Frau Müller und die online-Inserate


Beinahe hätten die beiden Telefonanrufe Dombrowskis Leben durcheinander gebracht und ihn zu einem Gefangenen gemacht.
Auf zwei online-Plattformen hatte Dombrowski unabhängig voneinander zwei Inserate gepostet. Im ersten Inserat suchte er eine Haushaltshilfe, die ihm wöchentlich oder alle vierzehn Tage hilft, seinen Junggesellenhaushalt auf Vordermann zu bringen. Kurz und gut: Dombrowski suchte eine Putze, die bei ihm wischt und abstaubt. Nicht mehr - und nicht weniger! Dombrowskis Absicht war klar und deutlich in der Anzeige formuliert, obwohl er nicht den abwertenden Begriff "Putzfrau", sondern das schönere "Raumpflegerin und Haushaltshilfe" benutzte.

Ebenso klar und deutlich war eigentlich auch der Text der zweiten online-Anzeige: Darin suchte Dombrowski, begrenzt auf den Raum Berlin, eine Mitspielerin oder einen Mitspieler für seine wöchentliche Skat-Gruppe. Zwar war sein Freizeitverhalten auch ohne Skat nicht langweilig, aber ab und zu mal neue Leute kennenlernen und gleichzeitig das Gehirn trainieren, hat ja auch etwas für sich. Gutgläubig und naiv wie Dombrowski unter Umständen ist, gab er in beiden Inseraten auch seine Telefonnummern an und wartete auf Resonanz.

Die Resonanz auf das erste Inserat kam nahezu sofort.
„Hier ist Frau Müller, auch ich bin bereits etwas älter, aber ich bin sehr fleißig, ich betone: seehr fleißig, sauber, zuverlässig und ich kann Ihnen zu Ihrer vollsten Zufriedenheit Ihren Haushalt führen, und…“ sie machte eine geschwängerte Pause, „vor allem bin ich Deutsche und nicht irgend so eine aus Osteuropa, bei der Sie womöglich auch noch um Ihr Eigentum bangen müssen…“

Den Redeschwall unterbrechend flötete Dombrowski so freundlich wie möglich: „Liebe Frau Müller, ich bin nicht sicher ob Sie mein Inserat richtig verstanden haben, denn ich suche niemand zur Führung meines Haushaltes, sondern schlicht und einfach eine gelegentliche Zugehfrau!“ Wieder wollte er den Begriff 'Putzfrau' vermeiden, obwohl der treffender gewesen wäre. „Außerdem“, fuhr Dombrowski mit einigem Nachdruck fort, „außerdem ist es mir piep-egal, ob sie Deutsche oder Flüchtling aus Syrien, der Ukraine oder dem Irak sind. Ich möchte nur, dass bei mir in meiner kleinen Junggesellenwohnung regelmäßig geputzt und gesaugt wird!“

„Ach soo…!“ Erstauntes Schweigen auf der anderen Seite. Aber die Müllerin hatte sich schnell gefasst. "Wissen Sie was“, verkündete sie kurzerhand, „am besten Sie lernen mich erst einmal persönlich kennen, dann werden Sie sehen dass ich die Richtige für Sie bin, ich komme gleich mal bei Ihnen vorbei…!“
Dombrowski kann nicht mehr sagen, warum er sich übertölpeln ließ, aber er wollte sie am Telefon loswerden, gab ihr tatsächlich seine Adresse und eine knappe Stunde später stand sie vor Dombrowskis Wohnungstür.

Sie war etwa Mitte Fünfzig, mit einem Kostüm aufgetakelt wie eine historische Fregatte, oder als würde sie sich als Gesellschaftsdame in mittelalterlichen Adelskreisen bewerben. Sie hatte nicht nur glitzernde Klunker an den Fingern und dicke Perlenketten am Hals, sondern auch tüchtig Make-up im Gesicht, worauf Dombrowskis Sympathie sofort Höchstform erreichte und sein Körper fröstelnd von einer Gänsehaut heimgesucht wurde.

Aber jetzt ritten ihn viele kleine Teufelchen und er überlegte, wie weit und wie lange er dieses makabre Spiel mitspielen würde.
„Denken Sie wirklich, die richtige Frau für meine Bedürfnisse zu sein?“ fragte er scheinheilig und sie antwortete ohne nachzudenken: „Aber Sie werden doch auch in Ihrem Alter noch Bedürfnisse haben, wenn Sie wissen was ich meine?!“
„Ich weiß leider nicht, was Sie meinen, liebe Frau Müller! Ich suche, wie gesagt, nur eine gelegentlich Putzhilfe. Das heißt, einmal pro Woche zwei Stunden, dreißig Euro netto!“

„Und wer kocht Ihnen das Essen? Wer geht einkaufen? Wer bemuttert Sie? Wer unterhält sich mit Ihnen? Wer teilt Freud und Leid in schweren und in schönen Stunden mit Ihnen? Ein Mannsbild wie Sie kann doch nicht alleine und ohne Frau leben! Sie brauchen doch jemand, der sich um Sie kümmert! Da geht es doch nicht nur ums Putzen, sondern um das ganze Drumherum bei einem Junggesellen!“ Zärtlich berührte Frau Müller Dombrowskis Arm und spätestens jetzt musste er langsam beginnen die Notbremse zu ziehen.
„Wenn, wenn ich ehrlich sein soll, liebe Frau Müller“, begann er hilflos stotternd, „aber kochen und einkaufen erledige ich gerne alleine, ich brauche auch niemand der sich um mich kümmert oder mich betüttelt, ich bin kein Pflegefall und kann für mich selbst sorgen. Auch mein Zärtlichkeitsbedürfnis hält sich in Grenzen, der sexuelle Notstand ist auch noch nicht ausgebrochen und der ist außerdem an Sympathie gebunden. Ich komme sehr gut alleine zurecht! Ich suche tatsächlich nur eine Putzfrau!“ So, jetzt musste sie es endlich kapiert haben!

Nein! Hatte sie nicht! Wie eine Marktschreierin fuhr sie unbeirrt in ihrer Überzeugungsarbeit fort: „Sie wissen garnicht, was Ihnen alles entgeht, guter Herr! Zum Beispiel abends gemütlich bei einem Glas Rotwein auf der Couch vor dem Fernseher kuscheln. Sich im Gespräch austauschen, die schönen Dinge des Lebens gemeinsam erledigen, zusammen den Urlaub am Meer genießen...". Horrorvorstellungen tauchten vor Dombrowskis geistigem Auge auf, aber Frau Müller ließ nicht locker und fragte: "Wäre das nichts für einen Mann wie Sie…?“ Sie machte eine Pause, sah ihn herausfordernd an und fügte dann lauernd hinzu: „Oder mögen Sie am Ende keine Frauen…?“

„Finden Sie nicht, dass Sie jetzt ein bisschen zu persönlich werden, liebe Frau Müller?“ fragte Dombrowski mit leicht gehobener Stimme. Aber jetzt wurde auch Frau Müller spitz und unwillig. „Na ja, Sie müssen ja wissen was Sie wollen!“ entgegnete sie. „Jeder ist sich seines Glückes Schmied!“

Deutlich deutete Dombrowski zur Tür, um den Abschied einzuleiten. Aber er wollte Frau Müller noch Gelegenheit für einen guten Abgang geben und seine Abneigung nicht allzu deutlich zeigen. „Ich habe mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben. Bedauerlicherweise haben wir nicht die gleichen Vorstellungen. Ich wünsche Ihnen aber Glück und Erfolg bei Ihren weiteren Bemühungen…!“ Dezent drängelte er sie zur Tür.

„Bei nüchterner Überlegung entsprechen Sie ohnehin nicht meinen Vorstellungen!“ sagte Frau Müller. „Wenn Sie eine billige Putze wollen, müssen Sie sich eine andere suchen! ICH komme dazu NICHT in Frage! Schließlich hatte ich es nur gut gemeint mit Ihnen. Aber Sie wissen ja meine Hilfsbereitschaft nicht zu schätzen!“ Stolz und mit erhobenem Kopf stöckelte sie aus der Wohnung. Dombrowski atmete auf.
*
Kaum hatte er sich von dem Schreck erholt, klingelte das Telefon erneut. Es war - noch einmal Frau Müller: „Also, auch wenn aus uns beiden nichts geworden ist“, sprudelte es aus dem Hörer, „aber in ihrem zweiten Inserat suchen Sie doch eine Partnerin zur gemeinsamen Freizeitgestaltung…“
Dombrowski war zu überrascht, um gefasst zu antworten, sondern stammelte nur: „Aber gute Frau Müller, ich suche keine Freizeitpartnerin, sondern eine Mitspielerin für unsere Skatgruppe…“
„Skat kann ich sowieso nicht“, sagte Frau Müller. „Aber Rommé, Mau-mau und Canaster!“
„Und warum rufen Sie dann noch mal an, wenn Sie für die Skatrunde nicht infrage kommen?“ erwiderte Dombrowski, jetzt doch ziemlich genervt.
„Man kann doch nicht den ganzen Tag Skat spielen“, antwortete Frau Müller entrüstet und mit einem Vorwurf in der Stimme.
„Ich spiele auch nicht den ganzen Tag Skat“, wehrte sich Dombrowski verzweifelt. „Nur einen Abend in der Woche!“
„Und was machen Sie mit dem Rest Ihrer Freizeit?“ schrie jetzt Frau Müller.
In diesem Moment klingelte Dombrowskis Handy. Er entschuldigte sich für einen Moment, ging zum Handy, kam dann zu Frau Müller zurück und sagte: „Ich muss unser Gespräch leider beenden, liebe Frau Müller. Aber meine Freundin ruft mich gerade an, sie möchte sich mit mir für heute Abend verabreden…!“
„Was, Sie haben eine Freundin?!“ rief Frau Müller. „Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt?!“ Damit legte sie auf und Dombrowski hat seitdem nichts mehr von Frau Müller gehört. Obwohl er sich vorstellen könnte, sie ruft noch einmal an und will ihn davon überzeugen, dass nicht seine Freundin, sondern Frau Müller die Richtige für ihn ist. Noch ist nicht aller Tage Abend...

*
Michael Kuss (Berlin)

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