Kein Zug, aber ein Döner!
Diese Kurzgeschichte wurde 2003 in der ZEIT-ONLINE veröffentlicht
Wir sind umgezogen und wohnen jetzt dicht am Bahnhof:
„Da kannst Du das Auto ja stehen lassen!“ meinte meine Frau sehr praktisch.
Beeindruckt davon begebe ich mich nach Konsultation des Fahrplans zum Bahnhof. Drinnen ist außer dem Automaten niemand. Drei Typen sitzen draußen auf der Treppe, zwei hocken im süßlichen Nebel von Selbstgedrehten, der dritte hat eine Plastiktüte neben sich.
„Aha“, denke ich, „ein Reisender!“
Erwartungsvoll setze ich mich im verräucherten Warteraum zum Automaten, überprüfe den Abfahrtsplan (einen Ankunftsplan gibt es gar nicht), die Last-Minute-Angebote (alle schon abgelaufen). Das Reisebüro (heißt jetzt „ReiseZentrum“: Bei uns haben Sie gute Karten!) hat zu. Ahmet, der den Kiosk (heißt jetzt „DB-Service_Store“) betreibt, lehnt in der Tür. Sonst tut sich nichts, es kommt auch kein Zug.
Ich gehe raus und frage den „Reisenden“. Die anderen beiden klären mich auf:
„Das ist die Bahnreform!“
Ich gehe wieder rein und probiere den Automaten. Nach zehn Minuten Knöpfedrücken stelle ich fest, dass jemand eine falsche Münze in den Schlitz gerammt hat. Nun hängt Ahmet ein Schild in die Ladentür:
ANGEBOT!!! Bei Zeigen von Fahrkarte aus Automat gibs ein Döner für halbes Preis!!
In die Typen auf der Treppe kommt Bewegung. Der „Reisende“ holt eine Zange aus seiner Plastiktüte und zieht die Münze aus dem Schlitz des Automaten, kauft eine Fahrkarte für den nächsten Ort, geht damit zu Ahmet und kommt mit einem Riesendöner wieder. Dann holen die beiden anderen sich ihre Döner. Ich begreife den Zusammenhang und flitze zum Automaten und dann in den Kiosk, bevor Ahmet das Schild an der Tür wieder wegnehmen kann. Dann setze ich mich auch auf die Treppe: Gemeinsames Essen verbindet!
Die Typen spendieren einen Joint, ich revanchiere mich mit einer Dose Bier. Hinter uns donnert der Zug vorbei, er hält gar nicht erst an.
„Warum wolltest Du denn nach Wiesbaden, Alter?“ fragt der eine. Ich überlege. Eigentlich ist der Grund jetzt hinfällig. Aber in Wiesbaden soll es im Bahnhof einen richtigen Schalter geben mit einem Mann dadrin, mit dem man sprechen kann! Da kauf ich mir dann einige Fahrkarten auf Vorrat, die sollen ganz billig sein für Frühbucher!
Der „Reisende“ murmelt durch seinen zerkauten Döner:
„Die mit den roten Krüsselhaaren, die morgens da ist, verkauft sie am billigsten!“
Ahmet hat nun doch ein anderes Schild an der Tür:
Greve – Streik!
Er lehnt immer noch in der Tür. Ich frage ihn:
„Warum gehst du nicht nach Haus?“
„Ich bin Streikposten!“ antwortet er.
Einige Dosen später verabschiede ich mich von meinen neuen Freunden und gehe heim, denn wir wohnen jetzt dicht am Bahnhof.
„Du bist aber schnell wieder da“, sagt meine Frau.
„Ja“, erwidere ich: „Das liegt an der Bahnreform!“
castellanos
Wir sind umgezogen und wohnen jetzt dicht am Bahnhof:
„Da kannst Du das Auto ja stehen lassen!“ meinte meine Frau sehr praktisch.
Beeindruckt davon begebe ich mich nach Konsultation des Fahrplans zum Bahnhof. Drinnen ist außer dem Automaten niemand. Drei Typen sitzen draußen auf der Treppe, zwei hocken im süßlichen Nebel von Selbstgedrehten, der dritte hat eine Plastiktüte neben sich.
„Aha“, denke ich, „ein Reisender!“
Erwartungsvoll setze ich mich im verräucherten Warteraum zum Automaten, überprüfe den Abfahrtsplan (einen Ankunftsplan gibt es gar nicht), die Last-Minute-Angebote (alle schon abgelaufen). Das Reisebüro (heißt jetzt „ReiseZentrum“: Bei uns haben Sie gute Karten!) hat zu. Ahmet, der den Kiosk (heißt jetzt „DB-Service_Store“) betreibt, lehnt in der Tür. Sonst tut sich nichts, es kommt auch kein Zug.
Ich gehe raus und frage den „Reisenden“. Die anderen beiden klären mich auf:
„Das ist die Bahnreform!“
Ich gehe wieder rein und probiere den Automaten. Nach zehn Minuten Knöpfedrücken stelle ich fest, dass jemand eine falsche Münze in den Schlitz gerammt hat. Nun hängt Ahmet ein Schild in die Ladentür:
ANGEBOT!!! Bei Zeigen von Fahrkarte aus Automat gibs ein Döner für halbes Preis!!
In die Typen auf der Treppe kommt Bewegung. Der „Reisende“ holt eine Zange aus seiner Plastiktüte und zieht die Münze aus dem Schlitz des Automaten, kauft eine Fahrkarte für den nächsten Ort, geht damit zu Ahmet und kommt mit einem Riesendöner wieder. Dann holen die beiden anderen sich ihre Döner. Ich begreife den Zusammenhang und flitze zum Automaten und dann in den Kiosk, bevor Ahmet das Schild an der Tür wieder wegnehmen kann. Dann setze ich mich auch auf die Treppe: Gemeinsames Essen verbindet!
Die Typen spendieren einen Joint, ich revanchiere mich mit einer Dose Bier. Hinter uns donnert der Zug vorbei, er hält gar nicht erst an.
„Warum wolltest Du denn nach Wiesbaden, Alter?“ fragt der eine. Ich überlege. Eigentlich ist der Grund jetzt hinfällig. Aber in Wiesbaden soll es im Bahnhof einen richtigen Schalter geben mit einem Mann dadrin, mit dem man sprechen kann! Da kauf ich mir dann einige Fahrkarten auf Vorrat, die sollen ganz billig sein für Frühbucher!
Der „Reisende“ murmelt durch seinen zerkauten Döner:
„Die mit den roten Krüsselhaaren, die morgens da ist, verkauft sie am billigsten!“
Ahmet hat nun doch ein anderes Schild an der Tür:
Greve – Streik!
Er lehnt immer noch in der Tür. Ich frage ihn:
„Warum gehst du nicht nach Haus?“
„Ich bin Streikposten!“ antwortet er.
Einige Dosen später verabschiede ich mich von meinen neuen Freunden und gehe heim, denn wir wohnen jetzt dicht am Bahnhof.
„Du bist aber schnell wieder da“, sagt meine Frau.
„Ja“, erwidere ich: „Das liegt an der Bahnreform!“
castellanos
Kommentare (2)
Traute
Danke, das Du es hier eingestellt hast. Es ist so gut geschrieben, dass man sich mitten in der Gruppe wähnt.
Realität.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute
Realität.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute
Aber Du hast schon recht, manchmal vergeht einem wirklich das Vergnügen auf den Sevice der Bundesbahn angewiesen zu sein.
Liebe Pfingstgrüße
das Moni-Finchen