Wie jeden Samstagmorgen stand ich auch heute auf dem Bauernmarkt, um mir ein paar Lire zu verdienen. Viel war es nie, was ich anzubieten hatte, gerade das, was in meinem großen Korb Platz hatte. Heute waren es vier junge Hühner und ein paar Dutzend Eier gewesen. Als ich meine Ware verkauft hatte, ging ich zum Supermarkt, um die Dinge zu besorgen, die A., mein Mann, und ich auf unserem kleinen Bauernhof nicht selbst erzeugten wie Kaffee und Zucker, Seife, Salz und anderes. A.´s Lieblingstabak und eine Lokalzeitung gehörten auch dazu. Nicht, dass wir das Blatt je lesen würden, denn über anderes als unsere kleine Welt , die einzige, die uns wirklich etwas bedeutete, die uns ernährte, in der wir uns geborgen fühlten, wurden selten Worte verschwendet. Nein, mit den Zeitungsnotizen wickelte ich meine Eier ein, ganz fest, damit sie auf der Fahrt in die Stadt nicht zerbrachen, und mit den restlichen Meldungen zündete ich das Feuer im Kamin an. An der Kasse hatte sich eine Schlange gebildet und ich nahm die Gelegenheit wahr, um ein paar Schlagzeilen zu lesen:"Die Mafia hat wieder zugeschlagen!...." Weiter kam ich nicht, denn eine bekannte Stimme ließ mich aufblicken. Die Frau, die gerade den Inhalt ihres Wagens auf das Förderband der Kasse leerte, hatte mich angesprochen: "Wir erwarten nämlich Besuch" sagte sie, als müsse sie sich für den Berg von Dosen, die sie vor der Kassiererin aufgetürmt hatte, entschuldigen. Es war Anna, unsere Nachbarin, die Frau vom Schäfer. Anna und ihr Mann Sebastiano stammten aus Sardinien und waren erst vor ein paar Monaten mit ihren sechs Kindern und tausend Schafen auf den "Kontinent" gezogen. Futtermangel für ihre Tiere, so erklärten sie, hätte sie aus ihrer Heimat vertrieben. Nun waren sie Pächter eines verlassenen, halb zerfallenen Bauernhofes im hügeligen Hinterland der Adria. Nur ein kleiner Bach, der sich durch ein Schilf- und Brombeerdickicht quälte, trennte ihre Weiden von unserem kleinen Biohof, den wir bewirtschafteten. Eines abends hatten der Schäfer und seine Frau an unsere Tür geklopft, um mit uns bei einem Glas Wein auf gute Nachbarschaft anzustoßen. Die Besucher zeigten großes Interesse für die Sitten und Gepflogenheiten hierzulande und wurden des Fragens nicht müde. "Wir fühlen uns noch wie Fremde. Alles ist so neu und anders als bei uns." Beim Weggehen mussten wir ihnen versprechen, am folgenden Sonntag zum Essen zu kommen. Es war ein brütend heißer Sommertag. A. kam von der Feldarbeit zurück und spülte nun seinen staubigen, braungebrannten Oberkörper mit einem Eimer eiskalten Brunnenwassers ab. Unterdessen ließ ich es mir wohlsein in einem Zuber unter den schwerbehangenen Ästen eines Aprikosenbaumes und freute mich über die prallen, goldroten Früchte, von denen ich auch für die Schäfersfamilie einen Korb voll gepflückt hatte. "Wie ist das Leben doch schön!" dachte ich, glücklich darüber, einmal nicht kochen zu müssen. Wenig später standen wir in der finsteren, kühlen Küche der Schäferfamilie. Ein paar kleinere Kinder versteckten sich verschämt in den Rockfalten der Mutter, während die drei größeren uns wohlerzogen die Hand gaben. Ihre Augen waren ernst, fast traurig. Sie lächelten auch dann nicht, als ich den Korb mit den frischen Früchten auf den Tisch stellte. Die angenehme Kühle der Küche empfand ich plötzlich als lähmende Kälte. Wir setzten uns zu Tisch, wo schon eine dampfende Suppe auf uns wartete. Schafsbouillon, stellte ich fest. Als zweiten Gang gab es am Spieß gebratenes Hammelfleisch und "carta musica", das hauchdünne köstliche Fladenbrot aus Sardinien. Dann wurde Schafskäse gereicht und alles wurde mit reichlich Wein hinuntergespült. Während der ganzen Mahlzeit unterhielt man sich kaum, denn die Schäferfamilie sprach untereinander in ihrer Landessprache, die wir nicht verstanden. Ich war von der ungewöhnlichen Kost und dem schweren Wein müde geworden und sehnte mich nach einem Mittagsschläfchen. "Ich habe noch etwas ganz Besonderes für Euch", sagte Sebastiano und füllte wieder die Gläser. Dann ging er hinaus und kam mit einem rundbauchigen, glänzenden Käse zurück, den er sichtlich stolz auf den Tisch legte. Mit einem kräftigen Schnitt zerteilte er den Käselaib und hielt die beiden Hälften hoch, dass alle das köstliche Innenleben bewundern konnten: unter der dünnen Käserinde wimmelte es von hunderten von dicken, fetten Maden, die sich im plötzlichen Tageslicht wanden und krümmten. Alle außer mir, die ich mich vor Ekel schüttelte, ließen sich diese Delikatesse gut schmecken. Da nun auch A. vom vielen Wein schläfrig geworden war, verließen wir bald das Haus, in dem ich mich immer unbehaglicher fühlte. Das alles lag nun schon Wochen zurück, als ich an diesem Samstag von meinen Einkäufen nach Hause kam. Wie immer, wenn ich in der Küche hantierte, hatte ich das Radio aufgedreht. "Der bekannte Arzt Dr. Soundso und seine Tochter wurden gestern Abend aus ihrer Villa entführt!" sagte gerade der Nachrichtensprecher. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Dr. Soundso war unser Hausarzt aus dem Nachbardorf. Natürlich!!! Die vielen Dosen.................was wollte Anna denn mit all diesen Konserven?!!! Es vergingen Wochen, bis der Fall geklärt wurde und mein Verdacht sich bestätigte: "Sebastiano T., ein gefährlicher Boss einer mafiosen Bande, hatte, unterstützt von Frau und Kindern........" Die Entführten wurden
befreit, die Täter verhaftet und das Lösegeld zurückerstattet
- über alles wurde ausführlich berichtet. Sebastiano, der auch
ein gesuchter Mörder war, erhängte sich einige Monate in seiner
Zelle. Was aus seiner Frau und den Kindern wurde, hat man allerdings nie
erfahren.
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