Die Geschichte eines Düsseldorfer Hafenkindes und ihrer Zeit..


6. Fortsetzung

Elena absolvierte noch den Rest ihrer Schulzeit und ging mit einem guten Zeugnis, das ihr aber wenig nützte, in das Pflichtjahr. Sie war jetzt 14 Jahre alt. Sie arbeitete von morgens 6 Uhr30 bis abends 7 Uhr auf einem Bauernhof in der Umgebung von Kopfing, für 15.- RM im Monat - ohne Rentenversicherung.
Landwirte zahlten damals in Österreich noch nicht in eine Rentenversicherung ein. Das wurde erst in den frühen fünfziger Jahren Gesetz.

Der Hofbesitzer war an der Front und die Landwirtschaft musste von der Bäuerin und von einem Ukrainer, sie nannten ihn Johann, bewältigt werden. Elena war für den Haushalt und viele andere Arbeiten zuständig. Vier Kinder, im Alter von einem bis sechs Jahren, mussten versorgt werden.

Das Wasser mußte in Eimern vom Brunnen geholt werden. Kochen, waschen am Brunnen, auf dem Feld arbeiten, jeden Freitag die Fußböden und Treppen des ganzen Hauses mit Ata und kaltem Wasser schrubben.
Holz sägen mit dem Ukrainer, auch ganze Baumstämme mit Johann wurden im Wald gefällt. Manchmal, wenn Johann gut gelaunt war, zeigte er Elena Photos von seiner Familie. Elena staunte über seine hübschen Schwestern, über die herrlichen Zöpfe, die fast den Boden berührten, über die kunstvoll gestickten Trachten. Das waren keine Untermenschen .

Die Bäuerin war nicht gut zu den beiden. Nie kam ein freundliches, anerkennendes Wort über ihre Lippen. Nie kam eine Unterhaltung zustande. Johann besaß mehr Kultur als sie - zumindest nicht weniger. Dann kam das Kriegsende und Elena war von dieser Art Zwangsarbeit befreit.

Was ist aus ihm geworden? Was ist ihm und seinen Landsleuten geschehen? Welchem Schicksal wurden sie nach ihrer” Befreiung” ausgeliefert ?
Elena weiß jetzt, dass sie laut eines Übereinkommens der Militärbehörden, in Viehwaggons verfrachtet, an Rußland ausgeliefert wurden. Die Ukrainner wußten,was ihnen dort bevorstand und viele versuchten verzweifelt aus den fahrenden Zügen zu springen. Die, denen es gelang, wurden wieder aufgegriffen und abtransportiert.
Menschen, die mithalfen, dass die Versorgung der Deutschen während des Krieges nicht zusammenbrach, wurden schlechter behandelt als das Vieh.

Am Gemeindebüro befand sich ein Mauervorsprung. Unter diesem war nackte Erde und davor ein Eisengitter. Dort, zusammengekauert, in der äußersten Ecke, hockte ein Ukrainer, wegen einer Geringfügigkeit zu dortigem tagelangen Aufenthalt, ohne Essen und Trinken, verdammt.

Die kleineren Schulkinder hänselten ihn, und versuchten mit Stöcken ihn zu erreichen.

Weil ein Ukrainer es wagte, sich in eine ansässige Österreicherin zu verlieben, wurde er mit großer Ankündigung gehängt, und alle Ukrainer der Umgebung wurden gezwungen, es mitanzusehen.

Auch das, sollte nicht vergessen werden.


Wehe den Besiegten. Deutschland zahlte für das, was es anderen Völkern angetan hatte. Dabei kam Österreich noch glimpflich weg. Seine Städte waren nicht so zerstört, wie die der Deutschen. Auch durften Österreicher alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, was den Reichsdeutschen verboten war. Für “Reichsdeutsche verboten” stand an den Zügen.

Doch ich habe wieder der Zeit vorgegriffen.

Und nun will ich die Geschichte erzählen, die sich wirklich so zugetragen hat.

Im Herbst 1942 hatte der Bürgermeister des Ortes, Wimmer war sein Name, ein Einsehen und wies der kleinen Familie einen etwas größeren Wohnraum zu, bei einem anderen Bauern. Jetzt hatten sie einige qm mehr zur Verfügung. Sie wohnten nun nicht mehr an der Hauptstraße im Zentrum des Ortes, sondern unterhalb des Pfarrhofes und der schönen Pfarrkirche, gerade derselben, in der die gestrenge Nonne den Kindern fromme Lieder und Nächstenliebe (man verzeihe mir die kleine Bosheit) beibrachte. Sie waren alle glücklich.

Ob es die Eigentümer des Hofes waren, ist eine andere Frage. Aber so war es nun einmal, wer Platz hatte, musste Platz abgeben, an die, die keinen hatten. Wie auch immer, sie haben es nie an ihren neuen Mitbewohnern ausgelassen. Ganz im Gegenteil - die Mutter bekam ihre Einkellerungs-Kartoffeln, Obst, sofern genießbar - da überwiegend Mostobst- durfte aufgeklaubt werden. Elena und ihr Bruder saßen wie selbstverständlich mit am Tisch bei der Jause und schnitten sich auf einem Holzbrettchen dünne Scheibchen vom fettigen, aber herzhaften Speck ab, stippten ihn in Salz und Pfeffer und tranken den von den Binderleuten selbstgepressten Most aus einem Krug.

Elena half bei der Heu, Korn und Kartoffelernte oder beim Zusammenharken der letzten Ähren. Oder da, wo sie sich gerade nützlich machen konnte, soweit Schule und Schularbeiten und die gestrenge Mutter es zuließen. Die Mutter ging weite Wege um ein paar Eier oder mal ein Stück hausgemachte Butter zu ergattern. Die Lebensmittelmarken reichten vorn und hinten nicht. Besonders dann nicht, wenn die Schwester in den Ferien kam oder der Vater auf Urlaub war. Dann wurde es eng und Elena musste ihr Bett räumen und schlief in einer kleinen Kammer, die nur in Notfällen benutzt wurde. Aber das war ihr sehr lieb, hier konnte sie bis nach Mitternacht lesen - ihren geliebten “Seydlitz”.

Dieser Reitergeneral hatte ihr gewaltig imponiert. Hatte er es doch gewagt, dem Preußenkönig Friedrich dem Zweiten, dessen Befehl „..doch endlich anzugreifen..“ zu verweigern. Auf den Ausruf Friedrichs: ” Er haftet mir mit seinem Kopf für die Bataille.“, antwortete der General: “..Majestät, der Kopf wird noch gebraucht, nach der Schlacht steht er Majestät zur Verfügung.“
Ich glaube, das war bei Roßbach oder Zorndorf. Toller Kerl, „echt cool“ würde man heute sagen.

Auch „Karl May Bücher“ wurden verschlungen. Doch das dauerte nicht lange. Von einem Tage auf den anderen, hatte sie keinen Spaß mehr daran und sie las in den Büchern, die ihre Schwester manchmal zurückließ. Unter anderem auch Goethe ....fantastisch !

„....wenn der Menschen Mund vor Gram verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide..“ oder sie las Sappho von Grillparzer „...nach Frauenglut mißt Männerliebe nicht, wer Liebe kennt und Leben, Mann und Frau ..gar wechselnd ist des Mannes rascher Sinn, dem Leben untertan, dem wechselnden...“

Und nun zum ernsten Teil der Geschichte:
Der Brunbauer Alois war schon als junger Mann Mitglied der damals noch verbotenen NSDAP geworden. Die Landbevölkerung Oberösterreichs, besonders auch die von Kopfing, war in jener Zeit sehr arm. Elena hatte das von einer Bäckersfrau erfahren, die ihr erzählte, dass oft sogar eine Rolle Nähgarn angeschrieben werden musste. Ihre Bücher wären voll von diesen Anschreibungen gewesen. Die Leute hätten einfach nicht bezahlen können. Man muss dieses wissen, um zu verstehen, wie es möglich war, dass so viele Menschen jubelten, als Hitler Österreich heim in’s Reich holte.

Nun der Brunbauer Alois hatte an das Gute dieser Sache geglaubt und sich auch dafür eingesetzt. Reden hat er keine gehalten, aber die Fahne beim Umzug hat er getragen. Er war von Beruf Fassbinder und Landwirt und sicher kein großer Parteibonze. Er sprach nicht viel darüber und mit der Zeit wurde er immer stiller.

Stalingrad fiel. Die deutschen Städte versanken in Schutt und Asche.
Graf Stauffenberg wurde gefasst und hingerichtet.
Göbbels schrie,
Elena hat es selbst gehört:
“Wollt ihr den totalen Krieg - wollt ihr ihn totaler als jemals ein Krieg gewesen ist?“ “ Und das geladene Volk schrie: ”Ja!!“

Elenas Schwester war aus Westpreußen, wo sie als Lehrerin eingesetzt war, mit dem letzten Treck aufgebrochen, um in den Westen zu gelangen.
Der Treck blieb stecken und wurde von den Russen eingeholt. Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von Schlagentin, Krs. Konitz wurden sofort erschossen.

Ruth hatte sich vorher von dem Treck getrennt, als sie erkannte, dass kein Weiterkommen mehr war. Es gelang ihr, den letzten Zug für den Verwundetentransport zu erreichen. Ihre Fahrt führte über Berlin, wo der Zug, trotz deutlicher Rote Kreuz - Kennzeichnung, von englischen Tieffliegern angegriffen wurde. Es gab viele Tote und Verwundete und Ruth hat die Schreie der Verwundeten und Sterbenden niemals vergessen.

Ihre Flucht gelang - total erschöpft traf sie in Kopfing ein. Sie wurde dann vom Schulrat in Schärding als Lehrerin in Taufkirchen a.d. Pram eingesetzt.
Bei dieser Gelegenheit lernte sie auch den Kreisleiter des Kreises Schärding kennen. Von ihm wird jetzt die Rede sein.

Dieser Kreisleiter stammte aus Süddeutschland und war bei dem Marsch zur Feldherrnhalle der Siebte an Hitlers Seite gewesen. Dafür wurde er dann, später, nach der “Machtergreifung,“ Kreisleiter. Er wollte Schärding kampflos an die amerikanischen Sieger übergeben, doch der Befehl des zuständigen Offiziers einer SS Einheit, verhinderte es.
Schärding sollte verteidigt werden, so wollte es die SS.

Sechs Hitlerjungen büßten das noch in den letzten Tages des Krieges mit ihrem Leben.


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Kommentare (1)

Traute da sind doch noch ein paar regionale Besonderheiten.
Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie man die Menschen "begeistern" kann. Manipulieren wäre besser ausgedrückt.
Das Zusammentreffen von Rundfunk als Propagandamittel und einem Mann der die Menschen blind und blöd machen konnte und ein bereites Kapital(nicht nur in der Rüstung) machten das Komplott komplett.
Die kurze Zeit der Republik, noch in den Kinderkrankheiten, die politische Umwälzung in Rußland der unglücklich(für Deutschland) ausgegangene 1. Weltkrieg. Das alles zusammen und das mit Charisma vorgetragene, ihr seid doch die, die es zeigen können und müssen, der Welt natürlich, fiel auf fruchtbarem Boden.
Wir haben es erlebt und mahnen, aber wir werden täglich weniger Augenzeugen...
Mit ganz freundlichen und neugierigen Grüßen,
Bis zum nächsten Kapitel,
Traute

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