Die Geschichte des Suppenkaspers hat mir immer gut gefallen. "Nein, die Suppe ess´ich nicht ...!" dieser Spruch war so ganz nach meinem Herzen.

    Die Suppe, die ich auslöffeln sollte, um meinen Eltern eine Freude zu bereiten, nannte sich Schriftstellerei, aber ich konnte ihr keinen Geschmack abgewinnen. Dass sie mir gut tun würde, wollte ich nicht wahrhaben. Und so widmete ich mich ganz anderen Dingen in meinem Leben, und zum Schreiben blieb mir weder Zeit noch Lust. Außerdem lebte ich fast nur noch im Ausland und vergaß dadurch immer mehr meine Muttersprache.

    Als ich jedoch vorrübergehend wieder in Deutschland wohnte, wachte ich eines morgens mit der Gewissheit auf, ein Buch schreiben zu müssen. Nicht ein bestimmtes Buch, sondern irgendeins. Seither ließ mir dieser Gedanke keine Ruhe mehr.

    Die erste Frage, die ich mir stellte, betraf natürlich das Thema. Gab es denn irgend etwas, das sich lohnte, für die Nachwelt festgehalten zu werden? Nach langem Grübeln fand ich einen Stoff, der interessant genug wäre, um darüber zu schreiben. Doch wie sollte daraus ein Buch entstehen? Um etwas Gutes herzustellen, braucht man gutes Werkzeug, aber genau das konnte ich bei mir nicht finden. Ich beherrschte die Sprache nicht genügend, hatte ein schlechtes Gedächtnis, mir fehlte Talent und mit Einfällen und Fantasie war es auch nicht weit her. Das einzige, was mir lag, war systematisches Arbeiten und eine disziplinierte Lebensweise.

    Da ich nicht wusste, wie ich mir die fehlenden Eigenschaften beschaffen konnte, begann ich erst einmal, soviel Material wie möglich zu meinem Thema zusammenzusuchen. Für alles andere, so glaubte ich, würde sich dann die Inspiration einstellen. Aber die Monate vergingen und nichts dergleichen geschah.

    Da gab ich den Gedanken, das Buch selber zu schreiben, auf und entschloss mich, einen Ghostwrighter zu suchen. Betty Mahmoody ist auf diese Art berühmt geworden! Jedenfalls schien mir diese Lösung die einfachste und schnellste, um mich von meinen literarischen Qualen zu befreien, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Aber ich sollte eines Besseren belehrt werden.

    Als ich wieder in meine Wahlheimat Italien zurückgekehrt war, hängte ich meine schriftstellerischen Pläne wieder an den Nagel. Es gab so viele Dinge zu tun, die mir wichtiger erschienen und die mir vor allem Freude machten und mein Selbstwehrtgefühl stärkten, das erheblich ins Wanken geraten war. Zwar hatte ich mir einen bequemen Schreibplatz eingerichtet, doch ich näherte mich ihm nur, um ihn hin und wieder abzustauben. Sein Anblick war mir unerträglich, denn er erinnerte mich nur an die verpassten Gelegenheiten meines Lebens.

    In meiner Kindheit war ich von Büchern, Manuskripten und Schreibmaschinen umgeben, denn meine Eltern schrieben und übersetzten Artikel und Bücher und zu den Freunden des Hauses gehörten Autoren und Verleger. Doch ich war offensichtlich aus der Art geschlagen, denn ich tat alles, um durch das literarische häusliche Netz zu schlüpfen. Je mehr man sich bemühte, mich darin gefangen zu halten, desto mehr versuchte ich, mich dem Einfluss dieser Menschen zu entziehen und entfernte mich immer mehr von der intellektuellen Welt, der ich mich nicht zugehörig fühlte.

    So wurde ich Köchin und gründete eine Familie. Außer meinen häuslichen und ehelichen Verpflichtungen verwirklichte ich einen Traum meiner Kindheit und wurde Stoffbildkünstlerin. Eine schönere Tätigkeit für mein späteres Rentnerdasein konnte ich mir nicht denken. Und wenn ich nicht die schicksalhafte Idee gehabt hätte, ein Buch schreiben zu müssen, wäre einem gemütlichen Lebensabend auch nichts im Wege gestanden.

    Ein Inserat einer Schreibschule in einer deutschen Zeitung weckte mich aus meinem Dornröschenschlaf und ich spürte, dass es um mich geschehen war. Es kam wieder Leben in meine verkümmerte Schriftstellerseele. Hier war endlich eine Gelegenheit, sie vor dem Untergang zu bewahren! Doch ich ahnte nicht, was da auf mich zukommen würde, und das ist nur gut so, denn sonst hätte ich doch noch das Handtuch geworfen. Sollte denn mein Leben nur aus Arbeit bestehen? Hatte ich mich nicht schon genug geplagt?

    Als Antwort auf soviel Selbstmitleid erhielt ich nur strafende Blicke meines besseren Ich´s: Wenn ich mich zu den höher entwickelten Lebewesen zählen wollte, hatte ich auch meine Verpflichtungen dieser Gattung gegenüber! Nämlich edlen Zielen entgegen zu streben!

    Bei meinem Entschluss, die Mühsal eines Schreibkurses auf mich zu nehmen, ging es mir nicht um Ruhm und Ehre, sondern nur darum, den Frieden mit meinem gestörten Innenleben wieder herzustellen. Sehr beharrlich war ich allerdings nicht, denn schon nach einem Jahr gab ich auf. Stattdessen setzte ich mich hin und schrieb mein Buch - das erste und wahrscheinlich letzte meines Lebens.