Auf gute Nachbarschaft
Es klingelt bei mir! Aber wie!!! Drei, vier, fünfmal hintereinander! Es war aber kein liebliches Weihnachtsglöckchen, das mit zärtlichem Läuten an Christkind und Lebkuchen erinnert. Nein, es war das impertinente Schrillen meiner Türglocke, das eher Katastrophenalarm vermuten lässt: Drinnggg, drinnggg, drinnggg! Ein Tobsuchtsanfall von Jürgen Klopps war Kinderkram dagegen!
Und es erwischte mich im tiefsten Tiefschlaf und in süßesten Träumen: Ich lümmelte mich nämlich gerade in einem Liegestuhl am Mittelmeer, eine eisgekühlte Pina-Colada in der Hand und im Begriff, eine Urlaubsschönheit anzubaggern, da riss mich diese Wumme von Türklingel aus dem Mittagsschlaf in die Realität.
Ich katapultierte meine verschlafenen Knochen herum und hockte steif wie Buddha im Bett. Verstört wie ein aus dem Koma Erwachender stellte ich mir die Frage: Wer und wo bin ich? Was will ich hier? Ein erneutes Wahnsinnsklingeln versetzte mich endlich in den Wachzustand; meine Denkmaschine begann zu rotieren. Aha, es war also jemand an der Tür und wollte etwas von mir…
Aber wer? Und um diese Zeit? Wie spät war es? Ich rieb mir die Augen. Halb Drei! Nachts oder nachmittags? Durch die Fensterscheiben drang Sonnenlicht. Ich begann mich an den Mittagsschlaf zu erinnern. Langsam wurde das Mosaik erkennbar. Ich schraubte mich aus dem Bett und schwankte, in dem ich mich an den Wänden festhielt, benommen zur Tür.
Wer konnte das sein?
Der Briefträger?
Der kann seinen Kram doch in den Briefkasten werfen. Aber vielleicht hat er ein Einschreiben?
Ein Einschreiben? Um Himmels Willen!
Welche Rechnung habe ich nicht bezahlt? Von welcher Behörde erwarte ich Unangenehmes? Wurde ich geblitzt oder stand ich im Halteverbot? Oder waren es die Kinder aus der Nachbarschaft, die jetzt gleich „Süßes oder Saures?" rufen würden. Erschrocken stellte ich fest, ich hatte keine Bonbons zu Hause. Da wird es wohl gleich Saueres für mich geben!
Vielleicht waren es die Zeugen Jehovas oder irgendwelche anderen Bibelgetreuen?! Na warte, denen werde ich was erzählen! Meine Stimmung war auf tiefstem Kellertreppenniveau.
Als ich die Tür öffnete, stand der Paketbote vor mir und strahlte mich mit einem entwaffnenden Lächeln an. „Ach wie schön, dass Sie zu Hause sind!“ flötete er. „Es gibt doch noch hilfsbereite Nachbarn!“ Damit hielt er mir ein mittelgroßes Paket vor die Nase. „Das ist für Ihre Nachbarn, Familie Winkler aus dem vierten Stock! Die sind nicht zu Hause. Es macht Ihnen doch sicher nichts aus, das Paketchen für ihre Nachbarn anzunehmen!?“
Von so viel Freundlichkeit überwältigt, brummte ich „Geben Sie’s her!“ und streckte die Hand aus.
„Wenn Sie hier bitte noch unterschreiben möchten!“ sagte er und hielt mir ein Wundergerät hin, in das er vorher Zahlen und Daten eingegeben hatte. Mit meinem Zeigefinger zirkelte ich eine Krakelei auf das Gerät, die meine Unterschrift, aber auch ein verunglücktes Picasso-Gemälde hätte sein können.
Im Weggehen sagte der junge Mann noch: „Ich hab‘ Sie doch hoffentlich nicht aus dem Mittagsschlaf geweckt?“ und betrachtete mich abschätzend.
„Nein, nein!“ versicherte ich eilig. „Ich war nur mal kurz eingenickt! Alles in Ordnung!“
„Dann ist es ja gut!“ sagte der Paketmensch. „Was tut man nicht alles für ein gutes Nachbarschaftsverhältnis!“
„Ja!“ stimmte ich zu, dachte aber: ‘Ist nur komisch, dass es immer mich erwischt. Denn ich wohne ganz unten Parterre, bin fast immer zu Hause und schon zur Paketpackstation für’s ganze Haus geworden. Vielleicht sollte ich bald mit dem Briefmarkenverkauf beginnen?
Ich schließe die Tür, lege das Paket zur Seite und schalte die Kaffeemaschine ein. Als ich dann meinen Kaffee genieße, bin ich mit mir und der Welt wieder versöhnt. Eigentlich hat der Paketmensch ja recht, überlege ich: Es geht in einem Haus nichts gegen eine gute Nachbarschaft! Und in unserem Haus habe ich unendliches Glück gehabt. Alle grüßen sich freundlich, aber die freundlichen Worte arten nicht in respektlosen Klatsch und Tratsch aus. Wenn jemand in Urlaub fährt oder krank ist, kümmern wir uns um den Nachbarn und um die Sicherheit der Wohnung. Die Kinder aus dem ersten Stock führen gelegentlich meinen Hund aus, und zwei Nachbarn haben sogar ihre Ersatzschlüssel bei mir hinterlegt, für den Fall der Fälle. Da kann ich mich ruhig mal aus Schlaf und Traum reißen lassen; schließlich geht nichts über eine gute Nachbarschaft...
*
Michael Kuss (Berlin)
Und es erwischte mich im tiefsten Tiefschlaf und in süßesten Träumen: Ich lümmelte mich nämlich gerade in einem Liegestuhl am Mittelmeer, eine eisgekühlte Pina-Colada in der Hand und im Begriff, eine Urlaubsschönheit anzubaggern, da riss mich diese Wumme von Türklingel aus dem Mittagsschlaf in die Realität.
Ich katapultierte meine verschlafenen Knochen herum und hockte steif wie Buddha im Bett. Verstört wie ein aus dem Koma Erwachender stellte ich mir die Frage: Wer und wo bin ich? Was will ich hier? Ein erneutes Wahnsinnsklingeln versetzte mich endlich in den Wachzustand; meine Denkmaschine begann zu rotieren. Aha, es war also jemand an der Tür und wollte etwas von mir…
Aber wer? Und um diese Zeit? Wie spät war es? Ich rieb mir die Augen. Halb Drei! Nachts oder nachmittags? Durch die Fensterscheiben drang Sonnenlicht. Ich begann mich an den Mittagsschlaf zu erinnern. Langsam wurde das Mosaik erkennbar. Ich schraubte mich aus dem Bett und schwankte, in dem ich mich an den Wänden festhielt, benommen zur Tür.
Wer konnte das sein?
Der Briefträger?
Der kann seinen Kram doch in den Briefkasten werfen. Aber vielleicht hat er ein Einschreiben?
Ein Einschreiben? Um Himmels Willen!
Welche Rechnung habe ich nicht bezahlt? Von welcher Behörde erwarte ich Unangenehmes? Wurde ich geblitzt oder stand ich im Halteverbot? Oder waren es die Kinder aus der Nachbarschaft, die jetzt gleich „Süßes oder Saures?" rufen würden. Erschrocken stellte ich fest, ich hatte keine Bonbons zu Hause. Da wird es wohl gleich Saueres für mich geben!
Vielleicht waren es die Zeugen Jehovas oder irgendwelche anderen Bibelgetreuen?! Na warte, denen werde ich was erzählen! Meine Stimmung war auf tiefstem Kellertreppenniveau.
Als ich die Tür öffnete, stand der Paketbote vor mir und strahlte mich mit einem entwaffnenden Lächeln an. „Ach wie schön, dass Sie zu Hause sind!“ flötete er. „Es gibt doch noch hilfsbereite Nachbarn!“ Damit hielt er mir ein mittelgroßes Paket vor die Nase. „Das ist für Ihre Nachbarn, Familie Winkler aus dem vierten Stock! Die sind nicht zu Hause. Es macht Ihnen doch sicher nichts aus, das Paketchen für ihre Nachbarn anzunehmen!?“
Von so viel Freundlichkeit überwältigt, brummte ich „Geben Sie’s her!“ und streckte die Hand aus.
„Wenn Sie hier bitte noch unterschreiben möchten!“ sagte er und hielt mir ein Wundergerät hin, in das er vorher Zahlen und Daten eingegeben hatte. Mit meinem Zeigefinger zirkelte ich eine Krakelei auf das Gerät, die meine Unterschrift, aber auch ein verunglücktes Picasso-Gemälde hätte sein können.
Im Weggehen sagte der junge Mann noch: „Ich hab‘ Sie doch hoffentlich nicht aus dem Mittagsschlaf geweckt?“ und betrachtete mich abschätzend.
„Nein, nein!“ versicherte ich eilig. „Ich war nur mal kurz eingenickt! Alles in Ordnung!“
„Dann ist es ja gut!“ sagte der Paketmensch. „Was tut man nicht alles für ein gutes Nachbarschaftsverhältnis!“
„Ja!“ stimmte ich zu, dachte aber: ‘Ist nur komisch, dass es immer mich erwischt. Denn ich wohne ganz unten Parterre, bin fast immer zu Hause und schon zur Paketpackstation für’s ganze Haus geworden. Vielleicht sollte ich bald mit dem Briefmarkenverkauf beginnen?
Ich schließe die Tür, lege das Paket zur Seite und schalte die Kaffeemaschine ein. Als ich dann meinen Kaffee genieße, bin ich mit mir und der Welt wieder versöhnt. Eigentlich hat der Paketmensch ja recht, überlege ich: Es geht in einem Haus nichts gegen eine gute Nachbarschaft! Und in unserem Haus habe ich unendliches Glück gehabt. Alle grüßen sich freundlich, aber die freundlichen Worte arten nicht in respektlosen Klatsch und Tratsch aus. Wenn jemand in Urlaub fährt oder krank ist, kümmern wir uns um den Nachbarn und um die Sicherheit der Wohnung. Die Kinder aus dem ersten Stock führen gelegentlich meinen Hund aus, und zwei Nachbarn haben sogar ihre Ersatzschlüssel bei mir hinterlegt, für den Fall der Fälle. Da kann ich mich ruhig mal aus Schlaf und Traum reißen lassen; schließlich geht nichts über eine gute Nachbarschaft...
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Michael Kuss (Berlin)
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