen des Autorenlebens und freuen uns über die kleinste Aufmerksamkeit der Agenturen. Die Buchmesse liebt die Verlage, jedoch weniger die aufdringlichen Autoren, die auf der Suche nach „Möglichkeiten“ die Stände der Verlage bevölkern und Agenten und Verleger bis zur Verzweiflung belästigen.
Aber jetzt war ich hier, mit Herzklopfen und vielen Vorschlägen und Ideen. Geduldig wartete ich am Stand meines Buchagenten, als ein Mann mittleren Alters hinzukam, nervös auf die Uhr schaute, sich – ohne mich zu beachten oder zu grüßen - neben mich stellte und ein Manuskript aus seiner Aktentasche holte, in dem er aufmerksam blätterte. Der Fremde war schmalbrüstig, von ziemlich kleinem Wuchs, hatte lichtes Haar, eine von Falten gerunzelte Stirn; er schaute oft auf seine Uhr und trat von einem Fuß auf den anderen.
‚Aha!’ dachte ich. ‚Noch so ein armes Schwein wie ich, das man hierher bestellt hat und das jetzt ungeduldig wartet, um für sein erstes Manuskript einen Verlag zu finden. Wahrscheinlich hat er den gleichen Agenten wie ich, den berühmten Sowieso, der sich Unpünktlichkeit erlauben und uns kleine Fische hier wie den letzten Dreck warten lassen konnte.
Ich hatte Mitleid mit dem vermeintlichen Kollegen, wie er immer nervöser herumgockelte und die Ankunft des Agenten kaum erwarten konnte. Ich wollte ihn beruhigen und sagte: „So ist das mit den großen Agenturen! Uns kleine Lichter lassen sie warten! Wir müssen schon froh sein, wenn wir überhaupt einen Termin bekommen!“ Fast hätte ich ihm jovial auf die Schultern geklopft.
Der Mann schaute mich an, als würde ich von einem anderen Stern kommen. Seine Augen blinzelten hinter den dicken Brillengläsern Unverständnis. Seine Brauen zogen sich teils verwundert, teils empört zu noch mehr Stirnfalten nach oben. Er setzte zu einer Antwort an, sagte „Ich ...,“ aber dann zitterte sein Mund und er verschluckte die Worte.
‚Na, der ist aber ganz schön von sich eingenommen!’ dachte ich, wollte ihn aber weder beleidigen noch entmutigen und meinte vermittelnd: „Wahrscheinlich haben Sie ein vielversprechendes Manuskript anzubieten?! Jedenfalls wünsche ich Ihnen Erfolg und alles Gute!“
„Um zehn Uhr bin ich hier mit Sowieso verabredet! Jetzt ist es bereits fünf nach zehn!“ sagte er plötzlich in Englisch. Die Empörung in seinen Augen stieg zum Siedepunkt. Ich fand das ein bisschen kleinlich, ja sogar lächerlich, wollte aber höflich sein und sagte freundlich und kollegial: „Mein Termin ist auch um Zehn, aber wenn Sie es eilig haben, lasse ich sie gerne vor ...“ In Wirklichkeit wollte ich nur, dass dieser ungeduldige Wicht schnell wieder verschwindet und mein Agent dann mehr Zeit für mich und meine „Werke“ hat.
Als das Männlein gerade sagte: „Sie wissen wahrscheinlich nicht, wen Sie …“, kam unser Agent, dick und behäbig schnaufend, den Korridor entlang und zwängte sich durch die Publikumsmenge.
Ich ging ihm entgegen, streckte die Hand zum Gruß aus und – er schoss an mir vorbei, mit rotem Kopf und Schweißperlen auf der Stirn, ging direkt auf den kleinen Mann zu, öffnete weit beide Arme, als wolle er den Mann herzlich umschlingen und rief überschwänglich in Englisch: „Mister Kishon! Es ist mir ein Vergnügen! Bitte entschuldigen Sie, mein lieber Freund! Ich weiß, ich bin zu spät. Ich bin überaus unglücklich, dass Sie warten mussten!” Damit lenkte er Kishon in den Stand und bugsierte ihn auf einen Sessel.
Nach ein paar Minuten bemerkte mich unser Agent doch noch irgendwie, denn ich stand wie ein belämmerter Esel an der Ecke des Messestandes. Er blickte kurz zu mir herüber und rief erkennend: „Ahh, Sie sind es! Rufen Sie mich doch nach der Messe mal im Büro an, ich will sehen, ob ich etwas für Sie tun kann…“
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Michael Kuss (Berlin)
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