Jugendliebe
Lebenslinie
Die Zeiten mit Adolfo haben tiefe Spuren in meinem Leben hinterlassen. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass es ihn für mich gegeben hat. Es ist eine nie endende Lovestory.
Ich erinnere mich noch ziemlich genau an den Abend, an dem ich Adolfo kennen lernte. Es war an einem Samstag im Januar 1968. Wir begegneten uns im Studentenclub, dem angesagtesten Club in Ostberlin. Gitarrenklänge und Lifemusik, das ist jetzt 40 Jahre her. „All you need is love“, sangen die Beatles, Blumenkinder träumten von flowerpower und ich vom großen Leben und der Liebe. Und ehe ich es begriff verliebte ich mich in Adolfo, den Koch. Was nicht ist kann ja noch werden dachte ich, schließlich war ich ja auch noch keine Studentin. Und überhaupt küsste er fantastisch. Wir trafen uns zum Tanzen, hörten Musik und er kochte für uns. Die Briefe von ihm habe ich alle aufgehoben. Den ersten erhielt ich im Mai und den letzten schrieb ich zwei Jahre später auch im Mai. Dazwischen schwebte ich im siebenten Himmel, lernte das ABC der Liebe und machte große Pläne für uns beide, Hotelfachschule für Adolfo und Ingenieurschule für Carla. Mindestens. Aber so weit sind wir ja noch nicht. Zuerst war Partytime. Und der erste gemeinsame Urlaub wurde geplant. In Prag reservierte Adolfo ein Hotelzimmer für uns. Ich war noch nie im Ausland und die goldene Stadt Prag lockte. Großartig dachte ich. Aber dann kam alles ganz anders. Ich durfte nicht fahren und meine Freundin Lina teilte das Hotelzimmer mit meinem Liebsten. Heute lachen wir darüber, aber damals war es schwer zu akzeptieren. Erst mit den Jahren wurde mir klar, warum besorgte Väter ihre Töchter beschützen wollen. Die Liebe kam trotzdem. Sie kam über mich wie ein warmer Sommerregen und hüllte mich ein. Ich verlor zeitweise den Sinn für die Realität, so berauscht war ich. In meinen Träumen bin ich immer wieder zu dieser Liebe zurückgekehrt. Sie hatte von mir Besitz ergriffen und zog in mein Unterbewusstsein. Und wenn sie sich zurückzog geschah es nur zeitweise, um plötzlich ungefragt
wiederzukehren. Blicken wir zurück zum Sommer 1968. Im Mai, kurz bevor Adolfo nach Prerow fuhr, haben wir uns das erste Mal geliebt. Aus dem Mädchen Carla wurde eine Frau. Ich schrieb in mein Tagebuch: „ich habe ihn gefunden, den Mann, den ich liebe“, und Adolfo konnte in einem Brief lesen, „Kein Mensch wird Dich vor meiner Liebe retten, wenn sie in Flammen auf Dich niederbricht“. Vier Monate waren wir getrennt. Dazwischen gab es ein paar verlängerte Wochenenden in Berlin. Das war der Sommer für uns. Anfang August erreichte mich ein Eilbrief aus Prerow, „Alles war nur ein Traum, Sonne, Strand, Glück und Carla. Vorbei. Es war aber ein schöner Traum. Was ist jetzt mit uns, wenn ich realistisch bin, so ist es wage. Dir wird dein Leben zu sehr aufgezwungen. Ich hatte immer meine Freiheit, damit lebe ich.“ Wenn ich diesen Brief heute lese, beschleicht mich wieder ein Gefühl der Ohnmacht. Mein Vater hatte meine Reise zu Adolfo verboten. Wie oft war ich nicht frei in meinen Entscheidungen. Damals habe ich mir geschworen, alles zu tun, um nie wieder abhängig zu sein. Die Freiheit ist ein süßer Vogel, der fliegt davon. Ich sitze im Käfig, den andere für mich bauten und habe mich in einer bürgerlichen Existenz eingerichtet. Nur manchmal breche ich aus, heimlich. Über alle diese Jahre habe ich meine Liebe nicht begraben. Sie hat nur geschlafen. Carla funktionierte und erfüllte ihre Pläne und die Erwartungen anderer. Sie hatte Herz und Verstand getrennt.
Adolfo kam an einem verlängerten Wochenende nach Berlin. Wir taten das, was wir in Prerow auch getan hätten. Ich gab alles und ich bekam alles im Überfluss. Am Montag war Abreise, jeden zweiten Tag hielt ich einen Liebesbrief in den Händen. „ Ich habe Dich verlassen. Ich gehe oft am Abend hinaus und schaue in den Himmel und sehe mir die Sterne an und frage mich, unter welchem Stern stehst Du? Ich möchte so gerne bei Dir sein. Oh Darling ich bin bald wieder bei Dir.“ In einem weiteren Brief lese ich, „ein Gedanke, Carla, meine Verlobte. Ach ich komme von Dir nicht mehr los. Jeder Gedanke bist Du. Was ist nur mit mir geschehen? Ich kann es nicht fassen. Die Zeit wird furchtbar werden ohne Dich. Ich mache mich fertig. Meine Nerven sind es schon. Keiner kann verstehen, dass wir verlobt sind. Ich sage ihnen, „meine Verlobte ist sehr sparsam und Hauptsache ist, wir beide wissen es, dass wir es sind..... ich liebe dich, Dein Adolfo.“ Das war im August 68, unsere erste Verlobung.
Im September begann ich zu studieren. Der Englischkurs an der Kammer der Technik lief weiter, genau wie meine Arbeit im VEB Messelektronik. Allerdings erledigte ich die Zeichenarbeiten nach dem Studium zuhause. Ich war ausgefüllt in jeder Hinsicht und wenn ich zurückdenke, waren diese beiden Jahre eine sorgenfreie, glückliche Zeit. Hatte ich Kummer, küsste Adolfo ihn einfach weg. Wir lagen auf der Wiese, ich schaute ihm tief in die Augen und sagte, „ Du gehörst mir und damit es immer so bleibt, verhexe ich dich jetzt“. Wir blickten uns in die Augen bis wir ineinander versanken und meine Seele als Pfand blieb. Wir trafen uns zweimal in der Woche, samstags und mittwochs. In einem Hinterhofzimmer im Prenzlauer Berg lag ich in seinen Armen und war wunschlos glücklich. Die Welt war draußen. Von Zärtlichkeit eingehüllt fühlte ich mich geborgen und dankte dem Schicksal, eine Frau zu sein. Das war einerseits, andererseits studierte ich eifrig in einer nicht ganz so femininen Disziplin und arbeitete daran, in einer Männerdomäne fuß zu fassen. Niemand hat mich dazu gedrängt. Es ist in mir gewachsen, wie viele Wünsche vorher. Immer wenn mir im Leben etwas nicht glückte, fand ich Zuflucht in Formeln und Zahlen. Hier fand ich mich zurecht und habe seltener Fehler gemacht. Ich liebte Adolfo und wollte ihn doch ändern. Ich hatte beschlossen, ihn zu qualifizieren und meldete ihn voller Eifer bei der Abendschule an. Von Geduld und Einfühlungsvermögen habe ich nicht so viel verstanden. Mir fehlte schlichtweg die Empathie. Die zukünftige Ingenieurin wünschte sich einen ebenbürtigen Partner. Und so hatte ich ein Abkommen mit mir geschlossen, er studiert im Hotelfach und ich bin dann die Frau an seiner Seite durch dick und dünn. Er wurde abgelehnt und ich blieb, aber der Würfel war gefallen. Das habe ich damals noch nicht gewusst. Wir schwebten weiter auf Wolke sieben. „Das ist Carla, meine Braut“, stellte mich Adolfo seinen Freunden vor. Ostern 69 fuhren wir mit dem Zug über Prag nach Budapest. Zwei Tage waren wir unterwegs. Wir konnten im Zug nicht schlafen und kamen todmüde bei unserer Zimmerwirtin an. Eine Erkältung plagte mich so stark, dass Frau Czasar fürchtete, wir bringen ihr die Hongkonggrippe mit. Eine Fahrt in den Frühling wurde es nicht, der kam erst nach Ostern. „Der Osterhase kam vorbeigehoppelt und hat dir etwas mitgebracht“, mit diesen Worten steckte mir Adolfo den Verlobungsring an den Finger. Er hatte ihn zuvor beim Juwelier anfertigen lassen. Ein Blumenmuster zierte den Ring. Er war wunderschön, aber ein beklemmendes Gefühl beschlich mich. Ich hatte Angst vor meinen Eltern, was würden sie dazu sagen? Auf dem Rückflug gab ich den Ring zurück, ich, Carla, der Feigling.
Anfang Mai packte Adolfo seine Sachen und fuhr nach Prerow. Eine neue Saison begann. Prerow das Paradies auf dem Darß zog wieder viele Urlauber an. Saisonarbeitskräfte wurden gebraucht. Sehnsuchtsbriefe wurden geschrieben, die alle jetzt gebündelt im Schrank liegen. Neulich habe ich in alten Bildern gekramt und einen Brief gefunden. Tränen standen mir in den Augen. Soviel Liebe für mich. Ich war überwältigt. Nach all der Zeit begriff ich endlich. Adolfo war die Liebe meines Lebens. Und meine Gedanken gingen zurück nach Prerow, zurück in das Sommersonnenparadies. Mendocino von Michal Holm klang überall aus der Musikbox, auch im Cafe Wien. Hier war ich für vier Wochen im Juli die Serviererin. Adolfo, der im Helgoland kellnerte, hatte mir diese Stelle besorgt. „Gut Mädel, morgen kannst du anfangen. Die Haare werden hochgesteckt und wenn du Sonnenbrand hast, wird trotzdem gearbeitet“, sagte der Wirt zu mir .Die ersten Abende waren ungewohnt anstrengend. Mir taten die Beine weh. Die Arbeit gefiel mir, schließlich lockte ein guter Verdienst. An unseren freien Tagen radelten wir zum Weststrand. Wie der Wind ging es durch den Darßer Urwald die Betonstraße entlang, immer auf der Flucht vor den Mücken. Es wimmelte nur so von den Blutsaugern. Lange Hosen und Jacken schützten uns. Menschenleer lag der Strand vor uns. Wir fanden sofort eine unbewohnte Sandburg, zogen uns aus und rannten in die glitzernden Wellen. „Sommer, Sonne, FKK“, ist auch ein Hit aus dieser Zeit. Zwei Nackedeifotos in Farbe, Carla wie Gott sie schuf, schenkte mir Adolfo nach 40 Jahren. Sprachlos hielt ich sie in den Händen. Wie ähnlich sehe ich meiner Tochter. Die langen blonden Haare und das Lachen, ob sie jemals so glücklich war, werde ich wohl nie erfahren. Ich war jung und endlich frei, meine Liebe hatte hier auf mich gewartet. Hier erlebte ich die glücklichste Zeit in meinem Leben. Als die Sonne im Meer unterging, verlobten wir uns am Strand und träumten den Traum vom ewigen Glück. Am Abend feierten wir im Helgoland. Ich tanzte in Adolfos Armen bis der Blumenstrauß in meiner Hand entblätterte. Seine Kollegen bildeten einen Kreis klatschten und beglückwünschten uns. Eine Ehe konnte ich mir noch nicht vorstellen. Sie lag in weiter Ferne. Zu diesem Zeitpunkt habe ich gehofft, alles wird gut. Ich sah alles vor mir, eine weiße Hochzeitskutsche und gemeinsame Kinder, so steht es in meinen Briefen. Ich habe geliebt und wollte unsere Liebe niemals wieder verlieren. Mein ganzer Körper schrie nach Zärtlichkeit. Hemmungslos kostete ich alles aus, weil ich Angst hatte, man würde es mir wieder wegnehmen. So wie ich das Glück herbeisehnte, ahnte ich das Ende und fürchtete es. Im Tagebuch ist es nachzulesen, „peinigen wir den letzten Blutstropfen und reißen uns die Seele aus dem Leib…“. Mein Verstand eilte voraus. Nach dem Studium würde ich zu einer anderen Schicht gehören und Adolfo zurücklassen. Ich war eine emanzipierte junge Frau, gefangen in bürgerlichen Rollenmustern, unfähig zu ihrer Liebe zu stehen. Dafür ging ich später durch die Hölle. Ich wurde schuldig. Es ist mir nicht gelungen dieses Glück zu vergessen. Die Zeit der ersten Liebe hatte tiefe Spuren hinterlassen. Als Verlobte kehrte ich zu meinen Eltern zurück. Ein Verlobungsgeschenk bekamen wir nicht von ihnen. An eine von Herzen kommende Gratulation kann ich mich nicht erinnern. An einen Satz meiner Mutter, wie sie mich missbilligend anschaute, als ich nackt vor dem Spiegel stand, schon: „Am ganzen Körper braun, wie du aussiehst, und gekellnert hast du auch, du weißt doch das Vater das verboten hat“. „Ich wollte mein eigenes Geld verdienen und nicht die Hand aufhalten“. Man akzeptierte. Nach den vier Wochen hielt ich den dreifachen Monatsverdienst einer Technischen Zeichnerin in den Händen.
Adolfos Saison ging bis Ende September. Er verbrachte seine freien Tage in Berlin, wo ich ihn voller Sehnsucht erwartete. Ich machte einfach auch frei. Silvia, meine Kommilitonin, schrieb in den Vorlesungen mit Durchschlag. So hatten wir einen ganzen Tag für uns. Spät am Abend fuhr ich nach hause. Dort schöpfte man keinen Verdacht. Anhand von Silvias Aufzeichnungen holte ich das Versäumte nach. Es muss mir leicht gefallen sein, meinen Abschluss machte ich zwei Jahre später mit dem Prädikat gut. Die Liebe hat mich nicht von meinem Ziel abgelenkt. Ich wollte alles und bekam alles. Anfangs ging Adolfo sonntags tanzen und wollte mich mitnehmen. Das Vergnügen fand ohne mich statt, ich lernte für mein Studium. Nur der Samstagabend war frei.
Es ist nicht ganz einfach in die Vergangenheit zurückzugehen und sich in ihr zurechtzufinden. Aber ich musste zurück. Zwei Gründe will ich dafür benennen. Ich hatte vor mehr als zwei Jahren meine Tochter verloren und war eine Suchende. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, ich dachte an meine Tochter und an ihren Vater, von dem ich seit einer Ewigkeit getrennt bin. In schlaflosen Nächten fand ich keine Antwort und landete schließlich bei einer Psychotherapeutin. Die ersten Sitzungen waren furchtbar. Sie fragte und ich ging mit ihr den Weg zurück. Das brachte mir ein Stück Selbsterkenntnis. Das ist der erste Grund. Im Januar rief mich Adolfo an, „Erinnerst du dich, vierzig Jahre ist es jetzt her. Das war eine große Liebe. Lass uns feiern“. Wir feierten im Februar. Der Frühling begann, ich hatte einen Saunaflirt, tanzte nach der Musik von Rosenstolz und sprach ein Mantra. Ich wollte die letzten Jahre hinter mir lassen. Adolfo reichte mir seine Hand und holte mich ab. Mein Lächeln kehrte zurück und meine Züge wurden weicher. Das ist der zweite Grund. Ich fand meine Mitte wieder, tanzte in das Leben zurück.
Ich wurde geliebt und vielleicht ist noch ein Funken von diesem Gefühl übrig geblieben. Und in meinen Träumen kehre ich immer noch zurück in den summer of love. Damals war alles so schön. Adolfo war ein Lebenskünstler und ist es wohl immer noch. Alles erschien mir leichter. Ich habe mich niemals wieder verlobt, ich wollte, dass es etwas Besonderes blieb. Ich trug endlich seinen Ring. Diesmal ganz legal. „Sie haben sich verlobt, Fräulein Carla, herzlichen Glückwunsch“, bemerkte unser Seminargruppenbetreuer zu Beginn des neuen Semesters. Aus dem Sommer zurück, konzentrierte ich mich voll auf mein Studium. „Mache doch mit dem Koch zusammen ein Cafe auf und höre auf zu studieren“, schlug mir mein Vater vor. Mit diesem Gedanken hatte ich nie gespielt. Ich wollte studieren und vor allem mein eigenes Ding machen. Vater war zufrieden. Ich blieb die brave Carla, die die Beine unter seinen Tisch hielt und tat, was man von ihr erwartete. „Nur eine Nacht, schenke mir nur eine Nacht, bleibe doch. Warum musst du jetzt gehen“, bettelte Adolfo. „Es geht nicht, ich muss nach hause“. Ich sprang aus dem Bett, zog mich an und wir rannten zum Bahnhof. Unter der Laterne vor dem Haus blieben wir stehen und küssten uns. Er zog mich aus dem Licht in die Dunkelheit und wir liebten uns. Unersättlich. Adolfo war ein sanfter Verführer.
Blütenlippen küssten meinen Mund. Traumzeit. Ich hatte immer noch die Hoffnung, er wird studieren. Jedenfalls besuchte er fleißig die Abendschule. Mitte November feierten wir seinen Geburtstag. Der Herbst zeigte sich noch einmal von seiner schönsten Seite und verabschiedete sich mit einem Hauch von Sommer. Ich trug mein Lieblingskleid aus grüner Seide. An diesen Tag kann ich mich gut erinnern. Gäste waren da. Unter ihnen sein Bruder Erich mit seiner Familie. Adolfo und ich gingen in die Küche und holten die vorbereiteten Speisen aus dem Kühlschrank. Alles war vortrefflich arrangiert. „Gelernt ist gelernt“, bewunderte ich ihn. Für dieses Kompliment gab es Küsse und die Nachspeise gleich vorne weg. „Was hast du mit meinen Stocklocken angestellt“? Die Haare zerzaust, die Wimperntusche im Gesicht verteilt, so schaute ich in den Spiegel. Adolfo lachte und ich ließ mich anstecken. Die Gäste wurden unruhig und wir gingen zurück ins Wohnzimmer. Ein harmonischer Abend könnte man denken, aber ich fand einen Wurm. Adolfos Familie war mir nicht gebildet genug. Mich störte die fehlerhafte Grammatik. „Du heiratest die Familie mit“, sprach meine Frau Mama und besagter Wurm setzte sich fest. Genährt hat ihn mein Studium. Ich erinnere mich an ein Gespräch der beiden Brüder über ihre Arbeit und den guten Verdienst den sie lachend vor mir ausbreiteten. Ich hatte den Eindruck sie lachen über mich. „Bildung ist mir wichtiger, was du weißt, kann dir keiner nehmen“ sprach die Studentin und ging etwas auf Distanz. Adolfo brachte siebzehntausend Mark mit aus Prerow, den Verdienst einer Saison. Damit war ich nicht zu beeindrucken. Das war damals so wie heute. Materielles zählte einfach nicht. Mit dieser idealistischen Haltung bin ich oft unverstanden geblieben. „Du Carla hast ja immer alles gehabt“, „ich bin auf Apfelsinenkisten groß geworden“ hörte ich später von einem Anderen.
Adolfo hatte die besten Absichten mir zu folgen. „ Ich will lernen, ich sehe mich schon vor Büchern, will alles begierig aufnehmen. Wäre ich doch schon dabei“. „Charakter ist die Stärke des Mannes“. „ Ich heirate Dich, wenn ich mein Ziel erreicht habe“. Worte, leere Worte nur. Und meine Liebe trug schwarz. Adolfo gehörte einer anderen Welt und ist auch in ihr geblieben.
Zurück zur Liebe. Noch waren alle Sterne am Himmel und der letzte Tanz noch nicht getanzt. Ich war jung und lebenshungrig. Wollte mit dem Wind laufen. „Heute Abend muss ich lernen, habe keine Zeit“, sprach´s und ging in den Studentenclub. Das klang wohl nicht überzeugend. Adolfo fuhr ebenfalls in den Club und fand eine tanzende Carla. Unsere Blicke trafen sich und fort war er. Was hatte ich angerichtet? Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Ich wollte doch nur spielen, meine Freiheit ausloten, einen Tanz, einen Flirt. Am Boden zerstört fuhr ich am nächsten Morgen mit dem Taxi bei Adolfo vor und legte ihm meine Liebe zu Füßen. Ich versprach es nie wieder zu tun. Warum hatte er mich mit Monika in Prerow betrogen und gönnte mir diesen keinen Abstecher nicht? Weil ein Jahr dazwischen lag, darum. Die 68er hatten frischen Wind in die Köpfe gebracht und meine Generation verändert. Ich war emanzipiert genug, um zu sagen, „Das Leben hat viele Fassetten, ich will mich nicht einengen, kein Glück versäumen“. „Dann heiraten wir lieber nicht“, war die Antwort. Es ist ja nicht so, dass ich keine Familie wollte. Natürlich war ich treu, aber einen Tanz in Ehren? Im Februar blieb meine Regel aus. Ich viel in Ohnmacht und drehte an allen Knöpfen. Das Studium, meine Eltern, was sollte nur werden? Adolfo schrieb mir später, „Doch eines will ich dir noch ins Gewissen reden. Ich erinnere mich an die Zeit im Frühjahr, wo du mir vorgaukeltest, dass du ein Kind erwartest. Da habe ich dich richtig kennen gelernt. Ich zweifelte sehr an Deiner Liebe“. Ja, ja, ja. Ich wollte doch beides, Karriere und Liebe. Ein Kind hätte meine Pläne durchkreuzt. Wie soll ein Mann das verstehen. Es war falscher Alarm. Erleichtert ging ich zur Tagesordnung über und wir feierten Fasching mit den Bekleidungsmiezen am Warschauer Platz. Blumenkinder lebten nach dem Motto, „make love not war“. „ There is a whole generation with a new exponation, people in motion”. Nicht nur in Woodstock wurde gefeiert, auch in Ostberlin. Aids war noch nicht geboren, die Pille schon. In Studentenkreisen war die Rede von LSD- Partys. Eine irre Zeit. Überall Studentenproteste gegen das Establishment. Zu diesem Zeitpunkt war ich jung und wollte dieses Lebensgefühl zu meinem machen. Bürgerliches war sowieso verdächtig. Alles war infrage gestellt und alles möglich. Und die Liebe stand über Allem. Ich hätte ihn geheiratet, allen Konventionen zum Trotz. Es kam anders. Es fällt mir schwer an das Ende zu denken. Es liegt lange zurück und tut immer noch weh. Nie wieder fügte die Liebe mir derartige Schmerzen zu. Tagelang hatte ich nichts von Adolfo gehört. Es erreichte mich kein Lebenszeichen von ihm und ich hatte ein ungutes Gefühl. Ich telefonierte und die Stimme seines Chefs sagte mir, „ Herr Adolfo hat gekündigt und will wieder an die Ostsee“. Hatte er mir nicht Anderes versprochen? Abendschule, Studium, Erfolg? Die Saison zog. Geld lockte mehr als alle gemeinsamen Pläne. Schluss. Aus und vorbei. Zwei Abschiedsbriefe kreuzten sich. Jeder sollte seinen eigenen Weg gehen, so war sein Vorschlag. Mit Küssen und Tränen nahmen wir eng umschlungen Abschied. Für mich brach eine Welt zusammen. Zu Hause verkroch ich mich tagelang in mein Bett. Adolfo kam noch einmal und holte den Verlobungsring. Es war für immer. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Eltern mich auffingen in meinem Schmerz. Hatten sie alles so kommen sehen? Eine Liebe wurde begraben. Meine Seele weinte und ich studierte umso eifriger die Nachrichtentechnik. Da braucht man nur seinen Kopf, um erfolgreich zu sein. Doch der Frühling fand in diesem Jahr ohne mich statt. Die Erde drehte sich weiter. Viele Jahre vergingen. In meinen Träumen kehrte ich immer wieder zurück Ich sehe den verlassenen Strand und spüre noch einmal das Salz auf unserer Haut. Dann kehrt für Sekunden die Jugend zurück.
Unsere Wege haben sich Jahre danach noch einmal gekreuzt. Ich lag in seinen Armen und er fragte, „was erwartest du jetzt von mir“? „Nichts“, war meine Antwort. Ich war Realist und hatte gewählt. Ich war meine eigene Gefangene, voll preußischer Tugenden, wie Pflichterfüllung, Strebsamkeit und Verantwortungsbewusstsein.
Es war wieder Sommer. Wir feierten Jubiläum und ich bedankte mich für ein Stück Himmel. Die Liebe zum Greifen nah, lag wieder ausgebreitet vor mir. Wir hörten Musik und die Uhren blieben stehen. Unglaubliches wurde wahr, die Zeit lief rückwärts und wir folgten ihr auf vertrauten Wegen. „Zwei alte Freunde, früher Verliebte, da reichte ein Blick, um sich zu versteh´n. Nach vielen Jahren endlich zusammen, doch was einmal war, dass kommt so niemals mehr“. Den letzten Sommer verträumte ich wie ein Backfisch. Leicht und unbeschwert waren die Tage. Stundenlang Rosenstolz. Wein mit der Jugendliebe. „Du bist ein Teil von mir, du gehörst zu meinem Leben“, flüsterte ich. „Ja, das war eine große Liebe damals“. Den Blick zurück hatten wir gewagt. Jeder hatte seine Sicht auf das Gewesene. Mein analytischer Teil suchte und fand zwei Briefe auf dem Dachboden, einen von Romeo und einen von Julia. Wir mordeten die Liebe mit Worten auf Papier. Erst Romeo, dann Julia. Wir lebten in verschiedenen Welten. Seine ist nicht in meine gekommen. Ich reichte ihm die Hand. Er konnte sie nicht sehen. Wir begriffen nicht. Ich bin in meiner Welt nicht glücklich geworden, nur erfolgreich. Der Alltag drückte mir ein dickes Pflichtenheft in die Hand. Was bleibt ist ein Traum. „Ein Traum vom Fliegen nur weithin übers Meer, wohin der Wind mich treibt, sorglos, vielleicht auch zu Dir“. Wir sind beide nicht frei. Es ist Traumzeit. Wir hören wieder gemeinsam Lieder. Wie lange? „Bis mein Boot untergeht und ich gar nichts mehr versteh´ auch im Regen, auch im Regen siehst du mich“?
Ich habe meine Briefe gelesen. Adolfo gab sie mir zum Lesen. Er hat den schlafenden Tiger geweckt. Er war mein Daddy, mein Geliebter, mein Verlobter, mein Mann. Er sollte der Vater meiner Kinder werden. Zusammen waren wir unschlagbar stark. Wir träumten von gemeinsamen Erfolgen. Liebesbriefe zwischen Prerow und Berlin entfachten eine heiße Glut in unseren Herzen. „Eh es Allah nicht gefällt uns aufs Neue zu vereinen, gibt mir Sonne Mond und Welt nur Gelegenheit zum Weinen.“ Goethe. Besser konnte ich es nicht formulieren. Wunschlos in seinem Arm und die Welt ist draußen- damals wie heute. „Und doch welch Glück geliebt zu werden, und lieben Götter welch ein Glück.“ Für alle Töchter, die nach mir kommen, jung sind und lieben, möchte ich einige Briefe kopieren. Ich habe geliebt und bereue nichts. Schöner als der schönste Roman ist das Buch unserer Liebe. Es gibt viele Kapitel darin, unbeschwerte Tage der Liebe, Ängste, Verzweiflung, innige Schwüre und immer wieder Zukunftspläne wechseln sich ab, wie ein bunter Reigen. Carla, die eifrige Studentin und Adolfo, der Starkellner in Prerow, der Koch und Lebenskünstler an ihrer Seite waren ein dreamteam. Ich las die Briefe und mir fallen so wie früher verrückte Sachen ein. Auf den Blütenlippen, die mich küssen, ist wohl noch immer das Gift der süßen Liebe. Es lässt mich hoffen, träumen, tanzen. Ich will zurückhaben was mir gehört hat. Alles. Und sei es nur für eine Illusion.
Und ich bekam alles. Die Liebe kehrte zurück. In seinem Arm war alles so vertraut, ich war unglaublich jung und zuversichtlich, meine Sorgen lösten sich von mir und schwebten einfach davon. Wir hörten Rosenstolz, tranken Tee und roten Wein, schauten uns in die Augen und fanden Romeo und Julia wieder. Zwei Diebe küssten sich die Lippen wund und versanken im Strudel der Sinnlichkeit. Darauf hatte ich doch so lange gewartet. Adolfo war wieder mein Mann und stillte meine Sehnsucht grenzenlos. Wenn ich zu ihm kam und das Holztor hinter mir ins Schloss viel, war ich in seiner Welt. Ich habe gesehen und weggeschaut. Ich stieg über alte Fahrräder, schlängelte mich durch die immer währende Baustelle in unser Nest. Alles war eng, unaufgeräumt und durcheinander, so wie unser Leben. „Da komme ich nicht mehr raus, ich habe lebenslänglich bekommen vor 40 Jahren, zwischendurch hatte ich Freigang, so zu sagen Bewährung. Nun bin ich wieder zurück. Es ist nur zum Teil mit dem Kopf passiert, mein Herz hat entschieden“. „Prost Neujahr! Meine Wünsche sind bei Dir und fliegen mit Dir zu den Sternen“. „Liebes Tagebuch, ich habe ihn wieder, den Mann, den ich liebe. Ich habe alle Türen aufgemacht. Hemmungslos, ohne Grenzen habe ich gegeben und war bereit zu empfangen. Es ist mein Ring, mein Rosenring, er zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, macht mich stark, lässt mich träumen und hoffen“. Du hast ihn Dir verdient“, sprach er und schenkte mir den Verlobungsring zum 60sten Geburtstag.
Die Zeiten mit Adolfo haben tiefe Spuren in meinem Leben hinterlassen. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass es ihn für mich gegeben hat. Es ist eine nie endende Lovestory.
Ich erinnere mich noch ziemlich genau an den Abend, an dem ich Adolfo kennen lernte. Es war an einem Samstag im Januar 1968. Wir begegneten uns im Studentenclub, dem angesagtesten Club in Ostberlin. Gitarrenklänge und Lifemusik, das ist jetzt 40 Jahre her. „All you need is love“, sangen die Beatles, Blumenkinder träumten von flowerpower und ich vom großen Leben und der Liebe. Und ehe ich es begriff verliebte ich mich in Adolfo, den Koch. Was nicht ist kann ja noch werden dachte ich, schließlich war ich ja auch noch keine Studentin. Und überhaupt küsste er fantastisch. Wir trafen uns zum Tanzen, hörten Musik und er kochte für uns. Die Briefe von ihm habe ich alle aufgehoben. Den ersten erhielt ich im Mai und den letzten schrieb ich zwei Jahre später auch im Mai. Dazwischen schwebte ich im siebenten Himmel, lernte das ABC der Liebe und machte große Pläne für uns beide, Hotelfachschule für Adolfo und Ingenieurschule für Carla. Mindestens. Aber so weit sind wir ja noch nicht. Zuerst war Partytime. Und der erste gemeinsame Urlaub wurde geplant. In Prag reservierte Adolfo ein Hotelzimmer für uns. Ich war noch nie im Ausland und die goldene Stadt Prag lockte. Großartig dachte ich. Aber dann kam alles ganz anders. Ich durfte nicht fahren und meine Freundin Lina teilte das Hotelzimmer mit meinem Liebsten. Heute lachen wir darüber, aber damals war es schwer zu akzeptieren. Erst mit den Jahren wurde mir klar, warum besorgte Väter ihre Töchter beschützen wollen. Die Liebe kam trotzdem. Sie kam über mich wie ein warmer Sommerregen und hüllte mich ein. Ich verlor zeitweise den Sinn für die Realität, so berauscht war ich. In meinen Träumen bin ich immer wieder zu dieser Liebe zurückgekehrt. Sie hatte von mir Besitz ergriffen und zog in mein Unterbewusstsein. Und wenn sie sich zurückzog geschah es nur zeitweise, um plötzlich ungefragt
wiederzukehren. Blicken wir zurück zum Sommer 1968. Im Mai, kurz bevor Adolfo nach Prerow fuhr, haben wir uns das erste Mal geliebt. Aus dem Mädchen Carla wurde eine Frau. Ich schrieb in mein Tagebuch: „ich habe ihn gefunden, den Mann, den ich liebe“, und Adolfo konnte in einem Brief lesen, „Kein Mensch wird Dich vor meiner Liebe retten, wenn sie in Flammen auf Dich niederbricht“. Vier Monate waren wir getrennt. Dazwischen gab es ein paar verlängerte Wochenenden in Berlin. Das war der Sommer für uns. Anfang August erreichte mich ein Eilbrief aus Prerow, „Alles war nur ein Traum, Sonne, Strand, Glück und Carla. Vorbei. Es war aber ein schöner Traum. Was ist jetzt mit uns, wenn ich realistisch bin, so ist es wage. Dir wird dein Leben zu sehr aufgezwungen. Ich hatte immer meine Freiheit, damit lebe ich.“ Wenn ich diesen Brief heute lese, beschleicht mich wieder ein Gefühl der Ohnmacht. Mein Vater hatte meine Reise zu Adolfo verboten. Wie oft war ich nicht frei in meinen Entscheidungen. Damals habe ich mir geschworen, alles zu tun, um nie wieder abhängig zu sein. Die Freiheit ist ein süßer Vogel, der fliegt davon. Ich sitze im Käfig, den andere für mich bauten und habe mich in einer bürgerlichen Existenz eingerichtet. Nur manchmal breche ich aus, heimlich. Über alle diese Jahre habe ich meine Liebe nicht begraben. Sie hat nur geschlafen. Carla funktionierte und erfüllte ihre Pläne und die Erwartungen anderer. Sie hatte Herz und Verstand getrennt.
Adolfo kam an einem verlängerten Wochenende nach Berlin. Wir taten das, was wir in Prerow auch getan hätten. Ich gab alles und ich bekam alles im Überfluss. Am Montag war Abreise, jeden zweiten Tag hielt ich einen Liebesbrief in den Händen. „ Ich habe Dich verlassen. Ich gehe oft am Abend hinaus und schaue in den Himmel und sehe mir die Sterne an und frage mich, unter welchem Stern stehst Du? Ich möchte so gerne bei Dir sein. Oh Darling ich bin bald wieder bei Dir.“ In einem weiteren Brief lese ich, „ein Gedanke, Carla, meine Verlobte. Ach ich komme von Dir nicht mehr los. Jeder Gedanke bist Du. Was ist nur mit mir geschehen? Ich kann es nicht fassen. Die Zeit wird furchtbar werden ohne Dich. Ich mache mich fertig. Meine Nerven sind es schon. Keiner kann verstehen, dass wir verlobt sind. Ich sage ihnen, „meine Verlobte ist sehr sparsam und Hauptsache ist, wir beide wissen es, dass wir es sind..... ich liebe dich, Dein Adolfo.“ Das war im August 68, unsere erste Verlobung.
Im September begann ich zu studieren. Der Englischkurs an der Kammer der Technik lief weiter, genau wie meine Arbeit im VEB Messelektronik. Allerdings erledigte ich die Zeichenarbeiten nach dem Studium zuhause. Ich war ausgefüllt in jeder Hinsicht und wenn ich zurückdenke, waren diese beiden Jahre eine sorgenfreie, glückliche Zeit. Hatte ich Kummer, küsste Adolfo ihn einfach weg. Wir lagen auf der Wiese, ich schaute ihm tief in die Augen und sagte, „ Du gehörst mir und damit es immer so bleibt, verhexe ich dich jetzt“. Wir blickten uns in die Augen bis wir ineinander versanken und meine Seele als Pfand blieb. Wir trafen uns zweimal in der Woche, samstags und mittwochs. In einem Hinterhofzimmer im Prenzlauer Berg lag ich in seinen Armen und war wunschlos glücklich. Die Welt war draußen. Von Zärtlichkeit eingehüllt fühlte ich mich geborgen und dankte dem Schicksal, eine Frau zu sein. Das war einerseits, andererseits studierte ich eifrig in einer nicht ganz so femininen Disziplin und arbeitete daran, in einer Männerdomäne fuß zu fassen. Niemand hat mich dazu gedrängt. Es ist in mir gewachsen, wie viele Wünsche vorher. Immer wenn mir im Leben etwas nicht glückte, fand ich Zuflucht in Formeln und Zahlen. Hier fand ich mich zurecht und habe seltener Fehler gemacht. Ich liebte Adolfo und wollte ihn doch ändern. Ich hatte beschlossen, ihn zu qualifizieren und meldete ihn voller Eifer bei der Abendschule an. Von Geduld und Einfühlungsvermögen habe ich nicht so viel verstanden. Mir fehlte schlichtweg die Empathie. Die zukünftige Ingenieurin wünschte sich einen ebenbürtigen Partner. Und so hatte ich ein Abkommen mit mir geschlossen, er studiert im Hotelfach und ich bin dann die Frau an seiner Seite durch dick und dünn. Er wurde abgelehnt und ich blieb, aber der Würfel war gefallen. Das habe ich damals noch nicht gewusst. Wir schwebten weiter auf Wolke sieben. „Das ist Carla, meine Braut“, stellte mich Adolfo seinen Freunden vor. Ostern 69 fuhren wir mit dem Zug über Prag nach Budapest. Zwei Tage waren wir unterwegs. Wir konnten im Zug nicht schlafen und kamen todmüde bei unserer Zimmerwirtin an. Eine Erkältung plagte mich so stark, dass Frau Czasar fürchtete, wir bringen ihr die Hongkonggrippe mit. Eine Fahrt in den Frühling wurde es nicht, der kam erst nach Ostern. „Der Osterhase kam vorbeigehoppelt und hat dir etwas mitgebracht“, mit diesen Worten steckte mir Adolfo den Verlobungsring an den Finger. Er hatte ihn zuvor beim Juwelier anfertigen lassen. Ein Blumenmuster zierte den Ring. Er war wunderschön, aber ein beklemmendes Gefühl beschlich mich. Ich hatte Angst vor meinen Eltern, was würden sie dazu sagen? Auf dem Rückflug gab ich den Ring zurück, ich, Carla, der Feigling.
Anfang Mai packte Adolfo seine Sachen und fuhr nach Prerow. Eine neue Saison begann. Prerow das Paradies auf dem Darß zog wieder viele Urlauber an. Saisonarbeitskräfte wurden gebraucht. Sehnsuchtsbriefe wurden geschrieben, die alle jetzt gebündelt im Schrank liegen. Neulich habe ich in alten Bildern gekramt und einen Brief gefunden. Tränen standen mir in den Augen. Soviel Liebe für mich. Ich war überwältigt. Nach all der Zeit begriff ich endlich. Adolfo war die Liebe meines Lebens. Und meine Gedanken gingen zurück nach Prerow, zurück in das Sommersonnenparadies. Mendocino von Michal Holm klang überall aus der Musikbox, auch im Cafe Wien. Hier war ich für vier Wochen im Juli die Serviererin. Adolfo, der im Helgoland kellnerte, hatte mir diese Stelle besorgt. „Gut Mädel, morgen kannst du anfangen. Die Haare werden hochgesteckt und wenn du Sonnenbrand hast, wird trotzdem gearbeitet“, sagte der Wirt zu mir .Die ersten Abende waren ungewohnt anstrengend. Mir taten die Beine weh. Die Arbeit gefiel mir, schließlich lockte ein guter Verdienst. An unseren freien Tagen radelten wir zum Weststrand. Wie der Wind ging es durch den Darßer Urwald die Betonstraße entlang, immer auf der Flucht vor den Mücken. Es wimmelte nur so von den Blutsaugern. Lange Hosen und Jacken schützten uns. Menschenleer lag der Strand vor uns. Wir fanden sofort eine unbewohnte Sandburg, zogen uns aus und rannten in die glitzernden Wellen. „Sommer, Sonne, FKK“, ist auch ein Hit aus dieser Zeit. Zwei Nackedeifotos in Farbe, Carla wie Gott sie schuf, schenkte mir Adolfo nach 40 Jahren. Sprachlos hielt ich sie in den Händen. Wie ähnlich sehe ich meiner Tochter. Die langen blonden Haare und das Lachen, ob sie jemals so glücklich war, werde ich wohl nie erfahren. Ich war jung und endlich frei, meine Liebe hatte hier auf mich gewartet. Hier erlebte ich die glücklichste Zeit in meinem Leben. Als die Sonne im Meer unterging, verlobten wir uns am Strand und träumten den Traum vom ewigen Glück. Am Abend feierten wir im Helgoland. Ich tanzte in Adolfos Armen bis der Blumenstrauß in meiner Hand entblätterte. Seine Kollegen bildeten einen Kreis klatschten und beglückwünschten uns. Eine Ehe konnte ich mir noch nicht vorstellen. Sie lag in weiter Ferne. Zu diesem Zeitpunkt habe ich gehofft, alles wird gut. Ich sah alles vor mir, eine weiße Hochzeitskutsche und gemeinsame Kinder, so steht es in meinen Briefen. Ich habe geliebt und wollte unsere Liebe niemals wieder verlieren. Mein ganzer Körper schrie nach Zärtlichkeit. Hemmungslos kostete ich alles aus, weil ich Angst hatte, man würde es mir wieder wegnehmen. So wie ich das Glück herbeisehnte, ahnte ich das Ende und fürchtete es. Im Tagebuch ist es nachzulesen, „peinigen wir den letzten Blutstropfen und reißen uns die Seele aus dem Leib…“. Mein Verstand eilte voraus. Nach dem Studium würde ich zu einer anderen Schicht gehören und Adolfo zurücklassen. Ich war eine emanzipierte junge Frau, gefangen in bürgerlichen Rollenmustern, unfähig zu ihrer Liebe zu stehen. Dafür ging ich später durch die Hölle. Ich wurde schuldig. Es ist mir nicht gelungen dieses Glück zu vergessen. Die Zeit der ersten Liebe hatte tiefe Spuren hinterlassen. Als Verlobte kehrte ich zu meinen Eltern zurück. Ein Verlobungsgeschenk bekamen wir nicht von ihnen. An eine von Herzen kommende Gratulation kann ich mich nicht erinnern. An einen Satz meiner Mutter, wie sie mich missbilligend anschaute, als ich nackt vor dem Spiegel stand, schon: „Am ganzen Körper braun, wie du aussiehst, und gekellnert hast du auch, du weißt doch das Vater das verboten hat“. „Ich wollte mein eigenes Geld verdienen und nicht die Hand aufhalten“. Man akzeptierte. Nach den vier Wochen hielt ich den dreifachen Monatsverdienst einer Technischen Zeichnerin in den Händen.
Adolfos Saison ging bis Ende September. Er verbrachte seine freien Tage in Berlin, wo ich ihn voller Sehnsucht erwartete. Ich machte einfach auch frei. Silvia, meine Kommilitonin, schrieb in den Vorlesungen mit Durchschlag. So hatten wir einen ganzen Tag für uns. Spät am Abend fuhr ich nach hause. Dort schöpfte man keinen Verdacht. Anhand von Silvias Aufzeichnungen holte ich das Versäumte nach. Es muss mir leicht gefallen sein, meinen Abschluss machte ich zwei Jahre später mit dem Prädikat gut. Die Liebe hat mich nicht von meinem Ziel abgelenkt. Ich wollte alles und bekam alles. Anfangs ging Adolfo sonntags tanzen und wollte mich mitnehmen. Das Vergnügen fand ohne mich statt, ich lernte für mein Studium. Nur der Samstagabend war frei.
Es ist nicht ganz einfach in die Vergangenheit zurückzugehen und sich in ihr zurechtzufinden. Aber ich musste zurück. Zwei Gründe will ich dafür benennen. Ich hatte vor mehr als zwei Jahren meine Tochter verloren und war eine Suchende. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, ich dachte an meine Tochter und an ihren Vater, von dem ich seit einer Ewigkeit getrennt bin. In schlaflosen Nächten fand ich keine Antwort und landete schließlich bei einer Psychotherapeutin. Die ersten Sitzungen waren furchtbar. Sie fragte und ich ging mit ihr den Weg zurück. Das brachte mir ein Stück Selbsterkenntnis. Das ist der erste Grund. Im Januar rief mich Adolfo an, „Erinnerst du dich, vierzig Jahre ist es jetzt her. Das war eine große Liebe. Lass uns feiern“. Wir feierten im Februar. Der Frühling begann, ich hatte einen Saunaflirt, tanzte nach der Musik von Rosenstolz und sprach ein Mantra. Ich wollte die letzten Jahre hinter mir lassen. Adolfo reichte mir seine Hand und holte mich ab. Mein Lächeln kehrte zurück und meine Züge wurden weicher. Das ist der zweite Grund. Ich fand meine Mitte wieder, tanzte in das Leben zurück.
Ich wurde geliebt und vielleicht ist noch ein Funken von diesem Gefühl übrig geblieben. Und in meinen Träumen kehre ich immer noch zurück in den summer of love. Damals war alles so schön. Adolfo war ein Lebenskünstler und ist es wohl immer noch. Alles erschien mir leichter. Ich habe mich niemals wieder verlobt, ich wollte, dass es etwas Besonderes blieb. Ich trug endlich seinen Ring. Diesmal ganz legal. „Sie haben sich verlobt, Fräulein Carla, herzlichen Glückwunsch“, bemerkte unser Seminargruppenbetreuer zu Beginn des neuen Semesters. Aus dem Sommer zurück, konzentrierte ich mich voll auf mein Studium. „Mache doch mit dem Koch zusammen ein Cafe auf und höre auf zu studieren“, schlug mir mein Vater vor. Mit diesem Gedanken hatte ich nie gespielt. Ich wollte studieren und vor allem mein eigenes Ding machen. Vater war zufrieden. Ich blieb die brave Carla, die die Beine unter seinen Tisch hielt und tat, was man von ihr erwartete. „Nur eine Nacht, schenke mir nur eine Nacht, bleibe doch. Warum musst du jetzt gehen“, bettelte Adolfo. „Es geht nicht, ich muss nach hause“. Ich sprang aus dem Bett, zog mich an und wir rannten zum Bahnhof. Unter der Laterne vor dem Haus blieben wir stehen und küssten uns. Er zog mich aus dem Licht in die Dunkelheit und wir liebten uns. Unersättlich. Adolfo war ein sanfter Verführer.
Blütenlippen küssten meinen Mund. Traumzeit. Ich hatte immer noch die Hoffnung, er wird studieren. Jedenfalls besuchte er fleißig die Abendschule. Mitte November feierten wir seinen Geburtstag. Der Herbst zeigte sich noch einmal von seiner schönsten Seite und verabschiedete sich mit einem Hauch von Sommer. Ich trug mein Lieblingskleid aus grüner Seide. An diesen Tag kann ich mich gut erinnern. Gäste waren da. Unter ihnen sein Bruder Erich mit seiner Familie. Adolfo und ich gingen in die Küche und holten die vorbereiteten Speisen aus dem Kühlschrank. Alles war vortrefflich arrangiert. „Gelernt ist gelernt“, bewunderte ich ihn. Für dieses Kompliment gab es Küsse und die Nachspeise gleich vorne weg. „Was hast du mit meinen Stocklocken angestellt“? Die Haare zerzaust, die Wimperntusche im Gesicht verteilt, so schaute ich in den Spiegel. Adolfo lachte und ich ließ mich anstecken. Die Gäste wurden unruhig und wir gingen zurück ins Wohnzimmer. Ein harmonischer Abend könnte man denken, aber ich fand einen Wurm. Adolfos Familie war mir nicht gebildet genug. Mich störte die fehlerhafte Grammatik. „Du heiratest die Familie mit“, sprach meine Frau Mama und besagter Wurm setzte sich fest. Genährt hat ihn mein Studium. Ich erinnere mich an ein Gespräch der beiden Brüder über ihre Arbeit und den guten Verdienst den sie lachend vor mir ausbreiteten. Ich hatte den Eindruck sie lachen über mich. „Bildung ist mir wichtiger, was du weißt, kann dir keiner nehmen“ sprach die Studentin und ging etwas auf Distanz. Adolfo brachte siebzehntausend Mark mit aus Prerow, den Verdienst einer Saison. Damit war ich nicht zu beeindrucken. Das war damals so wie heute. Materielles zählte einfach nicht. Mit dieser idealistischen Haltung bin ich oft unverstanden geblieben. „Du Carla hast ja immer alles gehabt“, „ich bin auf Apfelsinenkisten groß geworden“ hörte ich später von einem Anderen.
Adolfo hatte die besten Absichten mir zu folgen. „ Ich will lernen, ich sehe mich schon vor Büchern, will alles begierig aufnehmen. Wäre ich doch schon dabei“. „Charakter ist die Stärke des Mannes“. „ Ich heirate Dich, wenn ich mein Ziel erreicht habe“. Worte, leere Worte nur. Und meine Liebe trug schwarz. Adolfo gehörte einer anderen Welt und ist auch in ihr geblieben.
Zurück zur Liebe. Noch waren alle Sterne am Himmel und der letzte Tanz noch nicht getanzt. Ich war jung und lebenshungrig. Wollte mit dem Wind laufen. „Heute Abend muss ich lernen, habe keine Zeit“, sprach´s und ging in den Studentenclub. Das klang wohl nicht überzeugend. Adolfo fuhr ebenfalls in den Club und fand eine tanzende Carla. Unsere Blicke trafen sich und fort war er. Was hatte ich angerichtet? Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Ich wollte doch nur spielen, meine Freiheit ausloten, einen Tanz, einen Flirt. Am Boden zerstört fuhr ich am nächsten Morgen mit dem Taxi bei Adolfo vor und legte ihm meine Liebe zu Füßen. Ich versprach es nie wieder zu tun. Warum hatte er mich mit Monika in Prerow betrogen und gönnte mir diesen keinen Abstecher nicht? Weil ein Jahr dazwischen lag, darum. Die 68er hatten frischen Wind in die Köpfe gebracht und meine Generation verändert. Ich war emanzipiert genug, um zu sagen, „Das Leben hat viele Fassetten, ich will mich nicht einengen, kein Glück versäumen“. „Dann heiraten wir lieber nicht“, war die Antwort. Es ist ja nicht so, dass ich keine Familie wollte. Natürlich war ich treu, aber einen Tanz in Ehren? Im Februar blieb meine Regel aus. Ich viel in Ohnmacht und drehte an allen Knöpfen. Das Studium, meine Eltern, was sollte nur werden? Adolfo schrieb mir später, „Doch eines will ich dir noch ins Gewissen reden. Ich erinnere mich an die Zeit im Frühjahr, wo du mir vorgaukeltest, dass du ein Kind erwartest. Da habe ich dich richtig kennen gelernt. Ich zweifelte sehr an Deiner Liebe“. Ja, ja, ja. Ich wollte doch beides, Karriere und Liebe. Ein Kind hätte meine Pläne durchkreuzt. Wie soll ein Mann das verstehen. Es war falscher Alarm. Erleichtert ging ich zur Tagesordnung über und wir feierten Fasching mit den Bekleidungsmiezen am Warschauer Platz. Blumenkinder lebten nach dem Motto, „make love not war“. „ There is a whole generation with a new exponation, people in motion”. Nicht nur in Woodstock wurde gefeiert, auch in Ostberlin. Aids war noch nicht geboren, die Pille schon. In Studentenkreisen war die Rede von LSD- Partys. Eine irre Zeit. Überall Studentenproteste gegen das Establishment. Zu diesem Zeitpunkt war ich jung und wollte dieses Lebensgefühl zu meinem machen. Bürgerliches war sowieso verdächtig. Alles war infrage gestellt und alles möglich. Und die Liebe stand über Allem. Ich hätte ihn geheiratet, allen Konventionen zum Trotz. Es kam anders. Es fällt mir schwer an das Ende zu denken. Es liegt lange zurück und tut immer noch weh. Nie wieder fügte die Liebe mir derartige Schmerzen zu. Tagelang hatte ich nichts von Adolfo gehört. Es erreichte mich kein Lebenszeichen von ihm und ich hatte ein ungutes Gefühl. Ich telefonierte und die Stimme seines Chefs sagte mir, „ Herr Adolfo hat gekündigt und will wieder an die Ostsee“. Hatte er mir nicht Anderes versprochen? Abendschule, Studium, Erfolg? Die Saison zog. Geld lockte mehr als alle gemeinsamen Pläne. Schluss. Aus und vorbei. Zwei Abschiedsbriefe kreuzten sich. Jeder sollte seinen eigenen Weg gehen, so war sein Vorschlag. Mit Küssen und Tränen nahmen wir eng umschlungen Abschied. Für mich brach eine Welt zusammen. Zu Hause verkroch ich mich tagelang in mein Bett. Adolfo kam noch einmal und holte den Verlobungsring. Es war für immer. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Eltern mich auffingen in meinem Schmerz. Hatten sie alles so kommen sehen? Eine Liebe wurde begraben. Meine Seele weinte und ich studierte umso eifriger die Nachrichtentechnik. Da braucht man nur seinen Kopf, um erfolgreich zu sein. Doch der Frühling fand in diesem Jahr ohne mich statt. Die Erde drehte sich weiter. Viele Jahre vergingen. In meinen Träumen kehrte ich immer wieder zurück Ich sehe den verlassenen Strand und spüre noch einmal das Salz auf unserer Haut. Dann kehrt für Sekunden die Jugend zurück.
Unsere Wege haben sich Jahre danach noch einmal gekreuzt. Ich lag in seinen Armen und er fragte, „was erwartest du jetzt von mir“? „Nichts“, war meine Antwort. Ich war Realist und hatte gewählt. Ich war meine eigene Gefangene, voll preußischer Tugenden, wie Pflichterfüllung, Strebsamkeit und Verantwortungsbewusstsein.
Es war wieder Sommer. Wir feierten Jubiläum und ich bedankte mich für ein Stück Himmel. Die Liebe zum Greifen nah, lag wieder ausgebreitet vor mir. Wir hörten Musik und die Uhren blieben stehen. Unglaubliches wurde wahr, die Zeit lief rückwärts und wir folgten ihr auf vertrauten Wegen. „Zwei alte Freunde, früher Verliebte, da reichte ein Blick, um sich zu versteh´n. Nach vielen Jahren endlich zusammen, doch was einmal war, dass kommt so niemals mehr“. Den letzten Sommer verträumte ich wie ein Backfisch. Leicht und unbeschwert waren die Tage. Stundenlang Rosenstolz. Wein mit der Jugendliebe. „Du bist ein Teil von mir, du gehörst zu meinem Leben“, flüsterte ich. „Ja, das war eine große Liebe damals“. Den Blick zurück hatten wir gewagt. Jeder hatte seine Sicht auf das Gewesene. Mein analytischer Teil suchte und fand zwei Briefe auf dem Dachboden, einen von Romeo und einen von Julia. Wir mordeten die Liebe mit Worten auf Papier. Erst Romeo, dann Julia. Wir lebten in verschiedenen Welten. Seine ist nicht in meine gekommen. Ich reichte ihm die Hand. Er konnte sie nicht sehen. Wir begriffen nicht. Ich bin in meiner Welt nicht glücklich geworden, nur erfolgreich. Der Alltag drückte mir ein dickes Pflichtenheft in die Hand. Was bleibt ist ein Traum. „Ein Traum vom Fliegen nur weithin übers Meer, wohin der Wind mich treibt, sorglos, vielleicht auch zu Dir“. Wir sind beide nicht frei. Es ist Traumzeit. Wir hören wieder gemeinsam Lieder. Wie lange? „Bis mein Boot untergeht und ich gar nichts mehr versteh´ auch im Regen, auch im Regen siehst du mich“?
Ich habe meine Briefe gelesen. Adolfo gab sie mir zum Lesen. Er hat den schlafenden Tiger geweckt. Er war mein Daddy, mein Geliebter, mein Verlobter, mein Mann. Er sollte der Vater meiner Kinder werden. Zusammen waren wir unschlagbar stark. Wir träumten von gemeinsamen Erfolgen. Liebesbriefe zwischen Prerow und Berlin entfachten eine heiße Glut in unseren Herzen. „Eh es Allah nicht gefällt uns aufs Neue zu vereinen, gibt mir Sonne Mond und Welt nur Gelegenheit zum Weinen.“ Goethe. Besser konnte ich es nicht formulieren. Wunschlos in seinem Arm und die Welt ist draußen- damals wie heute. „Und doch welch Glück geliebt zu werden, und lieben Götter welch ein Glück.“ Für alle Töchter, die nach mir kommen, jung sind und lieben, möchte ich einige Briefe kopieren. Ich habe geliebt und bereue nichts. Schöner als der schönste Roman ist das Buch unserer Liebe. Es gibt viele Kapitel darin, unbeschwerte Tage der Liebe, Ängste, Verzweiflung, innige Schwüre und immer wieder Zukunftspläne wechseln sich ab, wie ein bunter Reigen. Carla, die eifrige Studentin und Adolfo, der Starkellner in Prerow, der Koch und Lebenskünstler an ihrer Seite waren ein dreamteam. Ich las die Briefe und mir fallen so wie früher verrückte Sachen ein. Auf den Blütenlippen, die mich küssen, ist wohl noch immer das Gift der süßen Liebe. Es lässt mich hoffen, träumen, tanzen. Ich will zurückhaben was mir gehört hat. Alles. Und sei es nur für eine Illusion.
Und ich bekam alles. Die Liebe kehrte zurück. In seinem Arm war alles so vertraut, ich war unglaublich jung und zuversichtlich, meine Sorgen lösten sich von mir und schwebten einfach davon. Wir hörten Rosenstolz, tranken Tee und roten Wein, schauten uns in die Augen und fanden Romeo und Julia wieder. Zwei Diebe küssten sich die Lippen wund und versanken im Strudel der Sinnlichkeit. Darauf hatte ich doch so lange gewartet. Adolfo war wieder mein Mann und stillte meine Sehnsucht grenzenlos. Wenn ich zu ihm kam und das Holztor hinter mir ins Schloss viel, war ich in seiner Welt. Ich habe gesehen und weggeschaut. Ich stieg über alte Fahrräder, schlängelte mich durch die immer währende Baustelle in unser Nest. Alles war eng, unaufgeräumt und durcheinander, so wie unser Leben. „Da komme ich nicht mehr raus, ich habe lebenslänglich bekommen vor 40 Jahren, zwischendurch hatte ich Freigang, so zu sagen Bewährung. Nun bin ich wieder zurück. Es ist nur zum Teil mit dem Kopf passiert, mein Herz hat entschieden“. „Prost Neujahr! Meine Wünsche sind bei Dir und fliegen mit Dir zu den Sternen“. „Liebes Tagebuch, ich habe ihn wieder, den Mann, den ich liebe. Ich habe alle Türen aufgemacht. Hemmungslos, ohne Grenzen habe ich gegeben und war bereit zu empfangen. Es ist mein Ring, mein Rosenring, er zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, macht mich stark, lässt mich träumen und hoffen“. Du hast ihn Dir verdient“, sprach er und schenkte mir den Verlobungsring zum 60sten Geburtstag.
Wunderbar und mit Herzblut geschrieben.
Liebe Grüße aus Garmisch Partenkirchen
Toni