Eine kleine Betrachtung zur menschlichen Ernährung.

    Stolz stellt Mark die dampfende Schüssel auf den Tisch. "Voilá! Meine neueste Kreation!"

    Beim Anblick des duftenden, ganz in Kräuter gehüllten Bratens, kommt Leben in die kleine Gesellschaft. Peter, der junge Architekt und ehemalige Schulfreund von Mark, Peters Tante Clara und Kathrin, eine etwas schrullige Bildhauerin, feiern zusammen den Geburtstag ihres Freundes.
 
    Kathrin hat die Gesichtsfarbe gewechselt, aber nicht etwa aus Freude. "Du weißt, ich schätze dich als Maler sehr, Mark, aber was die Ernährung angeht - deine Kochkunst in allen Ehren - enttäuscht du mich zutiefst. Wie kann ein sensibler, kluger Künstler wie du heutzutage noch ein solches Delikt begehen? Millionen Menschen leiden in der Welt Hunger, weil ihre besten Ackerböden intensiv mit Futtermitteln für unsere Schweine und Rinder bepflanzt werden. Eine derartige Ausbeutung führt zur allmählichen Verwüstung ganzer Landstriche und nimmt den einheimischen Bevölkerungen mehr und mehr ihre Chance, sich ernähren zu können. Bei diesem Gedanken bleibt mir jeder Bissen Fleisch im Halse stecken, auch wenn es noch so erlesen zubereitet ist!"

    Peter rutscht etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her. "Die Frauen haben ein Talent, uns Männern unsere kleinen Freuden des Daseins zu verderben........"

    "Jetzt bist du ungerecht", unterbricht ihn Tante Clara. "Auch ich bin überzeugte Vegetarierin, wenn auch aus anderen Gründen als Kathrin. Wenn ich nicht aufgehört hätte, Fleisch zu essen, säße ich heute im Rollstuhl."

    Nun ergreift Mark das Wort. "Davon weiß ich ja gar nichts, Clärchen, das musst du mir näher erklären. Früher, als wir drei noch arme Studenten waren, hast du uns oft mit Rinderrouladen oder Schmorbraten durchgefuttert. Wenn ich daran denke, läuft mir jetzt noch das Wasser im Munde zusammen."
    "Toll hattest du gekocht, Tante. Dein Gulasch, echt ungarisch, mit selbstgemachten Knödeln war einfach Klasse! Das waren noch Zeiten!" schwelgt Peter.
    "Siehst aber nicht gerade unterernährt aus", meint Kathrin.
    "Wer redet denn hier von Unterernährung! Ich arbeite im Schnitt 16 Stunden am Tage, meistens auch am Wochenende und immer unter Zeitdruck. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich keinen Diätplan einhalten. Ich esse,  was und wann es mir Spaß macht, aber ich gebe zu, dass das oft mehr ist, als mein Körper braucht."
    "Nicht das Zuviel ist hier wohl das Thema, Peter."
    "Da muss ich dir widersprechen, Mark. Es ist bekannt, dass Fleisch wegen seiner Reizstoffe zum Mehressen verführt. Aber du wolltest wissen, warum ich Vegetarierin wurde.
    Vor einigen Jahren erkrankte ich an einer Arthrose am Knie, die von keinem Arzt und durch kein Mittel geheilt werden konnte und die mir nach und nach jede Bewegungsfreiheit nahm. Ich war drauf und dran zu einem Pflegefall zu werden und stand bereits im menschlichen Abseits. Ich war aber nicht bereit, mich mit solchem Schicksal abzufinden und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Da fiel mir eine Abhandlung über Ernährungskrankheiten von dem berühmten schweizer Arzt Bircher-Benner in die Hände - ihr wisst schon, der Erfinder des Müsli. Seine Darlegung über den Zusammenhang von vegetarischer Kost und Gesundheit überzeugte mich derart, dass ich sofort begann, seine Diätvorschläge zu befolgen.
    In den ersten Tagen schien mein Körper mir diese radikale Umstellung übelzunehmen, aber bald stellte sich ein immer größeres Wohlbefinden ein und nach und nach verschwanden auch die Schmerzen. Und heute, wie ihr seht, führe ich wieder ein ganz normales Leben. Meine Krankheit ist nunmehr ein böser, aber längst vergessener Traum."

    "Soll das etwa heißen, dass der Mensch auf die Ärzte verzichten könnte, wenn er sich vegetarisch ernährt?"
    "Darauf kann ich dir keine Antwort geben, Mark, aber ich meine, dass meine Erfahrungen als Denkanstoß dienen können. Immerhin hat niemand Geringeres als Hippokrates gesagt `Deine Nahrung sei deine Medizin...´ Viele heutige Forschungen besonders über die Bedeutsamkeit der Enzyme scheinen diesen Grundsatz auch zu bestätigen."

    Mark sieht nachdenklich die alte Freundin an, aber bevor er etwas sagen kann, ergreift Kathrin wieder das Wort: "Vor allem aber ist der Vegetarismus die ethische und politische Lösung, das Problem der Überbevölkerung in den Griff zu bekommen..."

    "Um Himmelswillen Mark, schneid endlich den Braten an, bevor Kathrin mir noch den ganzen Abend verdirbt. Schließlich sind wir gekommen, deinen Geburtstag zu feiern. Nichts für ungut, aber bei einem Festessen bin ich nicht auf so tiefschürfende Gespräche erpicht."

    Erstaunlicherweise schmeckt dann doch allen das vorzügliche Mahl und selbst Kathrin macht gute Miene zum bösen Spiel. Mark aber nimmt sich ernsthaft vor, einmal gründlich über das Gesagte nachzudenken.