Hates
… im Netz sind gar nicht so neu. Doch „das Netz“ gibt es für die Allgemeinheit ja erst seit etwa den 1980er Jahren und die Sozialnetzte Facebook und Instagram sind noch jünger. Hinzu kommt, dass sich auch erst mit den Jahren die privaten PC's und die Möglichkeit, auch Handys und Smartphones diesbezüglich zu nutzen, herauskristallisiert hat. Der Gebrauch ist inzwischen auch relativ günstig. Also hat heute fast jeder sein Smartphone oder I-Pad ständig bei sich und nutzt es jederzeit, wenn ihm/ihr danach ist, die Langeweile zuschlägt.
Nun zu der Zeit davor. Ich war 10 Jahre alt. In der Schule wurde festgestellt, dass ich, wenn ich im hinteren Bereich der Schulbänke saß, die an die Tafel geschriebenen Dinge nicht lesen konnte. Ich war kurzsichtig! Also ging mein Vater mit mir zum Optiker, um mir eine Sehhilfe, eine Brille anpassen zu lassen. Mein Pech war, dass es 1954 sehr wohl markante Herrenfassungen oder sehr überelegante Damenfassungen gab, aber keine Kinderfassungen. Da die „zarten“ Damenfassungen nicht auf meinen runden Kinderkopf passten, musste ich mich mit einer Herrenfassung zufrieden geben.
Die Reaktion meines Vaters war: „Jetzt siehst du aus wie eine Juffer! Da bekommst du bestimmt keinen Mann mit. Dann pflegst du mich eben, wenn ich alt und zittrig geworden bin...!“ Ich schluckte, sagte aber nichts. Fortan setzte ich lediglich die Brille auf, wenn ich in der Schule an der Tafel etwas zu lesen hatte. Ansonsten nahm ich sie nicht mal mit, wenn ich draußen war, später auch nicht ins Büro, wo ich meine Lehre machte oder gar zu den Fahrstunden, als ich meinen Führerschein machte. Ich fand mich hässlich … Es geschah auch, dass ich unterwegs in meiner Heimatstadt Leute übersah, die ich hätte grüßen sollen. Peinlich …
Dann lernte ich in der Tanzschule meinen späteren Mann kennen – natürlich ohne Brille auf der Nase, denn ich wollte nicht als Mauerblümchen sitzen bleiben. Vaters Ausspruch wirkte lange, sehr lange nach! Und er verheiratete mich mit diesem Tanzpartner, weil der Optiker gelernt hatte! Recht bald nach der Verlobung 1964 bat er mich in den Optikerladen, in dem er arbeitete und passte mir eine Damenbrille an. Nach unserer Hochzeit versuchte ich auch eine Zeit lang, mit den damals gerade neu auf den Markt gekommenen harten Kontaktlinsen klar zu kommen. Doch mit der Schwangerschaft später vertrug ich die nicht mehr so gut. Die Brille war wieder angesagt.
Was mich auch sehr in meinem Selbstbewusstsein wieder zurückwarf, war eine Situation, die passierte, als wir von unserer Hochzeitsreise nach Hause fuhren und unterwegs in einer Gaststätte einkehrten. Ich trug meine Damenbrille. Ein Gruppe junger Männer saß an einem Tisch und lästerten umgehend, als wir das Lokal betraten: „Mein letzter Wille, 'ne Frau mit Brille!“ mit großem Gelächter. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Aber mein Mann ignorierte die Jungs, er hatte Hunger. Es blieb auch mir nichts anderes übrig, als ihm zu einem etwas entfernteren Tisch zu folgen. Dem Sprücheklopfer seine Meinung zu sagen, verkniff er sich. Er hätte drei oder vier Gegenüber gehabt, wäre es zu einem Streit gekommen.
Solch dumme „Männersprüche“ habe ich später nie wieder einstecken müssen, aber heute sehe ich diese schon als die Dummheiten an, die Menschen einfallen, wenn sie nicht darüber nachdenken, was sie mit solchen Sprüchen anrichten können. Doch vergessen kann man solche Angriffe nicht – und das gilt in noch stärkerem Ausmaß heute, wenn man nicht nur einzelne Hates einstecken muss, sondern mit diesen ganz gezielt einen Menschen, der einem nichts getan hat, immer wieder derart angreift, sogar ihm mit dem Tode droht … Es scheint ein Sport geworden zu sein, die eigene Langeweile so zu übertünchen.
Kommentare (7)
@Distel1fink7
Den Hammer meiner I-Männchenzeit hatte ich noch ausgelassen: Nach dem Tod meiner Mutter im Juli 1951 gab es die großen Ferien, in denen mein Vater seine Mutter, seine Mädchen und die Krankenschwester für 4 Wochen mit nach Borkum nahm. Wir Kinder konnten ein wenig abschalten, ob es die Erwachsenen auch konnte, bezweifle ich schon.
Dann kam der erste Schultag nach den Ferien. Die Klassenlehrerin begann den Unterricht stets mit einem Morgengebet. Sie ergänzte: "... und dann beten wir auch für die verstorbene Mutter einer Mitschülerin." Eine Edith platzte ihr ins Wort: "Die kannte ich, das war eine böse Hexe! Gut, dass die tot ist!"
Ich wusste sofort, wen sie meinte, aber sie konnte meine Mutter nicht gekannt haben, denn die war zuvor schon über ein Jahr bettlägerig zuhause gewesen. So wusste ich, dass es nur Ediths Bosheit war, die sie so gedankenlos in die Klasse rief! Der Unterricht war nicht fortzusetzen, so lange ich laut weinend in der Klasse saß. Ich wurde von einer Mitschülerin zu deren Mutter nach Hause gebracht, damit die sich um mich kümmern konnte.
Ich denke, dass viele Hates wie dieser seinerzeit vor 70 Jahren nur einen Hintergrund haben - sich interessant zu machen, weil die Langeweile zu erdrückend ist ... Schlimm, wenn Menschen nur so vordergründig denken, nachdenken nicht "ihrs" ist. Man kann schon davon ausgehen, dass sie in der Erziehung - durch wen auch immer - etwas Wichtiges verpasst haben.
Danke für Deinen Kommentar und auch Dir noch einen schönen Restabend
Uschi
Kommt mir sooo bekannt vor. Die Brille setzte ich erst mit 18 auf, als ich durch die Welt stromerte....Hab dafür heute ein sehr scharfes Gehör.
@BerndMichaelGrosch
Wenn ich das mal mitbekommen hätte! Ich erinnere gut, dass bei Oma und Opa immer sehr laut gesprohen werde musste, denn beide waren ziemlich schwerhörig! Eigentümlicherweise musste man aber dennoch aufpassen, was man sagte, denn sie bekamen trotzdem so einiges mit ...
Opa hat mir irgendwann sein Stetoskop geschenkt, das er von einer Hebamme hatte. Klar waren meine Kinder scharf auf das kleine Holzgerät! Und ihm half das natürlich nur bedingt. Heute weiß ich, dass er eine gravierende Hochtonschwerhörigkeit hatte, die ich leider geerbt habe. Und bei uns haben alle eine relativ tiefe Stimme. Erklärt dann auch wieder.
Überflüssigerweise verpasste mir mein Göga Silvester 2000 durch sein Stressverteilen einen Hörsturz, so dass ich mit 56 Jahren auf dem rechten Ohr ertaubte. Dafür war ich für ihn dann einfach nur noch dumm, obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.
Heute genieße ich es sehr, dass ich dank beidseitiger Hörgeräteversorgung tagsüber gut klar komme und meine Nächte nicht von dem dauerhaften Verkehr vor dem Haus gestört werden. Meine vorherige Wohnung lag gegenüber einem Kino, wo gegen >Mitternacht stets die Besucher lachend und laut redend auf die Straße strömten. Mit sehr gutem Gehör wär ich garantiert davon wach geworden. Aber da die Hörgeräte im Ohr gedrückt hätten?! Ist heute zum Glück eine andere Zeit!
@nnamttor44 Mit der Lärmberieselung hast Du leider recht - für mich ist es manchmal unerträglich, was für Andere noch nicht laut ist. In meiner indischen zeit im Dschungel wiederum war es sehr gut, denn nichts und Niemand konnte sich ungehört anschleichen...😁
@BerndMichaelGrosch
So interessant ich den Besuch im Dschungel gefunden hätte, aufgrund des nicht ausreichend vorhandenen Gehörs hätte ich wohl eher nicht den indischen Dschungel erkundet. Allenfalls hätte ichdurchbrechende Elefanten - wohl zu spät - gehört ... 😮👎
@nnamttor44 Nun, ich lebte dort etliche Jahre - Elefanten gab es nicht, doch Raubtiere.😌
nnamttor44
Das ist sehr interessant und zum Nachempfinden geschrieben, danke-
Ähnliches konnte man früher in jungen Jahren öfter finden, dann hieß
es kühl tun und empfindlich getroffen sein. Damals gab es noch das
Sprichwort" Zeit heilt alle Wunden. Fragt sich nur welche----
Heute schießen die sog. Hater wie Pilze aus der Erde. Was da alles
gesagt und beleidigt wird, spottet jeder Beschreibung.
Oft frag ich mich, wo dieser Hass wohl herkommt, wer ernährt den ?
DAS ist ein ganz anderes Kapitel, das ist nicht nur oberflächlich,,
das ist böse richtig böse.
So mancher junger Mensch hat das nicht verkraftet. Auf Besserung
kann ich gar nicht mehr hoffen,
Trotz alledem einen schönen Abend
ohne Ärger und Hass aber mit viel Freude
Distel1fink7