Der Wind und die Feder


Der Wind und die Feder

Ein alter Mann saß auf einer Bank im Park und betrachtete den See. Jeden Morgen kam er hierher, setzte sich hin und ließ seine Gedanken schweifen. Eines Tages bemerkte er eine kleine Feder, die vom Wind erfasst wurde. Sie wirbelte in der Luft, stieg hoch, sank ab und ließ sich treiben, ohne Widerstand.

Neben ihm saß ein junger Mann, der offensichtlich mit sich selbst kämpfte. Er starrte auf sein Handy, seufzte tief und fuhr sich durch die Haare. Schließlich sprach er den Alten an: „Wie machen Sie das? Sie sehen so ruhig aus, als hätten Sie keine Sorgen.“
Der Alte lächelte. „Vielleicht, weil ich gelernt habe, loszulassen.“

„Loslassen?“, fragte der Junge verwirrt. „Was meinen Sie damit? Es gibt Dinge, die man nicht einfach aufgeben kann. Probleme lösen sich doch nicht von allein.“

Der Alte nickte. „Das stimmt. Aber nicht alles muss gelöst werden, weißt du. Manchmal geht es darum, den Griff zu lockern. Schau dir diese Feder an.“

Der Junge folgte seinem Blick und sah, wie die Feder durch die Luft tanzte.

„Die Feder kämpft nicht gegen den Wind“, fuhr der Alte fort. „Sie gibt sich ihm hin und findet so ihren Weg. Manchmal treibt sie, manchmal fällt sie, aber sie bleibt leicht.“

„Und wie soll mir das helfen?“, fragte der Junge.

„Nun“, sagte der Alte, „stell dir vor, du bist diese Feder. Deine Sorgen und Ängste sind wie schwere Steine, die du mit dir herumträgst. Wenn du lernst, sie loszulassen, wirst du leichter. Das heißt nicht, dass du deine Probleme ignorierst, aber du hörst auf, dich an das zu klammern, was du nicht ändern kannst.“

Der Junge schwieg eine Weile, dann legte er sein Handy beiseite und ließ seinen Blick über den See schweifen. Die Feder war inzwischen verschwunden, irgendwohin getragen vom Wind.

Der Alte stand auf, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Denk daran, manchmal bist du der Wind, manchmal die Feder. Beides ist in Ordnung.“

Mit diesen Worten ging er davon, während der Junge noch lange auf das Wasser starrte und zum ersten Mal das Gefühl hatte, ein bisschen leichter zu atmen.


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Kommentare (4)

Marlen13

Manchmal bist du der Wind, manchmal die Feder. 
Das ist oft im Leben so, man muß es akzeptieren.
Habe es mit Interesse gelesen. Liebe Grüße in den Sonntag für dich.
❤️ lichst Marlen 

doep56

Liebe @Marlen13,
danke für deinen Kommentar und ich wünsche dir noch einen federleichten Restsonntag😉
Lieber Gruß, Doris 

Winterbraut

Eine schöne Geschichte über das Loslassen.
Fällt auch mir schwer - das gebe ich zu ( obwohl ich in meinem Alter klüger und einsichtiger sein sollte).

Liebe Grüße 
Ingrid


 

doep56

Liebe Ingrid,
loslassen ist keine Frage von Alter oder Klugheit, sondern eine zutiefst menschliche Herausforderung, die uns immer wieder im Leben begegnet.
Unabhängig von den Jahren, die wir gelebt haben, oder den Erkenntnissen, die wir gewonnen haben. Es berührt unsere Herzen, unsere Erinnerungen, unsere Träume, unser generelles Leben und das macht es oft so schwer.

Es ist okay, dass Loslassen schwer fällt. Es ist ein Weg, den wir immer wieder üben dürfen, egal wie alt oder klug wir sind. 😊

LG Doris


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