Ich war sechs Jahre alt, als ich im Hause meiner Eltern eine bedeutende russische Stoffbildkünstelerin kennenlernte: Mascha Schilskaja. Sowohl von dieser schlichten, warmherzigen Frau wie von ihren wunderschönen Werken war ich so beeindruckt, dass sie sich tief in meine Seele eingeprägt hatten. Immer wieder träumte ich davon, auch einmal mit bunten Stoffen Bilder "malen" zu können. Außer meinen Erinnerungen blieb mir von Mascha nur ein prachtvoller, stolzer Hahn aus Seide, dem ich unendlich vieles zu verdanken habe. Aber erst, als ich eines Tages mich nicht mehr der Fürsorge einer Familie widmen musste, da sowohl die Kinder wie der Mann "ausgeflogen" waren, holte ich meine geheimen Wünsche wieder ans Tageslicht und fragte mich, ob ich es vielleicht auch einmal versuchen sollte, ein Bild aus Stoff zu machen. Bei diesem Gedanken kamen aber nur Zweifel in mir auf: ich konnte doch gar nicht zeichnen und Motive zum Nachbilden fielen mir auch keine ein! Und wo sollte ich so kostbare Brokate und Seiden hernehmen? Geld, um sich derartiges Material zu beschaffen war keins da. Also schlechtere Karten konnte ich kaum haben! Zu meiner allgemeinen
Depression auf Grund der plötzlichen Einsamkeit kam nun auch noch
die Enttäuschung hinzu, keine Voraussetzung für ein kreatives
Schaffen zu besitzen. Doch da fiel mir ein altes Sprichwort ein: "Wo ein
Wille ist, ist auch ein Weg".
Bei diesem Gedanken war es mir, als würde ein Windstoß durch mich hindurch fegen und neues Leben in mich hineinblasen. Ohne zu zögern sprang ich hoch und machte mich über Schränke und Schubladen her, um nach Stoffresten und alten Kleidern zu stöbern. Meine Beute war nicht sehr groß, doch für den Anfang würde sie genügen. Immerhin hatte ich eine große Menge Stickgarne in den verschiedensten Farben gefunden, die meine Mutter mir hinterlassen hatte. Nichts konnte und durfte jetzt meinen Tatendrang bremsen! Da mir absolut kein Motiv einfallen wollte, beschloss ich, einen Christstern abzuzeichnen, den ich in einem Laden gesehen hatte. Sofort ging ich hin, um meine kleine Skizze anzufertigen. Die Ladeninhaberin, die ich sehr gut kannte, fühlte sich sichtlich geschmeichelt, dass meine künstlerische Laufbahn in ihrem Laden starten sollte! Ich war schnell mit der Skizze fertig und trug sie beglückt nach Hause. Der erste Schritt war getan! Nun suchte ich die geeigneten Stoffe und Garne aus und machte mich an die Arbeit. Es sollte nur ein kleines Bild werden. Ohne Unterbrechung arbeitete ich die ganze Nacht hindurch und kurz vor Tagesanbruch hielt ich mein erstes kleines Werk in den Händen. Ich hatte es geschafft! Aus meinem Traum war zauberhafte Wirklichkeit geworden. Nun lag es nur an mir, sie festzuhalten und sie immer reicher zu gestalten. Nachdem ich durch einen glücklichen Zufall eine Unmenge von Stoffresten geschenkt bekommen hatte, folgten 10 produktive Jahre, in denen ich Bilder mit den unterschiedlichsten Motiven genäht hatte. Ich nähte viele Stunden täglich und freute mich über alles, was aus meinen Händen entstand. Vor sieben Jahren war dann alles vorbei. Meine Finger gehorchten mir nicht mehr. Es war ein trauriger Abschied. Meine vielen wunderbaren Stoffreste - sie füllten inzwischen einen ganzen Schrank - schenkte ich einem Kindergarten und meine Garne bekam meine Schwester. Aber es ist gut, dass es so kam. Denn nun konnte ich mich vielen anderen neuen und spannenden Dingen widmen. |