AHB
Die Untersuchungen, die Besprechungen, Qualen der Chemo und die notwendige Operation waren nach einem Jahr endlich vorbei. Es folgten Bestrahlungen, bei denen man die Nebenwirkungen erst später feststellt. Doch auch die bekam ich mithilfe meines Hausarztes und einer Strahlen-Fachärztin bald in den Griff.
Da meldete sich die Sozialstation der Klinik: wenn ich eine AHB machen wolle, müsste ich noch am letzten Tag der Bestrahlungen einen Antrag auf die Anschlussheilbehandlung stellen. Es dürften nach der letzten Behandlung nicht mehr als fünf Wochen Pause vergehen. Geplant hatte ich das nicht, denn ich kam ganz gut zurecht. Doch es wurde mir dringend empfohlen.
Wir besprachen, wohin ich fahren wolle, um nach den Krebsbehandlungen, die sehr schwächend waren, wieder ein wenig auf die Füße zu kommen, Kräfte zu sammeln. Doch ich hatte längst gespürt, für die gerade abgeschlossenen Behandlungen, die den Körper ganz schön belasten, brauchte ich keine Heilbehandlung. Ich war auch nicht in Depressionen gefallen. Ich empfand es als großes Glück, 43 Jahre mehr Lebenszeit mit meinen Kindern, meinem Enkel erleben zu dürfen, als es meiner Mutter vergönnt gewesen war. Sie hätte als seinerzeit 34-Jährige ganz sicher gern erlebt, ihr Dreimädelhaus heranwachsen zu sehen. Das war ihr nicht vergönnt.
Mir fehlte die AHB, die ich nach den zweimaligen Versteifungen meiner Lendenwirbelsäule zwei Jahre zuvor hätte bekommen sollen, um meinen Alltag wieder bewältigen zu können, sehr viel mehr … Hieß es doch in 2019, ich dürfe erst ein Viereljahr nach der jeweiligen OP meinen Haushalt, dann erst wieder Gartenarbeit machen, Fahrrad oder Auto fahren – heißt, mein Leben zu leben. Dann kam Corona und acht Monate später die Krebsdiagnose. Die war natürlich wichtiger zu beachten!!
Mir wurde von meinem Kostenträger tatsächlich der gewünschte Aufenthalt an der Ostsee gewährt. Die Klinik war sogar ein Schloss und lag nur 300 Meter vom Strand entfernt in einem großen Park!
Die Anreise mit dem Zug war recht beschwerlich. Ich hatte einen großen Koffer für drei Wochen gepackt, den ich eigentlich per Post vorausgeschickt haben wollte, damit ich nicht mit letzter Kraft die Umsteiger bewältigen müsste. Doch genauso kam es. Die Lokführer der Bahn streikten. Ich wagte es nicht, den Koffer vorzuschicken, denn auch die Güterzüge fuhren nicht mehr. Ich wollte nicht, wie ich es während meiner früheren Arbeitszeit bei Patienten schon erlebt hatte, ohne Wechselkleidung und Hygiene-Artikel in der Klinik festsitzen, weil die Koffer zu spät angeliefert wurden.
Zu allem Überfluss fiel auch der ICE aus, der mich den längsten Teil der Strecke befördern sollte. Ein paar Regionalzüge fuhren noch, so dass ich für diese Strecke zweimal zusätzlich umsteigen durfte. Aber in die Etage für die erste Klasse konnte ich nicht auch noch mit Koffer hochklettern oder herunterstolpern! Der Zug wäre beim Umsteigen unweigerlich schon wieder angefahren! Freundliche Fahrgäste halfen mir, den schweren Koffer jeweils auf den Bahnsteig bzw. wieder in einen der Züge zu heben. Für die letzten 12 km gab es einen hauseigenen Kleinbus, der die anreisenden Patienten vom letzten Bahnhof abholte. Trotzdem muss ich wohl einen „geschafften“ Eindruck abgegeben haben.
Anderntags hatte ich meine Aufnahmeuntersuchung und die sehr freundliche Ärztin hatte bereits einen Rollator für mich parat stehen! Auch die Sozialmitarbeiterin in der heimischen onkologischen Klinik hatte offensichtlich meinen Wunsch, vor allem auf meine bislang unberücksichtigten orthopädischen Beschwerden zu achten, wohl weitergegeben. Neben einigen Therapien für meine onkologischen Beschwerden gab es eine Reihe Behandlungen, die mir halfen, doch mit der Zeit etwas besser wieder ans Laufen zu kommen. Nach drei Tagen wagte ich es, mit dem Rollator an die Strandpromenade zu gehen. Bei herrlichem Sonnenschein tat es so gut, auf's Meer zu schauen, kleine Wellen auf den steinigen Sandstrand plätschern zu sehen, das Meerwasser zu riechen … Erst einmal hatte ich nur vormittags Anwendungen, so dass ich die Nachmittage für die Spaziergänge an den Strand nutzen konnte. Und das Spätsommerwetter spielte sogar mit!! Ein Regentag läutete einen stürmischen Tag ein, aber da es auch Regenpausen gab, bin ich dennoch zum Strand gelaufen, um den stärkeren Wellen ein wenig zuzuschauen. Ich liebe seit meiner Kindheit die stürmische See!!
Zum Ende der zweiten Aufenthaltswoche gab es dann doch auch nachmittags die eine oder andere Anwendung mehr. Ich lernte verstehen, warum es seine Zeit braucht, die Ertaubungen meiner Finger und Füße nicht in dieser Reha-Zeit verabschieden zu können. Aber alle Anwendungen, die zuhause weitergeführt werden sollten, sind teils allein nur schwer durchzuführen. Wichtig ist, sich daheim nicht zu viel zu schonen, denn beide Gliedmaßenarten brauchen Anreize, um die Kribbel-Parästhesien zurückgehen zu lassen. Ich werde versuchen, den nur gefühlten Sand in Händen und Füßen so peu á peu abzuschütteln! Mal sehen, wie mir das gelingt!
Die Ärztin hatte mir gleich bei der Aufnahmeuntersuchung einen Taxischen für die Heimreise ausgestellt. Noch einmal allein mit dem Koffer wieder per Bahn fahren, das wollte sie mir nicht zumuten. Das Koffergewicht übrschritt bei weitem den Level, den ich hätte bewegen oder gar tragen dürfen. Ich wurde mit dem hauseigenen Kleinbus bis vor die Haustür gefahren und der Fahrer stellte mir meinen Koffer dort in der Wohnung hin, wo ich mit dem Auspacken am wenigsten Gerenne haben würde! Danke ...
Es war so schön, spätnachmittags in die leuchtenden Kinderaugen meines Enkels und seiner Spielkameraden zu schauen, zu entdecken und zu hören, dass sie sich freuten, Oma Uschi wiederzuhaben!
Ich wünsche das Beste. Die Erzählung ging zu Herzen.💓