Busfahren - der Weg ist das Ziel!



Vorbemerkung: Diese Geschichte hat den ersten Preis in einem Literatur-Wettbewerb gewonnen. Da es sich dabei weitestgehend um das Thema ESSEN drehte, habe ich dafür auch eine Super-Friteuse bekommen. Die Geschichte ist in einer Anthologie („Buchstabensuppe“) zu lesen und zu kaufen.
Hier gibt’s sie umsonst!


Busfahren ist eine Weltanschauung, eine Daseinbewältigung, ein gesellschaftliches Ereignis oder einfach ein Lebensabschnitt, den man mit mehr oder weniger wechselndem Umfeld verbringt. Auf jeden Fall ist das so in Südamerika, fernab des so geordneten Daseins wie beispielsweise in Mitteleuropa oder genauer gesagt, in Deutschland.
Wenn man also irgendwohin will, nimmt man den Bus. Eine Busreise bedarf entsprechender Vorbereitung, da kann man nicht einfach einsteigen. Es wird also gekocht und gebraten und gebacken, möglichst viele leckere Kleinigkeiten.
Spezialität von Amália waren Pastetchen oder Crevetten, das sind etwa daumengroße Teigrollen, die mit Hühnerfleisch oder Stockfisch gefüllt sind. Lebensnotwendig sind auch die in Bahia so geschätzten Acarajé, das sind in Palmöl frittierte Klöße aus Zwiebeln und eingeweichten Perlbohnen, mehrfach durch den Wolf getrieben und die, mit einer teuflisch scharfen Soße gefüllt, einem ohne einen Hauch von Arbeit schon den Schweiß auf die Stirn treibt.
Nun, wenn alles in große Henkelkörbe verpackt ist ( nicht zu vergessen der selbstgebrannte Zuckerrohrschnaps) und die anderen Sachen auch (wie Kleidung und was man sonst noch auf eine Reise mitnimmt), zieht man sich sein Sonntagszeug an und begibt sich mit der ganzen Familie an die Strasse, wo der Bus vorbeikommen wird. Üblicherweise hat man jetzt genügend Zeit, sich auch innerlich auf eine Reise einzustellen und überdenkt, ob man auch entsprechend ausgerüstet ist.
Amália war es.
Eine riesige Staubwolke nähert sich, hüllt alle ein und als sie sich aufgelöst hat, steht er da, der Bus! Umständliches Küssen und Schulterklopfen, der Koffer kommt aufs Dach, die beiden Körbe presst Amália an sich und besteigt den Bus, gründlich beäugt von allen Mitreisenden.
Und dann beginnt es: das Reisen! Amália macht es sich bequem, schaut in die Runde, lässt ein paar Anstandsminuten verstreichen und zieht dann triumphierend das Tuch vom Korb:
„Amália - mein Name! Bitte sehr: Acarajé! - Selbstgemacht!“
Da kommt Bewegung in die Mitreisenden:
„Oooh! Aaah! Kööstlich, hiimmlisch! - Ich bin so frei,“
und man langt zu, voll des Lobes.
Und nun werden in aller Gründlichkeit erst einmal die verschiedenen Zubereitungsarten von Acarajé und der dazugehörende Pfeffersoße besprochen, wie überhaupt die überragende Schmackhaftigkeit und die Vielfalt der bahianischen Küche, beispielhaft belegt durch allerlei Köstlichkeiten aus den überall geöffneten Körben.
Und um dazugehörigen Senhores, die sich natürlich in eine nicht enden wollende lautstarke Diskussion über die brasilianische Fußballszene gestürzt haben, bei Laune zu halten, lässt man (frau) in nicht zu kurzen Abständen, begleitet von ziemlich nutzlosen Ermahnungen zur Zurückhaltung, ab und zu ein Glas Zuckerrohrschnaps kreisen.
So vergeht Stunde um Stunde. Es wird gesungen, man bewundert die extra mitgenommenen Fotos, es werden Familiengeschichten zur allgemeinen Beratung freigegeben. Und da eine Busreise vom Norden Brasiliens in den Süden wegen der anfallenden Unwägbarkeiten, verursacht durch das Wetter, den Zustand des Busses oder der Straßen, und wegen der Entfernung von einigen tausend Kilometern schon mal einige Tage dauern kann, gewinnt der sich entwickelnde fast familiäre Zusammenhalt immer mehr an Bedeutung in Richtung Schicksalsgemeinschaft.

Und irgendwann ist es dann wieder soweit – eingestiegen ist eine Spezialistin für die nicht enden wollende Vielfalt der brasilianischen Süßspeisen mit ihren fantasievollen Namen, die schon das Himmelreich auf Erden vorwegnehmen, als da beispielsweise sind: Papos-de-anjo (mehr inhaltlich als wörtlich: Engelsküsschen) - man nehme 12 Eigelb, schlage sie zu einer homogenen Masse, fülle sie in kleine runde Formen und backe sie im Backofen. Sodann erhitze man einen halben Liter Wasser, schütte ein Kilo braunen Zucker hinein, koche es bis es sirupähnlich ist und schmecke mit Orangenblütenwasser ab. Nachdem alles abgekühlt ist, kommen die gebackenen Eigelb hinein. Eigentlich alles sehr einfach! Man isst es gekühlt, ein Schlag Sahne rundet den Geschmack und die Hüften noch mehr ab.
Also: Eingestiegen ist Máthilda, ausgestattet mit zwei verhängten Henkelkörben und üppigen Hüften. Nach einem Blick in die Runde zur Abschätzung der Lage lässt sie einige Anstandsminuten verstreichen, lüftet das Tuch des Korbes mit einem erwartungsvollen Lächeln:
„Mathilda – mein Name! Bitte sehr: Papos-de-Anjo! - Selbstgemacht!“

Nun ja, was soll ich sagen? Meine Reise war wie eine tagelange Familienfeier. Da während der Fahrt uns manchmal liebgewordene Gäste verließen, aber auch neue dazukamen, ergab sich auch im Essen und Trinken, in der Musik und den Erzählungen ein Querschnitt durch die so verschiedenartigen Kulturen dieses riesigen Landes. Selten habe ich in so kurzer Zeit so viele offene und freundliche Menschen ohne Vorbehalte anderen gegenüber getroffen. Und vor allem: selten wurde ich so freundlich, offen und ehrlich willkommen geheißen und in die Gemeinschaft aufgenommen.
Leider musste ich in São Paulo den Bus verlassen, ich hatte mein Ziel erreicht, wäre aber eigentlich noch gern weitergefahren, sind doch gerade in Rio einige ältere Herren eingestiegen, die mit Musik aus dem Norden des Landes reisen. Und Amália? Ihr Ziel? Und Mathilda? Ich weiß nicht einmal, wohin sie wollten.
Schon fällt mir der Lieblingsspruch eines meiner deutschen Bekannten ein: „Der Weg ist das Ziel!“ Tatsächlich – diesmal hat er wirklich recht – fast! Eine der Grundweisheiten des Laotse fast richtig zugeordnet, wobei Laotse auch davon ausging, das sich das Ziel aus dem Wege entwickelt, also sich während des Weges durchaus neu definieren kann.
Ein wahrhaft unerschöpfliches Thema! Leider haben wir das hier in unserem doch so fortschrittlichen Land ein wenig aus den Augen verloren. Hier handeln wir eher nach dem Wort: Das Ziel ist das Ziel, Der Weg dorthin ist nur das Mittel zum Zweck. Wie viel Menschlichkeit ist uns während der letzten Jahrzehnte auf unserem Wege zu einer der großen Wirtschaftsmächte der Welt verloren gegangen!

Es leben Amália und Máthilda – schlicht, einfach, vertrauensvoll, hilfsbereit, offen, ehrlich, liebenwert - : Menschlich!


Acarajé
Zutaten für 4 Portionen: 250 g Zwiebeln, 500 ml Palmöl (Dendé-Öl), 500 g Schwarzaugenbohnen, 1 EL Salz, 0.5 EL Pfeffer,
Zubereitung:
Die Bohnen über Nacht kalt einweichen. Bohnenhäute entfernen (am besten eine Handvoll Bohnen nehmen und gegeneinander reiben). Bohnen abspülen und abtropfen lassen. Zwiebeln pellen und grob zerteilen. Zwiebeln und Bohnen durch den Wolf treiben. Mit Pfeffer und Salz würzen. Palmöl in einer großen hohen Pfanne erhitzen. Bohnenmasse esslöffelweise hineingeben und in ca. 6 bis 8 Minuten von beiden Seiten goldbraun ausbacken. Auf Küchenpapier abtropfen lassen. Zum Servieren die Bällchen aufschneiden und mit Pfeffersauce (Molho de Pimenta) füllen. Die gefüllten Bällchen kalt oder warm servieren.

Die Pfeffersoße besteht aus:
50 ml Palmöl
50 g gemahlener Malagueta-Pfeffer
1 TL gemahlener Ingwer
1 TL Salz
1 kleine fein gehackte Zwiebel

castellanos

Anzeige

Kommentare (2)

castellanos Hallo Traute,
Vielleicht sollte man doch noch ergänzen:
Die Geschichte ist in der Basis authentisch – ich habe sie selbst erlebt.
Allerdings ist die Busfahrt rund 40 Jahre her. Heutzutage gibt es das nicht in der Intensität nicht mehr.
Das Erstaunen, das Du ansprichst, gibt es allerdings heute noch. Es befällt es mich jedes Mal, wenn ich nach längerem Auslandsaufenthalt unter Einheimischen wieder nach Deutschland komme und plötzlich diesen unpersönlichen und oft ruppigen Umgang miteinander erlebe.
Ist das der Preis, den wir für unseren Wohlstand zahlen?
castellanos
Traute Eine wundervolle ganz normale menschlich richtige Verhaltensweisen erkennen lassende Erzählung.
Nur, eines fällt aus der Rolle, das Erstaunen über die menschliche Natürlichkeit, Geselligkeit, Unbefangenheit.
Das sind doch alles Prädikate unseres Menschseins?
Hier wo ich fast 50 Jahre lebe in Sachsen, war es ähnlich und bei den Alten ist es noch zu finden, was Du schilderst. Bei der Jugend verkümmert die Eigenschaft Empathie.
Schade, dass wir schon staunen, wenn wir die Eigenschaften die den Menschen vom Tier so eindeutig unterscheiden, dann muss sie ja nun leider im Abnehmen begriffen sein.
Deine Geschichte(authentisch?), sollte man in den Schulen
in Sozialkunde anwenden, sie ist ein Meisterstück, wie Du das Wichtige so nebenbei, als Nettigkeit, zum Abschluss vorbringst.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute

Anzeige