Forum Politik und Gesellschaft andere gesellschaftliche Themen Ethik-Debatte: Die Würde des Menschen

andere gesellschaftliche Themen Ethik-Debatte: Die Würde des Menschen

Drachenmutter
Drachenmutter
Mitglied

RE: Ethik-Debatte: Die Würde des Menschen
geschrieben von Drachenmutter
als Antwort auf Anna842 vom 27.04.2024, 13:45:04

Liebe Anna,

dieses Ausgrenzen geschieht ja nicht nur bei Dementen. 

Als mein Mann 2011 seinen schweren Schlaganfall hatte, da haben wir sehr schnell gemerkt, wie sogenannte Freunde handeln. Wir hatten bis dato 25 Jahre lang in einer Gruppe von bis zu 8 Leuten Fantasierollenspiele gespielt. Immer abwechselnd bei einem der Mitspieler zu Hause.
Da mein Mann durch den Schlaganfall rechtsseitig gelähmt war, konnte er nicht mehr Auto fahren und ich hatte nie einen Führerschein gemacht. Die Gruppe kam uns einige Monate nach dem Schlaganfall noch einmal besuchen, vermutlich um zu sondieren, wie es mit dem Weiterspielen steht. Später wurde mir klar, das war ihr Abschiedsbesuch, denn danach hat sich keiner von denen mehr bei uns gemeldet. So wurde nicht nur mein Mann, sondern auch ich aussortiert. Mitgefangen, mitgehangen.

Selbst meine Schwester besuchte uns lediglich einmal hier bei uns zu Hause, nachdem mein Mann von der Reha zurück war. Das war 2012. Sie wollte sich angeblich die lange Fahrt nicht mehr zumuten, konnte aber eine mindestens doppelt so lange Fahrt  zu ihrem Sohn locker hinter sich bringen. 

Ich hätte in den Jahren bis mein Mann 2019 starb, ihre Unterstützung gebrauchen können, aber selbst Telefonate liefen äußerst merkwürdig ab. Ich wurde mit Vorwürfen überhäuft, von wegen, ich würde nie nach ihren Enkelkindern fragen, würde nie fragen, wie es ihr und ihrem Mann geht, meinte ich wäre wohl eifersüchtig und neidisch, dass sie Enkelkinder hat und ich nicht. Dass ich einfach nur ihre Hilfe in der schwierigen Situation in der mein Mann und ich uns befanden, gebraucht hätte, hat sie nicht erkannt.
 
Ich habe sie bei der Beerdigung meines Mannes 2019 zuletzt gesehen und auch da ist sie wohl eher aus Pflichgefühl hingekommen. Danach kühlte unser Verhältnis weiter ab und gipfelte darin, dass sie mir vorwarf, ich wolle immer nur im Mittelpunkt stehen. Sie hatte nichts verstanden, gar nichts. Ich verbat mir daraufhin solche Unterstellungen, wollte nicht länger ihr Fußabtreter sein. Die Folge davon war, dass sie den Kontakt zu mir abbrach. Das war im Februar 2022.

So wird man aussortiert. Und das nur, weil man sich nicht so verhält, wie es erwünscht ist. Das nenne ich würdeloses Verhalten.

Liebe Grüße,
Drachenmutter

Der-Waldler
Der-Waldler
Mitglied

RE: Ethik-Debatte: Die Würde des Menschen
geschrieben von Der-Waldler

Ich glaube, viele Menschen können nicht gut mit Krankheiten anderer umgehen, sie haben auch eine gewisse Scheu, an Krankheit und Tod erinnert zu werden, vermutlich, weil sie irgendwo ahnen, dass es sie ja auch irgendwann einmal betrifft.

Als ich 1995 zwei Wochen zwischen Leben und Tod lag, hat sich wirklich die Spreu vom Weizen getrennt. Selbst ein guter Freund "konnte" mich nicht besuchen, fand Ausreden, machte sich selbst vor, dass ich das ja "sicherlich" überleben würde usw. Zwei, drei Menschen kamen gar nicht mehr, meldeten sich auch nicht mehr, und als ich ihnen viele Monate später begegnete, fielen sie mir um den Hals, weil sie sich so "freuten", dass ich wieder gesund sei (ich bin bis heute nicht gesund).

Aber es gab auch andere. Zwei sehr sehr gute Freunde kamen fast täglich vorbei und hielten die Unsicherheit aus, hielten stand, unterstützten nicht nur mich, sondern auch meine Frau, bei Alltäglichkeiten, bei Besorgungen, bei Arztgesprächen.

Als es mir etwas besser ging, kam eine Kollegin (mit der ich bis dato gar kein besonders gutes Verhältnis hatte, sondern ganz neutral) und motivierte mich anfangs in der Klinik, aufzustehen, optimistisch zu bleiben. Und als ich dann aus der Klinik entlassen wurde, kam sie zu mir nach Haus, holte mich wochenlang (!) mehrmals pro Woche zum Spaziergang ab, damit ich wieder auf die Beine käme. Wir fingen mit Spaziergängen von 100 Metern an... Sie und ihr Mann holten mich dann noch später auch zu kleinen Fahrten in die Stadt ein, zum Eisessen, "Shoppen" usw.

Als ich dann 2 Monate in der Reha-Klinik war, besuchten mich mehrfach Freunde und ein Kollege, und sie brachten stets auch meine Frau mit, damit sie die lange Autofahrt nicht machen musste.

Und so weiter.

Ich habe beides erlebt: Schreckliche und unwürdige Enttäuschungen, aber auch sehr positive Erfahrungen, einige sogar von völlig unerwarteter Seite.

DW

olga64
olga64
Mitglied

RE: Ethik-Debatte: Die Würde des Menschen
geschrieben von olga64
als Antwort auf Der-Waldler vom 27.04.2024, 17:42:49

Lieber D.W.,

die Menschen an sich sind unterschiedlich. Da ist zum einen eine grosse Hilflosigkeit, wenn ein nahestehender Mensch von einer schweren Krankheit berichtet, die ihn ereilt hat. Zuerst ist man vermutlich geschockt,dann sucht man nach passenden Worten (und unterlässt hoffentlich Ratschläge oder Sätze wie "das wird schon werden" und wenn die Hilflosigkeit grösser wird, ziehen sich manche Menschen zurück.

ABer auch die Betroffenen sind unterschiedlich. Als ich vor einigen Jahren eine komplizierte, medizinische Diagnose erhielt, machte ich dies für einige Zeit nur mit mir selbst und meinem behandelnden Arzt aus. Ich musste mich erst selbst mit dieser Tatsache konfrontieren,da auch ich dachte, so etwas betrifft nur die anderen, aber mich sicher nie.
Als dieses Stadium vorüber war,vertraute ich mich Menschen meines grossen Vertrauens an,bat aber zugleich, mich nicht mit weiteren Fragen zu bestürmen,bzw. unabgesprochene Hilfe zu leisten, ohne dies mit mir vorher abgesprochen zu haben.
Das verstanden auch viele nicht und zogen sich zurück.
Andere blieben und haben auch verstanden, dass in solchen Situationen oft Schweigen mehr hilft als endloseGespräche, die an kein Ziel führen.

Olga


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