Hurra, ich komme in die Schule !

Das muss ich doch gleich vorwegnehmen: im Gegensatz zu den meisten Menschen, die ich kenne, habe ich die Schule geliebt. Dabei war ich nie eine Streberin, wie man vielleicht annehmen könnte. 
Hierzu will ich meinen Physiklehrer Hopf zitieren, der eines Tages völlig verzweifelt ob meines Desinteresses an seinem Unterricht ausrief:
"Jakobe, Du bist zwar begabt, aber faul." 
Dazu gab es nichts hinzuzufügen. Aber das mit der Begabung war zu gütig, denn ich habe nie auch nur einen Satz von dem, was er erzählte, verstanden.

Doch ich will lieber chronologisch meine Schullaufbahn schildern.

Mit 6 Jahren brachte mich meine Mamá in die Grundschule. Ich trug  einen Lederranzen auf dem Rücken, in dem sich nur eine Schiefertafel befand. 
3 km lang war der Schulweg und pünktlich musste man auch noch sein. Aus Furcht, bestraft zu werden, gelang mir das auch immer, aber für den Nachhauseweg brauchte ich mindestens doppelt soviel Zeit. Da gab es nämlich immer sooviel zu sehen und zu entdecken. 
So schaute ich im Vorfrühling in jeden Vorgarten, wo die ersten Schneeglöckchen zu sehen waren. 
Und im Herbst musste jede Kastanie und jede Eichel gesammelt werden. 
Dass ich grundsätzlich zu spät zum Essen kam, störte komischerweise niemanden. 

Im ersten Schuljahr durften wir nur mit dem Griffel auf die Schiefertafel kritzeln. Erst im zweiten Jahr gab es dann Hefte. Wir lernten die Sütterlinschrift, die hatte ganz spitze Buchstaben. Heute kann die fast niemand mehr, ja nicht einmal lesen.

Wenn man dazwischenredete oder sonst sich irgenwie schlecht aufführte, wurde man in die Ecke gestellt oder bekam mit einer Rute Schläge auf den Handrücken. Beide Erfahrungen habe ich auch machen müssen. Danach versuchte ich aber, immer brav zu sein, denn ich war es von zu Hause aus nicht gewohnt, geschlagen zu werden.

Alles in allem habe ich sieben verschiedene Schulen ausprobiert. Das ergab sich durch mehrere Umzüge und Verschickungen aufs Land.
Als ich ins Lyzeum kam, lebte ich gerade  in einem Kinderheim in Kupfermühle, einem kleinen Dorf zwischen Hamburg und Oldesloe. Das bedeutete, dass ich im Sommer jeden Morgen 8 km mit dem Fahrrad fahren musste. Im Winter, wenn Schnee lag, nahmen wir den Zug. Wenn der Verspätung hatte, wärmten wir uns am Kanonenofen im Warteraum auf. 
Wie immer war der Nachhauseweg der angenehmere. Wenn ich ein paar Pfennige in der Tasche hatte, warf  ich das Frühstücksbrot, das grundsätzlich nur mit Schmalz oder einem stinkigen Kräuterkäse beschmiert war, weg und kaufte mir köstliche Rumkugeln beim Bäcker. Ach war das ein Genuss!
Im Sommer suchte ich nach Erd-und Himbeeren, die überall im Walde wuchsen.
Im Herbst war ich auch noch nach Bucheckern und Haselnüssen aus.

Da ich keine größeren Probleme in der Schule hatte, erinnere ich auch keine Einzelheiten. Ebenso kann ich mich nicht entsinnen, je Schulaufgaben gemacht zu haben. Wahrscheinlich war mir alles andere drum und dran wichtiger.
Erst, als ich mit 13 Jahren in Hamburg die Klosterschule besuchte, wurde es plötzlich ernst. Aber auch nicht zu sehr. Wenn mich der Unterricht langweilte, las ich unter der Bank Karl May oder spielte mit meiner Banknachbarin Schiffe versenken.
Hin und wieder schwänzte ich auch und ging dafür ins Kino. In Hamburg-St.Georg gab es mehrere Kinos, die Vormittags schon geöffnet hatten. Um nicht zu früh nach Hause zu kommen, sah ich mir jeden Film zweimal an.

Als dann die Zeit des Abiturs näher rückte, fing ich  an zu büffeln. Da ich noch zweimal die Schule wechselte, musste ich mich immer an neue Lehrpläne gewöhnen.
Meine Lieblingsfächer waren Deutsch, Latein und Musik. Außerdem gab es noch hauswirtschaftliche Fächer, die ich am allermeisten mochte. Besonders das Kochen hatte es mir angetan. 
Durch die anderen Fächer schleppte ich mich so durch, dass heißt, ich lernte immer nur das nötigste. Bei Klassenarbeiten versorgte ich mich reichlich mit Spickzetteln. So bekam ich doch immer noch gute Noten. Ob die Lehrer das gemerkt haben, weiß ich nicht, gesagt haben sie nie was. Da ich sie meistens sehr interessiert anschaute, trauten sie mir glaube ich solche Schandtaten gar nicht zu.
Hier muss ich noch ein paar Worte über mein Benehmen verlieren.
Ich liebte es, im Unterricht meine Kommentare zu machen. Mir fiel zu allem immer irgendein Blödsinn ein. Dabei balancierte ich möglichst auf einem Stuhlbein. Es war gar nicht so leicht, dabei nicht umzukippen. Natürlich konnte ich mir sowas nicht bei allen Lehrern leisten. Es gab einige, die für Extravaganzen kein Verständnis aufbrachten. Im Übrigen war ich eine absolute Einzelgängerin. Gemeinsame Sache mit den Klassenkameradinnen machte ich nie. Sie waren mir zu albern. Aber ich hatte immer eine Busenfreundin, das genügte mir.

Die letzten Schuljahre standen  unter dem Zeichen des Krieges und nichts war mehr, wie wir es gewohnt waren.  Die Nächte verbrachten wir sehr oft im kalten und muffigen Luftschutzkeller. Totzdem mussten wir morgens pünktlich antreten. Und das noch  mit dem mir so verhassten Hitlergruß. 
Ein halbes Jahr vor dem Abitur wurden wir zwangsverschickt. Man brachte uns nach Wittstock (Brandenburg), wo wir in Privatfamilien untergebracht wurden. Sehr bald aber bekamen wir die Nachricht, dass wir zum Arbeitsdienst abkommandiert würden. Wir konnten zwischen Landarbeit und Waffenfabriken wählen.
Natürlich entschied ich mich für die Landwirtschaft.
Damit war meine Schulzeit beendet. Das Abitur bekamen wir später geschenkt.

Zurückblickend frage ich mich: Was hat meine Schulzeit mir bedeutet. Denn behalten habe ich von dem ganzen Unterrichtsstoff gar nichts. Zum Beispiel kann ich kein Wort Latein mehr, obwohl ich eine eins hatte. Auch mathematische Aufgaben kann ich nicht mehr lösen, und auch in dem Fach war ich nicht schlecht.
Nein, das was die Schule mir mitgegeben hat, ist die Freude am Lernen und am Denken. Die ist mir bis heute geblieben.