DER ALTE MANN UND SEIN RAD.
Schön war der Tag. Beinahe zu schön für diese Jahreszeit. Es war immerhin schon Ende Oktober. Seine Gedanken waren ganz einfach. Soll ich ? Soll ich nicht ? Er liebte sein Rad und fragte sich, soll ich noch eine Radtour wagen wo dieser Herbsttag doch so schön ist. Liebevoll streichelte er über den ledernen Sattel, seine Hand streifte die gedrehten Federn, doch sorgenvoll blieb sein Blick auf den verrosteten Speichen und dem Rost auf den Schutzblechen hängen. Ach ja, dachte er, die alte Lampe funktioniert ja auch nicht mehr. Der Dynamo war zu schwer und er hatte ihn abgeschraubt. Puh, schnaubte er, am Tag wird mich ja keine Polizei anhalten und wenn schon. Mehr als eine Ermahnung kann es ja nicht geben. Mit viel Liebe hatte er das Rad der Marke Singer gepflegt, seit Jahrzehnten hatte es ihm treue Dienste geleistet. Ohne Schnickschnack, wie Gangschaltung und so Zeug. Wie er es nannte. Eigentlich war sein Rad seine große Liebe geblieben, nachdem seine Frau, die Else gestorben war. Sie hatten unendlich viele Touren gemacht auch die Else hatte ein solches Rad.
Wie oft waren sie durch den schönen Herbstwald gefahren, hatten den Vögeln gelauscht, zu ergründen gesucht welcher Vogel da sein Lied in den Wald trällerte.
Also los geht’s, fahr noch mal.
Der Wald lag hoch über der Stadt, als Junge stellte die Steigung kein Hindernis für ihn dar, er stieg aus dem Sattel und seine Beine traten kraftvoll die Pedale. Doch jetzt ? Mit 80 Jahren geht das nicht mehr. Die Beine sind zu schwer, die Oberschenkel brennen schon bei Gegenwind. Geschweige denn den Berg hinauf. Aber wozu gibt es denn den Bus ? Die Werbung versprach doch den Preis für die Fahrradmitnahme stabil zu halten und das wollte er nutzen. Kostete doch sein Ticket und der Fahrschein für das Rad nicht die Welt.
Also los.
Die Haltestelle war nicht weit von seiner Wohnung entfernt und er stemmte sein Rad hinauf auf die mittlere Plattform, lehnte es an eine der Stangen und begab sich zum Fahrer um seinen Fahrschein zu lösen. Den müsse er aber erst noch entwerten, sagte der Fahrer. Ja ja antwortete er - und ging zum Automaten in der Mitte. In diesem Moment startete der Fahrer den Bus und fuhr mit einem Tempo an, sodass sich der alte Mann nicht mehr festhalten konnte und der Länge nach zu Boden stürzte. Hochgerappelt rief er laut : > Mensch sie fahren ja wie eine gesengte Sau !< Das erboste den Fahrer, er bremste stark ab ,- der alte Mann wäre fast wieder gestürzt – und rief > Sowas möchte ich nicht noch einmal hören.< Da entschuldigte sich der Alte mit den Worten > Das ist mir so herausgeplatzt, entschuldigen Sie schon, aber Sie fahren wirklich so! <
War das nun eine Entschuldigung oder eine Wendung wie sie von Politikern bisweilen gebraucht wird um sich zu rechtfertigen ? Egal, der Fahrer sagte nichts mehr, fuhr aber weiter im rasanten Tempo auf die rot zeigende Ampel zu und dann wieder bremsend, dass man sich schon ständig festhalten musste um nicht hinzufallen. Dabei hielt der Alte Mann auch noch sein Fahrrad fest. An der letzten Haltestelle vor der Steigung standen zwei Frauen mit Kinderwagen. Der Fahrer bellte wie ein Unteroffizier durch den Bus : >Der Mann mit dem rostigen Drahtesel muss jetzt aussteigen !<
Bumms. Das saß aber. Darauf erhielt der Alte Unterstützung von den Müttern, die zusammen rückten und das Rad noch genug Platz hatte hinter den Kinderwagen.> Auf eigene Verantwortung < , rief der Fahrer barsch.
Die Fahrt bergauf ging auch in einem Tempo als wenn da eine Verspätung aufzuholen wäre. Was überhaupt nicht der Fall war. Sogar andere Fahrgäste beschwerten sich über diese Fahrweise, was den Fahrer überhaupt nicht beeindruckte.
Endlich war die Endstation erreicht und der alte Mann hob sein schweres Rad aus dem Bus. Die Rückfahrt, so dachte er, werde ich mit meinem Rad gemütlich den Berg hinab fahren. Erst einmal aber schob er seinen Drahtesel, wie er das Rad nannte, über Baumwurzeln auf den Trampelpfad in den Wald hinein. Er freute sich auf das Zwitschern der Waldvögel. Doch oh graus, sein Drahtesel gab Geräusche von sich, die jeden Vogel verstummen ließen.
Mal quietschte der Sattel, mal klapperten die Bleche, dann schleifte ein Schutzblech. Er ärgerte sich über seine Nachlässigkeit. Er hätte sich ja schon eher mal drum kümmern können ob das Rad in Ordnung sei. Als er den Schaden behoben hatte schlug eine Speiche gegen die Vordergabel. Endlich gab er es auf, schob das Rad und konnte nun den Vögeln zuhören. In einer Schutzhütte saß er eine Weile, freute sich dieser Stille und begab sich langsam auf den bergab führenden Fußweg, der sich in sanften Windungen ins Tal schlängelte. Wie schön die Wiesen rechts des Weges im Sonnenlicht hell grün leuchteten. Wie gemalt als Untergrund für Butterblumen, das blaue Wiesenschaumkraut und die weiße Hundekamille. Dann setzte er sich auf seinen Drahtesel und fuhr los. Die Rücktrittbremse gab ein furchtbares Geräusch von sich, die Handbremse am Lenker versagte den Dienst und er wurde immer schneller. Aber dann funktionierte die Bremse und so kam er wieder zum Stehen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und machte eine Atempause bevor er weiterfuhr.
Plötzlich ein Knacken, die Kette riss und er trat ins Leere. Sein Rad wurde immer schneller und er konnte die Fahrt nicht stoppen. An der nächsten Biegung fuhr er geradeaus in eine Hecke, flog in hohem Bogen ins Gebüsch und sein Rad hinterher. Es dauerte eine ganze Weile bis er wieder zu sich kam und eine Kinderstimme hörte die fragte , ob ihm wohl etwas passiert sei ?
Er schob sein Rad von seinem Körper und wollte aufstehen, aber es ging nicht .Ein furchtbarer Schmerz ließ ihn aufschreien. Wahrscheinlich hatte er sich ein Bein gebrochen und er bekam kaum Luft. Sicher eine Rippenprellung dachte er noch . Mittlerweile kamen die Eltern des Kindes und telefonierten sofort nach dem Notarzt. Der kam nach kurzer Zeit mit dem Rettungswagen und versorgte den Alten um ihn ins Krankenhaus zu bringen. > Mein Fahrrad, mein Fahrrad< rief er noch auf der Trage. > Die alte Rostkarre gehört doch auf den Schrottplatz < sagte da der Sanitätsfahrer. Dem alten Mann kullerten ein paar Tränen die Wange herab, aus Schmerz ? oder über sein Fahrrad ? Als sie ihn auf die Trage hoben hörte er das Zwitschern der Vögel…..
© H.K.20.11. Heiner
Wie oft waren sie durch den schönen Herbstwald gefahren, hatten den Vögeln gelauscht, zu ergründen gesucht welcher Vogel da sein Lied in den Wald trällerte.
Also los geht’s, fahr noch mal.
Der Wald lag hoch über der Stadt, als Junge stellte die Steigung kein Hindernis für ihn dar, er stieg aus dem Sattel und seine Beine traten kraftvoll die Pedale. Doch jetzt ? Mit 80 Jahren geht das nicht mehr. Die Beine sind zu schwer, die Oberschenkel brennen schon bei Gegenwind. Geschweige denn den Berg hinauf. Aber wozu gibt es denn den Bus ? Die Werbung versprach doch den Preis für die Fahrradmitnahme stabil zu halten und das wollte er nutzen. Kostete doch sein Ticket und der Fahrschein für das Rad nicht die Welt.
Also los.
Die Haltestelle war nicht weit von seiner Wohnung entfernt und er stemmte sein Rad hinauf auf die mittlere Plattform, lehnte es an eine der Stangen und begab sich zum Fahrer um seinen Fahrschein zu lösen. Den müsse er aber erst noch entwerten, sagte der Fahrer. Ja ja antwortete er - und ging zum Automaten in der Mitte. In diesem Moment startete der Fahrer den Bus und fuhr mit einem Tempo an, sodass sich der alte Mann nicht mehr festhalten konnte und der Länge nach zu Boden stürzte. Hochgerappelt rief er laut : > Mensch sie fahren ja wie eine gesengte Sau !< Das erboste den Fahrer, er bremste stark ab ,- der alte Mann wäre fast wieder gestürzt – und rief > Sowas möchte ich nicht noch einmal hören.< Da entschuldigte sich der Alte mit den Worten > Das ist mir so herausgeplatzt, entschuldigen Sie schon, aber Sie fahren wirklich so! <
War das nun eine Entschuldigung oder eine Wendung wie sie von Politikern bisweilen gebraucht wird um sich zu rechtfertigen ? Egal, der Fahrer sagte nichts mehr, fuhr aber weiter im rasanten Tempo auf die rot zeigende Ampel zu und dann wieder bremsend, dass man sich schon ständig festhalten musste um nicht hinzufallen. Dabei hielt der Alte Mann auch noch sein Fahrrad fest. An der letzten Haltestelle vor der Steigung standen zwei Frauen mit Kinderwagen. Der Fahrer bellte wie ein Unteroffizier durch den Bus : >Der Mann mit dem rostigen Drahtesel muss jetzt aussteigen !<
Bumms. Das saß aber. Darauf erhielt der Alte Unterstützung von den Müttern, die zusammen rückten und das Rad noch genug Platz hatte hinter den Kinderwagen.> Auf eigene Verantwortung < , rief der Fahrer barsch.
Die Fahrt bergauf ging auch in einem Tempo als wenn da eine Verspätung aufzuholen wäre. Was überhaupt nicht der Fall war. Sogar andere Fahrgäste beschwerten sich über diese Fahrweise, was den Fahrer überhaupt nicht beeindruckte.
Endlich war die Endstation erreicht und der alte Mann hob sein schweres Rad aus dem Bus. Die Rückfahrt, so dachte er, werde ich mit meinem Rad gemütlich den Berg hinab fahren. Erst einmal aber schob er seinen Drahtesel, wie er das Rad nannte, über Baumwurzeln auf den Trampelpfad in den Wald hinein. Er freute sich auf das Zwitschern der Waldvögel. Doch oh graus, sein Drahtesel gab Geräusche von sich, die jeden Vogel verstummen ließen.
Mal quietschte der Sattel, mal klapperten die Bleche, dann schleifte ein Schutzblech. Er ärgerte sich über seine Nachlässigkeit. Er hätte sich ja schon eher mal drum kümmern können ob das Rad in Ordnung sei. Als er den Schaden behoben hatte schlug eine Speiche gegen die Vordergabel. Endlich gab er es auf, schob das Rad und konnte nun den Vögeln zuhören. In einer Schutzhütte saß er eine Weile, freute sich dieser Stille und begab sich langsam auf den bergab führenden Fußweg, der sich in sanften Windungen ins Tal schlängelte. Wie schön die Wiesen rechts des Weges im Sonnenlicht hell grün leuchteten. Wie gemalt als Untergrund für Butterblumen, das blaue Wiesenschaumkraut und die weiße Hundekamille. Dann setzte er sich auf seinen Drahtesel und fuhr los. Die Rücktrittbremse gab ein furchtbares Geräusch von sich, die Handbremse am Lenker versagte den Dienst und er wurde immer schneller. Aber dann funktionierte die Bremse und so kam er wieder zum Stehen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und machte eine Atempause bevor er weiterfuhr.
Plötzlich ein Knacken, die Kette riss und er trat ins Leere. Sein Rad wurde immer schneller und er konnte die Fahrt nicht stoppen. An der nächsten Biegung fuhr er geradeaus in eine Hecke, flog in hohem Bogen ins Gebüsch und sein Rad hinterher. Es dauerte eine ganze Weile bis er wieder zu sich kam und eine Kinderstimme hörte die fragte , ob ihm wohl etwas passiert sei ?
Er schob sein Rad von seinem Körper und wollte aufstehen, aber es ging nicht .Ein furchtbarer Schmerz ließ ihn aufschreien. Wahrscheinlich hatte er sich ein Bein gebrochen und er bekam kaum Luft. Sicher eine Rippenprellung dachte er noch . Mittlerweile kamen die Eltern des Kindes und telefonierten sofort nach dem Notarzt. Der kam nach kurzer Zeit mit dem Rettungswagen und versorgte den Alten um ihn ins Krankenhaus zu bringen. > Mein Fahrrad, mein Fahrrad< rief er noch auf der Trage. > Die alte Rostkarre gehört doch auf den Schrottplatz < sagte da der Sanitätsfahrer. Dem alten Mann kullerten ein paar Tränen die Wange herab, aus Schmerz ? oder über sein Fahrrad ? Als sie ihn auf die Trage hoben hörte er das Zwitschern der Vögel…..
© H.K.20.11. Heiner
Kommentare (6)
kleiber
...was machst du doch für Sachen ????
Mach es nicht wieder...du wirst hier noch gebraucht...
Es ist wunderbar ...gefühlvoll geschrieben...ich konnte nicht aufhören zu lesen...
Liebe Grüsse zu dir ...Margit...
Mach es nicht wieder...du wirst hier noch gebraucht...
Es ist wunderbar ...gefühlvoll geschrieben...ich konnte nicht aufhören zu lesen...
Liebe Grüsse zu dir ...Margit...
stefanie
Alle Achtung,Du hast es wenigstens probiert und daraus wurde noch eine schöne Geschichte. stefanie
finchen
ja Heiner, wenn's dem Esel zu wohl wird, geht er auf's Eis. Oder war's die Kuh?
Aber, ich bin mitgefahren, meine Kondition ist auch nicht mehr das, was sie mal war, obwohl mein Drahtesel noch in Topform ist, aber eben die Alte nicht. Ich kann auch nur eine Strecke bergab fahren und das ist in die Stadt rein und wenn ich zurückfahre geht es ständig bergauf und dann mit Gepäck? Nee, ich habe aufgegeben. Wenigstens schön, daß Du die Vögel zwitschern gehörst hast - in welcher Form auch immer.
Liebes Grüßchen
dat Moni-Finchen
Aber, ich bin mitgefahren, meine Kondition ist auch nicht mehr das, was sie mal war, obwohl mein Drahtesel noch in Topform ist, aber eben die Alte nicht. Ich kann auch nur eine Strecke bergab fahren und das ist in die Stadt rein und wenn ich zurückfahre geht es ständig bergauf und dann mit Gepäck? Nee, ich habe aufgegeben. Wenigstens schön, daß Du die Vögel zwitschern gehörst hast - in welcher Form auch immer.
Liebes Grüßchen
dat Moni-Finchen
nixe44
... in den 80 Jahren nichts dazu gelernt?
Fragt mal ganz unverschämt, die neugierige nixe.
Wie sagt man so schön? Hals und Beinbruch, nö das wünsche ich Dir nicht.
Glück auf oder steh auf, das klingt besser.
Liebe Grüße
Monika
Fragt mal ganz unverschämt, die neugierige nixe.
Wie sagt man so schön? Hals und Beinbruch, nö das wünsche ich Dir nicht.
Glück auf oder steh auf, das klingt besser.
Liebe Grüße
Monika
indeed
hast du so feinfühlig geschrieben. Obwohl sie ein trauriges Ende hat, ist sie inhaltlich so voller schöner Details erzählt - ich habe sie sehr gern gelesen. Offensichtlich hat du alles gut überstanden und das tröstet.
Danke Dir, Heiner.
Mit lieben Gruß
Ingrid
Danke Dir, Heiner.
Mit lieben Gruß
Ingrid
Gut dass so schnell Hilfe kam.