Eine folgenschwere Verwechselung


Wortlos verließ Frank sein Elternhaus, stieg ins Auto und fuhr über die Grenze, obwohl es noch zu früh war, um sich mit Milena zu treffen. Aber das Wetter war schön und so schlenderte er durch die Straßen von Stułice. Als er ein Einkaufszentrum erreichte, staunte er, dass es auch am Sonntag geöffnet war. Er ging hinein und sah sich um. Bei seinem Rundgang geriet er unvermittelt in die Damenabteilung einer Textilhandelskette.
Als er diese gerade wieder verlassen wollte, erblickte er plötzlich Milena. Er sah ihr eine Weile von Weitem belustigt zu, wie sie Kleider von Ständern nahm und in einem Gang mit Kabinen verschwand, dann wieder herauskam, die Kleider zurückhängte und neue in eine andere Kabine mitnahm. Irgendwann hatte er genug vom Zuschauen. Als sie wieder einmal aus der Kabine kam, passte er sie lachend ab und sie begrüßten sich zärtlich. Sie holte sich erneut einige Kleider und wie selbstverständlich begleitete er sie in die Umkleidekabine. Mit Freude sah er zu, wie sie sich auszog, um eines der Kleider anzuprobieren. Da es ihr zu groß war, drückte sie es ihm in die Hand und gab ihm den Auftrag, ihr das gleiche Kleid eine Nummer kleiner zu bringen. So brauchte sie sich nicht jedes Mal zwischendurch anzuziehen und die Kabine zu verlassen. Er war sofort dazu bereit, suchte den betreffenden Kleiderständer und fand auch das gewünschte Kleid mit der richtigen Größe. Er nahm es an sich und ging zu dem Gang mit den Kabinen zurück. Er öffnete die Kabinentür nur so weit, dass er gerade hindurchschlüpfen konnte. Als er Milena das Kleid geben wollte, stand da zu seinem Schreck eine fremde halbnackte Frau, die laut schrie, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte. Frank bat stotternd um Verzeihung, aber es half nichts, denn im Nu erschien eine Verkäuferin und kurz danach ein Warenhausdetektiv, der sich in aller Ruhe den Ort des Geschehens ansah – vor allem die halbnackte Kundin. Erst als diese sich etwas übergezogen hatte, zerrte er Frank auf dem Gang zwischen den Umkleidekabinen. Alle anderen Kundinnen ste­ckten die Köpfe heraus, um zu sehen, was da los war. Auch Milena schaute verwundert aus der Kabine, die derjenigen gegenüber lag, die Frank gerade versehentlich betreten hatte. Sie sah, wie Frank abgeführt wurde und ihre anfängliche Erheiterung ging schnell in Mitleid über.
Eilig zog sie sich an und lief hinter dem unter Protest mitgeschleiften Frank her, bis sie die Tür erreichte, hinter der der Detektiv mit ihm soeben verschwunden war. Sie klopfte energisch an, aber es dauerte eine Weile bis eine Frau die Tür öffnete und fragte: „Czego chcesz?“ Milena dachte jedoch nicht daran, diese Frage zu beantworten, vielmehr stürmte sie mit der Bravour einer Löwenmutter, der man ihr Junges weggenommen hat, in den Raum. Dort sah sie nämlich Frank mit Handschellen gefesselt auf einem Stuhl sitzen. Vor ihm stand der Detektiv, der gerade die Faust erhob, vermutlich um Frank damit ins Gesicht zu schlagen. Wie von einem Katapult abgeschossen schnellte Milena auf den Detektiv zu, riss ihn zu Boden und drehte ihm den Arm auf den Rücken, sodass er kampfunfähig liegenblieb.
Die Kaufhausangestellte hatte indessen schon ihr Handy am Ohr, um die Polizei zu rufen. Als Milena den Mann wieder losließ, sprang er auf und es kam zu einem erregten Wortwechsel, dem Frank nicht folgen konnte, da er auf Polnisch geführt wurde. Auf Handgreiflichkeiten verzichtete der Detektiv lieber, da er wohl ahnte, dass er den Kürzeren ziehen würde.

Nach dem Eintreffen der Polizei, versuchten alle Parteien gleichzeitig, den Polizisten mitzuteilen, was sich ihrer Meinung nach ereignet hatte. Die Ordnungshüter lösten das Problem, indem sie Frank und Milena mittels Handschellen verbanden und sie ins Polizeiauto verfrachteten. Der Detektiv fuhr in seinem eigenen Auto hinterher.
Auf der Polizeiwache mussten Milena und Frank nebeneinander auf der Arme-Sünder-Bank Platz nehmen. Der Detektiv saß auf der anderen Seite des Tisches zusammen mit zwei Polizisten.

Es begann ein Verhör, dem Frank mangels Sprachkenntnissen nicht folgen konnte, aber er vertraute Milena voll und ganz. Er hörte an ihrer energischen Stimme, dass sie sich vehement ins Zeug legte. Am Ende wurden lediglich die Personalien aller Beteiligten aufgenommen, dann durften sie gehen.
Frank hatte jetzt nur eine Frage.

„Wie hast du den Detektiv so schnell zu Boden gerungen? Kannst du Judo?“
Milena lachte.

Ich habe den braunen Gürtel in Kung Fu.“

Aus dem Buch "Geliebte Feindin - verhasste Freunde" von Wilfried Hildebrandt


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