I M A G I N A T I O N E N
Träume am See
In meinen Imaginationen saß ich auf einer Bank an einem stillen Waldsee.
Von links her aus dem Wald tauchte ein großer, schlanker Mann auf und fragte, ob er sich auf die Bank setzen dürfe.
Ich sah ihn an und sagte: „Aber sicher -, die Bank gehört ja nicht mir.“
Fast in der Mitte der Bank saß ich wie ein schwarzes Monstrum. Aber die Bank war lang genug, so daß der Mann am anderen Ende - in einiger Entfernung von mir - noch Platz fand.
Ich wußte, wer er war.
Dennoch fragte ich - ohne ihn erneut anzusehen: „Wer sind Sie?“
Er sagte: „Ich bin Andreas. - Aber es gibt mich nicht mehr.“
Ich sah auf den See hinaus und schwieg eine Weile.
Dann meinte ich: „Seltsam. Ich kannte einen Andreas. Aber es gibt ihn nicht mehr.“
Schweigen.
Später fragte er: „Kommen Sie gern hierher?“
„Ja. Ich liebe Seen und würde gern auf ihnen entlang wandern.“
„Lassen Sie uns dies gemeinsam tun,“ meinte er.
Ich fühlte, daß er mich dabei ansah.
Wir standen auf.
Er umfaßte meinen linken Ellenbogen, und wir gingen die paar Schritte zum Ufer.
Als ich versuchte, die Wasseroberfläche zu betreten, tauchte auf dem Wasser eine Art Brett auf: quadratisch, weiß.
Wir betraten das Brett (glaube ich).
Ich fühlte mich schwankend (glaube ich).
Das Brett schwamm Richtung See-Mitte (glaube ich).
Dann endeten die Imaginationen.
Nur noch Stille und Dunkelheit.
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Foto © Internet. Bildbearbeitung: Avanta
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I M A G I N A T I O N E N
Der Text beginnt so ↓
„Als ich meine rechte Hand in seine linke geschoben hatte und er sie fest umschlossen hielt, sagte er: „Nun gehen wir ans Ende der Welt.“
Und ich fühlte mich stark und jung, um mit ihm an das Ende der Welt zu gehen.
***
Fast täglich von meinem Fenster aus sehe ich den Menschen, den ich für einen besonderen halte – und der seit einiger Zeit in meinen Imaginationen mein Begleiter geworden ist.
Und hier beginnen die Inhalte meiner Imaginationen.
Irgendwann – der See war dunkel wie immer – setzte sich der besondere Mensch neben mich an das Ufer, wo ich mich mit dem Schwan unterhielt. Er trug zweifarbige Kleidung -, wie ich sie an ihm kannte. Und er lächelte -, sprach aber nicht.
Ein wenig war ich irritiert, weil ich den Sinn seiner Anwesenheit nicht verstand. Ja, ein wenig wurde ich unruhig und wünschte ihn weg. Das, was wir gemeinsam hatten – ein paar Worte am Strassenrand -, gehörte nicht hierhin an meinen geträumten See.
Aber ich sagte nichts.
Ich fragte den Schwan, ob ich sein Küken, das unter seinen großen Flügeln nur sein Köpfchen sehen ließ, für eine Weile zu mir nehmen dürfe, und der Schwan sah so etwas ganz gelassen: „Tu’ es.“
Ich nahm das Kleine zwischen meine beiden Hände, wo es sofort zu kreischen anfing, dabei seine noch unreifen fedrigen Arme aufplusternd. „Pscht,“ machte ich, „pscht“ – ganz leise -, und lehnte das Kleine in meine linke Schulterbeuge, meine Hände schützend um das Körperchen gelegt, - und bald war es beruhigt und zitterte nicht mehr.
So vergingen ein paar Tage.
Oder sind es Nächte?
Ich gehe am Ufer entlang bis an den dunklen Waldrand, und der Schwan folgt ein paar Meter weiter weg auf dem Wasser bis zu der Stelle, an der ich mich ins Gras setze.
Alles wiederholt sich: ein kurzer Wortwechsel mit dem Schwan, das kreischende Schwanenkind in meinen Händen - , und dann kommt wieder der besondere Mensch, läßt sich an meiner linken Seite auf den Boden nieder und schweigt.
Nach und nach gewöhne ich mich an seine Anwesenheit -, verliere dieses Befangensein, das ich mehr vor der Situation als vor ihm habe – und werde wieder ruhiger ..., wie damals, als ich vor dem großen, flachen Gewässer in der Sandkuhle neben Yorin gesessen hatte.
In den Imaginationen kann ich einschlafen, ehe ich bemerke, daß ich aufstehe und weggehe. Ehe ich feststellen kann, was der besondere Mensch macht, wenn ich nicht mehr anwesend bin.
Die nächsten Szenen am nächsten Abend beginnen auf dem Uferweg. Ein Davor gibt es nicht. Wo kam ich her? Wo gehe ich später hin? Es dauerte mehrere Abende, ehe etwas Neues geschah.
Ich stand auf, als ich dem Schwan sein Küken zurückgegeben hatte. Sogleich auch stand der besondere Mensch auf und trat an meine rechte Seite. Noch immer – bis heute – hatte er nichts gesprochen. Nur gelächelt. Auch jetzt lächelte er.
Wir gingen nebeneinander den Uferweg zurück, auf dem ich täglich hierher kam.
Der See war heute hell. Vor uns schien die Sonne. Alle Natur schien irgendwie verändert. Der Schwan glitt am Ufer entlang -, parallel zu uns. Und wir sahen uns an – der besondere Mensch und ich -, wir lächelten uns an, als wir das dünne Kreischen des Schwan-Kükens hörten, das sich heute gar nicht beruhigen wollte.
Wie sehr ich die Gelassenheit des schwarzweißen Schwanen-Vaters für mich wünschte, für mein Tun, - ach, für mein Denken und Fühlen.
Aber in mir tief drinnen war die Verzagtheit zu einer unabänderlichen Grundhaltung geworden.
Heute tat mir das Lächeln gut. Sein Lächeln. Mein Lächeln. Die Helligkeit des Wassers und der Sonnenschein vor uns.
Ich legte meine rechte Hand in seine linke und dachte nichts dabei, weil mir alles so vorprogrammiert erschien. Und er sagte, ohne den Kopf zu drehen und dennoch in meine Richtung neben sich: „Nun gehen wir ans Ende der Welt.“
Und ich fühlte mich stark und jung, um mit ihm an das Ende der Welt zu gehen.
Hier nun verschwand die Szenerie. Ich fühlte noch seine Hand für einen kurzen Moment -, dann schlief ich ein: neben meinem Hals das knubbelige Stoff-Spätzchen und auch das dünne grüne Samt-Bärchen, das irgendwann ein Kind an der Straße verloren hatte.
Tagsüber denke ich oft, ich sollte meinen besonderen Menschen bei der nächsten Imagination fragen, was wir denn am Ende der Welt tun würden. Aber dazu kommt es nicht. Denn da ist noch die Sache mit der Brücke, über die unser Weg zu führen scheint und an der wir gerade erst angekommen sind.
Es ist eine schmale Holzbrücke mit großen gewölbten Seitenbereichen und dicken Bohlen, die den Gehweg bilden.
Zwischen dem Sandweg, auf dem wir herkamen und der ersten Brückenbohle befindet sich ein Spalt, durch den man in die Tiefe und ins Unheil sehen kann. Ich zögere hinabzusehen. Ich zögere auch, über den Spalt hinüber zu gehen.
Für manches brauche ich seit jeher einen sicheren Steg.
Ich merke, daß er neben mir überlegt, was er tun könne, um mir zu helfen, den Geh-Bereich hinter dieser ersten Bohle zu erreichen. Er ist nicht sicher – so empfinde ich es -, was er tun dürfe. Und ich hoffe, er möge nicht auf den Gedanken kommen, mich hinüberzutragen.
So werde ich mich also wohl anstrengen müssen, diesen Schritt aus eigener Kraft zu tun, damit wir beide – er und ich – unseren Weg zum Ende der Welt fortsetzen können.
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